Читать книгу: «Nick Francis 4», страница 3

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»Haben Sie denn noch nichts von diesen entsetzlichen Morden gehört?«

»Nicht nur gehört. Als ich heute Morgen ankam, wurde gerade ein Opfer weggebracht.«

»Oh, Herr Francis, was für ein schrecklicher Anblick.«

»Viel war nicht zu sehen, die Polizei hatte alles abgeriegelt … Äh, Sie haben eben angedeutet, dass es gerade bei den U-Bahn-Stationen gefährlich ist, wieso da?«

»Na, weil die Morde doch immer da passiert sind und immer nachts.«

»Das war heute der dritte, oder?«

»Schrecklich, nicht wahr? Und dann noch die Vermissten. Da gibt es bestimmt einen Zusammenhang, so steht das auch in der Zeitung. Ich für meinen Teil werde in nächster Zeit nicht im Dunkeln vor die Tür gehen. Und Sie sind bitte auch schön vorsichtig, denn bis jetzt waren die Opfer immer junge Burschen«, sagte sie und sah mich sorgenvoll an. Anscheinend wieder eine Wirtin, bei der ich den Beschützerinstinkt geweckt habe.

»Eben, junge Burschen«, erwidere ich, »also bin ich doch aus der Nummer raus!«

»Herr Francis, Sie sind doch noch so jung.«

»Na, und Sie erst, werte Frau Gerhard! Ihre Schulzeit kann doch noch gar nicht so lange her sein.«

Lächelnd winkte sie ab und ich verabschiedete mich von der nun deutlich weniger sorgenvoll dreinblickenden Dame. Ohne mir ein schützendes Kruzifix mitzugeben, ließ diese Wirtin mich gehen.

***

Die Stimmung im Albatros war ausgelassener als am Morgen. Da war der Laden zwar ebenfalls gut besucht gewesen, aber es war doch etwas ruhiger zugegangen. Die morgendliche Trägheit hatte den Gästen noch in den Gliedern gesteckt. Jetzt war die Musik lauter und poppiger, Billy Idol schrie rebellisch aus den Boxen. Die jungen Frauen waren greller geschminkt, die Frisuren höher gesteckt und aufgeplustert, von den Hüften standen kurze Tüllröcke ab, die Beine steckten in knalligen Neon-Netzstrumpfhosen. Und um noch eins draufzusetzen, hatten viele ihre Waden mit bonbonfarbenen Stulpen geschmückt. Nietenarmbänder waren bei Jungen und Mädchen beliebt.

An den Tischen hatten sich kleine Grüppchen versammelt. Darunter waren auch einige, die schon das mittlere Lebensalter erreicht hatten und sich, wie sagt man, locker und unauffällig kleideten; so wie ich. Ein Glück, dass sich in dem Koffer normale Klamotten befunden hatten und nicht etwa irgendwelche Jacketts mit ausladenden Schulterpolstern oder so. Ich wollte gerade am Tresen Platz nehmen, als mir jemand auf die Schulter tippte.

»Ja, bitte!«, sagte ich im Umdrehen und blickte in rehbraune Augen.

»Hi, auch wieder da.«

»Oh, arbeiten Sie etwa immer noch? Oder schon wieder?«

»Nein, ich bin mit ein paar Freunden hier … Na, und haben Sie ein Zimmer bei Frau Gerhard bekommen?«

»Oh ja, vielen Dank für den Tipp, echt super da.«

»Frau Gerhard ist eine sehr nette … Ähm, wenn Sie wollen, kommen Sie doch zu uns an den Tisch. Oder sind Sie mit jemandem verabredet?«

»Nö!« Ich schüttelte den Kopf. »Bin ganz alleine hier.«

»Dann kommen Sie, ich möchte Ihnen ein paar Freunde vorstellen. Ich bin Vanessa.«

Weiß ich doch schon längst. Ich tat aber so, als wüsste ich es nicht und stellte mich ebenfalls vor: »Hallo Vanessa, ich bin Nick.«

Wir sahen uns in die Augen. Sie lächelte. Die leuchtend roten Lippen bildeten einen Kontrast zu der hellbraunen Haut. Sie griff nach meiner Hand und zog mich mit. Während ich ihr hinterher taperte, bewunderte ich die wilden pechschwarzen Locken. Unter einer engen Hose und einer ebensolchen Bluse zeichnete sich ihr makelloser Körper ab ... Halt, Stopp! Jetzt habe ich genug geschwärmt.

