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Читать книгу: «Unsichtbare Bande: Erzählungen», страница 18

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„Findest du auch, Nino, daß ich feige bin?“ fragte sie. „Bin ich entartet? Habe ich keinen Tropfen Römerblut in meinen Adern?“

Nino sah zu ihr auf, wie sie da schön und stolz und trotzig vor ihm stand. Er liebte sie so, wie er sie immer geliebt hatte, und er sah seine ganze Zukunft vor sich. Sie würde nie heiraten, er würde sie nie verlassen können, und sie würden das Leben zusammen leben, sie als Herrscherin, er als Knecht. Die Zeit, die nun vorbei war, in der er beinahe Herrscher gewesen war, die kehrte nicht zurück. Sie würde bald wieder die Zügel der Gewalt an sich nehmen.

„Sag mir, Nino,“ fragte sie, „waren die Frauen des alten Rom wilde Tiere? Gaben sie zu, daß man ihnen das raubte, was sie liebten?“

Nie hatte Nino so wie jetzt begriffen, was das neue Italien von dem alten unterschied, aber er schloß die Augen vor allen Zeugnissen der Geschichte, er war aufs neue Teresas Sklave und Knecht geworden und antwortete, wie sie es wünschte, in ihren Adern fließe Römerblut, das edelste Römerblut.

Die Rache bleibt nicht aus

Es war ein langes und recht breites Tal. An seiner einen Seite erhob sich eine Reihe zackiger Küstenberge, an der andern ein gleichmäßig hoher Kamm, den dichter Wald deckte. Unten im Tale stand eine Kirche, und rings um sie her war eine weite, offne Gegend, in der aller Wald ausgerodet war.

Es war an einem Sonntagabend, und der Sonnenuntergang lag brennend hinter den Küstenbergen. Leute, die den ganzen Tag drinnen in den Hütten geschlafen hatten, traten auf ihre Schwellen und streckten sich und spitzten die Ohren, um zu erlauschen, ob nicht von einer der vier Ecken der Welt her Tanzmusik erschalle. Wem es glückte, einen einzigen Geigenton aufzufangen, der machte sich davon über die schmalen, schneeigen Dorfwege und kam dann wie von ungefähr dahergegangen, langsam und bedächtig, aber die „Tanzhütte“ als sichres Ziel im Sinn.

So kam Gruppe auf Gruppe zur Tür Arilds, des Köhlers am Waldessaum, hereingeglitten. Da fragte niemand danach, wer kam; der neue Gast stand ein Weilchen unten an der Tür und gewöhnte die Augen an den Rauch, der sich unter dem Rauchfange hervorwälzte und in das Zimmer qualmte, bis er den Weg zu dem Loch im Dache fand; und dann mischte sich der neue Ankömmling auch ins Spiel. Der Reigentanz ging über den bloßen Erdboden, das Stroh war weggetreten, die Ferkel hatte man von der Grube unter das Dachloch geschafft, wo sie sich am liebsten aufhielten; großer Schwingraum war nicht vorhanden, aber Arild selbst spielte die Geige, und der Tanz verlief drinnen im Winterquartier ebensogut, wie er an einem Sommerabend über den Waldeshang gegangen wäre.

Arild hatte eine Frau, die Tora hieß; die pflegte sich immer in eine dunkle Ecke zu verkriechen, wenn er zum Tanze lud. Sie war menschenscheu und schreckhaft, war fast immer als Hirtin im Walde umhergezogen und stand in dem Rufe, mehr sehen zu können, als andre.

An diesem Abend war sie ungewöhnlich vergnügt, sie versteckte sich nicht, sondern saß vorn am Kamin, die Flamme brannte dicht neben ihr. Es war wenig Farbe in ihrem breiten, fetten Gesicht; die Augen, die hell wie Wasser waren, blickten lebendig, und sie bewegte die großen Hände, während sie sprach. Wenn die Leute sie bemerkten, traten sie aus den Reihen der Tanzenden und kamen heran, um sie zu begrüßen.

Wessen Hand sie dann ergriffen hatte, den hielt sie fest, bis sie das erzählt hatte, was ihr heute morgen geschehen war. Es bereitete ihr Verlegenheit, es herauszubringen, aber gleichzeitig war sie doch so stolz darauf, daß sie es nicht verschweigen konnte.

Den Leuten fiel es sonst schwer, das Lachen zu verbeißen, wenn sie erzählte, was sie gesehen und geträumt hatte. Nun sollte man sich aber überzeugen, daß ihre prophetische Gabe etwas wert sei.

Als sie im Morgengrauen dalag, hatte ihr geträumt, daß ihre drei Ziegen droben im dichten Wald in die Irre gingen. Sie hatte sie so jämmerlich meckern hören, daß sie erwachte. Als sie nun nachsah, erblickte sie alle Ziegen in ihrer Hürde unten an der Tür, und sie hatte ja zuerst gedacht, dies sei nur ein gewöhnlicher Traum. Aber dann war eine Unruhe über sie gekommen: „Nein, nein, das ist ein bedeutungsvoller Traum,“ hatte sie zu sich selbst gesagt.

Damit war sie aufgestanden, hatte sich in Fellkleider gehüllt, hatte das Nebelhorn über die Schulter geworfen und war in den Wald hinaufgewandert. Sie war vom Wege abgewichen, war nach der Anweisung des Geistes gegangen und nahe daran gewesen, sich im Dickicht zu verirren. Sie lachte leise, als sie das erzählte. Ob sie wüßten, was das wäre, im dichten Walde vom Wege abzukommen? Grundloser Boden, der bei keiner Kälte zufröre, Gestrüpp, das jeden leeren Raum zwischen den Stämmen ausfülle, Schneehaufen und Wurzeln und stechende Dornen und umgestürzte Bäume, so sei es oben im Wald.

„Aber dort oben fand ich drei wilde Böcke,“ sagte sie. „Kommt und seht, was ich dort fand.“ Sie führte ihren Gast die Reihen der Tanzenden entlang zu dem Bette hin, das mauerfest und durch Türen geschützt war. Sie öffnete die Türe, leuchtete mit einem Kienspan hinein, und da sah man drinnen drei Männer liegen. Sie waren alle in zerrissenen Fetzen; so abgemagert waren sie, daß die Backenknochen schwarze Schatten auf ihre Wangen warfen, aber ihre Züge waren kühn und schön. Sie schliefen so fest, daß weder der Tanz, noch Toras Vorzeigen sie wecken konnte.

„Das sind meine drei wilden Böcke, die ich im Dickicht gefunden habe,“ sagte sie. „Es sind drei arme Gesellen, die sich im tiefen Walde verirrt haben und dort acht Tage umhergewandert sind. Wäre ich nicht gekommen, so wären sie jetzt tot. Den ganzen Tag habe ich Essen für sie gekocht, und jetzt schlafen sie. Seht, wie sie schlafen.“

„Es ist Gottes Gnade, die dich sie retten ließ, Tora,“ sagten ihre Gäste.

„Gott wollte, daß ich nicht allezeit zum Gespött sein sollte,“ sagte das Weib.

So verstrich der Abend. Als aber die Schlafenszeit herankam, da wurde die Freude unterbrochen. Die Tür wurde mit Macht aufgestoßen, und ein langer, großer Mann kam herein. Er durchbrach den Kreis der Tanzenden, stellte sich mitten in den Raum und erhob die Hand.

Das war der Pfarrer, Herr Ane, und er kam, um den Tanz in der Sonntagsnacht zu verbieten. Er hatte an diesem Tage in der Kirche gestanden und leeren Wänden gepredigt. Er hatte geglaubt, Krieg und Pest müßten alle Menschen dahingerafft haben, aber nein, hier waren sie, hier in der Spielhütte waren sie zu finden. Und der Pfarrer verkündigte Buße und Kirchenstrafe über sie alle.

Nun, da er sie gefunden hatte, sollten sie seine Predigt hören. Und er sprach und zertrümmerte ihre Freude und schreckte sie mit dem furchtbaren künftigen Leben, so daß sie vermeinten, niemals mehr den Fuß zum Tanze heben zu können.

„Tanzet nun, wenn es euch gelüstet,“ sagte der Pfarrer, „tanzet nun, ihr wißt jetzt, wohin ihr tanzet.“

Einige schlichen sich stumm von dannen, andre standen verlegen da und suchten sich tapfer zu halten, sie begannen aber bald leise zu schluchzen. Ein Dirnlein, das eben noch am wildesten getanzt hatte, fiel auf die Knie und küßte die Hand des Pfarrers.

Keiner wagte ihm zu widersprechen, außer Tora. Sie, der sonst immer bange war, kam breit und ihrer Sache sicher heran. „Pfarrer,“ sagte sie, „hier haben wir jeden Sonntagabend getanzt, alle diese Jahre, und doch ist dies ein Haus Gottes. Du sollst hören, wie Gott heute seinen Segen über mich ergossen hat.“

„Du Hexe,“ sagte der Pfarrer, „willst du schweigen! Was an Segen zu dir kommt, das ist des Teufels Segen. Heute abend rede ich zu Menschen, die sich bekehren und bessern können. Mit dir rechne ich ein andermal ab.“

Damit ging der Pfarrer, und in der Hütte herrschte große Betrübnis. Arild versuchte ein paar Striche auf der Geige, aber er legte sie gleich wieder fort. Die meisten von denen, die getanzt hatten, gingen heim.

Tora saß wieder am Herde, sie warf neue Scheite in die Glut und schien ebenso froh wie zuvor. Einige, die sahen, daß sie den Mut nicht verloren hatte, gingen auf sie zu und begannen, übel vom Pfarrer zu sprechen.

„Luthers Lehre hat Herrn Ane wild und toll gemacht,“ sagte ein Bauer. „Früher, als er noch dem Papste zugehörte, durfte man sogar im Pfarrhof tanzen.“

„Er ist nicht so gut, wie er sich stellt, weißt du, Tora,“ sagte ein andrer.

„Tut er mir etwas, dann werde ich schon erzählen, wie er zu seinem Gelde gekommen ist,“ sagte Tora.

Und da nun viele sie fragten, was sie meine, erzählte sie: „Der Pfarrer, Herr Ane, war einmal sehr arm, aber er hatte einen Bruder, der ein Großbauer und sehr reich war.

Der Bauer starb, und Herr Ane zog in seinen Hof, der näher zur Kirche lag, als sein eigner. Und sobald er in den Hof gekommen war, fing er an, nach dem Gelde des Bruders zu suchen, aber er konnte es nicht finden. Er grub in der Erde und riß die Kellermauer und die Küchenwand ein, um das Geld zu finden, aber es wollte sich ihm nicht zeigen.

Das Geld kam nicht zu Herrn Ane, obgleich er in langen Gebeten zu Gott darum flehte. Und Herr Ane wurde krank und verzweifelt vom Suchen und Nichtfinden.

In der ganzen Umgegend lachte man Herrn Ane aus, weil er seinen Kummer nicht verhehlte. ‚Hast du meines Bruders Geld gesehen?‘ konnte er den ärmsten Bettler fragen.

Da kam meine Mutter, die nichts mehr war als ein armes Bettelweib, das von Hof zu Hof zog, eines Abends in das Pfarrhaus und bat Herrn Ane, ihr Unterkunft für die Nacht zu gewähren.

‚Du sollst kein Obdach haben, wenn du mir nicht sagen kannst, wo mein Bruder sein Geld verwahrt hat,‘ sagte Herr Ane zu ihr.

‚Wenn ich das wüßte, Herr Ane,‘ sagte Mutter, ‚dann brauchte ich wohl nicht auf der Landstraße umherzuziehen und mein Brot zu erbetteln.‘

Und sie bat ihn um Gottes Barmherzigkeit willen, er möge ihr Obdach gewähren, denn es war nicht gut für sie, in ihrem hohen Alter draußen unter freiem Himmel zu liegen.

Aber Herr Ane erwiderte, bei dem, was er gesagt hätte, müsse es sein Bewenden haben, und sie könne kein Obdach bekommen, wenn sie ihm das Geld nicht verschaffe.

‚Aber wenn mir das gelingt, kann ich dann Obdach im Pfarrhof haben bis zu meiner Todesstunde?‘ sagte Mutter. – ‚Das sollst du,‘ sagte Herr Ane.

Da bat Mutter, der sehr bange wurde vor dem, was sie auf sich genommen hatte, Herr Ane möge ihr große Linnenlaken geben, und in die hüllte sie sich, als wäre sie eine Leiche. Dann ging sie auf den Kirchhof und nahm Graberde und streute sie über sich, und dann ließ sie sich von Herrn Ane die Kirchentür öffnen, und er folgte ihr in die Kirche und half ihr auf einen Dachbalken.

Und da lag nun Mutter auf dem Balken unter dem Dache. Aber sie erduldete alles mit fröhlichem Mute, in der Hoffnung, sich dadurch ein geschütztes Alter zu erringen.

Nun, es mochte gegen Mitternacht sein. Da wurde es hell in der Kirche, und ein paar Steine im Boden hoben sich, und einer der Toten kam herauf in die Kirche. Es war ein großer, derber Mann, er ging mehrere Male um die Kirche herum, da erblickte er meine Mutter. ‚Bist du tot?‘ sagte er zu ihr. Und sie wagte nicht zu antworten. Da hatte es den Anschein, als wolle er zu ihr hinaufklettern. Und Mutter sagte mit heiserer Stimme: ‚Ja, ich bin tot.‘ Und da ließ er sie sein.

Aber dieser Tote war des Pfarrers Bruder, und er ging nun wieder zu seinem Grabe. Er holte daraus eine Tonne hervor, die voll Silber und Gold war, und Mutter sagte, sie hätte gesehen, wie er die Gold- und Silbermünzen nahm und mit ihnen spielte; er warf sie über sich, als sitze er im Bade und bespritze sich mit Wasser.

Aber als er sich satt gespielt hatte, schüttete er das Geld ins Grab hinunter und stieg in seinen Sarg, und die Steine legten sich von selbst wieder auf ihren Platz zurecht.

Mutter blieb bis zum Morgen auf ihrem Balken hängen, und dann kam der Pfarrer, Herr Ane, und fragte, ob sie noch am Leben sei. Jawohl, Mutter war frisch und gesund. ‚Dann komm und iß einen Bissen,‘ sagte der Pfarrer. ‚Nein, zuerst will ich mir ein Obdach verdienen für meine alten Tage,‘ sagte Mutter.

Sie bat den Pfarrer, er solle Leute schicken, und dann ließ sie den Boden über seines Bruders Grab aufbrechen und den Sarg herausheben. Und als sie dies taten, war nichts Wunderliches zu merken; aber als Mutter sagte: ‚Seht nun nach, was noch in dem Grabe liegt,‘ da begann der Tote sich in seinem Sarge hin und her zu wälzen. Aber Mutter bedeutete die Burschen nur, sich mit der Arbeit zu sputen.

Mutter hielt ihre Hand auf dem Sargdeckel, denn sie hörte, wie der Tote drinnen arbeitete. Und sie holten aus dem Grabe eine große Tonne voll Gold- und Silbergeld. Und Mutter war froh, als sie den Toten wieder unten im Grabe hatten und der Kirchenboden über ihm geschlossen war.

‚Gib mir zu essen,‘ sagte meine Mutter dann zum Pfarrer, ‚ich habe jetzt ein tüchtiges Stück Arbeit für dich getan.‘

Und der Pfarrer gab ihr zu essen und behielt sie sieben Tage bei sich, dann hieß er sie wieder gehen.

Als Mutter so von neuem auf die Straße geworfen war, verfluchte sie ihn und sagte: ‚Das Geld, das ich dir verschafft habe, soll dein Unglück werden.‘

Und Mutter erzählte, der Pfarrer hätte ihr gesagt, er fürchte sich vor nichts, was ein Bettelweib ihm anhaben könne.

‚Die Rache bleibt nicht aus,‘ sagte Mutter. Das war Mutters Sprichwort, daß die Rache nicht ausbleibe.

Aber ihre Rache an dem Pfarrer blieb aus,“ fuhr Tora fort, „und nun heißt er ihre Tochter eine Hexe. Er hätte die große Kiste neben seinem Bett nicht so vollgepfropft mit Geld, wenn meine Mutter nicht gewesen wäre,“ fuhr Tora fort und richtete sich auf. „Er könnte nicht dasitzen und Geld über sich werfen und wälzen, wie er es zu tun pflegt, er gerade so wie der Tote, wenn meine Mutter ihm nicht geholfen hätte.“

Als Tora dies sagte, hörte man ein leises Scharren. Es war nicht ganz nahe, aber auch nicht weit weg. Niemand wußte, was es sein könnte. Es war, als versuche jemand, ein Loch in die Hauswand zu feilen.

„Wer schleift Messer in meinem Hause?“ rief Tora plötzlich.

Nun wurde es ganz still. Als aber das Gespräch wieder in Fluß gekommen war, begann es aufs neue zu knirschen und zu scharren.

Tora nahm einen Kienspan, ging zum Bette hin und sah hinein. Da lagen die drei Wanderer ausgestreckt und schliefen, wie sie den ganzen Abend geschlafen hatten.

Nun war es wieder eine Weile still, dann begann das Unwesen abermals. Jeder hörte deutlich, wie Messer gegen Stein und Leder gerieben und geschliffen wurden. „Gott helfe uns, das ist ein Omen,“ sagte Tora. „Möge uns nichts Böses widerfahren, weil wir Übles vom Pfarrer gesprochen haben!“

Aber am nächsten Morgen lag der Pfarrer, Herr Ane, ermordet in seinem Bett, und sein großer Geldschrein war verschwunden. Und es wurde allsogleich bekannt, daß die drei wandernden Gesellen, die bei Arild dem Köhler gelegen und ihre Müdigkeit ausgeschlafen hatten, die Urheber des Mordes waren.

Sie hatten Tora vom Gelde des Pfarrers erzählen hören, während sie dalagen und taten, als schliefen sie. Und sie hatten sofort den Mord geplant und sich daran gemacht, ihre Messer zu schleifen.

Und seit diesem Tage gehen die Worte des alten Bettelweibes wie ein Wahrspruch durch die Umgegend. „Die Rache bleibt nicht aus,“ sagt man. „Gott kann mit einer Sage fällen. Gott kann mit einem Traume schlagen. Die Rache bleibt nicht aus.“

Die Geisterhand

Gerade als es ein Uhr schlug, kam jemand und klingelte an der Glocke des Doktors. Das erste Läuten hatte keinen Erfolg, aber als das zweite und dritte Läuten verrieten, daß es unerschütterlicher Ernst war, kam Doktors Karin durch die Küchentür, um zu sehen, was es gebe. Und als Karin eine Weile unterhandelt hatte, mußte sie sich darein finden, den Doktor zu wecken. Sie klopfte an die Schlafzimmertür.

„Es ist jemand da von der Braut des Herrn Doktor. Der Herr Doktor muß hin.“

„Ist sie krank?“ ertönte es von drinnen.

„Sie wissen nicht, was ihr fehlt. Sie glauben, daß sie etwas ‚gesehen‘ hat.“

„Ja, ich lasse grüßen und komme.“

Der Doktor fragte nicht weiter. Er liebte es nicht, das Mägdegeschwätz über seine Braut zu hören.

Eine wunderliche Sache ist's mit diesem Aberglauben, dachte er, während er sich ankleidete. Nun liegt doch das Haus mitten in der Stadt, nicht das geringste Romantische daran. Ein ganz gewöhnliches, häßliches, altes Haus, eingerichtet wie alle andern in dem Viertel. Aber der Geisterspuk nistet sich dort fest.

Wenn es noch in einem finstern Gäßchen läge oder ein wenig außerhalb der Stadt in irgendeinem verwilderten Garten, wo unheimliche alte Bäume die Fensterscheiben peitschten in solch einer stürmischen Winternacht! Aber es hat die Kirche und die Sparkasse und die Kaserne und die Zuckerfabrik ganz in der Nähe! Sollte man nicht glauben, daß die Zuckerfabrik mit allem ihrem Rasseln und Kochen und den großen glühenden Dampfkesseln es dem Gespenst unbehaglich machen müßte? Aber nein – durchaus nicht.

Auf seine Weise konnte das Gespenst Bewunderung verdienen. Es hatte Energie, unglaubliche Energie und die Fähigkeit, sich im Bewußtsein der Leute zu erhalten. Man gab wohl zu, daß es sich jetzt etwa zwanzig Jahre nicht hatte sehen lassen, seit die Fräulein Burmann in die Geisterzimmer gezogen waren. Aber hatte jemand es vergessen? Das zeigte sich ja jetzt: bloß weil Ellen ganz plötzlich krank geworden war, mußte es gleich heißen, sie hätte etwas gesehen.

Daß sie sich vor etwas erschreckt hätte, ja, das war wohl nicht unmöglich. Sie war wie prädestiniert, Gespenster zu sehen, weil sie ihr ganzes Leben mit den zwei nervösen, alten Tanten verbracht hatte. Und daß es ein Gespenst im Hause gab, hatte sie wohl immer gehört und geglaubt. Von Kindheit auf war ihre Phantasie durch das alles aufgereizt.

Als er das erstemal auf Krankenbesuch bei den Tanten gewesen war, hatte sie ihm gleichsam triumphierend gesagt: „Hier ist das Geisterzimmer,“ in einem Ton, als zeige sie eine Familienkostbarkeit.

„Sehen Sie, Herr Doktor, es geht nicht an, in diesem Zimmer Karten zu spielen.“

„Ach, warum nicht?“

„Ja, wenn einer der Spielenden den geringsten Fehler macht, den allerunbedeutendsten Kniff, da kommt eine Hand und legt sich neben ihm auf den Spieltisch.“

„Was für eine Hand?“

„Eine alte, häßliche Hand mit schweren Diamantringen auf den krummen Fingern und mit echten Spitzen ums Handgelenk.“

„Nun und dann?“

„Ja, man sieht nichts als die Hand.“

„Aber woher kommt das?“

„Das weiß niemand, sie hat sich immer hier gezeigt.“

Sie hatte das sehr keck erzählt; aber wer konnte wissen, wer konnte wissen? Sie glaubte wohl an den Spuk.

„So kommt sie, sehen Sie, Herr Doktor, kommt die Tischkante heraufgeschlichen, dicht neben dem, der spielt. Hu, und dann weist sie mit einem großen, gekrümmten Finger auf eine der Karten! Sie hat Nägel wie Klauen, gekrümmt und spitzig.“

Nein wirklich, daran glauben konnte sie doch wohl nicht. Sie hatte ja gerade das Gespensterzimmer zu ihrem Zimmer erwählt …

Der Doktor jagte an der großen Zuckerfabrik vorüber, wo die Arbeit die ganze Nacht fortging, und gelangte über die hohe Steintreppe in das Haus.

Gott erbarme sich, auch er war nahe daran, zu erschrecken. Im Stiegenhaus stand eine lange Gestalt, ganz in einen schwarzen Schal eingerollt. Tante Malin war selbst heruntergekommen, um ihm die Stiege hinaufzuleuchten.

„Wie geht es Ellen?“ fragte der Doktor.

„Wie gut von dir, daß du so rasch gekommen bist,“ sagte Tante Malin. „Ich weiß nicht, was sie hat. Du mußt kommen und selbst sehen.“

Sie sprang beinahe die Stiegen hinauf, so alt sie war. Der Doktor bekam erst jetzt den lebendigen Eindruck, daß wirklich Gefahr im Verzuge wäre.

Ärgerlich, wenn nun jetzt etwas dazwischen kommen sollte, mit dem kleinen Mädchen dort oben, das er sich zur Frau gewählt hatte! Er hatte in seinem ganzen Leben keine gesehen, die ihm besser gepaßt hätte. Recht schön, und keine andern Verwandten als die zwei alten Tanten, und natürlich streng erzogen, ans Heim gewöhnt, tüchtig im Häuslichen, friedfertig.

Als sie ins Vorzimmer kamen, wendete sich Tante Malin wieder an ihn.

„Wir erwachten mitten in der Nacht davon, daß sie so furchtbar schrie, und wir haben sie seitdem nicht beruhigen können. Wir wußten uns keinen andern Rat, als dich holen zu lassen.“

Sie öffnete die Tür zu Ellens Zimmer, steckte den Kopf hinein und sagte, daß er gekommen sei. Gleich darauf wurde er eingelassen.

Drinnen war es so hell, daß er im ersten Augenblick kaum etwas sehen konnte. Sie hatten wohl alles hereingebracht, was es in der Wohnung an Lampen und Leuchtern gab. In dieser Beleuchtung wurde es einem klar, daß dies einst, in den Glanzzeiten des Hauses, der Festsaal gewesen war.

Also hier hatten sie an den Spieltischen gesessen, und gerade da hatte die Gespensterhand sich gezeigt. Das mußte einen Schrecken und einen Aufstand gegeben haben! Man brauchte nur seine Braut anzuschauen, um zu wissen, wie sie ausgesehen haben mochten.

Sie saß mitten im Zimmer in einem großen Lehnstuhl, sie hielt sich ganz aufrecht, sah sich mit wunderlich wandernden Blicken um, war bleich, von einer richtigen Totenfarbe, ihre Zähne schlugen aufeinander, und sie bebte.

Der Lehnstuhl war mitten ins Zimmer gerückt. Es war einer mit freien Füßen. Kein Möbel stand in der Nähe, nichts konnte darunter verborgen liegen und plötzlich hervorkriechen.

Sie achtete nicht auf die, die hereinkamen. Sie hielt jetzt die Augen fest, ganz fest auf den Schatten des Schrankes geheftet, der sich gegen die Ecke des Kachelofens streckte. Sie hatte den Schatten wohl im Verdacht, daß er ihr irgendeinen häßlichen Streich spielen wolle. Sie zog die Röcke an sich, wie um bereit zu sein, zu fliehen, wenn der Schatten sich verdichtete und sich als etwas entpuppte, vielleicht als eine große Hand mit Fingern und Klauen. Der Doktor rückte also in aller Eile eine Lampe hinüber, so daß ihr Licht in die Ecke fiel. Sie sank wieder in den Stuhl.

Nun kam Tante Berta und stattete denselben Rapport ab wie Tante Malin.

„Wir erwachten davon, daß sie schrie, als wäre sie wahnsinnig geworden, und so ist sie dann die ganze Zeit gewesen. Sie will nur Licht haben, immer mehr Licht. Was, glaubst du, kann das sein?“

„Ein Schrecken, nichts als ein Schrecken,“ flüsterte der Doktor.

So, nun waren ihre Blicke bemüht, sich hinter eine Gardine einzubohren. Er ging einmal ums Zimmer. Es konnte ja möglich sein, daß er entdeckte, was sie erschreckt hatte. Auf dem Schreibtisch lag ein tintenbekleckstes Briefpapier. Sie hatte etwas zu schreiben begonnen, aber die Feder war ihr aus der Hand gefallen und übers Papier gerollt. Ein Billett, das er ihr spät abends geschickt hatte, um zu fragen, ob sie und die Tanten am nächsten Tag einen Ausflug mit ihm machen wollten, lag dicht daneben.

Es war offenbar, daß sie sich an den Schreibtisch gesetzt hatte, um ihm zu antworten. Sie hatte eben „Mein gel …“ geschrieben. Dann war sie erschrocken und hatte die Feder fallen lassen.

Der Doktor fühlte, wie die Blicke der Tanten ihm folgten. Sie wunderten sich wohl, daß er kein Wort zu Ellen sagte. Das erste, was er tun mußte, war, alle aus dem Zimmer zu bringen, sowohl Tante Malin als auch Tante Berta und das Hausmädchen, damit sie den Schrecken nicht in ihr wach erhielten.

„Ich glaube, sie wird mir schon alles erzählen, wenn ich allein mit ihr sprechen kann,“ sagte er und hatte rasch das Zimmer ausgeräumt.

Er zog einen Sessel heran und setzte sich neben sie.

Wunderbar, wie viele Gesichter ein Mensch haben kann! Er hätte Ellen kaum wiedererkannt. Ruhe, friedvolle Ruhe war das Hauptmerkmal ihres Aussehens. Er war davon bezaubert worden, daß er sie immer gleich ruhig fand: eine förmliche Meisterin in der Kunst, die Tanten zu behandeln. Sie sah kaum von der Stickerei auf, wie sehr sie auch zankten. Und dann hatte er einmal gleichsam eine Offenbarung gehabt. Einmal, als er heimkam, vermeinte er eines Abends eine zarte, geneigte Gestalt im Lampenscheine am Arbeitstisch sitzen zu sehen. Er hatte ein deutliches Bild des feinen Nackens und der kleinen Hände empfangen. Das ganze Zimmer war durch sie geschmückt. Darauf hatte er um sie angehalten.

Und jetzt! Nur bleiches Entsetzen und aufgescheuchte Wildheit. Gerade, was er nicht wollte. Eine hysterische Frau! Ah, Gott behüte, Gott behüte!

„Sag, Ellen, was hast du?“

Sie antwortete nicht.

„Mir mußt du es sagen, verstehst du?“ sagte er ein bißchen streng.

Sie heftete die Augen auf ihn, es war, als blitze ein Schimmer von Hoffnung in ihnen auf.

„Du wirst ruhig werden, wenn du es sagst.“

Es war schade um ihre schönen, hellen Augen. Sie hatten auf dem, mit dem sie gesprochen hatte, immer mit einem Schimmer geruht, so still wie der der Sonne. Sie waren vielleicht glänzender jetzt. Aber das war ein Glanz, nach dem er eigentlich gar nicht fragte.

Sie kämpfte heftig mit sich selbst. Sie konnte den Unterkiefer nicht still halten. Sie stopfte ein Taschentuch zwischen die Zähne, damit man nicht hörte, wie sie aufeinanderschlugen.

Endlich hörte er sie ein paar Worte sagen. Sie saß da und schlug mit der einen Hand auf die andre und dachte laut. „Ich muß es ihm sagen. Ich muß, ich muß. Sie kommt sonst wieder. Ja, sie kommt wieder.“

Dann begann sie zu sprechen, und er wurde wunderlich herabgestimmt dabei. Es glich am ehesten der Stimmung, die über einen kommt, wenn man im Frack in einem feierlichen Aufzug geht, und es kommt ein Platzregen. Man fühlt, wie man seine ganze Größe und Würde einbüßt.

Sie gestand mit einem Male, daß sie ihn nicht lieb hätte. Sie hätte ihn gern heiraten wollen, aber bloß um von daheim wegzukommen.

Hätte es sich nicht um ihn selbst gehandelt, er hätte darüber lachen können, wie dieses Kind sich nach einem Mann gesehnt hatte. Nach dem ersten besten. Sie war so fest entschlossen, fortzukommen. Es war der Tanten wegen. Zwar waren die ja sehr gut gegen sie gewesen und wußten selbst nicht, wie sie sie quälten.

Sie sah ihn mit verzweifelten Augen an und bettelte gleichsam, er möchte sie doch verstehen und für sie fühlen. Er wußte ja, wie die Tanten waren, er hatte sie ja viele Jahre hindurch behandelt. Sie waren so eigen, so eigen, so voll fixer Ideen und Beängstigungen. Tante Malin erwartete immer eine Feuersbrunst, Tante Berta glaubte immer, daß sie auf der Straße überfahren werden würde. Er wußte, wie sie waren. Und, wenn sie, Ellen, weiter bei ihnen bliebe, würde sie ebenso wunderlich werden.

Aber sie wollte ein ordentlicher Mensch werden. Und sie hatte die Tanten gebeten, fortgehen und arbeiten zu dürfen. Das hatten die natürlich nicht erlauben wollen. Da könnte er doch begreifen, daß ihr nichts andres übrig geblieben wäre, als zu heiraten.

Der Doktor konnte es nicht lassen, sie zu fragen, ob sie bei einer Verheiratung mit jemand, aus dem sie sich nichts machte, nicht gefürchtet hätte, ein noch ärgeres Leben führen zu müssen, als hier bei den Tanten.

