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2. Bedingungen internationaler Kooperation

Das Leben der meisten Menschen auf der Welt und ihrer künftigen Nachkommen ist existentiell oder qualitativ bedroht, obwohl die Menschheit noch nie soviel wissenschaftliches, technisches, infrastrukturelles und materielles Potential hatte wie heute. Die Entwicklung der Waffentechnik, der schadstoffausstoßenden Industrieproduktion oder der Kommunikationsmedien nahm auf Staatsgrenzen wenig Rücksicht; technologischer Fortschritt und freier Handel machen die Welt zu einem einzigen Markt für Güter und Dienstleistungen, aber auch zu einem gemeinsamen Raum für Gefahren und Schäden.

Die neueren Probleme von weltweiter Art sind nicht mehr auf das Territorium eines Staates beschränkt oder gar im Rahmen der rechtlichen und politischen Kompetenzen einer Staatsregierung zu lösen, sondern wären nur durch die konstruktive Beteiligung mehrerer oder sogar aller Staaten zu bewältigen: Abrüstung und Friedenswahrung, weltwirtschaftliche Stabilität und Kampf gegen Armut (und nicht gegen die Armen), Arten-/Umwelt-/Klimaschutz in politischer Nachhaltigkeit, Bekämpfung von Infektionskrankheiten, Abwehr von Terrorismus – oder positiv formuliert: Durchsetzung und Sicherung von demokratischen und menschenrechtlichen Standards.

Völlig klar scheint also zu sein, dass angesichts dieser Herausforderungen eine die Grenzen von Herrschaftsgebieten übergreifende Zusammenarbeit für Frieden und Wohlstand nötig ist; das ist aber politisch – noch? – nicht realistisch. Denn internationale Kooperation ist keineswegs selbstverständlich, sondern wäre erst einmal jeweils in der Sache wie hinsichtlich ihrer politischen Erfolgsaussichten generell zu begründen – und das vor allem aus der Perspektive der wenigen starken und mächtigen Staaten, wie die Entstehungsgeschichte der UNO gezeigt hat (siehe 3.2).

2.1 Dilemmata und Optionen

Die grundsätzliche Frage ist: Warum sollte ein Staat mit anderen Staaten kooperieren, statt einfach zu tun, was in seiner Macht steht? Im Einzelfall ist immer zu fragen: Lohnt sich Kooperation im Sinne einer rationalen Prüfung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen?

Für Regierungen wäre es unverantwortlich, dieser zweckrationalen Kalkulation auszuweichen in die wertrationale Hoffnung, dass auch Staaten nett zueinander sein könnten und sollten. Der alte Satz „si vis pacem para bellum“ („Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“) wird vielleicht keine hohen Zustimmungswerte erreichen, bleibt aber logisch zwingend: Solange man nicht sicher sein kann, dass nicht unter all den Guten ein Böser Übles plant, sollte man ein Mittel gegen das Üble parat haben. Aber: Die zwingende Logik der Realität dieses „Sicherheitsdilemmas“ wird zur fixen Idee und zum zerstörerischen Zwangsverhalten, wenn sie nicht politisch eingebettet wird in die komplexen Realitäten der interdependenten Welt.

Die Einsicht in die Interdependenz – also die vielseitige Bestimmtheit und gegenseitige Abhängigkeit von internationaler Politik und Wirtschaft – ist unter den Regierungen schon weit verbreitet; aber die Folgerung, dass deswegen Kooperation nötig sei, kann nur auf ihrem Vertrauen aufbauen, dass die Bereitschaft zur Kooperation sich lohne, aber nicht von den Kooperationspartnern oder auch von Unbeteiligten ausgenutzt werde. Ausreichende und verlässliche Anreize dafür kann nur eine starke Hegemonialmacht gewährleisten – solange sie starke Hegemonialmacht bleibt – oder ein kollektives System allseitiger Verpflichtungen und Regelungen, die auch real durchgesetzt werden können.

Damit in einer internationalen Welt souveräner Staaten – also ohne eine übergeordnete supranationale Zentralmacht mit allgemeinem Gewaltmonopol – ein solches System funktionieren kann, müssen alle politisch, militärisch und wirtschaftlich starken Staaten eingebunden werden: insbesondere für die mächtigen Regierungen muss die Kosten/Nutzen-Rechnung positiv für Kooperation aufgehen, damit sie nicht aus eigener Machtvollkommenheit sich durchzusetzen versuchen.

Die wichtigste Voraussetzung für potentielle Kooperation ist das Verständnis, dass sie auf Gegenseitigkeit orientiert eben kein Nullsummenspiel sein muss, in dem eine Partei nur das gewinnen kann was eine andere verliert, sondern dass vielmehr der Verzicht auf destruktiven Konfliktaustrag zugunsten des Einsatzes konstruktiver Problembewältigung in einem Variablesummenspiel womöglich sogar ‚den zu verteilenden Kuchen größer machen’ kann zugunsten aller, auch der relativ benachteiligten Parteien.

Die wesentlichen Methoden von effektiver Kooperation sind Kommunikation und darauf aufbauende Vertrauensbildung. Gelingen Kommunikation und Vertrauen, entstehen fragile aber erfreuliche Chancen, dass die Praxis der internationalen Zusammenarbeit über geraume Zeit zu einer Zivilisierung des Verhaltens und Handelns interessenfixierter und/oder machtbesessener Regierungen führen könnte – hinsichtlich der diplomatischen Umgangsformen, der Normen kooperativer Problemlösungen oder gar der zielbestimmenden Werte.

Das klassische Gedankenexperiment des „Gefangenen-Dilemmas“

 verdeutlicht, wie ohne Kommunikation eine Situation den Handelnden ausweglos erscheinen kann,

 stützt aber die These, dass es sich für die Handelnden langfristig lohnt zu kooperieren, weil sie sonst Gefahr laufen, durch das Handeln anderer schlechter gestellt zu werden.


Die fiktiven Spieler handeln in ihrer Entscheidungssituation unter Unsicherheit rein zweckrational, um ihren Nutzen zu maximieren bzw. ihre Kosten zu minimieren; Wertungen wie „Verbrechen“ oder „gerechte Strafe“ sind irrelevant. Ihr Dilemma ist, dass aus der individuellen und der sozialen Perspektive sich ein Widerspruch für das Handeln ergibt, der durch keinerlei Verhaltenskodex gelöst wird. Mangels Kommunikation untereinander kann kein Spieler die Handlungsweise des anderen einschätzen und beeinflussen; zwar wäre es von außen gesehen für beide das Vorteilhafteste, sich gegenseitig zu vertrauen und zu kooperieren – aber dazu müssten die Spielregeln zulassen, dass Austausch erlaubt und Vertrauensbruch sanktioniert wird. Misstrauen wird Kooperation verhindern, weil ein grundsätzlich kooperationsbereiter Spieler befürchten müsste, dass durch sein einseitig kooperatives Verhalten ein anderer Spieler dafür belohnt werden könnte, dass er zum eigenen Vorteil unkooperativ handelt. Da das für beide optimale Ergebnis also unwahrscheinlich ist, werden wohl beide versuchen, den möglichen Schaden zu begrenzen und gestehen, also nur das zweitbeste – aber wenigstens auch nur zweitschlechteste – Ergebnis erreichen.

