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Die Seeschlacht von Dan-no-Ura

Yoshitsune ließ den Taira keine Zeit, ihre Kräfte zu sammeln. Er wollte den endgültigen Sieg über den feindlichen Klan, und dies so schnell wie möglich. Die Schlacht von Yashima hatte ihm bedeutende Vorteile gebracht: Etliche Anführer der Taira waren zu ihm übergelaufen. Sie boten ihm an, seine Truppen mit ihren eigenen Schiffen zur Basis von Kagoshima zu bringen. Niemand bezweifelte mehr, daß dort die endgültige Entscheidung im Krieg zwischen den Taira und den Minamoto fallen würde.

Am 25. April 1185 trafen die Flotten der Gegner in den tiefen Gewässern der Meerenge von Dan-no-Ura aufeinander, in der Inlandsee, auf Höhe der Inseln Honshû und Kyûshû. Als Taira Tomomori, der Anführer der Flotte, die in Hikoshima lag, erfuhr, daß die Schiffe der Minamoto sich näherten, ließ er seine eigenen Schiffe unverzüglich in See stechen, um Yoshitsune auf hoher See, dem Terrain, auf dem die Taira Meister waren, begegnen zu können. Doch gegen die 400 Schiffe der Taira zogen nicht weniger als 800 Schiffe der Minamoto, unter denen sich auch zahlreiche Seefahrzeuge abtrünniger Taira befanden. Die Gegner waren zum äußersten entschlossen. Im Morgengrauen begannen die Bogenschützen ihre Arbeit. Zunächst gewannen die Taira die Oberhand, denn sie waren geschickter darin, die Gezeiten und die Strömungen in dieser Meeresgegend zu ihren Gunsten zu nutzen. Um elf Uhr waren die Flotten einander sehr nahe gekommen, und die Bogenschützen der Taira konzentrierten sich, dem Rat Taira Kagekiyos folgend, auf das Schiff, welches das Wappen Yoshitsunes trug. Der riesenhafte Benkei verschoß von dort aus mit einem gewaltigen Bogen seine Pfeile. Fast wäre es den Taira gelungen, Yoshitsune gefangenzunehmen, doch er konnte sich auf ein anderes seiner Schiffe retten, während einer seiner Samurai, Noritsune, ihm den Rücken freihielt. Dieser schleuderte den ersten Taira-Krieger, der das Schiff enterte, ins Meer; zwei weitere packte er und riß sie mit sich in die Fluten, wo sie gemeinsam den Tod fanden.

Mitten im heftigsten Gefecht wechselte der Taira Taguchi Shigeyoshi die Seiten. Er holte die rote Flagge der Taira ein und hißte das weiße Kriegsbanner der Minamoto. Kaum hatte er sich den Minamoto angeschlossen, verriet er Yoshitsune, an Bord welchen Schiffes sich der kindliche Kaiser Antoku befand. Der Angriff der Minamoto konzentrierte sich unverzüglich auf jenes Seefahrzeug. Den Bogenschützen wurde Befehl gegeben, vorrangig auf die Ruderer und die Steuermänner zu zielen.

Taira Tomomori spürte, wie ihm die Kontrolle über die Schlacht entglitt. Er erklärte daraufhin der Witwe Kiyomoris, der Großmutter des kleinen Antoku, daß ihr nur noch der Selbstmord bliebe, damit sie nicht in die Hände des Feindes fiele. Daraufhin nahm die alte Kaiserin das Kind in ihre Arme und begab sich unmittelbar hinter ihre Krieger, die dicht an dicht als letzter Schutzwall am Bordrand standen. Als wäre es das selbstverständlichste von der Welt, ging sie zwischen ihnen hindurch und ließ sich ins Meer fallen. Mit sich nahm sie den jungen Kaiser, der das heilige Schwert Kusanagi38 an sich gepreßt hielt. Bevor die Minamoto begriffen hatten, was geschehen war, waren die beiden schon in den von Blut rotgefärbten Wogen versunken.

