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5 Abschließende Betrachtungen

Über Jahrtausende hinweg sind Frauen vieler Religionen in ihrem Wesen, ihren Rollen, ihren Bildern von männlich geleiteten religiösen Institutionen definiert worden. Heute aber können sich Frauen, wenn sie aktiv sind und ein feministisch-kritisches Bewusstsein entwickelt haben, religiös selbst definieren in einer neuen Art und Weise, wie sie in der Vergangenheit nur selten möglich gewesen war. Wie ich im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Diskussionen um die Gender-Kategorie zu zeigen versucht habe, ist es vom religionswissenschaftlichen Standpunkt her wichtig zu erforschen, welchen Zugang zu Geist- und Transzendenzerfahrungen Frauen in ganz verschiedenen Religionen haben, wie das Wirken des Geistes im Spannungsfeld der Geschlechter in der Vergangenheit gesehen wurde und wie es sich jetzt zum Teil auf ganz neuen Wegen entwickelt. In Analogie zur Bedeutung der Literalität für die Entwicklung der Kultur im Allgemeinen schlage ich den Begriff der »spirituellen Literalität« vor (auf Englisch besser ausgedrückt als spiritual literacy, um einem Missverständnis mit einem »literalen« Ansatz aus dem Wege zu gehen). Darunter verstehe ich die Erfahrung des Geistes, der Transzendenz und spiritueller Autorität. Diese Erfahrungsmöglichkeit, dieses Abenteuer, steht heute Frauen offen wie nie zuvor. Damit sind wir schon im praktizierenden Bereich der Religion, der allerdings in Gender-Studien nicht streng von den wissenschaftstheoretischen Perspektiven abgetrennt werden kann. Je mehr die voneinander abhängigen Beziehungen zwischen Gender und Religion ins Bewusstsein gelangen, desto mehr wird sich die religiöse Praxis für Frauen wie Männer ändern.

Es ist Aufgabe der Religionswissenschaft, diese grundlegenden Verwandlungen und Paradigmenwechsel wahrzunehmen, sie zu analysieren und kritisch aufzuarbeiten. Dies ist ein großes Forschungsgebiet, auf dem noch viel entdeckt werden kann. Es lohnt sich persönlich wie sachlich für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eine gender-kritische Wandlung zu vollziehen und diese vielfältigen neuen Forschungsperspektiven in ihrer Arbeit fruchtbar zu machen.

Literatur

Ahmed, Durre S. (Hg.) (2002), Gendering the Spirit. Women, Religion and the Post-Colonial Response, London/New York: Zed.

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Jones, Lindsay (Hg.) (22005), Encyclopedia of Religion, 15 Bde., Detroit: Macmillan Reference.

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Juschka, Darlene M. (Hg.) (2001), Feminism in the Study of Religion. A Reader, London/New York: Continuum.

King, Ursula (Hg.) (1995), Religion and Gender, Oxford/Cambridge (MA): Blackwell.

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Lanzetta, Beverly J. (2005), Radical Wisdom. A Feminist Mystical Theology, Philadelphia: Fortress.

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Van Ede, Yolande (2000), Of Birds and Wings. Tibetan Nuns and their Encounters with Knowledge, in: Tsomo, Karma Lekshe (Hg.), Innovative Buddhist Women. Swimming Against the Stream, Richmond: Curzon, 201–211.

Van Doorn-Harder, Pieternella (2006), Women Shaping Islam. Reading the Qu’ran in Indonesia, Urbana: University of Illinois Press.

Von Braun, Christina/Stephan, Inge (Hg.) (2000), Gender-Studien. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler.

Walter, Willi (2000), Gender, Geschlecht und Männerforschung, in: Von Braun, Christina/Stephan, Inge (Hg.), Gender-Studien. Eine Einführung, Stuttgart: Metzler, 97–115.

Warne, Randi R. (2000), Making the Gender-Critical Turn, in: Jensen, Tim/Rothstein, Mikael (Hg.), Secular Theories of Religion. Current Perspectives, Copenhagen: Museum Tusculanum Press, 249–260.

— (2001), (En)gendering Religious Studies, in: Juschka, Darlene M. (Hg.), Feminism in the Study of Religion. A Reader, London/New York: Continuum, 147–156.

