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Kapitel 3


Schlaksig, wie man das von Lorenz kannte, trat er vor zwei Tagen durch die Tür zum Dezernat 25 der Abteilung 2. Und wie es aussah, war er nicht mehr in der Lage, dem auszuweichen. Die Vorsehung hieß Jobhopping. Personallücken im Kriminaldauerdienst zu füllen, funktionierte stetig gleich. Seine Begeisterung war dünn. Die Disziplin fordernd. Zu diesem Zeitpunkt war nicht erkennbar, dass er sich durch die Aktivität fanatischer Täter in höchste Gefahr begab. Im Gegenteil. Die Euphorie durch private Glücksempfindungen trieb ihn in den Tag hinaus. Jede Sekunde davon auszukosten, war ein internes Versprechen. Genauso, Kollegen aus der Patsche zu helfen. Diesen heiligen Schwur brach er niemals. Polizist zu sein, bedeutete ihm, für Ehre, Treue und Kameradschaft einzustehen. Im Augenblick gewann eine andere Wahrnehmung die Oberhand. Mit dem frühen Sonnenaufgang erwachte die Lust. Es gab keinen Zweifel. Neben ihm lag Simone, die Spezialistin aus dem Cybercrime Competence Center des LKA. Nackt wie ein Fleck lichterfüllter Farbe schürte sie sein Begehren. Die ersten Sonnenstrahlen reflektierten auf dem zarten Braun ihrer Haut. Sie bemerkte den Blick. Lächelnd ergriff die fünfundzwanzigjährige Polizeikommissarin mit beiden Händen seinen Kopf. Sie näherte sich ihm, um genüsslich ihre Zunge zwischen seine Lippen zu schieben. Euphorisch flüsterte sie: »Komm, küss mich!«

Sie blieb an der durchtrainierten, muskulären Gestalt hängen, die eine erstaunliche Kraft entwickelte. Eine Gegenwehr schied vorbehaltlos aus. Aufstehen, kultiviert den Job anzutreten, war dahin.

»Okay, gib nach, genieße«, redete der erstarkende Geist im Hirn drauflos. »Schlaf mit ihr. Vergiss den Verdruss. Das Beste, was dir je passierte! Nimm es an!«

Darüber nachzudenken entfiel. Der Testosteronspiegel stieg sprunghaft an. Das Geschlechtshormon schaffte eine sichere Reaktion auf den Clinch, den ihre kraftvollen Schenkel um seine Lenden bewirkten. Willig ließ ihn die betörende Venus gewähren. Scheinbar in Höchstform, befeuerte sie den Liebesakt mit ungemeinem Ehrgeiz. Die langen, kohlrabenschwarzen Haare hingen ihr wirr vorm Gesicht. Sie verhinderten, ihre Ekstase augenfällig wahrzunehmen. In einer Art Wettkampf krümmte und bog sie sich. Das lebendige Wesen zu beherrschen, funktionierte nicht mehr. Ihre Oberschenkel fixierten ihn wie ein gigantischer Greifarm. Zum Andenken an die Explosion in ihr verblieb ein winziger Kratzer auf seinem Hals. Ein Obolus an den errungenen Sieg, in der Entrückung mit ihren Zähnen erzeugt.

Erstaunlich, die aufgelaufenen vierzig Lebensjahre verliehen ihm die Gabe eines Stehaufmännchens. Im Job des Kriminalbeamten jeden Tag erneut ausgespuckt, rang er dem das Beste ab. Hierzu zählte, den nach den Regeln der Behörde, soweit außer Frage realisierbar, mit eigenen Abläufen zu durchsetzen. Bisher funktionierte das ausgezeichnet. Er stammte aus einem Elternhaus mit geringem Einkommen. In kurzer Zeit lernte er, sich durchzuboxen. Dieses Vermächtnis investierte Lorenz in den Aufbau einer rundweg eindrucksvollen Karriere. Die kam zwar vorwärts, schob dagegen den krönenden Abschluss im gehobenen Dienst der Kriminalpolizei vor sich hin. Um zwei Stufen die Leiter hinaufzufallen, erlaubte das Amt. Das Band tiefer Befriedigung litt streckenweise darunter. Ausgepowert durch ein vom Personal ausgelaugtes Landeskriminalamt, Engpässen bei der Beförderung einschließlich der Vergütung bedurfte es Beamten wie ihn.

