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9. Kai

Ende, las Kai und schlug das Buch zu. Er sah zu Arthur, der konzentriert in einem Notizbuch kritzelte, zwei Bücher auf den Knien balancierend, in denen er abwechselnd blätterte. Er versuchte, einen französischen Krimi ins Deutsche zu übersetzen. Er wollte Übersetzer werden, aber seine Eltern waren dagegen. Das hatte er Kai erzählt. Heimlich wünschte Kai sich, dass er es niemandem sonst erzählt hatte. Er wollte ein Geheimnis von Arthur kennen, von dem kein anderer wusste.

Arthur bemerkte seinen Blick und lächelte. Die Schokoladenaugen wurden sanft. Er kam Kai entgegen und küsste ihn. Zart und vertraut.

Unter ihrem Balkon rauschte die Poolpumpe. Es war der erste richtig heiße Tag und die Sonne brannte unbarmherzig auf sie herunter.

»Meine Eltern haben gestern angerufen«, sagte Arthur, sobald der Kuss endete. »Ich habe ihnen gesagt, dass sie ruhig noch länger auf der Jacht bleiben können. Sie können mich einfach am Ende der Ferien hier abholen.«

»Gut.« Fantastisch.

Das bedeutete, dass Arthur mehr Zeit mit ihm verbringen wollte, richtig? Bestimmt. Das musste es. Kai hätte ihn wirklich gern danach gefragt, aber er traute sich nicht. Er traute sich eine ganze Menge nicht. Eigentlich hätte er gern mal etwas ausprobiert, das über Küssen hinausging. Küssen mit Umarmen zum Beispiel. Doch wie sollte er das erklären? Galt das noch als Übung oder würde Arthur dann etwas merken? Sie sprachen noch von Mädchen, ab und zu. Log Arthur genauso wie er? Meinte er es ernst?

»Willst du jetzt schwimmen gehen?«, fragte Kai vorsichtig, aber sofort schüttelte Arthur den Kopf. Wie immer. Dabei wäre das perfekt gewesen, um … etwas mehr zu probieren. Kais Finger trommelten auf den Boden. »Warum nicht? Es ist heiß. Abartig heiß.«

»Will halt nicht«, murmelte Arthur. Seine Lippen, sonst so voll, waren ein weißer Strich.

»Hast du eine furchtbare Narbe?«, fragte Kai und legte den Kopf schief. »Oder ist es, weil du ein Moppel bist?«

»Hey.« Arthur schaute traurig und Kai hätte sich selbst ins Gesicht treten können.

»Ich hab das nicht so gemeint. Ich wollte nicht …«

»Weiß ich doch.« Arthur lächelte schwach. »Ich bin nur …« Er seufzte.

»Ich mag, wie du aussiehst«, sagte Kai und stöhnte innerlich. Wie peinlich war das bitte? Arthur sah ihn an, als hätte er den Verstand verloren.

»Ich bin dick und käsig«, sagte er. »Da gibt’s nichts zu mögen.«

»Da gibt’s ’ne ganze Menge zu mögen«, sagte Kai.

»Haha.«

»So war das nicht gemeint. Ich …« Kai stieß einen frustrierten Schrei aus und sprang auf. Einmal verstehen, wie man mit Leuten sprach. Einmal kapieren, was die richtigen Worte waren. Das wäre verdammt schön gewesen.

»Du kannst ja alleine schwimmen gehen.« Arthur schaute wieder so traurig.

»Ich … okay.« Kai stand auf. »Komm nach, wenn du magst, ja?«

Arthur brummte etwas Unverständliches.

Kai hüpfte die Stufen hinunter. Seit Tagen küssten sie sich nun schon. Und es wurde immer besser. Sollte er Arthur beichten, dass er das gar nicht tat, um zu üben? Dass er es ernst meinte? Dass er … Er schluckte. Dass er sich eventuell ein wenig in ihn verliebt hatte? Das war Liebe, oder? Wenn man so verdammt aufgekratzt war, dass jeder Blick des anderen fast das Herz in die Luft jagte? Vermutlich. Mist. Er wusste wirklich nicht, wie Arthur reagieren würde, wenn … wenn er es ihm sagen würde.

Die gleißende Helligkeit im Innenhof ließ ihn blinzeln. Lichtpunkte tanzten auf der Wasseroberfläche und der Pool wirkte so einladend, dass er noch weniger verstand, warum Arthur nicht hineinspringen wollte. Jetzt schon war sein Shirt schweißverklebt. Er zog es sich über den Kopf und bemerkte ein neues Loch. Es ließ ihn zögern.