Wenn man allerdings das Gedankenexperiment so erweitert, dass das Spiel mehrfach – weiter ohne direkte Kommunikation – wiederholt wird, könnten jeder Spieler die Entscheidungen des anderen aus den vorigen Runden in seine aktuelle Entscheidung einbeziehen; er könnte versuchen, Kooperation zu belohnen oder Vertrauensbruch zu bestrafen. Das lohnendste Verhalten wäre dann, sich zunächst in Vorleistung kooperationswillig zu zeigen, auf Nicht-Kooperation aber mit Bestrafung zu reagieren, aber nicht nachtragend zu sein, wenn der Mitspieler dann doch kooperativ wird, sondern ebenfalls wieder kooperativ zu werden. So könnte sich also mittels indirekter Kommunikation in einem Lernprozess Kooperationsbereitschaft entwickeln.

Wird das Gedankenexperiment noch erweitert um ungehinderte Kommunikation und geförderten Informationsaustausch, erscheint eine Perspektive, in der eine interdependente Welt sich auch ohne oberste Gewalt recht gut ordnen kann – in internationaler Kooperation: Wenn das zu lösende Problem eben kein reines Nullsummenspiel ist, sondern durch abgestimmtes gemeinsames Handeln der zu verteilende Vorteil größer werden kann, ist Kooperation im Eigeninteresse aller Mitspieler. Der Versuch, sich unkooperativ egoistisch zu verhalten, kann zu einem höheren eigenen Verlust führen; aber auch wenn unkooperatives Verhalten sich für einen Spieler auszahlt, könnte der kollektive Ertrag geringer sein als bei kooperativem Verhalten.

Die im Gedankenexperiment ausgearbeiteten Befunde gelten nicht nur bilateral für zwei Parteien, sie lassen sich auch auf komplexere Situationen mit mehreren bis vielen Mitspielern übertragen. Die Frage, wie sinnvoll oder notwendig – multilaterale – Kooperation ist, stellt sich in allen Problembereichen der internationalen Politik:

 In fast alle Fragen der Sicherheit ist das klassische Sicherheitsdilemma logisch eingebaut: die anderen – Nachbarn, Konkurrenten, potentielle Gegner, erklärte Feinde, Terroristen – könnten schneller und stärker aufzurüsten versuchen, also ist dem rechtzeitig eigene Waffenkapazität entgegenzusetzen, was wiederum zu sich aufschaukelndem Wettrüsten verleitet; Misstrauen oder Bedrohungsmentalität sind dabei intensivierende Momente, aber seit dem Fall der ersten Atombomben ist das sicherheitspolitische Kosten/Nutzen-Kalkül von besonderer Qualität, weil nun das eigene Überleben insgesamt auf dem Spiel steht. Das Konzept der „Kollektiven Sicherheit“ als Friedens(ver)sicherung auf Gegenseitigkeit wäre logisch ein Ausweg aus diesem Dilemma: die zur Friedenssicherung gemeinsam zusammenwirkenden Kräfte aller wären stärker als die destruktive Macht einzelner Aggressoren – wenn die Kooperation gelingt.

 Auch in den Interessenkonflikten der sich weiter globalisierenden Wirtschaft und bei den Problemen der sog. Entwicklung zeigt sich das Dilemma, dass jeder beteiligte Staat für sich das Maximum auf Kosten anderer sichern will, damit der eigene Anteil gewahrt oder gesteigert werden kann – aber damit allen und auch sich selbst schadet; sowohl das liberale Konzept des Freihandels als auch der Gedanke der aktiven Kooperation durch gemeinsame Institutionen zeigt, dass ein nur auf die vermeintlich eigenen wirtschaftlichen Interessen bezogenes Verhalten gerade dazu führen kann, dass alle Staaten insgesamt einen geringeren Effekt erreichen: der Kuchen wird kleiner statt größer.

 Beim Umwelt- und Klimaschutz finden sich die Staaten in einem ähnlichen Dilemma: Jeder Staat, dessen Regierende eine Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen überhaupt wahrnehmen, will seine Umwelt schützen und seinen Nutzen aus globalen Umweltgütern sichern, aber ohne die ökonomischen Kosten dafür zu übernehmen – also schiebt er die Verantwortung auf andere Staaten/-gruppen und versucht, seinen Kosten-Anteil für die ohnehin meist unzureichenden kollektiven Anstrengungen möglichst gering zu halten. Das mindert die Chance auf effektive internationale Zusammenarbeit mit geregelter Lastenverteilung; und das wiederum schädigt auf lange Sicht alle Staaten, die kooperationswilligen wie die unwilligen.

 Zum Schutz der Menschenrechte erzwingt kein vermeintliches Nullsummenspiel ein Kosten/Nutzen-Kalkül: kein Staat hat unmittelbar einen Vorteil oder einen Nachteil davon, wenn ein anderer Staat die Menschenrechte respektiert oder verletzt, sofern nicht eine friedensbedrohende oder handelshemmende Situation entsteht. Aber der Einfluss der Zivilgesellschaft und deren Standards moralisch-politischer Korrektheit scheint mangelndes Interesse von Regierungen an Bürger- und Menschenrechten ausgleichen zu können; anders als komplizierte sicherheits-, handels- oder klimapolitische Fragen sind massive Menschenrechtsverletzungen nicht so leicht an die kaum jemand interessierende Außenpolitik abzuschieben. Leider aber können Regierungen Menschenrechte und ihre Auslegung als vorgeschobene Argumente oder ihren Schutz als willkommenes Instrument für machtpolitische und andere Zwecke nutzen.

Der dummen, aber bequemen Devise „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß!“ wird reflexartig auf fast allen Feldern internationaler Politik gefolgt. Sind Staaten auch nur Menschen (oder kleine Kinder) – oder warum sonst verhalten sie sich in rationalem Kalkül dann doch im Effekt irrational? Ein Blick auf die vorherrschenden Perspektiven, in denen die Rolle der Staaten in der internationalen Politik gesehen und verstanden wird, ist hilfreich für Orientierung und Kritikfähigkeit: Die möglichen Blickwinkel und verschiedenen Sichtweisen auf das weltpolitische Geschehen sind nicht objektiv als so und nicht anders vorgegeben, sondern sind bedingt durch subjektive Wahrnehmungen der eigenen Interessen und durch vorherrschende Annahmen über die Natur des Menschen und seiner Welt – sei es in Form gängiger Meinungen und Vorurteile, sei es im Gewand ausgearbeiteter sozialwissenschaftlicher Theorien.

Leider hat sich die theoretische Debatte über die internationalen Beziehungen zu sehr verselbständigt in fiktionales Wunschdenken oder narrative Selbstbezogenheit – oft sind die Probleme, die sich vor allem deutsche Fachvertreter/-innen machen, nur schwer in Verbindung zu bringen mit Aussagen von Praktikern oder Berichten von sachkompetenten Journalisten über die Welt da draußen.

Offenkundig dienen Theoriedebatten auch Zwecken jenseits der theoretischen Kernfunktion; eigentlich sollten Theorien – nur – diskutierbare Arbeits-Grundlagen schaffen für Beschreibung und Erklärung undurchschauter Phänomene, indem sie

 Erfahrungen, Beobachtungen und Informationen in Bereiche zu strukturieren und einzuordnen helfen, damit aber auch als bestimmte Ausschnitte von Realität eingrenzen;

 komplexe Sachverhalte auf einfache bzw. idealtypische Merkmals- oder Ablaufsbeschreibungen zu reduzieren erlauben, damit aber zugleich bestimmte Aspekte betonen, andere ausblenden;

 praktisches Handeln anzuleiten versprechen, damit jedoch zwangsläufig das Notwendige, Zweckmäßige und/oder Sinnvolle aus ihrer Perspektive formulieren;

 Argumente vorgeben, mit denen dieses erwünschte praktische Handeln zu rechtfertigen ist.

Eine Theorie soll versuchsweise eingenommener Standpunkt sein, aber nicht Heimat und schon gar nicht Schutzbunker; theoretische Argumente sollen nicht als Kampfmittel dienen, sondern als Werkzeuge – wie gut geschliffene und geputzte Brillen, die man je nach „objektiven“ Licht- und Wetterbedingungen oder „subjektiver“ Sehkraft auch wechselt.

Bewährte Kriterien für die Einordnung der Theoriebildung zur internationalen Politik sind die den Akteuren unterstellten Interessen, die verstanden werden

 entweder nur als auf den eigenen Nutzen fixiert

 oder als an einem universalen Gemeinwohl orientiert

und die eingenommenen Perspektiven, die ausgehen

 „subjektiv“ von den Motiven, die aufgrund der menschlichen Triebstruktur vorgeben sind oder durch leitende Ideen formuliert werden,

 oder „objektiv“ von materiellen Strukturen wirtschaftlicher Prozesse oder realen Organisationsformen.

Kombiniert ergibt das eine Vierfeldertafel (vgl. Menzel 2001, S. 21ff):


 Das Menschenbild des klassischen Realismus ist negativ, zumindest skeptisch: der Mensch mag vernunftbegabt sein, ist aber vorrangig triebgesteuert, am eigenen Wohl und Nutzen interessiert und nur begrenzt lernfähig. Kooperation ist immer fragil, realistischer ist es, sich auf Selbsthilfe zu verlassen und dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Das bedeutet militärische Aufrüstung und die wiederum führt dank des Sicherheitsdilemmas zum Wettrüsten. Der Friedensbegriff ist negativ definiert, nämlich dass kein Krieg ist. Wenn es zum Krieg kommt, muss er gewonnen werden können – oder zumindest für einen Angreifer nicht zu gewinnen sein, was ihn abschrecken soll. Diese Logik gilt auch auf anderen Politikfeldern: Selbstbestimmte Kontrolle über Ressourcen ist verlässlicher als Kooperation um gemeinsame Güter. Die souveränen Nationalstaaten sind die wesentlichen Akteure in einem anarchischen internationalen System, in dem Macht ausschlaggebend ist und also möglichst eine Vormachtstellung zu sichern ist – Hegemonie statt Zusammenarbeit ist die praktische Konsequenz.

 Die kritische Gegenposition zum lange vorherrschenden Machtrealismus liefert der „Idealismus“, der Mensch und Gesellschaft für durch Argumente beeinflussbar und zum Guten lernfähig hält: Vernunft und Fortschritt machen eine friedliche Welt möglich, in der Konflikte durch Ausgleich und Kooperation lösbar sind. Der Anarchie zwischen den Staaten ist mit sachlicher Aufklärung und rationalem (Ver-)Handeln zu begegnen, zumal wenn weltweiter Wohlstand durch ungehinderten Austausch und internationale Arbeitsteilung entsteht. Dieser Gedankenwelt entstammt auch der zu einer Orthodoxie gewordene „Sozialkonstruktivismus“, der statt Staat, Macht und Interessen als gegebene Realitäten zu analysieren herausarbeiten will, wie politische Wahrnehmung, Kommunikation und Normen die internationalen Beziehungen bestimmen – oder gar erst „konstruieren“. Während das Sicherheitsdilemma ein „realistischer“ Ausgangspunkt ist, bleibt eine Art „Unsicherheit-der-Umsetzung-Dilemma“ als Konsequenz der „idealistischen“ Vorstellungen.

 Eine vermittelnde Synthese zwischen macht-fixiertem Realismus und moral-ambitioniertem Idealismus bieten Ansätze des „Institutionalismus“; der hat zwar auch kein freundlicheres Menschenbild als der Realismus, zieht aber daraus andere Konsequenzen: Kooperation ist prinzipiell möglich und sinnvoll, nur muss sie realistisch und nicht idealistisch fundiert sein; eben der Eigennutz kann zur Zusammenarbeit motiveren – wenn sie sich eindeutig auszahlt. Verlässlich kontrollierte Rüstungsbegrenzung kann das Sicherheitsdilemma neutralisieren, damit Ressourcen für produktivere Nutzung freimachen und somit den Wohlstand bei allen Kooperationspartnern mehren. Internationale Kooperation zwischen den Staaten braucht internationale Institutionen aller Art zur Friedenssicherung – aber im Sinne eines weit gefassten positiven Friedensbegriffs, der auch zur Wahrung der Menschenrechte, zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen anleitet.

 Für kritische Analysen grundlegend, aber für praktische Anregungen offenkundig wenig hilfreich ist der sog. „Strukturalismus“, der in der Marx’schen – also nicht in der „realsozialistischen“ – Tradition gründet: Er unterlegt allen inter- oder transnationalen Beziehungen eine ökonomische Basis; in den Strukturen des kapitalistischen Weltsystems sind Wohlstand und Macht ungleich verteilt, wofür Kolonialismus, Imperialismus und Abhängigkeitsbeziehungen, aber auch Krieg verantwortlich zu machen sind. Die an Eigeninteresse und Selbsthilfeprinzip orientierte Politik der Nationalstaaten führt zu Dominanz, Sicherheit und Wohlstand für einen Teil der Welt, damit aber auch zu Abhängigkeit, Ausbeutung und Unterentwicklung für andere Teile. Zwischenstaatliche Kooperation führt unter diesen Bedingungen nicht zu Frieden und Gerechtigkeit; dazu wäre ein radikaler Wandel der Strukturen der Ungleichheit vorauszusetzen.

Die theoretische Auseinandersetzung über internationale Politik wird seit Jahrzehnten geführt, oft in langen Wellenbewegungen nach intensiven Debattenrunden – meist recht zeitgeistabhängig und immer modebewusst; die verästelten Differenzierung sind nur schwer überschaubar – Abgrenzung und Konkurrenz beleben auch hier das Geschäft. Besser orientieren kann eine schlichte Dreiteilung:

 Macht-basierte Ansätze gehen in realistischer Tradition von den Machtbeziehungen unter Staaten aus und sind prioritär an Sicherheit interessiert; weil internationale Kooperation direkt von der Machtverteilung zwischen den beteiligten Staaten abhängt, geben sie ihr nur geringe Chancen; den Staaten unterstellen sie, kompromisslos immer nur ihren relativen Vorteil zu suchen, damit kein anderer bessergestellt wird.

 Interessens-basierte Ansätze untersuchen in z.B. institutionalistischer Perspektive die Interessenkonstellationen von Staaten und auch anderer Akteure, aus denen sich reelle Motive für Kooperation ergeben; den Akteuren unterstellen sie, absolute Vorteile für sich zu suchen, auch wenn andere noch bessergestellt werden.

 Wissens-basierte Ansätze legen in kognitivistischer bzw. konstruktivistischer Interpretation Prozesse der Wissensdynamik, der Kommunikation und der Identitätsbildung zugrunde, die verbindliche Normen für kooperatives Verhalten schaffen; den staatlichen Akteuren unterstellen sie, durch die Interaktion untereinander und besonders mit nicht-staatlichen Akteuren lernen zu können, allseitige Vorteile zu suchen.

Die politische Bedeutung dieser akademischen Debatten für die Organisation der Vereinten Nationen lässt sich reduzieren auf die Kernfrage: Leben wir noch im Zeitalter der „Anarchie“ zwischen den Staaten oder sind wir schon im Stadium einer „global governance“?

 Seit den Anfängen der Lehre von den Internationalen Beziehungen galt, dass zwischen den Staaten Anarchie herrsche und also letztlich das Recht des Mächtigeren gelte, weil es über den souveränen unabhängigen Staaten keinerlei legitime Instanz gibt, die Autorität hätte, deren Verhalten zu regeln; diese realistische Einsicht wurde trotz der stetigen Entwicklung des Völkerrechts und Erfahrungen mit gelingender Kooperation zum verfestigten Dogma, das vielfach bezweifelt, aber nicht grundsätzlich widerlegt werden konnte.

 In jüngerer Zeit überwog allerdings zumindest rhetorisch das modische Wunschdenken von „global governance“ oder „Weltregieren“: das Versprechen lautet, dass zielorientierte und planvolle Regelung von politischen und gesellschaftlichen Prozessen auch ohne von oben steuernde Zentralinstanz möglich sein soll, wenn die Rolle von Staaten eingeschränkt oder gar tendenziell ersetzt durch die Aktivität von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die national wie international „vernetzt“ agieren – also ohne eine supranationale Leitung auskommen.

Problematisch sind beim sog. „Weltregieren“ allerdings zentrale Annahmen und Einschätzungen, die nicht so ganz der politischen Wirklichkeit gerecht werden: was wirklich ist, ist zwar sicherlich nicht so einfach ohne theoretische Reflexion zu erfassen oder zu verstehen – aber es ist halt wirksam. Denknotwendige aber zum Teil nur stillschweigend vorausgesetzte Elemente von „global governance“ existieren bisher nur als Ideen oder als Behauptungen, allenfalls als schwache Tendenzen: Die unterstellte Gemeinwohlorientierung einer „globalen“ Zusammenarbeit ist allenfalls als kontrafaktisch anmutende Hoffnung eher technokratischen Charakters annehmbar; die Prognose vom Bedeutungsverlust der Staaten als meist destruktive Machtzentren zugunsten der Zunahme zivilgesellschaftlicher Selbstregierung ist normativ ambitioniert, aber insgesamt wenig wahrscheinlich; die entscheidende Frage, ob und wie so etwas wie eine (groß-)machtunterlegte politische Führung der „governance“ nötig ist, wird ausgeblendet. Weil das „global governance“-Denken ohne Beachtung seiner stillschweigenden Voraussetzung einer globalen Ordnung ausgesponnen wird, ist dabei eben das politische Problem als schon erledigt vorausgesetzt, zu dessen Lösung oder wenigstens Milderung über Multilateralität nachgedacht und internationale Kooperation versucht wird.

Was das Dogma der Anarchie als unrealistisch ignoriert, wird von der Mode der „global governance“ idealisiert und haltlos übertrieben: die Option einer multilateralen Kooperation von staatenübergreifender oder gar globaler Reichweite mittels internationaler Organisationen im Rahmen von internationalen Regelungssystemen bzw. „internationalen Regimen“ – ohne eine übergeordnete Steuerungsinstanz, aber fokussiert durch Probleme, gehemmt von Ungleichheiten und mit Konflikten belastet.

Auseinanderzuhalten sind also

 die Einsicht, dass wir immer mehr komplexe und interdependente Fragen von globaler Reichweite haben, die – zumindest teilweise – in weltweiten Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen gründen, weswegen sie – zumindest teilweise – „über“ den Handlungsebenen einzelner Staaten oder Staatengruppen bearbeitet werden müssen,

 und der fröhliche Aufruf, gegen all diese Übel machen wir statt dem Hickhack zwischen den Staaten lieber gleich „global governance“ auf dem Niveau des „Weltregierens“, am besten als Zivilgesellschaft mithilfe der NGOs.

governance“: drei Möglichkeiten (nach Zürn 1998, S. 166ff)

 „governance by government“: Regelungen zwischen den Staaten – also der herkömmliche Multilateralismus

 „governance with government“: Regelungen zwischen Staaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren mit mehr oder weniger führender Rolle der Regierungen – ein sich entwickelnder erweiterter Multilateralismus

 „governance without government“: Regelungen ohne Staaten – nur eine recht spekulative Vision

2 844,36 ₽
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469 стр. 83 иллюстрации
ISBN:
9783846352922
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