1 Es ist zum Beispiel aufschlussreich, dass sich die Einführung in Gender-Studien von Christina von Braun und Inge Stephan (2000) mit der Gender-Forschung in 17 verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen beschäftigt, darunter auch in der Theologie, aber nicht in der Religionswissenschaft.

2 Vgl. Jones (2005).

3 Von Braun/Stephan (2000), 15.

4 Für eine ausgezeichnete Übersicht über diese nicht unbedingt chronologischen, sondern manchmal parallelen Entwicklungen siehe Hawthorne (2005a und b). Siehe auch Walter (2000), 97–115.

5 Diese und andere Themen habe ich ausführlicher im Übersichtsartikel Gender and Religion (King 2005) behandelt. Eine systematische Einführung in das ganze Gebiet und viele Einzelbeiträge finden sich in King (1995). Neuere Diskussionsbeiträge und theoretische Entwicklungen in King/Beattie (2005). Ein ausgezeichnetes Handbuch mit vielen Beiträgen über feministische und Gender-Diskussionen in Bezug auf Religion und Religionswissenschaft ist Juschka (2001).

6 Vgl. Joy/O’Grady/Poxon (2002/2003); Joy (2006); Mulder (2006).

7 Vgl. Lanzetta (2005).

8 Vgl. Ahmed (2002).

9 Zitiert aus Peter Langs Katalog zur Beschreibung des von Stephan Haltmayer und Armin Eigner 2005 herausgegebenen Buches Literalität und Oralität.

10 Vgl. Raphael (1996).

11 Vgl. Van Doorn-Harder (2006).

12 Vgl. Tsomo (2000).

13 Vgl. van Ede (2000).

Daria Pezzoli-Olgiati

»Spieglein, Spieglein an der Wand…«

Rekonstruktionen und Projektionen von Menschen- und Weltbildern in der Religionswissenschaft

[…] Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermütig und konnte nicht leiden, dass sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel. Wenn sie vor den trat und sich darin beschaute, sprach sie: »Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?«. Es antwortete der Spiegel: »Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land«. Da war sie zufrieden, denn sie wusste, dass der Spiegel die Wahrheit sagte.1


Abb. 1 Herbert Leupins Darstellung der Königin in einer Ausgabe von Schneewittchen aus dem Jahr 1945.

1 Einleitung

Der Vorteil der Königin gegenüber den Personen, die sich wissenschaftlich mit religiösen Symbolsystemen auseinandersetzen, ist offensichtlich: Schneewittchens Stiefmutter besitzt einen Spiegel, der die Wahrheit sagt. Dank diesem hat die Königin eine unmittelbare und unverzerrte Gesamtsicht über die Verteilung der Schönheit im ganzen Reich, ohne sich mühsam mit historischen Rekonstruktionen, empirischen Untersuchungen und Kopfzerbrechen bereitenden methodischen Überlegungen auseinandersetzen zu müssen. Sie stellt eine vergleichende Frage und erhält umgehend eine zuverlässige Antwort. Dem ist in der Religionswissenschaft nicht so. Denn die Religionswissenschaft besitzt nicht nur einen wunderbaren Spiegel, sondern ganz viele! Einige sind derart gut, dass man sie gar nicht als solche wahrnimmt.

Der vorliegende Beitrag reflektiert über Brillen, Spiegel und Spiegelungen von Menschen- und Weltbildern der religiösen Symbolsysteme, der Religionswissenschaft als Fach und jenen der Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftler. Es werden einige wichtige Wechselwirkungen zwischen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Religionen und den Personen, die sich ihrer Erforschung widmen, hervorgehoben.

2 Eine Disziplin im Elfenbeinturm?

Die Religionswissenschaft verpflichtet sich, wie jede andere Wissenschaft, einer distanzierten, möglichst präzisen und diskursiven Beschreibung und Analyse bestimmter Sachverhalte und Zusammenhänge, die im Laufe ihrer gut 150-jährigen akademischen Präsenz unter dem Etikett »religiös« subsumiert wurden.2 Noch bis in die Neunzigerjahre galt innerhalb der Hauptströmungen, die unsere Fachgeschichte stark geprägt haben, das Ideal einer »möglichst objektiven« Annäherungsweise an religiöse Symbolsysteme »von außen« unbestritten als Richtlinie für eine qualitativ gute wissenschaftliche Arbeit. Vor allem in den letzten Jahren haben viele Faktoren zu einer Krise dieses Ideals geführt. Ich nenne hier nur wenige Entwicklungen, die mir als wesentlich erscheinen.

Unter dem Einfluss der hermeneutischen und der postmodernen Reflexion ließ sich aus philosophischer Sicht die Idee einer Distanz im Sinne eines unbeteiligten, wertfreien und unparteiischen Blickes auf religiöse Phänomene nicht mehr halten. Auch im Austausch mit den traditionellen Nachbardisziplinen der Religionswissenschaft, insbesondere mit vielen Fachbereichen innerhalb von christlichen Theologien, aber auch mit Bereichen wie der Ethnologie, Soziologie, Geschichte usw., erschien die Haltung einer Analyse ganz »von außen« als Hauptmerkmal religionswissenschaftlicher Arbeit schlichtweg naiv zu sein.

Darüber hinaus nimmt der gesellschaftliche und politische Druck auf die Religionswissenschaft stets zu: Sowohl auf der lokalen als auch auf der globalen Ebene sind Religionen zu zentralen Themen zeitgenössischer gesellschaftlicher Diskurse avanciert.3 Angesichts der komplexen Konstellationen, die die heutige Gesellschaft herausfordern, wird nach einem religionswissenschaftlichen, lösungsorientierten Wissen gefragt, das auch angesichts politischer und gesellschaftlicher Fragen relevant sein kann. Von der Bedeutung religiöser Kleiderordnung bis zum Gewaltpotenzial von Religionen, von Bildern des Todes im Hinblick auf die Euthanasieproblematik bis zum Verlust historischer Kenntnisse über die Traditionen im Lande: Der Religionswissenschaftler, die Religionswissenschaftlerin wird bei verfahrenen Situationen als Fachperson angefragt, um Verhandlungsräume in Konflikten zu schaffen, um Konzepte zur Erhaltung des religiösen Friedens zu erarbeiten oder um Projekte zur Förderung der friedlichen Koexistenz von unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften zu entwickeln und zu propagieren. Dadurch werden Fachleute der Religionsforschung immer wieder an ihre Verankerung im jeweiligen historischgesellschaftlichen Kontext erinnert.4

Die Zugehörigkeit der Religionswissenschaft zum akademischen Elfenbeinturm kann in zwei verschiedene Richtungen gedeutet werden. Eine erste, positive: In der Welt der Wissenschaft kann religionswissenschaftliche Forschung und Lehre in einem von direkten politischen Ansprüchen geschützten Raum betrieben werden, Untersuchungsfelder können erschlossen werden, ohne unmittelbar von den Bedürfnissen der Zeit motiviert oder direkt abhängig zu sein. Diese privilegierte Situation wäre jedoch unhaltbar, wenn man die politische und gesellschaftliche Relevanz akademischer Auseinandersetzung mit Religionen ausblenden würde. Damit wären wir bei der zweiten, negativen Konnotation: Der Elfenbeinturm würde somit zum abgeschotteten Ort, in dem die wissenschaftliche Distanz mit einem naiven Konzept von Objektivität gleichgesetzt wird.

Die Wechselwirkung zwischen Gesellschaft einerseits und Forschung und Lehre andererseits darf nicht mehr vernachlässigt werden; die zunehmende Sensibilität gegenüber dem historisch-gesellschaftlichen Hintergrund, in dem Religionswissenschaft betrieben wird, hat auch zur Rezeption von wissenschaftlichen und politischen Diskursen um das Thema Gender geführt. Dies geschieht in zweifacher Perspektive: Das Gender-Thema wird nicht nur im Hinblick auf die Erforschung von religiösen Symbolsystemen als relevant angesehen, sondern auch im Hinblick auf die Stellung von Forschern und Forscherinnen in der Interaktion zwischen Gesellschaft und Wissenschaft.5 Lisbeth Mikaelsson bringt dies in einem Beitrag pointiert zum Ausdruck, der 2004 in New Approaches to the Study of Religion erschienen ist:

Religion is a main factor when it comes to how gender differences are produced and realized in people’s lives. Religious mediation of gender happens through the interpretation of myths and symbols, as well as in their ritual, ethical and organizational enactment. Religious teachings legitimize gender hierarchies in society and influence personal gender identity. Gender research in the history of religions is important in society at large because it contributes to our understanding of how divisions between men and women are sanctioned and at the same time demonstrates how religion may structure people’s lives in fundamental respects.6

Der Einfluss von religiösen Geschlechts- und Gender-Konzepten auf gesellschaftliche Organisationen hat auch die Universität und ihre Hierarchien im Laufe der Jahrhunderte beeinflusst.