Diese Villa, der Wald und die Klostermauer … Die lagen außerhalb der Realität. Hier konnten sie zusammen sein, ohne dass es Probleme gab. Blöderweise hatte die Realität die Angewohnheit, wieder aufzutauchen, wenn man sie am wenigsten erwartete. Auf einem Baumarktparkplatz. In einer abgelegenen Gasse. Selbst hier.

Irgendwann würden die Ferien zu Ende sein. Von wegen irgendwann. In … Ein Kloß bildete sich in seinem Hals. In fünf Tagen waren sie zu Ende. Und dann? Dann kehrte Arthur zurück in sein reiches Bonzenleben, in das Kai nicht passte. Kai passte nicht mal in das kleine Dorf, wie sollte er da mit Arthur mithalten?

Es wäre leichter gewesen, wenn er gewusst hätte, dass Arthur auch etwas für ihn empfand. Aber selbst dann … Die Ferien waren fast zu Ende. Das alles war fast zu Ende und er wusste nicht, wie er weitermachen sollte.

Mutlos schälte er sich aus den restlichen Klamotten und stieg nackt die blaue Mosaiktreppe zum Wasser hinunter. In seinem Kopf taumelten Gedanken übereinander, die er nicht denken wollte.

Wahrscheinlich musste er Arthur echt fragen, nur … Vielleicht war es besser, das hinauszuzögern. Die Zeit zu genießen, erst am allerletzten Tag zu fragen, ob sie sich wiedersehen konnten, irgendwie.

Das Wasser war eiskalt. Perfekt. Kaum hatte es die Füße überflutet, warf er sich hinein und tauchte in die eisige Erfrischung. Das Muster verschwamm unter ihm. Er sank bis zum Grund und versuchte, die Gedanken einzufrieren. Paps war nicht mehr hier. Vor zwei Tagen waren die letzten Arbeiten erledigt gewesen und Kai hatte Urlaub. Also warum genoss er es nicht einfach? Warum …

Erst, als seine Lungen fast platzten, tauchte er auf. Schüttelte sich. Und sah Arthur.

»Hey«, sagte er verwundert.

»Hey.« Arthur stand am Poolrand und lächelte ihn an. Kai grinste zu ihm hoch. Arthur schien etwas sagen zu wollen, schnappte dann aber nach Luft. Seine Augenbrauen erreichten fast den Haaransatz. »Bist du … Hast du gar nichts an?«

»Ich?« Kai sah an sich herunter.

»Wer denn sonst? Was …«

»Ich hab keine Badehose dabei.« Kai paddelte träge vor sich hin.

»Ah. Ach so.«

»Und so macht es mehr Spaß.«

Arthur schwieg. Mist, hatte er schon wieder irgendeinen Fauxpas begangen? Ha, Fauxpas. Das Wort hatte er von Arthur gelernt.

»Na, wenn das so ist …«

Kai konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte Arthur sich schon die Klamotten vom Leib gerissen und war in den Pool gesprungen. Kai starrte immer noch, als ihn eine gigantische Flutwelle wegspülte. Nur einen Moment lang sah er Arthurs hellen Körper durch die Luft fliegen, dann schlug die Welle über ihm zusammen.

Das … war mehr als Küssen, oder? Sie waren nackt. So hatte er das natürlich nicht geplant. Nicht mal darüber nachgedacht, wie üblich, aber … äh.

Er grinste, plötzlich überglücklich, und spritzte Arthur Wasser ins Gesicht. Der wehrte sich, bis sie vor Lachen fast absoffen. Mit Mühe retteten sie sich auf die seichte Seite des Pools. Immer noch bebend vor Kichern blinzelte Kai sich die Feuchtigkeit aus den Augen. Arthur biss sich wieder auf die Lippen, aber er wirkte entspannter.

»Kann ich was ausprobieren?«, fragte Kai.

Arthur nickte zögernd. Vorsichtig strich Kai über die hellen Schultern, bis alle Wassertropfen verschwunden waren. Arthurs Haut war sanft, zunächst, dann bildete sich eine Gänsehaut, die Kais Fingerspitzen kitzelte.

»Okay?«, krächzte er und Arthur starrte ihn an. Aber er nickte wieder. Kai kam näher. »Weiter?«

»Ja.« Seltsam, Arthurs Stimme klang fast so rau wie seine. Durchsichtige Perlen hingen in den dichten Wimpern. Kai atmete tief ein, dann machte er noch einen Schritt. Er neigte den Kopf und küsste die Wassertropfen auf der kühlen Haut. Auf den Wangen. Auf der Stirn. Auf der Nasenspitze, bis er sie alle aufgenommen hatte. Arthur rührte sich nicht. Angstvolles Kribbeln tobte in Kais Bauch, aber er wollte auch nicht aufhören. So vorsichtig er konnte, legte er die zitternden Hände in Arthurs Nacken und küsste ihn.

