Читать книгу: «Die Brücke zur Sonne», страница 6

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„Übrigens“, hörte sie ihn da sagen. „Was die Sache mit dem Gewehr angeht, musst du noch jede Menge lernen…kleine Engländerin!“

Patty schnappte nach Luft und versuchte, sich von ihm loszureißen, doch er hielt sie fest. Es gab kein Entkommen, bis zum Ende des Liedes. Hätte sie doch jetzt eines zur Hand gehabt, hätte sie bloß, ihm wäre das Witze reißen schon vergangen! Wäre da nicht ihre aristokratische Einstellung gewesen und die Tatsache, dass ihre Mutter ihr zusah, sie hätte ihm hier, vor allen Leuten, eine Ohrfeige verpasst.

Der darauffolgende Sonntag...

Der darauffolgende Sonntag zeigte sich von seiner schönsten Seite und präsentierte den Anwohnern von Silvertown und Umgebung warmes, trockenes Frühjahrswetter, was nicht unbedingt typisch und selbstverständlich war für diese Jahreszeit.

Den Vormittag verbrachten Jean und Patty gleichermaßen damit, unzählige Briefe an all ihre Freunde zu Hause und an Louisa zu schreiben. Während Jeans Briefe sachlich und eher nüchtern formuliert waren, darauf bedacht, die tatsächlichen Geschehnisse zu schildern, waren Pattys gespickt mit Vorwürfen und Bezeugungen ihres Frusts, dass sie gefangen war in diesem Land, welches sie bereits jetzt verabscheute.

Währenddessen dröhnte das Klopfen von Matthews Hammer nervtötend durch das Haus. Er hatte sich daran gemacht, den Gartenzaun zu reparieren, damit – zumindest in seiner Vorstellung – Rachel dort Gemüse und Blumen anpflanzen konnte, während neben Jeans Schlafzimmerfenster noch ein Rosenspalier platziert werden sollte.

Das junge Mädchen seufzte, während ihr gedankenverlorener Blick an der braunen Holzwand hinter ihrem Schreibtisch hing. Wie es wohl weitergehen würde, hier, in diesem so völlig fremden Land? Ob Patty und ihre Mutter sich irgendwann beruhigen würden oder ob es nun ein ganzes Jahr lang mit dem Streit und den ständigen Vorwürfen gegen ihren Vater weiterging? Jean ertrug diesen Unfrieden nur schwer und sie sehnte sich nach einer ruhigen Ecke, in die sie sich zurückziehen konnte. Das Klopfen an ihrer Zimmertür riss sie unsanft aus den Gedanken und schon streckte ihr Vater den Kopf herein. Sie hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war und dass er seine handwerkliche Tätigkeit für heute beendet hatte.

„Bist du beschäftigt?“, wollte er wissen.

„Der letzte Brief ist fertig“, erwiderte Jean und deutete auf einen kleinen Stapel Briefumschläge.

„Oh!“ Verdutzt trat Matt ein. „Ist das etwa alles?“

„Habe ich jemanden vergessen?“ Jean begriff nicht.

„Ah ja“, machte ihr Vater gedehnt und nickte kurz. „Deine Schwester wird mich mit Portokosten arm machen, wenn es so weitergeht…“

„Mom macht sich wohl schon für die Stadtführung beim Herrn Bürgermeister schick“, vermutete Jean, worauf Matthew schnell nickte. „Ja, ja, wir fahren bald!“

„Dann werde ich wohl auch mal zusehen, ob ich etwas Passendes finde, um mich dort blicken lassen zu können.“ Sie stand auf und öffnete den schmalen Kleiderschrank, in dem ihre Garderobe, die sie mitgebracht hatte, nur mit Mühe Platz fand. „Nicht, dass Mom sich wieder für mich schämen muss…“

„Warte einen Moment.“

Ein wenig erstaunt drehte Jean sich um. Irgendetwas ging wieder einmal vor sich, sie spürte es genau.

„Weißt du, ich hatte mir das ein wenig anders vorgestellt.“ Schon den ganzen Vormittag war Matthew damit beschäftigt gewesen, sich die richtigen Worte zurechtzulegen. Immerhin musste er darauf gefasst sein, sich nicht nur von seiner jüngeren Tochter, sondern auch von Rachel zusammenstauchen lassen zu müssen. Deshalb hatte er sich dazu entschieden, zuerst an Jeans Zimmertür zu klopfen, da er sie in dieser Hinsicht für die Vernünftigste seiner Damen hielt und womöglich auch als seine Verbündete gewinnen konnte.

„Na ja, reden wir nicht lange um die Sache herum: Deine Mutter und ich gehen alleine zu Mr. Bentley.“

„Oh!“ Jeans dichte Augenbrauen schwangen nach oben. „Und was passiert mit mir und Patty?“

Matt schluckte. „Ich habe mir gedacht, dass es euch nur langweilen würde, so ein Kaffeeklatsch unter Erwachsenen. Du weißt schon, Politik und so weiter und deshalb habe ich für euch einen viel besseren Aufenthalt heute Nachmittag gefunden!“

Jean schwieg. Mit jedem Wort wuchs ihre Vermutung, was ihr Vater geplant hatte und sie malte sich bereits die Reaktion ihrer Schwester aus.

„Nachdem ihr beide ja noch etwas über dieses Land lernen sollt, habe ich mir überlegt, dass es doch das Beste ist, wenn ihr als erstes einmal unsere schöne Gegend hier kennenlernt“, begann er hastig, um ja nicht unterbrochen zu werden. „Und wer könnte das wohl besser, als jemand, der hier ansässig ist?“

Ahnungsvoll legte Jean den Kopf schief und schürzte die Lippen. „Du erwartest doch nicht, dass Patty von dieser Idee begeistert sein wird?“

„Ich habe keine Ahnung, was Amy und ihr Vater mit euch vorhaben“, gestand Matthew. „Ich möchte dich einfach nur bitten, darauf aufzupassen, dass deine Schwester sich benimmt!“

„Amy?“ Ein Lächeln hob Jeans Mundwinkel. „Dann wird es bestimmt sehr nett werden…jedenfalls für mich.“

Matthew brachte seine beiden Töchter im Wagen hinüber auf die Ranch. Patty sprach kein Wort seit der Abfahrt, während Jean sich keine Mühe gab, ihr Freude zu verbergen, die neuen Nachbarn wiederzusehen. Sie stiegen vor den Stufen der Veranda aus, wo Amy sie schon begrüßte. Wie immer war die Rancherstochter bester Laune und strahlte von einem Mundwinkel zum anderen.

„Ich gehe wieder an meine Arbeit“, erklärte Ben Arkin, als Matthews schwarzer Jeep um den Waldrand verschwunden war und wandte sich zum Gehen. „Falls ihr Probleme habt, weißt du, wo du mich findest!“

Seine Tochter nickte. „Keine Sorge, Daddy!“ Sie wandte sich wieder ihren beiden Gästen zu. Ein wenig kritisch glitt ihr Blick über Patty hinweg, die ein kurzes, geblümtes Kleid mit farblich abgestimmten Ballerinas trug.

„Hast du keine anderen Sachen zum Anziehen? Irgendetwas Altes? Du wirst dir dein schönes Kleid ruinieren!“

Empört verschränkte das vierzehnjährige Mädchen die Arme vor der Brust und betrachtete die Rancherstochter mit verächtlich gerunzelter Stirn. Amy steckte in ausgewaschenen Bluejeans, Cowboystiefeln und einer grünen, altmodischen Strickjacke.

„Etwas, das bei uns alt genannt wird, landet im Mülleimer und wird nicht mehr dazu verwendet, andere Leute zu erschrecken!“, erwiderte sie kühl und warf den Kopf zurück. Ihr schönes Gesicht glühte vor Entrüstung. Sie wollte einfach nur fort von hier und deshalb sah sie auch gar nicht ein, weshalb sie etwas anderes tun sollte, als Gift und Galle zu spucken. „Der grüne Wollsack stammt wohl noch aus der Zeit vor dem Krieg?“

„Patty!“ Entgeistert starrte Jean ihre jüngere Schwester an. Sie war schon immer davon überzeugt gewesen, dass Patty ein Miststück sein konnte, hatte dies jedoch bislang um des lieben Friedens Willen als Gerücht erachtet. Wie kam sie dazu, gegenüber der Tochter ihres Gastgebers so unverschämte Reden zu führen?!

Amy unterdrückte ihren aufsteigenden Ärger und deutete zum Pferdestall hinüber. „Komm. Vielleicht kannst du mir dann zeigen, wie du mit diesem Kleid im Sattel sitzen willst!“ Kopfschüttelnd ließ sie die beiden Engländerinnen stehen.

Eine Sekunde starrte Patty ihr fassungslos hinterdrein. Sie empfand ihr Erscheinen nicht als ungewöhnlich. Ihre Schwester dagegen, natürlich, hatte sich gleich dem gängigen Modetrend angepasst und sich zu einer Jeanshose hinreißen lassen. Dazu dieses scheußliche, altbackene Hemd, das sie aussehen ließ wie eine Schulmamsel…nun ja, es war wohl eindeutig, wer von ihnen beiden hier Flair und Chic besaß.

„Sattel?“, wiederholte das schöne, junge Mädchen plötzlich, während ein Ruck durch ihren Körper ging. „Wieso Sattel?“

„Halt endlich deinen Mund!“, zischte Jean ärgerlich. „Kannst du dich nicht wenigstens ein bisschen zusammenreißen? Was sollen sie von uns denken? Dass wir eingebildete, verzogene Gänse sind?“

Gleichgültig zuckte Patty die Schultern. „Sollen sie doch denken, was sie wollen. Ich werde mich garantiert nicht auf das Niveau dieser Bauerntölpel begeben!

Jean fiel dazu nichts mehr ein. Sie ließ ihre kleine Schwester stehen und lief stattdessen hinter Amy her, in Richtung Pferdestall.

„Was hast du denn mit uns vor?“, fragte sie höflich, als sie die Rancherstochter eingeholt hatte.

„Ich wollte euch eigentlich die Ranch zeigen, aber deine Schwester hat ja anscheinend keine Lust dazu!“, blaffte Amy sie an, ganz offensichtlich gekränkt.

„Doch, doch“, verteidigte Jean hastig ihre jüngere Schwester, die demonstrativ gelangweilt hinter ihnen her geschlendert kam. „Sie hat nur schreckliches Heimweh!“

Amy verdrehte die Augen. „Von mir aus. Deshalb braucht sie sich trotzdem nicht wie eine Prinzessin zu benehmen!“

Jean seufzte innerlich, denn im Grunde genommen hatte Amy ja recht. Nur leider war es unmöglich, Pattys Selbstüberschätzung und Selbstverliebtheit soweit einzudämmen, dass sie nicht dauernd an allem etwas herumzumäkeln hatte. Sie hörte auf niemanden, manchmal auf Rachel, aber auch nur, wenn es ihr in den Kram passte und schon gar nicht auf ihre große Schwester und je länger der Nachmittag fortschritt, desto schlimmer wurden Jeans Befürchtungen betreffend seines Ausgangs.

Das doppelflüglige Tor zum Pferdestall stand weit offen und bis auf einige wenige standen sämtliche Verschläge leer. Die meisten Pferde durften den Sonntagnachmittag beim Grasen auf den riesigen Koppeln verbringen.

Die weiße Schimmelstute im ersten Verschlag der linken Seite schob den Kopf neugierig über die halbhohe Türe und prustete laut durch die dunklen Nüstern.

„Na, meine Kleine?“ Zärtlich schob Amy ihr eine Karotte zwischen die Lippen, die sie in ihre hintere Hosentasche geklemmt hatte. „Jetzt machen wir einen Ausflug.“ Sie deutete auf einen kleinen, braunen Wallach in der nächsten Box und eine dicke, scheckige Stute dahinter. „Die zwei könnt ihr haben. Sind beide ganz brav und zuverlässig. Die Sättel hängen drüben in der Scheune, wir nehmen die Pferde mit und satteln sie dort.“

Patty war mittlerweile bei ihnen angekommen. „Was soll ich denn mit diesem Vieh?“ Angeekelt trat sie einen Schritt zurück. Sie hatte die Stallgasse noch nicht einmal betreten, sondern wartete Naserümpfend im offenen Tor.

„Na, was glaubst du wohl, macht man in der Regel mit einem Pferd?“ Amy schien allmählich die Geduld zu verlieren.

Entsetzt stieß Patty einen kurzen Schrei aus. „Ha! Reiten! Ich! Sehe ich etwa so aus?!“

„Nein, offen gestanden nicht“, gab Amy unumwunden zu und seufzte resigniert. „Und jetzt sag mir bloß noch, du kannst gar nicht reiten?“ Die Tatsache, dass jemand nicht wusste, wie man auf einem Pferd saß, erschien ihr unbegreiflich.

Patty lächelte mitleidig. „Bei uns in England gibt es bereits modernere Fortbewegungsmittel – sie nennen sich Autos. Außerdem: Pferde haaren, beißen, schlagen, machen Arbeit und das Schlimmste: Sie stinken!“

Als wollte sie ihre Stute schützen, baute Amy sich vor dem Verschlag auf. „Wie kannst du es wagen, in meiner Gegenwart so über die edelsten Tiere dieser Erde zu sprechen?!“

„Meine Güte! Woher soll ich denn wissen, dass du sie zu deinem engsten Freundeskreis zählst?!“, konterte Patty herablassend und machte ein böses Gesicht.

Jean bemühte sich, ruhig zu bleiben. Am liebsten hätte sie ihre kleine Schwester erwürgt! Sie mochte Amy. Die Amerikanerin zog sie auf eigenartige Weise in ihren Bann. Es faszinierte sie, wie jemand so frei und ungebunden leben konnte, mitten im Nichts dieser Prärie. Wild und ungezähmt schien sie zu sein, ohne eine herrschsüchtige Mutter und einen untergebutterten Vater, der lieber klein beigab, als seine eigenen Wünsche durchzusetzen. Alles an Amys Leben schien Jean erstrebenswert und fremdartig und ihre unsägliche, arrogante, kleine Schwester musste alles gleich wieder kaputtmachen!

„Schön“, seufzte das amerikanische Mädchen nun, müde vom ständigen Gezeter ihres Gastes und griff nach dem Halfter an der Türe der zweiten Box. „Dann fahren wir eben mit der Kutsche.“

„Davon wird mir bestimmt schlecht!“, beschwerte sich Patty prompt und verzog den Mund.

„Jetzt bist du aber ruhig!“, schnauzte Jean sie an und ballte die Fäuste. „Sonst erzähl ich Mom heute Abend, dass du ein Scheusal warst und unseren Namen überhaupt nicht verdient hast!“

Das half, jedenfalls vorübergehend. Verschnupft wandte Patty sich ab und stolzierte über den Hof davon, um sich an einem der Zäune demonstrativ gelangweilt anzulehnen und nichts weiter zu tun, als ein hübsches Bild abzugeben.

„Kann ich dir helfen?“, fragte Jean, so freundlich wie sie es nur zustandebrachte. Sie wurde das Gefühl nicht los, das Benehmen ihrer Schwester wieder gutmachen zu müssen.

„Nein, nein.“ Amy lächelte schon wieder. „Ich mache das jeden Tag. Wenn es dich interessiert, zeige ich’s dir bei anderer Gelegenheit mal.“

Jean verstand. Sie nickte eifrig. „Au ja, das machen wir!“

Geübt streifte Amy dem Rotbraunen die Lederriemen über den Kopf und führte ihn zum Stall hinaus, hinüber zur Scheune. Sie legte dem Pferd ein Geschirr an, das für Jean nur wie ein Haufen ungeordneter Lederstränge aussah. Als das Mädchen dann einen zweirädrigen Sulky aus der Scheune holte, war Patty bereits wieder zur Stelle und runzelte bedenklich die Stirn.

Sie betrachtete die dünnen Speichen der Räder. „Damit sollen wir fahren? Beim ersten Schlagloch sitzen wir in der Wiese oder auf was soll ich mich vorbereiten?“

Inzwischen hatte Amy den Wagen mit dem Pferdegeschirr verbunden und kletterte auf den Sitzbock. „Ich habe nichts dagegen, wenn du deine Figur trainieren und nebenher rennen willst!“ Sie nahm die Zügel auf.

„Schon gut, schon gut!“, lenkte Patty hastig ein. Jean kletterte dank ihrer Jeanshose ungehindert hinauf auf die Kutsche. Patty bemühte sich, eine besonders gute Figur zu machen beim Aufsteigen. Kaum, dass sie halb oben war, schnalzte Amy jedoch mit der Zunge und der Wallach zog an, woraufhin Patty unsanft auf den Sitz zurückgeworfen wurde.

„Auch auf eine Kutsche steigen will gelernt sein“, gluckste die Rancherstochter jetzt und ihr war anzuhören, dass sie sich das Lachen kaum verkneifen konnte.

„Es hat eben nicht jeder die Ehre, unter solch primitiven Bedingungen großzuwerden und sich in solchen Dingen zu üben!“, erwiderte Patty wütend und verschränkte die Arme trotzig vor der Brust.

Amy lenkte den Dunkelbraunen den Feldweg entlang, hinaus in die Prärie. Am Waldrand bog sie nach links ab und sie folgten einem kaum erkennbaren Pfad über die grasbewachsene, grüne Ebene. Der Sulky gab bei jedem Stein und jeder Unebenheit wippend nach, was Patty dazu veranlasste, ängstlich auf den Boden rechts unter sich zu starren, der im Trabtempo des Rotbraunen an ihr vorbeizog. Ihre Schwester dagegen schien kein Unbehagen zu kennen. Sie strahlte über das ganze Gesicht und betrachtete nach allen Seiten wie hypnotisiert die Landschaft.

„Sind durch dieses Gerüttel deine Gesichtsmuskeln schon gelähmt?“ Pattys schnippische Stimme riss Jean aus ihrer konzentrierten Observation der Umgebung. Ihr gefiel es hier.

„Nein, warum?“

„Dann solltest du deinen Mund wieder zumachen. Das sieht hässlich aus!“

Amy rief ihnen zu: „Wir haben einen herrlichen Wald, mit sehr vielen verschiedenen Baumarten und dahinter liegt ein wunderschönes Felsental, wo wir prima reiten können!“

„Danach habe ich mich schon immer gesehnt!“, entfuhr es Patty sarkastisch.

Amy schwieg verletzt und lenkte den Wallach sicher nach links, in einen schmalen Weg zwischen den Büschen am Waldrand hinein; sie ließ ihn langsamer werden. Die hohen, großzügig verteilten Bäume des Mischwaldes sprossen im ersten Grün des Jahres und ein Schwarm Vögel zwitscherte munter in den Ästen. Plötzlich rutschte es Amy unbedacht heraus: „Warum musst du eigentlich so eingebildet und ekelhaft sein?“

Zornig richtete Patty sich auf und löste ihre verkrampften Finger von der sicheren Lehne. „Ich bin weder das eine, noch das andere, verstanden?! Ich hasse ganz einfach dieses Land! Ich hasse die Leute hier, ich hasse eure Sitten und ich hasse es, dass ich hier sein muss! Begreifst du denn nicht, dass es auch Menschen gibt, die nichts von alternativen Lebensgewohnheiten, irgendwo im Urwald zwischen Rindviechern und stinkenden Gäulen halten? Das Leben findet woanders statt!“

„Ach ja?“ Allmählich was das Ende von Amys Geduldsstrang erreicht. „Das ist immer noch Einstellungssache, wenn ich mich nicht täusche!“

„Allerdings! Und meine Einstellung weiß, was sie will!“

„Dann bin ich ja bloß gespannt, wie das zukünftig in der Schule wird! Vielleicht kannst du ja die anderen mit deinem Luxuswahn beeindrucken!“

„Als eine van Haren brauche ich überhaupt niemanden zu beeindrucken! Es reicht völlig aus, diesen Namen zu tragen! Und im Übrigen tut es mir leid für dich, wenn du nicht weißt, was ein schönes Leben bedeutet!“

Amy lachte spöttisch auf. „Pah! Der Ruf der berühmten Familie van Haren aus London ist bis in unsere Provinzschule doch noch gar nicht durchgedrungen! Damit kannst du hier niemanden für dich gewinnen!“

Der Wald lichtete sich und ein breiter Sandweg schlängelte sich um unzählige, mannshohe Felsbrocken, zwischen denen hin und wieder Dornensträucher wucherten. Amy ließ den Rotbraunen jetzt nur noch Schritt gehen.

„Was deine einfältigen Mitschüler wissen oder nicht, interessiert mich nicht die Bohne!“ Pattys Stimme überschlug sich beinahe, so trieben die Konter der Rancherstochter sie zur Weißglut. „Außerdem ist es doch kein Geheimnis, inwieweit ihr Amerikaner in solchen Dingen ungebildet seid! Also, woher soll das einer wissen?“

„Du wagst es, dermaßen abfällig über mein Volk zu sprechen?!“

„Was glaubst du, was ich nicht noch alles wage?“ Patty fühlte sich in ihrem Element und ihr fiel ein Ausspruch ihrer Mutter ein: „Bildung und Entwicklung sind das halbe Leben! Und was veranstaltet ihr hier? Anstatt eure Zeit in die Zukunft zu investieren, hinkt ihr euren Vorfahren und Traditionen hinterher! Fortschritt heißt das Zauberwort und du schaukelst uns hier mit einer Kutsche spazieren!“

„Wie und womit wir unsere Zeit verbringen, bleibt immer noch uns selbst überlassen!“

„Nicht, wenn es um das Wohl der gesamten Weltbevölkerung geht! Und nicht, wenn du von mir erwartest, ich soll den ganzen Quatsch auch noch mitmachen!“

„Das habe ich nie behauptet!“

„Oh doch! Du verstehst meine Einstellung nicht und ich habe nicht vor, mich jemals näher mit deinem Unsinn zu beschäftigen!“

„Oh!!!“ Unbeherrscht kreischte Amy auf. „Was glaubst du eigentlich, ist an deiner Meinung so besonders? Dass dir nur oberflächliche Dinge wie Geld, Luxus und die neusten Modetrends wichtig sind?! Dass du deine freie Zeit auf Bällen und Empfängen verplemperst, wo vermutlich genau die gleichen, stumpfsinnigen, aufgetakelten Weiber unterwegs sind, wie du und deine Mutter?!“

