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Читать книгу: «Unsichtbare Bande: Erzählungen», страница 8

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Reors Geschichte

War da ein Mann, der hieß Reor. Er war aus Fuglekärr im Kirchspiel Svarteborg und galt für den besten Schützen der Gegend. Er wurde getauft, als König Olof die alte Lehre in Viken ausrottete, und war fortab ein eifriger Christ. Er war von freier Geburt, aber arm, schön, aber nicht hochgewachsen, stark, aber sanft. Er zähmte junge Fohlen mit Blick und Wort allein, und er konnte mit einem einzigen Zuruf die kleinen Vöglein an sich locken. Er hielt sich fast immer im Walde auf, und die Natur hatte große Macht über ihn. Das Wachstum der Pflanzen und das Knospen der Bäume, das Spiel der Hasen in den Waldlichtungen und der Sprung des Barsches in dem abendstillen See, der Kampf der Jahreszeiten und der Wechsel der Witterung, dies waren die Hauptgeschehnisse in seinem Leben. Schmerz und Freude bereitete ihm derlei, und nicht das, was sich unter den Menschen zutrug.

Eines Tages tat der geschickte Jäger einen guten Fang. Er traf im tiefen Waldesdickicht einen alten Bären und erlegte ihn mit einem einzigen Schuß. Die scharfe Spitze des großen Pfeiles drang in das Herz des Gewaltigen, und er sank dem Jäger tot zu Füßen. Es war Sommer, und der Pelz des Bären war weder dicht noch glatt, dennoch zog der Schütze ihn ab, rollte ihn zu einem harten Bündel zusammen und ging mit dem Bärenfell auf dem Rücken weiter.

Er war noch nicht lange gewandert, als er einen überaus starken Honigduft verspürte. Der kam von den kleinen, blühenden Pflanzen, die den Boden bedeckten. Sie wuchsen auf dünnen Stielen, hatten lichtgrüne, glatte Blätter, die sehr schön geädert waren, und auf der Spitze des Stengels ein kleines Büschelchen, das dicht mit weißen Blüten besetzt war. Die kleinen Kronen waren nach winzigem Maßstabe geraten, doch aus ihnen ragte eine kleine Bürste von Stempeln auf, deren blütenstaubgefüllte Knöpfchen auf weißen Saiten zitterten. Reor dachte, während er so unter ihnen einherging, daß diese Blumen, die einsam und unbemerkt im Waldesdunkel standen, Botschaft um Botschaft, Ruf um Ruf aussandten. Der starke honigsüße Duft war ihr Ruf, der verbreitete die Kunde ihres Daseins weit unter die Bäume und hoch hinauf in die Wolken. Aber es lag etwas Beängstigendes in dem schweren Duft. Die Blumen hatten ihre Becher gefüllt und ihre Tischlein gedeckt, der geflügelten Gäste harrend, aber niemand kam. Sie sehnten sich zu Tode in ihrer trüben Einsamkeit in dem dunkeln, windstillen Waldesdickicht. Sie schienen schreien und jammern zu wollen, weil die schönen Schmetterlinge nicht kamen, um bei ihnen zu Gaste zu sein. Da, wo die Blumen am dichtesten beisammen standen, deuchte es ihn, als sängen sie zusammen ein eintöniges Lied: „Kommt, ihr schönen Gäste, kommt heute, denn morgen sind wir tot. Morgen liegen wir auf dem trocknen Laub.“

Doch es sollte Reor vergönnt sein, das frohe Ende des Blumenmärchens zu sehen. Er vernahm hinter sich ein Flattern wie das allerleiseste Lüftchen und sah einen weißen Schmetterling im Dunkel zwischen den dicken Stämmen umherirren. Unruhig suchend flog er hin und wieder, als wüßte er den Weg nicht. Er war nicht allein, ein Schmetterling nach dem andern tauchte im Dunkel auf, bis endlich ein ganzes Heer der weißbeschwingten Honigsucher versammelt war. Aber der erste war der Anführer, und er fand, vom Dufte geleitet, die Blumen. Nach ihm kam das ganze Schmetterlingsheer herangestürmt. Es stürzte sich auf die sehnsüchtigen Blumen, wie der Sieger sich auf die Beute stürzt. Wie ein Schneefall von weißen Flügeln senkten sie sich auf sie herab. Und nun gab es ein Fest- und Trinkgelage um jede Blume. Der Wald war voll von stillem Jubel.

