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Die ersten Wochen des Verliebtseins: was er sich als Kind unter Magie vorgestellt hatte, wonach er sich sehnte, wenn er davon träumte, auf einem Drachen zu reiten. Alles war so anders. Allein, wie Kate den Kopf hob und ihn ansah. Er durchquerte die ranzige Kneipe, ihrem Lächeln entgegen, und ihre Hand in seiner Hand ließ seinen Körper vor Freude glühen. Er spürte es in seinen Füßen. An der Wand hinter ihr erschien das uralte Tour-de-France-Plakat in seinem Rahmen wie gesegnet, es war lebendig und bedeutsam. Sexuell aufgeladen. Nichts könnte je wieder so gut sein, und er fühlte den erschütternden Schwindel dieser Gewissheit, dieses Greifens nach dem Moment, der den Griff nicht erwiderte.

Die Furcht, wenn er gelegentlich zu ihr herübersah und nichts fühlte. Die Erleichterung, wenn sie lächelte und wieder überwältigend schön war.

Oder aber sie könnte ihn einfach verlassen.

Ben hatte einen Job bei einem Fachmagazin für Energiewirtschaft, einen Job, den er vor anderen als vorübergehend und peinlich herunterspielte, heimlich aber sehr mochte. Er schrieb Pressemitteilungen um. Er focht Querelen mit dem Herausgeber aus und trank zehn Becher Kaffee. Er nahm an Konferenzen in Pittsburgh teil, bei denen ein Meer von Anzügen ein Holiday-Inn-Hotel flutete und zu einer gewissen Stunde der eine Anzug den anderen aufforderte, einen Stripclub in den Gelben Seiten herauszusuchen. Es war gewöhnlich, es war seelenlos; ein bequemes Nichts, als würde man ins Büro gehen, um den ganzen Tag Karten zu spielen.

Was jetzt von Bedeutung war: es war ein Job, bei dem man um fünf nach Hause gehen konnte.

Kate hatte nie etwas vor. Er holte sie bei Sabine ab, und dann spazierten sie durch New York, schufen sich eine persönliche Geografie der Bahnstationen, in denen sie sich geküsst, der Bars, in denen sie bahnbrechende Gespräche geführt hatten, die ganzen letzten Sommertage hindurch, in die sich eine feine Kühle schlich, dann eine ernsthafte, bis sie zu ersten sonnigen Herbsttagen wurden. Überall waren sie ein verliebtes Paar. Sie waren ein eigenes Gestirn, unverwundbar; lachten selbst auf einem brechend vollen U-Bahnsteig noch fröhlich, in dem Gestank und der tropischen Hitze, während die Linie F einfach nicht kommen wollte und die anderen Fahrgäste ein verbissenes Elend durchlitten, das Ben sich nun nicht einmal mehr vorstellen konnte. Wie hatten diese Kleinigkeiten ihm je auf die Stimmung schlagen können?

Und es ging zurück zu Sabine – immer wieder dorthin. Bens Wohnung war zu trostlos, im Schlafzimmer war Linoleumfußboden. Kate hatte auch ein Zuhause – eine WG in Brooklyn –, aber irgendwessen Bruder schlief gerade in ihrem Zimmer, und überhaupt mochte Kate keine Zimmer; sie fühlte sich darin wie eine Puppe, die man in einer Schublade verstaut hatte. Also saßen sie auf Sabines Dachterrasse, wo Kate sich gluckenhaft um das vom Aussterben bedrohte Gras kümmerte, es streichelte und sich sorgte, dass es die Anden vermissen oder ihm der hiesige Regen missfallen könnte. Wenn der hiesige Regen tatsächlich fiel, gingen sie hinein, in die Bibliothek des Onkels, wo Kate für gewöhnlich auf einem Schaffell schlief; auf ihm war ein Halbkreis von rosa Flecken zu sehen, wo ihr Lippenstift auf die Wolle abgefärbt hatte. Als Ben dazukam, holte sie einen Futon, und sie hatten stundenlang Sex unter den Büchern, die in deckenhohen Regalen die Wände füllten, Bücher, die im Dunkel jenseits der Leselampe mit großem Ernst ihre tausend Geschichten zu denken schienen, während Ben und Kate überhaupt nicht dachten, sondern nur stöhnten und fühlten und sich in diesem Zwielicht wie Tiere vorkamen.

Jenseits der Tür zur Bibliothek lag die Politik. Sabine gehörte zu jenem Schlag reicher Leute, der linke Bewegungen finanziert: Sie gab ihr Geld für die Unterstützung von Hausbesetzern, Gefängnisreformen, offene Grenzen und schlichtweg den Vormarsch des Kommunismus aus. Ihre Wohnung war eine Sammelstelle für linke Aktivisten und Lokalpolitiker, Journalisten, deren Storys sie diktierte, und betuchte Freunde, die ihr Schecks ausstellten, für Hausbesetzer, ehemalige Häftlinge und Geflüchtete, die als abgewetzte Gesandtschaften in ihrer Wohnung Einzug hielten und Kritik an allem übten, was sie tat. Oft blieben sie über Nacht, und es gab immer ein paar Albaner, die alles mit ihren Zigaretten vollqualmten, am Frühstückstisch herumbrüllten und ihre Gabeln in die Luft stießen, um ihre Argumente zu untermalen. Dann war da noch die einer hohen Fluktuation unterworfene Gruppe der Katalogbräute, dazu eine bunt gemischte Horde mittelloser Herumtreiber, sowie Martin, der neuseeländische Gartengestalter, dessen Anwesenheit Sabine als Bedingung für ihr eigenes Mietverhältnis hatte in Kauf nehmen müssen.

Jedes Wochenende gab es eine Party, die von den immer gleichen Leuten mit jeweils anderen Outfits besucht wurde. Einmal war es eine intime Runde, wo alle auf dem Boden saßen und von den Depressionen erzählten, die sie einmal gehabt hatten; ein anderes Mal wurde es eine wilde Fete, auf der die Katalogbräute in Bikinioberteilen tanzten und eine Korrespondentin von La Prensa ihren Fuß durch eine der afrikanischen Trommeln stieß. Eines Samstags fand eine ungeplante Party statt, weil immer mehr Leute mit Weinflaschen in der Hand auftauchten, die darauf hofften, dass eine Party stattfände, von der sie nicht gehört hatten. Bei einer Party anlässlich der Präsidentschaftsdebatte gestand ein betrunkener Abgeordneter Sabine, dass er seine Frau für sie verlassen wollte, und als Sabine ihn abwies, schloss er sich im Badezimmer ein und rasierte seinen Kopf.

Kate kannte sie alle. Und sie alle kannten Kate. Die Hälfte der Männer begehrte sie; Frauen zerrten sie in eines der Schlafzimmer, um ihr Geheimnisse anzuvertrauen. Ben gehörte zu ihr, also gehörte er automatisch zur vordersten Riege, wurde zu Küchenversammlungen und zum Kokainkonsum eingeladen, bekam Jobs im Bürgermeisteramt von Jersey City angeboten. Das stieg ihm zu Kopf. Er ergriff Partei. Es ging ihn etwas an. Er wurde ein gabelschwingender Frühstücksschreihals. Er legte Zwanzigdollarscheine in Spendenbüchsen und marschierte los, um in der Bronx an die Haustüren zu klopfen. Allein die Tatsache, dass er zu Sabines Freundeskreis gehörte, vermittelte ihm das Gefühl, ein Soldat im Kampf für die gute Sache zu sein; er war nicht länger einfach nur Ben, existierte nicht länger nur für sich selbst, sondern wurde zum unbezwingbaren Ben, der für die ganze Menschheit da war.

Immerhin war es das Jahr 2000 – das Jahr von Präsidentin Chen, das erste Jahr ganz ohne Krieg, in dem man die Zeitung wie ein Geschenk öffnete; das Jahr der Massenproteste, bei denen immer wieder dasselbe blinde Mädchen immer wieder dieselbe irische Melodie auf der Geige spielte; das Jahr, in dem Les Girafes die Botschaft in Deutschland besetzten und Anarchisten- und Totenkopfflaggen aus den zerschlagenen Fenstern flattern ließen; das beste Jahr überhaupt, das Jahr, in dem Ben zum ersten Mal verliebt war.

Und erstmals einen Blick auf Utopia erhaschte. In Bars und Taquerías, im berauschenden Dunkel des stark beanspruchten Betts, auf der Dachterrasse, über und zwischen der Sternenpracht von Upper Manhattan, glaubte er, was Kate glaubte, war (in seiner Vorstellung) stets leicht benebelt vom Wein, tanzte in einem dicht gedrängten Schwarm von Katalogbräuten und Parteisoldaten, während die Welt zu einem Nebenschauplatz aus Träumen, aus Büchern, aus Kate wurde.

