Читать книгу: «Das Vermächtnis aus der Vergangenheit», страница 4

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Was soll ich dazu sagen? Dass Julian sich Sorgen um meinen Gesundheitszustand macht ist schon etwas lachhaft. Vor zwei Monaten wollte er mich noch umbringen.

„Es geht schon wieder“, antworte ich nur und meine Stimme läuft nur langsam zu alter Stärke auf.

Dafür scheint Julians zu kippen. „Carolin, es tut mir alles so leid! Ich war wie von Sinnen … von dem Scheiß. Fast hätte ich dich schlimm verletzt. Bitte verzeih mir. Ich werde dir niemals mehr etwas zu leide tun“, stammelt er.

Ich schlucke. Fast hätte er mich schlimm verletzt? Er hat mich fast getötet.

Antworten kann ich ihm nicht und die Stille scheint eine Wand aus findlinggroßen Steinen hochzuziehen und ist unerträglich.

„Carolin?“, murmelt Julian verunsichert und beginnt einfach zu erzählen: „Ich hatte mich vor den Ferien für ein Chemie- und Biologiestudium eingeschrieben. Die haben mich jetzt auch angenommen, trotz, dass ich heute erst anfangen konnte. Das Wintersemester begann schon am ersten Oktober. Ich fahre mit Mamas Auto zur Universität. Vielleicht kann ich mir auf die Dauer auch eine Wohnung in Osnabrück suchen. Aber so lange bleibe ich erst mal zu Hause wohnen.“

Ich bin so froh, dass Erik mich im Arm hat. Er gibt mir so viel Kraft.

„Du kannst mein Zimmer auch haben. Ich komme nicht mehr zurück“, raune ich und aus irgendeinem Grund fühle ich mich, als wäre ich die ältere Schwester, die ihr Leben schon so viel weitreichender im Griff hat.

Wieder ist es still in der Leitung. Zu meinem Entsetzen höre ich ein Schniefen und schließe die Augen. „Julian, ich muss jetzt Schluss machen“, sage ich mit belegter Stimme.

„Kann ich dich wieder anrufen? Carolin bitte! Es tut mir alles schrecklich leid!“

„Kannst du!“, antworte ich nur. „Bis dann!“ Schnell lege ich auf und lasse das Handy ins Bett fallen, als wäre es aus heißem Eisen.

„Dein Bruder“, stellt Erik nüchtern fest und lässt den Griff, mit dem er mich umschlungen hält, etwas lockerer, um mich zu sich umzudrehen. Sein Blick ist unergründlich.

„Ja, er wollte sich wohl entschuldigen.“ Mir liegt auf der Zunge, Erik zu sagen, dass Julian wahrscheinlich bei ihm auf die Universität geht. Aber ich verkneife mir das. Ich will nicht, dass Erik und Daniel sich mit ihm anlegen.

Ich lasse mich ins Bett zurückfallen und ziehe Erik mit. Der legt seine Hände um mein Gesicht und küsst mich, als möchte er das Gespräch mit seiner Liebe aus meinem Kopf tilgen.

Ich schiebe ihn ungeduldig auf mich, von etwas Undefinierbarem getrieben und schlinge meine Beine um seine Hüfte.

Erneut fühle ich mich, als wäre ich schon so viel weiter in meinem Leben als Julian und erwidere Eriks Küsse mit einer mich überkommenden Leidenschaft, die Erik ergeben aufstöhnen lässt. Meine Beine fester um seine Hüfte schlingend, dränge ich ihn in mich und Erik ist mehr als bereit dazu.

Julian hat nichts, gar nichts. Ich habe alles!

Wir haben den Alchemisten besiegt! Und das schwächste Glied in der Kette ist scheinbar nun das Stärkste.

„Hey, deine Mama!“, höre ich Erik sagen und schlage die Augen auf. Ich muss wieder eingeschlafen sein und Erik grinst mich süffisant an und hält mir mein Handy hin, das immer noch klingelt.

„Ja, Mama!“, raune ich benommen, das Gespräch annehmend. Dabei frage ich mich, wie spät es wohl ist, dass sie mich noch anruft.

„Carolin! Ich wollte fragen, wie es dir geht. Papa konnte gestern nur mit diesem Erik sprechen.“

Diesem Erik …!

„Es ist alles in Ordnung. Ich war heute schon in der Arbeit.“ Ich sehe Erik an und verdrehe genervt die Augen.

Meine Mutter antwortet nicht und ich bin fast schon überzeugt, dass die Leitung unterbrochen wurde, als ich sie seufzen höre. „Weißt du, Julian ist wieder zu Hause. Er war heute auch schon los. Er beginnt ein Studium an der Universität in Osnabrück. Ich wusste gar nicht, dass er sich da einschreiben lassen hat.“ Sie klingt verunsichert und etwas traurig, weil sie wieder einmal nichts über ihr eigenes Kind weiß. „Aber er hat nach dir gefragt und ich möchte eigentlich, dass du wieder zu uns zurückkommst und wir wieder eine Familie sein können.“

Ich schaue das Handy an, als würden ihm Hörner wachsen. Dann besinne ich mich darauf, dass ich wohl antworten muss. „Ich weiß, dass Julian wieder zu Hause ist. Wir haben eben telefoniert. Er kann mein Zimmer haben. Ich komme nämlich auf keinen Fall zurück!“, brumme ich barsch.

„Aber Schatz! Du musst nicht bei diesem Erik wohnen. Julian könnte dich von hier aus immer mit nach Osnabrück nehmen und du hättest wegen dem Fahren gar keine Unannehmlichkeiten mehr.“

Ich sehe Erik an und schüttele ungläubig den Kopf. „Mama, ich wohne nicht bei ihm. Das ist meine Wohnung und er kommt zu mir und ich werde hier wohnen bleiben, bis meine Schule fertig ist. Und ob ich mit Julian überhaupt jemals wieder irgendwohin fahre, weiß ich noch nicht. Vielleicht ist dir das ja entfallen! Aber er saß nicht umsonst in Untersuchungshaft.“

Erik sieht mich ernst an. Er weiß, dass ich wütend bin, wenn meine Stimme so umschlägt und legt mir beruhigend die Hand auf den Arm.

„Dass du immer so aufbraust! Da muss man sich nicht wundern …“, weiter kommt meine Mutter nicht.

„Mama! Lasst mich einfach in Ruhe. Macht euren Familienscheiß allein und vergesst, dass es mich überhaupt gibt. Tschüss.“ Ich lege auf und mache das Handy ganz aus. Eine Träne rollt über meine Wange und ich putze sie wütend weg.

„Weine doch nicht“, raunt Erik betroffen und schiebt sich, seinen Arm um mich legend, dicht an mich heran. „Du brauchst die nicht.“

„Ich weiß! Aber ich hasse es, wenn meine Mutter immer so tut, als wäre ich die Schlimme in der Familie, die selber daran schuld ist, wenn da einer ausrastet und mir ein Messer in den Hals rammt.“ Die Tränen lassen sich nicht mehr aufhalten und ich bin einfach nur froh, dass ich diese Familie nicht mehr ertragen muss.

„Ich weiß, wie sich das anfühlt“, flüstert Erik traurig und ich lege haltsuchend meine Arme um ihn. Er zieht mich noch dichter an sich heran. „Aber wir brauchen die alle nicht“, raunt er leise in mein Ohr.

In dieser Nacht schlafe ich schlecht. Erst Julian und dann meine Mutter am Handy gehabt zu haben, wühlt mich dermaßen auf, dass ich die Gedanken daran gar nicht mehr aus dem Kopf bekomme. Selbst Eriks Liebe und Fürsorge konnte das nicht überdecken. Aber ich bin unendlich froh, ihn bei mir zu haben. Keiner kann mich so verstehen wie er. Vielleicht hat Ellen recht und wir mussten aufeinandertreffen, weil wir uns ergänzen und dasselbe fühlen. Vielleicht sind wir wirklich füreinander bestimmt. Seelenverwandte!

Auch am Morgen bin ich früh wach und beobachte durch das Schlafzimmerfenster die weißen Wolken am aufgehenden blauen Himmel. Es ist Samstag und wir können noch weiterschlafen. Gerade als ich wieder wegdämmere, rückt Erik dicht an mich heran. „Hey, mein kleiner Morgenstern. Du bist ja schon wach!“

Morgenstern?

Ich drehe mich zu ihm um und sehe ihn lächelnd an. „Ja, mein großer Wirbelsturm.“

Etwas Dümmeres fällt mir als Erwiderung nicht ein.

„So, Wirbelsturm? Ich komme gleich über dich wie ein Hurrikan.“ Erik lacht leise und ich grinse anrüchig. „Au ja! Mach das!“

Aber wir kommen nicht weit. Es klingelt an der Tür und wir sehen uns verdattert an.

Es klingelt erneut, in einer bestimmten Abfolge und Erik wird ruhiger.

