Читать книгу: «Das Monster im 5. Stock», страница 2

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2. Ein unfähiger Einbrecher

»Schneller, du Pussy. Jetzt beweis mal, was du …«, sagte Max. Wie immer, bevor alles in einem Feuerball verschwand. Brennender Gummigestank biss sich in Adrians Nase fest und sein Körper zerriss.

Keuchend fuhr er hoch. Sein Brustkorb konnte das hämmernde Herz kaum fassen, das versuchte, durch seinen Mund zu entkommen. Den Mund, der immer noch nach schmelzendem Gummi schmeckte. Nach Metall und Blut und verbranntem Fleisch. Er blinzelte.

Hinter den Fenstern war es dunkel. Wie üblich. Er hatte die Vorhänge nicht ganz zugezogen und sein bleiches, zerstörtes Gesicht sah ihm entgegen. Er ließ die Haare davor fallen, um es nicht mehr anschauen zu müssen. Seine Zunge fühlte sich an wie trockene Pappe. Die Last, die er in jeder wachen Minute mit sich trug, senkte sich auf ihn nieder und beugte seinen Kopf.

Es tut mir leid, dachte er. Wie jede Nacht. Am liebsten wäre er wieder eingeschlafen, aber er wusste, dass er das nicht konnte. Also schwang er das Bein aus dem Bett, legte die Prothese an und humpelte zur Schlafzimmertür. Er lauschte. Kein Staubsaugerlärm. Gut, dann war die Putzfrau schon weg. Er schloss die Tür auf und griff nach dem Morgenmantel, den er auf dem Weg in die Küche überstreifte.

Seine Hand zitterte immer noch, als er das Glas unter den harten Strahl des Wasserhahns hielt. Eisige Kälte floss seine Kehle hinab. Er trank wie einer, der die Nacht in einer Flammenwüste verbracht hatte. Aus den Augenwinkeln sah er seine abscheuliche Fratze und wünschte sich zum wiederholten Mal, dass diese verdammten Fenster Vorhänge hätten, wie die im Schlafzimmer. Er hätte welche anbringen lassen können. Aber das hätte bedeutet, Fremden Zutritt zur Wohnung zu gewähren. Anderen Menschen. Unerträglich. Er füllte das Glas ein zweites Mal und stellte den Wasserhahn ab. Seine rechte Hand grub sich in die Kante des Waschbeckens. Die Haut darauf spannte. Er atmete tief ein. Und hörte ein Geräusch, das nicht sein durfte.

Ein Schnarchen.

Adrian fuhr herum. Es war aus dem Wohnzimmerbereich gekommen. Da hinten, bei dem Muuto-Sofa. Adrian wartete ab. Da, ein zweites Schnarchen. Nicht laut. Aber es war ein so auffälliger Misston in der ruhigen Wohnung, dass es sich anfühlte wie Fingernägel auf einer Glasscheibe. Jemand lag dort. Jemand, von dem Adrian nicht viel sehen konnte. Einen hellen Schopf konnte er im Dunkel ausmachen, mehr nicht.

Ein Einbrecher?, dachte er. Falls ja, ist das der unfähigste Einbrecher, den ich je erlebt habe. Wer legt sich denn während eines Diebstahles hin und schläft ein?

Egal. Wenn der Kerl glaubte, er könnte einen armen Krüppel bestehlen, dann hatte er sich geschnitten. Dieser Krüppel hier hatte ein Set Golfschläger und die Muskeln, um es zu benutzen. Kurz überlegte Adrian, die Polizei zu rufen, aber das hätte wieder Fremde in der Wohnung bedeutet. Die Putzfrau störte seine Einsamkeit genug. Und mit einem schnarchenden Einbrecher wurde er alleine fertig.

Trotz der Prothese schaffte er es, lautlos ins Büro zu schleichen und das richtige Werkzeug aus dem Golfschläger-Set auszusuchen, das sein Vater ihm zum einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Lange her. Er vermied es, die Bilder an der Seitenwand anzusehen.

Welcher Schläger ist der passende, um einem Einbrecher den Schädel zu spalten? Das Eisen 4, oder? Natürlich ist es das. Die Hölzer sind definitiv zu leicht.

