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Beim neuen ShuBro-Mikrofon, Model 55QFS, wurden die Schallwechseldruckschwingungen in digitale elektromagnetische Wellen umgewandelt und erzeugten keine elektrische Spannungsänderungen mehr, wie herkömmliche Mikrofonsignale. Die digitalen elektromagnetischen Wellen konnten verschlüsselt per Funk über Kilometer übertragen werden, ohne dass sie von Detektoren geortet werden konnten.

Die Idee von Beringer war, die neuen ShuBro-Mikrofone, welche die Größe von Mikrochips hatten, in alle Öffnungssensoren der Alarmanlage einzubauen, bevor sie an jedem Fenster und jeder Tür im Haus der Sommers installiert wurden. So könnte Beringer jeden einzelnen Raum jederzeit unbemerkt abhören.

Durch die rasante politische Karriere Sommers wurde Beringer über die Medien permanent auch über Isabella am Laufenden gehalten. Ob er wollte oder nicht. Der Shootingstar der Politbühne und seine reizende Frau wurden nicht nur von der Boulevardpresse als das Traumpaar der Nation gepriesen. Dass er in der Politik ankam, konnte er noch verstehen. Politik war ein oberflächliches Geschäft, viel reden, nichts sagen, kein Rückgrat, das passte ja wunderbar zusammen. Aber was sie bei ihm wollte, war ihm immer ein Rätsel geblieben. Die Idee mit den ShuBro-Mikrofonen war ihm anfangs eher als Jux eingefallen, mehr in der Art eines Schulbubenstreichs. Er wollte einfach dahinter kommen, was es war, warum sie bei ihm blieb. War es tatsächlich nur das Kind? War es seine Beliebtheit, seine Ausstrahlung? Glaubte sie ihm? Liebte sie ihn? Er wollte es wissen.

Wolf kam von seinem Treffen mit Sommer nach Hause und konnte schon im Flur lautstarkes Werken in seiner Küche vernehmen. Offenbar hatte sie alles vorbereitet, gewartet, bis sie das Garagentor hörte und gerade eben begonnen die Zutaten in die Pfanne zu geben, denn es zischte regelrecht und als er eintrat, war Julia voll konzentriert zugange. Sie hatte grünen Spargel und Frühlingszwiebel blanchiert und briet das Gemüse nun in der Pfanne scharf an. Nach wenigen Minuten kippte sie den Inhalt in eine Schüssel und gab die vorbereiteten Jakobsmuscheln in die Pfanne und würzte kräftig mit verschiedenen Kräutern. „Ist gleich fertig“, rief sie, ohne ihn anzusehen. Er trat neben sie und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Er wollte sie nicht stören. Sie trug ein enges T-Shirt, einen sehr kurzen Rock, schwarze Strümpfe und Doc Martens. An ihr sah das Outfit scharf und keineswegs billig aus. Sie war groß, schlank und hatte eine sehr sportliche Figur. Er schüttelte nur den Kopf und fragte sich, in welcher Kleidung sie wohl nicht attraktiv aussehen würde. Ihm fiel keine ein.

Der Tisch war liebevoll gedeckt. Silberbesteck, Stoffservietten, Wein- und Wassergläser und eine einzelne rote Rose in einer schmalen, sehr dezenten Vase. Er nahm eine Flasche Sancerre aus dem Weinkühlschrank und während er ihnen einschenkte, servierte sie die beiden Teller. Sie setzten sich gemeinsam und als sie ihr Glas hob, sah sie ihn strahlend mit ihren großen dunklen Augen an. „Na mein böser Wolf, hast du denen da draußen gezeigt, wer der Stärkste ist?“ Er fletschte die Zähne und knurrte. Sie prusteten beide los und hätten dabei fast ihren Wein verschüttet. Sie hatte die Gabe, ihn zum Lachen zu bringen, egal, wie mies sein Tag war, oder wie mies die Leute waren, mit denen er Geschäfte machte. Sie lachte aus tiefstem Herzen, und dennoch wussten sie beide, dass es nur eine Ablenkung war, von dem, was später noch kommen würde. Trotzdem liebte er ihr Lachen. Sie war nicht nur hübsch, sondern auch sehr intelligent und für ihre neunzehn Jahre unglaublich weise. Während des Essens unterhielten sie sich über den neuen Joker im Kino mit Joaquin Phoenix und er musste ihr versprechen, ihn noch diesen Monat mit ihr anzusehen. Sie studierte Kunstgeschichte und berichtete über das gerade beendete Semester an der Uni, über ihre Freundin Hanna, nur nicht über ihn. Das Essen war vorzüglich, wovon er immer wieder zwischendurch schwärmte, während sie wie aufgedreht erzählte.