Der fliegende Atem mit einem klopfenden Puls verzog sich beim Betreten des Raumes schlagartig. Rasch fand er zu dem stetig gleichen Rhythmus, der für die Bekundung ernsthaft gesetzter Absichten zuständig war. Das betraf ebenfalls, die Peinlichkeit des Auftritts bewusst hinzunehmen. Unrasiert, Zigarettenrauch verbreitend, mit zerknitterten Klamotten bot er nicht den besten Anblick. Das scherte ihn mehr am Rande. Von all dem vermutete die Person hinter dem Schreibtisch nichts. Er war der geschmeidig-protzige Chef. Ein Gigant mit Befehlsgewalt über die Abteilung 2, zu der das Dezernat 25 mit der Tatortgruppe gehörte. Dem ordnete sich Lorenz generell unter. Egal, was da auf ihn zukam. Wie das ausging, stand nicht zur Debatte. All die unterschwelligen Gedanken störten den Beamten nicht im Geringsten.

»Ich brauche Sie für einen Sondereinsatz«, brach die Anspannung endgültig. Alle Anzeichen, wieder einen Ranzer zu kassieren, verschwanden.

»Also hab ich nichts falsch angepackt«, verzog sich im Sekundenbruchteil. Dabei lag die Ausrede im Hinterstübchen parat. Sein Verhältnis mit der Cyberspezialistin gehörte nicht zum Themenkreis. Das war ein Privatproblem, nicht das der Polizei. Na ja, für tiefgründige Gespräche über den Job blieb bisher keine Zeit. Die paar Stunden zwischendurch galten dem Vergnügen. Das war die einzig richtige Verständigungsbasis. Den Versuch, eine Vorstellung von dem zu erhalten, was ihn erwartete, winkte er im tiefsten Inneren ab. Hängen blieben da gegebenenfalls die Abende in den Kneipen, die 120 Zigaretten pro Tag, die schmuddelige zivile Kleidung. Der Drang nach dem Kick, zu kitzlige Fälle zu bearbeiten.

»Ich werde meine Haut gepfeffert verkaufen«, schob den Frust über den Ausfall der geplanten paar Tage Urlaub auf dem Darß in die Ferne. »Seifenblasen zerplatzen. Waren sie nicht dafür da? Und hatten sie nicht mit ihrem Glanz eine Aufgabe erfüllt, um dann ungeschminkt Wahrheiten zu verkünden?« Simone blieb der leibhaftige, rühmenswerte Engel mit den schwarzen Haaren. Der Geschmack ihrer Haut lag anhaltend auf der Zunge. Er trug ihn mit hinein zum Chef, um zumindest daraus für den heutigen Tag Hoffnung zu schöpfen. Gedanken für die Ewigkeit, die er in höchstem Maße verinnerlichte. »Keine Angst, wir geben uns einander hin. Täglich, zwischendurch, mit sportlicher Note. Ich bin dein Preis. Geh in dich. Der Job hat Priorität, sei wachsam!«, verlor sich in Anbetracht der Aufforderung, sich zu setzen.

Wer von der Obrigkeit dafür ein Auge hatte, entzog sich ihm. Weil sich an dem nichts ändern ließ, erwiesen sich jegliche fieberhaften Überlegungen als unnütz. Hier drehte sich alles um Disziplin. Das Gefühl, Großes zu bewirken, stimmte ihn beschwingt. Intern zählte er zu den leistungsstarken Gutmenschen mit Visionen, die in der Lage waren, einen Riecher für Erfolg zu generieren. Den Spannungsbogen zwischen privatem und dienstlichem Engagement hatte er lange vorher für sich geklärt. Verbrechen Einhalt zu gebieten, ein Anspruch, den er täglich bereit war, anzustreben. Einzig das zählte.

»Lorenz, setzen Sie sich«, klang nach einer Einladung, nicht wie ein Befehl. Der Rest verlor sich in den üblichen Beschwörungen. »Bleiben Sie bei der Stange. Es ist Urlaubszeit. Na ja, Sie wissen damit umzugehen. Ein Sondereinsatz. Vorübergehend überstelle ich Sie dem Revierkriminaldienst der Polizeidirektion im Harz. Ich habe Sie persönlich avisiert. Bereit?«, sah er ihn fragend an und streckte den Daumen nach oben. Die Antwort schien dem Chef geläufig. Trotz alledem schob er den dafür üblichen Spruch hinterher: »Ich sorge für angemessene Unterstützung, Lorenz.« Es dauerte Millisekunden, um sich darauf einzustellen.

»Chef, ich habe kein Problem, auszuhelfen. Seit zwei Jahren arbeite ich in fremden Gefilden. Bin buchstäblich der Ausputzer mit Besoldungsgruppe A 10.«

»Was denn, versteckt sich da eine Beschwerde? Nicht heute. Sie pokern zum falschen Zeitpunkt«, bohrte sich die Antwort monoton in sein Ohr. Sie besaß eine gewisse Schärfe und demonstrierte Angriffslust. Dieser Eindruck bestätigte sich. Es bestand keine Chance, sich zu wehren. Er gewahrte, wie die Disziplin Besitz von ihm ergriff. Ein Grund mehr, das Gesicht zu wahren.