Mit seiner Waffe in der Hand schlich er zum Sofa. Zu laut. Das Bündel auf der weißen Fläche zuckte und fuhr zusammen.

»Wer bist du?«, fragte Adrian.

Der Kerl richtete sich auf. Blond, soweit er das im Dunkel beurteilen konnte. Ein helles Gesicht, bleich im trüben Mondlicht, das durch die Fenster hereinschien. Hektisches Atmen. Der Mistkerl sagte nichts.

»Ich habe gefragt, wer du bist«, wiederholte Adrian.

»Tu mir nichts!« Der Einbrecher hob die Hände. »I wollt nur … I war nur müd und …«

Ein Einbrecher vom Dorf, so viel war nun klar. Grauenvoller Dialekt. Er hob etwas und Adrian erwartete eine Waffe. Dann blendete der Mistkerl ihn. Weißes Licht raubte ihm die Sehkraft, aber der Eindringling griff ihn nicht an. Stattdessen starrte er. Klar. Es gab ja auch einiges anzustarren, in der ruinierten Landschaft von Adrians Gesicht.

Es wurde wieder dunkel, bis auf die hellen Lichtblitze, die hinter Adrians Augenlidern flirrten. Der Idiot schaltete das Handy erneut an.

»Mach das Ding aus!«, befahl Adrian.

»Tschuldigung«, murmelte der Trottel. Er klang jung. Anfang zwanzig, höchstens. »I … es tut mir leid, ich … Sie sind der Wohnungsbesitzer, ja?«

Adrian würdigte diese blöde Frage nicht mit einer Antwort. Wer sollte er denn sonst sein?

»Sie wollen mich nicht töten, oder?«, wimmerte der Trottel. »Mit dem Ding da?«

Adrian ließ den Schläger sinken. Von dem Volldeppen ging eindeutig keine Gefahr aus. Stattdessen marschierte er zum Lichtschalter und drückte ihn. Helligkeit flammte auf und überzog den Raum mit Farben. Es schien auf Adrians kaputten Körper und auf den dämlichen Einbrecher.

Ach du Scheiße.

Der sah aus, als wäre er aus der nächstbesten Scheune gefallen. Ein wunderhübsches Gesicht, Sommersprossen, verstrubbelte Haare, breite Schultern und Klamotten, die auf die Müllkippe gehörten. Alles an ihm schrie »Landei«. Einer wie der passte auf das Cover eines Kalenders mit sexy Stallburschen, aber nicht in Adrians Wohnung.

Mr. Stallbursche starrte ihn an. Der gehetzte Blick flitzte über Adrians ganzen Körper. Die kaputte Gesichtshälfte, die Verbrennungen, die aus Ärmel und Halsausschnitt des Pyjamas schauten und tiefer. Bis zu der Stelle, wo ein Unterschenkel hätte sein sollen und wo ein seidenes Hosenbein um die Metallstange herum Falten schlug.

»Gütiger Himmel!«, rief der Stallbursche.

Ja, starr nur, dachte Adrian. Er war selbst verwundert, wie viel Bitterkeit in ihm hochkochte. Um dem Kerl den ganzen Schrecken seines Anblicks zu gönnen, strich er sich die Haare aus der Stirn. Der Blonde schaute, als würde er in die Tiefen der Hölle blicken.

Ja, dachte Adrian. Und jetzt lauf. Wahrscheinlich hätte ich den Golfschläger gar nicht gebraucht …

»Tschuldigung, ich hab mich nur gewundert … Ist das ein Vierer Eisen?«, fragte der Stallbursche. »I … Ich verwechsel das immer mit dem Fünfer. Ich …« Er räusperte sich. »Ich hab in den Ferien mal auf dem Golfplatz gearbeitet, da wär ich fast rausgeflogen, weil ich mir das Zeug nicht merken konnte. Dann haben sie mich an die Bar versetzt. Äh.«

Was? Adrian blinzelte. War der Kerl blind? Warum fragte er nach dem verdammten Golfschläger?