„Das war von dir ja nicht anders zu erwarten! Wenn man selbst aussieht wie eine entflohene Buschhexe, ist es nicht schwer, einen gepflegten Menschen zu beneiden!“ Angewidert zupfte Patty über Jean hinweg an Amys tannengrüner Strickjacke. „Mit viel Glück verwechselt dich irgendwann einer eurer billigen Kuhtreiber mit einem morschen Baum und fällt dich!“

„Das sind keine billigen Kuhtreiber!“, verteidigte Amy die Angestellten ihres Vaters. „Sie sind Teil unserer Familie!“

„Ach?“ Patty lachte herablassend auf. „Tatsächlich? Vielleicht verwandeln sie sich ja nachts in die Revolverhelden aus euren Westernfilmen und überfallen die Bank in der Holzbudenstadt, was?!“

„Silvertown ist ein historisch vielbedeutender Ort!“ Amys Kopf hatte eine hochrote Farbe angenommen und Jean fragte sich, wann der Zeitpunkt gekommen wäre, da sie explodieren würde.

„So einen Blödsinn habe ich mein Leben lang noch nicht gehört!“, ereiferte sich Amy weiter. „Wovon, glaubst du, leben wir eigentlich?“

„Das ist mir so gleich, als ob du morgen von deinem Gaul fällst! Aber wenn ich dich so anschaue, frage ich mich das ehrlich gesagt auch!“

„Nicht jeder legt Wert darauf, mit ein paar Dollarscheinen herumwedeln zu können! Du beweist wieder einmal, wie unglaublich schwachsinnig ihr reichen, verwöhnten, verweichlichten Sesselhocker doch alle miteinander seid! In erster Linie ernährt uns die Rinderzucht und dann der Tourismus, aber dafür müssen wir eben hart arbeiten! Eine Ranch zu betreiben ist nicht dasselbe, wie bei Papi auf den Schreibtisch zu klopfen und treue Augen zu machen, weil er dann schon mit dem Geld herausrückt!“

„Ah! Ich verstehe!“ Zufrieden lehnte Patty sich zurück. „Du bist neidisch, weil dein Vater kein reicher, angesehener Arzt ist! Weil er selber auch nichts weiter ist, als ein stinkender, billiger Kuhhirte!“

„Hoo!“ Amy ließ den Wallach anhalten, dessen Blick schon irritiert zu ihnen nach hinten gerichtet war. Er begriff nicht, was das laute Geschrei zu bedeuten hatte.

„So redet keiner ungestraft über meinen Vater!“ Die Rancherstochter sprang so heftig auf, dass der Sulky gefährlich schaukelte.

„Doch, ich!“, brüllte Patty zurück. „Ihr glaubt doch alle noch daran, dass die Maschinen euch nicht eines Tages ersetzen könnten! Irgendwann braucht man Leute wie dich und deinen Vater überhaupt nicht mehr!“

Das war zuviel – Amy packte das andere Mädchen über Jean hinweg beim Jackenkragen, die erschrocken beiseiterutschte.

„So einen ausgeschämten, überheblichen und voreingenommenen Waschlappen wie dich…“

Mit aller Gewalt versuchte Patty, sich aus dem Griff zu befreien, doch es gelang ihr nicht. Unbeherrscht holte sie aus – eine schmerzhafte Ohrfeige traf die linke Wange der Rancherstochter. So schnell sie konnte, sprang Patty vom Sulky, um weiteren Angriffen zu entgehen, doch der Sand war weich und rutschig und ihre Ballerinas nicht für solchen Boden geeignet – sie verlor das Gleichgewicht und im nächsten Moment spürte sie schon, wie Amy ihren rechten Arm von hinten zu packen versuchte.

„Noch nie ist mir jemand begegnet, der so gemein sein kann, wie du!“, schrie das amerikanische Mädchen ihr unbeherrscht ins Ohr. Sie besaß mehr Kraft, als Patty ihrer kleinen, rundlichen Figur zugetraut hatte und nur durch einen harten Tritt in die Kniekehlen gelang es ihr, sie abzuschütteln.

„Wenigstens darf ich mir etwas darauf einbilden!“ Patty wollte über das andere Mädchen hinwegsteigen, doch da hatte sie Amy unterschätzt: Gerade noch fühlte sie die harten Stiefel schmerzhaft gegen ihr rechtes Schienbein donnern, ehe sie der Länge nach in den regendurchnässten Sand fiel. Ihr neues Kleid! Alles war schmutzig!

„Du glaubst wohl, dass ich bei euren primitiven Problemregelungen nicht mithalten kann?“, kreischte sie.

„Das kannst du auch nicht!“ Jetzt war Amy es, die nicht mit Patty gerechnet hatte.

Das vierzehnjährige Mädchen packte sie an den Schultern und drückte sie mit aller Kraft zu Boden, doch die Rancherstochter war stärker. Unter Jeans fassungslosem Blick, die mittlerweile ebenfalls von der Kutsche gestiegen war und das Schauspiel entgeistert verfolgte, wälzten sich die beiden Mädchen auf der Erde. Keine wollte aufgeben und jede ließ ihren Zorn an der anderen aus, aber allmählich ließen Pattys Kräfte nach und sie konnte die heftigen, hasserfüllten Schläge kaum noch abwehren. Sie musste von hier fort!

„Na, warte!“, stieß sie unbeherrscht hervor und schlug mit letzter Kraft ihre Faust gegen Amys Stirn. Mit einem Aufschrei rutschte das andere Mädchen beiseite und gab Patty für eine Sekunde frei. Die genügte ihr. Eilig sprang sie auf, taumelte ein paar Schritte vorwärts, um dann so gut es ihr auf dem nassen Boden möglich war, davonzurennen. Sie wagte einen kurzen Blick über die Schulter zurück, der sie dazu veranlasste, das letzte aus sich herauszuholen.

Mühsam und ein wenig benommen erhob sich Amy vom Erdboden und Patty lief, so schnell sie es nur vermochte. Sie hörte eine heisere, schluchzende Stimme hinter sich her brüllen: „Wir beide sind noch nicht fertig, darauf kannst du dich verlassen!“

Im Laufen wandte Patty sich kurz um und schrie zurück: „Ja, erzähl’ nur alles deinem Daddy! Der wird dir dann schon helfen!“

Sie rannte weiter, so schnell sie in ihren Ballerinas konnte und verschwand hinter dem nächsten Strauch und dem darauffolgenden Hügel.

Noch immer wie gelähmt, verharrte Jean neben der Kutsche. Sie konnte nicht glauben, was soeben geschehen war. Was war nur in ihre kleine Schwester gefahren?! Die Tracht Prügel hatte sie sich wahrlich verdient.

Amy trottete mit hängendem Kopf, über und über mit nassem Sand bedeckt zu ihr hinüber. Sie bedachte Jean keines Blickes, sondern ging zu dem Pferd vor dem Sulky, um es an der Stirn zu streicheln.

„Es…es tut mir so leid“, stammelte Jean und fühlte, wie sie rot anlief. Wie sehr schämte sie sich für das Verhalten ihrer Schwester und es gab doch keine passenden Worte, die ihr einfielen und die ein solches Benehmen irgendwie gerechtfertigt hätten. Es war nicht zu entschuldigen und das wussten sie beide in diesem Moment.

„Schon gut“, erwiderte das amerikanische Mädchen leise und nickte ihr zu. „Komm, ich bringe dich nach Hause.“

Das Arbeitszimmer des Ranchbesitzers lag nach Westen, was bedeutete, dass er seine Tochter, die hastig den Sulky verräumte und das Pferd zu den anderen auf die Koppel brachte, nicht entdecken konnte, solange er an seinem Schreibtisch gegenüber der Fensterfront saß. Sollte er allerdings etwas aus einem der Bücherregale benötigen, hatte er durch die beiden Fenster, die zum Hof hin zeigten, einen weiten Überblick.

All das schoss Amy nun durch den Kopf, während sie auf Zehenspitzen die beiden schmalen Stufen zum Vorbau hinauf schlich. Sie kannte die Holzbohlen seit ihrer Kindheit auswendig, die unter ihrem Gewicht knarrten. Zwei große Schritte und die Haustüre war erreicht. Ganz behutsam drehte sie den Knauf herum und schob die schwere Eichentüre gerade soweit auf, dass sie hineinschlüpfen konnte. Drinnen war alles still. Ihre Haushälterin hatte heute frei und ihr Vater arbeitete konzentriert an seiner Monatsabrechnung. Die Tür zu seinem Arbeitszimmer stand offen und jetzt konnte Amy ihn zwischen Papier und Ordnern rumoren hören.

Auf einmal rollte der Schreibtischstuhl scheppernd zurück und laute Schritte näherten sich dem Aktenschrank. Entsetzt ließ das Mädchen die Tür ins Schloss fallen, ungeachtet des erzeugenden Knalls und stürzte zur Treppe. Immer zwei Stufen auf einmal nehmend raste sie zur Hälfte hinauf, bis von unten ein Aufschrei ertönte: „Amy! Du bist ja schon zurück! Wo willst du denn hin?!“

Verwundert stand Ben Arkin im Türrahmen seines Arbeitszimmers, die Hände in den Hosentaschen vergraben, wie meistens, wenn er sie gerade nicht benötigte. Seine Augen weiteten sich – das war tatsächlich seine Tochter, die dort, über und über verdreckt, auf den Stufen stand und zu ihm hinabstarrte.

