Читать книгу: «Sprachkontrast und Mehrsprachigkeit», страница 2

Шрифт:

2.2 Kontrastive Linguistik – Unterdisziplin der Sprachwissenschaft

Dem Sprachvergleich lassen sich eine Reihe von linguistischen Subdisziplinen zuordnen, darunter auch die Kontrastive Linguistik. Ausführliche Darstellungen finden sich in zahlreichen Artikeln und Monographien (bspw. König 1990, 1996; Tekin 2012; Theisen 2018). Der vorliegende Beitrag führt lediglich in die Thematik ein. Dem Versuch einer griffigen Definition entzieht sich die Kontrastive Linguistik, sodass Brdar-Szabó diese Vagheit wie folgt erklärt: „Die Kontrastive Linguistik stellt kein homogenes Phänomen dar, sondern ist durch viele Richtungen gekennzeichnet, die jeweils unterschiedlichen sprachtheoretischen Ansätzen zuzuordnen sind und über unterschiedliche Proportionen theoretischer und deskriptiver Komponenten verfügen“ (2010, 520). Die Autorin macht auf ein Forschungsfeld aufmerksam, dessen hohe Komplexität in der historischen Entwicklung der Sprachforschung begründet liegt. Die Aufgabe der Kontrastiven Linguistik spezifiziert sie, indem sie nach dem Verhältnis zwischen L1 und L2 (Kontrastivität als Relation) fragt, wobei die Begriffe Transfer (Interferenz bzw. negativer Transfer) und Fehler zentral sind. Den praktischen und didaktischen Mehrwert der Kontrastiven Linguistik erkennt die Autorin in der Kontrastivität als Strategie des kognitiven Lernens (Brdar-Szabó 2010, 525sqq.), die sich in expliziter wie in impliziter Bewusstmachung ausprägt. Bei der expliziten Bewusstmachung werden die sprachlichen Einheiten der zu vergleichenden Sprachen mikroskopisch genau analysiert und bestimmt, sodass abweichende Auffälligkeiten wie auch die Sprachen verbindende Elemente in den Lernprozess eingebunden werden. Diese können sich bspw. auf lexikalischer oder syntaktischer Ebene abspielen. Die implizite Bewusstmachung hingegen setzt auf die kognitiven Fähigkeiten des Lerners, individuelle Strategien (Hypothesenbildung durch Inferieren) zur Erschließung der zu vergleichenden Sprachsysteme bilden zu können (Brdar-Szabó 2010, 526sq.).

2.2.1 Kontrastive Linguistik: von der Kontrastivhypothese zur Interlanguage-Hypothese

Seit ihren Anfängen, die um die Mitte des 20.Jahrhunderts anzusetzen sind und mit Erkenntnissen des amerikanischen Strukturalismus einhergingen, war und ist die Kontrastive Linguistik (synchron-vergleichende Linguistik) untrennbar mit Entwicklungsprozessen innerhalb der modernen Fremdsprachenforschung und -didaktik verknüpft, die sich um eine möglichst ‚lernernahe‘ Fremdsprachenvermittlung bemühte. Mit Charles C. Fries (1887–1967)1 und nachfolgend mit Robert Lado (1915–1995)2 wurde der Weg für die Kontrastive Linguistik frei und für eine erste Hypothese – der Kontrastivhypothese –, die den Erwerb einer neuen Sprache zu erklären versuchte. Noch im Fahrtwind des Behaviorismus (Skinner 1957) verhaftet, wurde angenommen, dass Lerner ihre in der L1 bereits automatisierten sprachlichen Gewohnheiten (habit formation) ebenso in der L2 ausbilden könnten. Lado zufolge erfolgt bei Strukturgleichheit zwischen der L1 und der L2 eine schnellere Automatisierung sprachlicher Gewohnheiten. Negativer Transfer oder Interferenzen (bad habits) stellten hingegen die Unterschiede zwischen der Ausgangs- und der Zielsprache heraus. Er konnte beobachten: „[…] the student who comes in contact with a foreign language will find some features of it quite easy and others extremely difficult. Those elements that are similar to his native language will be simple for him, and those elements that are different will be difficult“ (Lado 1957, 2). Da für Lado das Sprachenlernen die Ausbildung von Stimulus-Response-Verbindungen (habit formation) bedeutete, maß er dem Lernen von interlingual abweichenden Sprachelementen hohe Bedeutung zu und versprach sich durch ständiges Wiederholen (pattern drill) großen Lernerfolg. Der lerntheoretische Hintergrund basierte auf den Ideen behavioristischer Annahmen, die dem Lernprozess keine kognitive Beteiligung des Lernenden zubilligte. Die Kontrastivhypothese konnte im Ergebnis die sehr hohen Erwartungen hinsichtlich einer effektiven Fremdsprachenmethodik und -didaktik jedoch nicht erfüllen (cf. König 1990, 117), und verlor bald an breiter Akzeptanz. Die Hauptkritik an der auf Synchronizität setzenden Untersuchung lag an dem nicht sichtbaren didaktischen Mehrwert und der fälschlicherweise starken Verquickung zwischen der Kontrastivhypothese und der Kontrastiven Linguistik als Teildisziplin. König und Nekula erläutern rückblickend nüchtern:

Die Kontrastive Linguistik und darauf aufbauende Aussagen über Kontraste und über Lernschwierigkeiten und Strategien der Lehre wurden als zentrale Bestandteile einer Theorie des Zweitspracherwerbs gesehen und somit mit völlig unrealistischen Erwartungen verknüpft, die früher oder später enttäuscht werden mussten. (2013, 16)

Noam Chomskys nativistisch orientierte Denkrichtung bildete einen weiteren Meilenstein in der Sprachforschung. Die Abkehr vom Behaviorismus machte den Weg frei für neue Erklärungsansätze bezüglich des Spracherwerbs, die in der Identitätshypothese und in der Interlanguage-Hypothese formuliert wurden. Der nativistische Ansatz (bspw. Chomsky 1986, 1988) knüpfte an die Vorstellung an, der Mensch verfüge über universelle, angeborene sprachspezifische Erwerbsmechanismen, dem LAD (language acquisition device), was ihn dazu befähige, jegliche Sprache der Welt bei adäquatem Input zu aktivieren. Während gemäß der Identitätshypothese (Dulay / Burt 1974) der Erwerb einer weiteren Sprache den Gesetzmäßigkeiten des Erstspracherwerbs folgt, fokussierte die Interlanguage-Hypothese (Corder 1967, 1981; Selinker 1972) sowohl die Erstsprache (L1) als auch die Zweitsprache (L2) und ihr Verhältnis (Interlanguage) zueinander im Zweitspracherwerbsprozess. Die bereits aus der Analyse der Kontrastivhypothese gewonnenen zentralen Beobachtungsparameter – Fehler und Transfer – erfuhren neue Interpretationsansätze. Der Analyse von Fehlern wurde größere Aufmerksamkeit geschenkt, denn es galt, „das Verhältnis von Kontrastiver Linguistik, Fehleranalyse und Lernersprachforschung zu eruieren (Brdar-Szabó 2010, 523). Der Erforschung von Interlanguages hatte sich gegen Ende des 20.Jahrhunderts die Tertiär- und die Mehrsprachigkeitsforschung angenommen, die, gespeist von verschiedenen wissenschaftstheoretischen Richtungen, eine Reihe von Modellen (Hufeisen 2003, 98sqq.) hervorbrachte. Vorangegangen war die Erkenntnis, dass der Zweitspracherwerb und das Erlernen von Fremdsprachen als „spezifische Unterformen und Ausprägungen des multiplen Sprachenlernens“ (Hufeisen 2003, 97) angesehen werden müssen. Die Mehrsprachigkeitsforschung erweiterte den bisherigen Forschungsradius zum multiplen Sprachenlernen erheblich und wird in Abschnitt 3 skizziert.

2.2.2 Die Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft, die Sprachfamilie und die Sprachtypologie1

Die Historisch-Vergleichende Sprachwissenschaft2 setzt einen weiteren Meilenstein entlang der historiographischen Entwicklung der Sprachwissenschaft und agiert auf diachroner Ebene. Als „Startsignal“ (Wildgen 2010, 12) für die Etablierung der Vergleichenden Sprachwissenschaft und der Indogermanistik gilt die in der Frühromantik erschienene Schrift „Über die Sprache und Weisheit der Indier“ (1808) von Friedrich Schlegel. Das Werk ist dreigliedrig konzipiert und geht auf die Geschichte ein, beleuchtet Sprachen und setzt auch philosophische Akzente. Der Sprachvergleich hatte zu folgendem Ergebnis geführt:

Das alte indische Sanskrito […] hat die größte Verwandtschaft mit der römischen und griechischen sowie mit der germanischen und persischen Sprache. Die Ähnlichkeit liegt nicht bloß in einer großen Anzahl von Wurzeln, die sie mit ihnen gemein hat, sondern sie erstreckt sich bis auf die innerste Struktur und Grammatik. Die Übereinstimmung ist also keine zufällige, die sich aus Einmischung erklären ließe; sondern eine wesentliche, die auf gemeinschaftliche Abstammung deutet. Bei der Vergleichung ergibt sich ferner, daß die indische Sprache die ältere sei, die andern aber jünger und aus jener abgeleitet. (8, 115 zitiert nach Endres 2017, 219)

Lange vor Friedrich Schlegel hatte der britische Indologe William Jones (1746–1794) Ende des 18.Jahrhunderts den „sprachhistorischen Stein ins Rollen gebracht“ (Welte 1985, 78). Im Rahmen seiner vergleichenden Studien zwischen dem Sanskrit, dem Lateinischen, dem Griechischen, dem Gothischen und Keltischem entdeckte Jones Ähnlichkeiten sowohl in den grammatischen Formen als auch in den Verbwurzeln. Seine Erkenntnisse publizierte er bereits 1788 in der damals renommierten Fachzeitschrift Asiatic Researches. Forciert durch Wilhelm von Humboldt und von Schlegel weiter vorangetrieben, erwuchs aus diesem Arbeitsfeld um 1800 die Sprachtypologie, die unabhängig von der genetischen Verwandtschaft von Sprachen nach sprachinhärenten Merkmalen (nach morphologischen, syntaktischen oder phonetischen Merkmalen) sucht (bspw. Skalička 1979, 21; Kausen 2010, 18). Schlegel richtete sein Augenmerk auf morphologische Erscheinungen von Sprachen, die er aufgrund ihrer Merkmale klassifizierte. Er schlussfolgerte:

Entweder werden die Nebenbestimmungen der Bedeutung durch innere Veränderungen des Wurzellauts angezeigt, durch Flexion, oder aber jedesmal durch ein eignes hinzugefügtes Wort, was schon an und für sich Mehrheit, Vergangenheit, ein zukünftiges Sollen oder andre Verhältnisbegriffe der Art bedeutet; und diese beiden einfachsten Fälle bezeichnen auch die Hauptgattungen aller Sprache […]. (Schlegel 1808, 8)

Aufgrund ihrer typologischen Merkmale wurden die Sprachen in synthetische und analytische Sprachen eingeteilt, eine Klassifizierung, die bis heute gilt. Zu der Gruppe der synthetischen Sprachen wurden die flektierenden Sprachen (bspw. Deutsch, Griechisch, die slawischen Sprachen), die agglutinierenden Sprachen (bspw. Ungarisch, Türkisch) und die polysynthetischen Sprachen (bspw. indigene Sprachen in Nord- und Südamerika) gezählt.3 Der Gruppe der analytischen (isolierenden) Sprachen wurden bspw. das Chinesische und das Vietnamesische zugeordnet. In der Forschung wird neben Wilhelm von Humboldt, Friedrich Schlegel4 und seinem Bruder August Wilhelm Schlegel auch Franz Bopp genannt (Gardt 1999, 268sqq.). Der Sprachwissenschaftler und Sanskritforscher Bopp (1791–1867) gilt als Begründer der Indogermanistik. Er veröffentlichte 1816 eine Arbeit „Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache“5. In den Jahren zwischen 1833 und 1852 ergänzte der Band „Vergleichende Grammatik des Sanskrit, des Send, des Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothischen und Deutschen“ seine fortlaufenden Studien. Ziel war „[…] eine vergleichende, alles verwandte zusammenstellende Beschreibung des Organismus der auf dem Titel genannten Sprachen […] eine Erforschung ihrer physischen und mechanischen Gesetze und des Ursprungs der die grammatischen Verhältnisse bezeichnenden Formen“ (Bopp, 1833–1837, zitiert nach Lefmann, 1895, 183). 1818 folgte eine ähnlich konzipierte Abhandlung vom dänischen Indogermanisten Rasmus Christian Rask (1787–1832) über das Altnordische und Isländische.