Reor ging weiter. Doch nun war es, als folgte ihm der honigsüße Duft auf dem Fuße, wohin er auch ging. Und er empfand, daß sich drinnen im Walde eine Sehnsucht verbarg, stärker als die der Blumen. Daß da etwas war, was ihn zu sich zog, so wie die Blumen die Schmetterlinge angelockt hatten. Er ging mit einer stillen Freude im Herzen einher, so, als harrte er eines großen unbekannten Glückes. Das einzige, was ihn ängstigte, war, ob er auch den Weg zu diesem finden konnte, was sich nach ihm sehnte.

Vor ihm auf dem schmalen Pfade kroch eine weiße Schlange. Er bückte sich, um das glückbringende Tier aufzuheben, aber die Schlange glitt ihm aus den Händen und eilte rasch den Pfad hinauf. Da rollte sie sich zusammen und lag still, doch als der Schütze wieder nach ihr griff, glitt sie so glatt wie Eis zwischen seinen Fingern durch. Nun war Reor ganz und gar darauf erpicht, das klügste der Tiere zu besitzen. Er lief der Schlange nach, konnte sie aber nicht erreichen, und sie lockte ihn von dem Pfade fort auf den ungebahnten Waldboden.

Dieser war mit Föhren bestanden, und in einem Föhrenwalde findet man selten Rasen. Aber jetzt verschwand plötzlich das trockne Moos und die braunen Nadeln, Farrenkräuter und Preißelbeerbüsche zogen sich zurück, und Reor fühlte seidenweiches Gras unter seinen Füßen. Über der grünen Matte zitterten federleichte Blumenrispen auf sanftgeneigten Stengeln, und zwischen den langen schmalen Blättern zeigten sich die kleinen, halberblühten Blumen der Steinnelke. Es war nur eine ganz kleine Stelle, und darüber breiteten die hochstämmigen Föhren ihre knorrigen, braunen Äste mit dichten Nadelbüscheln. Doch zwischen diesen konnten die Sonnenstrahlen viele Wege zur Erde finden, und es war erstickend heiß.

Aber gerade vor dieser kleinen Wiese erhob sich eine Felswand lotrecht aus dem Boden. Sie lag im hellen Sonnenschein, und man sah deutlich die moosigen Steinflächen, die frischen Brüche, da wo der Winterfrost zuletzt gewaltige Blöcke gelöst hatte, die großen Stauden Steinwurz, die die braunen Wurzeln in erdgefüllte Spalten drängten, und die zollbreiten Absätze, wo die Säulenflechte ihre rotgestreiften Pokale aufrichtete und eine grasgrüne Moosart auf nadelfeinen Stiftchen die kleinen grauen Mützen erhob, die ihre Befruchtungsorgane enthielten.

Diese Felswand schien in allen Stücken jeder andern Felswand zu gleichen, aber Reor bemerkte sogleich, daß er gerade vor die Giebelwand einer Riesenbehausung gekommen war, und er entdeckte unter Moos und Flechten die großen Angeln, auf denen das Steintor des Berges sich drehte.

Er glaubte jetzt, daß die Schlange sich in das Gras verkrochen habe, um sich da zu verbergen, bis sie unbemerkt in den Felsen schlüpfen konnte, und er gab die Hoffnung auf, sie zu fangen. Er spürte jetzt wieder den honigsüßen Duft der sehnsüchtigen Blumen und merkte, daß hier oben unter der Bergwand eine erstickende Hitze herrschte. Es war auch seltsam still: kein Vogel rührte sich, keine Nadel spielte im Winde, es war, als hielte alles den Atem an, um in unbeschreiblicher Spannung zu warten und zu lauschen. Reor war gleichsam in ein Gemach gekommen, wo er nicht allein war, obgleich er niemanden sah. Er hatte das Gefühl, als ob jemand ihn beobachtete, es war ihm, als würde er erwartet. Er empfand keine Angst, nur ein wohliger Schauer durchrieselte ihn, so, als sollte er bald etwas überaus Schönes zu sehen bekommen.

In diesem Augenblick gewahrte er wieder die Schlange. Sie hatte sich nicht versteckt, sie war vielmehr auf einen der Blöcke gekrochen, die der Frost von der Felswand abgesprengt hatte. Und dicht unter der weißen Schlange sah er den lichten Leib eines Mädchens, das im weichen Grase lag und schlief. Sie lag ohne andre Decke, als ein paar spinnwebdünne Schleier, gerade als hätte sie sich dort hingeworfen, nachdem sie die Nacht hindurch im Elfenreigen getanzt, aber die langen Grashalme und die zitternden, federleichten Blumenrispen erhoben sich hoch über der Schlafenden, so daß Reor nur undeutlich die weichen Linien ihres Körpers gewahren konnte. Er trat auch nicht näher, um besser zu sehen, aber sein gutes Messer zog er aus der Scheide und warf es zwischen das Mädchen und die Felswand, damit die den Stahl fürchtende Tochter des Riesen nicht in den Berg fliehen konnte, wenn sie erwachte.

Dann blieb er in tiefe Gedanken versunken stehen. Eines wußte er sogleich, das Mägdlein, das hier schlief, wollte er besitzen; aber noch war er nicht recht einig mit sich selbst, wie er gegen sie handeln sollte.

Doch da lauschte er, der die Sprache der Natur besser kannte als die der Menschen, dem großen ernsten Walde und dem strengen Berge. „Sieh,“ sagten sie, „dir, der du die Wildnis liebst, geben wir unsre schöne Tochter. Besser ziemt sie dir als die Töchter der Ebene. Reor, bist du der edelsten Gabe würdig?“

Da dankte er in seinem Herzen der großen wohltätigen Natur und beschloß, das Mädchen zu seiner Frau zu machen und nicht nur zu seiner Magd. Und da er dachte, daß sie, wenn sie das Christentum und Menschensitte angenommen hatte, sich bei dem Gedanken, daß sie so unverhüllt dagelegen habe, schämen würde, löste er die Bärenhaut von seinem Rücken, entrollte das steife Fell und warf den grauen zottigen Pelz des alten Bären über sie.

Doch als er dies tat, erdröhnte hinter der Felswand ein Lachen, von dem die Erde erzitterte. Es klang nicht wie Hohn, nur so, als hätte jemand in großer Angst gewartet, der lachen mußte, als er ganz plötzlich davon befreit wurde. Die furchtbare Stille und die drückende Hitze hatten nun auch ein Ende. Über das Gras schwebte ein erquickender Wind, und die Nadeln begannen ihren rauschenden Gesang. Der glückliche Jäger fühlte, daß der ganze Wald den Atem angehalten hatte, in Unruhe, wie die Tochter der Wildnis von dem Menschensohn behandelt werden würde.

Die Schlange schlüpfte jetzt in das hohe Gras; aber die Schlummernde lag in Zauberschlaf versunken und regte sich nicht. Da rollte Reor sie in die grobe Bärenhaut, so daß nur ihr Kopf aus dem zottigen Fell hervorguckte. Obgleich sie sicherlich eine Tochter des alten Riesen im Berge war, war sie doch zart und fein gebaut, und der starke Schütze hob sie in seine Arme und trug sie fort durch den Wald.

Nach einem Weilchen fühlte er, wie jemand seinen breitrandigen Hut abhob. Da sah er auf und merkte, daß des Riesen Tochter erwacht war. Sie saß ganz ruhig in seinem Arm, aber nun wollte sie sehen, wie der Mann aussah, der sie trug. Er ließ sie gewähren, er machte größre Schritte, aber sagte nichts.

Da mußte sie wohl gemerkt haben, wie heiß ihm die Sonne auf den Kopf brannte, nachdem sie ihm den Hut abgenommen hatte. Sie hielt ihn darum über seinen Kopf wie einen Sonnenschirm, aber sie setzte ihn ihm nicht auf, sondern hielt ihn so, daß sie immerzu in sein Gesicht sehen konnte. Da deuchte es ihn, daß er nichts zu fragen, nichts zu sagen brauchte. Stumm trug er sie hinab zu seiner Mutter Hütte. Doch sein ganzes Wesen durchbebte Glückseligkeit, und als er auf der Schwelle seines Heims stand, da sah er, wie die weiße Schlange, die Glück ins Haus bringt, unter die Grundmauer schlüpfte.

