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Das einzige Fenster...

Das einzige Fenster des kleinen Schlafzimmers stand offen, sodass die kühle, herrlich frische Nachtluft in den Raum drang. Am Himmel leuchtete die schmale Sichel des halbvollen Mondes bleich und unauffällig und warf lange, scharfe Schatten neben die einzelnen Ranchgebäude, in den von der Dunkelheit grauen Sand. Eine schläfrige Ruhe hatte sich über dem Waldeinschnitt breitgemacht und selbst bei den Cowboys brannte an diesem Abend kein Licht mehr.

Amys Zimmer befand sich im Obergeschoß des Wohnhauses und war kaum größer, als das von Jean in der Blockhütte. Links neben der Tür stand eine lange Kommode, daneben, ums Eck, der Kleiderschrank und unter dem Fenster das Bett. Rechts hingegen befand sich ein kleiner Schreibtisch und ein Stuhl, worauf sich Amys Schulhefte und Bücher ungeordnet stapelten.

Wie schnell waren die vergangenen Wochen vorbeigeflogen. Jean seufzte leise und blinzelte. Es erschien ihr unmöglich, dass sie seit nunmehr fünf Monaten hier lebte. Es kam ihr viel länger vor, beinahe wie ein halbes Leben. Sie wollte auch nicht daran denken, dass ihr Aufenthalt sich im kommenden Frühjahr schon wieder dem Ende nähern würde. Am liebsten wäre sie für immer hiergeblieben. Sie hatte gelernt, das Land und die Menschen zu lieben – es war ihr unvorstellbar, wie sie ihr Leben zuvor verbracht hatte, in London und dass es zukünftig wieder in diesen Bahnen verlaufen sollte.

Es ist eine so völlig andere Welt, dachte Jean, so weit fort von hier und so ganz anders. Längst hatte sie begonnen, die Denkweise der Menschen zu übernehmen, die sie täglich umgaben, Amys Ansichten und ihren Lebensstil. Es war ganz von allein geschehen, ohne ihr Zutun und ohne, dass sie es überhaupt richtig wahrgenommen hatte.

Die Zeit verging, jeder Tag schien viel zu schnell vorüber. Sie spürte die Veränderungen ihres Körpers und ihrer Gefühle. Irgendetwas war anders geworden und doch auch nicht. Sie wagte nicht, es in Worte zu formulieren, aber sie konnte immer spüren, dass es da war – dieses Neue, die Veränderung. Es hatte schon viel früher angefangen, an dem Tag, als sie festgestellt hatte, dass sie blutete. Rachel war darum bemüht gewesen, es ihr als notwendiges Übel einer Frau zu erläutern und vermutlich war es das auch ganz einfach. Aber damals, mit ihrer ersten Periode, hatte sich ihr Geist, ihr Denken verändert. Sie war nun kein kleines Mädchen mehr, sie reifte und ihr jungenhafter Körper bekam weiblichere Rundungen und Formen, ähnlich der erwachsener Frauen.

Vielleicht ist es auch bloß eine Weiterentwicklung, dachte Jean und warf einen Blick über ihre Schulter zurück. Wir sind keine kleinen Kinder mehr, Amy und ich und doch auch noch längst nicht erwachsen. Was ist das, was wir sind? Suchen wir noch nach etwas, das die Erwachsenen schon längst gefunden haben?

Der kleine, laut tickende Wecker auf dem Nachttisch zeigte halb zehn, doch Amy schien sich noch nicht müde zu fühlen. Die Rancherstochter saß aufrecht in ihrem Bett, während Jean daneben, auf einer notdürftig hergerichteten Matratze lag und ein Gähnen unterdrückte.

„Eigentlich…“, begann sie und kuschelte sich in das Kissen.

„Psst!“, unterbrach Amy sie unwirsch. Angestrengt horchte sie in die Stille hinein, wo ab und zu das arbeitende Holz der Böden und Wände knarrte.

„Was ist?“, flüsterte das englische Mädchen verständnislos.

„Ich glaube, er schläft!“ Hastig schob Amy ihre Beine unter der Bettdecke hervor.

Erstaunt setzte Jean sich auf. „Wir wollten heute früh schlafen gehen, damit wir morgen bei den ersten Sonnenstrahlen ausreiten gehen, wenn es noch nicht so heiß ist?! Du erinnerst dich?!“

„Ach!“ Ungeduldig winkte Amy ab. „Wer spricht vom Reiten? Mir tut doch ohnehin schon der Hintern weh!“ Eilig schlüpfte sie aus ihrem Schlafanzug und kramte im Dunkeln in ihrem Kleiderschrank. „Wenn du schon bei mir übernachten darfst, müssen wir das auch entsprechend nutzen!“

Langsam erhob Jean sich von der unbequemen Matratze. Sie begriff nicht recht, was die Rancherstochter vorhatte. „Aha! Und es gibt nicht zufällig einen bestimmten Grund, weshalb du dich mitten in der Nacht anziehst?!“

„Hast du vergessen? Heute ist Samstag!“, jubilierte Amy mit gedämpfter Stimme und zog ein knielanges, zartrosa Kleid aus dem vollgestopften Schrank.

Jean seufzte. „Hat diese Tatsache vielleicht etwas mit dieser undurchsichtigen Aktion zu tun?“

Aufgeregt streifte Amy sich das Kleid über. „Samstag ist doch in Silvertown immer großer Tanzabend! Da ist jedesmal halb Idaho versammelt und das ist so herrlich aufregend!“ Sie verzog bedauernd den Mund. „Aber Daddy findet, dass wir beide zu jung sind, um hinzugehen. Ich hab’ schon alles versucht, ihn zu überreden.“ Sie grinste schelmisch. „Leider hat der Grippevirus ausgerechnet ihn ja erwischt! Jetzt ist er erst einmal außer Gefecht gesetzt.“

Jean musste schmunzeln. Langsam dämmerte ihr, was ihre beste Freundin plante. „Aha! Und daher fährst du jetzt nach Silvertown und…“

„Wir“, verbesserte Amy schnell.

„Hmm“, machte Jean und blickte an sich herab. „Es stellt sich nur die Frage, ob ich mich im Pyjama so gut mache!“

„Ach was!“ Ungeduldig drehte Amy das elektrische Licht an. „Los, mein Kleiderschrank ist voll! Such’ dir was aus!“

Keine zwanzig Minuten später waren die beiden Mädchen angezogen und fertig frisiert. Sie verließen das Schlafzimmer und Amy drückte sich den Zeigefinger auf die Lippen: „Wir dürfen kein Geräusch machen! Daddy hat einen sehr leichten Schlaf!“

In völliger Dunkelheit tasteten sie sich an der Wand des Flurs entlang und am Geländer die steile Treppe ins Erdgeschoß hinab. Amy kannte jeden Winkel des Hauses, aber Jean tat sich schwer, ihr ohne Zusammenstöße mit Möbeln oder an der Wand hängenden Bildern zu folgen. Erst, als sie draußen unter dem Vorbau standen, atmeten die beiden erleichtert auf.

„Brr.“ Fröstelnd rieb Jean sich die nackten Arme unter dem kurzarmigen, dunkelblauen Kleid. Es passte ihr nicht wirklich – Amys Proportionen waren wesentlich weiblicher als die ihren. Sie musterte ihre Freundin aus den Augenwinkeln. Wie attraktiv Amys wohlgeformter Körper in dem zartrosa Kleid wirkte und fast stieg Neid in Jean auf. Sie selbst besaß noch immer mehr die dünne, schlaksige Figur eines Jungen, als die einer Frau und sie hatte Angst, dass dies so bleiben könnte. Von weiblichen Rundungen konnte bei ihr kaum die Rede sein. Bisher hatte sie das nie gestört, aber nun? Unauffällig strich sie das Kleid über ihren mehr oder weniger nicht vorhandenen Brüsten glatt, weil es dort Falten schlug.

An Amy würde es sehr viel besser aussehen, stellte Jean frustriert fest und fühlte sich neben ihrer besten Freundin auf einmal sehr hässlich und minderwertig, beinahe ebenso wie neben ihrer kleinen Schwester. Alle jungen Männer an der Schule fanden Patty van Haren unwiderstehlich – und das war sie ja auch. Jean dagegen konnte von sich nicht gerade behaupten, von der Natur besonders bevorzugt worden zu sein und das ärgerte sie bisweilen.

Als sie im Juni bei der Geburtstagsfeier des Bürgermeisters von Silvertown eingeladen gewesen waren, hatte Jean nur zweimal tanzen können – einmal mit ihrem Vater und einmal mit Ben – ganz im Gegensatz zu Amy, die den ganzen Abend immer wieder aufgefordert worden war. Mit ihr jedoch hatte keiner tanzen wollen, nicht ein einziger. Wie furchtbar beschämend das gewesen war und wie entsetzlich minderwertig sie sich vorkam – ein echtes Mauerblümchen eben. Ganz zu schweigen natürlich von der Aufmerksamkeit, die ihre Schwester auf sich zog. Patty besaß inzwischen den Ruf der außergewöhnlichsten Schönheit weit und breit in der Gegend und das war sie auch. Jean konnte es nicht leugnen. Ihre Schwester besaß ein geradezu makelloses Gesicht und trotz ihres jungen Alters von gerade einmal vierzehn Jahren bereits den Körper einer jungen Frau mit einer Wespentaille und vollen Brüsten. Zudem verstand sie es zu flirten und die Männer um den Finger zu wickeln mit ihrem Charme und einer Schlagfertigkeit, die auf den ersten Blick niemand hinter ihr vermutete. Zwischen ihr und Jean hatte sich in den vergangenen Monaten eine breite Kluft gebildet. Sie sprachen selten mehr als fünf Worte miteinander, wenn sie in der Hütte aufeinandertrafen und wenn, dann endete es meist im Streit.

„Du hast leider nichts von mir mitbekommen“, hatte Rache äußerst unsensibel, noch während der Feier ihrer älteren Tochter erklärt. „Wenn du so wie ich und Patty aussehen würdest, könntest du dich vor Verehrern kaum retten! Alle Männer würden dich lieben und du könntest jeden haben, den du wolltest!“ Und mit einem mitleidigen Blick hatte sie angefügt: „Du bist halt nur wie das hässliche kleine Entlein aus dem Märchen – allerdings ist aus dem noch ein schöner Schwan geworden. An deiner Stelle würde ich mir aber lieber keine allzu großen Hoffnungen machen. In deinem Alter passiert da nicht mehr viel!“

Hastig versuchte Jean, die Erinnerung an diese verletzende Äußerung ihrer Mutter zu verdrängen. Sie wollte auch gar keinen Mann und sie wollte auch nicht so oberflächlich und arrogant sein wie ihre Schwester! Jean seufzte, mit wirren Gedanken im Kopf. So vieles hatte sich verändert, war in wenigen Wochen anders geworden.

„Hast du die Autoschlüssel?“, fragte Jean auf einmal, um sich von ihren Gedanken abzulenken. Das alles übertönende Gefühl, im Gegensatz zum Rest ihrer Familie nur zweitklassig zu sein, jagte ihr Angst ein. Und das, obwohl meine Mutter zu den schönsten Frauen gehört, die ich jemals gesehen habe...

„Wozu?“ Erstaunt zog Amy die Stirn in Falten. „Ich hab’ ja nicht mal einen Führerschein!“

„Oh nein! Zu Fuß sind wir ja über eine Stunde unterwegs!“ Jean warf einen gequälten Blick auf ihre Füße, die in etwas zu engen, hochhackigen Pumps steckten.

„Du hast etwas Entscheidendes vergessen!“ Amy packte sie an der Hand. „Los, hilf mir und stell keine nervigen Fragen!“

Das Licht des Mondes half ihnen, den Weg zur Scheune zu finden. Die langen Schatten wirkten gespenstisch und unheimlich verzerrt und Jean war froh, nicht alleine zu sein.

„Ein zweirädriger Sulky fällt nicht weiter auf“, versicherte die Rancherstochter und öffnete mit ein wenig Anstrengung das schwere Scheunentor. „Es kommen viele mit dem Pferd oder der Kutsche! Hol’ du den braunen Wallach in der zweiten Box rechts! Als die Männer weg waren, habe ich ihn wieder heimlich von der Koppel geholt, damit wir ihn nachts nicht einfangen müssen.“

Jean seufzte ergeben. „Damit hast du dir bestimmt keinen neuen Pferdefreund gemacht!“ Eines verstand sie noch immer nicht: „Wir könnten doch an irgendeinem anderen Tag zum Tanzen gehen! Vielleicht würde dein Vater es erlauben, wenn nicht so viel los ist wie heute und einer der Männer uns begleiten würde! Trey, zum Beispiel, der tut das bestimmt! Dann bräuchten wir nicht eine solche Geheimaktion veranstalten! Nachts, mit dem Sulky quer über die Prärie! Wenn der Wallach in ein Kaninchenloch tritt oder ähnliches!“

„Nein, nein!“, wehrte Amy heftig ab. „Samstag ist…besser!“ Es klang ausweichend und Jean merkte, dass die Richtung des Gesprächs ihr unangenehm war.

„Beeil’ dich!“, trieb Amy sie stattdessen an. „Sonst können wir gleich hierbleiben, weil der Abend schon vorbei ist!“

„Na, schön!“ Hilflos zuckte Jean die Schultern. „Dein Vater wird uns zwar umbringen, aber gut!“

„Dich nicht! Mich vermutlich schon!“ Sie fuchtelte scheuchend mit den Armen. „Das ist nicht dein Problem! Und jetzt beeil’ dich doch endlich! Wir müssen los!“

Erstaunlich sicher fand der dunkelbraune, große Wallach seinen Weg durch die Nacht. Zwar hatte Amy vorn am Kutschbock die beiden Petroleumlampen angezündet, doch halfen diese kaum, die holprige, ungeteerte Straße besser zu erkennen.

Jean hatte sich von der Aufregung und Vorfreude des anderen Mädchens anstecken lassen und rutschte ungeduldig auf dem Sitz hin und her. Ihr erstes Fest ohne ihre Eltern oder sonst einen Erwachsenen als Begleitung! Nur sie und Amy, ganz allein und das auch noch unerlaubt! Es war ihr auch völlig gleich, weswegen Amy schlagartig und ohne ihr vorher etwas davon zu erzählen, aufgebrochen war. Jean fand es einfach nur herrlich, etwas Verbotenes zu tun und dazu noch, wo wirklich niemand etwas davon ahnte!

Nach einer kurzen Strecke auf der Asphaltstraße bogen sie wieder in einen schmalen, unebenen Pfad ein, auf dem sie das Pferd traben lassen konnten. Nicht lange und sie entdeckten die ersten Lichter der Stadt vor sich, die sie von Nordosten her auf dieser Nebenstrecke, die zugleich eine Abkürzung war, erreichten. Vor den ersten Häusern nahm Amy den Dunkelbraunen zurück in den Schritt, dennoch erzeugten seine Hufe auf dem Teer der Gassen ein lautes, rhythmisches Klappern und die beiden Mädchen waren froh, als sie sich der belebten Hauptstraße der historischen Altstadt näherten, wo die Tritte nicht mehr ganz so einsam und durchdringend zwischen den Gebäuden hallten.

Jean hatte völlig die Orientierung verloren, doch die Rancherstochter kannte den Weg genau. „Wir können auch einmal herreiten“, sagte sie jetzt und hielt den Wallach an. „Hier kann man die Pferde prima allein zurücklassen.“

Sie befanden sich in einer schmalen Seitengasse, gleich hinter der Hauptstraße und bekamen das rege Treiben von dort bereits mit: Stimmen und Gelächter, das Knirschen der Schritte auf dem Split-Sand-Gemisch und das Klopfen schwerer Stiefel auf den Holzbohlen der Gehsteige drang bis zu ihnen herüber. Im Dunkeln der Seitengasse, die gerade breit genug war, um mit dem Sulky nicht steckenzubleiben, konnte Jean nicht erkennen, in welchem Teil der Stadt sie sich befanden.

„Hoffentlich will heute Nacht hier keiner mehr durch – sonst kriegen wir womöglich noch richtig Ärger“, meinte Jean, während Amy den Strick am Zaum des Dunkelbraunen an einem Haken in der Holzwand verknotete, den Unwissende in der Dunkelheit zwischen den Häusern unmöglich erkennen konnten – die Dächer verhinderten den Einfall des Mondlichts. Aber Amy wusste genau, wo sie zu suchen hatte.

„Du scheinst dich hier ja bestens auszukennen!“ Jean konnte sich den Kommentar nicht verkneifen.

Es war dem anderen Mädchen sichtlich unangenehm und sie senkte den Kopf. „Das ist mein Geheimnis“, gestand sie leise. „Niemand weiß davon!“

Beruhigend legte Jean ihr die Hand auf die Schulter. „Es braucht ja auch niemand zu wissen!“

Dankbar lächelte Amy sie an und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, sie wäre viel mehr ihre Schwester als Patty es je gewesen war.

„In dem Haus da wohnt unser alter Hufschmied“, verriet sie und deutete hinter sich. „Ich bin schon oft abends hierher geritten und habe die Leute beobachtet, aber alleine habe ich mich nie getraut, mich einfach unter sie zu mischen. Was glaubst du, wäre passiert, wenn mich einer der Männer entdeckt und es Daddy erzählt hätte?!“

„Das kann uns heute auch noch passieren! Aber macht nichts, dann hängen wir wenigstens beide drin!“ Jean hakte sich bei ihrer Freundin unter. „Los! Wir tun einfach so, als hätten wir die Erlaubnis dazu!“ Aufgeregt eilten die beiden jungen Mädchen bis zum Ende der Gasse, wo diese in die breite Hauptstraße mündete.

„Wohin?“, wollte Jean wissen.

Amy drückte sie nach rechts. „Lass uns zuerst in den großen Saloon schauen! Da ist immer am meisten los!“

Auf den Gehsteigen standen hin und wieder kleine Grüppchen von Touristen oder Bewohnern der Stadt zusammen und plauderten. Fünf oder sechs junge Männer lehnten an einem Hauseck und stimmten schräge, misstönige Lieder an.

Herablassend verzog Amy das Gesicht. „Wer keinen Alkohol verträgt, sollte auch keinen trinken! Das sagt Daddy immer!“

Jean grinste. „Ich glaube, das interessiert die betreffenden Personen erst morgen Früh!“

„Guten Abend, die jungen Ladys!“, grüßte da ein Herr mittleren Alters und zog lächelnd seinen Hut.

„Guten Abend!“, erwiderten die beiden synchron und fühlten sich dabei sehr erwachsen und weltgewandt. Sie wurden auf offener Straße gegrüßt und einige Männer blickten ihnen nach!

So, wie sie es sonst bei Mom und Patty tun, dachte Jean und sie fühlte, wie ihre Stimmung sich besserte. Aber jetzt machen sie es bei mir genauso!

Durch die beiden Klapptüren des „Big Bear Saloon“ drangen weithin hörbar Musik und Stimmen und Gelächter auf die Straße hinaus. Amy stieg als erste die beiden Stufen zum Gehsteig hinauf. Bevor sie das Innere des langgestreckten Gebäudes betrat, warf sie einen kurzen Blick hinein. Neugierig stellte Jean sich auf die Zehenspitzen, um über sie hinwegsehen zu können. Sie war noch nie im Saloon gewesen und erstaunt stellte sie fest, dass er viel größer war, als es von außen den Anschein hatte. An der gesamten rechten Längsseite zog sich die brusthohe Theke entlang, an der sich in erster Linie Männer drängten. Die Wände waren mit einer grün-gemusterten Tapete versehen, was die Wirkung der weißen Stofflampen an der Decke noch verstärkte. Gegenüber dem Eingang befand sich eine kleine Bühne, auf der eine Sechs-Mann-Band mit passender Western- und Countrymusic für Stimmung sorgte. Gleich links daneben führte eine Treppe ins Obergeschoß, während der ganze restliche Raum mit den typisch runden, kleinen Tischen und den schmalen Holzstühlen vollgestellt war. Die dunklen Rundholzpfeiler, die die Decke stützten, wirkten dazwischen wie kleine Rettungsinseln inmitten des Gedränges der unzählbar vielen Gäste.

Whiskeydunst und Tabakrauch schlug den beiden Mädchen entgegen, als sie den Saloon schließlich betraten. Jean fühlte sich mit einem Mal unangenehm auffällig beobachtet und fand in der Helligkeit des Deckenlichts, dass Amys Kleid wie ein nasser Sack an ihr herabhing – es war ihr an den wichtigen Stellen viel zu weit. Mit angespannter Miene hielt Jean sich dicht hinter ihrer Freundin, die sich einen Weg zwischen den besetzten Tischen und Stühlen hindurch bahnte. Diejenigen, die keinen Platz mehr ergatterten, standen irgendwo dazwischen herum und blockierten den begrenzten Raum noch zusätzlich. Im Vergleich zu draußen, war es im Inneren des Saloons drückend warm, obwohl die Klimaanlage ohne Unterbrechung surrte. Vor den ersten Stufen der Treppe führte ein offener Durchgang in ein rauchverhangenes, dämmriges Nebenzimmer.

„Was ist das?“, wollte Jean wissen und musste Amy regelrecht ins Ohr brüllen, damit diese sie verstehen konnte.

„…Glückspiele! Poker und so“, war alles, was bis zu ihr von der Antwort durchdrang, aber sie konnte sich den Rest zusammenreimen. Sie drückte und quetschte sich noch immer hinter der Rancherstochter her durch den riesigen Saloon und langsam fragte sie sich, weshalb sie eigentlich hergekommen waren. Das Ganze wirkte eher nervtötend und anstrengend auf sie, als sonderlich amüsierend und der Lärmpegel der vielen Stimmen wurde nur noch durch das Gefiedel und schon heisere Singen der Musikgruppe gekrönt.

