Читать книгу: «Das Vermächtnis aus der Vergangenheit», страница 7

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Auch ich muss wieder eingeschlafen sein, denn unsere Türglocke reißt mich aus einem Traum, in dem ich mit Erik durch die Stadt laufe und er mir händeringend etwas kaufen will, ich aber immer wieder mit dem Kopf schüttele, weil ich das nicht haben möchte. Er ist schon völlig verzweifelt, als ich aus dem Traum hochschrecke.

Wenn das doch unser einziges Problem wäre.

Erik rührt sich nicht. Er scheint noch tief und fest zu schlafen.

Schnell klettere ich unter der Decke hervor, greife mir ein T-Shirt und meine Jogginghose und streife alles auf dem Weg zur Tür über.

„Wer ist da?“, frage ich durch die Tür und höre Daniel sagen: „Ich bins, Daniel!“ Er scheint überrascht zu sein, dass ich an der Tür stehe.

Schnell schließe ich auf und lege sofort meinen Finger auf meine Lippen, weil er und Ellen, die an seiner Hand hängt und mich besorgt ansieht, nicht laut sein sollen. „Erik schläft“, sage ich als Erklärung.

Es ist unverkennbar, dass sich den beiden hier eine unerwartet verkehrte Welt präsentiert. Sie hatten wohl damit gerechnet, dass Erik an der Tür sein wird und sorgenvoll raunt: „Leise, die arme Carolin schläft noch.“

Ich gehe ihnen voran in die Küche und schließe vorher im Vorbeigehen leise die Schlafzimmertür, mich mit einem kurzen Blick vergewissernd, dass Erik noch immer schläft. Dann führe ich die beiden Sprachlosen in die Küche, schließe auch da die Tür, als gelte es einen Patienten ja die nötige Ruhe zu geben und lasse sie am Tisch platznehmen.

„Wie geht es dir?“, fragt Ellen und ich lächele sie an. „Gut! Ich habe nicht mal einen dicken Kopf.“

Ellens Blick schnellt zu Daniel und er fragt: „Was ist mit Erik?“

„Der hat letzte Nacht kaum geschlafen und soll das noch ein wenig nachholen.“

„Aha!“, kommt aus beiden Mündern gleichzeitig und ich frage: „Kaffee?“

Erst ist jeder bemüht, das schlimme Wort „Julian“ nicht zu benutzen. Aber ich ringe mich dann doch dazu durch, weil ich den beiden schon mal zum Proben Normalität bezüglich des Themas vorgaukeln will.

„Dass Julian da gestern aufgetaucht ist, hat mich schon etwas geschockt“, versuche ich meinen neuerlichen kleinen Zusammenbruch zu erklären. „Ich hätte euch vielleicht doch darauf hinweisen müssen, dass er bei euch auf die Uni geht. Aber ich habe nicht damit gerechnet, dass ihr euch begegnet, ob zufällig oder nicht.“

Daniel kann nur mit dem Kopf schütteln. „Wir haben seit zwei Wochen die vielen Neuen da. Ich hatte keine Sekunde damit gerechnet, dass der Kerl, der mich da angequatscht hat, dein Bruder ist. Dass er uns überhaupt so gezielt gefunden hat!“

„Julian ist nicht dumm und ich hatte meinem Vater erzählt, dass Erik Betriebswirtschaftslehre studiert. Wahrscheinlich brauchte Julian nur nach einem Erik suchen, der in den höheren Klassen dieses Fach belegt. Also viele wird es da nicht geben.“

„Der sieht dir wirklich gar nicht ähnlich“, sagt Ellen und sieht mich mit diesem verwegenen Blick an, der mich daran denken lässt, was ich ihr mal über Julian gesagt hatte. Und sie scheint auch daran denken zu müssen. „Und du hast recht“, sagt sie nur und zwinkert mir zu.

„Ja, leider“, kann ich nur antworten.

Daniel sieht uns fragend an und erhält von keinem eine Erklärung. Wir können ihm schließlich nicht sagen, dass ich Ellen schon vorgewarnt hatte, dass Julian so gut aussieht, dass Daniel bei seinem Anblick nervös werden wird.

„Michaela ist da auch gleich drauf angesprungen“, fügt Ellen noch hinzu.

Wir trinken unseren Kaffee und Ellen raunt: „Ich bin echt froh, dass du das so gut wegsteckst. Erik war völlig am Boden zerstört, weil er damit gerechnet hat, dass du dich diesmal nicht so schnell erholen wirst. Dr. Bremer hatte uns beim letzten Mal gesagt, dass so etwas so schlimm werden kann, dass es Wochen dauert, bis man da wieder rauskommt.“

Wochen? Ich kann mir nicht mal einen Tag leisten!

„Und was willst du jetzt tun?“, fragt sie unsicher.

Ich kann nur die Schultern hochziehen. „Vielleicht muss ich mich der Sache einfach stellen. Julian ist schrecklich dickköpfig und wird nicht eher Ruhe geben, bis ich ihm sage, dass ich ihm alles verzeihe und alles wieder gut ist. Das hat er von unserer Mutter. Er hat einfach vergessen, was er alles angestellt hat und steht jetzt da und kann nicht fassen, dass ich nicht einfach die Arme ausbreite, um ihn darin einzuschließen und alles vergesse, wie er das doch auch tut. Und meine Mutter hat bestimmt sowieso alles verdrängt, was passiert ist und bestätigt ihn noch darin, dass doch eigentlich nichts gewesen ist. So läuft das halt bei uns.“

Ellen und Daniel sehen mich nur aufgebracht an.

Als sie wieder gehen, schlüpfe ich ins Schlafzimmer zurück, wo Erik immer noch schläft. Ich husche unter seine Decke und schiebe mich dicht an seinen Rücken heran, meine Hand auf seine Brust legend.

Diese innerliche Unruhe kriecht wieder durch meinen Körper und will sich nicht so ohne weiteres bekämpfen lassen. Das Gespräch mit Ellen und Daniel hat mich doch wieder ziemlich aufgewühlt. Eriks Geruch hingegen und seine Wärme nimmt mich gefangen und lässt eine zweite, aber angenehme Unruhe wie Wellen durch meinen Unterleib ziehen. Meine Fingerspitzen fühlen sich gezwungen, über seine Haut zu streichen und über seine Haare, die sich weich vom Bauchnabel bis über sein Schambein ziehen. Der Rest meiner Hand möchte ihn auch fühlen und streicht bis zu seinen Narben hoch. Meine Nase möchte zwischen seinen Schulterblättern versinken und meine Wange seine weiche Haut auf seinem Rücken spüren. Ich erfühle jeden Zentimeter seiner Brust, seines Bauches und seiner Hüfte und lasse meine Hand seinen Oberschenkelmuskel hinunter wandern, der sich anfühlt, als wäre er aus Stahl. Jede Wölbung nehme ich mit, die seine Muskeln zeichnen und streiche wieder durch das kurze Haar unter dem Bauchnabel. Doch diesmal bin ich nicht allein dort. Etwas stupst mich an und verlangt nach Aufmerksamkeit und ich lasse meinen Zeigefinger langsam daran hinuntergleiten. Er fühlt sich genauso stark und muskulös an, wie der Rest des Körpers und ich spüre die Wellen in meinem Unterleib höherschlagen.

Mit einem Seufzer dreht Erik sich zu mir um.

„Hey!“, haucht er vorwurfsvoll. „Was machst du mit mir?“

Ich kann ihn nur unschuldig ansehen und schenke ihm ein Lächeln. Da er mir nun seinen ganzen Körper bietet, lege ich meine Lippen um seine Brustwarze, lasse meine Zunge mit ihr spielen und küsse mich dann bis zu seinem Bauchnabel hinunter, über seine Haare und seine Leiste. Gierig reckt sich mir sein Freund entgegen und ich lasse ihn nicht lange warten …

Es ist schon Nachmittag, als wir beide völlig befreit von allen schlechten Gedanken in die Kissen sinken. Ich bin fast schon entsetzt über die immer noch steigende Intensität und mit wie viel Liebe und Leidenschaft wir immer wieder übereinander herfallen können.

„Du machst mich fertig!“, stöhnt Erik und der schelmische Blick und sein zufriedenes Lächeln lässt mich erahnen, dass auch für ihn das das beste Mittel gegen schlechte Eindrücke von außen ist. Unser Allheilmittel.

Ich schmiege mich müde an ihn und spüre die bleierne Müdigkeit, die mich in den Schlaf reißen will. Aber auch Erik scheint diesmal der Müdigkeit nicht standhalten zu können und schließt seine Augen.

Am späten Abend werden wir wieder wach. Draußen tobt ein Gewitter und der prasselnde Regen an meiner Fensterscheibe weckte mich. In dem Moment, wo ich die Augen öffne, erhellt ein Blitz den Nachthimmel und ich schließe sie schnell wieder. Der Donner folgt auf dem Fuße.

„Ich habe Hunger!“, höre ich Erik neben mir aufstöhnen. „Wie ein Bär!“

Ich sehe ihn an. „Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen.“

„Du denn?“

Ich schüttele den Kopf und er sieht auf seine Armbanduhr. Mit einem Ruck erhebt er sich. „Komm, wir beide gehen etwas essen.“

Oje! So viel Elan kann ich kaum aufbringen, um mich aus dem Bett zu hieven.

Erik steht auf, zieht lachend die Decke weg und zieht mich am Arm aus dem Bett. „Komm jetzt! Oder soll ich verhungern?“

„Natürlich nicht!“, antworte ich resigniert und schleppe mich zum Kleiderschrank. Erik geht ins Wohnzimmer und kommt wenig später mit leuchtenden Augen wieder.

Ich stehe immer noch unschlüssig und unmotiviert vor dem Schlafzimmerschrank, als er mich von hinten greift und uns ins Bett katapultiert.

„Hey!“, murre ich vorwurfsvoll. Doch er dreht mich nur auf den Rücken, schiebt sich an mich heran und sieht mir in die Augen. „Ich möchte nicht, dass du dich anziehst.“

„Was? Aber ich kann doch nicht nackt gehen!“

„Doch!“ Er grinst frech. „Das Essen wird gebracht. Wir bleiben hier und stellen uns ein paar Kerzen auf und machen es uns urgemütlich … und essen so wie wir sind.“

Ich bin einfach nur froh, dass ich nicht mehr vor die Tür gehen muss. „Gute Idee.“

„Und dann …“, raunt er und streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.

„Und dann?“, frage ich und spüre schon wieder ein Kribbeln im Bauchnabel.

„Und dann machen wir Musik … Blueneck. Und wir schließen die Schalosien … und löschen alle Lichter.“

Das Kribbeln wird zu einer Horde von riesigen Waldameisen.

„Ja?“, hauche ich fragend und hoffe, dass er meint, was ich meine.

„Und dann möchte ich dich so fühlen wie an unserem ersten Abend.“

Ich schlucke und sehe ihm in die Augen. Ich möchte in diesem Braun versinken, das damals keine Chance hatte, das Schwarz der Pupille zurückzudrängen.

„Ja!“, kann ich nur mit belegter Stimme erwidern. Mein Herz schlägt mir jetzt schon bis zum Hals.

„Aber erst essen wir ganz romantisch. Komm! Ab in die Küche und Tisch decken. Wir brauchen Weingläser und Kerzen. Ich will das volle Programm! Und weißt du weshalb?“

Ich schüttele mit leuchtenden Augen den Kopf.

„Weil ich dich liebe und ich so froh bin, dass du wieder einmal eine Hürde genommen und erneut alles überstanden hast. Du bist so unglaublich stark und ich so unglaublich stolz auf dich.“

Seine Worte verwirren mich und machen mich verlegen.

Ich weiß nicht, ob ich alles wirklich so gut weggesteckt habe. Vielleicht ist es im Moment nur seine Nähe, die mich aufrecht hält?

Erik nimmt wenig später das Essen entgegen, sich schnell mit einem T-Shirt und eine Boxershort bedeckend, die aber gleich darauf wieder von mir höchstpersönlich entfernt werden. Er zieht mich in der Küche an sich, wo in jeder Ecke und auf jeder freien Fläche eine Kerze brennt und murmelt leise: „Sag mal, stören dich meine Narben eigentlich gar nicht?“

Das ist die ungeheuerlichste Frage aller Fragen und ich kann nicht fassen, dass so ein Gedanke diesen schönen Abend verdunkelt.

Ich streiche mit meinem Zeigefinger über die Wölbungen der bestimmt zwanzig Zentimeter langen Narben und sehe ihn an. „Ich habe deinen Körper, so wie er ist, von Anfang an geliebt. Ich glaube schon vom ersten Mal an, als du mir einen Blick auf deinen Oberkörper gestattet hast.“

Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Wie kann man so etwas lieben?“, zischt er mit betroffener Stimme.

„Wie kann man so etwas nicht lieben? Er ist wunderschön und deine Narben machen dich zu etwas Besonderem und zu dem, was du bist. Und ich liebe dich so wie du bist und möchte nichts an dir verändert wissen, außer …“ Ich stocke.

„Außer?“ Er sieht mich herausfordernd an und ich wünsche mir, ich hätte dieses Wort, das nach einer Antwort schreit, nicht ausgesprochen.

Seufzend raune ich: „Ich möchte, dass ich für dich wichtiger bin als deine Drogen, und dass du mich mehr brauchst als sie.“

Meine Worte scheinen ihn vollkommen zu verwirren. Er lässt mich los und beginnt das Essen, das herrlich duftet, auf die Teller zu verteilen.

„Komm!“, lockt er mich, als hätte ich das Thema nie angesprochen. „Und bring deinen Teller mit.“

Es gibt chinesischen Reis und Ente in süßsaurer Soße mit Morcheln und Bambussprossen.

Wir essen nicht, wir verschlingen das Essen, weil wir so hungrig sind und es so wahnsinnig gut schmeckt. Dazu gibt es Wein, der eher wie Meet schmeckt. Total lecker und süß wie die Sünde. Als ich schon glaube zu platzen, beginne ich Erik mit meinem Essen zu füttern, während er sich selbst auch noch Essen in den Mund schiebt. Wir schmieren hemmungslos herum und ich möchte nicht wissen, wie die Küche aussieht, wenn wir das Licht anmachen würden.

Als alles vertilgt ist und die Flasche Wein auch leer ist, weil Erik immer wieder versuchte, aus meinem Bauchnabel zu trinken, was ihm kaum gelang und weswegen ich klebe und die Küche bestimmt den gleichen Zustand innehat, schickt er mich zum Duschen ins Badezimmer, mir zwei Kerzen in die Hand drückend. „Wir haben keinen Strom, verstanden? Das ist alles an Licht, was du mitbekommst.“

Ich lache und suche mir im flackernden Licht passende Plätze, um sie aufzustellen und um zu duschen. Erik kommt wenig später nach und schiebt sich zu mir unter das heiße Wasser. Wir seifen uns gegenseitig ein und wenn ich ihn küssen möchte, schiebt er mich sanft von sich weg. „Warte!“, raunt er nur und ich ziehe einen Schmollmund. Auch beim Abtrocknen ist er seltsam zurückhaltend und als wir das Badezimmer verlassen, sehe ich nur zwei Kerzen, die noch in der Wohnung brennen. Eine auf dem Tisch im Wohnzimmer und eine bei meinem Laptop. Erik geht zu dem auf dem Computertisch stehenden Gerät und drückt ein paar Knöpfe.

Klavierklänge schweben durch den Raum. Dann erlischt die Kerze auf dem Computertisch und auch das Display wird dunkel. Ich sehe verwirrt zu den Fenstern und weiß plötzlich, was so anders ist als sonst. Es fällt kein Licht von der Stadt und der Straßenbeleuchtung in meine Wohnung.

Ich seufze auf und weiß, Erik will wirklich unseren ersten Abend heraufbeschwören.

Im Licht der letzten Kerze sehe ich ihn auf mich zukommen, wie ein Tiger im Jagdfieber. Mein Herz beginnt zu pochen und mein Atem geht schneller, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Seine Augen funkeln in dem Licht der Kerze, auf die er zusteuert.

„Erik?“, hauche ich, weil mich plötzlich etwas Unbehagen überkommt. In dem Moment bückt er sich und pustet auch das letzte Licht aus.

Ich halte unwillkürlich die Luft an und fühle mich in Eriks Wohnung versetzt. Ich spüre die Angst, die mich damals überkam und die Aufregung, die mich jede meiner Nervenenden fühlen ließ. Aber als ich plötzlich seine Hände auf meinen Armen spüre, die langsam über meine Haut streicheln, beruhige ich mich. Die Furcht und das anfängliche Entsetzen über die Dunkelheit, das Lied und die Erinnerung wandeln sich in Gefühl und Leidenschaft. Jede seiner Berührungen entlockt mir ein Seufzen und mir wird unter seinen Lippen schwindelig. Es ist nicht wie damals, als seine Berührungen so verboten und so unglaublich mitreißend waren. Jetzt erfüllt mich in seiner Gegenwart eine tiefe Liebe und Geborgenheit. Seine Hände auf meinem Körper und seine Lippen auf meiner Haut schenken mir ein wohliges Gefühl der Vertrautheit. Ich weiß, ich kann mich ganz fallen lassen.

„Komm!“, lockt er mich und nimmt meine Hand, um sie auf seine Brust zu legen.

Ich beginne ihn zu streicheln, zu fühlen, zu genießen … mit allen Sinnen, die die Dunkelheit bis ins Unermessliche steigert. Selbst unsere Küsse sind wie ein sanfter Gefühlsregen.

Ich will mehr, ich will meine Hände überall auf ihm haben und meine Lippen auch und ich möchte, dass er seine Hände überall auf mir hat und seine Lippen auch. Ich brenne lichterloh, als er mich langsam durch die Dunkelheit zieht. Das Bett drängt an meine Waden und ich lasse mich hineinfallen, ihn mit mir mitziehend. Langsam erobert er mit Küssen meinen Körper und ich fühle mich eins zu eins zu unserem ersten Mal versetzt. Es ist unglaublich und ich kann diesmal nicht so zurückhalten sein, wie bei meinem ersten verschreckten Mal mit ihm, als ich ihn so sehr wollte und mir mein Verrat an Marcel im Hinterkopf wütete und die Angst, dass dies eine Mal der Anfang vom Ende sein wird. Schließlich dachte ich, dass Erik mich danach erbarmungslos abservieren wird.

Aber diesmal weiß ich es besser. Er gehört mir, und das schon zum ich weiß nicht wievielten Male. Und er ist nicht so atemlos und schnell wie bei unserem ersten Mal, als er nicht wusste, ob ich nicht doch noch zwischendurch alles beende. Er ahnte schließlich nicht, wie sehr ich ihn damals schon wollte und wie sehr ich ihm schon hörig war. Ich ahnte es ja selbst nicht mal …

Heute weiß ich es und genieße unsere Zusammengehörigkeit in vollen Zügen.

Es ist Montagmorgen und eine neue Woche beginnt. Erik und ich stehen im Flur meiner Wohnung, in einer engen Umarmung wie zusammengeschweißt miteinander verbunden. Ich fühle mich noch müde und kaputt und frage mich, wie ich in Alfhausen morgens immer um fünf Uhr aufstehen konnte, um meine Hausaufgaben zu machen. Durch die Zeitumstellung in der Nacht von Samstag auf Sonntag fühlt mein Körper sich immer noch irgendwie verulkt oder er will einfach nicht aus diesen vier Wänden weichen.

„Ich lasse dich so ungern gehen. Am liebsten würde ich mit dir für immer hier in dieser Wohnung bleiben“, raunt Erik mit belegter Stimme und wirft einen liebevollen Blick durch unsere ganz eigene Welt und Zufluchtsstätte. Scheinbar geht es ihm wie mir.

„Das würde ich mit dir auch lieber. Aber wir müssen los und auch das Leben da draußen meistern“, sage ich und sehe an seinem Gesicht, dass ihm das wenig behagt. Er hat das ganze Wochenende ohne Drogen durchgestanden und mir am Morgen, als wir noch kurze Zeit ineinander verschlungen dalagen, gesagt, dass ich seine Droge bin, und er, wenn ich bei ihm bin, keine andere braucht.

Aber ich kann nicht immer bei ihm sein und jetzt sehe ich schon wieder die Unsicherheit in seinen schönen braunen Augen.

„Ich weiß!“, knurrt er in seiner alten, grimmigen Erikmanier, die ich mittlerweile genauso liebe wie alle seine anderen Eigenheiten, denn sie stellt sich gegen die Welt und nicht gegen mich.

„Hier ist unser Treffpunkt. Hier findest du mich. Und ich habe mein Handy an und wir telefonieren heute Mittag, wenn ich zur Arbeit laufe, okay?“

Erik nickt, aber sein Blick bleibt grimmig. „Und du passt auf dich auf! Jede Minute des Tages!“, raunt er und küsst mich, als es schon ungeduldig an der Tür klopft.

„Natürlich“, antworte ich ihm und greife zur Türklinke, um Ellen hereinzulassen.

„Guten Morgen!“, ruft sie gut gelaunt. Aber dann legt sich sofort ein genervter Ausdruck über ihr Gesicht. „Mein Gott! Ihr tut so, als müsstet ihr euch für Wochen trennen. Komm Erik, lass Carolin los. Es wird Zeit!“

Erik löst seine Umklammerung, und ich gebe ihm noch einen schnellen Kuss.

„Bis heute Abend, Schatz!“, säusele ich und streiche ihm über seine rasierte Wange.

„Ich hole dich ab“, brummt er und Ellen verdreht die Augen.

„Okay! Also bis dann!“

Da ich nicht sofort auf dem Absatz kehrtmache und die Wohnung verlasse, packt Ellen mich am Arm und zieht mich hinaus. „Was ist los? Können wir jetzt endlich?“, brummt sie im gleichen ungeduldigen und mürrischen Tonfall, wie ihr Bruder den auch oft draufhat, wenn wir nicht alleine sind.

Auf der Treppe kommen wir an Daniel vorbei, der gerade seine Wohnung abschließt, um zu Erik hochzugehen. Die beiden wollen noch einen Kaffee zusammen trinken, bevor sie losstarten.

„Hallo Daniel!“, begrüße ich ihn und er nickt mir zu, genauso in seiner Montagsmorgen-Muffel-Laune gefangen wie Erik. Wahrscheinlich ein Muss bei Männern.

Auf dem Weg zum Bus jammert Ellen, was das für ein unglaublich langweiliges Wochenende war … und der viele Regen … und dass wir nicht einmal etwas mit ihnen Unternehmen wollten.

„Naja! Wenigstens scheinst du dich gut erholt zu haben“, resümiert sie.

Ich kann sie nur mit leuchtenden Augen anschauen. Mein Wochenende war nicht langweilig. Und welcher Regen? Mein Wochenende war Disney Land, Europapark, Tivoli, Nature One, Love Parade und Tomorrowland in einem. Noch jetzt durchrieselt mich ein warmer Schauer, wenn ich an die letzten 45 Stunden denke. Aber als hätte es nur das schöne Wochenende abwarten wollen, zieht noch etwas anderes in meinem Bauch auf. Ich bekomme meine Tage und bin froh, dass ich daran gedacht habe vorzusorgen.

Wir kommen zur Bushaltestelle und steigen wenig später in den Bus ein, in dem Andrea, Sabine und Michaela uns schon erwarten. Ich sehe sofort, dass auch Michaela ein Leuchten in den Augen trägt, das meins gleich zum Erlöschen bringt. Ich kann nur hoffen, es ist nicht das, was ich denke. Aber weil sie mir so überaus gut gelaunt direkt ins Gesicht lacht, und all ihr Zorn auf mich verraucht zu sein scheint, bestätigt sich meine Befürchtung.

Ich drehe mich zu Ellen um, die mit mir an der Haltstange steht, weil es keinen Sitzplatz mehr gibt. Auch sie sieht Michaela mit gerunzelter Stirn an. „Was ist denn mit der los? Der scheint heute die Sonne aus dem Arsch.“

Ich flüstere nur: „Ich befürchte, das hängt mit Julian zusammen.“

Ellen sieht mich mit aufgeklapptem Mund an. Sie hatte scheinbar am Freitag nicht mitbekommen, wie Michaela und Julian getanzt hatten und auch nicht, wie wütend Michaela war, als sie dachte, ihr neuer Angebeteter interessiere sich für mich.

„Nicht im Ernst!“, brummt Ellen und sieht Michaela an, der im selben Moment das breite Grinsen vergeht. Diese Zeiss-Clarkson können mit einem Blick Wasser gefrieren lassen.

In der Schule habe ich die Gelegenheit, Sabine und Andrea an die Seite zu ziehen. Die wollen natürlich genau wissen, was am Freitag los war und ob das wirklich mein Bruder war … der, der im Knast saß, weil er mir in den Hals geschnitten hatte.

„Ja, das war Julian. Ich bin fast umgefallen, als der da auftauchte“, brumme ich, und möchte lieber nicht an den Abend zurückdenken.

„Wir waren auch echt platt! Und Michaela war voll viel mit dem zusammen. Auch als ihr nachher weg wart.“

Mir brennt etwas auf der Seele, was ich unbedingt loswerden muss. „Sagt mal, habt ihr irgendwem erzählt, wo ich wohne?“

Sie sehen mich verdutzt an. „Nö, nur dass wir bei dir waren“, antwortet Andrea.

„Ich habe Guido erzählt, wo die Wohnung in etwa liegt“, sagt Sabine und sieht mich verunsichert an.

„Guido ist nicht schlimm. Sag ihm einfach, er soll das keinem weitererzählen. Ich meinte eher von unseren Mädels und vor allem Michaela? Weiß sie etwas?“

Jetzt geht den beiden ein Licht auf und sie bestätigen mir beide, dass keiner etwas über mein neues Domizil weiß.

Ich atme auf und bitte sie eindringlich, es auch dabei zu belassen.

Wir gehen geschlossen in die Klasse. In der ersten Stunde haben wir Englisch in einem der Räume im obersten Stock der Schule. Michaela sitzt schon auf ihrem Platz und mir geht ihr ständiges Grinsen jetzt schon auf die Nerven. Tippt sie da gerade eine SMS in ihr Handy? Das habe ich bei ihr noch nie gesehen. Mir wird schlecht.

Ellen brummt leise, mit Blick auf die langen, blonden Haare vor uns: „Verräterin!“

Die Englischlehrerin kommt in die Klasse und ich setze mich zurück und versuche nicht mehr an Julian oder Michaela zu denken. Doch das gelingt mir nur, wenn ich an Erik und unser Wochenende denke, und das deckt sich kaum mit dem Englischunterricht. Aber ich weiß, dass zaubert mir auch so ein Grinsen ins Gesicht wie Michaela.

Nach der Schule treten Ellen und ich mit den anderen aus dem Schulgebäude in die helle Nachmittagssonne, die sich heute mal entschlossen hat, für uns zu scheinen. Ellen bleibt stehen und sieht an sich herunter. „Verdammt! Wo ist mein Schirm?“

Ich sehe sie verdutzt an. „Vielleicht noch in der Klasse?“

„Hm, den brauche ich! Ich habe nur den einen und morgen früh regnet es bestimmt wieder.“

„Dann hol ihn!“, sage ich kopfschüttelnd.

„Wo waren wir denn in der ersten Stunde? Was hatten wir da noch?“, brummt sie, weil sie überhaupt keine Lust hat, wieder umkehren zu müssen.

„Englisch! Ganz oben!“, grinse ich schadenfroh und sie verdreht die Augen, dreht auf dem Absatz um und geht in die Schule zurück.

Ich laufe die wenigen Stufen zum Schulhof hinunter und sehe Michaela im Eilschritt über den Hof zur Straße hasten. Mir stockt der Atem, als sie sich jemandem regelrecht an den Hals wirft. Arme legen sich um sie und über ihre Schulter trifft mich der Blick aus dunkelbraunen Augen.

Julian!

Er sieht mich nur an, ohne mit einer Wimper zu zucken, und hält seine Arme um Michaela geschlungen.

Mir wird übel. Ich drehe mich weg und spüre mein Herz fast panisch rasseln. Tief durchatmend sehe ich zur Schultür. Hoffentlich kommt Ellen bald. Ich starte mein Mantra: Es geht mir gut! ES GEHT MIR GUT!

Aber es ist Andrea, die sich vor mir aufbaut und mir ins Gesicht sieht. „Was ist? Du bist auf einmal ganz blass!“

„Julian“, hauche ich nur als Erklärung und sie sieht sich um.

„Und Michaela“, sagt sie. „Aber die beiden fahren weg. Du kannst aufatmen.“

Ich drehe mich vorsichtig um und sehe Mamas Polo wegfahren. In dem Moment kommt Ellen, ihren Schirm schwingend, auf mich zugesprungen. „Ich habe ihn! Wir können los.“

Auf dem Weg zum Cafe erreicht mich ein Anruf von Erik und ich sage ihm, dass alles in Ordnung ist und dass es mir gut geht. Ich erwähne natürlich auch, dass Ellen an meiner Seite ist und sie ruft zur Bestätigung ein: „Hallo! Nerv nicht rum!“, ins Handy.

Sie bringt mich direkt bis vor die Tür des Cafés. „Wer holt dich heute Abend ab?“, fragt sie, als wäre es das Natürlichste von der Welt, dass ich abgeholt werden muss.

„Erik“, antworte ich und öffne die Tür zum Café.

„Dann sehen wir uns bestimmt heute Abend noch.“

Ich nicke und lasse die Tür hinter mir wieder ins Schloss fallen. Die anheimelnde Atmosphäre von Alessias Cafe umfängt mich augenblicklich und beruhigt mich. Hier fühle ich mich einfach wohl.

Kurz vor Arbeitsende kommt Erik und setzt sich auf seinen Platz. Ich mache ihm einen Cappuccino mit einem Schaumherz, dass Alessia mir beigebracht hat.

Er zieht mich an sich und küsst mich schnell, sich umsehend, ob wir auch wirklich allein sind.

Ich beeile mich mit dem Umziehen und wir schließen die Tür ab und gehen. Mittlerweile ist es kein Problem mehr für mich, das allein hinzubekommen. Selbst das Geld einschließen und das Cafe ordnungsgemäß zu verlassen ist fast schon zur Normalität geworden.

Hand in Hand gehen Erik und ich zum türkischen Imbiss und essen dort einen Döner. Er fragt unterwegs bestimmt drei Mal, ob irgendetwas gewesen ist und ob es mir gut geht.

Ich habe beschlossen, ihm nichts von Julian an meiner Schule und Michaela in seinen Armen zu erzählen.

Als wir nach Hause kommen, gehen wir zu Daniel, wo Ellen vor dem Fernseher sitzt und irgendeine Soap anschaut.

Erik wirft sich neben sie auf das Sofa und zieht mich auf seinen Schoß.

Daniel reicht jedem ein Bier und setzt sich in den Sessel.

„Und, alles in der Schule glattgelaufen?“, fragt Erik Ellen und die sieht auf. Sofort setzt sie sich aufrecht hin und brummt: „Ey, voll der Hammer! Michaela hat die Seiten gewechselt. Die ist jetzt scheinbar mit Julian zusammen.“

Ich halte den Atem an und spüre Eriks Arme, die sich reflexartig fester um meinen Körper ziehen. „Scheiße!“

Kurz kommt mir in den Sinn, dass er vielleicht doch mehr für Michaela empfinden könnte und eifersüchtig ist.

„Diese blöde Schlampe!“, brummt er dann aber aufgebracht. „Die wird ihm alles stecken, was er wissen will. Sie weiß immerhin, wo Daniel wohnt! Zumindest wohntest du damals noch nicht hier“, sagt er nachdenklich und sieht mich an. „Hoffentlich kann Julian nicht eins und eins zusammenzählen.“

Ich atme auf. Michaela interessiert Erik scheinbar wirklich nicht mehr. „Leider ist er viel klüger als ich“, antworte ich ihm.

Wir trinken unser Bier und versuchen uns mit belanglosen Sachen von dem leidigen Thema abzubringen. Aber als Erik und ich einige Zeit später zu unserer Wohnung hochgehen, wirkt er verschlossen. Im Wohnzimmer zieht er mich an sich. „Das war echt ein blöder Fehler … an diesem Abend.“

„Was?“, frage ich verunsichert. Ich weiß überhaupt nicht, was er meint.

„Mich mit Michaela einzulassen. Das war so unnötig und blöd“, knurrt er wütend und ich sehe ihn an. Seine immer noch braunen Augen funkeln aufgebracht.

„Das lässt sich nicht mehr ändern“, flüstere ich und weiß, wie er sich fühlt. „Ich habe an dem Abend auch Scheiß gemacht, den ich besser gelassen hätte.“

Ich muss an Tim denken, der an diesem Abend dachte, der Fluch sei zurückgekehrt und ich wieder in Liebe zu ihm entbrannt. Ich dachte das sogar fast selbst! Und das hatte ihm so viel Hoffnung gegeben, dass er sich erneut eine Zukunft mit mir ausmalte.

Als er dann einsehen musste, dass ich mich in Erik verliebt habe, hat ihn das so getroffen, dass er sich auf diesen Deal einließ und für Julian aussagte. Aber was ist daraus geworden? Was ist mit Tim? Ich habe von ihm seitdem nichts mehr gesehen oder gehört.

„Ich frage besser nicht, von was du sprichst. Da Tim mit im Spiel war, kann es aber auf keinen Fall etwas Gutes gewesen sein“, brummt Erik.

Ich antworte ihm nicht. Aber ich schiebe mich weiter in seine Arme und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust.

„Wenn Julian mit Michaela zusammen ist, wird er bestimmt öfters an deiner Schule aufkreuzen“, sagt er nach einiger Zeit nachdenklich.

„Das ist egal. Solange er mich in Ruhe lässt“, antworte ich ihm und sehe wieder Julians Blick fest auf mich gerichtet.

Ist Michaela die neue Christiane? Sie hatte er auch nur bezirzt, um Informationen über mich herauszubekommen. Aber das war eine andere Zeit. Da stand er noch unter dem Bann des Alchemisten. Nun scheint er genauso frei davon zu sein wie ich. Vielleicht ist es ihm mit Michaela ernst. Bevor sie sich an Erik herangeschmissen hatte, mochte ich sie wirklich gerne. Und das beruhte auf Gegenseitigkeit, bis ich mit ihm zusammengekommen bin. Vielleicht sollte ich den beiden ihr Glück gönnen. Das muss nicht heißen, dass Julian böse Absichten gegen mich hegt. Vielleicht hat er sich einfach nur verliebt.

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