Das war anders. Das Gefühl von Arthurs nackter Brust an seiner, die weiche Haut in Arthurs Nacken. Ja, das war ganz anders. Mehr. Selbst die Lippen, die er hundertmal geküsst hatte, schmeckten besser. Nach Chlor und Erwartung. Ein winziges Geräusch drang aus Arthurs Kehle und Kai wich zurück.

»Aufhören?«, flüsterte er.

Arthur packte ihn und zog ihn zu sich heran. Küsste ihn, so heftig, dass Kais Knie nachgaben, schlang die Arme um seinen Rücken und drängte sich gegen ihn.

Es war fantastisch, traumhaft, schöner als …

»Arthur!«

Eine weibliche Stimme. Hell. Schrill.

Arthurs nasser Körper versteinerte. Plötzlich war er weg. Plötzlich stand Kai allein im kalten Wasser … Nein, Arthur war noch da. Er war nur zurückgewichen. Panisch starrte er seine Eltern an.

Wie zwei Scharfrichter ragten sie am Poolrand auf. Kai sah wutverzerrte Gesichter über sich. Zweimal, unter teuren Sonnenbrillen und fein geschnittenen Haaren.

»Raus aus dem Wasser!«, kommandierte Arthurs Vater, aber Arthur stand nur da und stierte ihn an. Mit hängendem Unterkiefer, leichenblass. Seine Augen waren riesig.

Er bewegte sich nicht. Ein kühler Lufthauch strich über Kais Schultern. Arthur würde ihn nicht verlassen. Das wusste er plötzlich. Er würde sich seinen Eltern entgegenstellen und sagen, dass sie ihn in Ruhe lassen sollten, weil er Kai liebte und sie nur noch fünf Tage zusammen hatten und …

Er war so überzeugt davon, dass er sich wirklich wunderte, als Arthur den Mund öffnete und ganz andere Worte herausdrangen.

»Das ist nicht …«, stotterte er. »Wir haben nicht … Das war nur Spaß, das … Wir sind doch nicht schwul. Oder, Kai?«

Sein bittender Blick war das Schlimmste. Die verräterischen Augen, die Kai flehend ansahen.

»Es ist mir scheißegal, was ihr da veranstaltet!«, brüllte sein Vater. »Raus aus dem Pool, sofort!«

Und Arthur gehorchte. Kais Herz fühlte sich an, als würde es aufgeschlitzt. Er sah den runden Rücken, der sich von ihm entfernte. Die Wassertropfen darauf glitzerten immer noch.

Ihm war schlecht. Er wollte heulen, schreien, Arthur anflehen, dass er dablieb, hier, bei ihm, dass er diese Worte zurücknahm. Aber Arthur kletterte aus dem Pool, nackt und hilflos.

»Zieh dir was an«, zischte seine Mutter. »Das ist ja ekelhaft. Was habt ihr euch dabei gedacht?«

Arthur antwortete nicht. Wie ein Zombie stieg er in die Hose, ohne sich abzutrocknen. Er streifte das Shirt über. Die Sachen klebten ihm sofort am Leib.

»Und jetzt ins Auto mit dir!« Seine Mutter packte ihn am Ohr und zerrte ihn hinter sich her. Das Letzte, was Kai von ihm sah, war ein verzweifelter Blick. Dann verschwand er hinter dem Poolrand.

Er hörte eine Tür knallen. Immer noch konnte er sich nicht bewegen. Das Wasser gluckerte um ihn herum. Arthurs Vater sah ihn an. Kai spürte den Ekel hinter den dunklen Brillengläsern schwelen.

»Verschwinde von hier«, knurrte Arthurs Vater. »Oder ich rufe die Polizei.«

Arthur hat mich eingeladen, wollte Kai sagen. Ich darf hier sein. Er hat mich eingeladen und er liebt mich.

Aber das wäre eine Lüge gewesen.

Er stieg aus dem kalten Wasser in die zu heiße, böse flirrende Luft. Egal. Alles egal.

Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle. Arthurs Vater beobachtete ihn und zum ersten Mal fühlte er sich wirklich nackt. Nackt und verletzlich. Er packte seine fadenscheinigen Klamotten und hätte sie fast fallengelassen, weil Arthurs Vater ihn im Nacken packte wie einen Hund.

Er wurde durch die Eingangshalle gezerrt, über die glatten Fliesen. Ein harter Stoß schleuderte ihn in den Kies der Einfahrt. Steinchen gruben sich in die zu mageren Knie. Als er aufblickte, sah er Arthur. Arthur, der neben seiner Mutter am Auto stand, einem schwarzen Aston Martin, und ihn anstarrte.

Hilf mir, dachte Kai, aber in Arthurs blassem Gesicht war nichts als Panik.

Der Kloß füllte Kais ganze Kehle aus, dehnte sich weiter und die Sicht verschwamm.

Mist, Mist, Mist …

»Arthur«, schluchzte er, aber da packte ihn eine Pranke, diesmal in den Haaren und schleuderte ihn vorwärts.

»Verschwinde endlich!«

Kai stolperte die Einfahrt herunter, durch den Kies, nackt, die Klamotten in den Händen. Er heulte und heulte. Er heulte immer noch, als er sich längst auf der Straße befand. Schluchzend streifte er die Hose über. Die restlichen Sachen behielt er in der Hand.

Der Asphalt war so heiß, dass er sich die Fußsohlen verbrannte. Aber seine Schuhe waren irgendwo in dieser blöden Villa und dahin würde er nie mehr zurückkehren. Nie mehr.

Als er sich endlich umsah, war die Villa längst aus seinem Blickfeld verschwunden. Da waren nur noch die Straße und der düstere Wald.

10. Arthur

Erst, als sie ihn ins Auto verfrachtet hatten, kapierte Arthur, was hier geschah. Als der Motor startete, als die ersten Bäume vorbeizogen, immer schneller.

»Lasst mich raus!«, brüllte er. Er krabbelte über die Ledersitze, öffnete die Wagentür und stürzte hinaus.

Heißer Schmerz schrammte durch seine Schulter. Er rollte über den Asphalt wie eine fette, feige Kugel.

Kai hatte geweint. Er hatte … Arthur spürte Gras unter den Händen. Der Straßengraben. Er schluchzte auf. Aber er stemmte sich hoch. Kai! Wo war er?

Bremsen quietschten. Schritte erklangen.

Er stand auf, aber er war viel zu langsam. Sein Vater packte ihn, verdrehte seinen Arm hinter dem Rücken und er konnte sich nicht wehren.

»Was veranstaltest du hier? Das wird Konsequenzen haben, Junge«, zischte er ihm ins Ohr.

Arthur konnte noch so sehr zappeln, sein Vater zerrte ihn zurück ins Auto. Er schleuderte ihn auf den Rücksitz, rief »Kindersicherung! Sonst haut er wieder ab!«, warf sich neben ihm in den Sitz und schlug die Tür zu. Wie versteinert sah Arthur die Bäume weiter vorbeiziehen.

Er schrie.

Er brüllte, bis seine Kehle wund war. Bis ihm die Tränen aus den Augen, der Nase und dem Mund liefen. Bis aus dem Wald längst eine Autobahn geworden war und aus dem Blätterdach ein grell leuchtender Himmel. Nichts konnte ihn davon abhalten. Nicht die wütenden Befehle seiner Mutter, nicht die Ohrfeigen seines Vaters.

»Hörst du auf?«, bellte der. »Du bist ja total durchgeknallt!«

Aber das war er nicht. Er war ein elender Feigling. Ein schwacher Feigling, ein fetter Feigling.

Ein Vollidiot.

Warum hatte er nicht … Warum hatte er Kai nicht verteidigt? Wie hatte er zulassen können, dass sein Vater ihn auf die Straße jagte, nackt, wie einen Köter?

Er hatte geweint.

Arthur weinte auch. Als er nicht mehr brüllen konnte, heulte er, stundenlang. Es wurde eine sehr unangenehme Rückfahrt.

Sie machten ihm Vorwürfe. Auf der Fahrt und später, als sie daheim angekommen waren. Auf dem düsteren Anwesen, das so anders war als die Villa Blau. Er schleppte sich die Treppen hoch, die sein Vater mit dem neu gestalteten Familienwappen hatte verzieren lassen.

»Was denkst du, was du da tust?«, fragte seine Mutter.

Normalerweise gehorchte er sofort, wenn sie in diesem Ton mit ihm redete. Aber diesmal trottete er einfach in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Normal wäre es auch gewesen, dass seine Eltern dieses Benehmen nicht hinnahmen. Aber nach all dem Heulen und Schreien waren wohl selbst sie müde.

