Читать книгу: «Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte», страница 2

Шрифт:

3. Ruhm und Status (1Sam 18,6–9)

Im Abschnitt 18,6–9 wird nun eingangs der Auftritt der singenden Frauen Israels beschrieben. Die Beschreibung hat Ähnlichkeiten mit anderen Darstellungen im Alten Testament, bei denen Frauen ebenso in festlicher Form agieren: tanzend, mit Handtrommeln (vgl. 1Sam 18,6 ) und teilweise singend;54 etwa Mirjam und alle Frauen (Ex 15,20–21), Jiftachs Tochter (Ri 11,34), die Töchter von Schilo (Ri 21), Judit und die Frauen Israels (Jdt 15,12–14 und 16) sowie die metaphorische Frauengestalt „Jungfrau Israel“ (Jer 31,4). Das Motiv erfährt in den jeweiligen Texten und Kontexten unterschiedliche Ausformungen und Einbindungen. Das Motiv hat aber eine gewisse Nähe zum Themenkomplex Gewalt, sei es unter dem Aspekt einer Gewaltüberwindung oder unter dem Aspekt eines Dranges zur Gewaltausübung.

In 18,6 fällt auf, wer sich alles im Szenario bewegt und dabei anscheinend zusammentrifft: In der Temporalangabe kommt eine nicht näher identifizierte Gruppe heim (), und zudem kehrt David ähnlich wie in 17,5755 vom Schlag gegen den Philister zurück. Treten dann die tanzenden Frauen hinzu, wird zugleich angezeigt, dass durch sie eine breite Öffentlichkeit entsteht: „... aus allen Städten Israels“ ziehen sie aus.56 Mit ihrer Performance steuern die Frauen allerdings nur ein Ziel an: Saul. Saul wird hierbei ausdrücklich als König () tituliert. Doch der Chor der Frauen singt dann in 18,7 von Gewalttaten beider soeben erwähnten Männer und nennt sie – wie eingangs erwähnt – auch beim Namen, allerdings ohne einen Titel zu benutzen: Saul und David.

Worauf im Wortlaut des Gesanges der Akzent liegt, wird von der Forschung unterschiedlich gesehen. Insbesondere zwei Positionen stehen sich gegenüber. Kurz lassen sie sich so wiedergeben: In der ersten Position zollen Israels Städterinnen Saul und David gleichermaßen Respekt. Beide hätten ihr beachtliches Vermögen demonstriert.57 In diesem Fall übersetzt man die Kopula zwischen beiden Gesangsteilen in 18,7 mit „und“: Saul schlug und David auch.58 Bei dieser Position würden die folgenden Verse 18,8–9 darlegen, wie Saul den Gesang missversteht.

In der zweiten Position hebt der Gesang der Städterinnen auf Steigerung und Gegenüberstellung ab. Wertend benennen die Frauen Quantitäten, und die Kopula ist mit „aber“ zu übersetzen:59 Saul Tausend, aber David zehnmal mehr. In diesem Fall habe Saul in den beiden folgenden Versen 18,8–9 eingesehen, worauf der Gesang der Frauen abhebt.

Der Text des Gesanges lässt vielleicht ein Changieren zwischen beiden Verstehensweisen zu. Aufschlussreich ist jedenfalls die Fokussierung im Abschnitt. Die Verse 18,6–7 führten noch eine öffentliche und festliche Zusammenkunft vor Augen. Mit 18,8–9 folgt ein Umschwenken allein zu Saul. Seine Emotionen, Einschätzungen und sein Selbstgespräch bekunden alles andere als ein Einstimmen in die fröhliche Tanzaufführung.

