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Ich – Mich – Mein

Nachdem wir den Ortswechsel der Geburt zwar sicher nicht ohne Schaden aber doch überlebt haben und bevor wir an den Ohren hochgezogen werden, beginnt unser göttliches Dasein. An das wir uns aber leider nicht erinnern können. Erinnern Sie sich an Ihre Kindheit, wann und wo tauchen erste Bilder auf? Meine Erinnerungen beginnen sehr verschwommen, im Alter von drei oder vier Jahren, vielleicht auch etwas früher, ich kann mich leider nicht erinnern.

Die Zeit davor ist aber ersatzlos gestrichen, sie ist weg und das, obwohl ich da war. Es gibt sehr peinliche Beweisfotos aus dieser Zeit. Offenbar war dies die Zeit, in der unser Gehirn noch anders funktionierte. Es lernte ständig, arbeitete pausenlos, ohne auch nur einen Moment über »das Leben« nachzudenken, ohne auf eine bessere Zukunft zu hoffen, ohne sich über die Vergangenheit zu ärgern und ohne Angst um sein Hab und Gut zu haben. Wir beide lebten einfach nur. Aber bald widerfährt dem kleinen göttlichen Wesen etwas Dramatisches und für die weitere Lebensgeschichte Entscheidendes. Eines Tages beugt sich jemand über den Kinderwagen:

»Nau wem ham wir denn da? Wer is denn des? Wer schaut denn da? Is des da Kevin, ha? Der Kevin is des, gel? Is er eh brav, der Kevin?«

Leider doch kein Gott geworden, sondern schlicht und einfach nur Kevin. Was für eine niederschmetternde Erkenntnis.

Mit seinem Namen, in diesem Fall Kevin, bekommt das kleine Leben sein ICH, damit auch ein MICH und vor allen Dingen ein MEIN. Dieses Mein wird nun in weiterer Folge viel Leid in das eigene aber auch in das »Leben« der anderen bringen. Von nun an ist das Spielzeugauto nicht nur ein Spielzeugauto. Von nun an ist es mein Spielzeugauto. Es ist meine Schokolade. Es ist immer noch meine Entscheidung, jedenfalls ist das meine Meinung. Übrigens ist die steile Braut dort drüben meine Frau, der Betrunkene an der Bar ist leider mein Mann. Das gilt übrigens auch dann, wenn man nicht Kevin heißt. Wie heißen eigentlich Sie? Nehmen Sie einen Stift zur Hand und tragen Sie Ihren Namen an der markierten Stelle ein.

Dieses Buch gehört:

Damit auch alle wissen, dass das IHR Buch ist.

Kapitel 3 – Heranwachsen
Erfahrung = Erkenntnis

Mit dem Ende unseres göttlichen Daseins beginnt nun der sogenannte Ernst des Lebens und damit ein langes Warten. Warten darauf, dass es in der Zukunft einmal anders, vielleicht sogar besser wird. Die Zukunft ist die Vorstellung davon, wie sich meine Lebensgeschichte gestalten soll, sie ist ein leerer Rucksack, den das ICH, gleichzeitig mit seinem Namen, für seine Reise umgeschnallt bekommt.

Es ist jener Rucksack, den ICH nun nach und nach mit MEINER Lebensgeschichte befüllen werde, um ihn dann in einer hoffentlich fernen Zukunft wieder gemeinsam mit dem Löffel abzugeben. Das Erste, was für den Rucksack gesammelt werden muss, sind Erfahrungen, denn jedes lebende System, egal ob Einzeller oder Mensch (wobei der Mensch möglicherweise selbst nichts anderes als eine Ansammlung von lustigen Einzellern ist – dazu aber mehr im dritten Buch), kann sich nur durch äußere Erfahrung weiterentwickeln. Es sind äußere Erfahrungen, welche die Verschaltungen in unserem Gehirn bilden und damit wichtige Bausteine unserer Programmierung sind. Das war auch beim Neandertaler so. Das Erste, was er zu lernen hatte, war die direkte Verbindung von Sehen und Handeln:

»Ui, Säbelzahntiger … laufen, schnell laufen und sofort laufen!« Am besten noch bevor einen der Säbelzahntiger gesehen hat und sein Gehirn ebenfalls eine Verbindung von Sehen und Handeln aufbaut: »Beute – jagen – fressen!« Der direkte Zusammenhang von Sehen und Handeln ist uns heute etwas verloren gegangen. Etwas zu sehen, es zu erkennen, bedeutet nicht zwangsweise zu handeln. Da heißt es zuerst einmal zu überlegen, wie man in solch einer Situation handeln sollte. Oder darüber nachzudenken, ob man jemanden kennt, der einem sagen könnte, ob es gut wäre, so zu handeln, wie man glaubt, dass man nun eigentlich handeln sollte. Oder lieber gar nicht handeln, denn wer nicht handelt, der kann wenigstens nichts falsch machen. Gar nicht so selten heißt etwas zu erkennen aber auch einfach nur, in weiterer Folge trotzdem oder justament falsch zu handeln.

Aber aus Erfahrungen lernt man ja. Wenn, wie in diesem Fall, schon nicht selbst, dann wenigstens zukünftige Generationen. Und weil wir ständig dazulernen, wird die Welt, in der wir leben, auch immer besser und besser. Einmal Krieg, nie wieder Krieg. Einmal Finanzkrise, nie wieder Finanzkrise. Einmal Tschernobyl, nie wieder Fukushima. Jede Erfahrung bedeutet eine Erkenntnis, das kann man ja wunderbar an sich selbst beobachten. Haben Sie in Ihrer Jugend des Öfteren eine Torheit begangen? Haben Sie etwa fallweise mit Drogen experimentiert? Nein! Nicht einmal mit Alkohol?

»Na ja, Alkohol ist ja keine Droge in dem Sinn. Alkohol ist lediglich ein Narkotikum, aber keine Droge und außerdem legal. Daher hat das auch nichts mit Drogenkonsum zu tun. Alkohol ist eher so eine Form von Geselligkeit, auch ein Teil unserer Kultur. Wirtshauskultur zum Beispiel. Alkohol ist sozial, denn er bringt uns manchmal näher und er ist gut gegen den Durst. Na ja, und ab und zu so ein leichtes »Damenspitzerl« hat noch niemandem wirklich geschadet.«

ICH sehe das etwas anders und gestehe hiermit öffentlich: Ja, ich habe in meiner Jugend mit Drogen experimentiert. Meinen ersten Vollrausch, ich war damals 14 oder 15, habe ich mir mit Ribiselwein angetrunken. Wie es einem nach einem Liter »Adabei« geht, brauch’ ich Ihnen wohl nicht zu erzählen. Ich hatte mich regelrecht vernichtet und wollte am WC über der Muschel versterben, musste mir den ganzen Fruchtwein noch einmal in aller Ruhe und ohne dabei gestört zu werden, stundenlang durch den Kopf gehen lassen. Ich bekomme heute noch die Gänsehaut, eine leichte Übelkeit macht sich in mir breit, wenn ich an die Stunden am Gangklo denke. Fertig mit mir und der Welt, dieser scharfe Geruch von Säure, Frucht und Fäulnis, dieses Pochen im Kopf, schubweise Schweißausbrüche, über der Muschel kniend, weil die Beine nicht mehr tragen wollen, alle Schleusen des Körpers weit geöffnet, zum Himmel flehend um Erlösung … schrecklich! Kennen Sie das, sind ähnliche Erinnerungen auch Teil Ihres Erfahrungsschatzes und in Ihrem emotionalen Gedächtnis, also jeder Zelle Ihres Körpers abgespeichert? Ja? Das ist gut, denn wenn man ein einziges Mal diese Erfahrung gemacht hat, erkannt hat, was Alkohol aus einem macht, die verzweifelten Entgiftungsversuche des Körpers durchlebt hat, gespürt hat, wie die Organe belastet und geschädigt werden, dann wird man nie wieder in seinem Leben Alkohol zu sich nehmen. Erfahrung ist eben gleich Erkenntnis.

So verhielte es sich wohl, wenn wir noch Neandertaler wären oder Fadenwürmer. Nachdem wir aber die »weisen Menschen« sind, schaltet sich bei uns der Verstand ein und sagt zu uns:

»Des muaß ge!!!!«


Nein, das geht nie. Gift ohne Entgiftung bleibt nichts als ein frommer Wunsch. Obwohl es durchaus Menschen gibt, und davon gar nicht so wenig, die saufen, und es geht ihnen gut damit. Dafür geht es diesen Menschen nicht so gut, wenn sie nicht saufen. Manchmal scheint es mir, als wäre das sogar eine stille Mehrheit, denn der Drogenhandel an Orten mit aber auch ohne Wirtshauskultur blüht nach wie vor. Raucher raus, Säufer rein! Zum Wohle und Schutz der Allgemeinheit. Jetzt unter uns, wie ist das bei Ihnen so? Also ich trinke Alkohol, regelmäßig, wenn ich so nachdenke, fast täglich, aber halte mich dabei an Paracelsus: »Die Dosis macht das Gift.« Ja, ja – Wasser predigen, aber G’spritzte trinken!

Weil dieses Erfahrungs-Erkenntnisprinzip bei uns nicht mehr so gut funktioniert, hat der moderne Mensch ein Instrument erfunden, das dem Kind die eigenen, oft mühsamen Erfahrungen erspart und ihm das Wissen einer ganzen Zivilisation offenbart oder besser gesagt aufzwingt: die Erziehung.

Sie ist eine von der Gesellschaft anerkannte, staatlich geförderte Foltermethode, mit der man das eigene Unglück oft nicht bewusst und in böser Absicht, aber doch höchst erfolgreich an die Kinder weitergibt, oftmals eine Falschprogrammierung und damit der erste Schritt, um aus einem glücklichen, göttlichen Leben einen verletzten, verbitterten und zornigen »alten Trottel« zu machen. So früh wie möglich mischt sich in unsere Erziehung auch die Bildung. Staatliche und private Institutionen machen sich bereits im zarten Kindesalter an uns heran, um uns zu bilden, uns in ihrem Sinn zu formen und uns mit Wissen zu überhäufen. Das ist für uns und unsere Kinder Normalität. Die Mehrheit spielt da mit, stimmts, Herr Prehsler?

Was Prehsler gesagt hat, tut hier nichts zur Sache

Nicht nur, dass man mitspielt, weil man muss, man heißt das auch noch gut. Wir machen auf heile Familie und grinsen uns durch die Nachbarschaft. Alles ist so adrett – so adrett ist alles. Jaja. Nur Schande dürfen uns die Kinder nicht machen. Ja, und dann haben wir auch dieses Phänomen, das seit 17 Generationen in unserer Familie nur Deppen – bei den Kaisern und Königen sind das übrigens die Gütigen – vorgekommen sind und jetzt haben wir wieder alle sooooo gehofft und jetzt ist das Kind wieder genauso blöd wie wir selbst. Familientragödie! Falsche Gene weitergegeben. Pech gehabt.

Als eines meiner Kinder in die erste Klasse Volksschule ging, war ich einmal bei einem Elternabend (damals einziger Vater unter lauter Müttern). Da sitzt also so eine Misses Sauberfrau und glorreicher Mittelstand und – weil sie das offensichtlich für ihren Selbstwert gebraucht hat – gibt Folgendes zum Besten: »Also wenn meine Tochter von der Schule heimkommt, dann setzen wir uns zusammen in unser Stiegenhaus – weil wir haben ein großes Haus – und dann prüfe ich sie, und bei jeder richtigen Antwort setzen wir uns eine Treppe höher und bei jeder falschen Antwort eine weiter runter!«

Wie bitte?

»Ja, manchmal dauert das dann schon so an die drei Stunden.« Da gab es dann noch zwei, drei Muttis, die das für eine gaaaaaaaaaaaanz tolle Idee hielten und »Ich werde das auch ausprobieren!« ausriefen.

Und mir war ganz schlecht. Und gesagt habe ich auch etwas. Das tut aber hier nichts zur Sache.

Ein sechs-, siebenjähriges Kind verbringt die Zeit seines Erblühens mit seiner gestörten, neurotisierten Mutter im Stiegenhaus. Und draußen warten die Freunde, die Wiese, der Wald, ein Ball, der Schnee, das Vogelhäuschen – und drinnen wartet dieses wunderschöne Buntpapier und die Schere und die Puppe, und der Bruder möchte Memory spielen und das kuschelige Sofa blinzelt rüber und die Katze schnurrt auch schon dort.

Das war damals.

Heute erzählt mir ein guter Freund, dass er jedes Wochenende mit seinem Sohn lernt. Der Sohn geht in die erste Klasse einer doch besseren, privaten Mittelschule mit Öffentlichkeitsrecht. Mein Freund findet das für die Vater-Sohn-Beziehung total befruchtend und ist darüber hinaus stolz, dass sein Kind das einzige Kind in der Klasse ist, das keine Nachhilfe braucht. Ja, der Leistungsdruck ist schon enorm. Und wird immer mehr.

Wir schreiben da über Elfjährige.

Wie werden die sein, wenn die dann die 20 erreicht haben. Oder mit 30 und 40? Na klar! Gut werden sie sein, Topverdiener, Opinionleader, immer auf Vollgas …

Lieber Leser, liebe Leserin, was sagst du dazu?

Ahso, ja, der Wettbewerb. Man kann ja nicht anders, wenn die anderen auch nicht können. Ich war gerade in Windsor, die Queen besuchen. Windsor liegt an der Themse, und auf der anderen Seite der Themse liegt Eton. Eine der großen Eliteschmieden für 13-bis 18-Jährige. Schulgeld pro Jahr circa 50.000 Euro, da ist Musik und Sport aber noch nicht dabei. Nach Eton geht es dann nach Oxford, Cambridge oder Harvard. Wir haben viele Araber, Inder und andere Asiaten gesehen. Interessanterweise haben die alle sehr gelöst gewirkt. Kein Wunder, die haben den Wettbewerb ja schon gewonnen. Da wird auch die beste Nachhilfe nicht helfen.

Ob die Eliteschüler letztendlich wirklich gewonnen haben, Herr Prehsler?

Den Prolog und die erste Etappe sicher.

Aber so ein Rennen dauert ja länger, eine kleine Unachtsamkeit und das Rennen ist gelaufen. Danke Herr Prehsler, und wenn Sie das nächste Mal in Windsor sind, dann lassen Sie mir die Queen herzlich grüßen.

Das mach ich gerne.

Wissen und Weisheit

Wer hat nun den heranwachsenden Neandertaler erzogen und gebildet? Möglicherweise niemand, zumindest einmal kein Erziehungsberechtigter oder Lehrer. Aber wenn der Neandertaler nicht gebildet wurde, woher hatte er dann sein Wissen? Er hatte schlichtweg kein Wissen, Wissen wäre für ihn eine Belastung gewesen. Auch wenn Sie mich für weltfremd halten: Die Neandertaler haben nichts gewusst! Aber wie kann man ohne Wissen überleben? Mit Hilfe von Weisheit. Wissen und Weisheit werden oft und gerne verwechselt. Natürlich ist es toll, wenn man viel weiß, das schützt aber nicht vor Dummheit. Es gibt bekanntlich sehr gebildete Menschen, die sprechen sechs Sprachen fließend, sind aber in sechs Sprachen strohdumm. Was nicht heißt, dass jeder, der mehrere Sprachen spricht, dumm ist. Klug und weise zu handeln und sich dabei in vielen Sprachen ausdrücken zu können, das muss schon großartig sein.

Woher erhielt aber der heranwachsende Neandertaler nun seine Weisheit? Ganz einfach: Er lebte das nach, was ihm die Erwachsenen vorlebten. Das ist ein sehr einfaches Prinzip und funktioniert wunderbar. Wir haben andere Prinzipien. Wir sagen unseren Kindern etwas vor, und das ist bekanntlich oft nicht das, was wir ihnen vorleben. Dazu ein Ausschnitt aus einem Kurzfilm.

Nichtraucherkampagne

Drehbuch für einen kurzen Kurzfilm

Personen:

Der VATER

Der SOHN

Ort:

Elterliches Auto

Aufblende

Der VATER sitzt am Steuer, daneben am Beifahrersitz sein zwölfähriger sohn. Der Vater betätigt den Zigarettenanzünder, versucht mit einer Hand eine Zigarette aus der verschlossenen Zigarettenschachtel zu nehmen. Nach einigen misslungenen Versuchen drückt er dem Sohn die Zigarettenschachtel in die Hand.

VATER

»Geh, ich hab’ keine Hand frei. Zünd mir du g’schwind einen Tschick an.«

Der Sohn holt eine Zigarette aus dem Päckchen, steckt sie sich in den Mund, greift nach dem glühenden Zigarettenanzünder und zündet die Zigarette an. Nimmt einen Zug, atmet aus, ohne zu husten und überreicht die brennende Zigarette seinem Vater. Der Vater nimmt ebenfalls einen tiefen Zug und wendet sich an seinen Sohn.

VATER

»Rauchst du?«

SOHN

»Nein.«

VATER

»Aber so wie es ausgschaut hat, war das nicht die erste, die du dir angheizt hast, oder?«

SOHN

(verlegen und ertappt)

»Oja.«

VATER

(streng)

»Ich bin nicht so blöd, wie ich ausschau’. Ich sag’s dir im Guten, wenn ich dich einmal mit einer Tschick erwisch’, rauscht’s im Blätterwald.«

Der Vater nimmt wieder einen tiefen, kräftigen Zug.

VATER

»Ich riech’ das auf einen Kilometer, wenn du geraucht hast.«

SOHN

»Ich rauch’ ja net.«

VATER

»Ich sag’s dir nur, fang nicht mit dem Blödsinn an. Das ist ungesund. Das steht alles am Packl drauf. Lebensgefahr, Krebs, Tod. Da, les amoi.«

SOHN

(liest)

»Koureni skodi zdravi. Was heißt das?«

VATER

»Weiß ich doch nicht. Aber sicher nichts Gutes. Das ist tschechisch.«

SOHN

»Wieso tschechisch?«

VATER

»Weil sie dort billiger sind, die Tschick.«

Der Vater nimmt wieder einen genüsslichen Zug.

Abblende

Mit der Zigarette in der Hand den Sprössling auf die Gefahren des Rauchens hinzuweisen, muss in einem sich im Bildungsprozess befindlichen Gehirn zwangsläufig zum Kurzschluss und damit zum Systemabsturz führen.

Was aber nicht heißt, dass der kleine Neandertaler tun und lassen konnte, was er wollte. Ganz im Gegenteil. Sein Lehrmeister war die Natur, und die Gesetzte der Natur musste er ohne wenn und aber befolgen. Sonst hätte es »gescheppert«, und das aber so richtig. Das elegante Umgehen von Naturgesetzen war da nicht möglich und wurde im schlimmsten Fall mit dem Tode bestraft, indem man als kleines Säbelzahntigermenü ein unschönes Ende fand. Das klingt natürlich, aus unserer Sicht, ganz schön hart und unbarmherzig. Aber für Geist und Seele macht es einen sehr großen Unterschied, ob ich nicht Ski fahren gehen kann, weil ganz einfach kein Schnee ist, oder ob ich an einem wunderbaren Wintertag, blauer Himmel und Pulverschnee nicht Ski fahren gehen kann, weil ein Erziehungsberechtigter zu mir sagt: »Heut wird net Ski gfoahn.« »Wieso?« »Weu is sog!«

Das macht zornig, das macht böse. Auf »kein Schnee« kann man nicht böse sein. Es sei denn, man ist verhaltensgestört, dann kann man natürlich auch auf das Wetter böse sein.

Etwas, das der Neandertaler auch nicht kannte, war der klassische Konflikt der Generationen. Das ist logisch, denn es handelte sich um einen Zeitraum von grob 100.000 Jahren, in denen sich nichts geändert hat, außer das Wetter. Da damals gestern zugleich heute war, hatten die ewig Gestrigen im Unterschied zu heute einfach recht und den typischen »alten Trottel« hat es damals nicht gegeben, denn wenn einer ein Trottel war, dann wurde der nicht alt.

Heute hingegen kann es ja ein Trottel relativ weit bringen. Man muss ja nicht besonders klug sein, um ein mächtiger Mann oder eine mächtige Frau in der Politik oder in der Wirtschaft zu sein. Da reicht es, wenn man clever ist und die Kunst des Lügens beherrscht. Das reicht natürlich nicht. Man braucht dann auch die, die sich gerne anlügen lassen. Bioroboter und brave Systemtrottel, die mit all den Lügen ganz gut leben können, weil wir von unseren Erziehungsberechtigten gelernt haben, Lügen und Angelogen-Werden als normal zu betrachten.

»Iss, damit du einmal groß und stark wirst« sollte heißen: »Iss, damit du einmal fett und unansehnlich wirst.«

»Ein Indianer kennt keinen Schmerz.« Woher auch sollten die Indianer Schmerzen kennen, nicht?

»Bis du heiratest, ist alles wieder gut.« Eigentlich fangt es da oft erst an.

»Das ist kein Kinderfilm, das ist ein Film für Erwachsene.« Damit meint man Filme mit Nackerten oder mit Mord und Totschlag oder eine gelungene Kombination daraus: Nackerte, die sich gegenseitig totschlagen. Stimmt, das sind keine Filme für Kinder, aber das sind auch keine Filme für erwachsene Menschen. Das sind Filme für ausgewachsene Raubaffen.

»Liebes Kind, wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Schreib dir das hinter die Ohren.« Abgesehen von der Tatsache, dass es gar nicht so leicht ist, sich selbst etwas hinter die Ohren zu schreiben und dass man es dann, wenn es endlich hinter den Ohren steht, gar nicht gut lesen kann, hat in diesem Fall der Erziehungsberechtigte ja nicht unrecht. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, richtig sollte es heißen: »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, aber wer immer lügt, dem glauben Millionen.« Dafür gibt’s in der Geschichte ja viele Beispiele.

Eine der Lügen, die wir alle schon mal gehört haben, lautet:

Du lernst nicht für die Schule, …

… sondern du lernst fürs Leben. Und jetzt erinnern Sie sich einmal kurz an Ihre Schulzeit. Was von all den Dingen, die man Ihnen damals eintrichtern wollte, hat dann in weiterer Folge in Ihrem Leben eine Bedeutung bekommen, hat sie in Ihrer menschlichen Entwicklung weitergebracht und was war definitiv für den Mistkübel. Denken Sie nur an die »Bürgschaft«. Schwarze Punkterln auf weißem Papier in der richtigen Reihenfolge gemerkt, war damals ein Einser. Das Verstehen des Inhalts Nebensache, ihn zu hinterfragen war unerwünscht. Ganz ehrlich: Ist Nachplappern und Auswendiglernen ein Zeichen von Intelligenz oder doch eher von Blödheit? Was sagen Sie zu Ihren Kindern, wenn sie von der Schule heimkommen?

»Hast du eh brav aufgepasst?«

»Hast du was Gescheites gelernt heute?«

»Hast du viel Hausaufgabe? Zuerst die Aufgabe, dann das Spiel.« »Hast du mir eh keine Schande gemacht?«

»Haben sich die Lehrer eh nicht mit dir ärgern müssen?«

oder fragen Sie:

»Hast du heute in der Schule gute Fragen gestellt?«

Das Problem ist, dass es in der Schule niemanden gibt, der gute Fragen beantworten könnte. Nicht weil Lehrer dumm sind oder dies nicht wollten, sondern weil gute Fragen nicht im Lehrplan stehen. Gewünscht sind richtige Antworten, gute Fragen stören den Unterricht. Und auch Intelligenz ist in der Schule nicht erwünscht. Sie ist rebellisch, stellt Fragen, möchte ihr Leben selbst in die Hand nehmen. In der Schule tut man sich mit Intelligenz oft nichts Gutes. Darum sind die ersten Intelligenzvernichter oftmals auch unsere Erziehungsberechtigten, weil sie es ja nur gut mit uns meinen, denn: »Man soll’s ja im Leben einmal zu etwas bringen.«

Zu was genau? Zu mehr halt. Zumindest zu mehr als die Eltern … und das ist oft nicht wirklich viel außer eben mehr: mehr Schulden, mehr Stress, mehr Streit, mehr seelisches Leid und mehr chronische Krankheit. Dafür aber vielleicht einmal mehr materiellen Wohlstand als die Eltern und im Sport etwas mehr Pokale als der Papa. Was an Intelligenz von unseren Eltern übersehen wurde, wird vom Bildungssystem lückenlos vernichtet. Unser Bildungssystem, das ja ganz laut nach einer großen Reform schreit. Reformen haben etwas Gutes. Alles bleibt beim Alten. Das Wesen wird nicht verändert, bekommt nur einen neuen Anstrich. Sprich: Unser Bildungssystem bekommt eines Tages seine Bildungsreform und bleibt, was es ist. Keine Bildung, sondern eine Ausbildung. Wie der Name sagt, ist es dann aus mit der Bildung. Wenn man mit dieser Aus-Bildung fertig ist, kann man sicher sein, dass es mit der Intelligenz vorbei ist.

Man kann also davon ausgehen, dass der Neandertaler trotz fehlender Bildung überraschend intelligent war, aber natürlich kein Wissensexperte. Aber heißt es nicht immer: »Wissen ist Macht«? Ja, das heißt es, aber ist dies nicht sehr situationsbezogen? Wissen kann doch immer nur dann Macht bedeuten, wenn ich mich mit Menschen umgebe, die weniger wissen als ich, und selbst da ist es keine sichere Sache. Bleiben wir noch kurz beim Beispiel der »Bürgschaft«.

Wenn jetzt zum Beispiel eine attraktive Literaturwissenschaftlerin, beim abendlichen Joggen im Park, vollkommen unerwartet auf einen ihrer Zukünftigen trifft … im konkreten Fall auf ihren zukünftigen Vergewaltiger, der selbst im Polytechnischen Lehrgang kläglich gescheitert ist, wird sie ihr Wissen um den genauen Wortlaut von Schillers Bürgschaft, selbst der fehlerlose Vortrag der wunderbaren Ballade wird sie nicht vor ihrem Peiniger schützen können. Da wäre doch eine in der Bauchtasche vorsorglich aufewahrte Smith&Wesson, in Verbindung mit einem gezielten Schuss in die Eier, deutlich mehr Macht. Die 357 Magnum in den Eiern merkt sich der Übeltäter, ein Leben lang. Die Bürgschaft nicht.

Beginnen Ihre grauen Zellen gerade zu rotieren? Steht das in krassem Widerspruch zu Ihrem Weltbild? Bewaffnete Frauen im Park? Zurück zum Faustrecht? Es kann doch nicht sein, dass alle bewaffnet herumlaufen. Alle nicht, natürlich. Die Staatsgewalt, Gangster und Psychopathen aber schon. Letztlich besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, dass unsere attraktive Literaturwissenschaftlerin die Psychopathin ist und Männer mit dem Vortrag der »Bürgschaft« in ihre Nähe lockt, um sie dann mit der 357er zu liquidieren. Wer weiß schon, was in dem Fall richtig ist? Ich nicht. Und braucht es nicht auch Wissen, um den Revolver zu bedienen? Braucht’s nicht auch Wissen, um diese Schusswaffe zu bauen? Ohne dieses Wissen stünde die Literaturwissenschaftlerin schön blöd da, und sie müsste den Angreifer mit einem beherzten Schlag das Nasenbein von unten ins Gehirn schieben. Natürlich ist der plausibel klingende Satz »Wissen ist Macht« anders gemeint, aber selbst da stimmt er nur bedingt. Wissen gibt das Gefühl von Macht, wenn man sein Wissen jemand anderem erzählen kann, vorzugsweise jemandem, der weniger weiß, denn sonst leidet das Ego. Jemanden, der mehr weiß als man selbst, mit nachgeplappertem Wissen beeindrucken zu wollen, das kann sehr peinlich sein. Ich möchte auch nicht ausschließen, das Sie, mein geschätzter Leser, meine geschätzte Leserin, in vielen Bereichen mehr wissen als ich und Sie manche Aussagen nur ein mitleidiges Lächeln kosten. Apropos Lächeln. Dazu gibt es den wohlbekannten Witz vom Karl aus Gerasdorf und Pamela Anderson gemeinsam auf einer Kreuzfahrt. Ich bin nicht unbedingt jemand, der Witze erzählt, aber in diesem Fall passt es wirklich. Es ist ein alter Witz, der aber sehr viel Wahrheit in sich trägt und meine vorangegangenen Erläuterungen sehr schlüssig auf den Punkt bringt. Noch dazu ist er wirklich sehr, sehr lustig. Zumindest ich habe damals Tränen gelacht, als er mir vor sicher mehr als 20 Jahren von einem lieben Kollegen am Filmset erzählt wurde. Ich nehme an, Sie kennen ihn? Nicht den Kollegen, den Witz vom Karli aus Gerasdorf und der Pamela Anderson. Falls nicht, umso besser, denn dies verleiht meinem Ego das Gefühl von Macht und Überlegenheit. Ich weiß etwas, das du nicht weißt, ha, ha! Sobald ich den Witz niedergeschrieben habe, Sie ihn gelesen und hoffentlich auch verstanden haben, ist meine Macht Geschichte. Nun werden Sie jemanden finden müssen, dem Sie den alten, aber klugen Witz vom Karli und der Pamela erzählen können:

»Servas, wie gehts?«

»Danke, man lebt. Und bei dir?«

»Du, muaß geh. Des neiche Düringabiachl hob i glesen«

»Echt, hot der a neichs Biachl gschriem?«

»Des wast du net?«

»Na, des is an mir vorübergongan.«

Was für ein Gefühl von Überlegenheit für Sie, was für ein Wissensvorsprung.

»Und wia is?«

»Jo eh, oiso net schlecht, a bissl weltfremd hoit.«

»Und wia hasts?«

»Wos?«

»Des Buach vom Düringa.«

»Aso, des hast, wia hast des schnö, na gibt’s des …?«

Jetzt schnell, bevor Ihre Macht sich durch Ihre Unwissenheit in Luft auslöst, der Witz vom Karli und der Pamela, als Zeichen Ihrer Überlegenheit.

»Übrigens, kennst scho den Witz, den vom Karli aus Gerasdorf und der Pamela …«

»Is des der, wo de zwa bei einer Kreuzfoat mitn Schiff untergengan und donn auf aner Insel budern?«

»Jo.«

»Den kenn i scho.«

Scheiße, scheiße, was für eine Niederlage, die Macht ist nun nicht mehr mit Ihnen, sie hat die Seiten gewechselt.

»Und wia hast des Buach vom Düringa jetzt?«

»Ich weiß es nicht.«

Das würde ich als stehend k.o. bezeichnen. Aber wer weiß, vielleicht finden Sie ja auch jemanden, dem Sie den Witz erzählen können, jemanden, der höflichkeitshalber so tut, als würde er diesen alten Witz nicht kennen. Und wenn Sie jetzt sagen, ein Witz ist doch keine Macht, dann muss ich Ihnen entgegenhalten: Ja, ein schlechter Witz nicht, der ist nur peinlich, aber ein guter Witz, wie der vom Karli und der Pamela auf der einsamen Insel, hinter dem eine wirklich große Wahrheit und Weisheit steckt, so ein Witz ist eine spürbare Macht. Aber überzeugen Sie sich doch ganz einfach selbst.

Nun aber zu etwas ganz anderem.

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353 стр. 56 иллюстраций
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9783990011539
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