Arthur stürzte auf das Bett, in dem er höchstens zwei Wochen pro Jahr schlief, und heulte weiter. Leiser, weil ihm der Hals inzwischen so wehtat, als hätte man ihn mit einem Reibeisen bearbeitet. Es war ihm nicht mal peinlich. Keiner seiner Freunde weinte noch, aber er legte eine stundenlange Baby-Heulorgie hin. Na und? Kai wäre es egal gewesen. Wahrscheinlich.

Kai, den er im Stich gelassen hatte. Er schämte sich so entsetzlich.

Noch viel mehr, als er am nächsten Morgen aufwachte, rau und zerschlagen und wund und immer noch ein blöder Feigling. Warum war er überhaupt eingeschlafen?

Arthur richtete sich auf. Die abgestandene Luft drang in seine Lungen. Kühl, trotz des Sommers vor dem Fenster. Kein Geräusch. Keine Poolpumpe, keine Vögel, kein rauschender Wald.

Er atmete ein. Er musste Kai anrufen. Erklären, dass er ein Idiot war. Dass es ihm leidtat. Dass … dass er …

Er schluckte. Er musste Kai sagen, dass er sich eventuell ein wenig in ihn verliebt hatte, wenn er ehrlich war. Aber was würde der sagen? Würde er überhaupt rangehen, wenn ein blöder Feigling ihn anrief?

Oder ihm schrieb. Das war leichter, bestimmt. Nur, was sollte er schreiben? Arthur stand auf und schnappte sich einen Papierblock vom Schreibtisch.

Geräusche von draußen. Unter dem Fenster. Die Stimmen seiner Eltern drangen zu ihm hoch. Wahrscheinlich frühstückten sie und telefonierten dabei.

Konnte er von hier abhauen? Ohne, dass sie es merkten? Sie würden ja irgendwann zum Golf spielen gehen, oder? Zu einer Party vielleicht. Dann könnte er sich alles Bargeld schnappen, das er von diversen Geburtstagen noch hatte, und sich ein Taxi nehmen.

Doch zuerst brauchte er ein Ziel. Kai war das Ziel, natürlich, aber … na ja, erstmal musste er ihm schreiben. Er musste die richtigen Worte finden. Magische, romantische, perfekte Worte. Oder zumindest gute.

Es tut mir leid. Bitte verzeih mir, ich liebe dich doch, auch wenn du das nicht wusstest, und hoffentlich liebst du mich auch, obwohl es mir grad auch schon reichen würde, wenn du mich nicht hasst …

Nein, viel zu kitschig.

Als es Mittag wurde, war der Raum mit Zetteln übersät und Arthurs Haare zerrauft. Er hatte keinen Hunger. Keinen Durst. Er hatte sich kurz ins Bad geschlichen und war dann zurückgekehrt, um weitere schlechte Ideen auf die Zettel zu schreiben.

Seine Eltern hatten sich nicht blicken lassen. Sie schmollten entweder oder wollten ihm die kalte Schulter zeigen. War ihm beides recht. Er würde nie wieder mit ihnen reden. Nie wieder.

Wie kannst du unserer Familie das antun?, hatten sie gefragt. Unserem Ruf? Unserem Adelsgeschlecht?

Ihr dummer gekaufter Titel und ihre dumme falsche Vornehmheit hatten alles zerstört. Er wusste noch nicht mal, ob es sie störte, dass Kai ein Junge war … oder arm. Er vermutete Letzteres. Egal. Sobald er die richtigen Worte fand und eine Antwort hatte, konnte er loslegen. Rausfinden, wie er von hier wegkam.

Nur musste er sie erst finden.

Er entschied sich schließlich für drei blöde, plumpe Sätze, weil er es nicht besser hinkriegte. Vielleicht ist es Kai egal, wie albern das klingt, dachte er.

Mit zitternden Fingern tippte er sie ein.

Es tut mir leid, dass ich ein Feigling war. Ich liebe dich. Läufst du mit mir weg?

11. Kai

Es war ruhig hier. Unerträglich ruhig. Er konnte sich nicht dazu aufraffen, zu brüllen und die Vögel aufzuscheuchen. Alles, was er hinkriegte, war das: auf der Mauer sitzen und in den Wald starren. Er hatte gedacht, er würde sich besser fühlen, wenn er Bäume um sich hatte. Tat er normalerweise.

Diesmal nicht.

Die Steine waren zu hart unter seinem mageren Hintern. Das Moos polsterte nichts und die Erinnerungen wurden immer furchtbarer. Hier hatte er … Hier hatte Arthur ihn geküsst. Er hatte die weiche, starke Hand gespürt und Arthur hatte ihn geküsst und es hatte überhaupt nichts bedeutet.