Also, wie war das noch? Ich taperte hinter der zierlichen Schwarzhaarigen her, bis wir einen Tisch erreichten, an dem eine Frau und zwei Männer saßen.

»Hey Leute! Darf ich euch Nick vorstellen, einen netten Kerl, den ich heute Morgen bei meiner Frühstücksschicht kennengelernt habe.«

Freundliche Begrüßungsworte schallten mir entgegen und Vanessa zeigte auf einen nach dem anderen und nannte mir die Namen:

»Also Nick, das ist Klaus, das meine Freundin und Kommilitonin Alexandra, kurz Alex, und zu guter Letzt haben wir hier noch Dirk. Er ist Koch hier im Albatros, hat aber heute seinen freien Abend. Setz dich«, bat Vanessa und wies auf den einzigen freien Stuhl, während sie sich umdrehte und am Nebentisch fragte:

»Ist der Stuhl hier noch frei?«

»Kannste haben!«

»Danke!«

Seht ihr, mit freundlichen Worten kann man auch in einer vollen Gaststätte zu einer Sitzgelegenheit kommen. Man muss nicht unbedingt jemandem den Stuhl unterm Hintern wegreißen. Sollte sich mal ein gewisser Herr Kapitän ein Beispiel dran nehmen – Aber egal! Das war in einer anderen Geschichte.

Ich fand es sehr angenehm, dass Vanessa mich von diesem Moment an duzte, gab es mir doch gleich ein Dazugehörigkeitsgefühl und es schmeichelte mir sehr, denn ich kam mir gleich viel jünger vor. Doch zurück zu den Anwesenden. Wie dieser Klaus, den ich irgendwo schon mal zu sehen geglaubt hatte, ich wusste nur nicht wo. Doch als er erzählte, dass er Journalist sei, fiel es mir sofort wieder ein. Er war der dauergewellte Schnurbartträger, den ich am Morgen zusammen mit dem anderen Journalisten am Tatort gesehen hatte.

»Ich bin vom ersten Tag an der Story dran und bin mir sicher, dass uns die Polizei einiges verschweigt.«

»Was sollen die uns schon so Wichtiges verschweigen?«, meinte Vanessa, »glaubst du immer noch, dass es sich um Ritualmorde handelt?«

»Alles, was ich rausbekommen habe, spricht dafür. Zum Beispiel das mit dem geklauten Wolf aus dem Tierpark. Kurz danach fingen die Morde an. Die Polizei streitet natürlich ab, dass der Wolf was mit der Sache zu tun hat.«

»Hat der Wolf deiner Meinung nach auch die anderen Studenten entführt?«, fragte Vanessa spitz.

»Wenn du rechnen könntest, meine Liebe, wüsstest du, dass das nicht angehen kann, da der erste Student verschwand, als der Wolf noch in seinem Käfig saß. Aber im Ernst, ich bin mir ziemlich sicher, dass die Nightstalker für das alles verantwortlich sind.«

»Nightstalker?«, murmelte ich.

»Das ist eine sektenartige Satansgemeinschaft. Die Jünger der Nacht, wie sie sich auch nennen, bilden sich ein, sie könnten sich in alles Mögliche verwandeln. Der Wolf ist ihr Maskottchen. Sie tragen schwarze Klamotten und schmieren ihre Gesichter weiß an. Leider fehlen mir noch tatkräftige Beweise, die sie mit den Morden in Verbindung bringen, ansonsten hätte ich in meinem Artikel schon längst konkrete Andeutungen gemacht. Aber bald ist es so weit … verlasst euch drauf.«

»Schreibst du fürs Abendblatt

»Ganz recht! Hast du meinen Artikel in der Ausgabe heute gelesen?«

»Zeile für Zeile!«

Ich überlegte, dann zog ich das Amulett aus der Tasche.

»Hier, kannst du damit was anfangen?«

Klaus nahm es in die Hand, wiegte den Kopf und meinte schließlich:

»Interessant, ein umgekehrtes Pentagramm, das Symbol für Okkultismus und Satanismus. Wo hast du das her?«

»Habe ich in der Nähe der letzten Leiche gefunden.«

»Seht ihr, ein Beweis für meine Vermutung. Jetzt kann ich meinem nächsten Artikel den rituellen Hintergrund verleihen: Satanisches Symbol bei Leiche gefunden.«

»Na ja, nun nicht gerade bei der Leiche.«

»Das ist Journalismus, wir werden uns hier doch nicht um ein paar Meterchen streiten«, grinste er zufrieden.