Waldemar Attertag brandschatzt Visby

In dem Frühling, in dem Hellquists großes Bild „Waldemar Attertag brandschatzt Visby“ im Kunstverein ausgestellt war, kam ich an einem stillen Vormittag hinauf, ohne zu ahnen, daß dieses Kunstwerk sich da befand. Die große, farbenreiche Leinwand mit den vielen Gestalten machte schon beim ersten Anblick einen außerordentlichen Eindruck. Ich konnte kein andres Bild ansehen, sondern ging geradeswegs auf dieses zu, setzte mich nieder und versank in stille Betrachtung. Eine halbe Stunde lang lebte ich das Leben des Mittelalters.

Bald war ich mitten in der Szene, die sich auf dem Marktplatz von Visby abspielte. Ich sah die Bierbottiche, die sich mit dem goldnen Trank zu füllen begannen, den König Waldemar begehrt, und die Gruppen, die sich rings um sie ansammelten. Ich sah den reichen Kaufherrn mit dem Pagen, der unter seinen Gold- und Silberschüsseln fast zusammenbricht, den jungen Bürger, der die Faust gegen den König ballt, den Mönch mit dem scharfen Antlitz, das forschend die Majestät betrachtet, den zerlumpten Bettler, der sein Scherflein opfert, die Frau, die neben der einen Kufe hingesunken ist, den König auf seinem Thron, das Kriegsheer, das sich aus dem schmalen Gäßchen heranwälzt, die hohen Hausgiebel und die zerstreuten Gruppen trotziger Soldaten und halsstarriger Bürger.

Aber plötzlich merkte ich, daß die Hauptgestalt des Bildes nicht der König ist, nicht einer der Bürger, sondern der eine der eisengepanzerten Schildträger des Königs, der mit dem gesenkten Visier.

In diese Gestalt hat der Künstler eine seltsame Kraft gelegt. Man sieht nicht das geringste von ihm selbst, der ganze Mann ist Eisen und Stahl, und doch macht er den Eindruck, der wahre Herr der Lage zu sein.

„Ich bin die Gewalt, ich bin die Raublust,“ sagt er. „Ich bin es, der Visby brandschatzt. Ich bin kein Mensch, ich bin nur Eisen und Stahl. Ich habe meine Lust an Qualen und Grausamkeit. Mögen sie einander nur peinigen. Heute bin ich der Herr auf dem Marktplatz zu Visby.“

„Sieh,“ spricht er zu dem Betrachter, „kannst du nicht sehen, daß ich hier Herr bin? Soweit dein Auge reicht, gibt es nichts andres als Menschen, die einander quälen. Seufzend kommen die Besiegten und liefern ihr Gold aus. Sie hassen und drohen, aber sie gehorchen. Und die Begierde der Siegesherren wird immer wilder, je mehr Gold sie hervorpressen können. Was sind Dänemarks König und seine Soldaten andres als meine Diener, wenigstens für diesen Tag? Morgen werden sie zur Kirche gehen oder in friedlicher Zwiesprach in den Schenken sitzen oder vielleicht auch gute Väter sein im eignen Heim, doch heute dienen sie mir, heute sind sie Bösewichte und Gewalttäter.“

Und je länger man ihm zuhört, desto besser versteht man, was das Bild ist: nichts andres als eine Illustration der alten Mär, wie Menschen einander quälen können. Kein versöhnender Zug ist da, nur grausame Gewalt. Und trotziger Haß und hoffnungsloses Leiden.

Es ist doch so, daß diese drei Bräukufen gefüllt werden müssen, auf daß Visby nicht geplündert und eingeäschert werde. Warum kommen sie nicht, diese Hanseaten, in flammender Begeisterung? Warum kommen die Frauen nicht herangeeilt, mit ihren Geschmeiden, der Trinker mit seinem Becher, der Priester mit dem Reliquienschrein, eifrig, glühend von Opfermut? „Für dich, für dich, unsre geliebte Stadt! Wozu uns Krieger schicken, wenn es sich um dich handelt! O, Visby, unsre Mutter, unser Ruhm! Nimm zurück, was du uns gegeben hast!“

Aber so wollte der Maler es nicht sehen, und so war es auch nicht. Keine Begeisterung, nur Zwang, nur gebändigter Trotz, nur Jammer. Das Gold ist ihnen alles, Frauen und Männer seufzen über dies Gold, von dem sie sich trennen müssen.

