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Das Ende der Aufstandsbewegung

Am Mittwoch, dem 24. März 1920, einigten sich Vertreter der Reichsregierung und der Vollzugsräte des Reviers auf das „Bielefelder Abkommen“. Die Reichswehrführung war von Anfang an gegen jegliche Verhandlungen mit den Aufständischen, sie lehnte folglich auch dieses Abkommen ab. Auf der Gegenseite glaubten die Betonköpfe in der „Roten Armee“ immer noch an einen militärischen Sieg der „Revolution“.

Vertreter der Vollzugsräte des östlichen Reviers aus allen drei Arbeiterparteien (u. a. Pieck von der KPD) versuchten mehrere Tage lang fieberhaft, in Verhandlungen mit Reichskommissar Severing doch noch ein Abkommen zur Kampfeinstellung für das ganze Revier zustande zu bringen. Am 31. März wurde der „Friede von Münster“ geschlossen, der die Bedingungen des Bielefelder Abkommens bestätigte und als Termin für die Waffenabgabe den 2. April festlegte – eine sehr kurze Frist, die in der Praxis kaum einzuhalten war. Wichtig war aber die Bestimmung, dass das Standrecht dort nicht gelten sollte, wo die Waffenabgabe ordnungsgemäß erfolgt sei. Am 1. April bestätigte das Reichskabinett den Einmarschbefehl und gab der Reichswehr die „volle Freiheit des Handelns, zu tun, was die Lage gebietet“ – ein ganz verhängnisvoller Fehler, da ein Teil der Reichswehrtruppen und der ▶ Freikorps diese Formulierung als Freibrief auffassten für ihren blutigen Terror an den folgenden Tagen! Am 1. April tagte auch eine weitere Delegiertenkonferenz sozialistischer Gruppen in Essen, auf der der Kommunist Pieck für einen Abbruch der Kämpfe plädierte, um ein Blutbad zu verhindern. Die Konferenz rief zur Auflösung der „Roten Armee“ auf. Sie hatte aber keinen Einfluss mehr auf die Rotgardisten im Westen des Revier: Der Essener Zentralrat, der sich aus Delegierten der revolutionären Arbeiter zusammensetzte, wurde am 2. April von Truppen der Roten Armee zur Flucht gezwungen.146 Auch in Oberhausen wurde der Vollzugsrat an diesem Tag von Rotgardisten bedroht, konnte sich aber rechtzeitig aus seinem Büro im „Hof von Holland“ in Sicherheit bringen.147

Ganz so schlimm, wie diese Vorfälle von Nötigung mit Waffengewalt später dargestellt wurden, dürfte es aber in Oberhausen nicht gewesen sein. Zwei Beispiele sollen die Zurückhaltung der Revolutionäre auch während dieser chaotischen Endphase illustrieren:

„Am Gründonnerstag nachmittag 5 Uhr wurden wiederum mehrere Waggons mit Gütern von Leuten des Vollzugsrats und der roten Armee untersucht als plötzlich 4 Eisenbahnbeamte kamen, die dort dienstlich zu tun hatten. Ein gewisser Theka, der vom Vollzugsrat als Kriminalkommissar angestellt war, rief den Beamten ein Halt zu und schoss mit dem Revolver auf sie. Die Beamten flüchteten unter Waggons, wurden aber hervorgeholt und ins Amtsgerichtsgefängnis eingesperrt. S. hatten die Leute auf dem Bahnhof freie Hand. Die vielen Eier und die Menge Fische, die öffentlich verkauft worden sind, sind nicht Lebensmittel aus ordnungsgemäßer Beschlagnahme, sondern solche, die der Vollzugsrat widerrechtlich in Besitz nahm, um durch deren Verkauf zu Geld zu kommen und beim Publikum den Eindruck zu erwecken, als ob es nun billige Lebensmittel immer gebe.“148

Im Gegensatz zu dieser Robin-Hood-Aktion schlug ein anderer Versuch fehl:

„Am Spätnachmittag [des Karfreitag] kamen einige Kommunisten zu dem Direktor der Reichsbank Buß und forderten unter Vorlage von drei Scheinen mit dem Stempel des Vollzugsrates, aber ohne Unterschrift 100.000, 50.000 und 40.000 Mark. Mit vorgehaltenem Revolver bedrohten sie den Bankdirektor mit dem Leben. Dieser aber erklärte, ohne rechtmäßige und autorisierte Anweisung kein Geld auszahlen zu können. Diese machten sich davon, angeblich um bei der Stadtverwaltung ihr Glück zu versuchen.“149

Auch vor diesem Hintergrund sind die Vorgänge bei dem am 2. April beginnenden Einmarsch der Reichswehrtruppen zu beurteilen.

Der Einmarsch der Reichswehr

Am Karfreitag, dem 2. April 1920, begann von Wesel her der Einmarsch der Reichswehr ins westliche Ruhrgebiet. Es kam zu heftigen Kämpfen mit den bewaffneten Arbeitern der „Roten Armee“ bei Hünxe, Voerde und in Dinslaken. Die Folgen waren in Sterkrade bald zu bemerken: Eine wachsende Zahl von verwundeten Rotgardisten wurde aus dem Kampfgebiet zurückgebracht. Viele flüchteten auch vor den anrückenden Reichswehrsoldaten. Am Karfreitagabend waren Dinslaken und die Außenbezirke von Sterkrade (u. a. Holten und Schmachtendorf) in der Hand der Reichswehrtruppen, wobei die Besetzung auf Sterkrader Gebiet bis dahin ohne Kämpfe vor sich gegangen war.

Noch am gleichen Abend verhandelte der Sterkrader Beigeordnete Seipel mit Major Schultz in dessen Quartier in Holten, um Blutvergießen beim Einmarsch in Sterkrade möglichst zu verhindern. Der Freikorpsführer Schultz war bei den Arbeitern besonders verhasst, weil sich seine in Mülheim stationierte Truppe gut zwei Wochen vorher für den Kapp-Lüttwitz-Putsch ausgesprochen hatten. Die rechtsradikalen Freikorps-Soldaten hatten in ihrer Kaserne provozierend die schwarz-weiß-rote Fahne gehisst. Bei ihrem anschließenden Rückzug nach Wesel hatte die „Rote Armee“ gerade dieser Truppe schwere Verluste zugefügt.150 Jetzt nahmen die Freikorps-Soldaten dafür Rache.

Major Schultz stellte in der Verhandlung mit dem Beigeordneten Seipel die Bedingung, dass keinerlei militärischer Widerstand geleistet werden dürfe. Nach seiner Rückkehr aus Holten traf Seipel auf der Steinbrinkstraße einen Trupp Rotgardisten, die ultimativ Verpflegung verlangten. Um Plünderungen zu vermeiden, kam der Beigeordnete dieser Aufforderung nach. Im Innern von Sterkrade blieb die Nacht ruhig, aber in Buschhausen kam es zu schweren Plünderungen.

Am nächsten Morgen, Karsamstag, marschierte die Reichswehr in Sterkrade ein; Rotgardisten, die in der Nähe des Rathauses Widerstand leisteten, wurden rasch überwältigt. Sieben Rotgardisten und ein unbeteiligter Einwohner Sterkrades fanden den Tod, von Verlusten der Reichswehr wird nichts berichtet. Einige Tage später wurden 70 verhaftete Personen von Sterkrade in die Festung Wesel transportiert.151

Der Vormarsch ging weiter nach Osterfeld:

„In Osterfeld sind Samstagmorgen ebenfalls die Reichswehrtruppen eingezogen. Die neun Insassen des roten Werbebureaus, die den Kampf aufnahmen, sind sämtlich gefallen. Ein weiterer Rotgardist wurde standrechtlich erschossen, ein die Straße passierender Eisenbahnschaffner erhielt einen Zufallstreffer, der ihn so schwer verwundete, dass er dieser Verwundung erlag.“152

Einen Tag später wird der Ablauf so dargestellt: „Von Augenzeugen wird berichtet, dass der Vollzugsrat und die Mitglieder des Werbebüros, es waren dies im Ganzen neun Personen, da sie sich nicht ergeben wollten und Gegenwehr leisteten, standrechtlich erschossen wurden.“153

Ein zwei Tage später abgedruckter Augenzeugenbericht belegt eindeutig, dass die neun Menschen nicht im Kampf gefallen sind, sondern nach ihrer Gefangennahme erschossen wurden. Der Augenzeuge berichtet, dass die in dem Werbebüro Anwesenden keinerlei Widerstand leisteten; sie wollten fliehen, wussten aber nicht, wie nahe die Soldaten schon waren.

„Sämtliche Anwesenden begaben sich jetzt zu dem hinteren Ausgang, darunter auch Husemann, Blömer und ich. Während sich im Hausflur die Leute noch mit ihrem Führer Kraft darüber stritten, ob die Regierungstruppen da wären oder nicht, erscholl vom Hof schon der Ruf ‚Hände hoch!‘, und dann fielen auch schon die ersten Schüsse. Regierungssoldaten mit Handgranaten drängten nun ins Lokal und trieben alle dort noch Anwesenden auf den Hof. Als ich auf den Hof kam, sah ich dort einige Leute auf dem Boden liegen. Ich bekam auf dem Hof einen Streifschuss und fiel durch den Luftdruck zu Boden. Als ich mich wieder aufrichten wollte, wurden Gewehre auf mich gerichtet. Husemann kam hinzugesprungen und schlug ein Gewehr herunter, wobei er sagte, sie möchten mich leben lassen, ich sei ein Krüppel. Darauf sagte der Leutnant zu mir ich sollte aufstehen und ins Haus gehen. Nachher wurde ich festgenommen. Der ganze Vorgang hat sich in einem Zeitraum von etwa einer Minute abgespielt, und ich kann daher Einzelheiten darüber, auf welche Weise die übrigen Leute erschossen wurden, nicht angeben.“154

Es fand also kein Kampf statt. Aber neun Menschen fanden trotzdem den Tod. S. funktionierte das „Standrecht“!

Die Morde im Gasthof Husemann müssen die Bevölkerung stark erregt haben, sonst hätte sich der Gastwirt nicht in einer großen Anzeige gegen ihn belastende Gerüchte zur Wehr gesetzt. Er bezeichnete den zitierten Augenzeugenbericht als wahrheitsgetreu und fuhr fort: „Gegen jeden Urheber und Verbreiter anderslautender Darstellungen, welche bezwecken, uns der Mitschuld an der Erschießung zu bezichtigen, werden wir rücksichtslos gerichtlich vorgehen.“155 Von einem Gerichtsverfahren gegen die Schuldigen ist nichts bekannt.

In Eisenheim schlug eine Granate „von unbekannter Richtung“ ein und tötete vier Menschen; weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt.156 Auf dem Weg nach Oberhausen hinein folgten mehrere Scharmützel mit den Resten der „Roten Armee“, vor allem an den Brücken über die Emscher und den Rhein-Herne-Kanal und im Grafenbusch. Hier hatten sich die Rotgardisten die Waldschenke als Unterkunft ausgesucht. Letzter Widerstandspunkt der „Roten Armee“ vor der Innenstadt war der Schlackenberg am Wasserturm, den die Reichswehr aber auch mit Hilfe von Artillerie schnell stürmen konnte.157


Abb. 11: Die Wirte des Gasthofs Husemann wehren sich gegen Verleumdungen, GA vom 8. April 1920

Über die Mülheimer Straße drangen die Truppen in die Innenstadt ein. Sie wurden von den nach Süden abrückenden Rotgardisten beschossen, aber nicht ernsthaft aufgehalten. Die „Kaserne“ der „Roten Armee“, die Turnhalle an der Industriestraße158 wurde kampflos besetzt. Dort „fanden die einrückenden Sieger ein tolles Chaos“.159 Einzig am Altmarkt wurde noch einmal gekämpft:

„Besonders lebhaft tobt der Kampf um den Zentralpunkt der Stadt, den Altmarkt. Aber nicht lange dauert das Feuer um dieses Kampfobjekt. Durch die Gutenberg-, Stöckmann-, Göbenstraße und die benachbarten Stadtteile ziehen sich die revolutionären Arbeiter zurück. Schließlich artet der Rückzug in wilde Flucht aus.“160

Allzu heftig können die Kämpfe nicht gewesen sein, denn drei Tage später klingt alles schon weniger dramatisch:

„Die Eroberer von Oberhausen waren in der Hauptsache ein Stoßtrupp von einem ganzen Dutzend Reichswehrmannschaften, die sich […] zur Industriestraße bewegten und dort im Handumdrehen die ‚Kaserne‘ der roten Armee, die Turnhalle, besetzten. Sie haben auch die Maschinengewehre am Altmarkt zum Schweigen gebracht. Allerdings folgte das Gros der Truppe ihnen auf dem Fuße, aber diese brauchte kaum noch einen Schuss abzugeben. Die Einsichtigsten und Klügsten der Rotgardisten hatten sich schon vorher in Sicherheit gebracht.“161

Um die Mittagszeit waren die Kämpfe vergleichsweise glimpflich zu Ende gegangen. Danach kam es zu einer fürchterlichen Szene – unter der Überschrift „Standgericht“ in der Zeitung so beschrieben:

„Von dem befehlshabenden Major werden verschiedene Kommandos ausgeschickt, um besonders verdächtige Häuser zu durchsuchen. Ein Mann der Reichswehr war während des Kampfes an der Ecke Stöckmann-Marktstraße von revolutionären Arbeitern erschossen worden. Diese Tatsache im Verein mit dem heftigen Widerstand, den bewaffnete Zivilisten der Reichswehr leisteten, veranlasste das Militär, mit Strenge vorzugehen. Im Laufe einer halben Stunde nach der Besetzung des Altmarktes wurden nach und nach fünf Zivilisten herbeigeführt, bei denen Handgranaten und andere Waffen gefunden worden waren. Nach Feststellung der Fälle müssen sich die Leute auf dem Bürgersteig vor der Wirtschaft Fritz hinlegen. Dann werden sie erschossen.“162

Es muss kurze Zeit später gewesen sein, als der amtierende Chef der Stadtverwaltung, der Beigeordnete Henn, zusammen mit Offizieren auf dem Altmarkt erschien, „wo inzwischen die Truppen zu kurzer Rast die Gewehre zusammengestellt hatten.“163 Er kümmerte sich um ihre Unterbringung, „so dass das Regiment 61 in der mittleren Nachmittagsstunde in die Quartiere abrücken konnte“.164 Hat er die Leichen der erschossenen Arbeiter noch gesehen?

Auch an anderen Stellen der Stadt sollen „bewaffnete Zivilisten“ standrechtlich erschossen worden sein. „Fünf Rotgardisten, welche mit der Waffe in der Hand betroffen wurden, sind an der Marktstraßenecke, nachdem ein standgerichtliches Urteil gegen sie gesprochen worden, erschossen worden.“165

Offiziell wurde bekanntgegeben, dass insgesamt bei den Kämpfen in Oberhausen 22 Menschen ums Leben gekommen seien, darunter zwei Reichswehrsoldaten. Bereits am Ostersonntag wurden elf Tote auf dem Liricher Friedhof bestattet, die anderen elf einen Tag später.166 Warum wurden die Toten so schnell begraben? Gab es Spuren von Misshandlungen, die man auf diese Weise verbergen wollte? Die „Erzählungen“ von Johann Grohnke, könnten eine Erklärung dafür bieten: Nach ihm bekannten Augenzeugenberichten wurden 22 Arbeiter von der Reichswehr erschossen oder erschlagen. Vertrauensleute hätten nur einen Teil der Leichen zu sehen bekommen. Einer der Toten sei ein Verwandter von Johann Grohnke gewesen, der als Mitglied der Arbeiterwehr Ordnungsdienst gemacht hätte; seine Waffe habe er vor dem Reichswehreinmarsch ordnungsgemäß abgeliefert. Ihm sei eine Denunziation zum Verhängnis geworden, als er am Karsamstag in Oberhausen Brot für seine Familie holen wollte. Bei der Exhumierung der Leiche habe man in seiner Manteltasche noch die Brotkarten gefunden.167

Grohnke erzählt von weiteren Greueltaten des Militärs, zum Teil mit namentlicher Benennung der Augenzeugen. Selbst wenn sich bestimmte Einzelheiten davon nicht verifizieren lassen sollten, so erscheint doch plausibel, dass es in vielen Fällen reine Denunziation war, die zu den Morden (anders kann man die „standrechtlichen Erschießungen“ nicht bezeichnen!) nach Abschluss der Kämpfe führte.

Die Morde auf dem Altmarkt haben sich in die Erinnerung der Menschen in Oberhausen tief eingegraben. Hans Müller berichtet in seiner Autobiographie168 davon. Auch ein anderer Zeitzeuge Willo Niederhoff erinnert sich an eine ergreifende Szene am Rande:

„Wie ein unbegreiflicher Traum war es, als die Erwachsenen von den Erschießungen auf dem Altmarkt erzählten. Als die Reichswehr eingriff, sah ich verwundete Rotarmisten, die flüchtend sich aus den Gefechten absetzten und versuchten, ihre Angehörigen zu erreichen. Besonders einen jungen Burschen werde ich nicht vergessen. Er kam aus der Richtung Mellinghofer Straße und ging durch die Königsberger Straße auf die Knappenstraße zu. Es war Karfreitag. Ja, ich vergesse es nicht. Ich stand auf der Knappenstraße als ich ihn kommen sah. Langsam Schritt für Schritt kam er auf mich zu und ging dann doch an mir vorbei. Keiner nahm sich seiner an. Keiner wollte in die politische Auseinandersetzung hineingezogen werden, denn niemand wusste von dem Frontverlauf, wusste nicht, ob überhaupt eine Front vorhanden war. Ich ging nach Hause und sagte es meiner Mutter. Sie hat ihn nicht gesehen, denn wir wohnten ja auf der Hofseite. ‚Wir hätten ihn verbinden müssen. Wir haben doch noch Verbandszeug von Papa.‘“169

„Erzählungen“ und „Erinnerungen“ dieser Art sind wichtig als authentische Wiedergabe dessen, was viele einfache Menschen unserer Stadt beim Einmarsch der Reichswehr erlebten. Was diese Arbeiter als „weißen Terror“ empfanden, war für sie das Schlüsselerlebnis, das viele von ihnen für immer dem Weimarer Staat entfremdete.

Die verantwortungsbewusst denkenden Führer der Arbeiterschaft, auch die Kommunisten, wussten Ende März, dass der Kampf der sogenannten „Roten Armee“ gegen die Truppen der Reichswehr und der Freikorps aussichtslos war. Tausende junger Männer in diesen aussichtslosen Kampf zu schicken, war in höchstem Maße verantwortungslos. Dieser schwere Vorwurf trifft in besonderem Maße die selbst ernannten Kommandeure der „Roten Armee“ in Oberhausen, denn außer in Hamborn wurde hier der Widerstand am längsten aufrecht erhalten.170

Die Nachwirkungen des „Ruhrkrieges“ in Oberhausen

In einigen Städten im Osten und im Süden des Reviers hatten es die Verantwortlichen erreicht, ihrer Bevölkerung die Besetzung durch die Reichswehr zu ersparen. Dort ging der Ruhrkrieg unblutig zu Ende. In Oberhausen, Sterkrade und Osterfeld gab es diese Möglichkeit anscheinend nicht, weil die radikalen Kommandeure im Westen des Reviers zur Kampfeinstellung nicht bereit waren. Aber hätten Oberbürgermeister Havenstein und seine Beigeordneten nicht wenigstens versuchen können, mit den Reichswehroffizieren zu verhandeln, wie das der Sterkrader Beigeordnete Seipel getan hatte, um vor allem die fürchterlichen Erschießungen zu verhindern?

Die Verhaftungen und Hausdurchsuchungen gingen nach dem Ostersamstag noch weiter. Allerdings sollte dies ab Mitte der Woche nur noch in Gegenwart eines gewählten Arbeitervertreters geschehen und die Verhafteten sollten vor Gericht gestellt werden. Zu diesem Zweck wurden in den nächsten Tagen Kriegsgerichte eingerichtet. Gleichzeitig gab es aber anscheinend weiter Standgerichte, denn die Zeitung berichtete detailliert über die dabei angeblich einzuhaltende Prozedur171, um die sich am Karsamstag auf dem Altmarkt die Henker aber wenig scherten!

Zwei Wochen später wurden alle Mitglieder des ehemaligen Vollzugsrates verhaftet und in das Militärgefängnis nach Wesel gebracht. In der Zeitung wurden Namen und Adressen veröffentlicht: Johann Spaniol; dessen Sohn; der Stadtverordnete Feldermann; Tenbergen; Burg; Hilder; Kilz; Schillings. Nur der Stadtverordnete Stankiewicz (USPD) blieb – aus welchem Grund auch immer – auf freiem Fuß. Während der „Amtszeit“ des Vollzugsrates (vom 21. März bis zum 2. April 1920) sollen sich nach einer gleichzeitig publizierten Bilanz folgende Straftaten ereignet haben: 80 „Bahnberaubungen“, 25 schwere „Raubanfälle“, 50 zwangsweise Requisitionen. Der Gesamtschaden wurde auf vier bis fünf Millionen Mark geschätzt. Etwa 1.000 bis 1.200 Einwohner Oberhausens sollen „am Wirken der Roten Armee […] teilgenommen“ haben. 60 davon wurden verhaftet. 400 von insgesamt mindestens 600 Gewehren „in Privatbesitz“ waren zwei Wochen nach dem Reichswehreinmarsch abgeliefert.172

Diese Bilanz enthält die – überwiegend wohl von Geschäftsleuten – gemeldeten Schäden. Ob davon alle einer gründlichen Überprüfung wirklich standgehalten hätten? Wieviele Delikte waren Bagatellfälle? Im amtlichen Bericht des Oberbürgermeisters an den Regierungspräsidenten werden erheblich niedrigere Zahlen bei den oben aufgezählten Delikten genannt. Besonders kennzeichnend ist dort auch der Satz: „Der Stadtverwaltung ist ein Betrag von 5.000 M abgefordert worden, der bis auf einen Betrag von 500 M zurückerstattet worden ist.“ Oder: „Die Beigeordneten verrichteten ihre Dienstgeschäfte weiter. Das Verhalten der Beamtenschaft sowohl der städtischen wie staatlichen Behörden war einwandfrei. Zu einem Proteststreik kam es nicht.“173 Aber am wichtigsten ist die Tatsache, dass kein einziger Personenschaden gemeldet wurde! Es lassen sich auch nicht einfach alle Plünderungen und Raubüberfälle summarisch dem revolutionären Vollzugsrat oder der „Roten Armee“ zur Last legen. Diese revolutionären Autoritäten hatten versucht, solche Vorfälle möglichst zu verhindern, wenn auch – vor allem in den abschließenden Tagen – mit immer weniger Erfolg. Aber in den eineinhalb Jahren davor hatten dies Polizei und Militär auch nicht immer geschafft. Lässt sich vor dem Hintergrund derartiger, „amtlicher“ Hinweise wirklich die Behauptung aufrechterhalten, dass die Männer, die wenig später vor Gericht standen, in Oberhausen eine „Terrorherrschaft“ ausübten?

Solche Überlegungen stellten aber die Kriegsgerichte wohl nicht an; sie verhängten in den folgenden Wochen und Monaten drakonische Strafen. Ein Arbeiter aus Oberhausen wurde beispielsweise mit sechs Jahren Zuchthaus bestraft allein für die Teilnahme an den Kämpfen vor Wesel vom 27. bis zum 30. März. „Zehn Jahre Zuchthaus erhielt ein Bergmann aus Osterfeld, der sich am 20. März dem revolutionären Vollzugsrat zur Verfügung gestellt und die Leitung einer Zeche erhalten hatte. Er hatte u. a. den Betriebsführer angewiesen, den an der Front verwundeten Leuten ihre volle Löhnung auszuzahlen, einer Witwe Möller Schweinefutter abgenommen und es an andere Leute verteilt und einem Barackenverwalter dessen Revolver abgenommen, obwohl dieser im Besitze eines Waffenscheines war.“174 Reichspräsident Ebert begnadigte später etwa ein Drittel der von außerordentlichen Kriegsgerichten verurteilten Ruhrkämpfer. Wie weit Oberhausener Arbeiter – vor allem die an Ostern „standrechtlich“ zum Tode verurteilten – in den Genuss der Begnadigung kamen, ist nicht bekannt.

Die Stadtverordneten Hasberg (USPD) und Weinert (DDP) appellierten in der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 12. April an den Reichspräsidenten, die Vollstreckung von sechs Todesurteilen zu verhindern. Aber eine Resolution dieses Inhalts haben sie anscheinend nicht beantragt, wohl weil sie keine Hoffnung hatten, eine Mehrheit zu finden. Stattdessen brachte Dr. Blumberg (DVP/​DNVP) folgenden Antrag ein: „Die Stadt Oberhausen spricht den Reichswehrtruppen für ihre Befreiung heißen Dank aus.“

Oberbürgermeister Havenstein wich der Bitte des Stadtverordneten Hasberg, bei den Militärbehörden gegen eine Vollstreckung der Todesurteile zu intervenieren, mit dem Hinweis aus, er könne „nicht den Entschließungen der staatlichen Instanzen vorgreifen“. Unmittelbar danach ging er buchstäblich zur Tagesordnung über, dem Nachtragshaushalt.175


Abb. 12: Abschied von einem Mitschüler, GA vom 7. April 1920

In der Woche nach Ostern wurden drei Reichswehrsoldaten aus Oberhausen, die bei den Kämpfen ums Leben gekommen waren, beerdigt. Keiner von ihnen war älter als 20 Jahre. In den Zeitungen erschienen große Todesanzeigen, die besser als jeder nachträgliche Kommentar vermitteln, was die Mehrheit der bürgerlichen Kreise damals empfand.176 Welch ein Kontrast zur hastigen Beisetzung der anderen Toten wenige Tage zuvor!


Abb. 13: „Oberhausener Kinder starben im jugendlichen Alter für das Vaterland“, GA vom 8. April 1920

Auch Paul Reuschs Sohn kämpfte als Zeitfreiwilliger gegen die Rote Armee. Die Sorge um seinen Sohn erklärt zum Teil die äußerst aggressiven und bitteren Kommentare des Generaldirektors der GHH zu den Vorgängen im März und April 1920. Reusch stellte die tatsächlichen Verhältnisse auf den Kopf, wenn er über die Praxis der Justiz schrieb, dass „Kapp und seine Anhänger auf das allerschärfste“ verfolgt würden, „während man Mörder, Plünderer, Räuber und all das lichtscheue Gesindel, das sich um Spartakus schart, amnestiert“ und die Soldaten, „die die Situation gerettet haben, […] mit Dreck und Kot“ bewerfe.177 Reusch hatte Anfang April in einem Telegramm an die Regierung den rücksichtslosen Einsatz des Militärs gegen die „Rote Armee“ verlangt.178

S. eindeutig die Brutalität der ▶ Freikorps- und Reichswehrtruppen verurteilt werden muss, so differenziert muss die Wertung für die Entscheidungen des Reichspräsidenten Ebert und der sozialdemokratisch geführten Regierung Bauer ausfallen. Wehler kommt zu dem Schluss, dass es eine „Alternative zum militärischen Repressionskurs“ nicht gab. Die Regierung „verteidigte verzweifelt das Monopol der physischen Gewalt und konnte der ‚Roten Ruhrarmee’ das wichtigste deutsche Industriegebiet nicht als ein gesellschafts- und verfassungspolitisches Experimentierfeld überlassen.“ Aus der Sicht der linken Arbeiter haftete den Sozialdemokraten aber danach der Makel an, „mit jenen Truppen, die soeben noch gegen den Kappschen Staatsstreich nicht kämpfen, ja ihn unterstützen wollten, paktiert und der Ruhrarbeiterschaft einen hohen Blutzoll abverlangt zu haben.“179

Die Hinterlassenschaft des Ruhrkrieges waren Misstrauen, Hass, der Abbruch jeglicher Gesprächsbereitschaft zwischen den verfeindeten Lagern. Ganz Oberhausen fieberte in dieser Zeit vor Erregung. Die Enttäuschung und Verbitterung, die sich bei den Arbeitern in eineinhalb Jahren angesammelt hatte, wurde durch immer neue Gerüchte angeheizt. Vor dem Einmarsch der „Roten Armee“ kursierten Horrormeldungen über die Zahl der bei den Kämpfen Gefallenen („Hunderte von Toten“ allein in Essen180). Die Gräueltaten der Reichswehrtruppen wurden zweifellos auch in Gerüchten aufgebauscht.181 Am Ostersamstag breitete sich im Süden der Stadt noch einmal Panik aus, als ein Gegenangriff von 3.000 (!) „Spartakisten“ befürchtet wurde. Auslöser dieser Panik war eine kleine „spartakistische Patrouille“, deren Anführer in der Styrumer Josefskirche die Einstellung des Ostergeläutes verlangt hatte.182

In einer Zeit, in der es noch keinen permanenten Geräuschpegel durch den Autoverkehr und noch keine Radios und Stereoanlagen gab, hatten Kirchenglocken eine ganz andere Bedeutung: Akustisches Signal der Hoffnung für die Einen und unerträgliche Provokation für die Anderen.183

765,11 ₽
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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
Объем:
917 стр. 146 иллюстраций
ISBN:
9783874683241
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