Der erste Misston erklang bei dem Debendranath-Gespräch – jene Unterhaltung, die Ben mit allen neuen Leuten führen musste und in der er erklärte, dass sein Vorname Debendranath lautete und nicht Benjamin, wie die Leute stets annahmen. Es war auf einer der früheren Partys passiert, Ben und Kate hatten sich davongeschlichen, um allein zu sein. Sie versteckten sich in einem der Schlafzimmer und rauchten einen Joint, wie zwei Teenager (sagte Kate), die bald hochdramatisch von ihren strengen Eltern dabei erwischt würden, wie sie einen Joint rauchten.

Dann erzählte er ihr, dass er Debendranath hieß (»Siehst du, eigentlich doch eine Art Rumpelstilzchen«) und Kate erwiderte, dass ihr mehrsilbige Namen gefielen und dass der Name für eine Person, die Ungarisch sprach, gar nichts sei, und sie wiederholte: »Debendranath, Debendranath, Debendranath«, und Ben in seiner bekifften Verwirrung musste lachen.

Daraus entwickelte sich das klassische Elterngespräch, und Ben war erstaunt, als er erfuhr, dass Kate ihre Eltern als ihre besten Freunde betrachtete. Sie liebte sie einfach, null Probleme, und ging jeden Sonntag zum Mittagessen zu ihnen. Sie lasen gemeinsam Zeitung, aßen ungarisches Gebäck und beklagten sich über die zeitgenössische Kunst. Kates Mutter war Professorin für Ungarisch, ihr Vater war Künstler, sein Gebiet waren Arbeiten auf Papier – genau wie Kate. Und Bens Eltern?

An diesem Punkt musste Ben gestehen, dass er seine Eltern nicht mochte. Nun, sagte er, seine Mutter würde von allen gehasst. Es sei möglich, sie zu bemitleiden, da sie ihr halbes Leben in psychiatrischen Einrichtungen verbracht habe und von den Ärzten gehasst würde, doch sie zu mögen, sei nicht möglich. Sie sei hochgradig narzisstisch. Wenn man sie nicht bewunderte, würde man in ihren Augen zum Feind, sie beschimpfe einen und drohe mit Selbstmord. Nicht einmal ihre Schwestern in Kalkutta sprächen mit ihr, eine echte Großtat, wenn man bedenke, wie eine bengalische Familie funktioniere. Bens Vater sei ganz in Ordnung. Oder könnte ganz in Ordnung sein, wenn er nicht von Swati (Bens Mutter) vollständig unterdrückt würde. Ben konnte Kate kaum in die Augen sehen, während er das sagte; jeder wusste, dass Männer mit furchtbaren Müttern früher oder später zu Frauenhassern wurden.

Kate schien das offensichtlich nicht zu wissen und reagierte sehr merkwürdig, indem sie überlegte, ob man die Ehe von Bens Eltern nicht auflösen könnte.

»Dann würde meine Mutter sich umbringen«, sagte Ben und klang genervt. »Deshalb verlässt mein Vater sie nicht.«

»Hat er das gesagt?«

»So etwas würde er mir doch nicht sagen. Hör mal.«

»Aber was, wenn sie sich wirklich umbringen würde? Wäre das wirklich so viel schlimmer?«

»Wow.«

»Nein, ich meine, wenn sie sich vor Jahren umgebracht hätte, wärst du jetzt nicht glücklicher?«

»Du verstehst wirklich nicht, was es bedeutet, schlimme Eltern zu haben, oder?«

Kate runzelte die Stirn. Ihr Gesichtsausdruck intensivierte sich, er konnte nicht mit Sicherheit sagen, auf welche Weise. Einen schrecklichen Moment lang dachte er, Kate könnte ebenfalls Narzisstin sein, und eine Übelkeit befiel ihn, die er von seiner Höhenangst kannte. Dann aber wurde der Blick ihrer schwarzen Augen ganz weich. Es sah aus, als würde sie gleich zu weinen beginnen, doch stattdessen errötete sie und kreuzte die Arme gegen die Brust.