„Sieh sie an!“ spricht die Gewalt, die auf den Stufen des Thrones steht. „Es geht ihnen tief zu Herzen, es zu opfern. Mag, wer da will, mit ihnen Mitleid haben! Geizig, gewinnsüchtig, übermütig sind sie! Sie sind um nichts besser als der gierige Räuber, den ich gegen sie ausgesandt habe.“

Eine Frau ist vor der Tonne zusammengebrochen. Kostet es ihr so großes Leid, ihr Gold herzugeben! Oder ist sie vielleicht die Schuldige? Ist sie des Jammers Urheberin? Ist sie die, welche die Stadt verraten hat? Ja, sie ist es, die König Waldemars Liebste gewesen. Es ist Jung-Hansens Tochter.

Sie weiß wohl, daß sie ihr Gold nicht auszuliefern braucht. Ihres Vaters Haus wird dennoch nicht geplündert, aber sie hat zusammengerafft, was sie besitzt und bringt es herbei. Auf dem Marktplatz angelangt, ist sie von all dem Elend, das sie gesehen, überwältigt worden und in grenzenloser Verzweiflung zu Boden gesunken.

Frisch und fröhlich war er gewesen, der junge Goldschmiedegeselle, der voriges Jahr in ihres Vaters Haus diente. Herrlich war es, an seiner Seite über diesen selben Marktplatz zu wandern, wenn der Mond hinter den Giebeln hinanstieg und den Glanz von Visby beleuchtete. Stolz war sie auf ihn gewesen, stolz auf ihren Vater, stolz auf ihre Stadt. Und nun liegt sie da, von Jammer gebrochen. Unschuldig und doch schuldig! Er, der kalt und grausam auf dem Throne sitzt und alle diese Verheerung über die Stadt gebracht hat, ist er derselbe, der ihr zärtliche Worte zugeflüstert hat? Schlich sie sich zum Stelldichein mit ihm, als sie in der vorigen Nacht ihres Vaters Schlüssel stahl und das Stadttor öffnete? Und als sie ihren Goldschmiedegesellen als einen gewappneten Ritter traf mit einem stahlgepanzerten Heere hinter sich, was dachte sie da? Wurde sie nicht wahnsinnig, da sie die stählerne Flut sich durch das Tor wälzen sah, das sie geöffnet hatte? Zu spät deine Klagen, o Jungfrau! Warum liebtest du den Feind deiner Stadt? Gefallen ist Visby, vergehen wird sein Glanz. Warum stürztest du dich nicht mitten im Tore nieder und ließest dich von den eisernen Hufen zu Tode treten? Wolltest du leben, um den Verbrecher von des Himmels Blitzen getroffen zu sehen?

O Jungfrau, an seiner Seite steht die Gewalt und schützt ihn. An heiligern Dingen als einer leichtgläubigen Jungfrau vergreift er sich. Nicht einmal Gottes heiligen Tempel schont er. Die leuchtenden Karfunkelsteine bricht er aus der Kirchenwand, um die letzte Kufe zu füllen.

Da ändern alle Gestalten des Bildes ihre Haltung. Blindes Entsetzen packt alles Lebende. Der wildeste Kriegsknecht erbleicht, die Bürger wenden ihren Blick zum Himmel, alle erwarten Gottes Strafgericht, alle erbeben, außer der Gewalt auf den Stufen des Thrones und dem König, der ihr Diener ist.

Ich wünschte, der Künstler lebte noch, so daß er mich hinab zum Hafen von Visby führen und mir diese selben Bürger zeigen könnte, als sie mit den Blicken der fortsegelnden Flotte folgten. Sie rufen Verwünschungen über die Wogen hin. „Vernichtet sie,“ rufen sie, „vernichtet sie! O Meer, du unser Freund, nimm unsre Schätze wieder! Tue deine erstickende Tiefe auf unter den Gottlosen, unter den Treulosen!“

Und das Meer donnert dumpf Beifall, und die Gewalt, die auf dem königlichen Schiffe steht, nickt zustimmend. „So ist es gut,“ sagt sie, „verfolgen und verfolgt werden, so lautet mein Gesetz. Möge der Sturm und das Meer die räuberische Flotte zerstören und die Schätze meines königlichen Dieners an sich raffen! Desto früher ist es uns beschieden, auf neue Verheerungszüge auszuziehen!“