»Ja«, knurrte er. »Und jetzt will ich wissen, wer du bist. Oder das ist das Eisen 4, das deinen blonden Schädel weichklopft.«

»Oh, äh.« Ein Blinzeln. Der Kerl sah wirklich sehr gut aus. Diese Art beiläufige Schönheit von Menschen, die mit einem Übermaß davon gesegnet waren, ohne sich dessen bewusst zu sein. Es war nicht der sündige Schwung seiner Lippen, die katzenhafte Neigung der Augen oder das kantige Kinn. Es war die Art, wie alles zusammenspielte. »Also. I bin der Wastl.«

Landei.

»Mein Name ist Sebastian«, korrigierte Adrian.

»Ach, du heißt auch Sebastian?« Der Trottel lachte nervös. »Na, ist ja auch ein häufiger Name …«

»Nein, du Genie«, knurrte Adrian. »Ich habe deinen grauenvollen Dialekt verbessert, Sebastian.«

»Nenn mich doch Wastl.«

»Niemals.« Adrian hob den Golfschläger. »Wie bist du hier hereingekommen, Sebastian?«

Schweigen. Die sündigen Lippen wurden zu einem etwas weniger sündigen weißen Strich.

»Hat die Putzfrau dich hereingelassen?«, fragte Adrian.

»Nein! Nein, bestimmt nicht!« Zu blöd zum Lügen war er auch. Adrian hatte seit zwei Jahren keinen nennenswerten Kontakt mit anderen Leuten, und selbst er erkannte, dass der Kerl log.

»Die Putzfrau also. Die ist gefeuert.« Adrian machte eine mentale Notiz, sie morgen früh kündigen zu lassen. »Und jetzt erklär mir, was du hier tust, oder ich verliere die Geduld.«

»Aber …« Sebastian, der unfähige Einbrecher schluckte. Sein Adamsapfel hüpfte. »Bitte, sie wollte mir nur helfen. Ich hab unten im Büro geschlafen, weil ich keine Wohnung hab, ich meine, ich suche, aber …« Er zuckte so hilflos mit den Schultern, dass Adrian beinahe Mitleid bekommen hätte. »Ich wusste doch nicht, wohin, und sie hat gesagt, ich könnte hier schlafen, während sie putzt. Sie hat das wirklich nur lieb gemeint. Sie … Sie hat das aus reiner Nächstenliebe …«

»Und warum bist du noch hier und sie ist weg?«, unterbrach Adrian das Gestammel.

»Sieht aus, als hätte sie mich vergessen.« Ein schwaches Lächeln. Jetzt sah er endgültig aus wie ein Cover-Stallbursche.

»Fantastisch«, sagte Adrian. »Nun, immerhin ist das geklärt. Und jetzt hau ab.« Er zögerte. »Warte. Du hast im Büro geschlafen? Bei Hauser Immo oder im Siebermann-Verlag?«

»Siebermann. Bitte …«

»Nein.«

»Aber sie wollte doch nur helfen. Echt. Wieso verstehst du das nicht?« Jetzt wurde der Bauerntrottel auch noch bockig.

»Weil es mich nicht interessiert. Und jetzt verschwinde. Die Tür ist da hinten.«

»Aber sie hat es nur gut gemeint. Bitte, sie hat den Job doch erst seit ein paar Wochen, hat sie gesagt, und ich glaube, sie braucht ihn wirklich.«

»Wenn sie ihn wirklich brauchen würde, würde sie keine Fremden in diese Wohnung schleusen.«

»Das ist eine ziemlich große Wohnung für einen allein«, sagte Sebastian. Er kniete immer noch auf dem Sofa, aber etwas an seiner Haltung hatte sich verändert.

»Das kommt einem Landei wie dir vielleicht so vor.«

»Wie viele Zimmer hat sie denn?«

Adrian wusste nicht, warum er dem Kerl überhaupt antwortete. Er hatte seit Tagen nicht mehr mit einem anderen Menschen gesprochen, vermutlich lag es daran. »Vier Schlafzimmer, drei Bäder, Küche, Sauna, Büro, Bibliothek, Dachterrasse und der Wohnbereich, in dem du dich gerade unbefugt aufhältst.«

»So viele Zimmer?!« Der Stallbursche sprang auf. »Und die hast du alle für dich allein?«

Was hatte der denn? Fast schien es, als würde ihn dieser Umstand wütend machen. »Ja, habe ich. Wenn es dich beruhigt, ich habe dafür bezahlt. Nun, besser gesagt hat mein Großvater einen Teil …«

