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2. Der Ökumene verpflichtet

Das führt mich zu dem anderen Feld, dem das Konzil meinem Denken und Arbeiten bis heute wichtige Anregungen gab: die Öffnung in der Ökumene, näher hin zu den Kirchen der Reformation. Es ist nicht überflüssig, dies besonders herauszustellen, weil es eben nicht selbstverständlich ist. Noch vor dem II. Vatikanischen Konzil war das anders, was wir gern vergessen. Damals gab es nur die Vorstellung einer „Rückkehr“ der anderen zur katholischen Kirche. Hier hat das Konzil mit seinen theologischen und pastoralen Entscheidungen einen Neuanfang ermöglicht.

Die anderen „Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften“ werden seither im katholischen Raum anders gewürdigt als zuvor. Einzelne Elemente des Kirche-Seins in diesen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften werden positiv benannt (z. B. die gemeinsam anerkannte Taufe, die Verkündigung des Wortes Gottes, die tätige Nächstenliebe u. a. m.). Das Konzil vermeidet freilich, konkret die aus der Reformation entstandenen Kirchen auch theologisch als Kirchen zu bezeichnen. Das signalisiert ein theologisches Arbeitsfeld, das dringlich zu bearbeiten ist. Dennoch bleibt es dabei: Auch in den nichtkatholischen Kirchen und Gemeinschaften ist Gottes Geist am Werk, wird das Evangelium verkündigt und gewinnt die Liebe Christi praktisch Gestalt. In ihnen kann der einzelne Mensch das ewige Heil erlangen.

Dazu kommt eine positive Würdigung des ökumenischen Bemühens insgesamt. Papst Johannes Paul II. hat in seiner Enzyklika „Ut unum sint“, die ganz der Ökumene gewidmet ist, gesagt, dass die ökumenische Bewegung in dem von Kriegen und schrecklicher Inhumanität gekennzeichneten 20. Jahrhundert ein Geschenk des Geistes Gottes sei.13 Dieser Aussage stimmen wohl weithin alle Christen zu. Dass dies so ist, sollte uns Anlass zu immer neuem Dank gegenüber Gott sein.

Lange habe ich mich lokal und auch auf Bundesebene in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in Deutschland eingebracht, von 1995 bis 2001 sogar als deren Vorsitzender. Ich hätte mir nicht vorstellen können, ohne eine vom Konzil her inspirierte Theologie diese Arbeit leisten zu können. Natürlich kamen dabei auch die kontroversen Gesichtspunkte zum Vorschein, insbesondere im Kirchenverständnis. Immer wieder musste ich manches vorschnelle Urteil richtigstellen: Es ist nicht zutreffend, wenn z. B. häufig die katholisch-evangelische Grunddifferenz mit der Formel festgemacht wird: Nach evangelischem Verständnis erfolge Rechtfertigung des Sünders vor Gott „in“ der Kirche, nach katholischem Verständnis „durch“ die Kirche. Genau bei solch gewichtigen Fragen half mir mein vom Konzil her geprägtes Kirchenbild, für die im Glauben getrennten Geschwister gesprächsfähig zu bleiben.

Kirche schiebt sich für Katholiken eben nicht zwischen Christus und den Menschen. Sie enthüllt mir vielmehr das Angesicht des Herrn, damit ich von ihm im Wort und Sakrament „erleuchtet“, österlich lebendig werden kann. Die Kirche ist mir Heilsraum, aber nicht Heilsursache. Darum gilt für mich: An ihrer Hand habe ich den gefunden, den „meine Seele liebt“ (Hld 3,1). Paulus gebraucht einmal das Bild, er wisse sich als „Brautwerber“ (2 Kor 11,2), der zu Christus führen will. Eben das ist für mich das Wesen der Kirche. Und so habe ich es auch als ein in der Diaspora aufgewachsener Katholik konkret in meiner Biographie erfahren. Aber das bestätigt mir nur biographisch, was ich, belehrt durch das Konzil, theologisch weiß.

Meine Erfahrung, besonders auch später im Bischofsamt, hat mir gezeigt: Es wird kein Voranschreiten in der Ökumene geben, wenn wir uns Christen nicht gegenseitig im Blick behalten. Damit meine ich nicht, dass es nicht auch Sachkritik am anderen geben könne. Wichtiger ist freilich, in welcher Gesinnung solche gegenseitige Kritik geschieht. In uns muss das konkrete Wissen wachsen und sich emotional verankern, dass der und die andere neben mir von Christus geliebt sind. Kinder hören zu streiten auf, wenn sie sich der gemeinsamen Liebe ihrer Eltern wieder sicher sind.

Gerade durch die ACK habe ich gelernt, meine eigene Kirche auch mit den Augen der ökumenischen Partner zu sehen. Das ist manchmal schmerzlich, weil ich dann auch eigenes Fehlverhalten und Versagen deutlicher erkenne. Aber alles in allem ist dies eben auch heilsam. Ich hatte einmal den Vorschlag gemacht, im jeweiligen sonntäglichen Gottesdienst einer Gemeinde regelmäßig (etwa in den Fürbitten) auch der anderen Christen am Ort zu gedenken. Hier und da erlebe ich, dass dies gemacht wird. Darüber kann man sich nur freuen. In einer solchen Gemeinde bleibt der „Geist des Konzils“ lebendig.

Aber auch in anderer Hinsicht brauchen wir die Ökumene – und das scheint kein Gegensatz zu dem soeben Gesagten. Wir sollten gemeinsam immer wieder auf Aufgaben schauen, die uns als Christen in Deutschland und angesichts einer zerrissenen Welt herausfordern. Freundschaft wächst und vertieft sich durch gemeinsame Bewährung, nicht durch fortwährendes gegenseitiges sich Fixieren und Bemessen. Wir brauchen eine ökumenische Grundeinstellung, die nicht als Motto ausgibt: „Mal sehen, was dem anderen zuzumuten ist“, sondern: „Gemeinsam schauen auf das, was diesem Land nottut, nämlich: neu nach Gott zu fragen“. Das führt mich zu einem weiteren, mir wichtigen Lernfeld, zu dem mich gerade auch das Konzil angeleitet hat. Ich meine damit die Aufgabe, mutig auf eine neue, missionarische Präsenz des Evangeliums in unserer Gesellschaft hinzuarbeiten.

3. Den Menschen das Evangelium anbieten

Für mich ist unter den Konzilsdokumenten die Pastoralkonstitution „Kirche in der Welt von heute“ (Gaudium et spes) wichtig geworden, besonders auch für meine Grundeinstellung zur Aufgabe der Kirche im damaligen Ideologiestaat DDR. Dieses Dokument hat mir geholfen, mit anderen zusammen die Mentalität der kirchlichen „Einigelung“, der „Überwinterung“ im Warten auf bessere Zeiten aufzubrechen. Eine erste Frucht dieses Bemühens waren manche neue Töne in den gemeinsamen Hirtenschreiben der Bischöfe im Osten, ferner das im Dresdener Katholikentreffen von 1987 sich zeigende neue Selbstbewusstsein der katholischen Christen im Osten und schließlich auch die Bereitschaft unserer Kirche, sich an den drei Ökumenischen Versammlungen unmittelbar vor der friedlichen Revolution von 1989/90 zu beteiligen, die bekanntlich einen wichtigen Beitrag leisteten für den gesellschaftlichen Neuanfang in den nachfolgenden Jahren.14

Dem Konzilsdokument „Kirche in der Welt von heute“ wurde manchmal eine gewisse theologische „Blauäugigkeit“ vorgeworfen. Aber damit tut man diesem, sicher in das Denken und Empfinden der damaligen Zeit eingebundenen Dokument unrecht. In dieser Pastoralkonstitution geht es um eine grundsätzliche Neubestimmung des Verhältnisses von Kirche und Welt. Es geht im Letzten um eine Absage an die herkömmliche Auffassung einer Dominanz der Kirche auch über die weltlichen Dinge und ihre Ordnungen. Zum ersten Mal wird hier in einem Konzilsdokument von einer (wenn auch durch Gott umfangenen) Autonomie der weltlichen Wirklichkeit gesprochen, die auch die Kirche zu respektieren hat und die von den Laienchristen bei ihrem Welteinsatz zu berücksichtigen ist. Daraus folgt unmittelbar die Einsicht, dass in manchen Fragen der Gesellschaft, die heute anstehen, die Kirche keine endgültigen und abschließenden Antworten geben kann. Das Konzilsdokument ruft vielmehr die Christen auf, im gemeinsamen Gespräch, auch mit Nichtchristen, nach den richtigen Wegweisungen für eine bessere Weltgestaltung zu suchen. Das Konzil gesteht freimütig, dass die Kirche selbst immer auch eine lernende Kirche ist.