Merkmal der Historisch-Vergleichenden Sprachwissenschaft ist der diachrone Vergleich von Sprachen. Erst in der historischen Rückschau können Periodisierungen ermittelt werden, die Hinweise zum sprachlichen Wandel geben und auf Spuren hinweisen, die zur „Ursprache“ (genetische Typologie) führen. Auch die Ermittlung sprachlicher Universalien kann erst im diachronen Vergleich erfolgen, denn die Sprachtypologie braucht, anders als die Kontrastive Linguistik, die der Synchronizität und somit auch der zeitlichen Begrenztheit unterliegt, zu ihrer Erfassung zeitliche wie geographische unbegrenzte Räume.

2.3 Sprachvergleich – Der Vergleich als Methode

Der Vergleich stellt nicht nur eine „universelle Kategorie menschlichen Verhaltens“ dar (Kleinsteuber 2003, 78); er ist als Mittel von Erkenntnisgewinnung „[…] gerade konstitutiv für eine Disziplin, so etwa in der ‚Vergleichenden Literaturwissenschaft‘ (‚Komparatistik‘), bei der ‚Kontrastiven Linguistik‘ oder auch bei der ‚Historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft‘, die eine ganze Epoche der Sprachforschung prägte“ (Schweickard 1995, 22sq.).

Mit dem Aufkommen der modernen Sprachwissenschaft wurde auch die Suche nach adäquaten Methoden virulenter, darunter auch die Frage nach einer Vergleichsbasis – dem tertium comparationis –, welches das Auffinden von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, oder auch Universalien zwischen den zu vergleichenden Sprachen ermöglicht. Neben der Sprachwissenschaft beriefen sich eine Reihe von weiteren Disziplinen bspw. die vergleichende Physiologie, die vergleichende Ästhetik, die vergleichende Geschichte (Kalverkämper 1992, 61) auf den Vergleich als Methode. Ihre lange Entstehungsgeschichte findet einen Höhepunkt im 19.Jahrhundert durch den britischen Philosophen Stuart Mill (1806–1873), der „den Vergleich als Instrument zur systematischen Erkenntnis“ in der Forschung etablierte (Kleinsteuber 2003, 78). Im Kern stellen sich zwei Forderungen:

 Die Gegenstände, die miteinander verglichen werden, dürfen weder völlig gleichartig, [sic] noch völlig unterschiedlich sein.

 Jeder Vergleich muss die doppelte Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden stellen, die Konzentration auf nur eine der beiden Komponenten greift zu kurz und kann daher keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit stellen. (Kleinsteuber 2003, 79)

Czachur (2013, 336sq.) identifizierte die vergleichende Methode als ein Verfahren, „das darauf ausgerichtet ist, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verglichenen Elementen anzuzeigen.“ Vorausgesetzt, dass die „Vergleichbarkeit der identifizierten Elemente“ (ibid.) gegeben ist, folgt „das Postulat des tertium comparationis, einer dritten Größe, einer übereinzelsprachlichen Bezugsgröße, auf die zwei zu vergleichende Phänomene gleichermaßen bezogen werden, um die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ermitteln zu können“ (ibid.). Ausgehend davon, dass der Sprachvergleich didaktischen Zwecken nutzen solle, ist nach Helbig/Götze das „Beschreiben vor Vergleichen“ (2001, 17) zu setzen, wobei die sprachtheoretische Grundlage (bspw. generative Grammatik, taxonomische Grammatik), von der aus operiert wird, zu berücksichtigen ist. Der Prozess des Vergleichens findet im Anschluss statt (Krzeszowski 1967, 36). Das tertium comparationis ist somit ein Mittel, das unter Berücksichtigung der Gleichwertigkeit von den im Vergleich stehenden Sprachen eine Vergleichsbasis setzt. Wie diese aussieht, wird in der Forschung nicht unisono bestimmt, daher diskursiv behandelt, da sich bisher kein adäquates Optimum abzeichnet. Eine ausführliche Analyse des Forschungsdilemmas liefert Tekin. Sie schlussfolgert, dass „[…] weder formale, semantische oder pragmatische Kriterien noch die Übersetzungsäquivalenz als adäquates t.c. von Sprachvergleichen dienen können“ (Tekin 2012, 120sqq., cf. auch Theisen 2016, 34sq.). In ihrem Aufsatz „Kontrastive Analyse 2020: Neue Horizonte“ will v. Stutterheim „[…] den Weg weitergehen und aufzeigen, wie durch eine Verschiebung des tertiums comparationis von der sprachgebundenen auf die konzeptuelle Ebene weiterführende Einsichten gewonnen werden können“ (2018, 288). Die Frage nach einem tertium comparationis ist eine Konstante in der Frage um eine adäquate Vergleichsbasis in der Kontrastiven Linguistik und kann daher nicht ganz außer Acht gelassen werden und muss demnach zumindest angerissen werden.

3 Mehrsprachigkeit – Versuch einer begrifflichen Einordnung

Die Bildungs- und Schulpolitik hat ein besonderes Interesse daran, das Bewusstsein für Mehrsprachigkeit in allen Schulformen und Schulstufen (cf. Abschnitt 1) zu schärfen. In der terminologischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Mehrsprachigkeit und den damit verbundenen Vorstellungen stellt sich bei Durchsicht der Fachliteratur bald heraus, dass die begriffliche Einordnung durchaus variiert, was damit zu begründen ist, dass die Forschung zur Mehrsprachigkeit aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen schöpft (bspw. aus der Spracherwerbsforschung, der Sprachlernforschung, der Psycholinguistik, der Soziolinguistik, der Erziehungswissenschaft, der Schulentwicklungsforschung, der interkulturellen Pädagogik, der Didaktik).

Was genau wird mit „Mehrsprachigkeit“ assoziiert? Der weite Begriff von Mehrsprachigkeit geht auf Mario Wandruszka (1979) zurück, der in jedem Kind ein mehr oder weniger mehrsprachiges Individuum mit eigenem Idiolekt erkennt. Videsott formuliert allgemeiner und erläutert: “Der Terminus Mehrsprachigkeit bezieht sich in der Regel auf die menschliche Fähigkeit, in mehreren verbalen Sprachen zu kommunizieren und impliziert die Koexistenz mehrerer Sprachen innerhalb eines individuellen oder sozialen Systems“ (2006, 51). Beide Autoren tragen der weltweiten sprachlichen Vielfalt Rechnung, und betonen die kommunikative Fähigkeit eines jeden Individuums in mehr als nur einer Sprache. In der Auseinandersetzung mit der individuellen Mehrsprachigkeit (Fürstenau / Gomolla 2011) haben sich für die Forschung hinsichtlich der Quantität und Qualität von sprachlicher Kompetenz zahlreiche Leerstellen ergeben, woraus sich anhängende Fragen entwickelt haben. So bspw. die Frage nach der sprachlichen Qualifizierung, deren Beantwortung in der Forschung durchaus diametral entgegengesetzte Antworten zu Tage gefördert hat. Ist ein Sprecher dann mehrsprachig, wenn sich die Lesefähigkeit in einer zweiten Fremdsprache dem muttersprachlichen Niveau angenähert hat und somit balanced bilingual (balanciert zweisprachig) ist (Macnamara 1969), oder genügen nur wenige sprachliche Äußerungen (Edwards 2004), um als mehrsprachig zu gelten? Für Bertrand und Christ gilt jemand als mehrsprachig, wenn er „auf der Basis der Kenntnisse seiner Muttersprache eingeschränkte Kenntnisse in wenigstens zwei weiteren Sprachen entweder in gleichen oder in unterschiedlichen Diskursbereichen hat (um z.B. soziale Kontakte in gesprochener oder geschriebener Sprache aufnehmen oder Texte lesen oder Fachgespräche führen zu können)“ (1990, 208).

In den Diskurs fließen weitere Forschungsthemen ein, so zum Erstspracherwerb, der sowohl monolingual wie auch bilingual (L1, 2L1) verlaufen kann, zur Zweitspracherwerbs- und Tertiärsprachenforschung sowie lerntheoretische Überlegungen (bspw. Behaviorismus, Nativismus). Es schließt sich auch die Frage nach der chronologischen Entwicklung von individueller Mehrsprachigkeit an. Der Sprachaneignungsprozess verläuft simultan oder sukzessiv, gesteuert in Lehr-Lernkontexten (bspw. Schule) oder ungesteuert im Rahmen alltagssprachlicher Kommunikationssituationen (Ahrenholz 2014, 5; Müller et al. 2011, 13sq.). Im Zusammenhang mit Mehrsprachigkeit fällt auch der Begriff „Migrationshintergrund“, dem eine Gruppe von Menschen zugeordnet wird, die eine andere Erstsprache als Deutsch sprechen. Allerdings sollte der Blick für jenen Umstand geschärft werden, der aufgrund dieser Zuordnung Lerner mit einer anderen Erstsprache als Deutsch irrtümlich als eine homogene Gruppe betrachtet. Chlosta und Ostermann weisen in ihrem Beitrag mit der Frage „Mehrsprachigkeit, Migrationshintergrund – Wer ist gemeint?“ auf diverse Schwierigkeiten hin, die dazu geführt haben, dass diese Zuordnung „Migrationshintergrund“ in eine Schieflage geraten ist, denn „die verschiedenen Untersuchungen orientieren sich nicht immer am Merkmal der Mehrsprachigkeit“ (2012, 17).

Dies wurde zum Anlass genommen, um im Jahre 2002 eine erste Sprachenerhebung an Essener Grundschulen durchzuführen. Das im Bereich Deutsch als Zweitsprache/Deutsch als Fremdsprache an der Universität Duisburg-Essen verortete Projekt hatte zum Ziel, die bisher bekannten statistischen Angaben zum Migrationshintergrund um Daten hinsichtlich der in Schulen vorkommenden tatsächlichen sprachlichen Präsenz zu erweitern. Die Auswertung der Studie führte u.a. zu folgender Erkenntnis: „Die Zahl der Sprachnennungen übersteigt die Zahl der mehrsprachigen Schüler, da einige außer Deutsch zwei oder mehr andere Sprachen sprechen“ (ibid. 19). Ähnliche Ergebnisse erzielte auch eine in Hamburg angelegte Studie im Jahre 2003 (Fürstenau / Gogolin / Yağmur 2003). Auch wenn es sich um eine nicht auf Gesamtdeutschland übertragbare Studie handelte, so machten die Ergebnisse auf eine breite sprachliche Vielfalt von Herkunfts- und Familiensprachen aufmerksam und schärften das Bewusstsein für die individuellen Sprachbiographien. Im Sinne von Diversität und Inklusion ist ein verändertes Unterrichtsgeschehen nur konsequent. Mitzudenken sind in diesem Zusammenhang auch jene neu zugewanderten Schülerinnen und Schüler mit ihren sehr spezifischen biographischen und sprachbiographischen Verläufen, deren Teilhabe am schulischen Unterricht durch zusätzliche Faktoren (bspw. vorangegangene Alphabetisierung, bereits erfolgte oder nicht erfolgte Beschulung in den Heimatländern, Fremdsprachenkenntnisse) bestimmt werden. Die gesellschaftliche Realität zeichnet sich durch eine biographische und sprachliche Variationsbreite aus. Diese spiegelt sich in der 2005 verfassten Charta des „Europäischen Forums für Mehrsprachigkeit“, in der die Bedeutung von Mehrsprachigkeit für politische sowie wirtschaftliche Verflechtungen ebenso hervorgehoben wird wie für die Zivilgesellschaft. Mehrsprachigkeit gilt als Ausdruck demokratischer Werte und als „das wünschenswerteste und wirkungsvollste Kommunikationsmittel für den öffentlichen Meinungsaustausch. Es steht für Toleranz und Achtung vor Minderheiten und unterschiedlichen Lebensauffassungen. Sprachliche und kulturelle Vielfalt sind die Voraussetzung für ein europäisches Bürgerbewusstsein; sie sind wesentliche Bestandteile einer europäischen Identität“1.

5 956,69 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
481 стр. 19 иллюстраций
ISBN:
9783823302544
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают