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Man kann sicher davon ausgehen, dass geschickte Steinschläger ebenso viel Ansehen in der Gruppe besaßen, wie besonders gute Jäger. Bei einer der letzten noch existierenden Steinzeitkulturen, den Asmat in Papua Neuguinea, stehen die Steinschnitzer, die sibopeipits in hohem Ansehen. Sie gelten als Künstler und Lieblinge der Götter. Die Qualität ihrer Werke wird nach Härte, Textur, Farbe, Schliff und Politur beurteilt. Besonders gelungene Stücke sind viele Generationen lang bis heute weitergegeben und bewahrt worden als gehüteter Clan-Besitz. Sie werden im Wald unter Bäumen vergraben und versteckt und nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt. Je älter sie sind, desto höher ihr Wert: Sie gelten als Verbindung zur Ahnenwelt.

Vor etwa acht bis 10 000 Jahren endete die letzte Eiszeit. Nun begann die Fortschritts-Spirale ernstlich. Die Erfindungen und Verbesserungen folgten rasch und logisch aufeinander. Da sich die hominide Bevölkerung in dem milderen Klima wieder ausbreiten konnte und nach neuen Ressourcen suchte, entstanden weite Handelsbeziehungen. Die besten Feuersteine kamen aus dem Gebiet des heutigen Norddeutschland und Mittelfrankreich und wurden bis weit in die Mittelmeergebiete gehandelt. Woher weiß man das? 1898 berichtete Rudolf Virchow – der nicht nur Pathologe war, sondern auch allgemein naturwissenschaftlich interessiert – von einer Entdeckung in Ösel im Landkreis Wolfenbüttel. Dort hatte man eine schöne große Mittelmeermuschel gefunden, eine Tritonschnecke, die mit Flintstücken gefüllt war. Das spitze Endstück der Muschel war bearbeitet und durchbohrt: Offenbar ist sie als Trompete genutzt worden und hatte – für damalige Verhältnisse – einen weiten Weg hinter sich. Aus solchen und ähnlichen Funden von Gegenständen weit von ihren jeweiligen Ursprungsort hat man sich ein Bild machen können vom erstaunlichen Ausmaß steinzeitlicher Fernbeziehungen. Nach genauen Untersuchungen über die Herkunft bestimmter Gesteine, ließ sich für die schönen, tiefschwarz glänzenden Geräte aus Hornblendeschiefer aus dem Böhmischen zum Beispiel ein Handel entlang der großen Flüsse nachweisen bis zum Unterrhein, nach Friedland und in die Mark Brandenburg.

Die Methoden des Bergbaus waren um 3000 v.Chr. bereits auf hohem Niveau. Neben dem Tagebau und dem Herausarbeiten von Flintknollen aus Hängen und Wänden, wurden trichterförmige Löcher bis zu fünf Metern Tiefe gegraben und schließlich sogar Stollen in den Berg getrieben, so tief, dass man dort nur noch mit künstlichem Licht, im Schein von brennenden Kienspänen arbeiten konnte. Bis zu siebzehn Meter tief wurden die Stollen vorangetrieben, wobei sie progressiv niedriger wurden, um ein Einstürzen der Stollen zu verhindern. Hölzerne Stützen gab es zu dieser Zeit noch nicht. Besonders viele solch urgeschichtlicher Stollensysteme hat man in Belgien, England, den Niederlanden, Polen und Ungarn gefunden. Zeichen von Gewinnstreben: Man baute das weithin begehrte Material nun nicht mehr nur für den eigenen Bedarf ab, sondern um damit Handel zu treiben. Um gute Fundgründe dürfte es auch schon die ersten Kleinkriege gegeben haben. Flint war damals der wichtigste Rohstoff. Wer die Fundstellen kontrollierte, konnte die Preise diktieren; das war in der Steinzeit nicht anders als heute.

Mit der Ballung von Menschen konnten das Jagen von Wild und das Sammeln von Wurzeln, Kräutern und Beeren den Nahrungsbedarf nicht mehr decken. Nomadenhafte Tierhaltung gab es wahrscheinlich schon seit 50000 Jahren. Jetzt kam der systematische Anbau von Pflanzen dazu. Gerätschaften zur Bearbeitung des Bodens und Getreideernte mussten erdacht werden. Regelrechte Sicheln von bis zu 30 Zentimetern Länge wurden aus den größten Rohlingen gefertigt, ein Meisterstück der Steinzeit-Technik. Neu dazu kam der Reib- und Mahlstein zur Bereitung von Breien und später Mehl für Brot. Hierzu eignete sich am besten Basaltlava, wie sie in der Eifel und an einigen Stellen in Frankreich und Ungarn vorkommt.

Die Sesshaftigkeit wurde auch begünstigt durch die Nutzbarmachung eines weiteren Minerals, des Salzes. Die Kelten von Halstatt entwickelten als erste Methoden zu seiner massenhaften Gewinnung. Wie verhältnismäßig wohlhabend sie wurden, das lässt sich an den Grabbeigaben erkennen, aber auch, dass offenbar die Salzlagerstätten als heilig betrachtet wurden. Man hat viele Schmuckstücke und im Salz konservierte feine Kleidung gefunden, aber ungewöhnlich wenige Waffen in dieser Gegend. So war Salz eines der seltenen Güter, um das – wenigstens hier und in dieser Zeit – nicht gekämpft und gemordet wurde. Die Salzgabe zum Einzug in eine neues Haus stammt daher. Das keltische Wort für Salz war hal – daher Hallstatt – Bad Reichenhall oder auch Halle an der Saale, während der lateinische Ausdruck ganz ähnlich lautete: sal.

Tacitus berichtete, dass auch für die Germanen Salzgewinnungsstätten heilig waren:

“Im selben Sommer wurde zwischen den Hermunduren und den Chatten eine große Schlacht geschlagen, da die Chatten einen salzreichen Grenzfluss mit Gewalt an sich rissen, nicht allein aus Übermut, alles mit den Waffen zu entscheiden, sondern auch aus eingeborenem religiösem Glauben, dass vor allem diese Orte dem Himmel nahe seien und die Gebete der Sterblichen nirgends näher von den Göttern gehört würden.”

Salz war unentbehrlich und kostbar. Römische Legionäre wurden zum Teil in Salz entlohnt, mit dem salarium, der Salzgabe, woraus heute das ‘Salär ‘geworden ist. Salz sollte auch eine bedeutende Rolle spielen in Magie und Alchemie, sal – eines der Hauptelemente der frühen Chemie, Bestandteil des Steines der Weisen. In der Magie sollte es böse Geister bannen; da es konservierende Kräfte besitzt glaubte man, dass Dämonen es zu fürchten hätten. Dämonen waren schließlich flüchtige Wesen aus dem Jenseits...

Salz und Silicium – zwei Minerale, die die Welt veränderten. Das dritte war das Eisenerz. Zwar hatten die Ägypter die verwandelnde Kraft des Feuers schon entdeckt und die Metallschmelze erfunden. Jedoch besaßen sie kein Eisen. Die Waffen ihrer Soldaten waren aus Bronze, einem Kupfer-Zinn-Gemisch. Das Ausschmelzen von Eisen wurde im Kaukasus entdeckt, wo das Erz reichlich vorhanden war. Als der Pharao, der damals mächtigste Mann der Welt, davon hörte, schickte er seine Handwerker aus, um die neue Kunst zu lernen. Aber die Schmiede des Kaukasus hüteten ihr Geheimnis. Der Pharao bettelte um Eisen und bekam keines. Er musste sich mit winzigen Mengen Magnetit zufriedengeben, der beim Goldwaschen im nubischen Sand anfiel. Folglich reichte in Ägypten das Eisen nur zu Herrschaftssymbolen, wie dem eisernen Helm, den Ramses II trug, und zu Zauberamuletten.

Auch in der Bibel wird Eisen erwähnt: Den besiegten Juden war es verboten Waffen zu besitzen. Ihre Schmieden waren zerstört. Wenn sie also Werkzeug brauchten, Sicheln, Sensen und Messer, so waren sie gezwungen, sie für teures Geld bei den verachteten Philistern zu kaufen. Die wiederum waren versprengte Indogermanen, die die Schmiedekunst auf ihren Raubzügen im heutigen Anatolien gelernt hatten.

Eisen und Stahl machten Kleinasien zum neuen Zentrum der Macht. Reiche fielen und wurden geboren aufgrund der neuen Waffen, die der Bronze überlegen waren. Hethiter eroberten das Mitannireich und wurden ihrerseits besiegt. Die Griechen stiegen zu neuen Herren auf und ihre weitgerühmte Demokratie verdankt man möglicherweise dem Umstand, dass ihre Adligen Bronzewaffen und -rüstungen trugen. Kupfer und Zinn waren nämlich seltener und teurer als Eisenerz. Folglich wurde das Heer des Fußvolks mit billigeren Eisenwaffen ausgestattet – und besaß nun bessere Waffen als ihre Herren.

Als die Römer begannen, ihr Weltreich auszubauen, förderten sie überall, wohin sie kamen, die Metallgewinnung. Schmiede wurden am Arm gebrandmarkt als wertvoller persönlicher Besitz. Sie wussten genau, welchem Umstand sie ihre Siege verdankten. So wertvoll wurde Eisenerz, dass es in zahlreichen Dichtungen verherrlicht wurde. Stahl aus Noricum, dem heutigen Kärnten, wurde von Tacitus gelobt, von Horaz und Ovid besungen.

Gegenstände, die so wichtig sind für die Gemeinschaft fördern die Entstehung von Mythen: Im heutigen Westfalen sind noch niedrige Stollen erhalten, so klein, dass sie wohl nur von zwergenhaften Menschen benutzt werden konnten (oder auf dem Bauch kriechend). Daher hat sich im deutschen Sprachraum die beliebte Sage von den bergbauenden Zwergen entwickelt.

Aber auch die Römer trafen auf Grenzen. 500 v. Chr. waren die Kelten allen anderen Völkern überlegen. Sie fanden direkt unter ihren Füßen einen Stoff, mit dem sich Stahl direkt, ohne lange Verfahren herstellen ließ: Manganeisenerz. Und da sie nun bessere Waffen hatten, als die römischen Legionäre, beherrschten sie eine Zeit lang fast ganz Europa.

Warum aber machten die meisten Völker nach der Entdeckung der Steinbearbeitung einen gewaltigen Satz vorwärts, manche aber nicht? Noch heute gibt es einige wenige Menschengruppen, die leben wie in der Steinzeit und sogar vor den UN um ihr Recht auf diese Lebensweise kämpfen: Amazonas-Indianer, Buschmänner – die San, die Inuit und einige der australischen Aborigines.

Bis noch vor wenigen Jahrzehnten stellte man das gern als Faulheit, mangelnde Intelligenz und Initiative dar. Betrachtet man inzwischen die Nachteile, die wir uns durch den unerbittlichen Fortschritt eingehandelt haben, dann sieht die Sache etwas anders aus. Aber warum nur verspürten sie so gar keinen Drang nach technischer Weiterentwicklung, nach dem Mehr, dem Bequemer, dem Geplanten und Berechenbaren? Aufhören, wenn man genug hat? Wer tut das schon? Was ist genug?

Die Aborigines, seit ca. 30 000 Jahren auf dem australischen Kontinent heimisch, gehören zu den egalitären Kulturen. Sie haben nie feste Machtstrukturen entwickelt und sahen dafür auch keine Notwendigkeit. Das beweist schon ihre Vorstellung von der Erschaffung der Welt. Kein übermächtiger Schöpfergott hat hier in einem Kraftakt alles einfach hingestellt. Am Anfang war Schlamm und Dunkelheit. Dann stiegen die Ahnen vom Himmel, wohlmeinende Tiere, denen sich die naturverbundenen Aborigines besonders nahe fühlten, und sie erschufen die Welt, die Berge, Gewässer und Pflanzen einfach durch ihr Sein und Wandeln. Hier legte sich eines von ihnen zur Ruhe und wurde zum Berg. Dort verspürte eines Durst und sang eine Quelle oder einen Tümpel herbei. So entstanden Meer, Flüsse, Berge und alles was wir heute sehen. Die Schöpfung der Ahnen muss respektiert und durch das Wandern auf den Traumpfaden immer neu gedacht – und also aufs Neue erschaffen werden. Dadurch, dass diese Menschen die Schöpfungsgeschichte oft rituell wiederholt haben, fühlten sie sich eins mit und verantwortlich für die Welt, während die hierarchischen Kulturen sie sich ‘untertan’ gemacht haben.

Obwohl die australischen Ureinwohner in einer extremen Umwelt lebten, passten sie sich ihr an. Sie haben nie versucht, ihrerseits die Lebensbedingungen zu verändern – das was wir ständig tun. Es heißt, sie benötigten für die Erfüllung aller primärer Bedürfnisse, Nahrungssuche und Unterkunft, nur zwei Stunden täglich. Der Rest blieb ihnen zum spielen, tanzen, träumen – welch paradiesische Welt! In diesem Paradies sind sie geblieben, bis die Weißen kamen und sie daraus mit Gewalt vertrieben.

Steine spielen eine besondere Rolle in der Aborigines-Kultur. Aber abgesehen von der Herstellung feinster Beile bearbeiteten sie die Steine nicht. Sie bewunderten ihre naturgegebene Schönheit. Und wer einmal gesehen hat, wie der Ayers Rock, Uluru, im Lichtspiel der untergehenden Sonne seine Farben ändert, von ocker-gelb und gold über brennend rot, über rotbraun, magenta, violett zum tiefschwarz vor dem stern-funkelnden Wüstenhimmel, der kann vielleicht ermessen, dass man hier einer solitären Kraft gegenübersteht, die keine menschliche Verbesserung oder Veränderung verträgt, Die australischen Aboriginals brauchen keine Götter, keine Helden, keine Denkmäler. Aber sie haben ihr Gefühl für die Mächtigkeit der Natur nicht verloren. Uluru ist der größte Monolith der Erde und strahlt eine seltsame Macht aus, die sich sogar einem einigermaßen sensiblen Europäer mitteilt. Abends, in der Stille der Dämmerung, wenn die Sonne hinter den Horizont taucht und die Touristenhorden in ihren Bussen verschwunden sind, dann kann man hören, wie Uluru singt.

Edelsteine oder Gold wurden von den Aborigines nicht besonders hoch geschätzt. Zum Stadium der Metallbearbeitung sind sie nie gelangt, nicht einmal zum Edelsteinschliff, obwohl es Edelsteine gibt auf dem roten Kontinent: Diamanten, Saphire, Rubine, Smaragd und den feurigen Opal, dazu zahlreiche bunte Halbedelsteine. Ihr Schmuck bestand aus geflochtenen Haaren, getrockneten Beeren und Kernen. Sie haben nie ein Streben nach Unvergänglichkeit gekannt, vielleicht, weil sie sich durch die Traumzeit mit der Ewigkeit bereits verbunden fühlten. Sie hatten den Tod nicht so zu fürchten wie wir.

Die einzigen Steine von Wert für die australischen Ureinwohner, waren auffallend geformte Kiesel, bis zu handtellergroß und abgeflacht, die mit Pflanzenfarben bemalt und bestimmten Ritualen zugeordnet waren. Sie symbolisierten die Verbindung zu bestimmten Teilen der Traumzeit, in die auch lebende Menschen in Schlaf oder Trance jederzeit zurückkehren können. Man könnte sagen, auch sie hatten das Bedürfnis, die Vergänglichkeit zu bewältigen, aber sie entwickelten dazu von Anfang an eine andere Strategie als wir: Nicht die Trennung von der Natur und ihre Überwindung, sondern die Bewahrung der Einheit.

Ebenso, wie die Aborigines, haben andere Völker in extremen Umweltbedingungen sich ab einem bestimmten Punkt nicht weiterentwickelt oder, anders ausgedrückt, sich zufrieden gegeben. Aber unsere Welt ist zu klein geworden, der Druck zu groß. Man wird ihnen nicht erlauben, in der selbstgewählten Steinzeit zu verharren. Der Hominide will nicht unbedingt lernen, aber er muss.

2. Von Hünengräbern und Hinkelsteinen

Morgennebel über den rauen Felsen der bretonischen Küste. Es riecht herb nach Salzwasser und Tang, nur wenig versüßt vom Duft des blühenden Ginsters. Hohe Wolkenschleier im Osten beginnen sich rosig zu färben, aber hier unten herrschen noch Schatten und Dämmerung. Hölzerne Boote scharren über den Sand, werden hastig ans Ufer gezogen vor dem Zugriff der gierigen Wellen. Zwei, drei halbwüchsige Jungen bleiben am Strand zurück. Eine Gruppe von gebückten Gestalten schleicht sich von der Küste her ins Landesinnere. Speere und Steinbeile heben sich aus den Umrissen ab. Es sind Krieger eines fremden Stammes auf Beutezug nach Frauen oder was sonst gerade fehlt bei ihnen zuhause. Siegessicher sind sie, malen sich in Gedanken aus, wie man sie bei ihrer Rückkehr empfangen wird und welche Trophäen sie wegschleppen werden. Kein Wachfeuer brennt. Ahnungslos schläft das Dorf, dem sie sich nähern.

Da plötzlich tauchen im Dunst vor ihnen graue Schemen auf, grobschlächtig und riesenhaft, eine lange Reihe davon, und dahinter noch eine Reihe. Unzählbar stehen sie dort, die Wächter, dunkel und still. Die räuberische Horde bleibt stehen, duckt sich, wittert – geflüsterte Beratung. Die Riesen rühren sich nicht. Was ist das? Was wird geschehen, wenn man versucht, an ihnen vorbei zu gelangen? Es wird gestikuliert, gedeutet, geschubst: Geh du zuerst! Nein du! Nein, du! Keiner kann sich entschließen. Und die Riesen stehen und starren. Zu unbegreiflich, zu unheimlich sind diese grauen Wächter. Und während man unentschlossen starrt, leuchtet der Himmel schon golden; ein Hahn kräht. Die rechte Stunde ist vertan. Die Horde kehrt um. Der Angriff wurde abgewehrt ohne einen Speerwurf, ohne einen Laut.

Menhire, die bretonischen Fingersteine, verwitterte Brocken Granit, deren einstige Form nur zu ahnen ist. Auch 1000 Dolmen (keltisch: tol = Tisch, men = Stein) – drei Tragsteine, darüber eine Deckplatte – stehen an der bretonischen Atlantikküste. Man nimmt an, dass es Gräber sind. Unter manchen fand man Knochen, Grabbeigaben. Nicht unter allen. Vielleicht wurden sie geplündert, vielleicht waren nie welche da. Und die 5000 Menhire? Wozu sie errichtet wurden unter unendlichen Mühen, zu welchem Zweck, teils einzeln, teils in langen Reihen, das lässt sich nicht mehr sagen. Ganz bestimmt waren es Heiligtümer, aber auf der Basis welcher Vorstellungen? Symbolisierten sie gefallene Krieger, eine Armee aus Stein, oder hilfreiche Geister, die Seelen der Ahnen, einen steinernen Wald? Hatten sie irgendwie mit den Gestirnen zu tun, wie der Steinkreis von Stonehenge? Unwahrscheinlich. Zwar verlaufen einige der Reihen von Ost nach West, aber nicht alle. Vergeblich hat man gemessen und nach Bezugspunkten am nächtlichen Firmament gesucht. Astrologische Observationsstätten wie Stonehenge in England lassen sich hier nicht sicher nachweisen.

Der Altertumsforscher Carl Schuchardt, der Erfahrungen mit den klassischen Mittelmeerkulturen hatte, verglich die bretonischen Anlagen mit griechischen Feststraßen, das war kreativ, blieb aber Spekulation: Dort führten gepflasterte Straßen von einem Anlegeplatz am Meer zu einer Kultstätte, so seine Theorie – auch in der Bretagne gäbe es entsprechende Verbindungen zwischen alten Anlegeplätzen im Golf von Morbihan und den Steinalleen, die zu einem Cromlech (llech – das walisische und bretonische Wort für Stein) also zu einem Steinkreis führten, mit einer einzelnen rauen Granitsäule in der Mitte. Aber warum dann gleich vier Alleen parallel nebeneinander?

Zu viele Stücke fehlen für den schlüssigen Beweis. Viele Menhire sind umgefallen, zerschlagen und als Baumaterial verschleppt worden. In Plouharnel, Bretagne, lieferte ein 20 Meter langer Steinkorridor zu einem Gemeinschaftsgrab das Rohmaterial für ein nahes Dorf.

Zwischen 1830 und 1840 ist bei Saumur in Zentralfrankreich die tonnenschwere Deckplatte eines Großstein-Grabes als Brücke über einen Bach zweckentfremdet worden. Bei der Gelegenheit lernten wohl die französischen Bauern im Schweiße ihres Angesichts die Leistungen ihrer Vorfahren zu schätzen: 18 Ochsenpaare mussten vor das Trumm gespannt werden, um es zu bewegen und vier Eichen von je einem Meter Durchmesser wurden gefällt um die notwendigen Rollhölzer zu liefern, bevor die Sache auch nur in Gang kam. Eine Brücke! Welch profane Entfremdung eines Werks aus einer Zeit, in der nur höchste religiöse Ziele und die Urangst vor der Endgültigkeit des Todes die Verwendung solche Steinkolosse rechtfertigten. Die Häuser der Lebenden waren dieser Mühe nicht wert. Sie wurden aus Holz errichtet und Lehm, Schilf und anderen vergänglichen Materialien, mit einer einzigen Ausnahme: Skara Brae in den Orkneys. Dort war Holz so knapp, dass den Bewohnern der Insel nichts anderes übrig blieb, als ihre Behausungen aus flachen Steinplatten aufzuschichten. Das Aufstellen aber von massiven Steinriesen blieb eine Abnormität.

Einige Autoren haben die Fingersteine als frühgeschichtliche Kunst sehen wollen. Das widerspricht der Theorie von der religiösen Kultstätte nicht. Schließlich hat sich Andacht und Verehrung immer und überall in Kunst ausgedrückt. Kunst ist die Essenz der Andacht und ein Weg dazu. Doch wer hier verehrt wurde und warum ist damit immer noch nicht erklärt. Auch vorstellbar, dass die frühe Menschheit noch gar keine fest definierten Gottheiten verehrte, sondern sich direkt an die Natur wandte. Sie betrieben eher einen Totenkult als einen Gotteskult. Ihre Heiligen waren die Geister von Quellen, Bergen, Bäumen und Steinen. Waren die Menhire also nicht Statuen für Götter sondern selbst Götter/Geister? Und wer waren die Erbauer?

Einer lokalen Sage nach lebte hier früher eine zwergische Rasse, die Kérions oder Korrigans. Sie liebten die Steine und lebten in Löchern, die sie in die Berge gruben oder in Steinhäusern, die sie mit Zauberkraft errichteten – so erklärte man sich später die Existenz von Menhiren und Dolmen, als die Kunst ihrer Aufstellung längst in Vergessenheit geraten war. In früherer Zeit hatten die Kérions noch Umgang mit Menschen, die von weither kamen, um sie um Rat zu fragen. Heutzutage sieht man sie nur noch selten und nur am Sabbat. Es gibt alte Leute in der Bretagne, die behaupten, mit Kérions Bekanntschaft zu pflegen, aber es ist verboten allzu viel darüber zu sagen oder gar zu einem Treffen einen Fremden mitzubringen. Das würde den Zorn der Kérions nach zu ziehen. Wem sie sich zeigen, das bestimmen sie selbst. Offenbar haben sie auch entschieden etwas gegen Kameras.

Sowohl die Sage von den hilfreichen Erdgeistern, als auch die phallische Form der standing stones verleitet bis heute romantisch veranlagte Paare, Nachtens über die Schutzzäune zu klettern um bei Vollmond zwischen den Steinen Fruchtbarkeitstänze aufzuführen. Man möchte sich das lieber nicht so genau vorstellen. Angeblich ist aber manche Bretagne-Touristin dann glücklich schwanger nach Hause zurückgekehrt.

Vierzig bis 50 000 solcher megalithischer Monumente sind allein in Westeuropa bekannt. Steinkreise, Gräber verschiedener Formen, die alle nur eins gemeinsam haben: Die Verwendung von riesigen – von ‘mega’-Steinen. Ihre Maße und Gewichte sind eine Ansammlung von Superlativen.

Carnac: 4 Steinalleen, zusammen fast vier Kilometer lang;

Locmariaquer: Le Grand Menhir Brisé, der größte und schwerste aller Fingersteine, 20 Meter lang, 350 Tonnen schwer;

Morlaix: der Grabhügel Barnenez, Parthenon der Steinzeit: 14000 Tonnen Steine wurde hier aufgeschichtet;

Stonehenge: Klassisches Beispiel für frühgeschichtlichen Langstrecken-Transport. Einige der Stonehenge-Brocken stammen aus der Nähe, andere, die je 25 Tonnen schweren ‘blue stones’, kommen aus den Presely Mountains, 140 Meilen im Vogelflug von dem Heiligtum entfernt. Über den Weg und die Art und Weise des Transports ist viel geschrieben worden. Eine mögliche Landroute über die Severn nahe Gloucester wäre 180 Meilen lang gewesen, eine kurze Seeroute und über die Mendip Hills 150 Meilen, während die längste mögliche Route auf Booten oder Flößen um Cornwall herum ungefähr 400 Meilen lang gewesen wäre, aber viel mühselige Schlepperei erspart hätte. Stonehenge war ein Generationenwerk. Nur eine tiefe Überzeugung, ein fanatischer Glaube hat Menschen dazu bringen können über mehrere Generationen hinweg ein solches Werk anzupacken und zu Ende zu bringen. Denn anders als in Ägypten hatten wir es hier nicht mit großmächtigen Herrschern und einem gewaltigen Beamten-Apparat zu tun. Es war die Arbeit von Freeiwilligen. So etwas tut nur, wer an die Ewigkeit glaubt.

Das Wann hat den Forschern lange Schwierigkeiten gemacht bis zur Erfindung der segensreichen Carbon 14-Methode. Das Wie kann man als geklärt betrachten. Vorbilder dafür sind heute noch zu sehen in den Steinbrüchen von Assam und Afrika. Dort werden heute noch Steine gebrochen, wie in alter Zeit, weiterhin megalithische Monumente produziert.

Es gab mehrere Methoden: Entweder man trieb mit steinernen Schlegeln eine Rille entlang der Sollbruchstelle in den Fels und sprengte den Block dann mit Hilfe von Feuer und Wasser ab, durch Temperaturschock. Anderswo arbeitete man mit Holzkeilen, die entlang der gewünschten Bruchkante in den Stein getrieben und dann befeuchtet wurden. Durch ihre Ausdehnung sprengten sie das Stück aus dem Fels. Um aber das gewünschte Ergebnis zu erzielen, nämlich einen Block von geplanten Ausmaßen zu erhalten, musste man damals bereits die gleiche Erfahrung, Geschicklichkeit, das Gefühl für die innere Beschaffenheit des Steins besitzen, die heute noch einen guten Steinmetz oder einen Steinbildhauer auszeichnen.

Wie man die Riesensteine aufstellt, das hat Thor Heyerdahl auf den Osterinseln anschaulich vorgeführt: Ein Grube für das Fundament wurde gegraben, der Stein in eine entsprechende Grundstellung geschleppt und geschoben und dann mit Seilen in die Senkrechte gezerrt. Auch das scheint auf der ganzen Welt gleich gehandhabt worden zu sein. Flaschenzüge oder Rad kannte man noch nicht.

In Westeuropa ging die megalithische Bewegung vom iberischen Raum aus und wurde über Frankreich nach Britannien, entlang der Nordmeerküsten bis nach Polen und vereinzelt an den großen Flüssen entlang bis in die Schweiz verbreitet. Die meisten Großstein-Konstruktionen sind Gräber: Gemeinschaftsgräber, individuelle Ruhestätten, Gräber mit langen geraden oder gewundenen Zugangsalleen, einfachen oder mehrfachen Kammern, tumuli mit Erde bedeckt, auch Schlüssellochgräber, von denen meist nur noch die Frontplatte stehen geblieben ist: Einsame, abgeflachte Quader von zwei bis drei Metern Höhe mit hochgelegenem Einstiegsloch. Wozu dieses Loch im Stein? Hätte man den Toten nur dort hindurch reichen wollen, wäre es doch praktischer gewesen, einen gewöhnlichen Eingang zu bauen und danach zu verschließen. Sollten die Verstorbenen daran gehindert werden, herauszukommen und Unheil zu stiften? Oder im Gegenteil: Sollte den Seelen Gelegenheit geboten werden durch dieses kreisrunde Loch im Stein in die Freiheit zu fliegen? Wenn zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten ein Schaft Sonnenlicht in das Grab fiel, dann hätten die Seelen die Brücke aus Licht betreten können.

Es gibt Megalith Monumente am Schwarzen Meer, in Nordafrika, besonders in Algerien, im Senegal und im Sudan, auf Malta, in Persien und Indien, Assam, Sumatra, auf einigen Polynesischen Inseln, in Zentral- und Südamerika. In Japan waren Großsteingräber weit verbreitet und es existieren sogar schriftliche Quellen darüber. Aber im siebten Jh. n.Chr. wurde diese Tradition plötzlich abgebrochen: Kaiser Kôtoku verbot den Bau solch extravaganter Ruhestätten – wegen der Verschwendung menschlicher Arbeitskraft.

Die best erhaltensten Zeugnisse alter Kulturen sind noch in der Sahara zu finden. Angefangen von Feuersteinwerkzeugen und Schleifwannen, die man an manchen Stellen so unversehrt findet, als seien sie gestern gefertigt worden, kann man unerwartet im Wüstensand auf Steinssetzungen stoßen: Auch hier Dolmen, Trilithe – drei Steinsäulen mit einer Deckplatte, mehrreihige Steinkreise und Croissants, sichelförmig angelegte Steinsetzungen, die wohl den Dünen abgeschaut waren.

Von einer wunderbaren, einfachen Würde sind die dallages am algerischen Ahaggar-Gebirge: kreisförmige oder quadratische Areale, die mit schwarzen Steinen gepflastert sind, manche von menschlicher, andere von gigantischer Größe. Niemand weiß, wie viele von ihnen es in der Weite der Wüste noch gibt, wie viele unter Wanderdünen verschwunden sind. Waren es Gebetsstätten? Der Mensch scheint ja sehr früh das Bedürfnis entwickelt zu haben, die höheren Mächte auf sich aufmerksam zu machen. In Europa wurden zu diesem Zweck Kathedralen errichtet. In der Einsamkeit der Sahara genügte dazu ein Kreis aus Stein: ‘Schau her, hier bin ich. Hör mich an.’ Und warum war Gott immer im Himmel, immer oben? Das hat mit dem Inbegriff von Macht zu tun, den wir schon als Kinder lernen: Klein sein bedeutet, schwach, hilflos zu sein, ausgeliefert. Die Großen sind die, von denen Wohltaten und Bedrohung ausgehen. Sie türmen sich über uns, ihre Augen können Blitze schleudern und sie tun, was ihnen beliebt.

So weit verbreitet und in einem relativ zur Menschheits- und Erdgeschichte, sehr kurzen Zeitabschnitt von 3000 Jahren gedrängt, wie die Megalith Kulturen waren, möchte man gern glauben, dass sie gemeinsame Schöpfer, einen universellen Zweck hatten. Im 19 Jh. war die Ansicht verbreitet, alle diese Monumente seien Spuren einer Herrenrasse, den ‘Kindern der Sonne’, die sich von Ägypten her über die Welt ausgebreitet hätten. Heute vertritt man diese Meinung nicht mehr, wohl weil man von Herrenrassen ein für alle Mal genug hat. Das Einzige, das diese Werke miteinander gemeinsam haben, ist nach unserem Kenntnisstand die Übergröße. Vielleicht war es im Verlauf der Ich- und Welterkentnis des Menschen an der Zeit, sich zum ersten Mal am Gigantismus zu versuchen.

Am beeindruckensten aber von allen megalithischen Hinterlassenschaften scheinen die einzeln stehenden Steine zu sein. In wie vielen Sagen, in Literatur und abergläubischen Volksmärchen spielen sie eine Rolle! Sie berühren etwas in unserem Unterbewusstsein. Das Aufrichten aus der Vierfüßler Haltung ist ein elementarer Schritt in der Menschwerdung gewesen. Aufrichten heißt weiter schauen, mehr sehen. Auch: sich größer machen – bei vielen Säugetieren und in allen menschlichen Kulturen eine Drohgebärde. In jedem Fall ist das Aufrichten, der erhobene Finger, die Senkrechte eine Aufmerksamkeits-heischende Geste.

Und mehr als das: Sich Aufrichten bedeutete für den frühen Menschen: Sich dem Himmel nähern, den Göttern entgegen treten. Nicht ohne Grund ist der Baum (in Abwandlung: das Kreuz) eines der wichtigsten Symbole der Menschheit, in allen Kulturen bekannt und in vielen Märchen und Mythen verewigt als Himmelsbaum, an dem die Planeten hängen, als Lebensbaum, kosmischer Baum der parsischen Avesta, im Ägyptischen Totenbuch, als Nabel der Welt; im Judentum wie im Christentum gibt es ihn. Die Esche Yggdrasil, tausendfach in Stein geschlagen in Form der Rune HAGAL oder HAGALAZ aus dem Jüngeren (neueren) Futhark, dem germanischen Runenalphabet: HAGAL ist entstanden aus den Runen YR für Eibe oder Esche, die die Verbindung zum irdischen Hier bezeichnet (auch ALGIZ nach dem älteren Futhark) und der Rune MAN oder MANNAZ, die den Einfall göttlichen Lichts darstellen sollte – aus beiden ergibt sich ein Baum, dessen Zweige nach oben und nach unten zeigen, der menschliche und göttliche Sphäre miteinander verbindet. Und so drückte auch mancher Fingerstein ein erstes Streben aus, nach oben im Versuch, der leidensvollen Verhaftung mit dem irdischen Leben zu entgehen; eine Sehnsucht nach Versöhnung der irdischen und der himmlischen Welt.

Die schönste Auslegung von Fingersteinen ist die für den Ursprung ägyptischer Obelisken. Laut dem römischen Offizier und Universalgelehrten Plinius dem Älteren sollten diese ‘Balken’ aus Granit die Sonnenstrahlung nachahmen und das sei die Bedeutung des Wortes. Heute wissen wir, dass dieTradition der Obelisken von Vorgängern der Pharaonen stammt: Atum, der Gott von Heliopolis, so glaubte man, sei seinem Volk zuerst in einem Fels erschienen, der sich aus den Urwassern erhob, um das Strahlen der Sonne auf seinem Gipfel zu empfangen. Folglich wurden im Haupttempel ein hoher Stein aufgestellt, vermutlich von einem Deckstein aus Gold gekrönt. Die Nachfolger-Kultur übernahm diese Sitte und passte sie ihrem ästhetischen Empfinden und handwerklichen Geschick an. Zwei Obelisken, auf den Befehl der Pharao-Regentin Hatschepsut errichtet, hatten Spitzen aus Bernstein, die die Sonnenstrahlen einfangen und verstärken sollten.

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9783844284119
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