»Weißt du, wie lange ich schon nach einer Wohnung suche?!«, brüllte Sebastian. »Jedes mickrige Rattenloch in München kostet tausend Euro! Kalt! Und du … Du hockst hier auf vier Schlafzimmern, von denen du nur eins benutzt?«

»Ja. Warum stört dich das?«

»Weil ich über hundert Bewerbungen geschrieben habe und jedes Mal abgelehnt wurde!« Sebastians Stimme prallte von den Fensterscheiben ab. »Weil ich von Besichtigung zu Besichtigung dackle, jede Pause, jeden Abend und jedes Wochenende und es nichts gibt? Weil ich immer mit einer Wagenladung von anderen Bewerbern da steh wie ein Bittsteller und mir vorkomme wie ein Vollidiot?«

»Das ist doch nicht meine Schuld.«

»Nein, aber … das ist verdammt noch mal nicht richtig.« Sebastians Geste umfasste die Fensterfront, die anthrazitfarbenen Wände und die blitzblanke, offene Küche. »Die Wohnung ist viel zu groß für einen allein. Das ist einfach unfair.«

So eine Heulsuse.

»Ich fühle mich entsetzlich schuldig«, sagte Adrian. »Dann hast du halt kein Zuhause und ich habe eins. Was willst du tun, meine Wohnung besetzen?«

Er ahnte nicht, wie oft er diesen Satz in den nächsten Tagen noch bereuen würde.

3. Hausbesetzung für Anfänger

»Was willst du tun, meine Wohnung besetzen?«

Wastl stockte. Sein Atem stand still und seine Ohren dröhnten. Natürlich, das war es!

»Ja«, sagte er und verschränkte die Arme. »Ja, das will ich. Ich mein, das tue ich. Deine Wohnung ist hiermit besetzt. Von mir.«

Satan schaute ihn an, als wäre er eine fünfjährige Rotznase, die behauptete, ein Superheld zu sein. »Du hast doch keine Ahnung, wie man eine Wohnung besetzt.«

»Natürlich habe ich das.« Nur nicht unterkriegen lassen. »Daheim in Würzen war ich der größte Wohnungsbesetzer im ganzen Ort.«

»Einen Scheiß warst du.« Satan hob eine Augenbraue, in der ein Stück fehlte. Seine rechte Gesichtshälfte war ein Flickwerk aus normalen Hautstücken und viel zu glatten Stellen, die so spannten, dass sie Falten schlugen. Das Ohr fehlte zur Hälfte, als wäre es runtergeschmolzen. Wastl hätte sich wirklich gefragt, was geschehen war, wenn er nicht so wütend gewesen wäre.

»Ich bin ein Wohnungsbesetzer«, behauptete er. »Ein sehr gefährlicher Wohnungsbesetzer. Also leg dich bloß nicht mit mir an.«

»Das reicht. Ich rufe die Polizei.«

Wastl wusste auch nicht, was ihn ritt. Vielleicht war es eine Ahnung, vielleicht war es nur Zorn. »Ja, dann ruf die doch. Dann … dann komm ich halt ins Gefängnis und dann … hab ich immerhin ein Dach über dem Kopf.« Oh nein. Der böse Kloß in seinem Hals war wieder da und schwoll in Rekordzeit an. Mist, Mist, Mist. »Das ist mir gerade recht«, sagte er, bevor seine Stimme brach. »Genau das war mein Plan.«

Panisch hörte er die aufsteigenden Tränen in seinen Worten. Sie ließen seine Sicht schon trüb werden. Das genervte Gesicht des Teufels verschwamm.

»Wenn du denkst, dass Heulen dich weiterbringt, dann hast du dich geschnitten«, vernahm Wastl.

Schnell drehte er sich um und stolperte fast über das Sofa.

»Ruf endlich die … die Polizei.« Er schniefte. Scheiße, verdammt! Kein Wunder, dass niemand ihn ernst nahm. Einen erwachsenen Mann, der heulte wie ein Kleinkind, sobald was schief lief. »Na los. Ich warte. Versau mir mein Leben und … und meinen Job werd ich auch verlieren, wenn ich im Gefängnis bin … und Mama würde … würde …«

Er hörte ein langsames Einatmen. Sehr langsam, als würde Satan überlegen, ihm den Golfschläger doch noch über den Schädel zu ziehen.

Wastls Wangen wurden nass und heiß. Er blinzelte, japste und wischte sich über die Augen. Sofort füllten sie sich wieder. Es war einfach so ungerecht! Er hatte doch nur versucht, eine Nacht lang nicht auf der Straße zu stehen.

»Jetzt hau schon ab.« Satan klang müde. »Ich will schlafen.«

»Ich auch«, schniefte Wastl. »Und nicht unter einer Brücke, verdammt. Ich … ich penn hier oder in einer Zelle. Nirgendwo sonst.« Er verschränkte die Arme.

»Hör auf, den Harten zu spielen«, sagte der Höllenfürst. »Das kommt wenig überzeugend, wenn du dabei heulst. Falls es dir nicht aufgefallen ist: Ich kann dich im Fenster sehen.«

Oh.

»Mir egal«, behauptete Wastl. »Ich steh dazu, dass ich Gefühle habe.«

»Dass du eine Heulsuse bist, meinst du.« Ein Seufzen. »Morgen früh haust du ab, klar?«

»W-was?« Er drehte sich um. Satan schaute, als hätte er ihm in die Suppe gerotzt. »Ich kann bleiben?«

»Bis morgen früh. Dann bist du auf dich allein gestellt. Glaub mir, ich werde den Schlüssel dreimal im Schloss umdrehen, sobald du abgehauen bist.«

»Oh.« Wie unerwartet, dass mal etwas funktionierte. »Vielen Dank.«

»Wenn ich morgen aufwache, bist du verschwunden.« Ein düsterer Blick zwischen dunklen Haarsträhnen. Wastl musste sich Mühe geben, zu nicken, so abgelenkt war er. Solche Männer gab’s doch nicht wirklich, oder? Nur in Schauerromanen und alten Filmen.

»Ja. Danke.« Er schluckte. Wohin er morgen Abend gehen würde, wusste er nicht, aber es war ein Aufschub von fast 24 Stunden. Besser als nichts. Sehr viel besser als nichts.

»Und du schläfst auf dem Sofa. Denk nicht mal daran, dich in eins der Schlafzimmer zu legen.«

Eins der Schlafzimmer. Dieser Großkotz. Wie konnte man allein in so einer Bude hocken? Die war für eine Großfamilie gedacht, mindestens. Und das in München, bei den Mietpreisen … Wastl wischte sich noch einmal über die Augen.

»Wage es nicht, etwas zu klauen«, sagte Satan.

»Etwas klauen? Ich?!« Wastl hätte nicht schockierter sein können, wenn der Kerl ihm vorgeworfen hätte, ein Serienmörder zu sein. »Ich hab noch nie etwas geklaut. In meinem Leben!«

»Du Langweiler.« Satan drehte sich um und ging. Den Golfschläger hatte er sich locker über die Schulter gelegt und sein Hinken war so leicht, dass es nur auffiel, wenn man ganz genau darauf achtete. Als er bei der Küche um die Ecke bog, merkte Wastl, dass er den Atem angehalten hatte.

So ein Arsch, dachte er.

Aber ein wenig Herz hatte der Höllenfürst wohl doch, sonst würde Wastl draußen in der Kälte stehen. Nachdenklich legte er sich zurück. Es war kühl geworden, deshalb breitete er seine dick gefütterte Jacke über sich aus. Wenn er die Nase tief darin vergrub, roch sie fast noch ein wenig nach Zuhause. Wie der Flur, in den er nach der Schule heimgekommen war. Nach alten Äpfeln und älteren Dielen. Nach den Lavendelsträußen, die Mama aufgehängt hatte. Und nach Desinfektionsmittel und Krankheit. So wie am Ende.

Er seufzte leise.

Was nun? Erstmal schlafen. Und dann? Wäre es nicht möglich, Satan zu überreden, ihn noch ein paar Tage hier übernachten zu lassen? Er hatte doch genug Platz. Wastl beschloss, es zu versuchen. Gleich morgen würde er dem Kerl zeigen, dass er der beste aller Mitbewohner war!

4. Barbecue-Frühstück

Adrian erwachte von einem nervenzerfetzenden Piepsen. Nein, Piepsen war zu harmlos ausgedrückt. Er glaubte, zwischen zwei Sirenen zu liegen.

Der Feueralarm.

Er fuhr hoch. Die Morgendämmerung drang durch die Vorhänge. Adrian fühlte sich verkatert und mürbe, als hätte er stundenlang wachgelegen. Hatte er auch, nachdem er wie üblich mitten in der Nacht aufgewacht war …

Da war dieses fürchterliche Landei gewesen.

Er schnallte die Prothese um und stürmte in die Küche. »Was machst du noch hier?«, brüllte er.

Das Landei gab einen panischen Schrei von sich und ließ den qualmenden Topf fallen, den er zwischen zwei Topflappen hielt. Dicker, schwarzer Rauch hing unter der Decke. Es knackte. Der Topf hatte eine der dunkelgrauen Bodenfliesen gespalten. Die Risse sahen aus wie ein Spinnennetz.

»I, also ich mache Frühstück.« Das Landei lächelte verzweifelt.

»Was?« Adrian hustete. Verdammt, dieser Rauch war ja unerträglich. Er zerrte die Fenster auf und Winterluft klatschte ihm entgegen. Straßenlärm, Hupen und Gesprächsfetzen wehten herein. Das durchdringende Piepsen verstummte endlich.

»Tut mir leid.« Das Landei hieß Sebastian, erinnerte Adrian sich. Sebastian aus dem Siebermann-Verlag. »Ich war grad mit dem Rührei beschäftigt, da hab ich die Weißwürste aus Versehen ohne Wasser aufbrühen wollen.«

»Ohne Wasser? Hast du überhaupt schon mal Frühstück gemacht?«

»Na klar, aber kein so aufwendiges.« Ein treudoofer Blick aus braunen Katzenaugen. »Ich wollte mich doch bedanken, dass ich hier schlafen durfte.«

»Durfte.« Adrian atmete tief ein. »Du kleiner Scheißer hast mich erpresst.«

»Gar nicht. Also, es war zumindest nicht so gemeint.«

»Na, wenn es nicht so gemeint war … Überfährst du auch manchmal Welpen und meinst es nicht so?«

»Ich hab kein Auto.« Sebastian räusperte sich. Und noch einmal. Der Rauch wollte nicht abziehen. Dieser Gestank würde noch tagelang in der Wohnung hängen. »Ich wollt mich wirklich bedanken. Tut mir leid, dass ich den Alarm ausgelöst habe.«

»Und die Fliese, tut dir die auch leid?« Adrian deutete auf den Riss.

»Klar tut mir das leid. Ich bezahl sie dir, sobald ich wieder Geld hab. Ehrlich.«

»Oh, gut. Soweit ich mich erinnere, kosten die 129 Euro pro Stück.«

»Was?!« Die Katzenaugen wurden zu Glubschaugen. »Nicht dein Ernst.«

»Das ist mein voller Ernst.« Adrian sah sich in dem um, was von seiner ordentlichen Küche übriggeblieben war. Topfdeckel schepperten und dampften auf der verklebten Herdplatte. Irgendetwas im Ofen machte sanfte Puff-Geräusche, die Spüle lief über und alles klebte. »Die Überschwemmung zahlst du auch, oder?«

»Die Überschwemmung … Sakra!« Sebastian stürzte vor, um den Wasserhahn zuzudrehen. »Warum ist denn das nicht abgelaufen … ah, da haben die Eierschalen den Abfluss verstopft. Sowas aber auch.« Er beugte sich hinunter und wischte mit einem 97-Euro-Küchentuch den Boden. Sein billiges Hemd war aus der Hose gerutscht und gab ein Stück Wirbelsäule frei. Ein kräftiger Rücken, als hätte er sein Leben lang Heuballen geschaufelt oder was immer diese Stallburschen taten. Adrian zwang sich, wegzusehen.

»Dachtest du, ein gigantisches Frühstück aus meinen eigenen Zutaten überzeugt mich, dass ich dich plötzlich hier aufnehme?«

Ein verschämtes Murmeln. »Ja, sowas hab ich gedacht, wenn ich ehrlich bin. Hat nicht funktioniert, oder?«

Es war fast ein wenig süß. Nur war Adrian keiner, der irgendetwas süß fand und beeinflussen ließ er sich davon erst recht nicht. »Nein. Komm vorbei, wenn du mein Geld hast.«

»Ja.« Sebastian stand auf. Schlapp ließ er das Wasser aus dem Waschbecken und wrang das Küchentuch aus. »Sollen wir … Magst du wenigstens was essen? Damit ich mir die Mühe nicht umsonst gemacht habe?«

War das ein Trick? So wie dieses Geheule gestern? Inzwischen war Adrian sicher, dass das ein mieser Bluff gewesen war. Welcher erwachsene Mann heulte denn einem Fremden etwas vor?

»Meinetwegen. Aber dann gehst du.«

»Ja.« Ein Nicken, das die verstrubbelten Haare wippen ließ. »Ja, mach ich.« Und dann strahlte der Blödmann und die Sonne ging auf. Was für ein unerträglicher Schönling! »Ich hoffe, es schmeckt dir. Wie heißt du gleich?«

»Adrian.« Etwas nagte an ihm. Etwas, das er nicht ganz fassen konnte, wollte seine Aufmerksamkeit. Aber er hatte genug damit zu tun, Essbares in den verkohlten Lebensmittelbergen zu finden, die Sebastian auftischte. Das, was er fand, schmeckte nicht übel.

Schweigend saßen sie sich gegenüber. Jeder auf einem Barhocker, einen Seines de la Seine-Teller vor sich und Berge aus glibberigem Rührei, verkohltem Toast und zusammengefallenen Brötchen zwischen sich.

»Es schmeckt annehmbar«, sagte Adrian und bestrich eine weitere warme Semmel mit Butter. Daher waren also die Geräusche aus dem Ofen gekommen.

»Echt? Danke.« Sebastian sah ihn verwundert an. An seinem unrasierten Kinn klebten mehrere Krümel. »Ich bin nicht sehr gut darin, das alles gleichzeitig zuzubereiten, aber man kann es essen, oder?«

»Ja, erstaunlicherweise.« Adrian wusste selbst nicht, warum ihm diese laienhafte Mahlzeit so gut mundete. Er hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit langer Zeit etwas zu schmecken. Er schmeckte Eierschalen und Brandlöcher. Aber das war besser als der Pappgeschmack, der sich sonst nach ein paar Bissen einstellte. »Es sieht schlimmer aus, als es schmeckt.«

»Soll das ein Kompliment sein?« Sebastian schaute fragend.

»Nein.«

»Für so einen feinen Pinkel bist du ganz schön unhöflich.«

Adrian lachte. »Dafür, dass du hier eingedrungen bist und meine Küche verwüstet hast, nimmst du dir ziemlich viel raus.«

»Ach, wenn du mich eh nicht hier wohnen lässt …« Sebastian zuckte mit den Achseln. Ein winziges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Dieses Lächeln musste Mädchenherzen schmelzen wie ein Flammenwerfer.

Adrian spürte seine Wange. Hatte er gerade gelacht? Die Haut spannte unangenehm. Dann durchzuckte ihn ein Gedanke: Er beachtet es nicht. Das war es, was ihn irritiert hatte. Der kleine Mistkerl reagierte überhaupt nicht auf seine Entstellungen. Weder starrte er auf den Metallfuß, der aus der Pyjamahose schaute, noch blieb sein Blick an den Brandwunden hängen. Versuchsweise hob Adrian das Brötchen zum Mund. Mit der rechten Hand, die zur Hälfte mit verbranntem Stückwerk überzogen war statt mit richtiger Haut. Sebastians Blick flackerte nicht, obwohl er es bemerkt haben musste. Er sah Adrian in die Augen, als wäre nichts.

»Wohnst du schon lange hier?«, fragte er, als wäre das ein Frühstück mit neuen Bekannten. »Es sieht alles so neu aus.«

»Fast zehn Jahre. Ich bin nach dem Studium hier eingezogen.«

»Oh. Und da konntest du dir die Miete leisten?«

»Ich habe die Wohnung gekauft.« Adrian probierte vom Rührei, ohne den Blick von seinem Gast zu wenden.

Du kleiner Scheißer, dachte er. Das spielst du doch nur.

Er wusste, wie sie normalerweise schauten. Er hatte gemerkt, wie krampfhaft es seine alten Freunde vermieden, ihn anzuschauen. Wie die Jungs vom Lieferdienst versucht hatten, ihr Entsetzen zu verbergen, bevor er angewiesen hatte, das Essen einfach vor der Tür abzustellen und zu klingeln. War ausgerechnet dieser lebende Stallburschenkalender so ein guter Schauspieler, dass er sich nichts anmerken ließ?

»Gekauft.« Sebastians Blick wanderte über die Fenster, hinter denen die Stadt langsam zum Leben erwachte. »Das hier? Das muss doch Millionen gekostet haben.«

»Hat es.«

Sebastians Brötchen verharrte auf dem Weg zum Mund. »Echt jetzt? Ich meine, klar, aber … Ich kenn nur keinen, der so viel Geld hat. Also hast du das geerbt, oder …«

Niemand konnte so gut schauspielern. Niemand. Adrian öffnete den obersten Knopf des Pyjamaoberteils, um noch mehr Entstellungen zu zeigen. Da, endlich. Sebastians Blick wackelte. Leichte Röte schoss in die Wangen und ließ ihn noch ländlicher aussehen. Adrian hätte beinahe gelächelt.

»Warm hier«, sagte er und öffnete einen weiteren Knopf.

Endlich zeigte der Mistkerl Ekel. Er räusperte sich und versuchte krampfhaft, nicht auf die besonders schweren Verbrennungen auf der Brust zu schauen. »Äh, ja. Warm.«

Adrian sah seinen Adamsapfel hüpfen. Bittere Befriedigung erfüllte ihn. Ja, er war noch genau so scheußlich wie zuvor. Ein Monster, das in einer übergroßen Wohnung hockte und sich vor der Welt verbarg.

»Hast du Angst vor mir?«, fragte er Sebastian und beugte sich vor. Seine Wange spannte und kribbelte und fühlte sich doch taub an. Sebastians Augen weiteten sich, als diese Abscheulichkeit auf ihn zukam. Gut. Adrian würde ihn vertreiben. Dieses Frühstück war beendet. Gleich würde er wieder herrlich allein sein.

»Uh, Adrian …«

Warmer Atem, ein buttersüßer Hauch aus Sebastians Mund, streifte Adrians Nase. Er lächelte.

Weich zurück. Kapier, dass ich nicht auf einen miesen Schauspieler wie dich reinfalle …

Sebastian beugte sich vor und küsste ihn.

Lippen, weich wie Seide, pressten sich auf Adrians vernarbte. Einen Moment lang. Dann war er es, der zurückwich.

»Was soll das, verdammt?!«, brüllte er.

Sebastian ruderte mit den Armen und fiel von seinem Hocker. Einen Moment später erschien sein Blondschopf wieder hinter der Tischkante.

»Aber …«, sagte er. »Ich dachte, du willst … also …«

»Dich küssen?!« Adrian richtete sich zu seiner vollen Größe und Scheußlichkeit auf. »Warum sollte ich das wollen?«

Das saß. Sebastian wurde blass. Seine Lippen öffneten sich und er schaffte es doch nicht, etwas zu sagen. Ein kleines Krächzen war alles, was er zustande brachte.

»Danke für die Gastfreundschaft«, presste er schließlich heraus. Dann stürzte er an Adrian vorbei und sammelte hektisch seine Sachen vom Sofa. Mit dem überquellenden Rucksack ausgerüstet verließ er die Wohnung.

Endlich wieder allein.

Adrian fühlte sich allein. Er wischte sich über den Mund, an dem Honigreste klebten. Er hatte keinen Honig gegessen. Das war Sebastian gewesen.

»Dieser kleine Mistkerl«, sagte Adrian und versuchte, wütend zu sein. »Denkt der, er kann bleiben, wenn er was mit mir anfängt?«

Ja, vermutlich. Der Arsch war ein noch besserer Schauspieler, als er gedacht hatte. Gut, dass er weg war.

Er nahm sein Brötchen vom Teller und biss hinein. Es schmeckte wie Pappe.

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