„Du hast mir nicht zufällig etwas zu berichten? Ich meine nur, es hat mir so den Anschein…“ Abwartend legte er den Kopf schief und bemühte sich dabei um eine möglichst strenge Miene.

Hin und her gerissen verharrte Amy noch eine Weile regungslos auf der Stelle. Egal, was sie tun würde, es war immer falsch. Langsam drehte sie sich vollends um und kam die Treppe wieder herab, den Kopf tief gesenkt.

„Wie siehst du denn aus? Ist der Wallach etwa mit euch durchgegangen?“

Bei dieser Vorstellung musste Amy schmunzeln: „Durchgehen? Der alte Woody?“ Sie traute sich nicht, ihrem Vater in die Augen zu sehen.

„Hmm.“ Ein wenig besorgt fasste Ben das Kinn seiner Tochter und zwang sie, den Kopf zu heben. „Du siehst ja schlimmer aus, wie einer der Männer nach einer Prügelei!“

Amy hatte noch keine Gelegenheit gehabt, die blauen Flecken, das geschwollene linke Auge und den breiten, blutverschmierten Kratzer quer über ihrer rechten Wange im Spiegel zu bewundern. Sie schämte sich furchtbar für das, was passiert war und sie wusste, dass ihr Vater ihr Verhalten niemals tolerieren würde, wo er doch immer so stolz auf seine brave, wohlerzogene Tochter war. Sie konnte sich selbst nicht erklären, wie das Ganze überhaupt erst hatte derart ausufern können.

„Wir…“ Sie stockte und schluckte. „Na ja, wir hatten nur ein paar kleine Meinungsverschiedenheiten.“

„Wer? Etwa du und die Van-Haren-Mädchen?“

Verzweifelt warf Amy den Kopf zurück. „Nur mit der einen, Patty! Du kannst dir ja überhaupt nicht vorstellen, wie sie in Wahrheit ist!“ Tränen brannten in ihren Augen. „Sie ist eine Hexe! Ein Biest!“

Sprachlos starrte Ben seine Tochter mit offenem Mund eine lange Minute an. „War das denn wirklich nötig?“

Eine Träne kullerte Amy über die Wange. „Ich hasse dieses Miststück! Ich hasse sie! Und ich will sie nie wiedersehen! Einer der Männer kann ihr das Land zeigen! Vielleicht ärgern die sich lieber mit ihr herum oder sie versohlen ihr gleich den Hintern!“

„Na, na!“ Besänftigend wollte Ben sie in den Arm nehmen. „Sie braucht vermutlich nur etwas Zeit, um sich einzugewöhnen.“

Verletzt über sein Unverständnis stieß Amy ihn zurück und warf sich auf dem Absatz herum.

„Ach was! Das einzige, was sie braucht, ist eine ordentliche Tracht Prügel!“ Sie stürmte die Treppe hinauf in ihr Zimmer und knallte die Tür mit einem Schlag, der das ganze Haus erzittern ließ, hinter sich zu.

Ben blickte ihr kopfschüttelnd nach. So ganz konnte er das Geschehene noch immer nicht in vollem Ausmaß begreifen. Na, die Tracht Prügel hat sie, wie mir scheint, ja schon bekommen!

* * *

Leise rumpelnd und schaukelnd rollte die überdachte, vierrädrige, von zwei hellbraunen Pferden gezogene Kutsche über den schmalen Pfad im Präriegras. Auf den beiden hintereinander angebrachten Sitzbänken fanden jeweils zwei Personen Platz. Das schwarze Leder war bereits abgegriffen und zeugte von der jahrelangen, häufigen Nutzung. Gekonnt lenkte Ben die beiden Pferde den grasüberwucherten Weg entlang. Wann immer es ihm die Zeit und das Wetter erlaubten, spannte er seine Pferde vor einen der Wagen. Immer, wenn die Nachbarrancher ihn damit sahen, lächelten sie ihm ein wenig verständnislos hinterdrein – und stiegen in ihre Autos. Ben dagegen bevorzugte seine historischen Kutschen statt der Motorengeräusche. Ihm fehlte das Gefühl der Verbundenheit zu seinem Land, wenn er hinter dem Steuer des Wagens saß. Er hatte im Alter von fünf Jahren sein erstes Gespann gelenkt und die Zügel in seinen Händen schienen mit ihnen verwachsen zu sein, so sauber und fein gab er den Pferden die nötigen Hilfen.

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