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Kraftvolle Bilder und Vergleiche für die Dynamik gegenwärtiger Kirchen- und Gemeindeentwicklung

Unsere Kirche ist nicht mehr das „Haus voll Glorie“, nicht die aus „ewigem Stein“ erbaute Festung und Trutzburg des Glaubens, die sicher, unnahbar und uneinnehmbar „oben“ auf einem Felsen thront: Sie ist pilgerndes Gottesvolk, die „unten“ bei den Menschen lebt und mit ihnen geht durch die Niederungen menschlicher Existenz. Dort, wo „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art“ (II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution, n. 1) zuhause sind, dort schlägt sie ihre Zelte auf, die man auch wieder abbrechen und anderswo aufbauen kann. Kirche bleibt nicht stehen, sie zieht mit. „Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die in Christus geeint auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden“ (ebd.)

Unsere Kirche ist nicht wie ein unbeweglicher Felsblock, an dem die Strömungen der Zeit vorbeifließen. Sie hat diese Strömungen als „Zeichen der Zeit“ zu erforschen und im Licht des Evangeliums zu deuten (vgl. Pastoralkonstitution, n. 4) und als Folge daraus auch ihre Gestalt zu verändern.

Unsere Kirche ist nicht ein mit Kanonen besticktes Kreuzzugsschiff, das ausläuft, um die Feinde des Glaubens zu besiegen. Sie ist aber auch kein Luxusdampfer, auf dem religiöse Bedürfnisse von wohlhabenden Individualisten befriedigt werden. So bequem darf Kirche nicht zu haben sein.

Kirche, wie sie sich heute vielerorts in der Weltkirche darstellt, ist eine „Kirche der Armen“, eine „Kirche der kleinen Leute“ und ist als solche oft recht armselig unterwegs.

Sie segelt meist auf unruhigen Gewässern. Sie bemüht sich Kurs zu halten, kämpft sich durch die Wellen und dreht sich manchmal im Kreis. Sie ist meist auf kleineren, und nicht immer sehr seetüchtigen Schiffen und Booten unterwegs. Aber sie nimmt doch die Schiffbrüchigen aller Art an Bord und verwirklicht vor allem dadurch eine Mission, die Jesus Christus ihr vorgelebt hat.

Unsere Kirche ist keineswegs überall „im gleichen Schritt und Tritt“ auf dem Weg, auch wenn manche in ihr das entschieden fordern. Sie marschiert nicht nach den Takten eines römischen Einheitsmarsches und funktioniert nicht auf Kommando einer zentralen Kirchenleitung.

Sie tanzt vor Ort nach den Klängen lokaler Gesänge und Musikinstrumente. Und sie tanzt oft in mehrfachem Sinn aus der Reihe. Sie nimmt die Lebensfreude und Lebenssehnsucht der Menschen wahr und feiert mit ihnen.

Sie hört aber besonders auch auf die vielen Schreie der Armen und Unterdrückten dieser Erde und macht sich zur Stimme derer, die keine Stimme haben. Sie hat ein Ohr für die lauten und leisen Töne menschlicher Not und Verzweiflung. Ihre Gemeinden vor Ort kennen diese Musik und machen sie zu Gottes Melodie und zu ihrer Kirchenmusik.

Unsere Kirche serviert die erlösende und befreiende Botschaft des Evangeliums und ihre Tradition des Glaubens nicht als Eintopf und Einheitsbrei. Sie verleiht ihrer Glaubensverkündigung durch die Verwendung lokaler Gewürze einen je eigenen Geschmack.

Geht Kirche noch? Ja, wenn sie zu den Menschen geht

Ja, sie geht nur dort in den Spuren Jesu, wo sie – wie er – zu den Menschen geht, wo der „Weg der Kirche der Mensch“ (Johannes Paul II.) ist. Kirche geht dort, wo sie bei Jesus Christus und seinem Evangelium in die Schule geht. Sie bleibt dort am Leben, wo sie am Leben bleibt, am Leben der Menschen dran bleibt. Wo sie sich vom Menschen entfernt, wird sie bedeutungslos und stirbt.

Wie das geht und vor Ort gehen kann, das leben uns in der Kirche von heute Millionen kleiner christlicher Gemeinschaften vor. Es ist gut, ja lebensnotwendig für die Kirche in Deutschland und im deutschsprachigen Raum, dass wir uns in der Kirchen- und Gemeindeentwicklung vor Ort im Vertrauen auf das schöpferische Wirken des Geistes Gottes etwas sagen lassen und neue Wege gehen. „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt“ (Offb 2, 7) – diese siebenmal wiederkehrende Aufforderung und Ermutigung an die Gemeinden am Ende des 1. christlichen Jahrhunderts, wie sie uns in der Offenbarung des Johannes begegnen, sind auch Aufforderung und Ermutigung an dieses Symposion.