„Das ist Daniel“, raunt er nur und steigt aus dem Bett. „Er möchte sich heute den Mustang ausleihen.“

Verwirrt sehe ich ihm zu, wie er in seine Boxershort steigt und das Schlafzimmer verlässt. Kurz darauf kommt er wieder und hält eine Tüte Brötchen in der Hand.

„Zeit zum Frühstücken!“

Beim Frühstücken erfahre ich dann auch, warum Daniel den Mustang mitgenommen hat. Erik spricht sowieso die ganze Zeit nur von Daniel und ich erfahre zum ersten Mal, dass der gar nicht aus Osnabrück kommt. Er ist eigentlich aus Dortmund und dort auch bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr aufgewachsen. Dann hat seine Mutter sich scheiden lassen und ist zu einem Kerl nach Osnabrück gezogen und weil Daniels Vater ein Säufer ist, ging Daniel lieber mit ihr mit.

Diesem neuen Typ seiner Mutter gehörte die Wohnung in diesem Haus. Aber schon zwei Jahre, nachdem sie hierhergezogen waren, starb der dann an Krebs und Daniels Mutter erbte diese Wohnung, da es keine Verwandten gab.

Ein weiteres Jahr später traf Daniels Mutter wieder einen anderen Typen und zog bei dem in sein Haus in Bad Lear ein. Weil Daniel sich mit dem aber gar nicht verstand, wollte die Mutter ihn nicht mitnehmen und überließ ihm die Wohnung. Seitdem lebt Daniel allein hier und der Einzige, der ihn unterstützte, war Eriks Onkel Clemens. Eriks Augen leuchten, wenn er von seinem Onkel spricht. Er hat das noch nicht oft getan. Aber wenn er ihn erwähnt, merke ich, dass er ihm wirklich eine tiefe Zuneigung entgegengebracht hatte und ich finde es besonders bedrückend, dass Erik zu allem Überfluss auch noch ihn verlieren musste. Vielleicht wäre vieles anders gelaufen, wenn dieser Clemens diesen Unfall nicht gehabt hätte.

„Daniels Mutter hat diesen Typ dann auch noch geheiratet und der bezahlt Daniel das Studium. Dafür darf er sich bei denen nie sehen lassen und die tun so, als gäbe es ihn gar nicht. Kranke Welt, oder?“, brummt Erik missmutig.

„Dass die Mutter das zulässt? Ich kann das alles nicht verstehen“, kann ich dazu nur sagen und trinke den Rest von meinem Tee aus. „Wirklich eine kranke Welt.“

„Und heute ist er mit Ellen und dem Mustang nach Dortmund aufgebrochen, um dort an einem Klassentreffen teilzunehmen. Und der Mustang ist dafür gedacht, richtig einen raushängen zu lassen.“

Ich lache darüber und finde es von Erik total lieb, dass er sein Schätzchen das Wochenende über an Daniel abgibt. Aber mir ist klar, dass Daniel ihm sogar mehr bedeutet als Ellen und nicht weniger als ich. Und ich bin immer wieder froh, dass er Daniel zum Freund hat und dass Ellen ihm endlich eine Schwester sein will und kann, wie er es die ganzen Jahre schon gebraucht hätte. Er hat es so verdient!

Nach dem Frühstücken gehen Erik und ich bummeln. Er möchte neue Turnschuhe kaufen und ein paar neue T-Shirts und ich habe auch noch einige Wünsche für meine Wohnung offen, die ich mir eventuell erfüllen will, wenn ich etwas Passendes finde. So vergeht der Tag wie im Flug und als wir am späten Nachmittag die Tüten und Tasche in der Wohnung abstellen, bin ich müde und erschöpft und Erik verdonnert mich zu einem Schongang auf das Sofa. Nicht mal die Tüten darf ich auspacken helfen. Das macht er alles allein und ich darf ihm nur zuschauen.

Zum Essen bestellt er Pizza und Rotwein und ich beginne meine Hausaufgaben nachzuholen, die ich noch in den Ferien erledigen wollte. Nun sind die schon fast um.

Wieder wird mir schnell klar, dass Erik ein Musterschüler ist, dem alles zufällt. Egal ob in Englisch, Mathe oder Physik, er weiß alles und kann alles. Nur Biologie liegt ihm nicht.

Abends schauen wir uns DVDs an, die er am Nachmittag gekauft hatte. Was ich haben wollte, kaufte er mir und er wirkte an diesem Nachmittag wirklich zufrieden und glücklich, solange ich nicht murrte, wenn er mir etwas kaufen wollte. Und so haben wir nun einen Packen DVDs, der endloses Filmeanschauen garantiert.