Sie hatten jetzt die Tanzfläche direkt vor der Bühne erreicht, wo noch ein viel dichteres Gedränge herrschte als im restlichen Teil des Gebäudes. Neugierig sah Jean sich um. Unzählige Bilder, Plakate, Blechschilder und andere Souvenirs, wie etwa ein ausgestopfter Büffelkopf zierten die Wände. Ein Riesenplakat von John Wayne in der Uniform eines Kavalleristen mit einer original unterzeichneten Widmung hing an der Wand über der Bühne.

Der flotte Takt der Musik ging in die Beine und während sie die Paare so beim Tanzen beobachtete, überkam sie mit einem Mal auch die Lust, mitzumachen. Ihr Blick fiel auf Amy, die versuchte, die umherstehenden Besucher zu überblicken. Ihre Augen wanderten suchend über die Menschen und als das junge Mädchen sich jetzt eine Haarsträhne zurückstrich, bemerkte Jean erstaunt, dass ihre Hand dabei ein wenig zitterte. Sie beugte sich nach vorn und schrie ihrer Freundin, gerade so laut, dass nur sie es verstehen konnte, ins Ohr: „Du hast nicht zufällig eine Verabredung heute Abend?“

„Ich?“ Amy tat empört, doch sie lief rot an, als habe jemand sie bei etwas Verbotenem erwischt.

Also doch, dachte Jean und ein merkwürdiges Gefühl überkam sie. Amy interessierte sich für einen Mann und zwar nicht nur aus freundschaftlicher Sicht, sonst wäre sie ihr gegenüber offen und ehrlich! Jean fühlte fast so etwas wie Eifersucht in sich aufsteigen. Amy war ihre beste Freundin und sie wollte sie nicht mit einem Mann teilen, auch, wenn ihr klar war, dass dies unvermeidlich eines Tages geschehen würde. Aber noch nicht jetzt, da sie gerade angefangen hatte, ihr Leben zu genießen, so wie es jetzt war! Sie wollte nicht, dass sich schon alles änderte! Das tat es noch früh genug, nämlich spätestens, wenn sie mit ihrer Familie zurück nach England musste.

„Komm!“, brüllte Amy gegen den Lärmpegel an und packte Jean am Arm. Bereitwillig ließ sie sich von ihr durch die Menschenmassen ziehen, wobei sie jeden, an dem sie näher vorbeikam, genau betrachtete. Viele Frauen trugen herrliche, bodenlange Kleider mit wallenden Röcken, die an den Stil der Pionierdamen erinnerten und Jean seufzte sehnsüchtig. Wie gerne hätte sie auch ein solch schönes Kleid angehabt! Ein junger, hübscher Kerl saß an einem der Tische und spielte mit seinem Hut, während er genüsslich an einer Zigarette zog. Sein Blick fiel auf Jean und prompt lächelte er ihr zu. Fasziniert erwiderte sie die Geste. Schlagartig wurde ihr bewusst, dass sie ebenfalls kein kleines Mädchen mehr war – trotz der körperlichen Differenzen, die sie von ihrer Freundin unterschied. Plötzlich spürte sie vor sich ein Hindernis – Amy war abrupt stehengeblieben. Ihre Hand hatte Jeans Arm losgelassen.

„Hast du endlich den Grund für unsere Anwesenheit gefunden?“ Jean grinste, doch Amy reagierte nicht. Ihr Gesicht wirkte wie versteinert und sie starrte zur etwa acht Schritte entfernten Theke hinüber. Irritiert folgten Jeans Augen ihrem Blick. Zuerst entdeckte sie nichts weiter, als fremde Gesichter und einem großen Andrang. Neugierig beugte sie sich ein wenig zur Seite. Als nächstes erhaschten ihre Augen einen kurzen Moment eine wohlbekannte, hellbraune Jacke und dann…

„Ach, richtig!“, entfuhr es Jean, ein wenig enttäuscht. „Trey hat mir erzählt, dass sie alle am Samstag immer hier sind.“

Amy reagierte noch immer nicht. Regungslos starrte sie zur Theke hinüber. Dort lehnte Alec, ein volles Glas Whiskey in der Hand, lässig mit den Ellenbogen auf der Oberkante der Holzplatte hängend. Neugierig und gleichzeitig ein wenig befremdet beobachtete Jean, wie er seine Lippen zu einem übertriebenen Lächeln verzog und sie schloss daraus, dass er bereits ein wenig zu viel der hochprozentigen Flüssigkeit genossen hatte. Die drei um ihn versammelten, jungen Frauen, vermutlich Touristinnen, flirteten ungeniert mit ihm, was der junge Cowboy sichtlich genoss. Die schlanke, langbeinige Blondine zu seiner Linken schien es ihm besonders angetan zu haben. Er umfasste ihre schmale Taille und zog sie dicht zu sich heran. Kindisch kichernd drückte sie ihren vollen, sich unter dem Kleid deutlich abzeichnenden Busen an ihn und erwiderte seinen stürmischen Kuss.

Mit einem Ruck warf Amy sich herum, ohne Jean zu beachten, die noch immer hinter ihr stand. Ehe sie sich versah, verschwand ihre beste Freundin irgendwo in der Menge, zwischen den anderen Saloongästen.

„Hey!“, rief Jean ihr nach und dachte, es hörte sich an, wie Treys texanischer Akzent. „Warte doch mal!“

Mit keiner Reaktion zeigte Amy, ob sie sie überhaupt gehört hatte oder nicht. Erst an der gegenüberliegenden Wand konnte Jean sie einholen. Dort hatte die Rancherstochter einen Tisch entdeckt, der soeben frei wurde und an dem sie sich niederließ. Jean setzte sich auf den anderen Stuhl und wartete. Ihre Gedanken überschlugen sich. Oh ja, allmählich wurde ihr so einiges klar! Wieso war ihr nicht schon viel früher aufgefallen, wie häufig ihre beste Freundin in den letzten Wochen in der Nähe des jungen Mannes zu finden gewesen war? Vom ersten Tag an, seit Alec auf der Ranch arbeitete, spielte immer, wenn sie von ihm sprach, dieses merkwürdige, weggetretene Lächeln um ihre Lippen.

Herrje, schoss es Jean durch den Kopf. Ausgerechnet Alec, der keinen Deut besser ist als Trey, was Frauen anbelangt. Ausgerechnet er! Wir sind doch für die Männer nur kleine Kinder – nichts weiter!

Die Tatsache schmerzte sie ein wenig und sie verzog den Mund. Sie wollte kein Kind mehr sein! Sie wollte…ja, was wollte sie eigentlich genau? Die Freundin eines Mannes sein…und danach? Was würde danach kommen, wenn sie einen gefunden hatte?

In diesem Moment kam eine Serviererin vorbei und ganz entgegen Amys sonstiger höflicher und zurückhaltender Art, packte sie die junge Frau unvermittelt am Handgelenk.

„Eine Flasche Whiskey, aber ein bisschen plötzlich!“

„Du bist doch nie und nimmer volljährig!“ Die grell geschminkte Dunkelhaarige zog kritisch die Brauen hoch.

„Heute einundzwanzig geworden!“, fuhr Amy sie ungeduldig an. „Und jetzt will ich feiern, verstanden?“

Mit einem gleichgültigen Achselzucken drehte die Bedienung sich um. Ein wenig vorwurfsvoll beugte Jean sich über den Tisch und raunte: „Das ist eine glatte Lüge! Was ist, wenn dich jemand erwischt?“

Zuerst starrte die Rancherstochter mit leerem Blick auf die zerkratzte, braune Holzplatte vor sich und schwieg.

„Heute ist mir alles egal“, entgegnete sie dann und kramte in ihrem linken Ärmel nach ein paar Dollarscheinen, die sie der dunkelhaarigen Serviererin jetzt zum Tausch gegen die gewünschte Flasche Whiskey und zwei Gläser in die Hand drückte. Mit eigenartig glasigen Augen zog Amy den Pfropfen aus der Flasche und schenkte in beide Gläser das braune Getränk ein, dessen Geruch Jean beinahe den Magen umdrehte.

Mit zornigem Lächeln hob Amy das Glas. „Und jetzt lass uns trinken! Auf die Dummheit aller Mädchen dieser Welt!“

Energisch wehrte Jean ab. Soweit reichte ihr Verstand noch aus. „Ohne mich!“ Entsetzt riss sie die Augen auf, als Amy das Glas mit einem Zug leerte. „Darf ich daran erinnern, wie abfällig du dich noch vor wenigen Minuten über den Konsum von Alkohol geäußert hast?!“

Ein Schütteln überkam die Rancherstochter. „Das war vorhin! Jetzt ist jetzt!“ Es schien ihr erster Versuch mit solcher Art Alkohol zu sein, doch sie griff auch nach dem anderen Glas.

„Bist du verrückt?“ Jean wollte es verhindern, doch Amy war schneller. Tief Luft holend meinte sie: „Je mehr man davon trinkt, desto besser erträgt man es!“ Sie lächelte zerstreut. „Wenn ich die Flasche leer habe, geht es mir wieder viel besser!“ Plötzlich glänzten Tränen in ihren Augen.

„Lass den Unsinn!“, befahl Jean ärgerlich und griff nach der Whiskeyflasche. „Deshalb wird Alec die Blondine auch nicht stehenlassen!“

Unvermittelt riss Amy sie ihr wieder aus der Hand. „Halt den Mund!“, rief sie zornig und schenkte sich das nächste Glas ein. „Das weiß ich selber! Dieser Vollidiot! Wenigstens bekomme ich es dann nicht mehr mit!“

„Ich weiß zwar nicht, wie du zu so einer schwachsinnigen Erkenntnis kommst“, entgegnete Jean, beleidigt über die barsche Behandlung, „aber mein Kopf ist es ja nicht!“ Mit verschränkten Armen lehnte sie sich im Stuhl zurück und ließ geschehen, was offensichtlich geschehen musste. Innerhalb der nächsten zehn Minuten schwand der Inhalt der Flasche um mehr als die Hälfte. Der ungewohnte Alkohol hatte schon nach dem dritten Glas begonnen, bei Amy seine Wirkung zu zeigen.

„Und jetzt will ich etwas essen!“ Ihre Stimme klang undeutlich und schwer verständlich. Das selige Lächeln um ihre Lippen und die halbgeschlossenen Augenlider ließen Jean alarmiert aufsitzen.

„Trotz meines vollen Verständnisses für dein Besäufnis, wäre es darum doch zu schade!“ Sie wollte ihrer Freundin nun endgültig die Flasche wegnehmen. „Deine Probleme sind schon längst in der Alkoholflut untergegangen!“

„Nein!“ Entrüstet drückte Amy die Flasche an ihren Körper, wobei sie fast das Übergewicht nach vorn verlor und sich nur mit Hilfe des Tisches noch auf dem Stuhl halten konnte. Ein leiser Aufschrei drang erschrocken aus Jeans Kehle. Sie sprang auf. „Jetzt reicht’s aber wirklich!“

„Was treibt ihr denn hier?!“, ertönte in dieser Sekunde eine wohlbekannte, fassungslose Stimme hinter ihr. Jean wirbelte herum. Erleichtert atmete sie auf: „Gott sei Dank!“

Entgeistert glitt Chris’ Blick von ihr zu Amy und dann wieder zurück.

„Wie seid ihr denn an den Whiskey gekommen?“ Er schüttelte den Kopf, als müsste er testen, ob es sich nicht bloß um eine Einbildung handelte. „Und vor allem: Was treibt Amy um alles in der Welt damit?! Will sie sich vergiften?!“

Verzweifelt verdrehte Jean die Augen. „Das ist alles ausgesprochen kompliziert! Jedenfalls war sie einfach nicht zu bremsen und jetzt will sie unbedingt die Flasche leer bekommen! Das heißt, zuerst wünscht Miss Arkin noch die Speisekarte!“

Seufzend trat Chris an den Tisch. Energisch griff er nach der offenen Flasche. „Vernünftige Mädchen hören auf, wenn sie betrunken sind!“

„Ich bin vollkommen nüchtern!“, rief Amy lallend, wobei sie gefährlich von rechts nach links schwankte.

„Oh ja, eindeutig!“, kommentierte Chris sarkastisch. „Das wirst du spätestens morgen früh bitter bereuen, glaub’ mir!“

Amy streckte den Arm aus. „Und jetzt will ich weitertrinken!“

„Was du willst und was du tust, sind zwei Paar Stiefel“, entschied der junge, dunkelhaarige Mann und nahm ihr auch das leere Glas weg. „Mit wem seid ihr hierher gekommen?“, wollte er wissen und blickte suchend um sich.

Jean seufzte. „Mit einem dunkelbraunen Wallach.“

Chris glaubte, sich verhört zu haben. „Mit…was?!“ Er starrte sie an. Schließlich nickte er, allmählich die ganze Lage erfassend. „Ich brauche wohl nicht zu fragen, wer auf diese Glanzidee gekommen ist, wenn ich mir den Zustand einer bestimmten jungen Dame so betrachte!“

Kurzentschlossen packte er Amy an den Schultern und zog sie auf die Füße. Sie war kaum fähig, auf ihren eigenen Beinen zu stehen. Behutsam drehte Chris sie um, sie an den Oberarmen festhaltend.

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