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Читать книгу: «Die UNO», страница 6

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Auf fast allen Foren des UN-Systems wurde mit großer Rhetorik und viel politischer Energie der Nord-Süd-Konflikt geführt um

 die angemessene entwicklungspolitische Orientierung für die auf- bzw. auszubauenden Wirtschaften und Gesellschaften zwischen den westlichen und östlichen Konkurrenzmodellen,

 den Wunsch nach der Finanzierung von „nachholender Entwicklung“ („Entwicklungshilfe“),

 internationale Gerechtigkeit und Ausgleich kolonialer Beschädigungen (Struktur des Welthandels, Fragen der Rohstoffe-Preise, Forderung einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“),

 die Berechtigung zur politischen Nutzung der Knappheit bestimmter Rohstoffe, bes. des Erdöls (OPEC-Kartell),

 Apartheid und Rassismus, die von der südlichen Mehrheit der UNO-Mitglieder neben Südafrika auch Israel vorgeworfen wurden,

 Zweifel, ob das westliche Eintreten für die Menschenrechte im Osten und im Süden immer nach den gleichen Kriterien ausgerichtet sei.

Diese Probleme sind nicht erledigt, aber in den Hintergrund geraten: Nach 1989 ist mit dem Zusammenbruch des Ostblocks die konkurrierende System-Alternative zur kapitalistischen Marktwirtschaft und zum potentiell unbegrenzten Freihandel weggefallen. Von noch epochalerer Bedeutung war, dass die ungelösten Probleme der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung im Süden schon seit den 1970er-Jahren wachsende Konkurrenz bekommen hatten durch die globale Bedrohung für Umwelt und Klima – eben aufgrund der effizienten wirtschaftlichen Entwicklung des Nordens. Die Forderung nach „nachholender Entwicklung“ ist längst auskonkurriert von der Losung der „nachhaltigen Entwicklung“.

Nicht-staatliche Akteure aller Art aus der sog. Zivilgesellschaft haben nennenswerten und manchmal entscheidenden Einfluss gewonnen; verschiedene Typen neuartiger Akteure sind als (internationale) Nichtregierungsorganisationen oder kurz (I)NGOs immer stärker in Erscheinung getreten – wobei ihre politische Einschätzung kontrovers bleibt (siehe 7.7). Zumal die großen thematischen „Weltkonferenzen“ der 1990er Jahre boten ihnen politische Bühne und sachliche Bedeutung besonders auf den Arbeitsfeldern Zusammenarbeit in wirtschaftlich-sozialen Fragen, Menschenrechtsschutz und Umwelt- /Klimagefahren.

Ende der 1980er-Jahre kam dank des Kollapses des sowjetrussischen Imperiums weitere Bewegung in die Arbeit der UNO. Frohe Hoffnungen auf eine entscheidende Rolle der UNO in einer „neuen Weltordnung“ regten sich und Spekulationen über eine „Friedensdividende“ aus der Einsparung von Rüstungskosten zugunsten wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung kamen auf. Doch zeigten sich schnell und ernüchternd auch Probleme: Neue Mitgliedstaaten aus der Konkursmasse der Sowjetunion kamen zwar zur „Staatengemeinschaft“ dazu, aber scheinbar vergessene alte Konflikte brachen wieder aus (wie auf dem Balkan) und neuer Konfliktstoff entwickelte sich. Nicht immer gelang es den Mitgliedern des Sicherheitsrates, dessen Kompetenzen zur Friedenswahrung erfolgreich einzusetzen, auch spektakuläre Misserfolge (wie in Somalia) oder schlichtes Versagen (wie in Ruanda durch Nichtbehandlung) sind zu kritisieren. Die Friedensdividende fiel aus, aber Weltwirtschaft und Welthandel wuchsen und vernetzten – oder „globalisierten“ – sich rapide, was einige Länder der sich ausdifferenzierenden ehemaligen „Dritten Welt“ wirtschaftlich florieren, viele andere aber randständig bleiben ließ.

Das alles provozierte seit den 1970er Jahren bei der westlichen Führungsmacht wachsende Frustrationen über den multilateralen Betrieb. Die Vereinten Nationen waren wieder einmal in Gefahr, vom Hoffnungsträger zum Sündenbock zu werden. Zwar begleiten Forderungen und Überlegungen zu nötigen Reformen die UNO seit ihren Anfängen, aber vor allem auf Druck der USA wird sei den 1990er Jahren eine andauernde Reformdebatte geführt, in der von Verwaltungseffizienz über „Blauhelm“-Einsätze bis zu einer Erweiterung des Sicherheitsrates alles Denkbare und auch viel Irrationales auftauchte. Im Kontext von Menschenrechtsschutz und der Legitimität „humanitärer Intervention“ wurde schon vor den Terror-Anschlägen vom 11.September 2001 eine interkulturelle Konfrontation zwischen den westlichen Staaten und vor allem der islamischen Welt („clash of civilizations“) diskutiert – oder auch inszeniert. Im „Krieg gegen den Terror“ seit 2001 wurde jedenfalls mehrfach Völkerrecht verletzt und die UNO beschädigt – eben von ihrem Gründungspaten, den USA.

Die US-amerikanische Politik und Öffentlichkeit und deren jeweilige Haltung zu international-multilateraler Zusammenarbeit waren immer von grundlegender und entscheidender Bedeutung für die UNO. Ob idealistische Begeisterung („One World“) oder verschwörungstheoretische Ablehnung, war das Verhältnis meist prekär, denn es wird

 rational durch die klassische Dynamik der schwankenden Doktrinen der Außenpolitik der USA gesteuert, einem an der UNO desinteressiertem Isolationismus einerseits und andererseits einem sie offensiv instrumentalisierenden hegemonialen Interventionismus,

 kognitiv und emotional von meist schlicht bis schlecht informierenden Medien und von oft populistischen Politikern geprägt, was die öffentliche Meinung zwischen Liebe und Hoffnung einerseits und Frustration und Angst anderseits pendeln lässt.

Das Interesse an internationaler Politik ist bei der US-amerikanischen Wahlbevölkerung traditionell recht gering und das Wissen darüber ist noch geringer; deswegen überwiegen die Vorbehalte gegen die UNO vor allem bezüglich ihrer Effizienz, aber auch irrationale Befürchtungen vor ihrem angeblichen Machtanspruch, die amerikanische Souveränität zu mindern.

Auch deswegen war nie zu erwarten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika sich in ihrer eigenen Politik substantiell von den Vereinten Nationen beeinflussen lassen würden, denn tatsächlich bietet ja asymmetrischer Unilateralismus einer Hegemonialmacht – zumindest auf kurze und mittlere Sicht – viel mehr Möglichkeiten als schwerfälliger Multilateralismus. Auch andere wichtige Mitgliedstaaten, allen voran die Sowjetunion/Russische Föderation und die VR China, verhielten sich selten wie vorbildliche Multilateralisten, aber die USA haben einen speziellen Sonderweg zwischen Unilateralismus und Multilateralismus gefunden:

Seit dem Versickern des Idealismus der Gründertage verfolgten sie meist einen instrumentellen bzw. selektiven Multilateralismus (siehe 2.2), der den Interessen der USA dienen, ihre Maßnahmen unterstützen und zumal ihre politischen Absichten legitimieren soll. Wenn internationale Kooperation in diesem Verständnis nicht funktionierte, versuchten alle US-Regierungen, ihre Ziele mit einer Koalition mit gleichgesinnten Regierungen („coalition of the willing“) oder im Alleingang zu erreichen. Die einzige verbliebene militärische Weltmacht kann unter den verschiedenen Angeboten je nach Bedarf das günstigste auswählen – solange China sich erst noch als Konkurrenz einübt.

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem daran angehängten „Krieg gegen den Terror“ ab 2003 sowie generell dank einer engen Sicherheits-Fixierung der Politik ist die UNO immer wieder in Gefahr, als multilaterales Instrument beschädigt zu werden und an Bedeutung zu verlieren. Wie in aller politischen Geschichte können auch in der Entwicklung der UNO schnelle und dichte Zeiten beobachtet werden, in denen rasch Vieles entschieden wird und Wichtiges passiert, und dann wieder Phasen der Konsolidierung oder gar des Stillstandes und scheinbaren Bedeutungsverlustes; die Qualitäten der Zeiten korrespondieren meist eng mit guten und schlechten Meinungskonjunkturen.


Literaturverweis zu 3.3.: Entwicklung der UNO seit 1945

Luard 1982/1989; Volger 1995, 2008; Weiss/Daws 2018; Yoder 1997

4. Das „Mandat“ der UNO: Ziele, Grundsätze und Aufgaben

Die Entstehung der UNO war belastet durch ein unaufgelöstes Gründungs-Dilemma (siehe 3.2), ihr Funktionieren ist geprägt von einem elementaren Gründungs-Widerspruch.

Das Dilemma:

 Einerseits sollten alle Großmächte dauerhaft eingebunden sein, also an einer aktiven und möglichst konstruktiven Mitarbeit selbst interessiert sein: die internationale Kooperation sollte ihnen mehr Nutzen als Kosten bringen und insgesamt auch nützlicher sein als Nicht-Kooperation. Das macht eine Vorrangstellung der Großmächte mit eindeutigen Privilegien nötig.

 Andererseits sollte eine universale Organisation möglichst alle Staaten als aktive Mitglieder haben, die nicht nur mitlaufende Statisten oder gar passive Zuschauer sein sollten, sondern ungeachtet oder gar gegen die Machtposition und Interessen der Großen ihren Einfluss ausüben können. Eine Vorrangstellung der Großmächte ist dafür nicht dienlich.

Aufgrund der Erfahrungen mit dem Völkerbund und aus der Kriegssituation heraus wurde für die erste Option entschieden, also für Privilegien der Mächtigen (wie das sog. Veto-Recht) in einem vorrangigen Entscheidungsgremium.

Der Widerspruch:

 Das Dogma der unantastbaren Souveränität jedes (Mitglieds-)Staates („keine Einmischung in innere Angelegenheiten!“) ist die Grundlage der inter-nationalen Zusammenarbeit.

 Der Anspruch auf ein Recht der Staatengemeinschaft auf Intervention in die politischen Verhältnisse eines Mitgliedstaates aus zwingendem Anlass ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche inter- und transnationale Zusammenarbeit.

Das Konzept der Souveränität ist die Grundlage des modernen Staates und Staatensystems. Erstmals völkerrechtlich greifbar ist das im Vertrag zum Westfälischer Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete; seitdem ist der souveräne Nationalstaat der entscheidende Akteur der europäischen und der Weltpolitik. Im modernen internationalen System agieren nun von nach innen und nach außen unabhängige, souveräne und gleichberechtigte Staaten, deren Handlungsfreiheit von keiner übergeordneten Machtinstanz eingeschränkt werden darf (siehe 2.4).

Dazu scheint in unversöhnlichen Gegensatz die Konsequenz aus dem Gedanken der internationalen Kooperation zu stehen, dass auch eine unerbetene Einmischung möglich sein muss; ein Anspruch darauf ist nicht erst im Falle von Krieg und Völkermord von Bedeutung, sondern wegen des grenzüberschreitenden Zusammenhangs von Ursache und Wirkung zunehmend auch bei wirtschaftlichen oder ökologischen Problemen.

Also ist zu fragen: Was darf die UNO? Was soll die UNO? Was ist eigentlich ihr Auftrag?

Ihr Auftrag ist durch ihr „Mandat“ festgelegt – „Mandat“ ist generell das Zauberwort in jeder internationalen Organisation: Nichts passiert in multilateralen Institutionen, ohne dass ein formelles und explizites „Mandat“ dafür vorliegt, nichts Kleines wie die Beschaffung von Büromaterial und schon gar nichts Großes wie ein Truppeneinsatz. Die „Mandate“ werden von einem für das Problem oder den Handlungsbedarf zuständigen Gremium beschlossen und vergeben, entsprechen also der Hierarchie der Instanzen in einer Organisation.

Der Erfolg jeder Maßnahme der UNO hängt zuallererst davon ab, dass das Mandat eindeutig formuliert und in seinen Bestimmungen sachlich angemessen ist – was keineswegs immer der Fall sein kann, weil Unklarheit und Unbestimmtheit aus guten Gründen klassische diplomatische Mittel sind (siehe 7.1 und 7.5).

Was die UNO darf, was sie soll, was ihr Auftrag ist, schreibt ihr als ihr Mandat die „Charta der Vereinten Nationen“ („United Nations Charter“) vor; sie ist der wichtigste und allen anderen vorrangige internationale Vertrag, der die Weltorganisation rechtlich gründet, ihre Prinzipien und Ziele vorgibt, ihre Regeln und Verfahrensweisen festlegt – und insbesondere die Rechte der Organisation gegenüber ihren eigenen Mitgliedern bestimmt. Ein Staat wird Mitglied der UNO, indem er dem Vertrag beitritt, also ihn unterzeichnet und ihn auch ratifiziert, d.h. ihn durch einen Akt der Gesetzgebung in sein eigenes Rechtsgefüge übernimmt.

Charta der Vereinten Nationen / United Nations Charter ⇒ Fundstellen

www.unric.org/de/charta

www.un.org/en/charter-united-nations

➔ im Bundesgesetzblatt als „Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945“ /

BGBl. 1973 II S. 431ff.

Schon auf den ersten Blick auf die Kapitel-Struktur der Charta wird ihr Schwerpunkt klar: Die Friedensicherung auf der Basis eines um wirtschaftliche und soziale Aspekte erweiterten positiven Friedensbegriffes braucht mehrere „Kapitel“ („chapter“) und ihr dienen verschiedene Institutionen. Struktur, Mandat und Kompetenzen dieser „Organe“ („organs“) werden in einem allgemeinen und sechs speziellen Kapiteln geregelt, ihre Arbeitsbereiche in weiteren fünf thematischen Kapiteln – drei nur zur Bewältigung akuter Konflikte.


Aber auch eine Lücke fällt auf: Der Schutz der Menschenrechte bekam weder ein eigenes Kapitel noch eine eigene Institution. Nach dem Dilemma und dem Widerspruch könnte das als drittes großes Problem im Entstehungsprozess der Charta gelten: Weder Zeit noch politische Energie reichten im Weltkrieg aus, die Menschenrechte klar zu fassen und im Programm der neuen Organisation politisch verbindlich zu machen; Stalins UdSSR und auch das Kaiserreich China sahen darin sicher keine Priorität – und die bürgerlichen Demokratien Großbritannien und Frankreich waren immerhin noch herrschende Kolonialmächte.

Die Bestimmungen der Charta der Vereinten Nationen werden in den folgenden Darstellungen über Aufbau und Arbeit der UNO immer wieder im Einzelnen die Grundlage für Darstellung und Diskussion sein, doch vorweg soll ein Überblick Orientierung und erste Einschätzungen geben:

 ➔ Dass der Charta ihre feierliche „Präambel“ vorangestellt wurde, kann als Zeugnis der Widersprüchlichkeit der UNO verstanden werden – ein „Gebet der Menschheit an sich selbst“ (O’Brien 1971, S. 18) als kontrafaktischer symbolischer Akt?

Diese feierliche, ja sakral anmutende Hochsprache steht im harschen Kontrast zum folgenden nüchternen Vertragstext; die ersten Worte „Wir, die Völker …“ (englisch „We the peoples …“, was an das „We the people …“ der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung anklingt) sind im eigentlichen Vertrag so nicht mehr zu finden, denn der kennt nur „Nationen“, „Staaten“, „Regierungen“ bzw. schlicht „Mitglieder“. Die Präambel war eher nebenbei formuliert worden, ist nicht rechtsverbindlich aber „tonangebend“ für idealistische Expression und symbolische Beschwörung einer besseren Zeit – in Stein gemeißelte Sätze stehen als „ein erratischer Block neben der Charta“ (Eisele 2007, S. 138).

Präambel

 „WIR, DIE VÖLKER“

 „künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren“

 „Glauben an die Grundrechte des Menschen, an Würde und Wert der menschlichen Persönlichkeit, an die Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von allen Nationen, ob groß oder klein“

 „Gerechtigkeit und die Achtung vor den Verpflichtungen aus Verträgen und anderen Quellen des Völkerrechts“

 „sozialen Fortschritt und einen besseren Lebensstandard in größerer Freiheit“

 „Duldsamkeit zu üben und als gute Nachbarn in Frieden miteinander“

 „unsere Kräfte zu vereinen […] Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse“

 „wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt aller Völker“

 ➔ Die verbindlichen „Ziele und Grundsätze“ (Kap. I Art. 1-2) der UNO sind zu Beginn des eigentlichen Vertragstextes aufgelistet; die Reihenfolge der Ziele ist so beabsichtigt, man kann sie also als Prioritätenliste lesen.


Neben der generellen Verpflichtung zu Friedlichkeit wird sogleich das Konzept der Kollektiven Sicherheit als Friedens(ver)sicherung auf Gegenseitigkeit (siehe 4 und 8.1) betont; die Formulierung „Selbstbestimmung der Völker“ hat sich als Problem erwiesen, da eigentlich kein Separatismus in den Mitgliedstaaten motiviert werden sollte; der wirtschaftlich und sozial erweiterte Friedensbegriff wird verankert und die Menschenrechte und Grundfreiheiten erfahren immerhin eine allgemeine Bekräftigung; der „Mittelpunkt“ kann als eine Generalklausel für die All-Zuständigkeit der UNO verstanden werden. Die oberste Maßgabe für das Verhalten der Staaten untereinander ist nicht das Prinzip der Souveränität an sich, sondern die „souveräne Gleichheit“ aller Mitgliedstaaten; aber es gilt ein Nicht-Einmischungs-Gebot, das als ausdrückliches Interventionsverbot verstanden werden kann; wesentlich ist das generelle Gewaltverbot im Verbund mit der komplementären Beistandsverpflichtung für alle Maßnahmen gemäß der Charta.

 ➔ Die „Mitgliedschaft“ (Kap. II Art. 3-6) in der Organisation der Vereinten Nationen steht „alle[n] friedliebenden Staaten“ offen, „die fähig und willens sind, die Verpflichtungen laut Charta zu erfüllen“. Aufnahme und Ausschluss erfolgen nur „auf Empfehlung“ des Sicherheitsrates.

 ➔ Als „Organe“ (Kap. III Art. 7-8) hat die UNO sechs Hauptorgane (siehe 5.1) und unbestimmt viele Nebenorgane (siehe 5.2), die nach Bedarf eingerichtet werden können – Vorschriften über Struktur, Funktionen und Kompetenzen von subsidiären Organen aller Art sind allerdings nicht formuliert. Die Hauptorgane sind:Generalversammlung (GV) / General Assembly (GA),Sicherheitsrat (SR) / Security Council (SC),Wirtschafts- und Sozialrat / Economic and Social Council (ECOSOC),Treuhandrat / Trusteeship Council,Internationaler Gerichtshof (IGH) / International Court of Justice (ICJ),Generalsekretär bzw. Sekretariat / Secretary General (SG).

 ➔ „Die Generalversammlung“ (Kap.IV Art. 9-22) ist formal und zahlenmäßig das gewichtigste Gremium der UNO,weil eben alle Mitgliedstaaten ungeachtet ihres politischen und ökonomischen Gewichts in der GV Sitz und eine Stimme bei Entscheidungen haben undweil sie prinzipiell zuständig für alles ist, was in der und durch die UNO passiert.

Doch Art. 12 schränkt die Kompetenz der GV harsch ein, denn solange der Sicherheitsrat mit einer Angelegenheit befasst ist, darf die GV dazu keine Empfehlung abgeben, außer auf Ersuchen des SR. Das Problem der Kompetenz-Abgrenzung zwischen GV und ECOSOC ist programmiert; wiewohl die GV die Oberaufsicht über alle Organe der UNO hat, doch ihre einzige wichtige Kompetenz ist praktisch der Haushalt; sie kann Nebenorgane einsetzen und hat das ausgiebig genutzt.

 ➔ „Der Sicherheitsrat“ (Kap. V Art. 23-32) ist das politisch wichtigste Haupt-Organ (siehe 6.1.2 und 8.1.2).


Die Liste der ständigen Mitglieder wurde nie geändert, obwohl im Falle der Volksrepublik China (statt der Republik China [Taiwan]) oder der Russischen Föderation (statt der UdSSR) plötzlich andere Staaten auf dem ständigen Sitz saßen; die „angemessene geographische Verteilung“ gilt nur für die nicht-ständigen Sitze.

Art. 24 sichert die exklusive Zuständigkeit des SR für Frieden und Sicherheit; zusammen mit der Beistandsverpflichtung (Art. 2 und 49) gibt Art. 25 dem SR ein internationales Gewaltmonopol; der Auftrag zur Rüstungsregelung ist nicht erfüllt.

Das sog. „Veto“-Recht gibt den ständigen Mitgliedern einzeln eine unbedingte Verweigerungs-Macht und als Gruppe eine Vormachtstellung; sie müssen laut Charta zustimmen, doch als „Veto“ gilt in der Praxis nur eine explizite Ablehnung (Nein-Stimme), nicht schon eine Enthaltung oder gar ein Fernbleiben von der Sitzung; ein kollektives „6.“ Veto ist möglich durch sieben Neinstimmen nicht-ständiger Mitglieder.

 ➔ Die friedliche Sicherung des Friedens ist als „Die friedliche Beilegung von Streitigkeiten“ (Kap. VI Art. 33-38) allen Mitgliedern vorgeschrieben (siehe 8.1.2). Von entscheidender Bedeutung ist Art. 34, der dem Sicherheitsrat die exklusive Definitionsmacht gibt, was „Bedrohung“ oder gar „Bruch“ des Friedens ist – ein Problem, das der Sicherheitsrat nicht sieht, ist nicht in der Welt; einzelne Mitgliedstaaten oder auch der Generalsekretär können die Befassung des SR mit einer Sache anregen, aber nicht erzwingen. Maßnahmen zum „peace-keeping“ durch „Friedenstruppen“ (sog.“Blauhelm“-Einsätze) sind in diesem Kapitel der Charta nicht vorgesehen.

 ➔ Die unfriedliche Sicherung des Friedens ist unter den „Maßnahmen bei der Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen“ (Kap. VII Art. 39-51) geregelt (siehe 8.1.2). Das Recht eines jeden Staates zur Selbstverteidigung bleibt weiterhin uneingeschränkt, wiewohl der Sicherheitsrat das internationale Gewaltmonopol erhält: Art. 39 gibt dem SR noch einmal auch für die höhere Eskalationsstufe die exklusive Definitionsmacht festzustellen, was „Bedrohung“ oder gar „Bruch“ des Friedens ist. Wenn Vermittlungsversuche erfolglos bleiben, hat der SR dann nach Art. 41 das Recht, Sanktionen aller Art ohne Waffengewalt zu verhängen; wenn auch dies nicht fruchtet, darf der SR dann laut Art. 42 militärische Zwangsmaßnahmen bis zum Krieg anordnen – die „Lizenz zum Töten“.

Abgesichert ist dies in Art. 49 durch die Beistandsverpflichtung der Mitglieder; der vorgesehene „Generalstabsausschuss“ zur militärischen Führung wurde zwar nie aktiviert, aber auch Staaten-Allianzen oder Militärbündnisse können auf der Grundlage von Art. 42 beauftragt werden. Maßnahmen zum „peace-keeping“ (sog.“Blauhelm“-Einsätze) sind in diesem Kapitel der Charta also ebenfalls nicht vorgesehen.

 ➔ Die Sicherung des Friedens kann zusätzlich durch „Regionale Abmachungen“ (Kap. VIII Art. 52-54) unternommen werden: Der SR kann Aufgaben auf von ihm autorisierte internationale Regionalorganisationen (z.B. eines Kontinents) delegieren, behält aber dabei die übergeordnete Kompetenz.

 ➔ Die „Internationale Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem und sozialem Gebiet“ (Kap. IX Art. 55-60) und damit „Der Wirtschafts- und Sozialrat“ (Kap. X Art. 61-72d) haben in der Charta so große Bedeutung erhalten, weil zur Verhinderung von Krieg neben dem Konzept der kollektiven Sicherheit eben ein positiver Friedensbegriff zugrundegelegt wurde, der anders als das bloß negative Verständnis (= kein Krieg) anspruchsvoll auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen von Frieden gerichtet ist.


Die eigentümliche Formulierung in Art. 60 lässt schon ahnen, dass es ein Problem der Kompetenz-Abgrenzung von GV und ECOSOC geben würde, zumal für die wichtigsten Arbeitsfelder auch sog. Sonderorganisationen zuständig sind, die als selbständige internationale Fachorganisationen zwar zum System der UNO zählen, aber nicht Teil von ihr sind (siehe 5.3). GV und ECOSOC haben zudem weidlich die Möglichkeit genutzt, in diesen Arbeitsbereichen Neben- und Unterorgane einzurichten (siehe 5.2).

Die 54 Mitglieder des ECOSOC werden von der GV für drei Jahre gewählt, jährlich 18 neu. Die Probleme Umwelt und Klima gehören analog zu den Entwicklungsfragen auch zu seiner Kompetenz; er ist zuständig für die meisten der öffentlichkeitswirksamen „Welt-Konferenzen“ und „Gipfel“ (siehe 7.3); er verhandelt und regelt die Zusammenarbeit mit den selbständigen Sonderorganisationen; er verantwortet die Zulassung von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs/INGOs) zu Beobachtung, Anhörung und Mitarbeit in der UNO.

 ➔ Die „Erklärung über Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung“ (Kap. XI Art. 73-74), „Das internationale Treuhandsystem“ (Kap. XII Art. 75-85) und „Der Treuhandrat“ (Kap. XIII Art. 86-91) sind historisch erledigt. Das Problem war noch nicht die Dekolonisierung als politische Emanzipation der „Dritten Welt“, sondern die Verwaltung der „herrenlos“ gewordenen Kolonien der Verlierer beider Weltkriege, aber in Kap. XI Art. 73 ist mit dem Prinzip der Selbstregierung und Entwicklung abhängiger Gebiete im Grundsatz die Dekolonisierung angeregt.

 ➔ „Der Internationale Gerichtshof“ (IGH) (Kap. XIV Art. 92-96) dient der Streitschlichtung und der Völkerrechts-Entwicklung. Alle Mitglieder der UNO sind zugleich Vertragsparteien des Statuts des IGH, müssen sich aber jeweils der Rechtsprechung freiwillig unterwerfen; zumindest prinzipiell gibt es eine Möglichkeit zur Durchsetzung von Urteilen durch den Sicherheitsrat. Die 15 Richter aus 15 verschiedenen Ländern sind nur dem Völkerrecht und nicht ihren Heimatstaaten verpflichtet. Organe und Sonderorganisationen können über Rechtsfragen Gutachten des IGH anfordern.

 ➔ „Das Sekretariat“ unter dem Generalsekretär (GS) (Kap. XV Art. 97-101) ist ein vollwertiges Hauptorgan, nicht etwa nur ein untergeordneter interner Dienstleistungs-Apparat. Der Generalsekretär hat auch genuin politische Aufgaben: Er berichtet jährlich der GV über die Tätigkeit der Organisation und setzt damit Akzente; er „kann die Aufmerksamkeit des Sicherheitsrats auf jede Angelegenheit lenken, die nach seinem Dafürhalten geeignet ist“, Frieden und Sicherheit zu bedrohen (Art. 99).

Die Mitarbeiter des Sekretariats sind unmittelbar dem Generalsekretär unterstellt und nur der UNO verpflichtet, nicht einzelnen Mitgliedsländern; das Personal soll zudem „ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlicher Eignung und Ehrenhaftigkeit“ aufweisen und „auf möglichst breiter geographischer Grundlage“ ausgewählt werden (Art. 101). Das Gebot der Unabhängigkeit ist für eine internationale Organisation essentiell, aber nicht ganz realistisch; zusammen mit der Forderung nach höchsten fachlichen und moralischen Qualitäten und nach geographischer Diversität ist das recht viel verlangt. Bezogen auf das angestellte Personal der UNO – also nicht die Staatenvertreter – gilt die Gleichberechtigung von Mann und Frau (Kap. III Art. 8).

 ➔ Unter dem bescheidenen „Verschiedenes“ (Kap. XVI Art. 102-105) sind eminent wichtige völkerrechtliche Bestimmungen für den Status und die Arbeitsfähigkeit der UNO zu finden: Verpflichtungen aus der Charta haben Vorrang vor Verpflichtungen aus allen anderen internationalen Verträgen, falls sie sich widersprechen; die Charta ist also völkerrechtlich der wichtigste und der im Zweifel ausschlaggebende Vertrag – das ist z.B. hinsichtlich des Gewaltmonopols des Sicherheitsrats wesentlich. Obwohl kein Staat, ist die UNO ein eigenständiges Völkerrechtssubjekt mit Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Hoheitsgebiet jedes Mitglieds.

 ➔ Die „Übergangsbestimmungen betreffend die Sicherheit“ (Kap. XVII Art. 106-107) mit der „Feindstaatenklausel“ waren auf die Situation zu Ende des Weltkrieges gerichtet und sind ebenfalls historisch erledigt.

 ➔ Formelle „Änderungen“ (Kap. XVIII Art. 108-109) der Charta sind inzwischen fast unmöglich. Die politischen Anforderungen an das korrekte Verfahren für jede rechtswirksame Reformulierung der Charta sind sehr hoch und bilden nur schwer überwindbare Hemmnisse für alle Reformen, die einer solchen Änderung bedürfen.


Nötig wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Generalversammlung und Ratifizierung seitens der Gesetzgeber in zwei Dritteln der Mitgliedsländer inklusive aller ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats; das politische Problem sind nicht nur die nötigen Mehrheiten, auch jahrelange Verschleppung der Ratifizierung in den Staaten ist eine Gefahr. Eine Konferenz als weitere Möglichkeit zur Revision der Charta kam wegen derselben Hürden nie zustande. Das erklärt auch, warum so viele in Jahrzehnten obsolet gewordene Bestimmungen (wie die zum Treuhandsystem) nicht einfach gestrichen worden sind.

Die Charta ist bisher nur zweimal vor Jahrzehnten geändert worden: 1963/1965 wurde die Zahl der Mitglieder des SR von 11 auf 15 erhöht, indem die Sitze der nichtständigen Mitglieder von 6 auf 10 vermehrt wurden; die Zahl der Mitglieder des ECOSOC wurde von 18 auf 27 erhöht; 1971/1973 wurde sie noch einmal von 27 auf 54 erhöht. Doch diese Änderungen waren politisch nicht umstritten und fanden leicht die Zustimmung der ständigen Mitglieder des SR; die UNO hatte auch noch nicht so viele Mitglieder, von denen zwei Drittel ratifizieren mussten.

 Am Ende des Vertragstextes ist unter „Ratifizierung und Unterzeichnung“ (Kap. XIX Art. 110-111) geregelt, wie er rechtlich verbindlich wurde: Die Charta trat in Kraft, als ihn „die Unterzeichnerstaaten nach Maßgabe ihres Verfassungsrechts“ ratifiziert und alle ständigen Mitglieder des SR und die Mehrheit der anderen Unterzeichnerstaaten ihre Ratifikationsurkunden hinterlegt hatten bei der Regierung der USA, die das protokollierte und notifizierte. Der verbindliche Text der Charta lag in Chinesisch/Französisch/Russisch/Englisch/Spanisch vor.

„ZU URKUND DESSEN haben die Vertreter der Regierungen der Vereinten Nationen diese Charta unterzeichnet.

GESCHEHEN in der Stadt San Franzisco am 26. Juni 1945.“

Die Charta der Vereinten Nationen ist also weder perfekt noch allen aktuellen Problemen angemessen – aber sie ist praktisch kaum mehr zu ändern. In ihr sind einige obsolete oder unzureichende Bestimmungen festgeschrieben:

 Einzelne Kapitel und Artikel des Vertrages sind von der historischen Entwicklung überholt und überflüssig gemacht worden, sei es, dass Bestimmungen gar nicht erst politisch umgesetzt werden konnten (wie der Generalstabsausschuss und Sonderabkommen zur Truppenstellung in Kap. VII), sei es, dass die Aufgabe erledigt wurde (wie der ganze Treuhand-Bereich, Kap. XI bis XIII).

 Vielfach entstanden Probleme durch unklare Kompetenz-Abgrenzung zwischen Generalversammlung und ECOSOC oder auch anderen Organen.

 Die Charta gibt keine Vorschriften über Struktur, Zusammensetzung, Funktionen und Kompetenzen von subsidiären (Neben-, Unter-, Spezial-)Organen aller Art, was organisatorischen Wildwuchs nährte: Viele Überschneidungen und Doppelungen sind uneffizient – aber politisch oft auch hilfreich und erwünscht (siehe 7.6).

 Schutz und Durchsetzung der Menschenrechte werden in den Artikeln 1, 13, 55, 62 und 68 unter verschiedenen Kapiteln der Charta nur sehr grundsätzlich beschworen oder beiläufig erwähnt, aber – aufgrund von deren Entstehungsbedingungen (siehe 3.2) – wurde dazu kein gesondertes Kapitel formuliert und auch kein spezielles Hauptorgan für Menschenrechtsarbeit vorgesehen.

Die Autor/inn/en der Charta hatten aber auch viel Pech mit ihren Festlegungen für Struktur und Funktionsweise der UNO; kaum waren die Konsequenzen aus den gegebenen Rahmenbedingungen gezogen, änderten sich diese:

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9783846352922
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