Ach nein, ärger könnte es wohl nie sein. Ein Mann wäre wenigstens manchmal fort. Die Tanten wären den ganzen Tag zu Hause.

Nun, da sie schon so offenherzig wäre – ob es ihr nie in den Sinn gekommen wäre, ihn lieb zu haben? Sie schüttelte den Kopf; das war etwas, was ganz außerhalb des Denkbaren lag. Und warum? Ob er zu häßlich wäre? Nein; sie schlug beteuernd die Augen auf. Ob er langweilig wäre? Sie machte eine abwehrende Handbewegung. Was für ein Fehler also an ihm wäre? Er sei zu kalt. Ja so, er war zu kalt.

Der Doktor machte ein paar Schritte durchs Zimmer. Das war doch unglaublich, daß ein solches Kind da herumgegangen war und etwas Derartiges zusammengebraut hatte. Hatte sich von ihm küssen lassen, ohne eine Spur von Neigung für ihn zu empfinden. Und sie hatte ihre Rolle gar nicht schlecht gespielt. Er war der Betrogne gewesen. Und daß er so unsympathisch sein sollte, daß ein junges Mädchen gar nicht daran denken könnte, ihm gut zu sein …!

Aber natürlich hatte sie bei den beiden Alten ein elendes Leben geführt. Er konnte schon begreifen, daß ihr viel daran gelegen hatte, sich zu verheiraten. Das war ihr wohl wie eine Erlösung fürs ganze Leben gewesen. Sie legte ihr Bekenntnis ab, ohne irgendein Erbarmen zu zeigen. Es fiel ihr gar nicht ein, daß sie ihn verletzte. Sie mußte wohl glauben, daß er gepanzert sei, ganz eisenhart.

Ihre Stimme erhob sich plötzlich zu einem Schrei. „Du weißt ja,“ sagte sie, „daß alle, die falsch spielen, in diesem Zimmer hier die Hand sehen. Ich habe sie gesehen. Ich saß dort, dort.“ Und sie wendete sich heftig zum Schreibtisch. „Dort hab' ich sie gesehen.“

„Glaubst du nicht, daß ich sie gesehen habe?“ fuhr sie fort und bohrte ihre Augen in ihn, als wolle sie die Wahrheit hervorzwingen.

„Laß mich hören, wie es war,“ sagte er beruhigend.

„Ja, du weißt doch, daß du mir am Abend geschrieben hattest, und ich wollte die Antwort schreiben, bevor ich mich niederlegte. Aber als ich mich an den Schreibtisch setzte, wurde ich unruhig und saß lange da und dachte, denn ich wußte nicht, wie ich die Überschrift schreiben sollte. Ich mußte ja ‚geliebter‘ schreiben, aber das kam mir nicht recht vor. Es war das erstemal, daß ich an dich schrieb. Ich fand, daß es schrecklich war, etwas zu schreiben, was nicht wahr war – aber schließlich schien es mir, daß ich nicht weniger schreiben könnte.“

„Ist ein so großer Unterschied zwischen dem, was man schreibt, und dem, was man sagt?“

„Du hattest mich nicht gefragt, ob ich dich liebte, nur ob ich deine Frau werden wollte –“

„Ah so!“

„Aber da, in demselben Augenblick, in demselben Augenblick, als ich begonnen hatte, das Wort zu schreiben, war die Hand da. Sie kam über die Tischkante heraufgeglitten, und ich glaube, ich saß da und starrte sie ein paar Sekunden an, bevor ich begriff, was es war. Ich schrie nicht gleich. Ich konnte gleichsam nicht verstehen, daß es etwas Übernatürliches war. Aber da legte sie sich über das Papier und zeigte mit den gekrümmten Fingern auf das Wort da.

Ich glaube, sie war froh, sie zitterte förmlich vor Freude. Es war, als wolle sie die Buchstaben an sich scharren – es war falsches Spiel. Da wollte sie mit dabei sein.

Sie kam gekrochen, auf den gelben Fingern, wie eine große Spinne. Gerade als hätte sie Eile. Es war so lange her, seit sie Anlaß gehabt hatte, hervorzukommen. Nun mußte sie sich sputen. Sie griff förmlich nach der Feder mit den feuchten, knochigen Fingern. Es war ja falsches Spiel. Da wollte sie mit dabei sein.

Ich schrie auf, als wäre es eine Schlange, und da verschwand sie, aber ich weiß nicht, ob sie nicht noch hier ist. Ich glaube, ich fühle, daß sie sich noch im Zimmer befindet. Und wenn sie wiederkommt, sterbe ich. Ich war nahe daran, zu sterben.“

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
320 стр. 1 иллюстрация
Переводчик:
Правообладатель:
Public Domain

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