Er gab mir das Amulett zurück, musterte mich und fragte:

»Hast du Lust, mich morgen zur Pressekonferenz zu begleiten?«

»Das wäre bestimmt sehr interessant, aber ist das nicht nur für Journalisten?«

»Kein Problem! Komm mal kurz mit.«

Mit einem Fragezeichen im Gesicht folgte ich Klaus.

»Stell dich da mal an die Wand.« Er zückte seinen Fotoapparat und schoss ein Bild von mir. Danach tat er sehr geheimnisvoll. Zurück am Tisch unterhielten wir uns weiter über dies und das, bis Alex auf ihre Uhr schaute:

»Ach du Schande, schon halb elf! Ich muss los, morgen habe ich einen anstrengenden Tag, und du solltest auch los, Vanessa, denk an die Vorlesung morgen früh.«

»Du hast wie immer recht. Würdest du nicht auf mich aufpassen, würde ich wohl sämtliche Vorlesungen verpennen.«

»Oder verquatschen,« meinte Klaus und Vanessa streckte ihm die Zunge raus. »Bäh!«

»Ich sollte auch los«, sagte Dirk, »morgen um sechs muss ich wieder in der Küche stehen. Frühstücksschicht, das bedeutet jede Menge Rührei mit Krabben … Was ist, Alex, teilen wir uns ein Taxi?«

»Gerne, aber jeder fährt in seine eigene Wohnung, du weißt, wie sonst die Nacht endet, und wir beide kriegen morgen früh kein Auge auf.«

»Ja, ja, verstehe – hast ja recht!«, murmelte Dirk und machte ein enttäuschtes Gesicht.

»Und du, Vanessa, wie kommst du nach Hause?«, fragte ich fürsorglich.

»Ich wohne nur zwei U-Bahn-Stationen von hier entfernt.«

»Ist das nicht ein bisschen gefährlich, so allein und schutzlos? Wenn man den Medien Glauben schenken darf«, ich lächelte zu Klaus hinüber, »kann es jeden jederzeit treffen«, ich schaute zurück zu Vanessa, »darum würde ich mich anbieten, dich nach Hause zu begleiten.«

»Aber die Opfer sind doch männlicher Natur«, entgegnete sie.

»Das kann sich schnell ändern. Die Jünger der Nacht warten schon«, mischte sich Klaus ein.

»Du Idiot, aber vielleicht habt ihr recht«, sagte sie und runzelte die Stirn. Dann schaute sie mich so prüfend an, als würde ich mich bei ihr um einen Modeljob bewerben. »Na ja, als Bodyguard könntest du gerade noch so durchgehen.«

***

Die zwei U-Bahn-Stationen hatten wir schnell hinter uns gebracht und so stand ich schon bald mit Vanessa vor einem Mehrfamilienhaus.

»Da wären wir! Hier wohne ich im vierten Stock. Danke, dass du mich begleitet hast.«

Ein Kuss auf meine Wange unterstrich ihre Dankbarkeit.

»Bist du morgen Abend wieder im Albatros

»Wenn du auch da bist, würde ich gerne kommen.«

»Super, so gegen acht könnte ich da sein.«

»Super, ich freue mich! Dann bis morgen Abend und gute Nacht, Vanessa.«

»Gute Nacht, Nick«, sagte sie, drehte sich in Richtung Haustür, steckte den Schlüssel ins Schloss und drückte die Tür auf. Dann drehte sie sich noch mal zu mir um, lächelte und verschwand im dunklen Hauseingang, wo gleich darauf das Licht anging. Durch das Glas der Haustür sah ich ihren Schatten die Treppe hinaufsteigen.

Ach, ich finde es hier ganz nett in Hamburg.

Mit geküsster und nun erröteter Wange stiefelte ich durch den Schnee zurück zur U-Bahn. Die Rückfahrt verbrachte ich mit zwei lallenden Punkern, einem Rentnerehepaar und drei kichernden Teenies. Wieder am Gänsemarkt traf ich auf drei ganz in Schwarz gekleidete Typen und eine Typeline, die mit einem von den Kerlen Händchen hielt. Ihre Gesichter waren weiß geschminkt, die Lippen und Augenränder schwarz. Auch klamottentechnisch glichen sich alle, bis auf die Beinkleidung. Statt der schwarzen Jeans trug das Mädchen schwarze Leggins und darüber einen schwarzen Rock. Der Längste von den drei Kerlen, der mit dem Mädchen an der Hand, hatte seinen schwarzen langen Ledermantel nicht ganz geschlossen und auf seiner Brust hing ein Pentagrammamulett. Vielleicht ist das Ding hier Mode und hat nichts zu bedeuten … Oder das sind Leute von dieser Sekte, von der Klaus erzählt hat. Diese, wie hat er sie noch genannt? Nightstalker!