Was wir voneinander hören, was wir uns gegenseitig an lokalen Kirchen- und Gemeindeentwicklungen mitteilen, kann unserer Kirche „Beine machen“, bringt uns als Kirche zum Gehen. Verfallen wir aber nicht einem gemeindetheologischen praktischen Atheismus und Pragmatismus, in der wir unsere Kirche nur als das Ergebnis von Kirchendisziplin und Strukturreformen neu erfinden und „produzieren“ wollen, „etsi Deus non daretur“ – „als ob es Gott nicht gäbe“. Vergessen wir nie, dass in unserer Kirche nicht nur Menschengeist weht, sondern der Geist Gottes in ihr und in ihren Gemeinden am Werk ist, dass unser Bruder und Herr Jesus Christus – wie mit den Jüngern von Emaus – mit uns geht und zu uns steht. Ihm und seinem Geist verdanken wir letztlich die Dynamik lokaler Kirchenentwicklung.

Franz Weber, geboren 1945, ist Professor für interkulturelle Pastoraltheologie und Missionswissenschaft an der Universität Innsbruck. Als Combonimissionar verfügt er über eine reiche Erfahrung im Bereich der Kirchlichen Basisgemeinden in Lateinamerika, Asien und Afrika. Häufige Veröffentlichungen zum Thema. Grundlegend: Weber, Franz; Fuchs, Ottmar (2007): Gemeindetheologie interkulturell. Lateinamerika – Afrika – Asien. Mainz a. Rhein: Matthias-Grünewald-Verlag (= Kommunikative Theologie 9).

Valentin Dessoy

Kirche könnte gehen …

Kirche ist Organisation und „braucht Organisation um ihrer selbst willen“ (Lames 2012, 228). Als Organisation verkörpert Kirche symbolisch den Ursprung: Bekenntnis und Auftrag Jesu Christi werden in der Welt sichtbar. Zugleich verweist sie zeichenhaft auf das angebrochene Reich Gottes (vgl. Lames 2012). Erinnerung und Verweis auf Dauer zu stellen, ist die Kernfunktion von Kirche als Organisation.

Systemisch betrachtet, kann Kirche diese Aufgabe nur dann realisieren, wenn sie sich mit ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Umwelt koppelt. Kirchenentwicklung, die Entwicklung der Organisation Kirche, ist unabdingbar, sofern sich Gesellschaft verändert. Der vorliegende Beitrag fokussiert Kirche als Organisation, soll die Fremdperspektive eintragen. Basierend auf sozialwissenschaftlichen Konzepten und ausgehend von Erfahrungen aus kirchlichen Entwicklungsprozessen werden Kriterien skizziert, wie Kirche als Organisation in Bewegung kommen und bleiben kann.

1. Was passiert, wenn Kirche geht

Zunächst drei Vorbemerkungen zum Stichwort „gehen“, um die Grundrichtung zu skizzieren.

(1) Kirche entsteht

Für Kirchenmenschen ist es provokativ, für Systemiker dagegen selbstverständlich: Es gibt – für uns endliche Menschen könnte man einschränkend sagen – keine Wirklichkeit an sich.

Systeme, Wirklichkeit und damit auch Wahrheit im semantischen Sinn – jenseits logischer Widerspruchsfreiheit – entstehen, wenn Menschen sich im Kommunikationsprozess selektierend beobachten, wechselseitig aufeinander beziehen und ihrem Verhalten auf diese Weise Sinn zuschreiben (Luhmann 1993). So entsteht Kirche, so entfaltet sich Offenbarung. Wohlgemerkt, Kirche bzw. Offenbarung ist diese Kommunikation.

Wenn sich Getaufte auf den Weg machen und zusammenkommen, um ihre (Glaubens-)Erfahrungen auszutauschen und zu reflektieren, dann sind sie Kirche, betreiben sie Kirchenentwicklung und zeigen: „Kirche geht!“. Damit ist alles gesagt. Es geht um ein im Schwerpunkt verändertes Kirchenverständnis. Exemplarisch hierfür mag die Emmausgeschichte (Lk 24, 13–35) stehen. Das II. Vatikanische Konzil benutzt dafür die Bilder des pilgernden Gottesvolkes und der Communio, der lebendigen Gemeinschaft (u. a. LG 4).

(2) Kirche lernt

Sprache speichert Wissen. Daher lohnt ein genauer Blick auf das Wort „gehen“. Die Wortwahl ist Programm. Etymologisch geht das Verb „gehen“ auf die idg. Wurzel ĝhē[i] zurück, die „klaffen, leer sein, verlassen, [fort]gehen“ bedeutet. Ich kann nur gehen, wenn ich etwas verlasse, also los- oder zurücklasse.

Gehen hat viel mit „lernen“ zu tun. Das Verb „lernen“ leitet sich aus ahd. leisten ab und bedeutet ursprünglich „einer Spur nachgehen, nachspüren“. Lernen geht nur über „Er-fahrung“, ist also ein aktiver, selbstgesteuerter Vorgang. Wenn Kirche geht, macht sie (neue) Erfahrungen und dadurch lernt sie.

Gehen hat auch mit „führen“ und „leiten“ zu tun. Die idg. Wurzel leit[h] steht für „gehen, dahingehen“. Im ahd. und mhd. entspricht dieser Bedeutung das Wort „leiden“, erst unter christlichem Einfluss wird daraus „dulden, ertragen, Schmerz, Kummer empfinden“. Das Verb „leiten“ ist das Veranlassungswort zu „leiden“, bedeutet ursprünglich „gehen oder fahren machen“. Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „führen“, dem Veranlassungswort zu „fahren“. Das also ist die Kernaufgabe von Führung und Leitung: Nicht von oben zu bestimmen, was zu tun ist, sondern in Bewegung zu bringen, Erfahrung zu ermöglichen, Lernen in Gang zu setzen und den Übergang zu gestalten.

(3) Kirche bleibt

Zurück zum Titel des Kongresses: „Kirche geht“. Der Titel lässt unterschiedliche Assoziationen zu. Zwei scheinen besonders prägnant und in unserem Zusammenhang von Bedeutung zu sein.

Die erste: „Kirche geht“ ist eine (generalisierende) Feststellung, ein Fazit: Kirche funktioniert! Das ist – selbst für den geneigten Beobachter – eine steile These. Die Realität sieht anders aus. Von außen hat man eher den Eindruck, dass sich die Kirche bei uns im fortgeschrittenen Stadium der Auflösung befindet. Ist man etwas näher dran, hört man von den Verantwortlichen, dass sie gerade nicht wissen, wie es geht. Aber alle wissen: Kirche (wie wir sie kennen) geht nicht mehr.

Die zweite Assoziation: „Kirche geht“ ist eine Beschreibung: Kirche macht sich auf den Weg, kommt in Bewegung, ist (schon) unterwegs. Die Aussage ist bescheidener, öffnet den Blick auf Zukunft hin. Sie verweist auf Aufbrüche, gemeinsame Wege und neue Erfahrungen. Unvollständigkeit und Ungewissheit, Irrwege und Sackgassen gehören mit ins Bild.

In der Verknüpfung beider Assoziationen liegt das Entscheidende: „Kirche geht nicht, wenn sie stehen bleibt“ also „Kirche vergeht, wenn sie bleibt (festhält)“, und umgekehrt, „Kirche bleibt, wenn sie geht“ oder anders „Kirche geht (funktioniert), wenn sie geht (loslässt)“. Der Satz „Kirche geht, wenn sie geht“ ist weder tautologisch, noch trivial. Er ist nicht tautologisch, weil „gehen“ Unterschiedliches bedeutet. Es ist wie im Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Matthäus 25,1–13): Kirche hat eine Zu-Kunft, Gott kommt auf sie zu, wenn sie sich auf den Weg macht. Und der Satz ist nicht trivial, weil der Mainstream anders gepolt ist: 90% der jährlich etwa 4,5 Mrd. Euro an Kirchensteuern werden in die Aufrechterhaltung des Status Quo gesteckt, in der Hoffnung, zu bleiben.

2. Warum es wichtig ist, dass Kirche jetzt geht

Die Kirche befindet sich – nicht ohne eigenes Zutun – in einer Situation, die sehr zeitnah entschlossenes Handeln erfordert.

(1) … um aus dem Funktionsmodus in den Lernmodus zu kommen

Organisationen sind Systeme, die auf Dauer ausgerichtet sind. Mit ihren Routinen sorgen sie dafür, dass Personen austauschbar bleiben und die Muster der Kommunikation reproduziert werden. In diesem Sinne sind Organisationen immer darauf ausgerichtet, stabil und funktional zu bleiben.

Zugleich stehen Organisationen mit ihren Umwelten im Austausch von Materie, Energie und Information. Ändern sich die Umwelten, müssen sich Organisationen verändern, indem sie sich mit den Logiken der relevanten Umwelten koppeln. Veränderung (Lernen) ist systemisch gesehen die Bedingung von Stabilität (Funktionalität).

Die große Herausforderung besteht dabei in der stetig ansteigenden Komplexität und Dynamik gesellschaftlicher Prozesse. Klaus Doppler formuliert das so: „Wir leben quasi in einem permanenten Ausnahmezustand. Das Leben in instabilen, turbulenten, unkalkulierbaren Umwelten ist die Normalität – und zwar aller Voraussicht nach auf Dauer“. In dieser Situation wird Lernen, also Gehen, immer wichtiger, zur Schlüsselkompetenz.

(2) … um den vorhandenen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum zu nutzen

Die Kirche existiert seit zweitausend Jahren und hat sich dabei immer wieder grundlegend und umfassend verändert. Heute, unter den Vorzeichen der Postmoderne, tut sie sich damit besonders schwer. Sie hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten in ihrem Bemühen, den volkskirchlichen Status Quo zu erhalten, sehenden Auges immer tiefer in eine Sackgasse manövriert.

Die Folgen sind dramatisch: Die Kirche hat ihre Anschlussfähigkeit an die Menschen von heute weitgehend verloren. Die Auswirkungen sind unübersehbar, eine fortschreitende, generalisierte Dysfunktionalität.

Tempo und Dynamik der Veränderungen werden bis heute massiv unterschätzt. Mental und organisatorisch auf maximale Stabilität und Funktionalität programmiert, sehen sich die Akteure Umwälzungen gegenüber, die für die Kirche (bei uns) in absehbarer Zeit existenzbedrohend sein werden.

Noch sind hinreichend personelle, finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen vorhanden. Noch gibt es substantielle Gestaltungsspielräume. Es bleibt allerdings nur noch wenig Zeit, bis das System umkippt.

(3) … um die vorhandene Kluft zur Umwelt nicht zu groß werden zu lassen

Übergänge in komplexen, dynamischen Systemen verlaufen sprunghaft, insbesondere dann, wenn ihnen eine lange Phase der Stabilität vorausgeht, die Organisation das Lernen verlernt hat, und sich gleichzeitig die Kontextparameter sehr stark und sehr schnell verändern.

Um lernen zu können, müssen Systeme von bestehenden Routinen abweichen und neue Wege erproben. Nur induktiv (experimentell) über „Versuch und Irrtum“ können innovative Lösungen gefunden werden, Lösungen, die einen Unterschied machen (vgl. Dessoy, Lames 2012). Abweichungen nützen der Organisation zwar auf Dauer, weil dadurch neue Lösungen gefunden werden können, die eine bessere Umweltpassung ermöglichen, wirken jedoch im Alltagsgeschäft zunächst immer als „Störung“ und erzeugen Stress.

Je größer die Kluft ist, die es zu überbrücken gilt, je größer und grundlegender also der Lernbedarf der Organisation ist, umso mehr muss aufgegeben werden, ohne bereits neue Lösungen gefunden zu haben. Ängste und Widerstände wachsen, der Druck, (kurzfristige) Lösungen nach bewährten Mustern zu generieren, steigt und die Wahrscheinlichkeit einer innovativen Anschlusskommunikation sinkt. Daher ist es so wichtig, dass Kirche jetzt geht. Aber wie?

3. Wie Kirche gehend gemacht werden kann

Damit keine Missverständnisse entstehen: Die folgenden Kriterien sagen nichts darüber aus, wie Kirche (operativ) gehen, also Pastoral in veränderter Zeit betrieben werden kann! An dieser Stelle geht es ausschließlich um die Frage, wie Kirche gehend gemacht werden kann, also um die organisatorisch-kulturellen Rahmenbedingungen, die erforderlich sind, damit Kirche innovativ werden, sich wirksam erneuern und in veränderten gesellschaftlichen Kontexten wirkungsvoll und nachhaltig bewegen kann (vgl. Dessoy 2012 [a]).

(1) Kriterium 1: Kirchenbild und Offenbarungsverständnis – Umkehr, Macht, Sinn

Erneuerung setzt die grundlegende Bereitschaft voraus, miteinander zu lernen und sich weiter zu entwickeln. Der neutestamentliche Begriff dafür ist Umkehr, Metanoia (vgl. Lames 2003). Sie gründet in der Erkenntnis, dass es für uns Menschen keinen unmittelbaren Zugang zu absoluten Wahrheiten und damit auch keine endgültigen Lösungen gibt. Kirche und Offenbarung sind stets geschichtlich und kulturell vermittelt. Aber wie soll das gehen?

Für den Prozess der Neuformulierung und Validierung ihrer Botschaft und ihres Handelns kennt die Kirche aus ihrer Geschichte zwei Wege, die eng mit dem dazugehörigen Kirchenbild (vgl. LG 4) verknüpft sind: den diskursiven von unten nach oben (man denke an das Apostelkonzil in Apg 15,1–41) und den institutionellen von oben nach unten („Du bist Petrus, der Fels …“, Mt 16,18). Angesichts des fortschreitenden gesellschaftlichen Wandels und der damit einhergehenden Krise der Institutionen generell und der Institution Kirche im Besonderen scheint die dialogische Glaubensvergewisserung alternativlos, um den Anschluss nicht schon durch das Verfahren zu verlieren. Die frz. Religionssoziologin Danièle Hervieu-Léger nennt das „gemeinschaftliche Glaubensvalidation“ im Gegensatz zur vorherrschenden „institutionellen Glaubensvalidation“ (Hervieu-Léger 2004, 123 ff.).

Um in der Terminologie Luhmanns zu bleiben: Kirche kann sich heute für die Validierung und Plausibilisierung ihrer Botschaft und ihres Handelns nicht länger des Kommunikationsmediums der „Macht“ bedienen (vgl. Bucher 2008, 274–291). Sie versucht es bis heute, wie die Entscheidung zur Kirchenzugehörigkeit im Zusammenhang mit der Kirchernsteuer erneut gezeigt hat. Sie hat jedoch das Macht- und Wahrheitsmonopol längst verloren: Es interessiert einfach niemanden mehr! Die einzige Chance, sich in einer pluralen emanzipierten Gesellschaft zu Gehör zu bringen und Anschlusskommunikation wahrscheinlicher zu machen, ist, die Sinnhaftigkeit der Botschaft in heutiger Zeit jenseits abgedroschener Formeln in differenzierter Weise dialogisch zu ermitteln und darzustellen. Dazu müssen die Akteure diese selbst erst wieder neu entdecken, also umkehren, hingehen und lernen. Das setzt Demut voraus.

(2) Kriterium 2: Reformparadigma – langfristig, offensiv, missionarisch

Die Kirche denkt in Jahrhunderten. Sie kommt aus einer langen Phase des Überschusses und der Massenproduktion. Auf dieser Folie folgen Kirchenreformen seit den 1980er Jahren einem festen Muster: Für eine schwindende Zahl von Gläubigen soll mit abnehmenden personellen und finanziellen Mitteln das überkommene Portfolio in traditionellen Bezügen möglichst flächendeckend aufrechterhalten werden. Die Reformen sind kurzfristig angelegt, defensiv motiviert und bleiben auf die Binnensicht beschränkt. Tradierte Produkte, nicht Bedürfnisse von Menschen sind das Kriterium. Der Mangel soll durch Zentralisierung, Konzentration und Verdichtung ausgeglichen werden.

Dieser Reformansatz ist gescheitert. Der Abbruch generalisiert und beschleunigt sich. Die Reformzyklen werden immer kürzer, die Spielräume immer enger. Die Kluft zwischen Kirche und Gesellschaft wird immer weiter, die ungelösten Fragen immer grundsätzlicher. Der erforderliche qualitative Sprung wird immer größer und die Lösungsansätze werden im Gegenzug vielfach noch defensiver. Eine weitere Verdichtung ist sinnlos. Das bisherige Reformparadigma führt die Kirche ins gesellschaftliche Abseits.

Kirchenreformen, die dem österlichen Sendungsauftrag (Mt 28,19) und den veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht werden, erfordern ein Reformparadigma, das langfristig-strategisch, offensiv-missionarisch und experimentellwirkungsorientiert angelegt ist. Der qualitative Sprung: Kirche muss (neu) lernen, sich von der Zukunft her zu denken, Veränderung und Entwicklung als zentrale und bleibende Aufgabe zu verstehen. Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, wie die Menschen heute für die Frohe Botschaft und für die Mitarbeit am Reich Gottes gewonnen werden können (vgl. Dessoy 2010 [a]).

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9783429060930
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