In seinem Selbstgespräch (18,8) ist Saul auf den Liedtext konzentriert und darauf, wie der damit verbundene Äußerungsakt gesehen werden kann. Saul setzt die Teile des Gesanges neu zusammen. Die Reihenfolge im Gesang Saul-David dreht er um und nennt nun zuerst David. Das Schlagen erwähnt Saul nicht mehr. Stattdessen macht er die Frauen aus den Städten zu Aktanten. Ihren Sprechakt interpretiert Saul als Zuteilung im Sinne von : Sie gaben () David, sie gaben () mir. Auf die Zahlen geht Saul unterschiedlich ein. Bei der niedrigeren erscheint der Artikel.60 1.000 und 10.000 sind bekanntlich ein gängiges Staffelpaar.61 So hebt Saul mit dem Artikel auf das aus dem Staffelpaar ihm Eingeräumte ab, was zum adversativen Gepräge der parallelen Sätze beiträgt. Die Kopula ist hier eindeutig als „aber“ zu verstehen:62 David Zehntausende, aber mir nur die Tausende.

Ein Erzähltext führt in 18,8 durch zwei Sätze in den Gedankengang von Sauls Selbstgespräch ein. Die zwei Sätze legen vorauseilend die Form von Sauls verbaler Reaktion auf den Frauenauftritt offen: Saul erzürnte heftig (),63 und übel erschien dieses Wort bzw. dieser Sachverhalt in seinen Augen (). Durch die Wortwahl im zweiten Satz von 18,8 wird eine Opposition zu 18,5 angezeigt:64

Die Lesenden sind – wie erwähnt – durch 18,5 darüber informiert, wie Davids Erfolge und Beförderung durch Saul zum hohen Militär in einem breiten Konsens begrüßt wurden: Das erschien gut in den Augen des ganzen Volkes und auch in den Augen von Sauls Knechten (). Ersichtlich treten danach aus denen, welche im Konsens Davids Aufstieg begrüßen, die Städterinnen hervor. Breiter Zustimmung in Bezug auf Davids Karriere steht eine einzelne Ablehnung Sauls gegenüber. Doch genau besehen, tritt Sauls Ablehnung Davids erst mittelbar ein. Denn eine primäre Ablehnung Sauls richtet sich zunächst gegen das, was die Frauen in seinen Augen publik gemacht haben,65 und dabei erst verändert sich von seiner Warte aus das eigene Verhältnis zu David. So fügt die Erzählstimme in 18,9 an: „Und Saul betrachtete David argwöhnisch ab jenem Tag und fortan.“66

Entscheidend für den übergeordneten Zusammenhang ist Sauls Vermutung, die er am Schluss seines Selbstgesprächs in 18,8 hegt. Der Sinn des letzten Satzes in 18,8 ist nicht ganz klar (). Nach Stoebe und anderen schließt das „die Bedeutung des Fehlens“67 ein. Daher übersetzt Stoebe wie meist üblich: „nun es fehlt ihm (= David) ja nur noch das Königtum“. Ein anderer Trend in der Forschung geht davon aus, dass im Vers 18,8 das vorherige zweimalige Verb „geben“ () am Ende in Gedanken zu ergänzen sei. Im Vers ist schließlich der letzte Benifizient mit dem ersten identisch:68 „und sie (= die Frauen) werden ihm auch noch das Königtum geben!“69 Wie dem auch sei,70 in Sauls Überlegungen und Selbstgespräch ist damit offenkundig das angekommen, was die Lesenden bereits wissen sowie bewegen dürfte und was zudem in der erzählten Welt zuletzt Jonatan bei seinem Verhalten angetrieben hat. David ist der Herrscher in spe, während Saul die Herrscherstellung innehat.

Neben ideologischen Grundlagen des Königseins, wie göttlicher Erwählung und Salbung, gehört es bei einem Regenten dazu, dass er vom gesellschaftlichen Netz als König angesehen wird und dass er von solchem Ansehen auch ausgehen kann. Es geht um ein Ansehen im doppelten Sinn des Wortes, wobei der zweite Sinn auch die schillernde Kategorie der Ehre inkludiert. Diese Kategorie ist in den Texten von 1Sam 18 zwar nicht direkt verbalisiert, die Sache schwingt aber mit, und lässt sich als Interpretament heranziehen. Als hilfreich erweisen sich dabei die Begriffsbestimmungen, wie sie Jan Dietrich71 vorgenommen hat und die hier aufgegriffen werden sollen. Demnach ist eine Unterscheidung angebracht. Die Königsehre ist als Statusehre ein begrenztes Gut. In der erzählten Welt kann nur einer König sein. Diese Statusehre ist hier Saul zueigen. Auf ihn als „den König“ gehen die singenden Städterinnen zu.

Doch da die Statusehre ein begrenztes Gut ist, kann sich – je nach Umständen – auch ein Wettbewerb darum in der Form von „Herausforderung (challenge) und Erwiderung (response)“72 ereignen. Mit der Statusehre konkurriert hier die Ruhmesehre, vor allem und zuerst in den Augen Sauls. Ruhm wird erworben durch Leistungen, die bekannt und als solche auch anerkannt worden sind.73 Ruhm ist zunächst an keinen Rang und Stand gebunden. Ruhm kann auch ein einfacher Hirtenjunge wie David erwerben. Ruhm kann aber einen Status verleihen.74 Und das konstruiert hier Saul selbst: Es fehlt David nur noch das Königtum. Mit solch eigenem Konstrukt tangiert Saul hier das Wissen der Lesenden.

Fortan wird Saul das selbst Zurechtgelegte für sich mehrfach als eigene Herausforderung nehmen und darauf – in übler Weise – antworten wollen. Wie und wo sein Antworten beginnt, ist nun genauer zu eruieren. Hierbei spielt eine Rolle, in welcher Weise sich der nächste Abschnitt 18,10–13 an den Abschnitt 18,6–9 anschließt. Im folgenden Punkt ist der Anschluss zu klären und auf diesem Weg zu zeigen, dass besungene Gewalt in Kap. 18 mitursächlich Gewaltausübung erzeugt.

4. Mordversuch und Musik (1Sam 18,10–13)

Der Abschnitt 18,10–13 enthält bis auf ein kurzes Selbstgespräch Sauls nur Erzähltext. Die ersten Sätze sind auf Saul konzentriert, die letzten auf David. Dazwischen werden David und Saul zusammen in den Blick genommen. Der Abschnitt siedelt die ersten Handlungen am Tag nach dem Auftritt der Frauen an. Ereignet sich am neuen Tag ein unabhängiger Zusammenhang? Wohl kaum. Es lässt sich nämlich zeigen, dass die Abschnitte 18,6–9 und 18,10–13 fast wie Ursachen und Folgen zusammenhängen, wenn man vorausgehende Kapitel und Texte in 1Sam mitliest.

Vor allem knüpft Vers 18,10 breit an Erzähltes im ersten Buch Samuel an, greift Fäden im Erzählten auf, verwebt die Fäden aber neuartig.

Ein böser Gottesgeist überkommt Saul in 18,10: „... da durchdrang ein böser Geist Gottes Saul ().“ Damit wird den Lesenden erneut 1Sam 16,14–23 wachgerufen. Dort wurde ähnlich mit unterschiedlichen Wendungen dargelegt, dass ein böser Geist Saul beherrschen kann (16,14.15.16.23) und in Schrecken versetzt (16,14.15).75 Um dem abzuhelfen, wurde in Kap. 16 David zu Saul gebracht. Mit seinem Saitenspiel (16,23; vgl. 16,16,17.18) konnte David dem vom Geist beherrschten Saul Erleichterung verschaffen, was Saul guttat und den bösen Geist weichen ließ. Man deutet dies bekanntlich in der Literatur mit dem Begriff der Musiktherapie.

Auch in 18,10 ist David mit dem Saitenspiel befasst. Daher ist für einige Auslegungen die Assoziation naheliegend, dass David in 18,10 erneut Musiktherapie angesichts des bösen Geistes betreibe.76 Die Therapie würde diesmal scheitern, da der böse Geist nicht weicht und Saul stattdessen David aufspießen will.77

Doch der Vers 18,10 setzt wohl andere Akzente.78 David agiert hier vermutlich nicht bezogen auf Sauls Geisteszustand und spielt auch nicht zwecks Linderung auf. Denn der böse Geist kommt zeitlich genau eingeordnet „am anderen/am folgenden Tage“ (). David hingegen spielt wie immer: „wie Tag für Tag“ ()79. Das nahm sich in 1Sam 16 noch anders aus. Dort griff David in unmittelbarer Reaktion auf Sauls Geisteszustand in die Saiten:

1Sam 16,16.23: ... 16 Und wenn der böse Gottesgeist auf dir ist, wird er in die Saiten greifen () ... 23 Und wenn Gottesgeist auf Saul war, nahm David die Leier und griff in die Saiten () ...

Man darf also annehmen, dass David in 18,10 unabhängig von Sauls Zustand spielt. Schließlich hatte in Kap. 16 ein Knecht am Hofe Sauls auf David aufmerksam gemacht und dabei sechs seiner Eigenschaften benannt. Die erste lautet: „er versteht es, Saiten zu spielen“ (16,18 ).80 So liegt es nahe, dass David in 18,10 einfach nur seiner Leidenschaft frönt.

Neu gegenüber Kap. 16 ist in 18,10, wie die erste Wirkung des Geistes auf Saul ausfällt. Sie versetzt ihn in prophetische Erregung (). Solche Erregung hatte Saul erstmals bereits in 1Sam 10 ereilt.81 Kap. 10 wird nicht zuletzt dadurch zum weiteren und zugleich sehr bedeutsamen Lesehintergrund für Kap. 18. In diesem Kapitel 10 hatte Samuel Saul zum Fürsten (10,1 ) gesalbt und dabei dargelegt, dass Saul gleich drei Begegnungen haben werde. Die dritte Begegnung steht dabei im Mittelpunkt.82 Saul werde auf eine Schar Propheten treffen, die prophetisch erregt sind. Dabei werde JHWHs Geist über Saul kommen, er in prophetische Erregung geraten und in einen anderen Mann verwandelt werden:

1Sam 10,6: Und der Geist JHWHs dringt auf dich ein (), und du gerätst mit ihnen in prophetische Erregung () und verwandelst dich in einen anderen Mann.

Samuels Worte in 10,5–6 eröffnen damit das, was dann im weiteren Erzählgang Saul u.a. auch kennzeichnen wird. Etwa Sauls Gelenktwerden durch eine Geistmacht, die Frage nach seinem Anteil am Prophetentum (10,11.12; 19,24) und seine prophetischen Erregungen.

Die spezielle Geschichte des Geist-Einflusses auf Saul kennt eine Wende. Bei der Bedrohung durch die Ammoniter drang in 11,6 noch der Geist Gottes auf Saul ein;83 darauf sammelte Saul Israel und führte es zum Sieg. Kap. 16 schildert dann die ausschlaggebende Veränderung. Nachdem der Geist JHWHs den gerade gesalbten David für immer durchdrungen hatte (16,13), wich derselbe Geist von Saul (16,14). Sogleich geriet Saul unter den Einfluss eines bösen Geistes (16,14). Nach Kap. 16 durchdringt ein explizit „böser“ Geist Saul noch zweimal: Beide Male versucht er dabei David mit einem Speer zu töten (18,10; 19,9; in 19,23 nur „Geist Gottes“).84

Sauls prophetische Erregungen bleiben im Erzählgang mit einer Geistmacht verknüpft (10,6.10; vgl. 10,11.13; 19,23.24)85 und sie unterliegen vermutlich einer ähnlichen Wende. So schildert Kap. 19 einen erregten Saul, der sich seiner Kleider entblößt und nackt vor Samuel liegt. Aber schon zuvor und allein in 18,10 ist Sauls prophetische Erregung mit dem explizit „bösen“ Gottesgeist verknüpft.86

Für das lesende Verfolgen dieser Fäden, des Geisteinflusses auf Saul und seiner prophetischen Erregung, hält ihr Ausgangspunkt, Samuels Rede in Kap. 10, ein erhellendes Signal bereit. Das Signal hat die Forschung m.E. nicht gebührend gewürdigt. In Samuels Worten befindet sich vor der Schar der Propheten, auf die Saul treffen wird, ein Orchester von Musikinstrumenten:

1Sam 10,5: ... und du stößt auf eine Schar Propheten ... vor ihnen her Harfe, Handtrommel (), Flöte und Zither () ...

Damit fängt in Kap. 10 eine weitere Erzähllinie an, zu der Musikinstrumente und Sauls Empfänglichkeit für solche Musik gehören. U.a. die Zither geht der Prophetenschar voraus, in der Saul erstmals ein göttlicher Geist durchdrang. Nach der Wende bei Saul zum bösen Geist kann nur der geübte Spieler David (16,16 ) mit der Zither in der Hand diesen Ungeist in Saul beherrschen (16,23 ).

Auf ein Orchester aber trifft Saul erst erneut bei den Frauen aus allen Städten Israels in 18,6–7. Die Handtrommel ist ein Markenzeichen ihres Frauentanzes (18,6 Plural ),87 und die Trommel schritt ebenso der Prophetenschar voraus. Die Schar der Propheten bewegte sich in 10,10 auf Saul so ähnlich zu (), wie es dann nach der Wende die Frauen in 18,6 tun werden (). Und Saul ergriff nach der Begegnung mit den Frauen erneut ein Gottesgeist (18,10).

Entscheidend ist nun, dass diese Linien88 im Hintergrund die Lesenden dazu anleiten dürften, Sauls Veränderungen in 18,10 mit der Performance der Frauen in 18,6–7 eng zusammen zu sehen. Die Ereignis- und Satzfolge ‚Eindringen () eines Geistes89 und prophetische Erregung ()’ gibt es im MT nur dreimal und geht stets auf Saul ein: Zweimal nach seiner Zusammenkunft mit der Prophetenschar (10,10), denen in Samuels Ankündigung Instrumente vorausgehen (10,5–6 und 10,10); einmal am Tag90 (18,10) nach seiner Begegnung mit den Frauen, die Instrumente benutzen.91

Sauls geistiger Zustand und seine Erregung in 18,10 sind also konkret zurückbezogen auf den Auftritt der Frauen und dessen Widerhall bei Saul wahrzunehmen. Das weist der Einordnung von Abschnitt 18,10–13 eine klare Richtung zu.

In 18,11 fällt die Reihenfolge auf, dass Saul den Speer wirft und erst danach seine Absicht dabei im Selbstgespräch () eingeblendet wird: „Ich will David an die Wand schlagen ().“ Solch zitierter Gedanke Sauls kommt beim späteren zweiten Speerwurf Sauls gegen David nicht vor (19,8–10; vgl. 20,3392). In 18,11 macht das Selbstgespräch Sauls aber insofern einen literarischen Sinn, als sich Saul in der Szene kurz zuvor ebenso in einem Selbstgespräch () mit dem Lied der Frauen intensiv auseinandergesetzt hat (18,8–9). In 18,11 dürfte Sauls Rede so die Diktion der Frauen im Liedtext aufgreifen: schlagen jemand, mit (18,7).93 Für Shimon Bar-Efrat hebt das Leitwort von Kap. 18 „schlagen ()“ hier auf ein folgenreiches Ineinander der Begebenheiten ab, wenn er kurzbündig festhält: Es „singen die Frauen: ‚Saul hat seine Tausend erschlagen (), David seine Zehntausend’ (V.7). Das bringt Saul dazu, dass er seine Lanze ergreift und denkt: ‚Ich will David an die Wand schlagen ()’ (V.11).“94 Beim Speerwurf ist der für Musik empfängliche Saul so innerlich noch mit dem Gesang befasst, und Saul versucht den zu erschlagen, dem das Lied öffentlich angeblich mehr Schlagvermögen zuschrieben hat.

Die spätere zweite Speerwurfbegebenheit in 19,8–10 bestätigt den Lesenden indirekt von ihrem narrativen Inhalt her, dass Saul in der ersten Begebenheit aufgrund des besungenen Schlagvermögens auf David einschlug. Trotz Modifikationen in den Schilderungen beider Begebenheiten ähneln sich deutlich ihre Umstände und Sequenzen. Beide Speerwurfszenen erhellen sich gegenseitig. Der zweiten Speerwurfszene geht nun eine Kriegsnotiz unmittelbar voraus: David „schlug ... einen großen Schlag“ gegen die Philister (19,8 mit ). Darauf versucht Saul erneut und wieder von einem bösen Geist beeinflusst, David angesichts dessen großen Schlagvermögens zu erschlagen.95

1Sam 19,8–10: Und es kam wieder zum Krieg. Und David rückte aus und kämpfte gegen die Philister, und er schlug sie mit großem Schlag (), und sie flohen vor ihm. 9 Und ein böser Geist JHWHs kam auf Saul, als er in seinem Haus saß. Und sein Speer war in seiner Hand. Und David war mit seiner Hand beim Saitenspielen. 10 Und Saul suchte David mit dem Speer an die Wand zu schlagen. Aber er wich aus vor Saul, und er schlug den Speer in die Wand. Und David floh und entkam in jener Nacht.

Die zweite Speerwurfszene bestätigt so mittelbar die Annahme zu Kap. 18, dass schon das Lied über Davids Gewaltvermögen Saul zur Gewaltanwendung gegen David veranlasst hat. Saul wirft beide Male den Speer, nachdem David als Schlagender in den Blick kam, zuerst als ein mehr Schlagender (18,7.8), dann als der Versetzer eines großen Schlages (19,8).

Das Lied, seine Wahrnehmung durch Saul und das erste Speerwerfen zeigen den Lesenden nicht nur die Wende im Verhältnis zwischen Saul und David an. Damit beginnt auch im Lesegang das wiederkehrende Vorgehen Sauls gegen David, sei es, um David zu vernichten, oder sei es, um ihn nur auf Distanz zu halten.

Hierbei ist ein Unterschied beim Wissensstand der Figuren zu beachten. Die Lesenden erleben eine erzählte Welt, in der das Zerwürfnis zwischen Saul und David von Saul her seinen Ausgang nimmt, und zwar im verborgenen Inneren Sauls. David hat in Kap. 18 keine Kenntnis davon, was Saul gegen ihn vorhat.

Schon allein anhand der beiden Speerwurfszenen wird dieser Unterschied beim Wissensstand deutlich. In der zweiten wirft Saul nur einmal den Speer, worauf David nicht nur ausweicht, sondern auch sofort die Flucht ergreift (19,10). In der ersten Szene wirft Saul gleich zweimal; David aber weicht nur aus und sucht keineswegs das Weite. Denn im ganzen Kap. 18 weihen Sauls Selbstgespräche allein die Lesenden über seine Vorhaben gegen David ein (18,8.11.17.21;96 vgl. 18,25). Erst in 19,1–2 legt Saul seinen Knechten und Jonatan offen dar, David töten zu wollen. Sauls Tötungsabsicht erzählt Jonatan David weiter. Danach vermag zwar Jonatan Saul umzustimmen, und David kann Saul weiter dienen (19,2–7). Aber David hatte nun Jonatans Information gehört (19,2): „Mein Vater Saul sucht dich zu töten ()!“ Aufgrund dieser Information Jonatans geht David erst in Kap. 19 angesichts des geworfenen Speers auf, dass Saul ihn damit töten will, so dass sich David durch die Flucht ins Weite rettet.

Beim ersten Speerwerfen geht David noch nichts auf. Wie die Unbedarftheit Davids in dieser Sequenz zu erklären ist, bleibt eine spannende Frage. Beispielsweise überlegte David Toshio Tsumura, ob Saul das Speerwerfen hier als „military training“97 getarnt habe. Jedenfalls ergreift hier David keine Angst. Hingegen fängt es bei Saul an, dass er sich vor David fürchtet (18,12 ).

18,12 erklärt diese Begebenheit und Sauls Furcht theologisch: „denn JHWH war mit ihm (= David) (), aber von Saul hatte er sich entfernt ().“98 Diese Erklärung bezieht keine Einsicht Sauls in göttliche Dimensionen ein, wie später Vers 18,28 (). Diese Erklärung in 18,12 wird nur den Lesenden gegeben und ruft erneut Hintergründe wach.

Denn der Knecht, der in 16,18 am Hofe Sauls David ins Spiel gebracht hatte, beendete sein Vorstellen Davids mit der Wendung: „Und JHWH ist mit ihm ().“ Saul selbst sagte dann in 17,37 vor dem Kampf mit Goliat zu David: „Geh, und JHWH wird mit dir sein ().“ Mit 18,12 konstatiert erstmals ein Erzähltext das Mitsein JHWHs mit David (vgl. 18,14.28).99 Die Gegenüberstellung hierzu innerhalb von Vers 18,12, wonach sich JHWH von Saul entfernt hatte, erinnert an die Einwirkungen von Geistern auf Saul. Nachdem der „Geist JHWHs“ in Kap. 16 David bleibend durchdrungen hatte (16,13), entfernte sich – wie erwähnt – dieser „Geist JHWHs“ von Saul () und ein „böser Geist“ beherrschte ihn.

Kap. 18 beleuchtet so, worin eine Gewaltattacke Sauls gründet. Dabei hat der böse Gottesgeist zwar einen erhellenden, aber auch nur eher bedingten Anteil. JHWH und sein positives Mitsein (10,7)100 waren längst von Saul gewichen. In diesem engen und sehr speziellen Sinne „gott-los“ geworden, hallte in Saul der Gesangstext der Frauen nach. In Sauls Nachhall hat Ruhm und Ansehen ein erdenklicher Throninhaber, also David, aufgrund des festgehaltenen Schlagvermögens. Erst in dieser konturierten Situation, bei der längst in Sauls Augen für ihn „Übles/Böses“ vorlag (18,8 ), drang diesmal im Nachhinein der böse Gottesgeist (18,10 ) in Saul ein,101 das nun ‚Üble Gottes’.

Sauls Gewaltausübung wird so zuerst immanent und dann dabei nachträglich auch theologisch ausgeleuchtet. Ihr Scheitern hat aber vor allem theologische Gründe. Saul kann JHWHs Schützling nicht vernichten, nur von sich entfernen (18,13 ) und militärisch einsetzen (vgl. 18,12 ), womit aber Saul letztendlich David wieder weitere Erfolge ermöglicht (18,14–16 u.ö.).

Jedenfalls lässt sich als eine Quintessenz zum Zusammenhang Folgendes festhalten: Saul schlägt in 18,11 auf den im öffentlichen Bewusstsein und Gesang besseren Schläger ein, weil er sich durch diesen in seinem Status bedroht sieht. Besungene Gewalt führte in dieser Form zu einem Gewaltausbruch.

In den folgenden Abschnitten des 18. Kapitels wiederholt sich ein nun bekannter Inhalt, und ein neuer kommt hinzu. Saul versucht weiterhin, David zu vernichten. Er vermag es natürlich wieder nicht. Stattdessen führt aber David seinerseits ein Schlagen aus. Dem ist nun nachzugehen, und es soll diesmal aufgehellt werden, wie und warum sich David dabei seinerseits zu einem – eventuell fragwürdigen – Gewaltschlag verleiten ließ oder verleitet werden konnte. Möglicherweise kommt es hier in der Leseerwartung zu einer Überraschung, vielleicht sogar zu einer Brechung der Erwartung.

1 339,67 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
525 стр. 542 иллюстрации
ISBN:
9783429060817
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают