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Kellerkinder und Stacheltiere

Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire

Redaktion

Erika Wottrich und Swenja Schiemann


Mit Unterstützung der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg sowie von Bundesarchiv, Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin, und DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt und Wiesbaden

Abbildungen: Akademie der Künste, Berlin (1); Werner Barg, Halle/Saale (4); Bundesarchiv (2); CineGraph, Hamburg (4); Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Berlin (3); François Danckaert, Mulhouse (8); DEFA-Stiftung, Berlin (2); DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt/Main und Wiesbaden (9); Judith Ellenbürger, Hamburg (4); Národní filmový archiv, Prag (4); Progress Film GmbH, Halle/Saale (2); Warner Bros. (3); Winkler Film GmbH, München (3)

Übersetzung: Andrea Kirchhartz (Julian Petley), Hans-Michael Bock (Tereza Czesany Dvořáková)

Bibliografische Information: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar

Print ISBN 978-3-96707-442-0

E-ISBN 978-3-96707-520-5

© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG

München 2020

Levelingstr. 6a

81673 München

www.etk-muenchen.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen

Umschlagentwurf: Thomas Scheer / Konzeption: Dieter Vollendorf

Umschlagabbildung: WIR KELLERKINDER (1960, Jochen Wiedermann)

(DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt und Wiesbaden)

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Inhalt

KRITIK, KOMIK UND POLITIK

Gratwanderungen der Politik- und Gesellschaftssatire im Film

Michael Töteberg

EIN MAULKORB FÜR DEN FÜHRER

Satire im »Dritten Reich«: Der Fall Heinrich Spoerl

Karl Griep DER UNTERTAN – ROMAN UND FILM

Heike Klapdor »MEIN SCHICKSAL IST ROMANTISCH« Der Künstler und die Lächerlichkeit der Autoritäten: HIN UND HER

Sandra Nuy »WER SORGEN HAT, HAT AUCH LIKÖR« Zum Verhältnis von Politik, Film und Satire in den 1950er Jahren

Frank-Burkhard Habel VENTIL MIT STACHELN DAS STACHELTIER – eine satirische Kurzspielfilmreihe der DEFA zwischen 1953 und 1964

Sigrun Lehnert GENOSSE MÜNCHHAUSEN, DER AUGENZEUGE UND DER KALTE KRIEG Satirefilm und Wochenschau als mediale Weggefährten

Julian Petley ANIMAL FARM SUBVERTED? George Orwell und die CIA

Nils Daniel Peiler DR. MERKWÜRDIGLIEBE ODER: WIE STANLEY KUBRICK LERNTE, DIE SYNCHRONISATION ZU LIEBEN

Tereza Czesany Dvořáková SATIRE VERBOTEN! Satirische Studentenfilme an der FAMU in den 1970er und 1980er Jahren

Judith Ellenbürger MIT DEN EIGENEN WAFFEN Zynismus in der Finanzsatire. Ein Kinobesuch mit Georg Simmel und Diogenes

Werner C. Barg MEDIENKRITIK ALS POLITISCHE SATIRE BEING THERE und WAG THE DOG

François Danckaert TRENDIGE HITLER-KOMIK ODER POLITISCHER DENKANSTOSS? Bemerkungen zu David Wnendts ER IST WIEDER DA

Register

Dank

Autoren

KRITIK, KOMIK UND POLITIK Gratwanderungen der Politik- und Gesellschaftssatire im Film

»Was darf die Satire?« fragte Kurt Tucholsky 1919 im Berliner Tageblatt und kam zu dem Ergebnis »Alles!«. Eine pauschale und provokative Antwort, die bis heute gesellschaftlich immer wieder neu verhandelt wird. Zum Beispiel in der gegenwärtigen Debatte um den Begriff der »Cancel Culture«, in der es um Grenzüberschreitungen und deren öffentliche »Abkanzelung« geht. Eine endgültig befriedigende und allgemeingültige Antwort gibt es also auch über 100 Jahre nach Tucholskys Frage nicht und wird es vermutlich auch nie geben, vielmehr erscheint sie der Gattung immanent zu sein. Gebrauch der Satire und Toleranz ihr gegenüber – egal in welchem Medium – sind dabei abhängig von Machtstrukturen und gesellschaftspolitischen Gegebenheiten. Die Grenzen des Erlaubten verschwimmen dabei auch je nach persönlicher Betrachtungsweise und Ideologie.

Das zeigen auch die Beiträge in diesem Buch, die der Fragestellung im Rahmen der Filmgeschichte nachgehen. Ein »Spiel mit Autoritäten« betrieb Heinrich Spoerl. Mit Romanen wie »Die Feuerzangenbowle« (1933) und »Der Maulkorb« (1936) wurde der Autor als Humorist bekannt und befand sich zur Zeit des Nationalsozialismus auf dem Höhepunkt seines schriftstellerischen Schaffens. Gleichzeitig erlangte er mit seinen Drehbuchvorlagen in der Filmwirtschaft ein gewisses Ansehen und seine Werke wurden auch nach 1945 mehrfach auf Zelluloid gebannt. Michael Töteberg spürt anhand von Spoerls Korrespondenz der Entstehung der Verfilmung DER MAULKORB (1937/38) durch Erich Engel nach.

Ebenfalls eine Satire auf den Untertanengeist, allerdings in einem ganz anderen historischen und gesellschaftspolitischen Kontext, hatte Heinrich Mann bereits 1918 veröffentlicht. Der Roman über den Mief des Kleinbürgertums der Wilhelminischen Ära bot 1951 die Vorlage für den DEFA-Film DER UNTERTAN (Wolfgang Staudte). Karl Griep betrachtet die Transformation vom Buch zum Film und vergleicht dabei auch, wie sich die Satire im jeweiligen Medium darstellt.

Theo Lingen zeigt in HIN UND HER (1947) als Künstler Peter Vogel Einfallsreichtum im Kampf gegen die Bürokratie. Heike Klapdor beschreibt in ihrem Aufsatz, wie der wenig bekannte österreichische Nachkriegsfilm mit und von Theo Lingen die Lächerlichkeit der Autoritäten offenlegt, gleichzeitig aber auch das damals aktuelle Problem der »Displaced Persons« thematisiert.

Dem Verhältnis von Politik, Film und Satire in den 1950er Jahren geht Sandra Nuy in ihrem Beitrag »Wer Sorgen hat, hat auch Likör« nach. Im Mittelpunkt ihrer Betrachtungen steht der Film WIR WUNDERKINDER (1958, Kurt Hoffmann), in dem auch der Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Neuss mitwirkte. 1960 schrieb Neuss das Drehbuch für WIR KELLERKINDER (Jochen Wiedermann), dessen Titel sich offensichtlich an Hoffmanns Film anlehnt. Dabei zeichnet Neuss ein ganz anderes Bild der Nachkriegszeit in Westdeutschland. Aufsehen erregte der Film auch, weil Neuss ihn vor der Kinoauswertung im Fernsehen ausstrahlen ließ, was den Boykott einiger Kinobetreiber nach sich zog. Mit GENOSSE MÜNCHHAUSEN (1961/62) nimmt Sigrun Lehnert in ihrem Beitrag ein weiteres Werk von Neuss in den Blick und untersucht dabei zugleich, mit welchen Metaphern und Sinnbildern der Kalte Krieg Einzug in satirische Filme und Wochenschauen wie DER AUGENZEUGE nahm.

Dass Satire gerade auch in der kurzen Form »stachelig« sein kann, bewiesen u.a. die STACHELTIER-Kurzfilme, die in der DDR gegen NATO und BRD polemisierten oder durch (sanfte) Kritik an lokalen Missständen der Bevölkerung ein Ventil boten. Frank-Burkhard Habel beschäftigt sich mit dieser Kurzfilm-Serie der DEFA und deren Bemühungen um das Lachen im Kino der 1950er Jahre.

Eine andere Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg entstand Anfang der 1950er Jahre in Großbritannien mit ANIMAL FARM (1951–54, John Halas, Joy Batchelor). Dass in diesem Animationsfilm viel mehr steckt als eine Fabel in Technicolor, ist hinlänglich bekannt. Was auf den ersten Blick als »harmloser« Kinderfilm erscheinen mag, war politisch hoch brisant und sollte als Parabel auf die russische Revolution (und deren Versagen) gesehen werden. Dass auch die CIA tief in die Produktion involviert war, hat Daniel J. Leab in seinem Buch »Orwell Subverted« (2007) aufgezeigt. Julian Petley zeichnet in seinem Aufsatz auf Grundlage von Leabs Recherchen die Vorgänge nach, die im Hintergrund der Entstehung des britischen Vorzeige-Animationsfilms gewaltet haben.