Aber die Bürger auf dem Strande wenden sich um und sehen zu ihrer Stadt empor. Feuerflammen sind dort aufgelodert, Plünderung ist über sie hingezogen, hinter zersprungenen Scheiben gähnen verwüstete Wohnstätten. Geschwärzte Giebel sehen sie, geschändete Kirchen, blutige Leichen liegen in den engen Gäßchen, und vor Schreck wahnsinnige Frauen durcheilen die Stadt. Sollen sie alledem ohnmächtig gegenüberstehen? Gibt es niemanden, den ihre Rache erreichen kann, niemanden, den sie ihrerseits quälen und vernichten können?

Gott im Himmel, seht doch! Des Goldschmieds Haus ist nicht geplündert, nicht verbrannt. Was ist das? War er im Bunde mit dem Feinde? Hat er nicht den Schlüssel zu einem der Tore der Stadt in seinem Gewahrsam? O du, Jung-Hansens Tochter, antworte, was soll das bedeuten?

Dort auf dem Königsschiffe steht die Gewalt und betrachtet ihren königlichen Diener, unter dem Visier lächelnd. Höre den Sturm, Herr, höre den Sturm! Das Gold, das du geraubt, bald wird es dir unerreichbar auf dem Meeresgrunde ruhen. Und sieh zurück auf Visby, mein hoher Herr! Das Weib, das du betrogst, wird zwischen Priestern und Kriegsknechten zur Stadtmauer geführt. Hörst du den Volkshaufen, der ihr folgt, fluchend und wehklagend? Sieh, sieh, die Maurer kommen mit Kalk und Maurerkellen! Sieh, die Frauen kommen mit Steinen! Alle tragen sie Steine, alle, alle!

O König, wenn du nicht sehen kannst, was in Visby vorgeht, mußt du doch hören und wissen, was dort geschieht. Du bist ja nicht von Stahl und Eisen wie die Gewalt an deiner Seite. Wenn des Alters düstre Tage kommen und du unter dem Schatten des Todes lebst, dann wird das Bild von Jung-Hansens Tochter vor deine Erinnerung treten.

Bleich wirst du sie unter ihres Volkes Hohn und Verachtung zusammensinken sehen. Du wirst sie dahinziehen sehen zwischen Priestern und Kriegsknechten unter Glockengeläute und Hymnengesang. Sie ist schon tot in den Augen des Volkes. Tot fühlt sie sich in ihrem Innersten, getötet von allem, was sie geliebt. Du wirst sie in den Turm steigen sehen, sehen, wie man die Steine einfügt, vernehmen, wie die Maurerkellen scharren, und das Volk hören, wie es mit seinen Steinen herbeieilt. „O Maurer, nimm meinen, nimm meinen! Bediene dich meines Steines zum Rachewerk! Laß meinen Stein mit dabei sein, Jung-Hansens Tochter von Licht und Luft abzuschließen! Gefallen ist Visby, das herrliche Visby! Gott segne eure Hände, Maurer! Laß mich mit dabei sein und die Rache vollziehen!“

Und Hymnengesang erklingt, und die Glocken läuten wie über einer Toten.

O Waldemar, König von Dänemark, auch dein Los wird es sein, dem Tode zu begegnen, dann wirst du auf deinem Bette liegen und vieles hören und sehen und dich in Qualen dabei winden. Und auch dieses Scharren mit der Maurerkelle, diese Rufe der Rache wirst du hören. Wo sind sie dann, die heiligen Glocken, die die Marter der Seele übertönen? Wo sind sie, die weiten Metallrachen, deren Zungen zu Gott um Gnade für dich flehen? Wo ist die von Wohllaut erzitternde Luft, die die Seele hin zu Gottes Gefilden führt?

O hilf, Esrom, hilf, Sorö, und du, große Glocke in Lund!

Welch düstre Geschichte erzählt nicht dieses Bild! Es war ein wunderliches, fremdes Gefühl, wieder in den Königsgarten zu treten, in den strahlenden Sonnenschein unter lebende Menschen.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Переводчик:
Правообладатель:
Public Domain

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