Die Gruppe in Schwarz setzte sich auf die Rückenlehne einer Bank, die Füße stellten die vier auf die Sitzfläche, die von einer dünnen Schneedecke überzogen war. Sie kramten Bierdosen aus ihren Rucksäcken, rissen sie auf und zündeten eine selbstgedrehte Zigarette an, die aussah wie eine Miniaturschultüte. Wir können uns wohl denken, was da für eine Mischung eingerollt war. Die Tüte machte die Runde, als mich plötzlich einer der vier lallend anpöbelte:

»Was glotzt‘n so? Willste was aufs Maul?!«

»He, halt dich zurück, Tarek«, meinte der Lange und griff den Pöbler am Arm.

»Was ist, Judas, der Typ gefällt mir nicht!«, lallte Tarek, der als Einziger einen schwarzen Bürstenhaarschnitt trug. Die schwarzen Haare der anderen waren mehr oder weniger lang und glatt. Dieser Tarek hatte ein breites Kreuz und schien ganz schön muskelbepackt zu sein, so viel konnte ich trotz des Mantels erkennen. Ich antwortete ruhig: »Ich will keinen Ärger haben, Freunde, bin schon weg.«

»Wir sind nicht deine Freunde – klar?!«, fauchte die Tante nicht weniger lallend.

»Genau, lauf nach Hause zu Mutti – du blöder Wichser!«, setzte Tarek noch nach. Der Große, den sie Judas nannten, war vermutlich der Einzige von ihnen, der noch einigermaßen klar im Kopf war. Der dritte Kerl im Bunde schien schon völlig weggetreten zu sein. Der spindeldürre, etwas zu kurz geratene Jüngling kippte plötzlich von der Bank nach hinten in den Schnee.

»Oh Mann, Roger, was treibst du da wieder?«, fragte das Mädchen, und während sich alle um den im weißen, kühlen Nass liegenden Roger kümmerten, setzte ich meinen Heimweg fort. Auf eine weitere Unterhaltung oder gar eine Auseinandersetzung mit diesen Schreckgespenstern konnte ich gern verzichten.

»Ja, verpiss dich Alter!«, grölte Tarek hinter mir her.

Jo, du mich auch!

Kapitel 2 Über die Dächer von Hamburg

Das Rattern meines Reiseweckers beförderte mich aus dem Sandmännchenreich ins Hamburgreich. Gemächlich rappelte ich mich auf. Um zehn Uhr sollte die Pressekonferenz beginnen. Genug Zeit um mir eine warme Dusche zu gönnen. Ich fühlte mich richtig wohl in meinem Pensionszimmer. Nun gut, es war keine Fünf-Sterne-Suite, aber im Vergleich zu meinen sonstigen Unterkünften war es doch fürstlich.

Nachdem ich mich für den Tag fertig gemacht hatte, servierte mir in der Gaststube eine nette Dame mittleren Alters ein Frühstück. Schade, dass heute nicht Samstag ist. Ich fühlte mich geborgen wie bei Großmuttern. Dementsprechend sah auch die Einrichtung aus. Rustikale Möbel, holzvertäfelte Wände waren mit Stickbildern, die sich hinter Glasrahmen verbargen, verziert und gehäkelte Deckchen schmückten die Tische. Der Dielenboden knarrte unter den Füßen. Es roch nach kaltem Rauch und altem Holz, aber nicht unangenehm, eher gemütlich, eben alt, selbst für 1982. Ich fühlte mich in die Fünfziger- oder Sechzigerjahre versetzt.

Klaus stand mit einigen anderen Reportern vor dem Polizeipräsidium, das sich im sogenannten Berliner-Tor-Center befand. Es gab keinen Hals, der nicht mit einer Kamera behängt war, und keinen Mund, in dem nicht eine Zigarette qualmte. Als Klaus mich sah, löste er sich aus der Gruppe.

»Moin Nick!«

»Moin Klaus.«

»Hier, für dich.«

Ich nahm eine Karte entgegen und warf einen Blick darauf.

»Ah, dafür war das Foto … oh, danke, du hast mich fünf Jahre jünger gemacht.«

»Oh, bitte, keine Ursache. Ich musste mir heute Morgen schnell ein Geburtsdatum für deinen Presseausweis ausdenken – Herr Kollege!« Er zwinkerte verschwörerisch.

Plötzlich brach Hektik unter den Journalisten aus und sie hasteten zum Eingang.

»Es geht los! Auf in die Arena«, meinte Klaus und schnippte seine Zigarette in den Schnee.

Die Kontrolleure warfen nur einen flüchtigen Blick auf den Presseausweis und so war es keine große Sache, an ihnen vorbeizukommen. Es gelang uns, Plätze in der zweiten Sitzreihe zu erkämpfen. Noch unterhielten sich die Anwesenden und gestikulierten wild durcheinander, bis sich nach einer Weile eine Tür öffnete, und zwei uniformierte Politeibeamte und drei in Zivil den Raum betraten. Sie nahmen an dem länglichen Tisch vor uns Platz. Die Presseleute verstummten.

»Guten Morgen, meine Damen und Herren, mein Name ist Müller, die meisten von Ihnen kennen mich sicher, ich bin der Pressesprecher der hiesigen Polizei. Rechts neben mir sitzt Hauptkommissar Wallace und daneben der Gerichtsmediziner Dr. Kleinschmidt.«

Dann stellte er noch die beiden Grünen vor, deren Namen ich aber gar nicht mitbekam. Ich konzentrierte mich voll und ganz auf diesen Wallace, einen großen, schlanken, ernst dreinblickenden angegrauten Mann, den ich ja schon am Tatort hinter der Absperrung gesehen hatte. Er trug wieder diesen grauen Mantel und den Hut. Den Mantel behielt er an, er wollte wohl kein langes Kaffeekränzchen abhalten. Den Hut ließ er auf den Tisch fallen. Wo habe ich den Mann schon mal gesehen? Der Pressesprecher erteilte Wallace das Wort:

»Nun wird Ihnen Hauptkommissar Wallace einige Einzelheiten von den Morden berichten.«

»Guten Morgen«, begann der Angesprochene und schon bei diesen beiden Worten merkte man, dass er wenig Lust hatte, sich hier mit uns abzugeben. Routiniert begann er:

»Wie Sie alle wissen, haben wir es jetzt mit dem dritten Mord zu tun, und nach neuesten Erkenntnissen können wir davon ausgehen, dass es sich um einen Serienmörder handelt.«

»Wie kommen Sie zu dieser Annahme? Wurden die Opfer alle gleichermaßen zugerichtet?«, rief einer dazwischen.

»Würden Sie mich bitte ausreden lassen, ich wollte gerade Dr. Kleinschmidt bitten, dazu etwas zu sagen.«

»Die Opfer weisen alle die gleichen Verletzungen auf, das ist richtig«, setzte der Gerichtsmediziner an und wurde auch prompt unterbrochen.

»Und welche genau?«

»Schnittverletzungen am Hals und am Körper.«

»Was ist mit der Tatwaffe?«, rief Klaus dazwischen.

»Vermutlich wurden die Morde mit so etwas begangen«, antwortete der Gerichtsmediziner, holte aus einer Aktentasche eine Art Handschuh mit Kralle heraus und hielt ihn für alle gut sichtbar in die Luft. Plötzlich brach ein Blitzlichtgewitter über den Handschuh herein.

»Was ist das?«, fragte einer.

»Sieht aus wie eine Kletterkralle. Wollen Sie uns etwa weismachen, dass Ninjas hier ihr Unwesen treiben?«, rief ein anderer.

»Nein, natürlich nicht! So eine Kralle bekommt man in jedem Sportgeschäft.«

»Könnten die Wunden auch von Tierkrallen verursacht worden sein? Oder könnte es sich auch um Bissverletzungen handeln?«, fragte Klaus. Der Hauptkommissar antwortete:

»Ich weiß, dass Sie, Herr Faller, da eine ganz spezielle Theorie verfolgen, aber seien Sie doch mal realistisch. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wolf hier in Hamburg längere Zeit frei und vor allem unbemerkt herumlaufen kann? Außerdem wurde nichts gefunden, was darauf hinweist, dass sich ein Hund, geschweige denn ein Wolf in der Nähe der Leichen aufgehalten hat.«

»Und was sagen Sie dazu, dass in der direkten Nähe …« Klaus stupste mich an und flüsterte: »Hast du das Amulett dabei?«

»Was war in direkter Nähe? … Herr Faller! Wir warten!«, drängte der Kommissar.

Ich holte das Amulett aus meiner Jackentasche und gab es Klaus, der es sogleich triumphierend hochhielt.

»Hier, dieses Amulett, ein satanisches Symbol, lag in der Nähe des Fundortes!«

»Ach, Ihr Lieblingsthema, Herr Faller. Wölfe, Satanismus, Okkultismus, Ritualmord. Wir haben doch schon einmal darüber gesprochen und es ist nichts dabei herausgekommen.«

»Weil Sie es so wollen!«

»Herr Faller, ich halte mich an Fakten und dieses Ding ist kein Beweis. Wo und wann haben Sie es denn überhaupt gefunden?«

»Gestern, ganz in der Nähe der Leiche, nachdem ihre Kollegen alles untersucht hatten und die Leiche weggeschafft worden war.«

»Also kann es auch jemand danach verloren haben?«

»Das dachte ich mir, dass Sie das sagen würden!«

»Denken Sie, was Sie wollen. Wir suchen nach Beweisen, um den Mörder zu finden. Wir jagen keinen Obskuritäten nach.« entgegnete der Kommissar scharf und ließ sich nach hinten gegen die Stuhllehne fallen und öffnete den Mantel.

»Und was ist mit den vermissten Personen? Sind Sie da endlich weitergekommen? Gibt es eine Verbindung zwischen denen und einem der Toten?«, fragte eine Journalistin aus einer der hinteren Reihen.

»In den verschiedenen Abteilungen des Dezernats wird auf Hochtouren gearbeitet«, wich Hauptkommissar Wallace aus.

»Ist das Ihre Antwort? Sollen wir unseren Lesern mitteilen, dass die Polizei auf Hochtouren arbeitet, nur leider im Leerlauf?«, konterte sie.

In das darauf folgende spöttische Gelächter rief ein aufgebrachter Journalist:

»Oder haben sich Ihre Abteilungen schon mit dem Tod der Verschwundenen abgefunden und Sie warten jetzt nur darauf, dass aufmerksame Bürger die Jungs finden?«

»Da es sich um einen Serientäter handelt, ist es doch wohl offensichtlich, dass die Verschwundenen auch tot sind«, rief ein Journalist aus der ersten Reihe. »Serientäter? Oder waren es doch Ninjas?«, rief ein anderer. Einige lachten, selbst die Herren vor uns am Tisch konnten sich ein schmunzelen nicht verkneifen. Nur der Kommissar blieb regungslos mit versteinerter Miene. Ein weiterer Journalist forderte: »Geben Sie es doch zu, Herr Hauptkommissar, Sie haben gar nichts und rätseln nur rum!«

Der Pressesprecher mahnte:

»Bitte, mäßigen Sie sich und lassen Sie den Herrn Hauptkommissar in Ruhe sprechen.«

Der Hauptkommissar ergriff wieder das Wort: »Wir haben bis jetzt noch keinen Anhaltspunkt, der uns zu dem Täter führt, das ist richtig. Die Wetterlage macht es uns unmöglich, brauchbare Spuren zu finden. Dieser ständige Schneefall und dann wieder das Tauwetter … und die Autopsien haben bis jetzt ebenfalls keinen Hinweis auf einen Täter ergeben, und auf die Auswertung des letzten Opfers warten wir noch. Mehr habe ich diesem Thema momentan nicht hinzuzufügen, und Sie, meine Damen und Herren, haben jetzt mehr als genug Material für Ihre weiteren spekulativen Schmierereien.«

Ende des Monologs, Abgang des Hauptkommissars. Der Gerichtsmediziner und die uniformierte Dekoration folgten.

Natürlich schwappte noch ein Schwall Fragen von den aufgebrachten Reportern hinter ihnen her, doch die blieben unbeantwortet im Raum stehen. Der Pressesprecher brauchte einige Minuten, um die Journalistenmeute zur Räson zu bringen. Dann sagte er:

»Sie haben Hauptkommissar Wallace gehört, es ist alles gesagt worden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag.«

»Na, die haben sich ja wieder geschickt aus der Affäre gezogen«, meinte Klaus.

»Mmh«, meinte ich und fragte: »Was hältst du von dem Ganzen?«

»Bullshit! Dass ich nicht lache. Die wollen doch nur, dass die Leute nicht hysterisch werden. Sobald von Ritualmorden und einem wilden Wolf die Rede ist, werden alle ausflippen und auf die Jagd gehen. Da haben sie sich dann für das kleinere Übel entschieden, den Serienmörder. Ich bin mir sicher, die wissen mehr als sie zugeben. So blöd, wie die tun, sind sie nicht. Denn was haben wir schon erfahren? … ich sag‘s dir: Gar nichts!«