Als sie alles in der Küche versorgt hatten, ging er zum Kamin, schob die Glasscheibe hoch und legte zwei Scheit Buchenholz nach. Es war zwar mitten im Sommer, aber abends wurde es in dem geräumigen Loft an kühleren Tagen doch manchmal etwas frischer. Er setzte sich auf die Couch, sie schenkte ihnen nochmals Wein nach, stellte die Gläser auf dem Tisch ab und setzte sich im Schneidersitz direkt neben ihn. Wolf wusste, sie würden heute nicht viel Schlaf bekommen. Dann schmiegte sie ihren Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Tränen rannen an ihren Wangen herab. Sie weinte lautlos. Jetzt war sie so weit.

Konnte es sein, dass Wolf in diesem Augenblick einen Anflug von Glück verspürte?

Julia war die Tochter von Wolfs Exfrau. Ihre Ehe hielt nur vier Jahre. Er war damals mehr im Flugzeug als zu Hause. Seine Einsätze waren über den ganzen Globus verstreut, und er durfte ihr natürlich nie von seinen Aufträgen berichten. Das war ihr zwar schon vor der Ehe klar, und sie glaubte damit zu Recht zu kommen. Aber es war eben nicht so. Auch er kam nicht damit zurecht und er wünschte, er hätte sich von seinem Beruf getrennt und nicht von ihr. Die Trennung von der damals erst zwölf Jahre alten Julia fiel ihm fast schwerer als die Trennung von ihrer Mutter. Obwohl sie nicht seine eigene Tochter war, und er nur vier Jahre bei den beiden gewohnt hatte, war sie ihm so ans Herz gewachsen wie kein anderer Mensch. Er konnte sich nicht erklären, warum sie eine solch enge Bindung aufgebaut hatten. Zumal er in diesen vier Jahren ohnehin dauernd unterwegs war.

Nach der Scheidung hielten sie den Kontakt zwar aufrecht, aber er war eben sehr selten hier. Er wusste, Julia kam oft nur dann zu ihm, wenn es ihr schlecht ging und Kummer hatte, oder einfach nur Streit mit ihrer Mutter hatte. Als pubertierende Sechzehnjährige vertraute sie ihm einfach alles an, und er konnte sich absolut nicht erklären warum. Vor allem aber war er mit dieser Art von Problemen vollkommen überfordert, auch wenn es sein Beruf war, Probleme zu lösen. Probleme der nationalen Sicherheit, Verhandlungen mit Rebellen oder mit Erpressern von Konzernen, das war sein Geschäft. Damit kannte er sich aus. Er wusste, wie man Aufstände gegen Regime organisierte, die seinen Auftraggebern nicht genehm waren. Er hatte von Piraten besetzte Öltanker ausgelöst. Er wurde gerufen, wenn es heikel und gefährlich war. Und nicht selten musste er unzählige Gesetze übertreten, um zu erreichen, wofür er gesandt wurde. Meist waren seine Missionen diplomatischer Natur und er schreckte auch nicht davor zurück, das Kommando für Sondereinheiten zu übernehmen, um seine Aufgaben brutal zu erledigen, aber die Launen eines pubertierenden Teenagers waren definitiv nicht sein Metier. Trotzdem kam sie zu ihm. Und noch Jahre später tat sie das. Auch heute war sie wieder bei ihm. Die Tatsache, dass Julia litt, zerriss ihm das Herz. Jede Träne war schlimmer als jeder Faustschlag, den er in seinem Leben einstecken musste. Jedes Aufschluchzen war wie eine Schusswunde. Dennoch war er glücklich, dass sie damit zu ihm kam.

Endlich fing sie an zu erzählen. Sie hatte mit Moritz Schluss gemacht. Die beiden hatten sich vor gut zwei Jahren auf der Uni kennengelernt und waren seitdem unzertrennlich. Wolf mochte Moritz, hatte aber geahnt, dass das früher oder später passieren würde. Er wurde ein paar Mal von ihnen in Julias Studentenbude, die sie mit ihrer Freundin Hanna teilte, bekocht. Es waren immer lange, sehr amüsante Abende. Moritz war sehr intelligent und hatte einen guten Humor. Er tat ihm leid. Und das war auch Julias Problem. Sie erzählte, wie sie versucht hatte es ihm beizubringen und wie schlecht sie sich jetzt fühlte. Wie Wolf erwartet hatte, redeten sie die halbe Nacht. Vielmehr, sie redete die halbe Nacht. Er wunderte sich, warum sie mit diesen Dingen zu ihm kam und das nicht mit ihrer Freundin Hanna besprach. Genoss aber dieses Vertrauen und diese Nähe von Julia. Es war, als ob an solchen intensiven Abenden wie heute, die vielen Tage, Wochen und manchmal Monate, die sie sich nicht sahen, die Zeit in komprimierter Form nachgeholt wurde. Eine Tilgung der schuldig gebliebenen Zeit des fortgegangenen Vaters. Julia konnte das offenbar emotional von ihm abrufen, wenn sie es brauchte. Vorausgesetzt, er war nicht wieder irgendwo im Einsatz.

Sein Beruf war nicht nur für ihn gefährlich. Er brachte jeden, der ihm nahestand, in Gefahr. Damit versuchte er sich die Trennung von Julias Mutter vor sieben Jahren vor sich selbst zu rechtfertigen. Solange er ungebunden war, war er weniger angreifbar, weniger verletzlich. Die Tatsache, dass sie die Vater-Tochter-Beziehung bis heute so intensiv pflegten, brachte Julia weiterhin in Gefahr. Daher nahm Wolf keine Regierungs- oder Militäraufträge mehr an. In dem Geschäft, das er betrieb, legte man sich zu oft mit den falschen Leuten an, und man musste verdammt auf der Hut sein, dass man nicht unter die Räder der Mächtigen kam.

Trotz der langen Nacht ging Ferdinand Wolf am nächsten Morgen um sieben Uhr joggen. Er lief vom Bootshaus am Sieber Areal vorbei, die Seepromenade entlang und dann die zirka zwei Kilometer bis zum Seepark. Dort drehte er ein paar Runden, machte Liegestütze und rannte wieder zurück. Er dachte über sein gestriges Treffen mit Sommer nach.

Ralf Sommer hatte Wolf ein Treffen in einer Penthouse Suite im Park Hyatt vorgeschlagen. Beide konnten mit dem Wagen in die Tiefgarage fahren und mit dem Lift direkt in die Suite gelangen, ohne dass sie gemeinsam gesehen wurden. In der Tiefgarage bemerkte Wolf zwei Bodyguards in einem dunklen Audi A8, der rückwärts eingeparkt schräg gegenüber der Ausgangstür zu den beiden Aufzügen stand. Selbst von außen sah man den beiden ihre sportliche, muskulöse Statur an.

Auch am Ende des Flurs saß einer im dunklen Anzug in einer Sitzecke und nickt dezent als er Wolf aus dem Aufzug kommen sah. Vor der Türe zur Suite 1008 wurde er von einem weiteren Man in Black durch Nicken begrüßt. „Herr Wolf, ich denke, Sie wissen, was jetzt kommt und ich danke für Ihr Verständnis.“ Er hatte ihn tatsächlich nach Waffen durchsucht. Sommer musste bedroht werden, er hatte offenbar Angst.

Ralf Sommer begrüßte Wolf und kam gleich zur Sache. „Herr Wolf, Sie wurden mir von Alfred Wagner empfohlen. Er meinte, ich könne offen mit Ihnen reden und auf Ihre Verschwiegenheit über dieses Treffen vertrauen.“ Darauf Wolf: „Diskretion ist mein Werkzeug, sie ist für mich noch wichtiger als für Sie. Abgesehen davon, falls ich eine Möglichkeit sehe, dazu beitragen zu können, für Ihre Situation eine Lösung zu finden, werden wir einen Vertrag unterzeichnen, der eine Geheimhaltungspflicht für beide Seiten beinhaltet. Herr Wagner wurde zum Teil von dieser Pflicht befreit sonst hätte er mich Ihnen nicht empfehlen können. Nun, wo drückt der Schuh, Herr Sommer?“

„Wie aus den Medien allgemein bekannt, werde ich meine Partei in den Wahlkampf führen und als Spitzenkandidat antreten. Mit der Aussicht auf großzügige finanzielle Unterstützung der Partei in diesem Wahlkampf, wurde mir nahegelegt, mich für eine Gesetzesänderung einzusetzen. Nachdem ich mein Engagement diesbezüglich ausgeschlossen habe, wurde die Gangart verschärft und meine Familie bedroht“, erklärte Sommer. „Um welches Gesetz handelt es sich?“, wollte Wolf wissen.

„Das Organtransplantationsgesetz. Es regelt die Spende, Entnahme, Vermittlung und Übertragung von Organen, die nach dem Tode oder zu Lebzeiten gespendet werden. Die Voraussetzungen für die Entnahme von Organen bei Verstorbenen und Lebenden sind gesetzlich genau festgelegt. Demnach ist der zu Lebzeiten erklärte Wille für oder gegen eine Organspende maßgebend und strikt zu beachten. Mit der so genannten Entscheidungslösung, d.h. der Möglichkeit eines jeden Bürgers zu Lebzeiten freiwillig eine Entscheidung für oder gegen eine Organspende zu treffen, räumt das Organtransplantationsgesetz dem Selbstbestimmungsrecht jedem Menschen seinem über den Tod hinaus fortwirkenden Persönlichkeitsrecht höchste Priorität ein. Der Arzt muss den festgelegten Willen des Verstorbenen beachten. Hat der Verstorbene auf seinem Organspendeausweis entschieden, dass er nicht spenden möchte, muss der Arzt diesen Willen so akzeptieren. Hat sich der Verstorbene hingegen für eine Spende entschieden, wird geprüft, ob seine Organe für eine Spende in Frage kommen. Ist das der Fall und wurde der endgültige, nicht behebbare Ausfall des Gehirns diagnostiziert, werden Organe entnommen. “ Sommer seufzte, griff nach dem Wasserglas und nahm einen Schluck. „Es ist kein Geheimnis, dass ein sehr dringliches Interesse besteht, die Zahl der Organspenden zu erhöhen.“

Und Wolf: „Was ist dagegen einzuwenden?“

Sommer fuhr fort: „Es gibt schon seit längerem Bestrebungen, die Organspende wie in manch anderen Ländern zu regeln – nämlich so, dass Organe entnommen werden, wenn man nicht explizit widersprochen hat. Die erwähnte, angestrebte Gesetzesänderung strebt hingegen einen weit extremeren Einschnitt in das existierende Persönlichkeitsrecht an. Sie soll es komplett aushebeln. Unterm Strich würde es bedeuten, dass jeder Mensch nach dem Tod Organspender wäre, ohne jeglichem Selbstbestimmungsrecht.“ Wolf hakte nach: „Herr Sommer, Sie sprachen von einer Drohung gegen Ihre Familie. Wie sieht die Drohung aus?“ Darauf Sommer: „Unser Sohn Felix“, Sommer griff in die Innentasche seines Jacketts und reichte Wolf ein Foto. Es zeigte einen blonden Jungen im Teenageralter auf einem Siegerpodest. Er trug einen Trainingsanzug und hielt stolz eine goldene Medaille hoch. Wolf schätzte ihn auf ungefähr zehn Jahre. In das Foto war offensichtlich per Photoshop eine überdimensionale Spritze eingesetzt worden, die direkt über ihm schräg auf ihn zeigte. Wolf fragte: „Ist es denn realistisch, vorausgesetzt Ihre Partei gewinnt die Wahl, dass Sie so eine Gesetzesänderung überhaupt umsetzen könnten.“ Sommer: „Nun das wäre sicherlich ein sehr langer Weg bis dorthin. Jedoch die erwähnte Änderung, dass Organe entnommen werden könnten, wenn man nicht explizit widersprochen hat, wäre dann als Zwischenetappe zu sehen. Das ist Politik, es werden permanent Kompromisse verhandelt. Man verlangt die ganze Hand, und nimmt den kleinen Finger. Wohlbemerkt, als Zwischenetappe.“ Sommer nahm das Foto wieder entgegen, hielt es mit beiden Händen vor sich, betrachtete es konzentriert und meinte: „Ich kann natürlich nicht beweisen, dass es hier einen Zusammenhang gibt, aber es liegt auf der Hand.“ Sommer wollte noch nicht erklären, was es mit der Spritze auf sich hatte. Auch ohne diese Information war die Drohung eindeutig. Noch war nicht entschieden, ob Wolf in der Sache tätig würde, und ob er überhaupt eine Hilfe wäre. Alfred meinte, er wäre der richtige Mann.

Wolf kam vom Joggen zurück ins Bootshaus. Er hörte die Dusche. Wolf hatte bei der Renovierung des Bootshauses und seiner Wohnung im ersten Obergeschoss zwei Gästezimmer mit Gästebad errichten lassen. Außer Julia hatte er allerdings nie Gäste.

Mit Sommer hatte er vereinbart, dass er Nachforschungen vornehmen würde, und sie sich in zwei Tagen nochmals treffen würden, um dann zu entscheiden, ob eine Zusammenarbeit zustande käme. In Gedanken sah er den stolz in die Kamera lachenden Felix und überlegte, ob er mit diesem Auftrag Julia wieder in Gefahr bringen würde.

Nachdem auch er geduscht hatte, machte er für Julia und sich Rühreier. Seine Spezialität war, zerlassene Butter in das mit einer Gabel aufgequirrlte rohe Ei unterzurühren, bevor er das Ei nur kurz in die heiße Pfanne gab. Ein wenig frischen Schnittlauch, Fleur du Sel, frisch gemahlenen Pfeffer, sonst nichts. Die Butter gab dem Gericht den sämigen intensiven Geschmack. Sie hatten nicht viel Zeit, Julia war spät dran, sie musste zur Vorlesung.

Jakob Beringer hatte vor zehn Jahren einige Stunden damit verbracht, die Aufnahmen abzuhören, die bei den Sommers durch die mit den ShuBro-Mikrofonen ausgestatten Öffnungssensoren deren neuer Alarmanlage aufgenommen wurden. Das Ergebnis war sehr ernüchternd. Er suchte sich Abendsequenzen aus Wohnzimmer, Küche und sogar Schlafzimmer und kam sich vor wie bei Big Brother. Diskussionen über den Babysitter von Felix, offenbar ihr Sohn, oder über den Nagelpilz unter Sommers großem linken Zehennagel waren wirklich nicht das, was sich Beringer erwartet hatte. Im Grunde wusste er selbst nicht einmal, was er sich erwartet hatte und musste sich bald eingestehen, dass das schlicht weg ein absoluter Reinfall war. Er wünschte sich, er hätte die ShuBro-Mikrofone bei interessanteren Leuten eingebaut und öffnete unwillkürlich die Kundenliste der Steel Security Corporation. Als er Name für Name durchging, kam er auf die Idee, die ihn schlussendlich reich machte.

Er überlegte sich, wie er es anstellen könnte, die ShuBro-Mikrofone in allen Alarmanlagen zu implementieren oder zumindest dort, wo es wahrscheinlich war, interessante Informationen zu erhalten. Er würde eine unheimliche Menge an Informationen sammeln, die er aber auch entsprechend lagern und abrufbar machen musste. Der Plan war nicht nur technisch und logistisch eine Herausforderung, er war höchst illegal. Keiner durfte die Abhörfunktion seiner Alarmanlagen entdecken.

In den nächsten Tagen ging er wieder und wieder alle Prozesse von der ersten Kontaktaufnahme seiner Kunden mit der Steel Security Corporation, des Beratungs- und Verkaufsgesprächs mit dem jeweiligen Sales Manager, der Konzepterstellung für das jeweilige Gebäude je nach Kundenbedürfnis, der Bestellung der notwendigen Komponenten bis hin zur Montage, Inbetriebsetzung und Wartung durch. Bei den Komponenten, welche bei den Sommers eingebaut wurden, hatte er in der Nacht vor dem vereinbarten Montagetermin die Shu-Bro Mikrofone selbst in die Öffnungssensoren und Bewegungssensoren eingesetzt. Sie waren nicht als Mikrofone zu erkennen und wurden von Beringer zwischen zwei Bauteile gesetzt. Nur nach einer kompletten Zerlegung in alle Einzelteile würden sie einem Techniker auffallen, wenngleich nicht als Mikrofone. Beringer musste also eine Möglichkeit finden, die Mikrofone in großer Menge zu bekommen und diese von seinen Mitarbeitern unbemerkt in die Komponenten einzusetzen. Und er wollte sie natürlich nicht Nacht für Nacht selbst einbauen.

Schließlich löste er das Problem so, dass er neue Abdeckungen für die Gehäuse aller Komponenten einer Alarmanlage von Steel Security Corporation produzieren ließ. Es waren kleine Gehäuse und kleine weiße Abdeckungen mit einem eingeprägten kleinen Firmenlogo der Steel Security Corporation. Direkt neben dem Logo konnte man ein Element einsetzen, an dem man von außen erkennen konnte, um welche Serie es sich bei den Komponenten handelte. Die Steel Security Corporation hatte zwei Serien von Alarmanlagen im Angebot: Alarmsystems Special 200 (firmenintern S200) und Alarmsystems Exclusive 500 (firmenintern E500). Bei der zukünftigen Montage würde der Montagemitarbeiter das Element bei den neuen Abdeckungen der Komponenten einsetzen, weiß beim S200 und hellgrau beim E500. So konnte man an der Außenseite der kleinen Kunststoffgehäuse der Öffnungssensoren, welche an Türen und Fenstern angebracht wurden, und an den Gehäusen der Bewegungssensoren und allen anderen Komponenten erkennen, ob es sich um die S200 oder die E500 Komponenten handelte. Das Einsetzen dieser Elemente war bei der Montage ein schneller Handgriff. Mit einem Klipp war das Element im Gehäuse.

Niemand wusste, dass das hellgraue Element das Vielfache des weißen Elements kostete und was der eigentliche Unterschied war außer der Farbe. Nur im hellgrauen Element wurde das ShuBro-Mikrofon Model 55QFS eingebaut. Von außen nicht erkennbar, nur ein kleines hellgraues Kunststoffteilchen. Über Induktion holte es sich die Energie der Batterie der jeweiligen Komponente der Alarmanlage. Beringer bezog die Elemente vom ShuBro-Mikrofon Hersteller in China über zwei Offshore Firmen in Panama und Zypern. Der chinesische Hersteller wusste nicht, wo die Elemente mit den ShuBro-Mikrofonen eingebaut wurden. Es war ihm wohl auch völlig egal. Beringer wurde zunehmend ein guter Abnehmer.

Alarmanlagen mit der Serie Alarmsystems Special 200 wurden in der Regel in Wohnungen und normalen Einfamilienhäusern eingebaut, sie waren die preiswerte Standardausführung. Die wesentlich aufwendigeren und teureren Alarmanalgen der Serie Alarmsystems Exclusive 500 wurden in sehr exklusive Villen von Unternehmern und Top Managern, Top Politikern oder anderen einflussreichen und finanziell bessergestellten Personen eingebaut. Sie wurden auch in Konzernzentralen und Regierungsgebäuden und anderen sicherungswürdigen öffentlichen Gebäuden eingesetzt und Beringer konnte überall mithören. Die ShuBro-Mikrofone sendeten ihr Signal an die jeweilige Alarmanlagenzentrale des Kunden, diese war mit der Zentrale der Steel Security Corporation verbunden, um einen ausgelösten Alarm zu erfassen und entsprechend der vereinbarten Anweisung des Kunden im Alarmfall zu reagieren: Anruf beim Kunden, um Fehlalarme auszuschließen, ein Einsatzteam der Steel Security Corporation zu schicken oder die Polizei zu alarmieren, je nachdem, welches Leistungspackage vom Kunden gewählt wurde. Die neue Alarmanlagenzentrale des Kunden, der eine Alarmanlage der Serie Alarmsystems Exclusive 500 gekauft hatte, sendete nun auch das empfangene Signal der ShuBro-Mikrofone an den neuen zusätzlich angeschafften, sehr leistungsstarken Server der Steel Security Corporation.

Beringer hatte eine Software installiert, die das Übertragene von unzähligen ShuBro-Mikrofonen nur dann speicherte, wenn bestimmte Signalworte fielen, oder wenn die Speicherung von Beringer selbst gezielt aktiviert wurde. Die Software konnte das Übertragene den einzelnen Kunden und den jeweiligen Zimmern der Kunden zuordnen. Bei Konzernzentralen oder in den Villen derer CEOs hatte er Signalworte wie Gewinnwarnung, Übernahme, neuer Blockbuster und so weiter festgelegt. Er konnte diese Signalworte abfragen und dann gezielt die Sequenz des Gesprochenen abhören. So kam er zu Insiderwissen, welches er an der Börse sehr gewinnbringend einzusetzen verstand.

Anfangs war sein Banker sehr skeptisch als Beringer per Telefon größere Beträge auf einzelne Aktien setzte und wollte vor der Platzierung der Order Beratungstermine vereinbaren. Aber Beringer gab präzise Aufträge, die ungewöhnlich oft, nach kurzer Zeit mit Gewinnen gesegnet waren. Später kaufte Beringer meist Optionen, so musste er viel weniger Kapital investieren und die Gewinne waren ein Vielfaches. Hebelprodukte zu kaufen, bei denen man wusste, wo sich der Kurs hin entwickelte, waren etwas Wunderbares - fand Beringer.

Hatte er das Signalwort Gewinnwarnung vernommen und hatte er nach dem Abhören des Gesprächs aus der entsprechenden Sequenz aus der Konzernzentrale die Gewissheit, dass das jeweilige Unternehmen tatsächlich in Kürze eine Gewinnwarnung verlautbaren ließ, kaufte Beringer Put-Optionen. Er verdiente dann am in kurzer Zeit fallenden Kurs der Aktie des Unternehmens, dessen Konzernzentrale eine Alarmanlage der Steel Security Corporation installiert hatte.

Beringer hatte bald ein System entwickelt, wie er zu für ihn sehr gewinnbringenden Informationen kam. Zum Beispiel hörte er sich gerne von Zeit zu Zeit Meetings der Baukommission der Stadt an. Dann kam es vor, dass die Steel Security Corporation Grundstücke kaufte, die sehr bald eine neue Widmung erhielten und deren Wert sich somit vervielfachte.

Er kam zu sehr delikaten Informationen über seine Klientel, die er aber selbst nie direkt damit konfrontierte. Es sollte nie ein direkter Zusammenhang zwischen der Alarmanlage der Serie Alarmsystems Exclusive 500 der Steel Security Corporation und einer delikaten oder geheimen Information erkennbar werden. Eine schlichte Erpressung kam für ihn keinesfalls in Frage. Es war jedoch äußerst beruhigend, Informationen der Reichen und Mächtigen im Köcher zu haben, obwohl er wusste, dass manche dieser Informationen auch Gefahr brachten.

Ferdinand Wolf hatte das Sieber Areal vor Jahren gekauft und erst später in drei Etappen wieder zum Leben erweckt. Zuerst nahm er das kleinste Gebäude in Angriff und ließ das Bootshaus renovieren, in das er selbst einzog. Später das größere Nachbargebäude, welches zum Businesspark ausgebaut wurde. Seine internationalen Aufträge machten ihn zu einem sehr vermögenden Mann. Wer in seiner Branche überlebte, hatte ein sehr gutes Auskommen. Nur wenige überlebten lange.

Das gesamte Sieber Areal zu kaufen, war eigentlich nie geplant. Wolf fand die Lage direkt am See und relativ nahe am Stadtzentrum ideal. Ursprünglich war er nur am Bootshaus interessiert, aber die Besitzer, eine untereinander verstrittene Erbengemeinschaft, wollte nur das gesamte Areal verkaufen und er musste einen Preis bieten, der einiges über dem üblichen Marktpreis lag, um die Liegenschaft zu bekommen. Die aktuelle Niedrigzinsphase machte eine Finanzierung leicht. Allerdings nur, wenn man der Bank ein plausibles Sanierungskonzept vorlegte, wurde ein Kredit gewährt. So entstand das Konzept mit Businesspark und Eigentumswohnungen.

Als Wolf sich dann von seinen internationalen Aufträgen diverser Regierungen und Militärs zurückzog, wollte er seine Schulden zur Gänze tilgen und verkaufte das dritte Gebäude indem er die dritte Etappe realisierte und einzelne Eigentumswohnungen entwickeln ließ, die dann einzeln verkauft wurden. Mit den Einnahmen aus dem Businesspark und seinem Ersparten konnte er sehr luxuriös leben. Aufträge müsste er keine mehr annehmen. Aber was sollte er sonst tun? Nur in den Tag hineinleben, das war nicht sein Ding.

Das Bootshaus war ein hochgesichertes Gebäude, der süd-westlich gelegene Hof war von einer Backsteinmauer umgeben und konnte nur von Wolf betreten werden. Er war auch nur vom Bootshaus einsehbar, da die westlichen Nachbarn weiter entfernt waren und dazwischen Bäume standen, im Süden war der See und im Osten die Zufahrt zum Sieber Areal und Parkplätze. Das Bootshaus und den Hof ließ er mit einem Videoüberwachungssystem und einer Alarmanlage höchster Sicherheitsansprüche ausstatten, mit einer Alarmanlage der Serie Alarmsystems Exclusive 500 der Steel Security Corporation.

Thomas Winter hatte einen Treffpunkt zur Übernahme der zwei Koffer mit je 1000 Maple Leaf Goldmünzen vereinbart. Der Übergabeort war wie das Sieber Areal auch direkt am See gelegen, jedoch auf der anderen Seite der Stadt. Es handelte sich um ein stillgelegtes Zollfreilager. Das Areal hatte mehrere Zufahrten, was ihm strategisch sinnvoll erschien, so waren mehrere Rückzugsmöglichkeiten gegeben, falls etwas Unvorhergesehenes geschehen würde. Dort würde sie niemand beobachten und die Übergabe konnte diskret erfolgen. Immerhin ging es heute um die ersten zwei Koffer, von denen jeder mehr als dreißig Kilo wog. So eine Transaktion konnte man nicht unbemerkt an einer Parkbank oder in einem Café durchführen. Er würde die Koffer dann in der nächsten Woche auf zwei der drei gemieteten Tresore verteilen und nach der nächsten Übergabe einen im dritten Tresor einstellen und einen einstweilen zu Hause aufbewahren. Möglicherweise würde er sich einen hochwertigen Heimtresor anschaffen. Er hatte sich bereits erkundigt und Prospekte von den drei führenden Anbietern lagen vor ihm auf dem Küchentisch. Er hatte sich Kaffee gekocht und ging seinen Plan der Übergabe in Gedanken nun schon zum x-ten Mal durch. Er musste Ruhe bewahren, bis jetzt hatte er keinen Fehler begangen und das sollte ihm auch zukünftig nicht passieren. Und morgen war es so weit, dann würde er zum ersten Mal zuschlagen.

Thomas Winter war seit 13 Jahren bei der Steel Security Corporation beschäftigt. Er war immer loyal gegenüber der Firma und Beringer. Dieser konnte sich immer auf ihn verlassen. Immerhin leitete er die Montageteams. Er hatte immer Hochachtung vor seinem Arbeitgeber und war stolz darauf, dass die Steel Security Corporation so eng mit der Polizei zusammenarbeitete. Er hatte immer angenommen, dass diese Kooperation und das dadurch erworbene Image der Firma zu der so rasanten Expansion verholfen hatte. Aber dann bekam er den Stick in die Hände. Beringer hatte ihn möglicherweise verwechselt, denn er lag im Sekretariat und Winter hatte ihn für ungenutzt gehalten. Er wollte darauf verschiedene Montagepläne speichern. Als er bemerkte, dass Audioaufnahmen darauf gespeichert waren, nahm er einen anderen, den er ebenfalls im Sekretariat holte. Er wollte ihn wieder zurückbringen, aber hatte dann darauf vergessen und ihn in seiner Schreibtischschublade liegen lassen. Erst Monate später, als er wieder einmal spät abends Überstunden machte, kam ihm der Stick wieder in die Finger. Er hörte sich ein paar Sequenzen an, und konnte nichts damit anfangen. Warf den Stick wieder aus und nahm sich vor, ihn am nächsten Tag ins Sekretariat zurückzubringen. Er hielt das Gehörte für Ausschnitte aus einem Seminar. Dann war die nächsten Tage wieder so viel los, und später dachte er sich, möglicherweise hatte Beringers Sekretärin den Stick bereits gesucht, da wollte er nicht erklären, dass er die ganze Zeit über bei ihm war. So landete der Stick wieder für längere Zeit in Winters Schublade. Letzten Januar hatte die Grippewelle auch die Mannschaft der Steel Security Corporation erwischt und Winter meldete sich freiwillig eine Nachtschicht in der Alarmzentrale zu übernehmen. Er dachte, er könnte nebenbei ein paar Montagepläne für die nächsten Tage erstellen und nahm einen Stick aus seinem Schreibtisch mit in das Büro der Alarmzentrale. Es war ein paar Stunden recht wenig los und so setzte er den Stick an diesem Rechner ein und erkannte wieder den „Seminar Stick“ von Frau Krämer, Beringers Sekretärin. Nachdem er nicht aufstehen und nochmals in sein Büro gehen wollte, um einen leeren Stick zu holen, hörte er verschiedene Sequenzen ab und erkannte, dass es sich hierbei um höchst brisantes Material handelte. Einige Sequenzen waren von Meetings des Pharmaunternehmens Qandiga Pharmaceutical. Hier war die Rede von der Einführung der Impfpflicht an allen Schulen des Landes. Die Person, die darüber berichtete, war sich sicher, dass dies demnächst umgesetzt werden würde. Er hätte es aus verlässlicher Quelle, bat aber alle Anwesenden um Stillschweigen außerhalb dieser vier Wände. Dann präsentierte er offenbar seine prognostizierten Umsatzsteigerungen. Auf anderen Audiosequenzen des Sticks fanden sich Gespräche des selben männlichen Redners mit einer weiblichen Person, die über eine Wahlkampagne dieses, Winter absolut unsympathischen, Politikers Ralf Sommer berichtete. Winter fragte sich allen Ernstes, ob deren gegensätzliche Namen mit seiner Antipathie dem andern gegenüber etwas zu tun hätte. Winter und Sommer. Dann musste er lachen. Was aber sollten diese Gespräche auf dem USB-Stick von Frau Krämer? Offenbar hatte sich Ralf Sommer von diesem Pharmamann kaufen lassen. Was hatte Frau Krämer damit zu tun, oder Beringer? Winter brauchte recht lange, um zu erkennen, dass Beringer die Gespräche offenbar illegal mitgeschnitten hatte. Konnte es sein, dass sein Arbeitgeber Jakob Beringer, geschäftsführender Gesellschafter der Steel Security Corporation seine Kunden bespitzelte und dann erpresste? Das war ja ein Ding. Das war eine regelrechte Bombe! Vor allem aber hatte Winter mit einem Schlag jeden Respekt vor seinem Arbeitgeber verloren. Sein Unternehmen, für das er sich gerade eben in dieser Nacht wieder den Arsch aufriss, war in illegale Machenschaften verstrickt. Er konnte es nicht glauben. Für Winter war in diesem Moment eine Welt in sich zusammengebrochen.

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