»Tut mir leid«, sagte sie. »Ich bin ein Idiot. Manchmal sage ich wirklich furchtbare Dinge.«

An dem Gespräch war eigentlich nichts wirklich verkehrt. Sie waren beide ziemlich fertig gewesen und Kate hatte sich entschuldigt. Tatsächlich löste sich Bens Beunruhigung in Nichts auf, sobald er darüber nachdachte. Wenn er aber nicht darüber nachdachte, machte ihm die Sache zu schaffen und er musste doch wieder darüber nachdenken. Schließlich taufte er sie »die Anomalie« und versuchte, sie aus seinem Kopf zu verbannen.

Der nächste seltsame Vorfall ereignete sich auf jener Party, auf der Ben zum ersten Mal auf Oksana traf, die ukrainische Katalogbraut.

Er hatte viel von Oksana gehört, teils, weil sie diejenige war, die die Hilfsorganisation für Katalogbräute leitete, teils, weil sie die Angewohnheit hatte, sich auf Partys auszuziehen. Deshalb erkundigten sich auf Sabines Party stets alle Männer und Lesben in hoffnungsvollem Ton: »Kommt die Nackte?«, und auch einige Hetero-Frauen und schwule Männer fragten lüstern: »Ist die Nackte auch da?« Dann unterhielten sich alle darüber, wie sehr die Anwesenheit einer nackten Frau die Atmosphäre veränderte, bis jemand die Organisation für Katalogbräute erwähnte und jemand anderes erwiderte: »Das vergesse ich immer. Für mich ist sie immer nur die Nackte.«

Weil sie nackt war, erkannte Ben sie sofort. Er beobachtete sie, als sie den Raum betrat, und war schockiert darüber, dass sie nicht wie ein Pin-up aussah, wie er sie sich immer vorgestellt hatte, obwohl ihm mehrfach gesagt worden war, dass sie einen ganz normalen Körper habe. Und den hatte sie tatsächlich. Sie hatte eine flache Brust, einen dicken Hintern – entenartig –, und ihre Haut war von anämischem Weiß. Auf den ersten Blick schien sie überhaupt keine Nippel zu haben. Ihr Haar war so bleich – weißblond – und so wirr, dass er davon ausging, dass es ein feministisches Statement war.

Oksana durchquerte den Raum; keiner starrte, doch alle machten ihr Platz. Sie ging zu einem Bücherregal und betrachtete die Buchrücken. Ein Mann tauchte neben ihr auf und begann zu reden, sie aber schlug ein Buch auf und blätterte darin, bis er aufgab und wegging. Ben hätte gedacht, dass Partys sie nicht interessierten, doch der Streifen über ihrem breiten weißen Hintern war mit violettem Glitzer bestäubt.

Bald darauf stellte Sabine sie einander vor. Oksana hatte in der Zwischenzeit einen der hauseigenen Kaschmirbademäntel übergestreift, vermutlich, weil es Oktober war und ziemlich kühl. Bei ihr stand ein Mann, seine Haltung war besitzergreifend; er schien auf eine zornige Weise verliebt zu sein. Er war einer von Sabines vermögenden Cousins, fleischig, blond und mit der Bräune eines Sommers auf einer Jacht.

Zunächst sprach Sabine über ihre Organisation für offene Grenzen und die entscheidende Phase, in die diese bald eintreten werde, weshalb sie weitere Mittel aufbringen müsse. Niemand hörte ihr zu, und doch war abzusehen, dass der Jachtmann einen Scheck ausstellen würde. Oksana rauchte eine Zigarette, und Bens Aufmerksamkeit richtete sich auf die Tatsache, dass ihre Lippen aufgesprungen und ihre Zähne ein wenig gelb waren.

Als Sabine mit dem Reden fertig war, fragte Ben Oksana (weil er sich die Frage schon immer gestellt hatte und sich nicht solange einschüchtern lassen wollte, bis er nicht mehr fragte): »Warum trägst du keine Klamotten?«

Sie sagte: »Meine Klamotten sind schlecht. Nicht gut genug für so eine Party.«

Der Jachtmann lachte, als hätte sie Ben auf wahnsinnig komische Weise an seinen Platz verwiesen, während Oksana unbeteiligt auf ihre Zigarette sah. Ihre Stimme hatte unheimlich süßlich und hoch geklungen, eine kleine Reminiszenz an die singende Säge.

»Hier brauchst du keine guten Klamotten«, sagte Sabine. »Guck dich mal um. Meine Sachen sind auch nicht so toll.«

Oksana zuckte mit den Achseln. »Also, du solltest vielleicht besser nackt sein.«

»Nein«, sagte Sabine. »Ich habe es dir schon mehrfach gesagt. Es ist wirklich ziemlich widerlich, wenn du auf den Möbeln sitzt.«

»Whoa!« Der Jachtmann stieß imaginäre Krallen in die Luft. »Mi-au!«

»Nix miau«, sagte Sabine. »Das ist physische Realität. Fotzen und Arschlöcher in direktem Kontakt mit Polstermöbeln.«

»Bitte, es hat nicht immer mit meinem Körper zu tun«, sagte Oksana. »Ich habe wirklich genug davon.«

Ben sagte, mit der Absicht, das Thema zu wechseln: »Also, was machst du so, Oksana?«

Sie sagte: »Ich bin Filmemacherin.«

»Sie ist eine großartige Filmemacherin«, sagte der Jachtmann kämpferisch, »und Leiterin einer großartigen Organisation. Sie hat unzählige Frauen aus unmöglichen Situationen gerettet, Situationen des Missbrauchs.« Dann hielt er Ben einen zehnminütigen Vortrag über die Katalogbräute, die Oksana gerettet und die Dokumentarfilme, die sie produziert hatte, als wollte er beweisen (dachte Ben), dass er sie nicht nur liebte, weil sie nackt war.

Irgendetwas an dieser Darbietung hatte Ben aufgewühlt und ihn sentimental werden lassen. Er löste sich aus der Gruppe und machte sich auf die Suche nach Kate.

Er fand sie in der Küche mit einigen anderen Leuten, die irgendwo ein Waffeleisen ausgegraben hatten und nun versuchten, sich an ein Rezept für Waffelteig zu erinnern. Sie wühlten in den Schränken herum und nannten mögliche Zutaten. Eine Weile erduldete Ben den Trubel und ihre Begeisterung, dabei hatte er das Gefühl, dass ihm die Zeit davonlief. Zwischenzeitlich kam ihm die Idee, die ihm sofort als die einzig Richtige erschien.

Endlich zog er Kate aus der Küche in eines der Schlafzimmer – es war das Zimmer des Gartengestalters; überall auf dem Boden lagen Kleidungsstücke verstreut, sodass sie einen Teppich aus teuren Hosen betraten. Ben stand auf einer Khakihose und hielt Kate im Arm, ein vertrauter und doch rätselhafter Nervenkitzel. Ihr Rücken unter seinen Händen war prall und kräftig. Er konnte nicht sagen, warum es sich so großartig anfühlte.

Kate bestätigte ihm, dass Oksana Filmemacherin war. Sie habe bereits in der Ukraine mit dem Filmemachen begonnen. Deshalb sei sie überhaupt Katalogbraut geworden; in der Ukraine sei es viel zu schwierig, Filmprojekte umzusetzen. »Ich dachte, du wüsstest das«, sagte Kate. »In der Ukraine war sie richtig arm, aber sie hat schon immer diese Filme gemacht. Ich dachte, du wüsstest das.«

»Ich wusste nichts. Und Sabine war schrecklich zu ihr.«

»Sie mag Oksana nicht. Wahrscheinlich war das der Grund.«

»Oksana scheint ganz okay zu sein. Vielleicht ein bisschen wie jemand, der auf Heroin ist.«

»Sie ist nicht auf Heroin. Sie arbeitet tausend Stunden am Tag. Ich glaube, Sabine hasst sie, weil sie sich so aufspielt. Einmal hat sie sich selbst den Zeh gebrochen, um zu sehen, wie es sich anfühlt.«

Sie blickten beide hinab auf ihre Zehen, sahen dann den jeweils anderen das Gleiche tun und lächelten. Ben sagte zögerlich: »Da war dieser eine reiche Typ, der so offensichtlich in sie verliebt ist.«

»Könnte Paul gewesen sein.«

»Keine Ahnung. Jedenfalls musste ich daran denken, dass ich so sehr in dich verliebt bin.«

»Oh!« Die Berührung von Kates Händen an seinem Rücken wurde sanfter. »Und ich bin in dich verliebt.«