Im Filmgeschäft ist die sprachliche Transformation ein wichtiger Faktor für die internationale Vermarktung. Insbesondere in der Satire ist der Sprachwitz elementarer Bestandteil. Ein Beispiel dafür ist DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (1964) von Stanley Kubrick. Die Roman-Vorlage »Two Hours to Doom« (1958, Peter George) nähert sich dem Thema noch prosaischer und weniger sarkastisch an. Aber insbesondere auch durch die Dialoge wandelte Kubrick die Adaptation in eine Satire um. Die Herausforderung, dies auch in Synchronfassungen zu erhalten, untersucht Nils Daniel Peiler am Beispiel der akribischen Verfahrensweise bei der deutschen Synchronfassung DR. SELTSAM ODER: WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN.

Die Tschechen sind nicht zuletzt wegen des »braven Soldaten Schwejk« stolz auf ihre lange Tradition des satirischen Humors. Anhand von einigen verbotenen Studentenfilmen der FAMU in Prag aus den 1970er und 1980er Jahren zeigt Tereza Cz. Dvořáková, wie Satire in tschechoslowakischen Filmen verwendet wurde und auf welche Widerstände sie im sozialistischen System stießen.

Andere Missstände offenbart die Satire im kapitalistischen System. Judith Ellenbürger erkundet mit Georg Simmel und Diogenes in Filmen wie ZEIT DER KANNIBALEN (2014), THE WOLF OF WALL STREET (2012/13) und AMERICAN PSYCHO (1999/2000) den »Zynismus in der Finanzsatire«.

Einen selbstreflexiven Blick auf das Medium Film werfen Produktionen wie BEING THERE (1979, Hal Ashby) und WAG THE DOG (1997, Barry Levinson), die Werner Barg in seinem Beitrag »Medienkritik als politische Satire« betrachtet und die gerade in Zeiten von »Fake News« und Verschwörungserzählungen interessante und aktuelle Parallelen zur Gegenwart bieten.

Die Grenzen der Satire werden auch immer wieder beim satirischen Umgang mit dem Nationalsozialismus, insbesondere der Figur Adolf Hitlers deutlich. François Danckaert beleuchtet am Beispiel von David Wnendts ER IST WIEDER DA (2015) die Hitler-Komik und inwieweit diese als politischer Weckruf fungieren kann.

Der vorliegende Band versammelt die (überarbeiteten) Vorträge des 32. Internationalen Filmhistorischen Kongresses »Dr. Seltsam oder: Aus den Wolken kommt das Glück. Film zwischen Polit-Komödie und Gesellschafts-Satire«, der vom 21.–23.11.2019 im Gästehaus der Universität Hamburg stattfand, eingebettet in das XVI. Internationale Festival des deutschen Film-Erbes (Hamburg 16.–24.11.2019). Dabei ging es um die Fragen, wie Filme im Kraftfeld zwischen Politik, Kritik und Komik wirken, wie sich die satirische Darstellung über die Jahrzehnte und in unterschiedlichen Regimen äußerte. Es stand nicht die finale Definition eines Genres im Mittelpunkt, sondern die Bestimmung der Grenzen, in denen sich die Trennschärfe auflöst. Die folgenden Beiträge geben somit einen Eindruck von der Vielfalt der Politik- und Gesellschafts-Satire im Film, die sich über ganz unterschiedliche Genres erstreckt. Nicht ein vollständiger Überblick, sondern Schlaglichter auf Stacheltiere, Wunder- und Kellerkinder, die als Denkanstoß für die weitere Beschäftigung mit der Thematik dienen mögen.


Erika Wottrich, Swenja SchiemannHamburg, im Herbst 2020

Michael Töteberg EIN MAULKORB FÜR DEN FÜHRER Satire im »Dritten Reich«: Der Fall Heinrich Spoerl

Am 6.2.1935 erschien im Film-Kurier ein Feuilleton von Heinrich Spoerl, das aufhorchen ließ. »Die Angst vor dem Witz« war es überschrieben.1 »Zunächst sei festgestellt: Der Witz ist keine jüdische Erfindung. Auch kein Instrument des Satans. Witz ist Würze und Waffe. Auch heroische Zeiten können ihn nicht entbehren.« Mit der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten waren »heroische Zeiten« angebrochen. In wenigen Monaten war aus der liberalen Weimarer Republik eine stramm auf den »Führer« ausgerichtete Diktatur geworden. Für Andersdenkende gab es nichts mehr zu lachen. Humor und Ironie waren nicht gefragt, da klang das offene Plädoyer für den Witz fast schon wie der Aufruf zu Subversion. »Witz hat allerdings eine unsoldatische Eigenschaft: Er läßt sich nicht kommandieren.« Ein Witz lasse sich nicht unterdrücken. »Wenn man ihn als Unkraut jätet, sprießt er in verborgenen Nischen um so heftiger und wird giftig.«

Das waren die sogenannten Flüsterwitze, die überall kursierten und trotz Strafandrohung nicht zu unterbinden waren. Angeblich handelte es sich um ausländische Feindpropaganda. Spoerl setzte dagegen: »Witze sind zollfrei. Aber das ist kein Grund, unsere Witze aus dem Ausland zu beziehen. Ich halte dafür, daß wir unsere Witze künftig wieder selber machen. Auch die politischen. Die erst recht.«

Das kleine Feuilleton wurde zur Visitenkarte des Autors. Heinrich Spoerl stellte es 1937 an den Anfang eines Bandes mit Plaudereien, dem er den programmatischen Titel »Man kann ruhig darüber sprechen« gab. Dort wurden Dinge angesprochen, über die man im »Dritten Reich«, wollte man nicht Gefängnis und Verfolgung riskieren, lieber nicht sprach. Spoerl verstand es, wider den Stachel zu löcken, ohne wirklich anzuecken.

Sein Meisterstück in dieser Hinsicht lieferte er mit dem Roman »Der Maulkorb« (1936), einer Satire auf Obrigkeitsgläubigkeit und Untertanengeist, angesiedelt im zeitlosen Nirgendwo, doch mit unverkennbar kritischen Zeitbezügen. »Die Komplexe sind auf das genaueste proportioniert«, lobte die Lichtbild-Bühne die Verfilmung von 1938, »der Film sagt an vielen Stellen deutliche Wahrheiten, ohne wehe zu tun.«2 Dieses Kunststück machte Spoerl während der Nazi-Zeit zum mit Abstand erfolgreichsten Unterhaltungsschriftsteller sowie zu einem von Wolfgang Liebeneiner wie von Joseph Goebbels geschätzten Filmautor.

Zensurangst

Den Film-Kurier las auch Olaf Fjord, ein berliner Schauspieler mit Drang zu Höherem, d.h. er wollte Produzent und Regisseur werden. Er hatte 1934 bereits Kontakt mit Heinrich Spoerl und den Autor nach Filmideen gefragt. Die Antwort kam postwendend: »Selbstverständlich habe ich einen Film mit starker Idee auf Lager. Der Oedipus-Konflikt, ins Kriminalhumoristische übersetzt. Der Staatsanwalt, der sich selbst verfolgt. Beiliegend eine ganz kurze Skizze.«3 Er habe den Stoff bereits weitgehend ausgearbeitet. Eigentlich sei er für einen humoristischen Roman bestimmt, noch mehr aber sei es ein Filmstoff, und man könne ja beides machen. »Mit der Zensur wird man zurechtkommen. Der Stoff hat ethische Haltung, er ist keine persiflierische, sondern ein Loblied auf den preussischen Beamten, der selbst in größter Not keinen krummen Weg geht, und trotzdem das Ansehen des Staates und der Behörde rettet.«

Gleich unter dem Artikel über den Witz stand im Film-Kurier die Meldung »Filmverbot«. Die neuen Zensur-Vorschriften waren derart vage – für ein Verbot reichte es, dass die Belange des Staates oder auch nur »das nationalsozialistische Empfinden« verletzt werden könnte –, dass es keine Rechtssicherheit gab. Die Vorstellung, einen Film zu produzieren, der nicht ausgewertet werden kann, schreckte jeden Produzenten. Spoerl spürte, dass dieser Punkt sich mit einem bloßen Hinweis auf die ethische Haltung nicht erledigen würde. So schickte er, noch bevor dieser sich zu dem Exposé geäußert hatte, Fjord einen Brief und präsentierte seine Trumpfkarte: »Wenn Sie für den Stoff Interesse haben, würde ich die Zensurfrage auf mich nehmen. Die Schriftleitung des ›Angriff‹, die ja über gute Beziehungen verfügt, würde mich dabei gegebenenfalls unterstützen.«4

Das Exposé hatte Spoerl parallel an die Redaktion des berliner Parteiblatts Der Angriff geschickt, wo man sich von ihm einen humoristischen Roman erhoffte. »Der Maulkorb« stieß angeblich auf Begeisterung; Spoerl bekam den Auftrag, der Roman sollte im Blatt in Fortsetzungen abgedruckt werden. Ursprünglich von Goebbels als Kampfblatt gegründet, war Der Angriff als zentrales Parteiorgan der NSDAP vom Völkischen Beobachter abgelöst worden, aber keineswegs unbedeutend. Es firmierte nun als Tageszeitung der Deutschen Arbeitsfront und verfügte über eine entsprechend hohe Auflage. Spoerls unablässig wiederholte Argumentation: Wenn das Parteiblatt den »Maulkorb« druckt, kann auch die Filmzensur keine Einwände haben.

Von den Filmgesellschaften erhielt Spoerl nur Absagen. Die Ufa verwies – wie andere Firmen – darauf, dass »von den zuständigen amtlichen Stellen sicherlich Zensurbedenken erhoben werden dürften«.5 Es blieb nur Olaf Fjord, der außer einem schönen Briefpapier (eine Kogge unter vollen Segeln) nicht viel zu bieten hatte. Fjord und Spoerl schlossen einen Optionsvertrag, den der Produzent nur in Raten zahlen konnte. Selbst um geringe Beträge wurde zwischen beiden heftig gerungen, denn auch Spoerl war stets in Geldnöten. Seine Rechtsanwaltskanzlei lief nicht, so hatte er sich als Schriftsteller versucht und einen Roman geschrieben, für den er die Hilfe eines – ungenannten – professionellen Co-Autors in Anspruch nehmen musste: »Die Feuerzangenbowle« (1933).6 Wichtige Termine mussten verschoben werden, weil schlicht das Reisegeld fehlte. »Ich habe versucht, mir bei der Ufa etwas Geld aufzutreiben«, gestand Fjord; doch sei er vertröstet worden und könne so die Verlängerungsgebühr für die Option erst eine Woche später leisten.7


Der Maulkorb (1937/38, Erich Engel)

In den folgenden Wochen wurden fast täglich Briefe zwischen Düsseldorf (Spoerl) und Berlin (Fjord) gewechselt. Während der Autor mit der Ausarbeitung von Roman und Drehbuch beschäftigt war, wurde der Produzent aktiv. Er sprach mit dem Dramaturgen Edlef Köppen, um den Tobis Europa Verleih für das Projekt zu gewinnen, und traf den Schauspieler Paul Henkels, den er gern in der Hauptrolle des Staatsanwalts von Treskow gesehen hätte. Sie diskutierten über das junge Liebespaar, die Figur des Assessors, vor allem über die Frage, warum der Oberstaatsanwalt eingreift: Ein Skandal muss im Interesse der Staatsraison vermieden werden. »Wenn dieser Gedanke gut durchgebracht wird, so haben wir gegen alle Zensurbedenken ein grosses Plus, denn es handelt sich um die Staatsraison, um den Staatsgedanken«, berichtete Fjord Spoerl.8

Bei allen Überlegungen, wie man das Zensurproblem umgehen könnte, stand eines nie zur Debatte: »Ich bin der Auffassung, dass das Thema, wenn es entpolitisiert wird, nicht mehr so reizvoll bleibt«, schrieb Fjord. »Gerade das politische Moment in diesem Stoff ist das Nette daran und ich glaube auch, dass Minister Dr. Goebbels, wenn ihm die Sache richtig vorgetragen wird, durchaus dafür Verständnis aufbringt, umsomehr, als er gerade in einer seiner letzten Reden betont hat, dass er die deutsche Satyre wünsche.«9 Um den allerorten geäußerten Zensurbedenken zu begegnen, benötigte man eine Unbedenklichkeitsbescheinigung »von höchster Stelle«, möglichst von Goebbels persönlich.

Der Weg dahin führte über die Redaktion des Angriff. Spoerl wandte sich an den Hauptschriftleiter Hans Schwarz van Berk. Er musste nicht sehr lange warten. »Dr. Goebbels hat das Filmmanuskript, wie ich höre, wohlwollend an den Reichsfilmdramaturgen Willi Krause weitergegeben, mit dem ich heute telefonierte. Er ist der Meinung, dass sich aus der Geschichte etwas machen lässt, hat aber Änderungsabsichten. Er bittet Sie, sich mit ihm in Verbindung zu setzen und mit ihm einen Termin auszumachen, bei dem er mit Ihnen und dem interessierten Produzenten sich über die Sache aussprechen könnte.«10 »Damit wäre also die erste Klippe überstanden«, kommentierte Spoerl. Mit Krause – bis Januar 1934 Schriftleiter des Angriff – und seinen Änderungsabsichten werde er schon zurechtkommen.

Am Nachmittag desselben Tags meldete Spoerl sich noch einmal bei Fjord. Man sollte vielleicht als juristischen Fachberater Regierungsrat Alfred Klütz, den Leiter der Justizpressestelle, hinzuziehen. »Es wäre zu überlegen, ob Sie bei der telefonischen Anfrage bei Krause nicht von vorneherein ganz dumm fragen, ob auch Herr Klütz zugezogen würde. Dadurch bringen Sie ihn wenigstens auf die Idee und Herrn Krause wird es vielleicht ganz angenehm sein, die Verantwortung noch mit jemanden teilen zu können.«11 Und so geschieht es. Klütz hatte Einwände, die leicht zu entkräften waren (so mussten z.B. die Kostüme ganz eindeutig darauf hinweisen, dass die Geschichte um die Jahrhundertwende irgendwo in der Kleinstadt spielt). Überraschend kamen von der Filmkreditbank ebenfalls Einwände, doch auch die ließen sich ausräumen.

Mitte April 1935 sprang die Europa-Film ab, mit der Fjord seit langem im Gespräch war; zu befürchten war, dass die Absage auch für die beiden anderen Konzernfirmen N.D.L.S. und ROTA galt. Die Terra bzw. das Bankhaus Sponholz zogen sich ebenfalls zurück: »Zensurangst«.12 Auch andere Filme, »die alle Zensursicherheiten und Mitarbeit von offiziellen Stellen hatten«, seien verboten worden. Die Vorzensur war gerade wieder abgeschafft worden, doch Fjord glaubte, ohne ein Gutachten des Reichsfilmdramaturgen – Kosten: RM 2000 – nicht weiterkommen zu können.13

»Lieber Herr Fjord, Sie müssen Ihre Schreibmaschine mal nachsehen lassen, die Ziffern sind offenbar nicht in Ordnung«, beantwortete Spoerl das Honorarangebot, das ihm der Produzent gemacht hatte: 3000 Reichsmark für Idee und Mitarbeit am Drehbuch.14 »Mein lieber Doktor Spoerl! Sie sind total übergeschnappt und zwar ungefähr so, wie ich Sie eingeschätzt habe«, begann die Retourkutsche.15 Da Spoerl seine Drehbuchmitarbeit zur unerlässlichen Bedingung gemacht habe, werde Fjord noch einen zweiten, eventuell dritten, ja vierten Drehbuchautor hinzuziehen und bezahlen müssen. Zudem rechne er damit, »dass Sie mich in den nächsten Monaten vollkommen fertig machen werden, so bin ich gezwungen, Ihnen das schon jetzt abzuziehen, was ich für meine Erholung später notwendig habe«. So launig die Auseinandersetzung zunächst klang, beim Geld verstand der Humorist keinen Spaß. Man kam nicht zusammen, die Option verstrich ungenutzt.

Nach monatelangem Schweigen kam ein letzter, recht kleinlauter Brief von Olaf Fjord. »Lieber Spoerl! Ich bin keine nachtragende Natur, sonst hätte ich Ihnen beim MAULKORB dazwischen gefunkt. Ich war über den Vorgang vollkommen unterrichtet. Dass die Sache beim Syndikat so schnell gegangen ist, verdanken Sie meiner seinerzeitigen Vorarbeit beim Syndikat. Ich weiss auch, dass Sie RM 12.000,– erreicht haben, wozu ich Ihnen gratuliere.«16

3 254,84 ₽
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318 стр. 48 иллюстраций
ISBN:
9783967075205
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