Wie um sich zu beruhigen, sog er ein paarmal die Luft ein und erklärte: »Bringen wir die Sache hinter uns. Ich bin bereit!«

»Und wie Sie das sind. Sie lecken sich die Lippen. Ich sehe, wie es Sie drängt, sich zu beweisen. Das ist wieder eine Chance, sich in unkonventionellen Vorgehensweisen der Fallbearbeitung auszuprobieren. Lorenz, Sie gehören zu den Kriminalisten mit Biss. Die brauche ich bitter nötig. Und bitte, stecken Sie das dämliche Grinsen weg.«

Er schaute zu dem Oberrat auf. Verdammt, sein Verhalten war nicht professionell. Persönliche Interessen der Jobausführung voranzustellen, nein, das funktionierte nicht. Der Chef hatte den Sarkasmus mit der Besoldung auf eigene Art weggesteckt. Gott sei Dank. Wenn es einen Augenblick gab, dieser Blamage zu entrinnen, schien das sofort angebracht. Es kam anders. Der Vorgesetzte drückte eine Taste auf der Sprechanlage.

»Bitte bringen Sie für mich und den Oberkommissar Kaffee, Zucker und Milch und Gebäck. Kommen Sie, Lorenz, setzen wir uns dort drüben an den Tisch. Unser Gespräch dauert eine Weile. Klar, ich erteile Ihnen den Befehl, das war’s. Das bringt nichts. Die Sache ist zu prekär. Finden Sie es selber heraus. Da kommt eine Winzigkeit obendrauf«, brachte er in einer Art väterlichem Ton rüber. »Sie realisieren den Job im Alleingang. Ich verfüge volle Handlungsfreiheit. Sagen wir, drei bis fünf Tage für die Zeugenbefragungen. Sie lösen das Rätsel um den Vorgang, den Sie gleich zur Kenntnis erhalten. Und Achtung: Ich schicke Sie in einen Krieg! Erstaunt? Inhalieren Sie das wörtlich. Es ist bitterernst. Vermeiden Sie öffentliches Aufsehen!«

»Chef, was soll die Vorrede. Entweder bin ich dafür der geeignete Ermittler oder nicht.«

»Okay. Auf den Punkt gebracht heißt das: ein teilskelettierter, menschlicher Körper ohne Kopf im Flusslauf der Bode stiftet Unruhe. Hmm, hätte ich bald vergessen. Da gibt es eine ungeklärte Vermisstenanzeige. Die sticht mir ins Auge.«

»Weil? Und weswegen ist das ein Vorgang, der dem LKA anhängig ist?«

»Der Kerl ist beim Staatsschutz eingängig bekannt. Bei dem handelt es sich um den geschassten Anführer einer Sekte.«

»Da ist mein Einsatz eine reine Formsache? Wir reagieren, um Ruhe in den Vorgang zu bringen?«

»Ja und nein! Ich brauche einen nüchternen Bericht, den Sie verfassen. Keine Heldentaten. Ich setze auf Ihre Integrität. Beweisen Sie, dass mein bester Ermittler das nachfolgende Beförderungsamt verdient hat. Diesen Ritterschlag würde ich gern vollziehen.«

»Uff, das haut mich um«, erwiderte Lorenz. »Das Ausputzen mit meinem Vorwärtskommen zu verknüpfen, endet hin und wieder tödlich.«

»Quatsch, das basteln Sie hin. Da bin ich voller Zuversicht. Bitte, Oberkommissar, ich brauche kein Konfliktpotential mit den anderen Kollegen. Wir reagieren auf das Amtshilfegesuch der Polizeidirektion Harz. Schlagen Sie dort auf. Schalten Sie sich in die Ermittlungen ein«, hob er eine Art Sprechgesang an.

»Werde ich, verlassen Sie sich drauf. Okay. Sie erwarten von mir die Abklärung von Identitäten nebst Todesursache in drei bis fünf Tagen. Ist das in Ihrem Sinn?«

Auf das in die Länge gezogene »Hmm, tja, äh« folgte: »Korrekt! Keinen Schritt anders. Vergessen Sie nicht, der Bürgermeister der Stadt betet Sie garantiert an, den Fund tunlichst bedeckt zu kommunizieren. Erfüllen Sie ihm den Wunsch. Den erkennungsdienstlichen Teil, die Daktyloskopie, den Nachweis der DNA, überlassen Sie den Kollegen vom Dezernat 23. Schauen Sie zuerst da vorbei. Die Rechtsmediziner schaffen gemeinsam mit dem Forensiker über den Todesfall Gewissheit. Runden Sie das Bild vor Ort ab. Die Frage, ob ein Gewaltverbrechen beziehungsweise eine natürliche Todesursache vorliegt, ist wie gewohnt nach Handbuch zu klären. Hier lugt eine enorme Verantwortung um die Ecke. Ich bin nicht sicher, meine Vermutung legt mir nahe, dass da Ärger vorprogrammiert ist. Ich rieche das. Die Lage im Harzvorland ist angespannt. Sie sind der Joker. Ach, ein winziges Detail wäre in dem Zusammenhang zu beachten.«

Er hob den Kopf, sah den KOK mit zusammengekniffenen Lippen an. Die öffnete er schlagartig, um ernüchternde Worte preiszugeben.