Es hatte Arthur nichts bedeutet.

Sein Hals tat immer noch weh. Als er es nicht mehr aushielt, tapste er die brüchigen Steine hinunter und trottete durch den Farn. Er war so nervös gewesen, als er Arthur die Mauer gezeigt hatte. Er hatte nicht gewusst, ob ihn das interessierte, aber das hatte es. Arthur hatte richtig begeistert gewirkt.

Kai hatte keine Ahnung, ob noch jemand hierher kam. Einmal hatte er eine verblasste Plastiktüte gefunden. Aber danach nie mehr. Und er kam schon lange her. Seit damals, als seine Eltern sich gerade erst getrennt hatten. Seit er fünf gewesen war und sie noch in der schiefen Hütte unter den Eichen gewohnt hatten. Tief im Wald, ohne Strom, mit einem Brunnen und einem Plumpsklo. Es war super gewesen. Jeden Tag hatte er die Wälder durchstreift, bis er sie so gut kannte, dass er mit verschlossenen Augen den Weg zurück gefunden hätte.

Er stapfte über graubraune Blätter. Das Rascheln war ohrenbetäubend. Arthurs Hand fehlte ihm.

Wie immer schien sich eine schwere Decke auf ihn zu senken, sobald das Dorf in Sichtweite kam. Vöhrsweiler. Der senfgelbe Kirchturm, die Schieferdächer und die hohen, blickdichten Hecken.

Er hatte tatsächlich Hunger. Verwundert über den leeren Magen schlurfte er durch die düsteren Gassen. Fast wäre er gegen eine Regentonne getorkelt, so unsicher ging er. So ein Scheiß.

Sein Handy brummte. Und sein Herzschlag stockte.

Arthur, dachte er. Mit klammen Fingern holte er das uralte Gerät aus der Hosentasche.

Sie waren so klamm, dass Markus ihm das Handy mit Leichtigkeit abnehmen konnte.

»Hol’s dir wieder, Stinker!«, höhnte er und schubste Kai zu Boden. Sein Mondgesicht glänzte in der Sonne. Was? Wo kam der plötzlich her? Kai sprang auf.

»Gib das zurück!«, brüllte er. Da war eine Nachricht, vielleicht von Arthur! Er konnte jetzt nicht mit diesem Trottel streiten.

Markus blinzelte. Er wirkte echt erstaunt, dass Kai so wütend wurde. Nein, ängstlich. Was?

Markus drehte sich um und wetzte los.

»Komm zurück!«, rief Kai. Schwere Hände packten seine Schultern. Horst.

Kai trat nach hinten und stieß mit den Ellenbogen zu, immer wieder. Schließlich traf er weiches Fleisch. Ein Schrei. Die Klauen lockerten sich und er konnte sich losreißen. Horsts Fingernägel hinterließen Kratzer in seinen Schultern. Egal.

Markus’ Vorsprung war zu groß. Kai sah ihn um eine Ecke biegen und zwischen zwei Autos verschwinden. Mist. Er rannte hinterher. Seine Turnschuhe trommelten über den Asphalt. Paps hatte die Schuhe zurückgeholt, gestern, aus der verdammten Villa. Und nun mussten sie Markus einholen.

Seine Lungen brannten, als Markus in die Schellengasse einbog. Da wohnte er. Wenn er das Haus erreichte, war er in Sicherheit. Dachte er wohl. Nichts hätte Kai aufgehalten, gar nichts.

Markus schlug ihm die Haustür vor der Nase zu. Kai hämmerte mit den Fäusten gegen das dunkelbraune Holz, bis der bunte Sommerstrauß in der Mitte herunterfiel.

»Mach auf, du Arschloch!«, brüllte er. »Du blöder Wichser, komm raus, du Feigling!«

Markus’ Vater öffnete ihm, fünf Minuten später oder so.

»Was soll das denn?«, fragte er streng. »Wir haben eine Gartenparty und wenn du uns stören willst …«

Kai zwängte sich an ihm vorbei.

Er fand Markus im Garten, wo er breit grinsend in einem Liegestuhl neben dem Teich saß. Um ihn herum Trubel, schlechte Musik, kiloweise Grillfleisch und Leute. Aber all das war Kai egal. Alles, was zählte, war das Handy in Markus’ Fingern.

Markus sah auf und wurde bleich. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass Kai ihm bis hierher folgen würde. Würde er normalerweise auch nicht. Dass man Streitereien nicht bis zu den Eltern trug, war eigentlich Ehrensache.

Scheiß auf die Ehre, dachte Kai.

Ein Grinsen, nicht halb so selbstsicher, wie es vermutlich wirken sollte, verzerrte Markus’ Gesicht.

»Hey, Stinker! Wer ist denn A?«, fragte er und Kais Herz überschlug sich.

So hatte er Arthur eingespeichert. Die Nachricht war von Arthur! Entschlossen drängelte er sich an einer Gruppe lachender Leute vorbei.

»Gib mir mein Handy zurück!«, rief er. So laut, dass Gespräche verstummten.

Markus sprang auf.

»Erst wenn du mir sagst, wer A ist.« Er hielt das Handy hoch über den Kopf.

Kai hatte keine Zeit für Spielchen.

»Gib’s mir!«, forderte er. Markus’ Grinsen wurde fieser.

»Ja, okay … Ups!«

Mit Grauen beobachtete Kai, wie das Handy aus den kräftigen Fingern rutschte, sich in der Luft drehte und im Goldfischteich landete. Es streifte ein Seerosenblatt, bevor es in der Tiefe versank. Kai stürzte auf die Stelle zu, an der es verschwunden war. Ohne darauf zu achten, dass er sich mit Schlamm beschmierte, griff er ins Wasser, fischte danach, tastete blind im Morast herum, bis seine Hände das glatte Rechteck erwischten.

Bitte sei noch heil, betete er, als er es herauszog. Bitte sei noch heil, hoffentlich ist kein Wasser drin, das Display ist gesprungen, aber vielleicht …

Es ging nicht an. Kai starrte darauf, unfähig, es zu begreifen.

»Geh an«, krächzte er.

Markus lachte wiehernd. Gemurmel wurde laut. Kai sah auf, wie taub, und bemerkte, wie böse die Erwachsenen um sie herum schauten.

Aber sie schauten nicht auf ihn, sondern auf Markus.

»Also das geht ja gar nicht«, hörte er eine Frau flüstern. »Ihm einfach das Handy zu klauen.«

»Das hätte ich nicht von ihm gedacht. So ein Saukerl.«

»Junge.« Herr Meisner, der Dorfklempner, räusperte sich. Markus schaute verunsichert in die Runde. »Junge, das geht so ja nicht. Du entschuldigst dich jetzt und dann kaufst du ihm ein neues.«

»Was, aber …?« Hilfesuchend blickte Markus auf seine Mutter. Doch die sah in die Runde, genauso aus der Balance geworfen wie ihr Sohn.

»Äh.« Sie hüstelte. »Nein, das geht wirklich nicht. Schäm dich, Markus. Dein Taschengeld ist gestrichen, ist das klar? Und das Mofa kannst du vergessen.«

»Was?!« Markus starrte sie an. »Aber … Das ist deine Schuld, Stinker!«

Er wirbelte zu Kai herum. Und erstarrte. Kai ballte die Fäuste. Eiskalte Wut stieg in ihm auf, raste durch jede seiner Adern.

»Was hat er geschrieben?«, fragte er.

»Was … Er?« Markus glotzte blöd. Er lachte, erst unsicher, dann höhnisch. »Er? Das war ein Kerl? Du bist ’ne Schwuchtel?«

Sein hysterisches Kichern wurde jäh abgeschnitten, als Kai ihm an die Kehle sprang. Sie stürzten auf die Terrasse, gegen einen Tisch, und halbvolle Plastikbecher prasselten auf sie nieder. Es stank nach Himbeerbowle. Kais Hände schlossen sich um Markus’ Hals.

»Was hat er geschrieben?«, brüllte er.

Markus schaffte es, sich herumzuwerfen und Kai unter seinem Gewicht zu begraben. Aber Kai dachte nicht daran, aufzugeben. Sein Knie schoss vor und bohrte sich tief in Markus’ Schritt. Der jaulte schrill auf, kippte zur Seite und würgte.

Er musste Schlumpfeis oder so gegessen haben. Zumindest war die Flüssigkeit, die er über die hellen Fliesen kotzte, grellblau.

Kai stand auf und atmete tief ein. Er sah auf Markus hinunter. Der hustete und … Heulte er?

Mit feuchten Augen und laufender Nase sah Markus in die Menge. Zum ersten Mal achtete Kai darauf, wer alles da war. Herr Meisner und seine Frau, ihre alte Grundschullehrerin, Nachbarn, Bekannte … und Sandra Schubart, das hübscheste Mädchen im ganzen Dorf. Ihre Augen waren auf Markus gerichtet. Sie schlug die Hand vor den Kirschmund und kicherte.

Oh. Markus schniefte. Er hätte Kai fast leidgetan. Fast.

»Was. Hat. Er. Geschrieben?«

Markus’ Augen wurden schmal. Er sah auf, als wollte er Kai töten. Aber er traute sich offensichtlich nicht, ihm auch nur nahezukommen. Vorsichtig robbte er rückwärts.

»Er hat … Er hat Schluss gemacht, Schwuchtel«, zischte er. »Klang jedenfalls so. Weiß nicht mehr genau, was da stand, aber es war so ein »Danke für alles, aber das war’s«-Gelaber. Du hast ’nen Korb gekriegt, Stinker.«

»Was?« Kai fühlte sich, als würde der Boden unter ihm zu Treibsand. »Aber …«

»Außerdem sollst du ihn nicht mehr anrufen«, höhnte Markus. Sein triumphierendes Lachen verblasste, als er in die Runde sah. Seine Wangen röteten sich. »Was guckst du so geschockt? Schau dich doch mal an.«

Ohne es zu wollen, sah Kai an sich herunter. Auf die abgetragenen Klamotten, den mageren, erbärmlichen Körper, die schlammbeschmierten Arme.

Ja, sagte eine fiese Stimme in seinem Kopf. Ja, stimmt. Was soll einer wie Arthur schon von dir halten? Soll der sich etwa blamieren, mit einem Freund wie dir? Du bist nicht gut genug für ihn, das ist doch klar.

Ein Kloß drängte seinen Hals hoch. Er wollte nicht heulen, echt nicht. Er hatte schon so viel geheult. Wegen Arthur. Der ihn sofort verleugnet hatte, in dem Moment, in dem seine Eltern aufgetaucht waren.

Nein. Er würgte die Tränen herunter. Nein. Wegen dem würde er nicht mehr weinen. Nie wieder. Er hob das Kinn. Halb bekam er mit, dass Markus von seinen Eltern beschimpft wurde. Dass er selbst mitleidige Blicke erntete, aber auch misstrauische. Oh, richtig. Jetzt wussten auch noch alle, dass er sich in einen Kerl verliebt hatte. Mist.

»Soll ich dich heimfahren, Kai?« Seine alte Grundschullehrerin.

Ihre lieben Augen gingen ihm durch und durch. War sie schon immer so klein und zerbrechlich gewesen? Er schüttelte den Kopf.

Und verließ die Party.

Arthur hatte ihm also einen Korb gegeben. Dann musste er auch nicht … Na, irgendwie hätte er die Nachricht ansehen können, oder? Irgendwo war die doch gespeichert. Bestimmt. Aber wollte er das?

Wieder atmete er tief ein. Er schlurfte die Straße entlang, in der alle Häuser gleich aussahen. Schlurfte weiter, bis die Häuser individueller, aber schäbiger waren, bis er an der Bruchbude ankam, in der er wohnte.

Paps war da. Kaum war Kai zur Tür hereingetrottet, hielt der ihm sein eigenes Handy hin.

»Für dich«, brummte er. »Zum dritten Mal schon. Warum gehst du nicht an deins?«

Kai zuckte mit den Achseln, zu müde, das zu erklären und hielt es ans Ohr.

»Hey«, sagte Manolja. Sie wirkte auch nicht viel glücklicher als er. Gut. Mit Fröhlichkeit wäre er gerade nicht klargekommen.

»Hey«, brachte er heraus. Er beobachtete, wie Paps versuchte, es sich an dem winzigen Küchentisch bequem zu machen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt.

»Wie waren deine Ferien?«, fragte sie matt.

»Scheiße. Und deine?«

»Hab den Kurs als Beste bestanden«, sagte sie mit Grabesstimme. »Meine Eltern machen ernst. Sie haben drei Stipendien rausgesucht, auf die ich mich bewerben muss.«

»Kann.«

»Muss. Du kennst sie doch.«

»Ja.« Manoljas Eltern duldeten ihn nur, weil er gute Noten hatte. Ansonsten war er, wie immer, kein guter Umgang.

»Kai …«

»Nein.«

»Komm schon, bitte. Ich muss mich bewerben. Bitte.«

»Ich will nicht ins Internat.«

»Aber du hättest danach so gute Chancen für … deine Zukunft und so. Und ich müsste da nicht alleine hin. Ich will doch auch nicht. Aber es ist vernünftig.«

»Super.«

»Denkst du wenigstens darüber nach? Bitte?«

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9783962556426
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