»Okay, wenn du meinst, dass uns der Kommissar etwas verschweigt, sollte ich dann nicht einmal versuchen, persönlich mit ihm zu sprechen? Er kennt mich nicht, ich könnte mich als Autor ausgeben und behaupten, dass ich an einem Buch über die verschiedenen Arten zu morden arbeite. Ein Sachbuch darüber, wozu Menschen fähig sind − das macht bestimmt Eindruck.«

»Wallace hat dich doch sicher eben gesehen.«

»Und wenn schon. Das war für meine Buchrecherche. Ich werde ihm gestehen, dass ich mich mit einem falschen Ausweis reingeschlichen habe. Oder ist das strafbar?«

»Ich glaube nicht, das gilt vielleicht als grober Unfug und du kommst mit fünfundzwanzig Mark Strafe davon!« Er grinste. »Also gut«, meinte er mit einem Blick zur Uhr, »ich muss jetzt dringend in die Redaktion, meine Schreibmaschine wartet schon auf mich. Komm doch heute Abend ins Albatros, da kannst du dann berichten, was du bei Wallace erreicht hast.«

»Ich bin sowieso da, ich habe eine Verabredung.«

»Oh! Wer ist die Glückliche?«

»Wieso glaubst du, dass es eine Frau ist?«

»Wozu ist man denn Reporter? Man hat eben seine Quellen … Also, bis dann!«

***

Nach einem Teller Linseneintopf, den ich zur Mittagszeit bei Frau Gerhard weggeputzt hatte, fuhr ich zurück zum Polizeipräsidium. Nach der Pressekonferenz hatte ich den Kommissar nicht mehr angetroffen, ich hoffte darauf, jetzt mehr Glück zu haben. Der Mann am Empfang wollte mich sofort wieder wegschicken. Er sagte, dass der Herr Hauptkommissar nicht im Hause sei. Doch das Glück war auf meiner Seite. Denn der Mann hatte seinen Satz gerade beendet, als der Kommissar durch den Haupteingang schritt. Hatte der Pförtner doch nicht gelogen, ich hatte ihm glatt unterstellt, dass er mich angeschwindelt hatte, nur damit ich mich vom Acker machte. Pfui Nick, so etwas von einem deutschen Staatsdiener auch nur zu denken.

»Da kommt er doch«, sagte ich sogleich.

»Na, schön, versuchen Sie Ihr Glück.«

»Moin Otto«, grüßte der Kommissar im Vorbeigehen. Ich war für ihn anscheinend Luft. Trotzdem sprach ich ihn an:

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Hauptkommissar. Könnte ich Sie einen kleinen Augenblick sprechen?«

Er blieb stehen und drehte sich zu mir. »Ich habe bereits alles auf der Pressekonferenz gesagt und dem nichts hinzuzufügen.«

»Das sagten Sie, aber lassen Sie mich doch erklären. Ich bin kein lästiger Reporter, ich bin ein sehr korrekt recherchierender Buchautor. Mein Name ist Nick Francis, ich arbeite gerade an einem Buch über Mordarten. Darüber, wie sie entstehen und wie man sich vor ihnen schützen kann. Und ich dachte, dass Sie mir da ein paar Fragen beantworten könnten.«

»Und wie sind Sie in die Pressekonferenz gekommen, wenn Sie kein Journalist sind? Doch nur mit einem Presseausweis.« Der Kommissar grinste, als hätte er mich einer Lüge überführt.

»Ganz einfach, hiermit!« Ich zauberte das gefälschte Papier vor die Kommissarnase. Prüfend warf er einen Blick auf das Dokument, dann auf mich:

»Und mit diesem selbst gebastelten Teil sind Sie tatsächlich reingekommen?«

»Sie wissen doch, was das für ein Gedränge war. Die Reporter haben die Dinger hochgehalten und sind einmarschiert.«

»Also kein Journalist … Buchautor … was haben Sie denn schon so veröffentlicht?«

»Also, äh, drei Abenteuergeschichten, aber das war woanders. Wenn ich es recht bedenke, ist es hier mein erstes Buch, und es soll auch ein seröses Sachbuch sein, kein schnöder Krimi«, winkte ich ab.

Der Kommissar musterte mich stumm und ich hatte das Gefühl, dass ich bei ihm verschis… hatte. Vielleicht hatte ich mich zu dämlich angestellt. Er fühlte sich bestimmt verarsch… Doch zu meiner Verwunderung ließ er mich nicht von Otto, der mit gespitzten Ohren in seinem Glaskabuff hockte, rausschmeißen.

»So, so, und da meinen Sie, dass diese Morde hier bei uns gut in Ihr Buch passen würden?«

»Warum nicht? Und da liegt es doch nahe, so jedenfalls meine Überlegung, dass ich mal mit jemandem spreche, der sich mit so etwas praktisch auseinandersetzt und nicht nur wie ich theoretisch.«

»So, das war Ihre Überlegung! Nun, hören Sie, Sie sind einer von vielen, die mich täglich mit Fragen löchern und ich sage allen das Gleiche. Lesen Sie die Presseberichte, denn dazu sind sie da. Die werden auch Ihnen bei Ihrem Projekt weiterhelfen. Lassen Sie mich gefälligst in Ruhe meine Arbeit machen. Ich hab seit gestern den dritten ungeklärten Mord und ein Ende ist nicht in Sicht. Also, junger Freund, wenn Sie mit mir reden wollen, dann nur, wenn Sie etwas zu den Taten sagen können. Wenn Sie Hinweise gefunden haben, abgesehen von irgendwelchen nichtssagenden Schmuckstückchen, dann lassen Sie es mich wissen, ansonsten wünsche ich Ihnen einen schönen Tag, und unterstehen Sie sich, sich noch einmal in eine Pressekonferenz einzuschleichen.« Mit diesen Worten drehte er sich um und erklomm die Treppenstufen.

Wenn ich mit ihm reden will, soll ich ihm also etwas sagen. Hat er mir jetzt den Auftrag erteilt, zu ermitteln? Ich finde, schon. Der Ansicht seid ihr doch auch – oder? Also aye, aye Kapitän Quinn, wie ich in einer anderen Geschichte zu dem Mann gesagt hätte, denn inzwischen dämmerte mir, an wen mich dieser Wallace erinnerte.

Während ich so dastand und dem davonsteigenden Kommissar nachschaute, spielte ich mit dem Amulett in meiner Jackentasche. Die Spekulationen von Klaus reichten also nicht, und dem Kommissar reichte es, davon zu hören. Ich brauchte richtige Beweise. Für den Moment war ich trotzdem zufrieden mit mir. Ich wünschte Otto noch einen schönen Tag und verließ das Gebäude in der Überzeugung, dass ich von Hauptkommissar Wallace persönlich den Auftrag erhalten hatte, in der Sache zu ermitteln.

Achtung! Kleine Randnotiz: Ab jetzt werde ich der Einfachheit halber von Kommissar Wallace reden. Das Haupt lasse ich unter den Tisch fallen, so wie ich es stellenweise schon getan habe. Auch wenn das dem Herrn Hauptkommissar nicht gefallen würde, denn darin ist er pingelig, wie ihr noch merken werdet. Aber mir muss er es wohl oder übel verzeihen.

***

An einem Imbiss in der Nähe des Tatortes verdrückte ich eine Currywurst mit Pommes und Mayonnaise und spülte beides mit einem Bier runter. Wenn nicht einige Passanten auf dem Platz stehen geblieben wären und dorthin gedeutet hätten, wo die Leiche gelegen hatte, um dann ihrer Begleitung etwas ins Ohr zu tuscheln und dabei das Gesicht vor Entsetzen zu verziehen, hätte nichts auf das schaurige Schauspiel hingedeutet, das sich hier im Morgengrauen des Vortages abgespielt hatte.

Während ich das Bier austrank, ließ ich meinen ersten Abend in Gedanken Revue passieren. Natürlich auch das Küsschen von Vanessa, das ich noch immer auf meiner Wange spürte. Dann war da noch die etwas unschönere Begegnung mit den drei schwarz gekleideten Gentlemen und ihrer First Lady. Ich holte das Amulett aus der Jackentasche und betrachtete es in meiner Handfläche. Ist es Zufall, dass einer der Typen genauso eines hatte? Wenn ich doch nur etwas Brauchbares für den Kommissar rausbekommen könnte! Etwas, was ihn überzeugt. Dann stünde einer Zusammenarbeit sicher nichts mehr im Wege, und er würde mir bestimmt so einiges erzählen, worüber er in der Pressekonferenz geschwiegen hat. Quid pro quo, oder wie heißt es so schön? Jedenfalls muss ich diesen Fall lösen, da es wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für mich ist, wieder nach Hause zu kommen.

Kleine Anmerkung für diejenigen unter euch, die zum ersten Mal dabei sind: Die anderen Geschichten musste ich auch immer bis zum Ende durchleben, also bis sich alles in irgendeiner Form aufgeklärt hat. Erst dann erwachte ich wieder in meinem Bett. Und nun weiter im Text:

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22 декабря 2023
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9783981431391
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