»Mensch Lorenz, passen Sie gefälligst auf sich auf! Keine Eigenmächtigkeiten! Disziplin! Gott behüte. Verkacken Sie das nicht. Für den Jahresabschluss der polizeilichen Kriminalstatistik brauche ich aufgeklärte Fälle. Ein solcher Fund ist nicht nützlich für das Tourismusgeschäft der Harzstadt. Mein Rat, spannen Sie den Bürgermeister mit seinem Team in die Datensammlung ein. Irgendeiner hat garantiert was bemerkt. Die Stadt quillt ja über mit potentiellen Nachrichtenträgern.«

»Reden wir von den steigenden Touristenzahlen?«

»Was denn sonst, Lorenz. Mahlzeit, wenn die Medien Beute wittern. Es reicht, dass der Torso mitten in der Urlaubshochzeit zufällig zum Vorschein kam.«

»Chef, Sie haben da Details weggelassen.«

»Was? Quatschen Sie nicht rum!«, brauste der auf. »Sagte ich ja. Begeben Sie sich zu den Kollegen vor Ort. Schauen Sie, ob es da irgendwelche Verbindungen zum Vermissten gibt. Eine Menge treuer Anhänger verehren die gesuchte Person. Lassen Sie sich das vernünftig erklären. Denkbar ist alles. Nachrangig ein möglicher Bezug zum Fund in der Bode.«

»Hmm, wenn Sie meinen. Ich bin voll dabei«, erklärte sich Lorenz, um sofort nachzuschieben. »Rein hypothetisch betrachtet. Mir sind viele Tote bei den Ermittlungen in den Jahren begegnet. Die schmoren in der Vergangenheit. Ich dagegen kümmere mich um das Heute und die Zukunft.«

»Prima! Na das passt bestens in meine Überlegungen hinein. Schätzen Sie sich glücklich und freuen Sie sich, dass ich Sie nicht mit einem nackten Befehl abgespeist habe. Ihr Verständnis ist gefragt. Ich brauche jemanden mit eisernem Kalkül. Um Ihnen mehr Informationen zu liefern, hieße das, in die Trickkiste zu greifen. Funktioniert leider nicht. Erledigen Sie das vor Ort, oder bleibt das am Chef des Amtes hängen?«

»Blödsinn, ist das ein Test? Herr Kriminaloberrat, Sie foppen mich. Die Aufgabe ist eindeutig. Erklären Sie mir die Vorgehensweise in Kurzform. Das reicht. Zufrieden?«

»Ich glaube ja. Das ist eine schlitzohrige Antwort. Hmm, Sie wissen es besser. Ohne Frage mit versöhnlicher Absicht. Passt haargenau in das Klischee eines Spitzenbeamten. Bissig, mit blitzschneller Reaktion.« Er grinste. Sein Blick traf den von Lorenz. Mitleidserfüllt. Glasig. Aufgewühlt von einem harten Disput. »Habe gehört, das hilft, die Aversion gegen Glaubensfanatiker abzulegen.«

»Oh je, das ist zutiefst konkret. Vorschlag, wir kommen wieder runter vom hohen Ross. Sie sind mein Chef, geben die Befehle. Ergo, keine Sorge. Sie investieren in einen Profi mit Hungergehalt«, sagte er mit beißendem Spott auf der Zunge. Dafür erntete er einen fragenden Blick. »Das wüsste ich. Lorenz, erst der Job. Die Lobhudelei folgt. In dieser Reihenfolge. Haben Sie das begriffen? Abtreten!«

Eine Stunde später jagte ein eisiger Schauer über die Haut. Sein Handy schaltete sich per Freisprechanlage im PKW zu. »Hier ist das Sekretariat der Stadtverwaltung. Sie sind Oberkommissar Lorenz?«

»Korrekt, der bin ich!«

»Na Gott sei Dank. Es dreht sich um den Fund menschlicher Skelettreste in der Bode. Ich verbinde Sie mit dem Bürgermeister.«

Seine Konzentration galt in dieser Sekunde unwiderruflich dem Anrufer. Obendrein hatte er eine geistige Notiz parat. Volltreffer! Das traf den Nerv des Stadtpolitikers. Der ursprüngliche Erregungszustand verblasste im Nu. Ein Funke von Sympathie sprang über.

»Herr Bürgermeister, wir sind beide einer Meinung. Hier steht eindeutig eine Menge auf dem Spiel. Ob Unfall, Totschlag oder Mord, es gibt ein Ergebnis, garantiert. Ich verbürge mich dafür. Es stimmt, die Umstände sind kurios.«

»Einzig aus diesem Grund befeuern sie kontroverse Diskussionen. Ein menschliches Skelett ohne Kopf in der Bode, das ist ein äußerst schreckliches Ereignis. Herr Lorenz, das Image der Stadt leidet. Degradiert da jemand den Tourismus in unserer Harzregion zu einem Tal der Tränen? Haben wir ein ernsthaftes Problem? Bitte, lassen Sie mich Ihnen helfen. Wir reden bei mir am Tisch darüber. Ich habe Verstärkung hinzugezogen. Das versetzt Sie garantiert in Erstaunen. Bei dieser Gelegenheit: Negativschlagzeilen verabscheue ich. Sie ebenfalls, meinte Ihr Vorgesetzter. Seien Sie nicht zimperlich«, gab er telefonisch mit auf den Weg. »Und, passt das? Im Übrigen, Sie fahren ja in ein Urlauberparadies«, folgte mit einem vernehmbaren Lachen. »Spaß beiseite. Kundige Kriminalisten besuchen uns nicht jeden Tag. Mein Vorschlag: Lernen Sie den Brunnen der Weisheit kennen. Das dient den Ermittlungen. Wo wir schon mal dabei sind, der Weg zu mir führt unmittelbar daran vorbei. Ein ehrenamtlicher Mitarbeiter vom Harzklub erwartet Sie. Wann treffen Sie ein?«

»In einer Stunde, sagt zumindest das Navigationssystem.«

»Bestens, Herr Lorenz. Konzentrieren Sie sich auf das Café gegenüber dem Rathaus. Ist nicht zu verfehlen. Parkmöglichkeiten finden Sie in der angrenzenden Einkaufspassage.«

»Danke, ich komme klar. Sie kennenzulernen, ist mir eine Ehre«, brummte er zufrieden und drückte das Gespräch weg. Es gab nichts mehr zu sagen. Zurück blieb der Gedanke an die unzureichende Vorbereitung. Dem Termin fuhr er buchstäblich blind entgegen. Mit Wissenslücken aufzukreuzen, gefiel ihm absolut nicht. »Scheiße, die werfen mich in aller Ruhe in eine Sache rein, die mir unter Umständen das Genick bricht«, murmelte er mit Blick auf den Straßenverkehr. Die bloße Erkenntnis, dass der Harzklub mit dem Zweigverein der Stadt enormen Druck auf den Stadtvater ausübte, drängte sich im Gedächtnis nach vorn. Ein bis dahin unbekannter Fakt verblieb. Der Vermisste hatte engen Kontakt zum Verein. Da blieb die Frage offen, wieso sein Verschwinden nicht auffiel. Keine Anzeige bei der Polizei. Und ebenfalls keine Nachfragen im Bekanntenkreis. Einzig die Enkelin reagierte. Für sie war ihr Opa nicht nur ein Teil der Familie, sondern ein Geschichtenerzähler, stetig vermittelnd, um Zusammenhalt der Menschen bemüht. Klar zählte er zu den prominenten Wanderführern in der Region. War ein meisterhafter Kenner der germanischen Mythologie in der Harzer Sagenwelt. Darauf aus, nicht auf der Erde, sondern problemlos über Meere und sogar auf den Wolken zu reiten. Wie Sleipnir, das gewaltige Schlachtross, Wotans achtbeiniges Zauberpferd? War es denkbar, dass sich hier jemand verbarg, der den Zorn Andersgläubiger auf sich zog? Züngelte da ein Glaubenskrieg? Für Lorenz blieb das weitestgehend unbeantwortet. Die Frage drängte nach einer Lösung. Ungestüm, jeden Kilometer anmahnend, den der Passat auf dem Weg in die Harzstadt zurücklegte. Wie gefährlich war ein Skelett? Oder der vermisste Wanderführer? Für die Öffentlichkeit offenbarte sich mit dieser Person jemand, der in den Sommermonaten die Walpurgisnacht mit der Götterdämmerung den Zuhörern nahebrachte. Ein Künstler, in der Lage, die großflächigen Wandgemälde an der Seitenfassade eines Hauses inmitten der Stadt zum Leben zu erwecken. Ein Meisterredner, der die Mythologie zur Werbemasse erkor, um die Lobpreisung seiner Gottesansichten mit dem Einzug ins Paradies zu verweben. Die verhieß Rettung vor dem grausamen Tod. Eine Botschaft, die den sensationshungrigen Harztouristen zeitweise ein bloßes, primitives Lächeln entrang. Fragmente an Daten, die er dem flüchtigen Stöbern in einem dünnen Ordner entnahm.

»Hier lesen Sie das. Der Rest obliegt Ihrer Intelligenz. Und vergessen Sie nicht, Sie sind im Augenblick meine einzige scharfe Klinge. Mit dem Status des Sonderermittlers verfügen Sie über ausreichende Kompetenzen. Fragen Sie nicht, handeln Sie!«

Erst auf dem Parkplatz, im Auto sitzend, sammelten sich die einzelnen Bilder. Die Zigarettenlänge brachte Klarheit. Unterm Strich hing da eine banale Begebenheit dran. Zwei furchtbar nüchterne Fakten. Ein teilskelettierter menschlicher Körper ohne Kopf und eine Vermisstenanzeige. Alles eingepackt in den Bericht der Kollegen von der Polizeidirektion. Mehr Fragen, keine Antworten. Was stimmte daran nicht?

Am Zielort eingetroffen, schwächelte er. Der heiße Augusttag trieb unnachgiebig den Schweiß auf die Haut.

»Mir ist übel«, murmelte er. Das hielt ihn nicht davon ab, sich die nächste Zigarette anzuzünden. Verständlicherweise draußen unter dem Sonnendach des Eiscafés am Rathausplatz. Den Rauch von vierzig Stück hatte er lange im Vorfeld inhaliert. Im Moment vertrieben die Glimmstängel die Wartezeit auf den angekündigten Besuch. Von dem erhoffte er sich Einsichten über die vermisst gemeldete Person.

Sein Gastgeber stürmte sprichwörtlich auf ihn zu. Alle Achtung. Der Kerl zog das Interesse der Kaffeetrinker, Kuchenesser und Raucher an den Tischen auf sich. Seine massige Gestalt schob sich unaufhaltsam auf seinen Platz zu. Er hatte die Hände ausgebreitet. Das Gesicht von der Anstrengung gerötet und mit Schweißperlen auf der Stirn, stoppte er den Schnellgang. Sein Atem glich dem austretenden Dampf aus einem defekten Rohr. Heiß und zischend schlug er Lorenz ins Gesicht.

Die Sekundenwahrnehmung endete mit der dominanten Aussage: »Ah, Sie sind der Gast des Bürgermeisters. Der Herr Kriminaloberkommissar vom LKA Magdeburg. Treffer, stimmt´s? Scheiß Hitze heute. Na egal, ein herzliches Willkommen in der Stadt der Mythen.« Der gedrungene Vierziger schob zur Begrüßung die Hand vor. »Ich bin Wilhelm Feist, Immobilienmakler, Mitglied im Harzklub. Auf Bitten des Ratsherrn der zuständige Ansprechpartner, Ihr Führer durch den Harzer Mythendschungel.«

»Korrekt! Ihre Annahme stimmt.« Dem folgte sein stummes Lächeln. »Ich würde heute besser schlafen, wenn unsere Verabredung mir weiterhilft. Verehrter Herr Feist, trinken wir einen Kaffee zusammen? Kommen Sie. Setzen Sie sich.«

Die Antwort erstaunte ihn.

»Habe ich Ihre Erlaubnis, das da zu sehen?«, tippte der Begleiter mit dem Finger in Richtung der Ausbeulung unter der Sommerjacke.

Lorenz grinste unverhohlen. »Was ist derart wissenswert? Bin ich bekleckert, ein Kaffeefleck? Ist ja ein merkwürdiger Empfang.«

»Äh, äh, Verzeihung. Hab niemals eine richtige Polizeikanone in der Praxis gesehen. Ich frage mich, ob das die Gelegenheit ist. Problem damit?«

»Nein! Bin gespannt, wie Sie die Antwort interpretieren. Wenn die Waffe hilft, Gefahr von mir abzuwenden, beflügelt das aus Ihrer Sicht Zufriedenheit? Ergo, in fremde Hände geben funktioniert nicht. Die Pistole ist wie eine Lady, auf Befingern reagiert sie kopflos.«

»Klar. Akzeptiert!«

Irritiert fuhr sich Wilhelm Feist über das dünne Kopfhaar. Die Gesichtshaut wechselte innerhalb von Sekunden die Farbe. Aschfahl zeigte sie sich grade.

»Verzeihung, hab mich blöd benommen. Bitte, das bleibt hoffentlich unter uns, Herr Oberkommissar.«

»Hmm, hab es dauerhaft zurückgedrängt. Scheiß Idee, Ihr Interesse. Okay, beschließen wir das Thema. Auf jeden Fall ist das Vorkommnis an der Teufelsbrücke ein unheilvolles Omen. Ohne Aufsehen gerät die Sache nicht in Vergessenheit.«

»Diese Vorstellung trage ich mit, Herr Lorenz. Hier ist mein Vorschlag. Sie hatten einen langen Weg in den Harz. Wechseln wir den Gesprächsort. Es ist heiß. Bitte folgen Sie mir. Der Weg da hinten rund um die Skulpturen ist entspannend. Die Wasserspiele bringen Abkühlung.« Zugleich wies er mit einer Hand in diese Richtung, um fortzufahren: »Ich hoffe, Sie nicht zu überfordern. Schauen Sie.«

Lorenz verzog die Lippen. Er begriff nicht, warum sich dieser Wilhelm hinter einer Fassade versteckte. Wovor, das blieb ein Rätsel. Zumal sie sich nicht kannten. »Vorsicht!«, zischte er denkbar knapp. »Das ist nicht grade cool.«

»Was ist los?«, hob der Gastgeber an, um zugleich fassungslos die Luft auszustoßen. »Ich beabsichtige, Ihnen nichts anderes als die nackte Schönheit der Figuren aus der germanischen Götterwelt nahebringen. Die könnten Teil der Recherchen sein. Vergessen? Sie verweilen auf dem Boden einer Harzer Mythenstadt.«

Lorenz guckte erstaunt auf. »Ist das denn nicht gewollt? Droht uns hier Gefahr? Von dem imposanten Kerl mit dem Speer dort drüben?«

»Nein, um Himmels willen, das ist Wotan, der höchste Germanengott«, traf ihn unbekümmertes Lachen. »Leisten wir ihm Gesellschaft. Er trinkt aus dem Brunnen der Weisheit, die Zukunft vorhersagend. Ein Grund, wie mir scheint, dem Harz einen Besuch abzustatten. Liege ich falsch?«

»Sie haben akkurat den Punkt getroffen«, fuhr es knapp aus seinem Mund. »Herr Feist, wenn ich des Philosophierens wegen angereist bin, würde ich es Sie wissen lassen. Klar?«

»Hmm, Pech, das nennt man angearscht. Hab ich verdient, den Tadel.« Er wandte den Blick ab, schien ins Leere zu starren. Mit gesenktem Kopf fuhr er in bewusst demütigem Ton fort: »Nochmals, äh, äh, äh, tut mir leid«, krächzte er hustend.

Lorenz lachte. »Sie sind ein komischer Kauz. Das die Knarre eine solche Anziehungskraft hat, gottverdammt, ist mir partout nicht bewusst. Sie haben´s versucht. Strich drunter. Erklären Sie mir, wie es sich mit den Proportionen der Skulptur verhält. Wo bleibt das Geheimnisumwobene? Was hat es mit dem gigantischen Kerl auf sich?«

»Sie sprechen von Wotan mit dem Speer?«

»Ja! Das sind Ihre Worte.«

Feist zuckte die Achsel. »Klingt erhellend. Hab das nie in der Form betrachtet. Ich frage Sie, sind Sie denn bereit, dafür ein Opfer zu bringen?«

»Wie meinen Sie das?«

»Symbolisch! Wotan gab ein Auge. Sind Sie ebenfalls für einen solchen Schritt aufgeschlossen?«, versuchte er schmunzelnd den Blick des Kripobeamten einzufangen. Der zeigte sich baff, im gewissen Sinne vom Ansturm der Worte überfordert. Hinzu kam das Gefühl, dass sich Feist auf unerklärliche Art versteckte. Die Angst, dass er dem auf die Spur kam, erzeugte einen erbärmlichen Gestank. Der Gedanke verlor sich abrupt, weil sein Gastgeber grade sagte: »Oberkommissar, ich bin der Auffassung, Sie bedürfen dringend der beiden Raben Hugin und Munin. Die Vögel berichten der Legende nach mit ihren täglichen Erkundungsflügen über das Geschehen in der Welt.« Er sah auf, grinste frech und redete weiter. »Ich helfe, soweit es mir machbar erscheint. Staunen Sie! Es verwundert mich nicht, wenn Sie erschrocken um Rat bitten und beten, um abschließend dem Fest der Verbrüderung zu frönen. Habe ich den Nerv getroffen?«, sprudelte es aus ihm in einer Art Befreiungsschlag heraus.

»Oh Gott, was war das denn? Eine Überraschung wie ein Picknick im Grünen?«, lachte Lorenz entspannt auf. »Das ist eine dummdreiste Vorstellung. Wer hat Ihnen die eingeflüstert? Poesie ist nicht meine Sache. Mich reizt, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Skelett und dem Vermissten gibt. Wie sehen Sie das? Wen suche ich? Einen Mörder? Oder hat sich derjenige aus freien Stücken aus dem Leben gestohlen?«

»Entschuldigung, Oberkommissar, wenn ich Sie bedrängt habe. Setzen wir unseren Disput im Rathaus fort. Der Bürgermeister erwartet Sie. Meine Aufgabe ist es, die Harzstadt zu vertreten. Nebenbei bemerkt, die Raben sind auf eine gewisse Art eingenordet. Dutzende verbundene Seelen sind aufgefordert, Informationen zu beschaffen. Das ist, zumindest symbolisch betrachtet, ihre Passion. Spaß beiseite, sehen Sie sich um. Kommen Sie! Den Mörder finden Sie früh genug. Ich verspreche Ihnen, es Sie wissen zu lassen, wenn die Raben mir was soufflieren.«

Lorenz strich sich mit der Hand über das Gesicht. War das ein Signal dafür, sein aufgebauschtes Gehabe wegzuwischen? Nein, zumindest verschaffte es ihm Millisekunden des Nachdenkens. Der Gastgeber schob sich grade ins rechte Licht. Er buhlte um seine Gunst. Die Herausforderung erforderte eine Reaktion.

»Ist ein weiser Spruch. Fangen wir mit dem ersten Schritt an. Greifen Sie zu. Meine Hilfe kostet nichts«, sagte er mit den Achseln zuckend. Stracks schob er nach. »Alleingang hat keinen Sinn. Die Alteingesessenen legen Wert auf eine effiziente Vernetzung. Zum gegenseitigen Vorteil, egal ob sie in irgendeiner Form gläubig oder Freidenker sind. Sie geben nichts preis ohne speziellen Grund, Herr Lorenz.«

Der sah in ein Gesicht, das einer undurchdringlichen Maske ähnelte. Darin fuhr der Mund unablässig fort zu reden.

»Wissen Sie, es ist Zeit, zu akzeptieren, weshalb Sie mich zum Bürgermeister begleiten. Ich bin hierher gereist, um Ihr Städtchen von einem üblen Omen zu befreien. Meine Ausbildung hilft mir, Täter zu entlarven. Das biete ich Ihnen an. Hilfe anzunehmen betrachte ich, wie ein Geschenk zu beanspruchen. Mit Anstand und Würde. Hätte ich einen Wunsch offen, beträfe der die Entscheidung, hier zu leben. Dafür gäbe ich alles, was Ihnen jeden Tag zufliegt.«

»Sie scheinen ein prima Kerl zu sein. Egal. Ich hätte mit einer wärmeren Begrüßung gerechnet. Ein gemeinsames Bekenntnis zum Beispiel. Vorschlag, erlauben Sie mir, Sie mit Ihrem Namen anzusprechen? Ehe ich jedes Mal Kriminaloberkommissar ausspreche, ist Weihnachten.«

»Einverstanden! Der bloße Dienstgrad bringt keinerlei Erkenntnisfortschritte.«

»Danke! Egal was passiert, weihen Sie mich und die Kameraden rechtzeitig ein. Unterm Strich haben wir alle einen untadeligen Ruf zu verlieren.«

»Sie haben es drauf, Spannung zu erzeugen«, gab Lorenz Minuten später beim Gang ins Rathaus eine Erklärung ab. »Überraschen Sie mich.«

Das trat mit der Präzision eines Uhrwerks ein. Das Räderwerk schaltete zugleich den höchsten Repräsentanten zu.

»Schlau eingefädelt, mein Gott«, schüttelte Lorenz den Kopf. Er grinste und behielt für sich, was er nicht auszusprechen gedachte: »Für mich nicht ausgekocht genug! Dieser Wilhelm ist mir unsympathisch. Schleim trieft aus ihm heraus. Ich werde ihn in die Enge treiben.«

Er hatte das Gefühl, dass Feist Teil dieses von ihm kreierten Netzwerkes war. Der beste Weg, ihn zu überführen, würde sich öffnen, wenn er sich dem Kult anschloss, um ihn von innen heraus zu sprengen. Verlockung pur, von der eine enorme Anziehungskraft ausging. Sie brachte die Entscheidung, Feist wie einen Rammbock zu benutzen. Eine unsagbare Erregung verbreitete sich mit diesem Gedanken. Sie beinhaltete die Lösung des Rätsels innerhalb eines Geheimnisses. Ein Privatkrieg, eine Verschwörung lag im Reich des Möglichen. Zu weiteren Überlegungen reichte die Zeit nicht, denn der Bürgermeister begrüßte ihn mit hartem Handschlag.

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
Объем:
432 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783969010174
Издатель:
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