Dankbar schwiegen sie eine Weile. Ihre schwarzen Augen waren mit einer Freude aufgeladen, so wild und fremdartig, als würden sie diese Freude auf dem Neptun erleben. Seine Freude wuchs mit der ihren. So ging es eine Weile hin und her, dann sagte er: »Als du Waffeln gemacht hast … dachte ich, wir könnten vielleicht zusammenziehen. Nicht in meine Wohnung. Wir könnten etwas Neues suchen. Ich will sowieso aus meiner Wohnung raus.«

Dann zog Kate sich plötzlich zurück. Ihre Hände hielten ihn nicht mehr so fest; als hätte sich ihre Umarmung verflüchtigt. Sie dachte nach. (Und da war sie, die Anomalie. Etwas – hätte er schwören können –, was sie ihm nicht sagen wollte. Es hatte ein Gesicht, einen Geschmack. Es war nichts Gutes.)

Schließlich sagte sie: »Ich kann keine Miete zahlen.«

»Nein, ist das dein Ernst?« Er lachte erleichtert. »Ich weiß, dass du keinen Job hast. Ich weiß das doch alles. War das, was dich beschäftigt hat?«

Sie zuckte mit den Achseln (das war es nicht gewesen), strahlte aber wieder Wärme aus. War wieder, wie Kate immer war.

»Schon okay«, sagte Ben. »Ich kümmere mich um die Miete. Kein Problem.«

»Ich könnte mir einen Job suchen. Es ist ja nicht so, dass ich keinen kriegen würde. Aber es könnte ein bisschen dauern.«

»Oder wir wohnen irgendwo, wo es billig ist. Queens, zum Beispiel.«

»Queens«, sagte sie. »Ja, ich mag Queens. Lass uns eine Wohnung suchen.«

Sie fanden Zazie (die Hündin) und gingen mit ihr spazieren; dabei stellten sie sich vor, sie würden sich jetzt gleich eine Wohnung suchen und gingen schweigend den ganzen Weg bis zur Sixty-First Street hinunter, einfach nur glücklich. An der Sixty-First hielten sie vor einem Juweliergeschäft, das bereits im Oktober für Weihnachten dekoriert war, und Ben betrachtete das Lametta und die Lichter und die Diamantringe, und ein gewaltiges Gefühl der Euphorie überkam ihn, denn zum ersten Mal in seinem Leben glaubte er an Verlobungsringe – wenn er Kate einen Diamantring kaufen musste, um seine Liebe zu beweisen, würde er verdammt noch mal einen Diamantring kaufen, auch wenn es definitiv Geldverschwendung war und dazu ein Relikt aus Zeiten der Mitgift. Er würde ihn kaufen, nur um Geld für Kate aus dem Fenster zu werfen. Er würde einen weißen Elefanten kaufen, nur um So groß! zu sagen. Vielleicht sollte er wirklich einen Elefanten kaufen. Kate würde den Elefanten dem Ring sicher vorziehen.

Kate wandte sich zu ihm und sagte: »Ich weiß, woran du jetzt denkst.«

»Wirklich?« Er lachte. »Kann gar nicht sein.«

»Doch. Aber sie haben die Weihnachtsdeko nicht gerade erst ausgepackt. Sie war das ganze Jahr über da.«

Ben lachte wieder und gab zu, dass er genau das gedacht habe. Dann spazierten sie noch ein Stückchen weiter und gingen in das erste tierfreundliche Hotel, das sie fanden. Ihr erstes richtiges Bett: und es war gar nicht so sehr der Sex als das Einschlafen, die halb benebelten Gedanken, ob er einen Fehler machte, die widerstreitenden Bedürfnisse, in Panik davonzulaufen und sich ganz fallen zu lassen.

Sie schlief als Erste ein, unbefangen wie ein Kind, wie man durch eine offene Tür tritt, und er lag da und atmete in ihr Haar, versuchte zu glauben, dass alles nach Plan laufen würde. Wenn das Liebe war, passierte es einer Menge Leuten. Es gab keinen Grund für Zweifel. Dennoch gab es diese Anomalie – wie etwas Schweres, das sie in seine Hand gelegt hatte, einen Stein, den er mit den Fingern umschlossen und in seine Tasche gesteckt hatte, ohne ihn anzusehen. Als hätte sie gesagt: »Sieh nicht hin, oder du wirst mich für immer verlieren.« Er hatte ihn in seine Tasche gesteckt. Wahrscheinlich war es nur ein Stein.

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