Es ist schon erstaunlich, welcher Wandel der Selbsteinschätzung von Kirche in ihrem Verhältnis zur Welt in diesem Dokument zum Ausdruck kommt. Gaudium et spes ist sicherlich das Konzilsdokument, das am zutreffendsten die Vision von Papst Johannes XXIII. zum Ausdruck bringt, die Kirche möge zu ihrem Grundauftrag zurückfinden, nicht nur Wahrheiten „an sich“ zu verkünden, sondern sie den Menschen von heute so nahezubringen, dass die befreiende und heilende Wirkung des Evangeliums erkennbar werden kann.15 Aggiornamento, „Verheutigung“ im Sinne von Papst Johannes XXIII. meint ja nicht eine billige Anpassung oder gar Anbiederung der Kirche an die Welt von heute, sondern eine heilsame Zusammenführung des Evangeliums und des Menschen mit seinen Fragen, Ängsten und Sehnsüchten, die allein in Jesus Christus ihre letzte Beantwortung erhalten. Und das bedeutet für den Glaubenden immer auch schmerzliche Auseinandersetzung, ja die Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge und ggf. auch zum Martyrium. Johannes Paul II. hat immer wieder darauf hingewiesen, dass gerade das letzte Jahrhundert für die Kirche ein Jahrhundert der Märtyrer gewesen ist.

Es stimmt nicht, wenn dem Konzilsdokument nachgesagt wird, es vernachlässige die Glaubenserfahrung, dass auch das Kreuz zur christlichen Existenz in dieser Welt gehört. Ohne Zweifel ist die Pastoralkonstitution von einem gewissen Optimismus erfüllt, der Chancen und Möglichkeiten der Verkündigung des Evangeliums auch an die Menschen von heute sieht. Aber zum einen weiß das Dokument auch um die Aufgabe jedes Gläubigen, „gegen das Böse durch viele Anfechtungen hindurch anzukämpfen und auch den Tod zu ertragen“ (GS 22), es weiß um das durch die Sünde verderbte menschliche Handeln und die Notwendigkeit, dass dieses „Elend“ „durch Christi Kreuz und Auferstehung gereinigt“ und „alles Tun des Menschen, das durch Stolz und ungeordnete Selbstliebe täglich gefährdet ist“, durch Christi Heilswerk „zur Vollendung gebracht werden muß“ (GS 37). Zum anderen betonen die Konzilsväter, dass sie mit der Pastoralkonstitution keine letztgültige Lehre über den Weltauftrag der Kirche verfasst haben. Das geht von der Sache her auch gar nicht, weil die Dinge dieser Welt immer in Entwicklung sind. Was sie intendierten war „die Schleifung der Bastionen“ (so der Titel einer wichtigen Streitschrift von Hans Urs von Balthasar aus dem Jahr 195216). Sie wollten die Bereitschaft der Kirche signalisieren, sich für das Gespräch mit der Welt zu öffnen und nicht in einer kirchlichen „Festungsmentalität“ zu verharren.

Es ist noch lange nicht ausgemacht, welche Früchte aus diesem Gesprächsangebot wachsen. Vermutlich wird die Öffnung der Kirche für die Welt von heute, die Gaudium et spes angestoßen hat, ihre Bedeutung erst voll im gerade angebrochenen Jahrhundert entfalten. Denn dieses Jahrhundert wird zeigen, ob die großen Weltreligionen und unter ihnen das Christentum einen entscheidenden Beitrag für die Sicherung einer humanen Zukunft der Welt zu leisten vermögen, auch in Gesellschaften, die dabei sind, zumindest weithin im Westen, sich von den eigenen Quellen einer universal verpflichtenden Ethik zu verabschieden.

Wenn ich persönlich meine Erfahrungen mit den Ereignissen der friedlichen Revolution von 1989/90 reflektiere, so muss ich sagen: Ich bin auch im Blick auf die seelsorglich-kirchliche Arbeit dankbar, dass die alte DDR aufhörte zu bestehen. In Kurzfassung: Wir leben jetzt auch kirchlich ehrlicher als früher. Anpassung und Leisetreterei sind in einem repressiven Staat nichts Unnormales, aber eben auch nichts Gutes. Was Kirchen und christlicher Glaube an geistiger Widerstandskraft gegen die alte Ideologie mobilisiert haben, muss sehr gewürdigt werden. Aber auch das Leben in einem geistigen Gefängnis macht „blind“. Zwar hat die DDR-Zeit viel zwischenmenschliche und kirchliche Grundsolidarität unter den Menschen erzeugt, aber die vom Staat gezielt herbeigeführte gesellschaftliche Isolierung der Kirche hat ihr nicht gutgetan. Es ist gut, wenn nun die Kirchen und jeder einzelne Christ positiv, und nicht nur durch Verweigerung, zeigen kann, was der christliche Glaube zur humanen Gestaltung eines Gemeinwesens beiträgt. Eine solche Einstellung kann sich mit Recht auf das Konzil berufen, das zu einem solchen „Welteinsatz“ ermunterte.

Mein Blick in meine Dienstbiographie zeigt mir, dass wir im Osten letztlich noch zu zögerlich die Impulse des Konzils aufgegriffen haben. Wir waren zu wenig oder kaum ausgerichtet auf eine geistige und geistliche Präsenz, die angriffig ist, die anregen will, die auf andere abzielt, die mehr bewegen als bewahren will. Wir stellten zu wenig „das Licht auf den Leuchter“ (so ein pastorales Schwerpunktthema vor einigen Jahren im Bistum Erfurt)17. Damit meine ich nicht unser eigenes Licht, sondern das Licht eines Gottesglaubens, den auch wir geschenkt bekommen haben und der allen – Gläubige wie Ungläubige – gemeinsam Wegweisung geben will.

Im Osten wird sich exemplarisch entscheiden, ob es eine neue Zuversicht, einen neuen Aufbruch in der Verkündigung des Evangeliums in ganz Deutschland geben wird oder nicht. Hier wird die Kirche zeigen müssen, wie das Evangelium auch in der Gesellschaft von morgen neuen Glanz gewinnen kann. Ob wir die Konzilstexte nicht doch noch einmal nachdenklich neu lesen sollten, etwa was in Gaudium et spes zum Atheismus und Agnostizismus so vieler Zeitgenossen gesagt ist (vgl. GS 19-21)?

Dass es derzeit keine, zumindest keine schlüssigen „Pastoralrezepte“ gibt, macht mich weniger besorgt. Das ist ja ein Kennzeichen von Umbruchzeiten, in denen alte Horizonte versinken, aber die neuen noch nicht voll erkennbar sind. Was mich besorgt sein lässt, ist vielmehr die Ahnung der Möglichkeit, dass das religiöse Fragen überhaupt verstummt. Friedrich Nietzsche ist heute wohl aktueller als am Ende des vorigen Jahrhunderts, zumindest radikaler als der Marxismus, der letztlich noch eine Zukunftsvision hatte, freilich eine rein innerweltliche, eine Art „Christentum ohne Gott“. Nietzsche dagegen sah schon den „blinzelnden“ Menschen, der alles durchschaut – bis dieser am Ende überhaupt nichts mehr sieht. Er sah den Menschen, der sich seine Lebenswohnung so mit den Produkten seiner Hände und seines Geistes vollgestellt hat, dass er Gottes nicht mehr ansichtig wird.

Darum ist die wahre Herausforderung unserer Kirche in der Tat die Gottesfrage. Wir sind gehalten, wieder das Evangelium völlig neu zu entdecken, an der Hand des Lehrers Jesus selbst, im Rückgriff auf die Ursprünge über alle kirchlichen Traditionen hinweg – die wir als Korrektive brauchen, die aber so nicht mehr Glaubensleben wecken können.

Wenn ich das so formuliere, wird klar, dass es die von uns machbaren Chancen für die christliche Botschaft gar nicht gibt. Es gibt nur jenen kairos, jenen Gnadenzeitpunkt, den Gott jeder Zeit neu schenkt. Was wir tun können ist, noch redlicher die geistige Situation der Zeit wahrzunehmen, keinen Illusionen nachzujagen, uns zu konzentrieren auf das Wesentliche und Zentrale dessen, warum es Kirche überhaupt gibt. Das wollte das Konzil. Aber das Konzil bleibt toter Buchstabe, wenn es nicht Glaubende gibt, die heute das neu in ihr Leben übersetzen, was damals Johannes XXIII. wollte: dem Geist Gottes in ihrem je eigenen Leben und im Leben der Kirche neuen Raum und Einfluss zu verschaffen.

Worauf ich immer wieder Hinweise: Ich spüre bei den Leuten speziell hier im Osten eine tiefe Sehnsucht nach gelingenden „Beziehungen“, nach menschlicher Nähe und nach „Angenommen-Sein“. Wenn es irgendwie gelingt, das erste Misstrauen gegenüber Kirche zu zerstreuen, wirklich absichtslose Nähe zum anderen glaubhaft zu machen, dann öffnen sich oftmals sehr bald die Herzen. Es gehört zu den schönsten Erfahrungen im Leben eines Priesters, wenn er bei einem Hausbesuch gesagt bekommt: „Das ist aber schön, Herr Pfarrer, dass die Kirche (!) einmal nach mir schaut!“ Übrigens sagen das manche auch zu einem aus dem Pfarrgemeinderat, der im Namen der Gemeinde einen Besuch macht.

Die Chance kirchlich-pastoralen Wirkens besteht heute darin, in der zunehmenden Vereinzelung der Menschen Beziehungsnetze zu knüpfen. Ich gebe zu: Wir erfahren in diesem Bemühen auch Ablehnung, wir begegnen Vorbehalten und Misstrauen. Doch sehe ich auch, dass es in unserer Leistungsgesellschaft, vielleicht gerade wegen ihrer oft unerbittlichen Härte und Stressigkeit, Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Annahme gibt. „Du bist angenommen!“ Diese Grundbotschaft des Evangeliums hat auch heute ihren kairos. Das Elisabethjahr 2007, die Feier von Elisabeths 800. Geburtstag, die weit über den kirchlichen Raum hinein in die Öffentlichkeit ausstrahlte, hat mir das eindrucksvoll gezeigt: Das Evangelium hat mehr Sympathisanten als wir meinen. Diese Botschaft, diese „Barmherzigkeits-Melodie“ soll durch uns das Herz der Menschen erreichen.

Begleiten erfordert die Bereitschaft, die Buntheit und Unterschiedlichkeit menschlicher Biographien auszuhalten. Ich sage gern: Wir müssen lernen, auch mit den kirchlich nicht ganz „Stubenreinen“ umzugehen. Hier tun wir uns bekanntlich sehr schwer. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie in der Kirche „willkommen“ sind. Zeichen des Willkommen-Seins sind ja nicht nur die Sakramente. Der ganze Bereich der vorsakramentalen Seelsorge, in dem die Kirche an sich doch reiche Erfahrung hat, wird zunehmend Bedeutung erlangen. Ich denke an die vielen Nichtgläubigen und „Halbgläubigen“, die punktuell Berührung mit der Kirche suchen, etwa beim festlichen Weihnachtsgottesdienst, bei der Einschulung ihrer Kinder, bei der Beerdigung eines Angehörigen, in eigener Krankheit oder anderen Notsituationen usw. Die Kirche, das Pfarrhaus, die eine oder andere Gruppe von Gläubigen muss als Ort des Erbarmens, des Angenommen-Seins, der mitmenschlichen Nähe bekannt sein. Derzeit ist die Kirche mehr im Verdacht, die Menschen zu verschrecken und ihnen das Leben zu vermiesen, als sie für Gott und füreinander freizusetzen. Diesem Grundverdacht muss energisch entgegengewirkt werden. Dass aus einer echten Christusbeziehung dann auch Lebensumkehr erwächst, steht auf einem anderen Blatt. Umkehr erwächst freilich aus Annahme, nicht umgekehrt!

Meine Erinnerung an eine vom Konzil inspirierte Pastoral ist unmerklich in die Betrachtung der Gegenwart eingetaucht. Aber so muss es wohl auch sein. Ich möchte noch einmal meine theologische und pastorale Grundeinstellung zum Ausdruck bringen, von der ich meine, dass ich sie nicht zuletzt dem Konzil verdanke. Die Kirche hat keinen Selbstzweck. Sie hat eine universelle Sendung. Sie soll und will Instrument des Heils für alle sein und so dem Plan Gottes dienen, allen Generationen das Angebot seiner Freundschaft, seiner Nähe zu machen. So darf die Kirche das Vertrauen haben, dass auch im Wandel der Zeiten der Herr mit ihr geht. Vermutlich ist sogar der uns so herausfordernde und pastoral bedrängende kulturelle Wandel eine Hilfe des Himmels, immer neu auf die Mitte des Evangeliums aufmerksam zu machen. So ist es auch gut, auch für unsere Kirche und ihr Leben, dass die politische „Wende“ gekommen ist. Ich ermuntere die Priester und Mitarbeiter in der Pastoral, die gewandelten Verhältnisse auch innerlich anzunehmen, auch wenn diese Verhältnisse uns mancherlei neue Probleme bescheren. Aber die Freiheit ist immer besser als Zwang, besser als der sublime Druck, mit dem uns das alte System früher „geholfen“ hat, die Gemeinden beisammenzuhalten. Eines ist freilich erforderlich: Wir müssen Profil zeigen. Wir müssen uns am Evangelium messen. Wir müssen uns auf unseren eigentlichen Auftrag besinnen. Und das ist vermutlich ganz im Sinne der Heilspläne Gottes.

Kirche und Diaspora. Die Katholische Kirche in der DDR und das Zweite Vatikanische Konzil 18
Josef Pilvousek

Die Brisanz des zu behandelnden Themas scheint mir sowohl durch die politischen und kirchlichen Entwicklungen Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre als auch durch die doppelte Diasporasituation (konfessionelle und gesellschaftliche) der Kirche in der DDR gegeben zu sein. Seit 1958 hatte der in Westberlin lebende Kardinal Döpfner keine Einreise mehr in die DDR erhalten. In Dr. Alfred Bengsch19 bekam er 1959 einen in Ostberlin ansässigen Weihbischof. Am 3. Juli 1961 wurde Döpfner Erzbischof von München. Die drei Jahre waren durch mannigfaltige staatliche Aktivitäten gekennzeichnet, die eine Spaltung der katholischen Kirche in der DDR und in Berlin zum Ziel hatten und deren „Gleichschaltung“ beabsichtigten. Am 13. August 1961 wurde mit dem Bau der Mauer die völlige Abriegelung der DDR begonnen. Für die Kirche bedeutete dies die Gefahr der Isolation. Wie würde sich der Staat gegenüber einer Teilnahme ostdeutscher Ordinarien am Konzil verhalten, das man bereits einen Monat nach seiner Ankündigung am 9. Februar 1959 als Plattform gegen „das sozialistische Weltsystem“20 bezeichnet hatte. Würde der Staat Reisegenehmigungen erteilen und womöglich Gegenleistungen erwarten? Durfte man damit rechnen, dass Beschlüsse des Konzils publiziert werden konnten? Welche Rezeptionsprozesse waren in einem „sozialistischen“ Staat möglich?

Die folgenden Ausführungen werden keine systematische Darstellung des Konzils und seiner Bedeutung für die DDR oder eine Gesamtgeschichte dieser Thematik sein können. Die Quellenlage ist äußerst kompliziert21; manche Archivalien werden erst in einigen Jahrzehnten zugänglich sein. Darüber hinaus legten die Teilnehmer aus der DDR, um die Mitarbeit am Konzilsgeschehen nicht zu gefährden, wenig Wert darauf, alle Einzelheiten für die Öffentlichkeit zu dokumentieren. Auch eine theologiegeschichtliche Gesamtdarstellung ist, trotz einiger wichtiger Vorarbeiten, noch nicht möglich. Dennoch erlaubt eine Zusammenschau aller bisher zugänglichen Quellen einen fragmentarischen Überblick. In meiner Darstellung wird es mir vor allem darum gehen, das Zweite Vatikanische Konzil historisch mit den Besonderheiten einer Kirche eines Ostblockstaates marginal zu erhellen. Dazu gehört auch über den Rahmen kirchenpolitischer und theologischer Erörterungen hinaus, Teilnehmer, ihre Funktionen und, soweit wie möglich, ihre Aufgaben darzustellen.

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