Der Selbstmord der Kaiserin löste den größten kollektiven Selbstmord in der Geschichte der Samurai aus. Kenreimon-in, die Mutter des Kaisers Antoku, wollte ihrem Sohn hinterherspringen, aber es gelang, sie an den Haaren festzuhalten. Die Frau des Verräters Shigeyoshi wollte sich ebenfalls in die Fluten stürzen, doch ein Pfeil nagelte einen Ärmel ihres Kimonos an das Holz der Reling. Um sich befreien zu können, legte sie die Schatulle, die sich bei sich trug, zu Boden. Schließlich sprang sie, aber sie vergaß, die Schatulle mitzunehmen, welche den heiligen Spiegel in sich barg, ein anderes Element des kaiserlichen Schatzes, das somit in die Hände der Minamoto fiel. Nun aber gab es kein Halten mehr. Die Taira-Generäle Norimori, Tsunemori, Sukemori, Arimori und viele andere nahmen sich das Leben, indem sie sich an die Anker ihrer Schiffe banden und sich, auf diese Weise beschwert, in die Fluten fallen ließen. Tomomori, der Oberbefehlshaber der Flotte, tötete sich als letzter. Er warf sich zwei schwere Rüstungen über und stürzte sich ins Meer. Auch das Klanoberhaupt Taira Munemori sprang ins Wasser, aber er plante, schwimmend zu entkommen. Jedoch wurde er gemeinsam mit seinem Sohn Kiyomune gefangengenommen und auf dem Weg nach Kyôto, kurz hinter Shinohara, hingerichtet.

Die Minamoto-Krieger hieben mit ihren Schwertern bis in die Nacht hinein mit großem Ungestüm die gegnerischen Truppen nieder. Erst, als die roten Banner der Taira gleich gefallenen Blättern auf dem Wasser schwammen und ihre letzten führerlosen Schiffe an den Klippen der Meeresküste zerschellten, endete das Gemetzel. Man behauptet, daß seit jener Zeit die Panzer der Krabben der Inlandsee menschliche Züge tragen und daß dies die Manifestation der Geister der in jener Schlacht ums Leben gekommenen tapferen Taira-Krieger sei.

Es existieren verschiedenen Versionen über den Ablauf dieses letzten Gefechts zwischen den Taira und den Minamoto. Eine davon betont vor allem Yo­shitsunes taktisches Gespür. Er soll beispielsweise die Gezeitenströmung ausgenutzt haben, die ab drei Uhr nachmittags aus Richtung Westen in die Inlandsee Japans gerichtet ist, und mit ihrer Hilfe die Taira in Strömungsrichtung bis zum Einbruch der Nacht verfolgt haben. Die Schiffe der letzteren waren durch Brandpfeile beschädigt. Zudem hatten die Minamoto die Steuermänner besonders intensiv beschossen, so daß die Schiffe in der schwellenden Flut kaum noch manövrierfähig waren und unaufhaltsam gegen die Riffe getrieben wurden. Sicher ist, daß Yoshitsune eine für den Ausgang der Schlacht erstrangige Rolle spielte. Er ließ Yoritomo unverzüglich Nachricht von dem triumphalen Sieg zukommen und sandte den heiligen Spiegel und das kaiserliche Siegel nach Kyôto. Das heilige Schwert hingegen war für immer verloren.

Yoshitsune folgte den Boten auf dem Fuße. Sein Ansehen und seine Beliebtheit überstiegen jedes Maß. So zog er seinem Bruder entgegen, nicht ahnend, daß die Eifersucht diesen bereits in seinen erbittertsten Feind verwandelt hatte. Der Sieg von Dan-no-Ura, der dem Klan der Taira den jähen Untergang gebracht hatte, sollte den Höhepunkt der strahlenden militärischen Laufbahn Yoshitsunes darstellen.

Die lange Treibjagd

Es dauerte nicht lange, und Yoshitsune begriff endlich, daß er sich den Haß seines Halbbruders eingehandelt hatte, denn Yoritomo machte keinen Hehl aus seiner Feindseligkeit ihm gegenüber. Von dieser Erkenntnis zutiefst niedergeschlagen, zog Yoshitsune sich zurück, und sein Kampfgeist und sein Lebenswille erlahmten. Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf das empfindsame Wesen dieser starken Kriegerpersönlichkeit.

Der erste, der ihn im Stich ließ, war Go-Shirakawa, der Kaiser im Ruhestand, der ihm zunächst seinen Schutz und seine Anerkennung hatte zukommen lassen, doch nun ohne zu zögern Partei für den politisch geschickteren Yoritomo ergriff. Letzterer war mehr denn je dazu entschlossen, dem ihm lästig gewordenen Halbbruder allen Ruhm wieder zu entreißen. In seinem Palast in Kamakura lauschte er dem gehässigen Bericht des Kajiwara-no-Kagetoki, der glücklich darüber war, sich für die Kränkung, die er durch Yoshitsune am Vorabend der Schlacht von Yashima erlitten hatte, rächen zu können. Schon bald machten Verleumdungen die Runde, deren Ziel es war, die Hochachtung, die die Mehrheit der Minamoto-Krieger Yoshitsune entgegenbrachte, zu erschüttern und ihn letztendlich zugrunde zu richten. Man brachte sogar das Gerücht in Umlauf, daß Yoshitsune plane, sich mit seinem Onkel Yukiie zu verbünden, um Kamakura zu erobern.

Yoshitsune beschloß wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Kyôto, sich persönlich zu Yoritomo zu begeben, um ihm zu berichten, wie die Ereignisse sich tatsächlich zugetragen hatten. Auch wollte er ihm die gefangenen Taira, die noch nicht hingerichtet worden waren, ausliefern. Doch in Koshigoe, unweit von Kamakura, übermittelte ihm ein Bote einen Befehl Yoritomos, der besagte, daß die Truppen und auch die Gefangenen ihren Weg fortsetzen sollten, daß es aber Yoshitsune selbst bis auf Widerruf strengstens untersagt sei, die Stadt zu betreten. Er gehorchte. Als ihm nach und nach die Hintergründe für das Verhalten seines Bruders bewußt wurden, verfaßte er einen langen Brief, in dem er ihm die Aufrichtigkeit seiner Absichten und seine tiefe Ergebenheit ihm gegenüber darlegte. Er erinnerte ihn an die gemeinsamen Blutsbande und appellierte an sein Mitgefühl. Dieses »Schreiben aus Koshigoe« gestattet tiefe Einblicke in die Seele dieses Mannes, der über unerschöpfliche Kräfte zu verfügen schien und der auf dem Schlachtfeld ein rücksichtsloser Kämpfer war. Hinter dieser Fassade zeigte sich ein Mensch von großer Unschuld, der den Ränkespielen seiner Gegner mit großer Naivität begegnete. Sein Brief fand kein Gehör, und er mußte sich nach Kyôto zurückbegeben, ohne von seinem Bruder empfangen worden zu sein. Also zog er sich dorthin zurück und verbrachte seine Zeit auf angenehme Weise, doch zum Müßiggang gezwungen, mit der Frau seines Lebens, Shizuka. Eines Tages wurde ihm ein Befehl Yoritomos überbracht, der ihn zum Gouverneur über die weit entfernte Provinz Iyo auf Shikoku ernannte. Doch dann wurde an seiner Stelle ein Verwalter berufen, so daß Yoshitsune weiter in Kyôto blieb.

Wenig später verlangte Yoritomo, daß Yoshitsune ihm seinen Onkel Yu­kiie ausliefere. Yoshitsune täuschte eine Krankheit vor, um dem Befehl nicht nachkommen zu müssen. Der Herr von Kamakura war außer sich vor Wut. Er beschloß, sich seines Halbbruders zu entledigen, der in seinen Augen noch immer ein Hindernis auf dem Weg zur absoluten Macht im Lande darstellte. Er entsandte den Kriegermönch Tosabo Shôshûn und mehrere Dutzend Krieger, damit diese Yoshitsune in seinem Haus in Kyôto ermordeten. Der Angriff fand in einer Nacht statt, doch Benkei und sein kleiner Trupp getreuer Anhänger waren schon seit längerem auf der Hut gewesen, und es gelang ihnen, den Angriff abzuwehren und die Häscher Yoritomos zu erschlagen. Nach diesem Mordversuch gab es für Yoshitsune keine Zweifel mehr an den Intentionen seines Halbbruders. Eine Versöhnung war undenkbar geworden, und in Kyôto war er nicht mehr sicher. Gemeinsam mit Yukiie und einigen Samurai beschloß er, in See zu stechen und zu versuchen, Verbündete zu finden. Das überraschte Yoritomo, der sich bereits Gedanken darüber gemacht hatte, was geschehen wäre, hätte Yoshitsune beschlossen, direkt auf Kamakura zu marschieren. Zweifelsohne hätten sich ihm unterwegs zahlreiche Verbündete angeschlossen. Doch obgleich Yoshitsune zutiefst gekränkt war durch das Verhalten seines Bruders, den er doch stets respektiert hatte, lag ihm der Gedanke fern, selbst zu versuchen, die Oberherrschaft über den Klan der Minamoto zu erstreiten.

Seiner Expedition war kein Glück beschieden. Ein Großteil seiner Flottille wurde durch einen Taifun vernichtet. Zwar überlebten er, seine Frau Shizuka und sein Getreuer Benkei, doch ohne Mitstreiter waren sie gezwungen, ein Leben im Verborgenen zu führen. An jenem Tag begann die größte Menschenjagd in der Geschichte Japans. Yoshitsune wurde für vogelfrei erklärt, und der Bann des Kaiserreiches lag auf ihm.

Zunächst verbargen sich die Flüchtigen in Yamato, später in den Bergen von Yoshino, und schließlich kehrten sie nach Kyôto zurück. Ein landesweiter Suchbefehl wurde ausgegeben, alle Grenzposten des Landes wurden darüber informiert. Man durchsuchte Wohnhäuser und Tempel, und man verpflichtete sogar Priester, Yoshitsune festzunehmen, wenn sie seiner habhaft werden könnten. Die Suche nach dem Untergetauchten wurde für Yoritomo zur Obsession. Doch ein ganzes Jahr lang gelang es den Gesuchten, sich erfolgreich zu verbergen. Aber die Maschen des Netzes wurden immer dichter, und Yo­shi­tsune beschloß, in den Norden des Landes zu gehen, nach Mutsu (Ôshû), wo er Schutz bei Fujiwara Hidehira finden würde, wie bereits in seinen Jugendjahren. Fujiwara war ein naher Verwandter, und er war stark genug, der aufstrebenden Macht aus dem Süden des Landes die Stirn bieten zu können.

Begleitet von Benkei und einer Handvoll tapferer Getreuer, die ihm bis in die Hölle gefolgt wären, begab er sich nach Norden. Seine Frau mußte er jedoch in Kyôto zurücklassen, da sie schwanger war und somit den Strapazen der heimlichen Reise nicht gewachsen gewesen wäre. Kaum hatten sie die Stadt verlassen, begannen die Reiter Yoritomos, sie zu jagen. Immer wieder wurden sie in Kämpfe verwickelt, aus denen sie siegreich, doch mit Verlusten hervorgingen. Ihr kleiner Trupp schmolz dahin wie Schnee in der Sonne. Jeder dieser Siege war nur eine Verlängerung der Galgenfrist, und einer nach dem anderen bezahlten die Begleiter Yoshitsunes für ihre bedingungslose Treue mit ihrem Leben.

Bald war außer Yoshitsune und Benkei nur noch Sato Tadanobu am Leben, der Bruder von Tsuginobu, der sich bei Yashima für seinen Meister aufgeopfert hatte, indem er den für diesen bestimmten Pfeil mit seinem Körper abgefangen hatte. Und auch Tadanobus Ende verdient es, erzählt zu werden. Sato war ein begnadeter Schwertkämpfer, der zu Recht gefürchtet war und dessen Ruf in ganz Kyôto bekannt war. Yoshitsune hatte auf dessen Drängen die Rüstung mit ihm getauscht und ihm gestattet, zurückzubleiben, um den Verfolgern so lange wie möglich den Weg zu versperren und somit Yoshitsune und Benkei einen wertvollen Vorsprung zu verschaffen. Tadanobu setzte Yoshitsunes Helm auf und verbarg die untere Gesichtshälfte unter seinem menpo39, damit ihn niemand erkennen konnte. Daraufhin verbeugte er sich vor seinem Meister und sagte ihm Lebewohl. Gleich einem unheilbringenden kami40 preschte er der Kolonne der Verfolger entgegen. Da dieser tollkühne Angriff vollkommen unerwartet erfolgte, gelang es ihm, etwa 20 von ihnen den Kopf abzuschlagen, bevor der Reitertrupp sich von seiner Überraschung erholt hatte. Schließlich hatten sie ihn eingekreist, doch unverhofft riß er sein Pferd herum und durchbrach den Kreis seiner Feinde, was noch mehr von ihnen das Leben kostete. Die Reiter Yoritomis verfolgten ihn, den sie für Yoshitsune hielten, doch im Schutz der Dämmerung gelang es ihm, nach Kyôto zu entkommen. Er hoffte, hier neue Kräfte sammeln zu können, um sich später, in Mutsu, Yoshitsune wieder anschließen zu können. In der Stadt angelangt, suchte er Unterschlupf im Haus einer Frau, die er kannte. Doch diese erwies sich als Verräterin, und in der Morgendämmerung hatten zweihundert bewaffnete Männer das Haus umzingelt. Tadanobu, den ein leises Geräusch alarmiert hatte, sprang aus dem Bett, tötete die beiden ersten Samurai, die ins Haus eingedrungen waren und kletterte aufs Dach. Er erkannte sofort, daß er diesmal keine Chance haben würde, zu entkommen. Niemals wieder würden seine Augen die großen Wälder des Nordens erblicken. Überall standen Bogenschützen, bereit, ihre Pfeile abzuschießen, und in den umliegenden Gassen wimmelte es von den Soldaten Yoritomos.

»Bande von Feiglingen!« schrie er, und alle blickten zu ihm hinauf, wie er auf dem Dach stand. »Einen schlafenden Samurai anzugreifen! – Wenn ich es wollte, könnte ich im Kampfe sterben. Und zuvor würden viele von euch den Tod gefunden haben, denn ich würde kämpfen, bis meine Klinge schartig ist. Aber ich will nicht, daß am Ende einer von euch sich eines Tages damit brüsten kann, Sato Tadanobu besiegt zu haben.« Nachdem er diese Worte gerufen hatte, wandte er die Spitze seines Schwertes gegen sich und gab sich den Tod.41

Yoshitsune und Benkei, die sich als Pilgermönche verkleidet hatten, setzten ihren Weg nach Norden fort. Zweifelsohne fanden sie auf ihrer gefährlichen Wanderschaft immer wieder Helfer, vor allem unter den Bonzen und den Kriegermönchen, die sich in der Gegend gut auskannten. In der Geschichte dieser langen Treibjagd auf Yoshitsune tritt mehr und mehr die Persönlichkeit Benkeis in den Vordergrund. Während Yoshitsune zunehmend pessimistischer wurde, erwies sich sein riesenhafter Begleiter als einfallsreich und sprühend vor Energie. Wiederholt war es nur seiner List und seinem Geschick zu verdanken, daß die beiden dem sicheren Tod entkamen. Das bekannteste Beispiel hierfür ist das Passieren von Ataka-no-Seki. Diese Episode ist auch Gegenstand eines nô-Theaterstücks.

Die beiden Männer näherten sich dem Grenzposten von Ataka. Es war offensichtlich, daß dort bereits bekannt war, daß sie als Bettelmönche verkleidet reisten, denn auf einem Brett waren die bereits verwesenden Köpfe mehrerer Mönche, die während der letzten Tage erschlagen worden waren, zur Schau gestellt. Der Anblick war entsetzlich, und der Gedanke an den Tod all der Unschuldigen ließ ihre Herzen schneller schlagen. Doch für die Umkehr war es zu spät, die Wächter hatten sie bereits erblickt und erwarteten sie. Benkei, der in das wollene braune Gewand der Bettelmönche gekleidet war, wechselte einen kurzen Blick mit seinem Meister, der ein Stück hinter ihm ging, verkleidet als Träger seines eigenen Gepäcks, auf dem Kopf einen großen Strohhut, den er tief ins Gesicht gezogen hatte.

»Halt! Wer seid Ihr?«

Benkei hatte seine Antwort bereits parat, und gelassen erwiderte er: »Wir sind zwei Mönche auf der Reise, die ausgesandt wurden, um Geld zu sammeln für den Wiederaufbau des Todai-Tempels.«

»Zeigt mir Euren Auftrag.«

Auch dies hatte Benkei vorausgesehen. Er durchwühlte ein Gepäckstück und zog eine Schriftrolle hervor, welche er ein Stück aufrollte. Er hielt dabei die Arme ausgestreckt vor sich, hatte sich aber so hingestellt, daß der Wächter nicht erkennen konnte, daß das Papier unbeschrieben war. Mit unglaublicher Dreistigkeit begann er mit lauter Stimme im Singsang eine lange Litanei vorzutragen, die von der unglücklichen Geschichte des Todai-Tempels handelte und in die er immer wieder unverständliche Gebetsformeln einflocht. Er tat dies auf solch vollendete Weise, daß der andere geradezu hypnotisiert war. Doch irgendwann war es dem Wächter zuviel und er unterbrach Benkei: »Und der andere?« fragte er, indem er Yoshitsune, der sich zum Vortrag Benkeis mit dem Gesicht nach unten auf den Boden geworfen hatte, mit dem Fuß anstieß. Benkei reagierte unverzüglich und eilte zu ihm, während er rief: »Steh auf! Was soll das schon wieder? Antworte gefälligst dem Herrn Offizier! Ich habe langsam genug von dir und deinen Späßchen!« Mit diesen Worten begann Benkei mit aller Kraft auf Yoshitsune einzuprügeln. Der Offizier lachte, als er das Schauspiel sah. Dieser arme Teufel, der sich verprügelt wie ein Hund im Staub wälzte, konnte unmöglich Yoshitsune, der Bruder des großen Yoritomo sein. Kein Diener hätte je gewagt, seinen Meister auf solche Art zu erniedrigen. Er gab ihnen ein Zeichen, daß sie ihres Weges ziehen konnten.

Ein Stück weiter, hinter der ersten Wegbiegung, fiel Benkei auf die Knie, brach in Tränen aus und flehte seinen Meister um Vergebung an. Yoshitsune hieß ihn, sich zu erheben und dankte ihm von Herzen für seine ausgezeichnete Geistesgegenwart.

Schließlich, Ende 1187, erreichten sie die Provinz Mutsu. Hier, weit entfernt von Kyôto, lag das Lehen des Fujiwara Hidehira, eine rauhe Gegend. Sein Herrschaftsgebiet, dessen Hauptstadt Hiraizumi war, stellte die letzte Bastion gegen die Vorherrschaft von Kamakura dar, und er war nicht gewillt, Yoritomo den Treueid zu leisten. Er konnte sich auf hervorragende Krieger verlassen, die in seinen Diensten standen. Yoshitsune und Benkei wurden mit offenen Armen empfangen. Sie fühlten sich endlich in Sicherheit bei diesem großen Lehnsherren des Nordens, der ihnen eine Unterkunft nahe des Flusses Koromo bauen ließ.

Der Beginn der Legende

Hidehira, der Herr von Hiraizumi, hatte zu jener Zeit das für die damalige Epoche seltene Alter von 91 Jahren erreicht. Schon bald, nachdem er Yoshitsune und Benkei bei sich aufgenommen hatte, starb er. Vor seinem Tode hatte er von seinem Sohn Yasuhira verlangt, daß er das Wort, das er den beiden gegeben hatte, respektieren solle. Als Yoritomo vom Tode Hidehiras erfuhr, entsandte er einen Boten nach Mutsu. Dieser überbrachte die Botschaft, daß Yoritomo Yasuhiras Lehen verschonen würde, wenn er ihm Yoshitsune auslieferte. Yasuhira erblickte hierin seine große Chance. Er hielt die Idee, den für vogelfrei Erklärten weiter zu unterstützen, für höchst unvernünftig und wollte lieber auf die Vorteile, die ein Bündnis mit Kamakura bringen würde, spekulieren. Er entschied sich also, die Seiten zu wechseln und die Verpflichtung seines Vaters zu verraten. Er würde Yoritomo den Kopf Yoshitsunes liefern.

Im April 1189 ereignete sich das, was übertriebenerweise als Schlacht am Koromo-gawa bezeichnet wird. Tatsächlich fand sich Yoshitsune, in dessen Begleitung sich außer Benkei noch neun weitere Krieger befanden, von einer Streitmacht von nicht weniger als 20 000 Kämpfern umzingelt. Die Tatsache, daß er seinen Feinden offenbar so viel Furcht einflößte, brachte ihn fast zum Lachen. Aber er besann sich und begriff, daß die Zeit gekommen war, sich auf den Tod vorzubereiten. Ein letztes Mal versammelte er seine tapferen Männer um sich, bevor sie sich in den Kampf stürzten. Die Gewißheit ihres unmittelbar bevorstehenden Todes verzehnfachte ihre Kräfte, und sie beflügelte der Wille, so viele Verräter wie nur möglich mit in den Tod zu nehmen. Keiner ihrer Schläge verfehlte sein Ziel, und bald schon häuften sich die Leichen ihrer Gegner um sie herum. Die Leute von Fujiwara Yasuhira erkannten, daß sie im Nahkampf diese Gegner nicht besiegen würden und beschlossen, sie aus sicherer Entfernung mit ihren Pfeilen zu töten. Yoshitsune und Benkei fanden sich plötzlich allein auf dem Schlachtfeld wieder. Yoshitsune ergriff die Gelegenheit, seinen letzten Getreuen zu bitten, dafür zu sorgen, daß er sich in ihr kleines Haus zurückziehen könne, um dort in aller Würde seinen rituellen seppuku begehen zu können. Diese Anweisung bedeutete zugleich das Lebewohl des Meisters gegenüber seinem treuen Diener. Die beiden Helden wollten sich die rührselige Banalität irgendwelcher letzter Worte ersparen. Sie blickten einander ein letztes Mal mit größter Intensität in die Augen, und sie begriffen, daß sie am Ende ihres Weges angelangt waren. Unwiderruflich.

Benkei stand nun allein den lärmenden Gegnern gegenüber. Noch einmal verwandelte er sich in einen wahren Dämon und hieb mit naginata und katana auf alles, was sich in seiner Reichweite befand, ein, auf Menschen und Pferde. Seine Rüstung war von Pfeilen übersät, und etliche Pfeile hatten sie bereits durchschlagen, doch während er den Hieben der Gegner auswich und zugleich selbst den Tod verbreitete, schien er unverwundbar zu sein. Es war ein wahrer Todestanz. Der Kreis um ihn wurde enger, aber niemand wagte, sich ihm weiter zu nähern. Tatsächlich war Benkei jedoch bereits stehend gestorben, auf seine Lanze gestützt. Doch die Furcht ließ die Reiter wie versteinert auf den Riesen starren. Es herrschte eine große Stille. Endlich versetzte einer von ihnen sein Pferd in Trab und ritt an Benkei vorüber, wobei er ihn seitlich berührte. Benkei schwankte leicht und stürzte dann, sich durch den Impuls des Stoßes um die eigene Achse drehend, zu Boden. Das laute Scheppern der Rüstung durchbrach die Stille. Nach einem letzten ungläubigen Zögern näherten sich die Krieger, um ihm den Kopf abzutrennen.

Unterdessen hatte Yoshitsune in seinem Haus, unterstützt durch den Samurai Kanefusa, Selbstmord begangen. Kanefusa setzte daraufhin das Haus in Brand und stürzte sich in die Flammen. Es gelang den Gegnern jedoch, den Körper Yoshitsunes aus den Flammen zu retten. Man enthauptete seinen Leichnam und legte seinen Kopf in ein mit Reisschnaps gefülltes Gefäß, um ihn Yoritomo zu schicken.

Um den Tod Yoshitsunes ranken sich verschiedene Legenden. So wird behauptet, daß das Haupt, das nach Kamakura geschickt wurde, nicht Yoshitsunes gewesen sei und daß, als das Gefäß Yoritomo erreichte, der Zustand des Kopfes es nicht mehr erlaubte, ihn eindeutig zu identifizieren. Andere Legenden erzählen davon, daß es Yoshitsune und Benkei in Wahrheit noch einmal gelungen sei, zu entkommen und daß Yoshitsune später unter dem Namen Gikyô-dai-myôjin König der Ainu auf der großen Insel Ezo (Hokkaidô) geworden sei. Selbst eine Geschichte, die besagte, daß er nach China entkommen sei, wo niemand geringeres als der berühmte Dschingis Khan, der »Blaue Wolf«, aus ihm geworden sei, wurde erzählt.

Der Verrat blieb auch dem Verräter Fujiwara Yasuhira nicht erspart. Yoritomo, der natürlich nicht einen Moment daran gedacht hatte, dem neuen Lehnsherren von Mutsu seine Unabhängigkeit zu lassen, entsandte eine starke Armee gegen ihn. Fujiwaras Truppen wurden geschlagen. Er selbst versuchte nach Ezo entkommen, doch einer seiner eigenen Offiziere ermordete ihn.


Minamoto-no-Yoritomo. Seidenmalerei aus dem 12. Jahrhundert.

Auch die schöne Shizuka wurde verraten und nach Kamakura ausgeliefert, gemeinsam mit dem Sohn Yoshitsunes, den sie zur Welt gebracht hatte. Die Häscher Yoritomos brachten das Kind unverzüglich um, indem sie es gegen die Klippen der Bucht von Yuigahama schmetterten.

Shizuka erwies sich als würdige Frau eines Samurai. Man zwang sie, die eine hervorragende Tänzerin war, in Gegenwart Yoritomos und anderer Edler im Tempel des Kriegsgottes Hachiman zu tanzen. Sie nutzte die Gelegenheit zu einem langen Klagelied über ihre Liebe zu Yoshitsune. Doch trotz dieser Beleidigung blieb sie verschont, da Yoritomos Frau sich für sie einsetzte. Sie starb ein Jahr später, nachdem sie sich von der Welt zurückgezogen hatte. Das übergroße Unglück hatte ihr das Herz gebrochen.

Yoritomo, dem Sieger, gelang es, das Land zu vereinigen und seinen Vorstellungen gemäß zu zentralisieren. Im Jahre 1192 nahm er in Kamakura den Titel Seii Taishôgun, »Generalissimus gegen die Barbaren«, an. Der Gründer des Bakufu42, ein kaltherziger, berechnender und politisch denkender Mensch, war vor nichts zurückgeschreckt, um die höchste Macht im Lande zu erlangen. Wie Bauern auf dem Schachbrett hatte er jedermann gegeneinander ausgespielt. Es heißt jedoch, daß seine Gefühlsarmut dazu führte, daß er von Alpträumen heimgesucht wurde. Im Jahre 1199, im Alter von 53 Jahren, stürzte er vom Pferd und starb an den Folgen seiner Verletzungen. Man raunte sich zu, daß das Pferd des übermächtigen Shôguns vor der plötzlichen Erscheinung des Geistes des schmachvoll verratenen jüngeren Bruders gescheut habe, und daß dies eine letzte Geste Yoshitsunes und Benkeis aus dem Jenseits gewesen sei.

Der junge Minamoto-no-Yoshitsune und sein ergebener Diener, der riesenhafte Kriegermönch Benkei, sind aus dem Epos über die ersten Samurai noch heute die beliebtesten Helden. Niemand verkörperte das Starke und das Reine dieser Krieger so wie sie. Ihr tragisches Epos ist unserem Rolandslied nicht unähnlich. Wie durch einen romantischen Nebelschleier hindurch dringt aus ihrer Geschichte das Schöne und das Große, aber auch das Anrührende zu uns, die Tugenden des alten bushidô in ihrer reinsten Form. Yoshitsune war intelligent und ungestüm, von Idealen beseelt. Er vereinte die Stärke des Kämpfers und die Zerbrechlichkeit des aufrechten Mannes, der am Ende von widrigem Schicksal zu Boden geworfen wird. Yoshitsune zählte erst 31 Jahre, als er traurig und schicksalsergeben starb. Aber sein kurzes Leben war intensiv und erfüllt, geprägt von klarer Bestimmung, flüchtig und schön wie die Kirschblüte. Yoshitsune und Benkei erlangten durch ihren beispielhaften Tod unvergänglichen Ruhm. Ihre Taten sind häufiger Gegenstand von Märchen, Gedichten, volkstümlichen Erzählungen, nô- und kabuki-Theaterstücken oder auch von Holzschnitten, als die jedes anderen Helden der japanischen Geschichte.


»Sieben Leben, um dem Kaiser zu dienen.«

1 914,22 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
555 стр. 110 иллюстраций
ISBN:
9783938305508
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