3 Spiegel der Religionswissenschaft

Optische Instrumente charakterisieren das Nachdenken über verschiedene Zugänge zu religiösen Symbolsystemen: Spiegel, Brillen, Linsen und Fernrohre werden immer wieder zum Thema – wie hier übrigens auch. Aus dieser Metaphorik könnte man entnehmen, dass wir unbewusst davon ausgehen, etwas sehbehindert zu sein, also nicht in der Lage sind, mit bloßem Auge Historisches und Gegenwärtiges erfassen zu können: Dies wäre ein weiteres, sprachgebundenes Argument gegen das Postulat des »objektiven« Standpunktes im Prozess der Betrachtung. Das Nachdenken über optische Hilfsmittel wurde erst recht in der Debatte um den Stellenwert der Dialektik zwischen den Geschlechtern in der Wissenschaft zum Thema, wie viele Titel von Referenzwerken bezeugen, wie beispielsweise das klassische Werk Lenses of Gender von Sandra Lipsitz Bem.7 Dies führte zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Spiegeln und Brillen der verschiedenen Zugänge zu den Religionen, vor allem aber mit den dominanten Sichtweisen, welche die Religionswissenschaft seit ihrem Bestehen als universitäre Disziplin prägen. Das oben bereits erwähnte Postulat einer objektiven Sicht auf die Religion wurde als typisch androzentrisch entlarvt.8

Die Begründungen dieser radikalen Kritik sind so vielfältig wie die Beiträge dazu; um zwei Argumente hat sich allerdings ein weitgehender Konsens etabliert. Das erste Argument fokussiert auf die Religionsgeschichte und die Geschichte der Religionswissenschaft; das zweite hat seine Wurzeln in der empirischen Erforschung von Religionen. Diese zwei Argumente sollen im Folgenden vertieft werden.

4 Zur Fachgeschichte

In der Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte stellt man eine eigentümliche Korrelation fest: In der Religionswissenschaft, die das Postulat der wertfreien, objektiven Betrachtung stark betont hat, wurde lange Zeit die Präsenz der Frauen als Akteurinnen innerhalb der verschiedenen religiösen Symbolsysteme und innerhalb des Faches weitgehend ausgeblendet oder als irrelevant betrachtet. In den vielfältigsten Zugängen zur Religion wurde bis ins 21. Jahrhundert der homo religiosus meistens (implizit) mit einem Mann, dem vir religiosus, identifiziert.9

Ein Blick in die Handbücher, mit denen neue Generationen von Religionswissenschaftlerinnen und Religionswissenschaftlern in die Forschungsgeschichte eingeführt werden, bestätigt die von vielen Seiten erhobene Kritik einer androzentrischen Sichtweise im Umgang mit den sogenannten Klassikern. Beispielsweise wissen sowohl Jacques Waardenburgs Classical Approaches to the Study of Religion (1973) als auch Axel Michaels’ Klassiker der Religionswissenschaft (1997) von keiner einzigen Frau zu berichten, die in den letzten 200 Jahren einen nennenswerten Beitrag zur Erforschung der Religionen geleistet hätte. Ursula King fasste 1995 den Stand der Dinge wie folgt zusammen:

As far as I know, no historical investigation has been undertaken up to now to establish how far women writers, missionaries and scholars made a significant contribution to the rise and development of the modern study of religion.10

Dass diese Unsichtbarkeit weiblicher wissenschaftlicher Beiträge kaum auf historischen Sachverhalten beruhen kann, bedarf keiner weiteren Hinweise, wie zahlreiche Arbeiten nun belegen.11 Darüber hinaus erweisen sich in diesem Zusammenhang die Listen der Teilnehmenden an den Kongressen der International Association for the History of Religions zwischen 1908 bis 1985 als aufschlussreich, die eine bemerkenswerte, in bestimmten Jahren sogar hohe Anzahl Teilnehmerinnen belegen. Viel niedriger im Vergleich erscheint hingegen die Anzahl Frauen, die Vorträge hielten oder Sessionen leiteten.12

Die Unsichtbarkeit der wissenschaftlichen Beiträge der Frauen zur Erforschung von Religionen in der Fachgeschichtsschreibung wird von vielen Autoren und Autorinnen mit der extrem dünnen weiblichen Präsenz in den akademischen Institutionen in Verbindung gebracht. Männliche Forscher seien demnach kaum an den Leistungen von Forscherinnen und auch nicht an Fragen nach Bezeichnung, Trennung und Rollen der Geschlechter innerhalb von religiösen Symbolsystemen interessiert. Die wenigen Ausnahmen, wie zum Beispiel Heilers Die Frau in den Religionen der Menschheit (1977) scheinen diese Feststellung zu bestätigen.13

Die Aufmerksamkeit für Frauen und allgemeiner für gendergebundene Aspekte in der Religionswissenschaft wurde vor allem unter dem Einfluss feministischer Bewegungen innerhalb und außerhalb der Wissenschaft in den späten siebziger Jahren geweckt und hat sich erst in den letzten Jahren als wesentliche Komponente religionswissenschaftlicher Arbeit etabliert.14

5 Orientierung im Gemenge der Zugänge

Die geringe Aufmerksamkeit, die Frauen und Rollen der Geschlechter in der Forschungs- und in der Religionsgeschichte entgegengebracht wurde, stellte in der Kritik an den bis in die späten Neunzigerjahre dominierenden »androzentrischen« Positionen ein wichtiges Argument dar. Die zweite zentrale Argumentationslinie wurde in der empirischen Erforschung gegenwärtiger religiöser Systeme entwickelt:15 In der Situation der Feldforschung wurde bereits früh klar, dass die Denkschemen vom Forscher als Subjekt und Erforschtem als Objekt der Forschung nicht in der Lage waren, die Situation der Begegnung zwischen Fachleuten und Angehörigen der erforschten religiösen Symbolsysteme zu erfassen.16 So mutierte beispielsweise die starre Subjekt-Objekt-Beziehung in Interviews oder in Situationen von teilnehmender Beobachtung zu einer höchst komplexen Dialogsituation zwischen Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen. Darüber hinaus erscheint es als evident, dass die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht für die Bestimmung der Beobachtungs- und Begegnungsmöglichkeiten maßgebend ist. Die Geschlechtsunterschiede ermöglichen oder versperren bestimmte Einblicke in religiöse Gemeinschaften, in denen klare Rollenzuweisungen für die verschiedenen Geschlechter bestehen. Eine respektvolle Wahrnehmung dieser Unterschiede einerseits und die weltanschauliche, ethische, politische, soziale und emotionale Einbindung andererseits machen die Beobachtungssituation im Feld zu einem besonderen Fall von zwischenmenschlicher Beziehung. Dazu notiert Kim Knott 1995 folgende Gedanken in einem Forschungstagebuch:

If you see someone drowning while you’re doing your fieldwork and they’re part of the community you’re studying, and if you’re a strong swimmer, do you stand on the bank and watch them drown or do you dive in and save them? You know, fieldwork is active work, where we are in relationship with people. Questions of responsibility, ethics, politics come into those things. How can they be left on one side? They may be able to be left on one side for half of the time, but there will be occasions which come up that demand that we be ourselves in the interview situation.17

Wir kommen also wieder zum Thema der Distanz, die für die wissenschaftliche Arbeit nötig ist, und der Voreingenommenheit, die aus hermeneutischen und zu einem guten Teil auch aus persönlichen Gründen nicht zu vermeiden ist, sowie der aus dieser Kombination gegensätzlicher Haltungen resultierenden Verwirrung. Wie soll man sich nun in der Untersuchung von Religionen in Gegenwart und Geschichte situieren? Wie kann man sich orientieren im Gemenge der Zugänge, zwischen den etischen und den emischen Perspektiven,18 zwischen der vom Ideal der Objektivität geprägten Forschungstradition und dem Bedürfnis einer sachgerechteren, schärferen Brille, welche die Rolle der Geschlechter als wesentlichen Aspekt von religiösen Symbolsystemen wahrzunehmen vermag?19

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