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Rebekka Horlacher, geb. 1968, Dr. phil. Oberassistentin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Zürich und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Doktorat 2002 zur Genese der Bildungstheorie im 18. Jahrhundert, Mitherausgeberin der Sämtlichen Briefe an Pestalozzi, Redaktionsmitglied der Zeitschrift für historische Bildungsforschung.

Forschungsschwerpunkte: Bildungstheorie, Pestalozzi im Kontext, Pragmatismus, Historische Methoden.

1. Auflage: 2011

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8252-3522-2

ISBN 978-3-846-33522-2 (E-Book)

Satz: Verlag die Werkstatt, Göttingen

Reihenkonzept und Umschlagentwurf: Alexandra Brand

Umschlagumsetzung: Atelier Reichert, Stuttgart

Umschlagabbildung: Edgaras Kurauskas / Shutterstock

Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2011 by Haupt Berne

Jede Art der Vervielfältigung ohne Genehmigung des Verlages ist unzulässig.

www.haupt.ch

utb-Bestellnummer: 3522-2

Hinweis zur Zitierfähigkeit

Diese EPUB-Ausgabe ist zitierfähig. Um dies zu erreichen, ist jeweils der Beginn und das Ende jeder Seite gekennzeichnet. Bei Wörtern, die von einer zur nächsten Seite getrennt wurden, steht die Seitenzahl hinter dem im EPUB zusammengeschriebenen Wort.

Inhaltsverzeichnis

Titel Impressum Hinweis zur Zitierfähigkeit Warum Bildung?

Was ist Bildung? Literatur

Bildung im Profil 1 - Die Grundlagen des Bildungsbegriffs im 18. Jahrhundert

«Bildung»: Neuankömmling im späten 18. Jahrhundert Die Bedeutung der Religion Die Bedeutung der englischen Philosophie Die politischen Voraussetzungen der «Politeness». Ein Exkurs Das Konzept der «Politeness» als neue soziale Unterscheidung Die Verbindung von Ethik und Ästhetik Literatur

2 - Die Pädagogisierung der Bildung um 1800

Die Rolle des Third Earl of Shaftesbury bei der Herausbildung des Bildungsbegriffs Der pädagogische Bildungsbegriff bei Herder Der Bildungsroman als Verkörperung des Bildungsbegriffs Die (neue) Bedeutung der Antike Literatur

3 - Bildung als nationales Konstrukt

Die Morphologie von Ideen in ihrem Kontext Nationalbildung um 1800 Politische Bildung als staatsbürgerliche Tugenderziehung Sprache als Legitimation des Nationalstaates Die Steigerung der Politik in der Pädagogik Universität als institutionalisierte Bildung Literatur

4 - Bildung als soziale Unterscheidung

Bildung als Allgemein- oder Berufsbildung? Der Bürger als Verkörperung von Bildung Wissenschaft und Bildung im 19. Jahrhundert Antibürgerliche Bewegungen des «Fin-de-Siècle» Literatur

5 - Bildung in der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik

Hermeneutik als Methode der Geisteswissenschaften Bildung als Theorie der deutschen Bewegung Autonomie und pädagogischer Bezug als Kernkonzepte der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik Bildung als Begriff der geisteswissenschaftlichen Psychologie Bildung als Persönlichkeit und völkische Erziehung Literatur

6 - Bildung als «kritischer» Begriff

Die Kritische Theorie als neue Wissenschaft einer neuen Gesellschaft Bildung als Erziehung zur Mündigkeit Kritische Bildungstheorie Bildungstheoretische Didaktik Die Empirische Wende in der Erziehungswissenschaft und die Feststellung einer «Bildungskatastrophe» Literatur

7 - Das Revival der Bildung als Erlösung von PISA

Bildung als Einheit in der Vielheit Bildung als Wissensbestand und Versicherung der kulturellen Identität Kompetenz als Bildung Bildung in der «philosophy of education» Bildung als konser vativer Kampfbegriff Literatur

Bildung im 21. Jahrhundert

Literatur

Anhang

Literaturverzeichnis

Personen- und Körperschaftsregister Sachregister

Warum Bildung?

Sind wir noch das Volk der Dichter und Denker? ist der Titel zweier unterschiedlicher Publikationen, die im Jahre 1964 in Hamburg und 2004 in Heidelberg erschienen sind. Die Wahl des Titels weist auf ein bestimmtes kulturelles Selbstverständnis, das Geist, Kultur und Kunst als zentrale Aspekte der eigenen Identität begreift. Der Titel beansprucht keine Originalität, lehnt er sich doch an ein von Madame de Staël geprägtes Diktum an, das aus in ihrem 1813 in London erschienenen Buch De l’Allemagne stammt. Die französische Schriftstellerin und Salonière bezeichnete darin – das Buch war eigentlich schon 1810 erschienen, aber sogleich von der Zensur verboten worden – die Deutschen als «Peuple des poètes et penseurs», was von ihr durchaus polemisch gemeint war: Das tiefsinnige und geistig-poetische Deutschland wurde dem verkommenen Frankreich Napoleons als Vorbild entgegengesetzt.

In den 1960er-Jahren griff der Hessische Rundfunk diese Frage auf und stellte sie bei 14 Personen des öffentlichen Lebens, Philologen, Philosophen, Soziologen und Schriftstellern zur Diskussion, die sich in kürzeren oder längeren Abhandlungen dazu äußerten. Die Absicht dahinter war, einen Slogan zu entmystifizieren, der zwar vordergründig schmeichelhaft sei, so der Herausgeber in der Einleitung, in Wahrheit aber das Verhältnis zur eigenen Geschichte und zur eigenen Tradition verstelle und damit Einsicht im Sinne von Selbsterkenntnis verhindere. Die Vorstellung, ein industrialisiertes, technisiertes und sich im Aufbruch befindliches Land werde von einer Gruppe von schöngeistigen Literaten geführt, sei ohnehin eine eher beängstigende Vorstellung. Die Absicht des Herausgebers war es deshalb auch, die in der Wissenschaft schon stattgefundene Aufarbeitung der Verklärung der eigenen Vergangenheit einem breiteren Publikum bekannt zu machen um auf dieser Basis – wahrhaft aufgeklärt – «zukunftsfähig» zu werden.

Anders sieht die Ausgangslage bei der neueren Publikation aus dem Jahre 2004 aus. Standen im ersten Buch der Aufbruch der OECD und die Anpassung an ihre Forderungen nach mehr Investitionen in die Bildungssysteme im Vordergrund, präsentiert sich die 2004- Publikation als Gegenreaktion auf PISA als Flaggschiff der OECD. Diesem Buch liegt eine Vortragsreihe an der Universität Heidelberg zugrunde, die im Anschluss an die Publikation der Ergebnisse der PISA-Studie 2001 sowie des internationalen Hochschulrankings konzipiert worden war. Die Studie und das Ranking hätten in Deutschland im Stil einer «Katastrophenmeldung» eingeschlagen, so die Herausgeber in der Einleitung, und das Selbstverständnis Vieler infrage gestellt, da die deutsche Schule nach wie vor als Ort der Bildung gelte. Der Titel wird hier nicht als Mythos verstanden, der dekonstruiert werden soll, sondern eher als normative Leitlinie, der unter geänderten gesellschaftlichen Voraussetzungen immer noch zu folgen sei. Die «Aufklärung» in den 1960er-Jahren scheint demnach höchstens partiell erfolgreich gewesen zu sein, da der damit verbundene Mythos – Deutschland als Ort, in dem Bildung möglich ist – immer noch dominant ist. Zudem wird er auch als stark genug angesehen, um auf eine als Krise empfundene Situation reagieren zu können und den eigenen (bildungs-)politischen Lösungsvorschlägen Bedeutung zu verleihen.

Was ist Bildung?

Die Übereinstimmung der beiden Titel mag Zufall sein, verweist aber gerade deswegen auch auf ein Phänomen, das genauer analysiert werden muss, da damit ein bestimmtes kulturelles Selbstverständnis – Bildung – zum Ausdruck kommt. Mit dem Begriff Bildung wird in der Regel auf etwas hingewiesen, das die Begriffe Erziehung, Sozialisation und Unterricht nicht vollumfänglich beschreiben (können). Bildung bezeichnet in diesem Verständnis das Ziel eines gelingenden Lebens, wobei sich Bildung im Verlauf dieses gelingenden Lebens immer mehr vervollkommnet. Mit Bildung wird ein nicht-quantifizierbarer «Mehrwert» beschrieben, der zwar an der Schule oder an der Universität stattfinden und damit durchaus institutionell abgesichert sein kann, der aber ebenso als flüchtig, unsicher und undefinierbar erscheint. «Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn alles vergessen wurde, was man gelernt hat», ist denn auch ein beliebtes Bonmot, um zu umschreiben, was mit Bildung gemeint ist. Doch ungeachtet dessen, dass dieses Bonmot nicht wirklich dabei hilft, irgendeine Unklarheit in Bezug auf Bildung zu beseitigen, besitzt der Begriff eine nicht nachlassende Anziehungskraft, fehlt das Stichwort Bildung doch in keinem einschlägigen Wörterbuch, Lexikon oder Einführungswerk für Studienanfänger der Erziehungswissenschaft, ja es erscheinen sogar Bücher, die ausschließlich auf diesen Begriff setzen.

Mit dem Bildungsbegriff werden aber nicht nur bestimmte Aspekte der erzieherischen und schulischen Praxis bezeichnet, er findet auch in der öffentlichen und in der wissenschaftlichen Debatte Verwendung: Die Bildungstheorie gilt als Teilgebiet der Allgemeinen Pädagogik und kennt eigene Professuren mit dieser Denomination. Der Begriff Bildung ist aber auch in der empirischen Bildungsforschung sowie in der Bildungsverwaltung enthalten. Privatschulen werben mit dem Begriff für ihr Angebot und Bildung ist ein politisches Thema, wenn es darum geht zu klären, wer wie viel wofür zu bezahlen hat und ob es zumutbar und im Sinne der Chancengleichheit verträglich sei, ein Hochschulstudium teilweise über Studiengebühren zu finanzieren.

Bildung ist zudem in der Rhetorik der internationalen und globalisierten Ökonomie zu einem unverzichtbaren Bestandteil geworden und wird als Rohstoff für arme Länder angepriesen. Die Entwicklung der Ressource Bildung ermöglicht ökonomisches Wachstum und damit Wohlstand, so die Überzeugung der Weltbank aber auch vieler anderer global tätiger Organisationen. Damit wird Bildung als Möglichkeit gesehen, die ökonomischen Unterschiede in einer globalisierten Welt zu verkleinern und Wohlstand breiter zu verteilen, womit auch die Hoffnung verbunden ist, dass kein Land den Anschluss an die Wissensgesellschaft verliert. Der Begriff Bildung und die damit verbundenen Überzeugungen werden so zu einer Chiffre, die den Einstieg in eine bessere Zukunft verspricht.

Aber was ist Bildung? Wie entsteht Bildung und woher kommt der Begriff? Wer hat Bildung erfunden und wie kam es dazu, dass Bildung diese prominente Stellung im Reden über Erziehung einnehmen konnte und zu einem der Grundbegriffe der Pädagogik geworden ist, zumindest im deutschsprachigen Raum?

Bildung hat, so die These, die hier im Weiteren verfolgt werden soll, vielfältige Wurzeln in den religiösen und philosophischen Diskussionen im politischen und gesellschaftlich-kulturellen Kontext des 18. Jahrhunderts. Die Kulturgeschichte Englands erweist sich dabei als besonders wirkungsmächtig, durchlebte die englische Gesellschaft doch im 17. Jahrhundert einschneidende politische und soziale Veränderungen. Diese fanden ihren Niederschlag in Publikationen, welche in einem interessanten Transformationsprozess in Deutschland anschlussfähig wurden. Im Zentrum dieser Publikationen stand das Konzept der Politeness, das im deutschen Sprachraum große Beachtung fand (Kapitel 1). Diese verschiedenen Ansätze und Anregungen wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts systematisiert und fanden Eingang in die pädagogische Diskussion (Kapitel 2). Gleichzeitig wurde Bildung aber auch durch die damals dominanten kulturellen Ansprüche, Vorstellungen und Erwartungen zu einem Unterscheidungsmerkmal im Kontext der nationalen Identitätsfindung. Diese Verbindung prägt das Reden über Bildung bis heute (Kapitel 3). Im 19. Jahrhundert wurde der Begriff zudem zu einer Möglichkeit der sozialen Unterscheidung und brachte mit dem «Bildungsbürger» einen eigenen «Stand» hervor, wobei diese Entwicklung auch Kritik hervorrief (Kapitel 4). Der Bildungsbegriff spielte im 19. Jahrhundert aber auch disziplinpolitisch eine große Rolle, da darauf Bezug genommen wurde, um die Geisteswissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften zu profilieren.

Die Erziehungswissenschaft nutzte dieses Angebot und entwickelte mit der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik ein wissenschaftliches Selbstverständnis, das den Bildungsbegriff in Rückgriff auf die Diskussionen um 1800 zu einem ihrer Grundpfeiler machte (Kapitel 5). Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Bildungsbegriff «kritisch». Damit ist seine Verwendung im Rahmen der Kritischen Theorie angesprochen, die – wiederum auf die Debatten um 1800 zurückgreifend – Bildung von den historischen Verfälschungen reinigen wollte und in diesem Bildungsbegriff eine Möglichkeit sah, eine bessere – im Sinne einer gerechteren und demokratischen – Gesellschaft zu generieren (Kapitel 6). An der Wende zum 21. Jahrhundert erlebt der Bildungsbegriff erneut ein Revival. Mit dem Begriff der Bildung wird diesmal gegen die Ökonomisierung der Welt argumentiert, aber auch konservative Erziehungsvorstellungen vertreten (Kapitel 7). Dabei zeigt sich, dass der Begriff immer dann intensiv diskutiert bzw. politisch aufgeladen verwendet wird, wenn es darum geht, Lösungen für eine als Krise empfundene Situation zu formulieren.

Vor diesem Hintergrund soll Bildung hier nicht als Begriff endgültig geklärt, definiert und systematisch beschrieben werden, sondern es geht darum zu zeigen, wie und in welchen Kontexten er weshalb und wie verwendet wurde. Damit können die impliziten Erwartungen und Ideen, die mit dem Bildungsbegriff verbunden sind, sichtbar gemacht werden. Es wird zu zeigen sein, dass sich mit dem Begriff «Bildung» Vorstellungen von Innerlichkeit und Selbstbildung verbinden, dass er als ästhetisches Ideal gilt und dass er sowohl unpolitisch im Sinne einer Abgrenzung von der Gesellschaft als auch als politischer Kampfbegriff verwendet werden kann. Damit zeigt sich auch die große Anpassungsfähigkeit dieses Begriffes, der sich damit als perfektes Beispiel dafür erweist, was der britische Erziehungsphilosoph Israel Scheffler in seinem 1960 erschienenen Buch The Language of Education als «pädagogischen Slogan» bezeichnet hat.

Diese Einführung konzentriert sich – bedingt durch die Geschichte des Begriffs – auf die deutschsprachige Diskussion, die wesentlich von Deutschland bestimmt wurde. Eine Ausnahme bilden die Diskussionen im 18. Jahrhundert, da hier die europäische Herkunft des Bildungsbegriffs nachgezeichnet wird, die von der deutschsprachigen Entwicklung genutzt wurde, um den Bildungsbegriff in expliziter Abgrenzung dazu als eigenen Begriff neu zu definieren. Eine weitere Ausnahme ist auch das siebte Kapitel, das sich mit der zeitgenössischen Verwendung des Bildungsbegriffs befasst. Sowohl in der englischen als auch in der skandinavischen Philosophy of Education lassen sich nämlich Bemühungen finden, Bildung als Konzept für die eigene Theoriediskussion fruchtbar zu machen. Bildung ist aber auch im spanischen Kontext zu einem Begriff geworden, und auch hier zeigt sich, dass mit dem Begriff der Bildung Politik betrieben werden kann.

Bildung hat in der deutsch(sprachig)en Diskussion offenbar das Potenzial, sich verschiedenen historischen, sozialen und kulturellen Kontexten anzupassen, ohne dadurch seine Bedeutungs- und Strahlkraft einzubüßen. Die Stärke von Bildung dürfte wohl gerade in dieser Wandelbarkeit, Offenheit oder Beliebigkeit liegen. Zudem scheint mit den Versuchen, Bildung in der postmodernen Gesellschaft als Konzept zu formulieren, das als Citizenship Education den Menschen befähigt, vernünftig, selbst bestimmt und verantwortlich in einer komplexen Gesellschaft zu agieren, auch der Sprung ins 21. Jahrhundert zu gelingen.

Literatur

Ehrenpreis, Stefan (2010): Schule und Bildung im vormodernen Rheinland. Überlegungen zur Periodisierung und regionalen Vernetzung. In: Andreas Rutz (Hg.): Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250 – 1750). Köln: Böhlau, S. 295 – 325

Koselleck, Reinhart (1990): Einleitung – Zur anthropologischen und semantischen Struktur der Bildung. In: Reinhart Koselleck (Hg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil II: Bildungsgüter und Bildungswissen. Stuttgart: Klett-Cotta, S. 11 – 46

Manhart, Sebastian (2009): Der Preis der Freiheit. Bildung, Wissen, Organisation. In: Zeitschrift für Soziologie der Erziehung und Sozialisation 29, H. 1, S. 80 – 96

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Bildung im Profil

1

Die Grundlagen des Bildungsbegriffs im 18. Jahrhundert

Bildung als Begriff wird im späten 18. Jahrhundert konstruiert. Ganz unterschiedliche Faktoren dienen dabei als Anregungen, die zudem oft auch nichts miteinander zu tun hatten. Zunächst spielte der Pietismus eine wichtige Rolle, eine Reformbewegung des europäischen Protestantismus mit dem Ziel, das religiöse und gesellschaftliche Leben durch die Etablierung einer inneren Glaubenshaltung des Individuums zu erneuern. Bedeutend wurde sodann die englische Philosophie des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts, die die beiden Konzepte Vernunft und Glauben theoretisch zu verbinden suchte und damit eine Alternative zur rationalen und materialistischen Aufklärungsphilosophie anbot. Aus dem englischen Kontext stammte auch das Konzept der «Politeness», das eine Möglichkeit der sozialen Selektion formulierte, ohne dafür auf ständische Herkunft zurückzugreifen. «Politeness» ist aber nicht ohne Rückgriff auf die konkrete politische und religiöse Situation Englands im 16. und 17. Jahrhundert zu verstehen. Zudem spielte die Frage nach dem Zusammenhang von Ästhetik und Ethik eine Rolle, weil damit die Frage von Moral und Tugend diskutiert werden konnte.

«Bildung»: Neuankömmling im späten 18. Jahrhundert

1783 stellte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner in der Berlinischen Monatsschrift skeptisch die Frage, was «Aufklärung» überhaupt sei. Ein Jahr später veröffentlichte dieselbe Zeitschrift verschiedene Antworten auf diese Frage, darunter auch die später berühmt gewordene Abhandlung Immanuel Kants mit dem programmatischen Titel Was ist Aufklärung? (1784). Eine – damals – nicht weniger prominente Stellungnahme stammte vom jüdischen Aufklärungsphilosophen Moses |12◄ ►13| Mendelssohn, der gleich zu Beginn seiner Überlegungen festhielt, dass Aufklärung, Kultur und Bildung neue Worte innerhalb der deutschen Sprache seien. Damit beschrieb er die historische Situation gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Bezug auf den Bildungsbegriff im deutschsprachigen Kontext und verwies darauf, dass diese drei Begriffe nicht an bestehende Traditionen anknüpften, sondern etwas «Neues» bezeichneten. Für Mendelssohn hing diese Einschätzung der Neuheit damit zusammen, dass der Begriff nur in spezifischen Fachdiskursen Eingang gefunden habe und sich als breites, pädagogisch ausgerichtetes Konzept erst zu etablieren beginne. Damit charakterisierte Mendelssohn treffend die zeitgenössische Verwendung des Begriffs. Er wurde in verschiedenen Kontexten und in unterschiedlichen Bedeutungen gebraucht und war in dem Sinne noch kein Begriff oder Konzept, sondern ein Wort, das uneinheitlich und nicht aufeinander Bezug nehmend gebraucht wurde.

Mendelssohn bestimmte Kultur und Aufklärung als Teile der Bildung. Mit dem Begriff der Kultur bezeichnete er Fertigkeiten und praktische Fähigkeiten; heute würde dafür auch der Begriff der Skills oder Literacy verwendet werden. «Aufklärung» wiederum war der Begriff für das Theoretische, für die vernünftige Erkenntnis. Eine gebildete Nation, eine gebildete Sprache oder ein gebildeter Mensch waren demnach Begriffe, welche die Vereinigung von Kultur und Aufklärung bezeichneten. Gebildet war in dieser Vorstellung jemand, der praktische Fähigkeiten mit theoretischen, vernunftgeleiteten Überlegungen in Übereinstimmung bringen konnte.

Freilich: Auch wenn Mendelssohn den Begriff Bildung in seiner Abhandlung als «neuen Begriff» bezeichnete, tauchte er schon in früheren Texten des 18. Jahrhunderts auf und war von Konzepten geprägt, die auf lange Traditionen zurückblicken konnten. Seine Bedeutung speiste er dabei aus spezifischen Vorstellungen, die ihrerseits nicht ohne ihre sozialgeschichtlichen Rahmenbedingungen zu verstehen sind.

Der Schweizer Philosoph Johann Georg Sulzer etwa benutzte den Begriff in seinem Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder (1745), in welchem er von der «Bildung des Verstandes und des Urteils» als Hauptziel der Erziehung und vor allem auch der Schule sprach. Für Sulzer ist Bildung in erster Linie die Ausbildung des Verstandes, also die Entwicklung der rationalen Fähigkeiten des Kindes, da nur diese den Menschen zu vernünftigen, das heißt tugendhaften Handlungen führen können. Die Entwicklung des Verstandes allein war für Sulzer keine Garantie für das angestrebte Erziehungsziel. Genauso wichtig sei die Bildung des Gemütes, da erst dadurch tugendhafte Handlungen möglich würden. |13◄ ►14| Besonders geeignet für diese Art der Erziehung seien Beispiele und Vorbilder, da mit diesen mehr Eindruck erzeugt werden könne als durch die Belehrung mit reinen Worten. Da diese Möglichkeit aber gerade in der Schule nur im beschränkten Umfang zur Verfügung stand, wurde die Kunst als Hilfsmittel herangezogen. Durch Beispiele aus der Malerei und Plastik konnten den Kindern Szenen aus dem Leben vorgestellt werden, die durch ihre Ästhetik einen direkten Zugang zum Gemüt ermöglichten und so die gewünschte erzieherische Wirkung entfalten könnten.

Bildung nimmt auch in Friedrich Gottlieb Klopstocks Messias (1748) eine zentrale Rolle ein, eine Ode, die bei den Zeitgenossen fast schon Kultstatus erreichte. Das Werk Messias steht zwar in einer epischen Tradition, es wandte sich aber von dem traditionellen Heldenepos ab und steigerte den Wert des Epischen grundsätzlich dadurch, dass es sich einem religiösen «Helden» zuwandte. Klopstock reduzierte zudem die sonst übliche Handlungszentriertheit der Epik und konzentrierte sich auf den Aspekt der Teilnahme. Der Messias sollte deshalb nicht durch eine mitreißende Geschichte «wirken», sondern durch das Hervorrufen von Gefühlen bei den Lesenden, womit der Anknüpfungspunkt für Bildung gegeben war: Nicht nur die Figuren des Epos, sondern auch die Leserschaft sollten in eine teilnehmende Haltung mit dem Ziel der moralischen Läuterung versetzt werden. Zweck dieser pädagogisierten Literatur war die Erschaffung des Bildes von Gott im Menschen, wobei vorausgesetzt wurde, dass die moralische Instanz auf Erden im Individuum angelegt, das heißt innerlich sei. Ähnlich wie Sulzer war auch für Klopstock nicht der ‹reine› Verstand, sondern das Gemüt entscheidend für die Beeinflussung durch Erziehung. Damit wird deutlich, dass Bildung in diesen Texten immer im Zusammenhang von mentalen und emotionalen Entwicklungsprozessen diskutiert wurde. Es ging um die Frage, mit welchen Mitteln ein bestimmtes Ziel erreicht werden könne.

Im Unterschied zu Klopstock oder Sulzer formulierte Mendelssohn in seinem Aufsatz keine Verbindung von Bildung und Erziehung; diese konstruierte erst die pädagogische Geschichtsschreibung. Mendelssohns Bildungsbegriff beschäftigte sich nicht mit einem (unklaren) Mehrwert bei erzieherischen, sozialisatorischen oder unterrichtlichen Prozessen, sondern mit der Verbindung von praktischen und theoretischen Fähigkeiten beim Menschen. Mit seinem Verweis, dass noch lange nicht alles, wofür keine Begriffe vorhanden seien, auch nicht existiere, relativierte Mendelssohn seine eigene Aussage von der Neuheit des Bildungsbegriffs. Er betonte, dass Bildung, Kultur und Aufklärung für ihn denn auch ein Ausdruck des gesellschaftlichen Lebens und Resultat der |14◄ ►15| Bemühungen seien, das Zusammenleben der Menschen zu verfeinern, stilvoll zu gestalten, zu «kultivieren». Bildung beschrieb bei Mendelssohn das Bemühen einer Gesellschaft, sich den Anforderungen der Zeit in einem positiven Sinn anzupassen.

Für Mendelssohn waren die Griechen das Vorbild einer gebildeten Nation, die Franzosen verkörperten für ihn das negative Beispiel. Sprache bezeichnete er als wichtiger Indikator für das Maß der Bildung, ein Aspekt, der später auch für die klassische Bildungstheorie des Neuhumanismus wichtig wurde (vgl. Kapitel 3). Mendelssohn unterschied zudem die Bestimmung des Menschen für einen öffentlichen und einen privaten Bereich und reihte sich damit in eine Gruppe von Autoren ein, die eine Trennung von Mensch als Bürger und Mensch als Mensch postulierten. Diese Systematisierung wurde in der pädagogischen Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen, erlaubte sie doch nicht nur einen Gegensatz zwischen Berufsbildung und Allgemeinbildung zu formulieren, sondern ermöglichte auch eine zeitliche Gliederung (vgl. Kapitel 4).

In der historiographischen Rekonstruktion der konzeptionellen Trennung von Mensch und Bürger stützte sich die pädagogische Geschichtsschreibung auf die Rousseau-Rezeption der deutschen Aufklärungspädagogik und stellte die Idee der perfectibilité – was in der Regel mit Vervollkommnung oder Vervollkommnungsfähigkeit übersetzt wurde – ins Zentrum ihrer Überlegungen. Die Begründung für dieses Konzept wurde bei Jean-Jacques Rousseaus zweitem Discours (Discours sur l’Origine et les Fondements de l’Inégalité parmi les Hommes, 1755) gesehen, in welchem ein Naturzustand von einem gesellschaftlichen Zustand unterschieden wurde, der sich aufgrund der Vorstellung der menschlichen perfectibilité zwangsmäßig ergab. Während bei Rousseau aber ein Gegensatz zwischen Natur und Gesellschaft bestehen blieb und die Entwicklung der Menschheit als eigentliche Verfallsgeschichte dargestellt wurde, verband die deutschsprachige Rezeption die Idee der Vervollkommnung mit der Natur des Menschen; eine Verbindung, die in der Folge mit dem Begriff Bildung bezeichnet wurde. Mit Bildung wurde damit die Möglichkeit geschaffen, die Natur, verstanden als Wesen des Menschen, auch innerhalb der Gesellschaft zu vervollkommnen und so zur inneren Moralität zu gelangen.

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Die Bedeutung der Religion

Bildung als Konzept weist aber auch religiöse Wurzeln auf. Mit Bildung wurde eine äußere Erscheinung bezeichnet, aber auch die innere Gestalt, was den Begriff für die im Deutschland des 18. Jahrhunderts dominante religiöse Strömung des Pietismus, eine der bedeutendsten Reformbewegungen des europäischen Protestantismus zwischen Reformation und Aufklärung, anschlussfähig machte. Während sich in England und vor allem auch in Frankreich die «Aufklärung» bzw. die «Aufklärer» mehr oder weniger deutlich und dezidiert gegen Kirche und Religion abgrenzten, waren die meisten deutschsprachigen Aufklärer eng mit dem lutherischen Protestantismus verbunden. Diese Verbundenheit bezog sich nicht zwingend auf die Kirche als konkrete Organisationsform, sondern viel mehr auf eine religiöse Grundhaltung. Unter diesen Voraussetzungen ist es deshalb auch nicht erstaunlich, dass im deutschsprachigen Kontext immer auch die Frage wichtig war, wie «Aufklärung», verstanden als Vorherrschaft der Vernunft, mit der Religion verbunden werden könne. Eine Frage, die auch die Formulierung von Bildung entscheidend prägte.

Der Pietismus verfolgte das Ziel, das religiöse und gesellschaftliche Leben durch die geistliche Wiedergeburt des Individuums biblisch zu erneuern. Als Programmschrift gilt Philipp Jakob Speners Pia Desideria (1675), ein umfassendes Reformprogramm für die lutherische Kirche, die eine individuelle Frömmigkeit propagierte. Spener ging in dieser Schrift von einer allgemeinen Reformbedürftigkeit der Kirche aus, da bei den Gläubigen, aber vor allem auch bei den Geistlichen zu wenig wahrer Glaube zu spüren sei. Dies musste seiner Ansicht nach verändert werden, wobei die Veränderungsabsicht nicht primär auf die Institution Kirche zielte, sondern auf die Veränderung der Einstellung und Haltung des einzelnen Gläubigen, das heißt auf die persönliche Seele. Erreicht werden sollte dieses Ziel durch eine vertiefte und breit stattfindende Auseinandersetzung mit den biblischen Texten, die durchaus auch außerhalb der Organisation Kirche stattfinden konnte. Mit dieser sich auf das Neue Testament berufenden Interpretation des christlichen Glaubens erhielten die Gläubigen eine eigenständige religiöse Identität zugesprochen und die persönliche Glaubensüberzeugung rückte auf Kosten einer dogmatischen Lehre in den Mittelpunkt. Damit knüpfte diese auch als Innerlichkeitsbewegung bezeichnete Reformbewegung an spätmittelalterliche, mystische Traditionen an, da sie sich auf die innere Gestaltbarkeit und Gestaltung des Menschen konzentrierte und das allgemeine Priestertum aller Gläubigen betonte.

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Definition

Mystik: Als mystisch werden religiöse oder spirituelle Erfahrungen bezeichnet, die nicht objektiv zugänglich sind. In der Religionsgeschichte bezeichnet Mystik eine Form des religiösen und damit auf ein Absolutes ausgerichtetes Erlebens und den damit verbundenen sprachlichen Ausdrucks, der in den theistischen Religionen auf Gott bezogen ist. Einen «Boom» erlebte die christliche Mystik im Hoch-und Spätmittelalter, wobei sie sich immer auch gegen den Vorwurf der Häresie verteidigen musste.

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