Aber ich schlafe bei dem ersten Film schon in Eriks Armen ein und er trägt mich irgendwann ins Bett. Ich lasse mich von ihm ausziehen, kuschele mich in seinen Arm und schlafe erschöpft weiter.

Ich bleibe das ganze Wochenende von meiner Familie verschont. Marcel meldet sich am Sonntagabend als Einziger bei uns. Erik lässt mich sogar, ohne zu murren, mit ihm telefonieren - allerdings bei angeschaltetem Lautsprecher.

Marcel berichtet mir, dass Julian sich gestern bei ihm gemeldet hat und sogar heute Nachmittag bei ihm vor der Tür stand.

„Der tat so, als wäre nichts passiert und komischerweise interessierte er sich dafür, wie wir beide letztendlich zusammengekommen sind. Eure Eltern hatten ihm das wohl schon bei ihren Besuchen erzählt. Er wollte wissen, was alles in den letzten zwei Monaten passiert ist und er tat so, als wären wir die besten Freunde. Er war mir fast schon ein wenig unheimlich“, erzählt Marcel.

Erik hört aufmerksam mit, was mich nervös macht.

„Das glaube ich dir“, raune ich bei Marcels Ausführungen nur. „Bei mir machte er auch so einen seltsamen Spruch, als wüsste er gar nicht, was wirklich passiert ist. Und meine Mutter hat mich angerufen und mich aufgefordert mit ihnen heile Familie zu spielen. Ich habe dankend abgelehnt. Aber Julian musste ich versprechen, dass er mich mal anrufen darf.“

„Anrufen! Mehr aber auch nicht. Zumindest nicht, bis ich ihn auf Herz und Nieren abgecheckt habe“, brummt Marcel und erklärt mir, dass er sich weiterhin mit ihm treffen wird, um zu erfahren, was er vorhat und ob ich wirklich jetzt vor ihm sicher bin. Marcel ist so lieb und ich würde ihn am liebsten umarmen. Aber es ist Erik, der mir das Handy aus der Hand nimmt und Marcel dafür dankt, dass er so unerschütterlich zu mir hält und dass er Julian für uns im Auge behalten will.

Mir kommen fast die Tränen, als Erik zu Marcel sagt: „Ey Alter! Wenn du mir hilfst, sie zu beschützen und aufpasst, dass Julian nicht wieder etwas Krummes dreht, dann hast du was bei mir gut!“

Mir wird in diesem Moment klar, dass Erik solche Angst hat, mich nicht beschützen zu können, dass er selbst den Teufel mit ins Boot holen würde. „Ihr darf nichts passieren!“, zischt er mit einer Eindringlichkeit, dass ich seine Angst um mich fast körperlich spüre.

„Verlass dich darauf, dass ich tun werde, was ich kann“, höre ich Marcel antworten und Erik bedankt sich nochmals bei ihm und gibt mir das Handy zurück.

Ich kann kaum sprechen und flüstere ergriffen, weil die beiden sich so für mich ins Zeug legen: „Danke Marcel. Danke für alles.“

Es dauert einen Augenblick, bis Marcel mir antwortet: „Hast du mal Der kleine Prinz gelesen? Meine Schwester ist mir eine Zeit lang damit ziemlich auf die Nerven gegangen. Aber einen Spruch daraus habe ich niemals vergessen: Man ist zeitlebens für das Verantwortlich, was man sich vertraut gemacht hat. Ich denke, ich sollte mich für immer für dich verantwortlich fühlen, weil du mir der vertrauteste Mensch bist, den es gibt.“

Ich sehe bedrückt Erik an. Ihn müssen Marcels Worte genauso treffen wie mich. Ich kann nichts antworten und eine Träne läuft mir über die Wange, bevor ich es verhindern kann. Mein Herz schmerzt und ich bin einen Moment wirklich betroffen. Aber ich sehe an Eriks Augen, dass es ihn genauso trifft, dass Marcel mir das sagt und er erwidert verunsichert meinen Blick.

Ich weiß, ich muss das Gespräch schnell beenden. „Danke Marcel. Danke, dass du uns hilfst. Wir bleiben in Verbindung, okay? Bis bald und einen schönen Abend!“

„Das wünsche ich euch auch“, antwortet Marcel etwas enttäuscht, dass ich nach seinen Worten nur noch schnell das Gespräch beenden will. „Bis bald!“

Ich lege das Handy schnell weg und stürze mich regelrecht in Eriks Arme.

Er sieht mich etwas irritiert an und ich murmele an seiner Brust: „Und ich bin jetzt zeitlebens für dich verantwortlich.“

Er hält mich fest umschlungen und antwortet leise: „Ja, bitte.“

Erik kann mich mit seiner Art, die so viele Facetten hat, immer wieder fassungslos machen. Aber wenn er mir zeigt und zugibt, wie sehr er mich braucht, dann übertrifft das alles … und keiner braucht mich so sehr wie er.

Am Montagmorgen gehen Ellen und ich zusammen zum Bus. Ellen erzählt mir von ihrem Wochenende und ich spüre ihre tiefe Zuneigung zu Daniel bei jedem Satz, den sie von sich gibt.

„Es ist richtig schön, wie sehr ihr beiden euch aufeinander eingeschworen habt“, sage ich und hake mich bei ihr unter.

Sie wird ernst. „Ja, ich hätte auch nicht gedacht, dass er es für mich sein wird. Aber er ist so lieb und besonnen. Genau das Gegenteil von mir. Manchmal verstehe ich nicht, was er an mir findet.“

„Das weiß ich bei Erik und mir auch nicht“, sage ich und kann sie nur zu gut verstehen.

Der Blick, den sie mir zuwirft, macht mich stutzig. Leise sagt sie: „Erik kann froh sein, dass er dich hat. Und er ist es auch. Ein wenig zu sehr sogar!“

„Wie meinst du das?“, frage ich sie irritiert und lasse sie los.

Sie scheint unschlüssig zu sein, ob sie mir dazu etwas sagen soll. Doch meinem fragenden Blick nicht länger standhaltend, raunt sie: „Er ist von einem Extrem ins andere gefallen. Daniel sagt, er macht sich damit voll fertig. Er hat Angst um dich und Angst, dass du ihn nicht mehr ertragen kannst. Wenn er nicht bei dir ist und sieht, dass alles in Ordnung ist, dann dreht sich alles in seinem Kopf nur um dich. Und dass du dich in einen anderen verlieben könntest, ist für ihn mittlerweile sein schlimmster Albtraum. Echt extrem!“

Jedes Wort, das sie sagt, erwärmt mein Herz. Wenn es tatsächlich so ist, kann ich mich zu den glücklichsten Menschen auf diesem Planeten zählen.

Ellen sieht meine leuchtenden Augen und schüttelt den Kopf. „Das klingt nur gut, solange ihr in trauter Zweisamkeit zusammen seid. Daniel und ich möchten lieber nicht erleben, wenn es irgendwann nicht mehr so ist.“

Wir müssen über die Straße laufen, um den Bus noch zu erreichen, der gerade auf die Bushaltestelle zurollt.

Ellens Worte können mich nicht beunruhigen, weil ich mit Erik immer zusammenbleiben werde. Wenn er mich lässt …

Nachmittags gehe ich zu Alessia und sie mustert mich sorgenvoll. „Geht es dir denn wirklich gut? Du siehst immer noch nicht besser aus als am Freitag“, sagt sie besorgt.

Ich winke ab und versichere ihr: „Nein, es ist wirklich alles in bester Ordnung. Ich fühle mich wirklich gut.“

„Wenn du meinst! Ich wollte gerne einkaufen und mit den Jungs ins Kino gehen. Meine Tochter muss heute arbeiten“, sagt sie und schenkt mir ein Lächeln.

„Ich schaffe das schon! Kein Problem“, beteuere ich und sie geht.

Aber ich spüre den ganzen Nachmittag, dass ich doch noch etwas an Elan und Kraft eingebüßt habe, obwohl ich mir ständig einrede, dass alles, was mich bisher bedrückt und verängstigt hat, weg ist. Julians Verhandlung ist vorbei. Er hat sein altes Leben wieder und das ist weit weg von mir und Tim, der mich abgeschrieben zu haben scheint. Von ihm hörte ich bisher nichts mehr. Erik und Marcel lieben sich zwar nicht gerade, sind aber auch keine Feinde mehr. Und Erik beginnt langsam einzusehen, dass nicht alles nur mit Drogen zu überstehen ist. Er ist stark und klug und nicht mehr allein. Er kann es auch ohne schaffen. Und ich kann mich endlich meinem Leben widmen und mich um mich selbst kümmern. Meine Schule geht vor und mein Job. Und über allem steht Erik … ganz oben auf meiner Prioritätenliste.

Als ich die letzten Gäste mit Cappuccino und Eiskaffee versorge, bekomme ich eine SMS von ihm, dass ich im Cafe auf ihn warten soll. Ich darf auf keinen Fall ohne ihn gehen.

Mir war schon klar, dass ich abgeholt werde, weil auch Ellen schon mittags völlig entsetzt darüber war, dass ich allein zum Cafe gehen wollte. Schon da dämmerte mir, dass ich keinen Schritt mehr allein vor die Tür machen werde, bevor nicht ganz klar ist, dass mir keinerlei Gefahr droht.

Erik ist noch nicht da, als ich die kleinen Blumenvasen auf den Tischen gieße. Das soll mein letzter Einsatz hier sein, bevor ich gehe.

Unschlüssige sehe ich auf die Uhr und beschließe, ihm noch ein paar Minuten zu geben, bevor ich ihn anrufe.

In dem Moment geht die Tür auf und ich sehe ihn ins Cafe treten. Sofort nehme ich meine Jacke und Schultasche und gehe zu ihm.

„Alles in Ordnung?“, fragt er und sieht sich um.

„Natürlich! Ich kann auch allein nach Hause gehen. Wirklich!“, sage ich und gebe ihm einen Kuss.

„Nein! Versprich mir, dass du immer mit einem von uns gehst. Bitte!“, brummt er, mich in seinen Arm ziehend. „Ich weiß, dass du das nicht für notwendig hältst. Aber ich muss wissen, dass dir nichts passieren kann. Versprich mir das!“ Seine eindringlichen Worte zeigen mir erneut, wie sehr er sich sorgt, wenn er nicht in meiner Nähe ist und mir fallen Ellens Ausführungen über den neuen Erik ein.

„Okay. Ich verspreche es dir“, kann ich daraufhin nur ergeben antworten.

Wir schließen ab und gehen. Die Sonne erstrahlt an diesem schönen Abend mit ihrer letzten Kraft. Ich habe Hunger und möchte etwas zum Essen mitnehmen, aber Erik teilt mir mit, dass Ellen uns zu Daniel eingeladen hat und wir da etwas essen werden.

„Kocht Ellen selber?“, frage ich und muss lachen.

„Sicher, dafür geht sie schließlich in eure Schule. Da wird sie das doch wohl lernen! Oder was macht ihr da den ganzen Tag?“

„Stimmt! Aber sie ist überall super … nur nicht in Kochen.“

„Wir werden es überleben.“ Erik lächelt und sein Gesichtsausdruck sagt mir, dass er alles ertragen wird, was Ellen ihm auftischt.

Als wir um die Hausecke biegen, steht neben dem Mustang und dem BMW ein Pickup. Sofort bleibt Erik stehen und zieht mich zurück.

Ich sehe ihn verwirrt an und sein Gesichtsausdruck ist erschreckend ernst.

„Scheiße, was wollen die denn?“, raunt er.

In dem Moment geht die Tür der Pickups auf und der Kerl springt heraus, dem ich schon mal im Treppenhaus begegnet war.

„Erik! Wir dachten, wir sehen mal nach dir. Irgendwie scheinst du dich in letzter Zeit rar zu machen. Was ist los?“ Er kommt auf uns zu und Erik schiebt mich hinter sich.

„Ah, ich sehe den Grund. Jaja! Ich habe schon gehört. Erik in Love! Oh Mann! Und auch, dass du sittsam werden willst. Schade! Wirklich schade! Wir hatten doch noch so einiges mit dir vor.“ Der Typ erreicht uns und baut sich vor Erik auf. Er ist noch ein kleines Stück größer als Erik. Ich sehe die tätowierten Arme und rieche den Schweißgeruch, den der Typ verströmt. Im Gesicht hat er überall Piercings, vor allem seine Lippe ist voll davon. Seine schwarzen Haare sind teilweise kurz geschoren und seine hellblauen Augen richten sich auf mich.

Ich versuche mich noch kleiner zu machen und ganz hinter Erik zu verschwinden.

„Ich bin raus aus der Sache. Seit Hamburg ist es besser, ich halte eine Zeitlang die Füße still. Und Daniel auch! Wir haben dort echt Lehrgeld bezogen“, murrt Erik in seinem mürrischen Gangstertonfall.

„Ach Quatsch! Du hättest dich nie von so etwas einschüchtern lassen, wenn dich nicht plötzlich etwas weichgemacht hätte.“ Das falsche Grinsen, das der Typ aufsetzt, ist widerlich und von einer Arroganz, die durch seine Aufmachung unwirklich erscheint. Ich halte ihn für einen schmierigen, übelriechenden, tätowierten Punkverschnitt, der nicht nur hirnlos, sondern auch noch aufgepumpt und hässlich ist.

„Das Püppchen sollte dir Geld einbringen und nicht dein Leben bestimmen! Du hast das Zeug dazu, dir einen ganzen Stall der Besten aufzubauen. Und stattdessen steigst du aus“, murrt der Typ missbilligend.

Seine Worte machen mich wütend. Es soll Erik mit seinem Scheiß in Ruhe lassen.

Der brummt: „Vergiss es! Ich bin raus! Auch wenn es dir nicht passt.“

„Das meinst du jetzt nur, weil du noch meinst verliebt zu sein. Das vergeht und ich und Sam können dir da ganz schnell drüber weg helfen. Kein Weib ist es wert, sich seine Karriere zu zerstören. Und die Kleine sowieso nicht! Oder ist an der etwas besonders?“

Eine Hand greift um Erik herum und packt mich am Oberarm. Er zieht mich aus Eriks Deckung und sieht mich von oben bis unten an. „Die kleine Hexe hätte ich damals schon gefügig machen sollen, dann wäre das alles nicht passiert“, raunt er und Erik schlägt seinen Arm weg. „Pack sie nicht an!“, faucht er und ich spüre die Angst, die sich langsam in meine Adern schleicht, als auch der andere Typ aus dem Pickup steigt, genauso fies grinsend und genauso widerlich stinkend und mit einem schwarzen Muskelshirt, einer Jeanshose und Springerstiefeln bekleidet, wie der andere Typ auch. Sein tätowierter, durchtrainierter Oberkörper wirkt erschreckend bedrohlich. Seine Haare sind auch kurz geschoren, bis auf einen geflochtenen Zopf im Nacken, der sich über die Schulter die Brust hinunter schlängelt. Er muss bestimmt dreißig Zentimeter lang sein.

„Hey, was ist los, Teddy?“, hören wir hinter den beiden jemanden rufen und ich atme erleichtert auf. Daniel, der gegen die beiden wie ein schmächtiger Junge wirkt, erscheint an unserer Seite und schiebt mich ein wenig in den Hintergrund. „Gibt es ein Problem?“

Dieser Teddy schaut mich durchdringend an und ich zucke unter dem Blick zusammen. „Ich weiß nicht? Erik will wohl unsere geschäftliche Zusammenarbeit beenden … und ich kann das nicht akzeptieren“, brummt Teddy, für den dieser Name echt lachhaft ist.

„Lass uns erst mal Luft holen. Hamburg hat uns wirklich zugesetzt. Wir brauchen etwas Zeit und werden uns dann bei euch melden“, höre ich Daniel sagen.

„Ihr seid doch jetzt nicht weich geworden?“, brummt der andere Typ, den ich für Sam halte, mit einer Stimme, die mir das Blut gefriert. Diesmal ist es seine Hand, die vorschnellt und mich am Handgelenk packt. „Aber wenn ihr meint! Ihr könnt ja gehen, wenn ihr wollt“, raunt er und hält mich fest, unmissverständlich damit andeutend, dass ich aber bei ihnen bleiben werde.

Erik rührt sich nicht und Daniel sagt auch nichts.

Teddy beginnt zu lachen und Sam grinst nur böse. „Pah, was ist los? Ist dir deine Freiheit nichts mehr wert, Erik? Du warst schon mal ein Mann! Jetzt bist du nur noch ein Waschlappen. Ist sie das wert?“

Ich kann nicht anders. „Heißt bei euch Mann sein, an Kinder Drogen zu verticken und Mädchen auf den Strich zu schicken? Nah, tolle Männer sind das. Für mich sind das die eigentlichen Waschlappen!“, fauche ich aufgebracht und versuche mich loszureißen.

Erik sieht mich erschrocken an und Daniel schließt kurz die Augen.

Die beiden Männer vor uns scheinen einen Moment sprachlos zu sein. Aber nur einen Augenblick und mir wird klar, ich hätte einfach die Klappe halten sollen.

„Du musst sie noch zähmen, sonst machen wir das“, brummt Sam und sieht Erik wütend an.

„Lass sie jetzt in Ruhe!“, knurrt der und seine braunen Augen verengen sich wütend und er macht einen Schritt auf Sam zu, der ihm am nächsten steht und reißt mein Handgelenk aus dessen Pranke.

„Sie hat uns beleidigt! Du weißt, was wir mit kleinen Raubkatzen machen.“

„Nicht mit ihr!“, höre ich Erik bedrohlich raunen und atme entsetzt ein. „Sie gehört zu mir!“

„Ach Erik, den Respekt, den wir vor dir haben müssten, um dir diesen Wunsch zu erfüllen, hast du verspielt. Damals war das in Ordnung. Aber jetzt? Nein. Den musst du dir erst wieder verdienen. Und manchmal stellen wir auch den Spaß vor den Nutzen.“ Teddy lacht und sieht mich wieder an.

Erik schiebt mich hinter sich und Daniel zischt: „Lasst es! Wir waren doch schon mal so etwas wie Freunde. Also lasst sie in Ruhe. Sie gehört zu Erik und wir vergreifen uns doch auch nicht an euren Mädchen.“

„Warum nicht? Wenn ihr zahlt!“, sagt Sam und lacht dumpf. Sein Blick läuft in Daniels und Eriks ernsten Gesichter. „Aber gut! Wir sind nicht gekommen, um zu streiten. Sei froh, dass Papps seine Hand über euch hält. Sonst hättet ihr nichts mehr zu lachen. Wir werden mit ihm sprechen und ihm erzählen, dass Erik seinen Part nicht mehr erfüllen will. Mal sehen, was er dazu sagt.“

Erik streicht sich nervös die Haare zurück und antwortet: „Das mache ich schon selbst. Sag ihm, ich werde deswegen in den nächsten Tagen noch bei ihm vorbeischauen.“

Das scheint die beiden zu irritieren. Sie sehen sich unschlüssig an. Teddy greift nach Sams Oberarm und dreht sich um. „Werden wir. Und pass auf deine Zaubermaus auf!“ Seine Worte klingen wie ein bedrohliches Donnerwetter und ich spüre wieder das Entsetzen durch meine Adern kriechen. Aber sie gehen zu ihrem Auto und Erik greift nach meiner Hand und zieht mich schnell zur Haustür. „Verdammte Scheiße!“, stammelt er dabei vor sich hin und ich atme auf, als die Tür hinter uns ins Schloss fällt und wir den Pickup vom Hof fahren hören.

Ellen wartet schon an der Wohnungstür auf uns und ihr Gesichtsausdruck schlägt von ernst in besorgt um, als sie unsere Gesichter sieht.

„Was wollten die Maas? Die kreuzen mir hier in letzter Zeit echt zu oft auf“, brummt sie und ich sehe sie groß an. Ich war denen bis jetzt erst einmal hier begegnet und da war Ellen noch nicht mal dagewesen. Oder zumindest glaube ich das.

Daniel antwortet ihr, als er die Tür hinter uns schließt: „Seit der Sache mit Hamburg hat Erik sich bei allem etwas zurückgehalten, was mit denen zu tun hat und sie sind deswegen sauer. Außerdem verlieren sie nicht gerne einen guten Kunden.“ Mehr sagt er Ellen nicht und sie nickt nur. Ich bin mir sicher, dass ihr die Information reicht, weil sie sowieso über alles Bescheid weiß. Mir reicht es definitiv nicht und ich nehme mir vor, Erik später darüber auszufragen.

Zu meinem Erstaunen fragt Ellen: „Und Carolin?“

Daniel schüttelt nur den Kopf.

Sie sieht Erik an, der immer noch wütend eine Zigarette raucht. „Zu allem Überfluss hat sie sich mit den beiden auch noch angelegt. Das ist Futter für die Fische!“

In meinem Kopf rotieren die Gedanken und einen Moment glaube ich verstanden zu haben: Die ist Futter für die Fische!

Ellen wendet sich an mich. „Ach Mensch! Auch das noch! Diese zwei Spinner sind echt nicht zu ertragen. Hätte ich Carolin damals bloß nicht mitgeschleppt!“ Sie scheint sich über etwas aus der Vergangenheit zu ärgern.

„Das sind voll die Hohlköpfe! Machen da einen auf dicken Macker, dabei sind das nur ein paar dumme Zuhälter, die Drogen verticken. Sowas gehört ins Gefängnis“, brumme ich.

Alle drei sehen mich an und Ellen lacht plötzlich kopfschüttelnd lauf. „Kannst du mir einen Gefallen tun, Carolin? Sag ihnen das nicht jedes Mal, wenn du auf sie triffst. Es entspricht zwar der Wahrheit, aber die verkraften so etwas gar nicht.“

Erik zieht mich am Arm vor seine Füße und sieht mich forsch an. „Und wenn die etwas nicht verkraften, dann sind das kleine, blonde Mädchen, die ihnen die Stirn bieten. Das hast du schon mal gemacht und deswegen haben die dich auf dem Kicker!“

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9783750224247
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