Читать книгу: «Den österlichen Mehrwert im Blick», страница 3

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Die Tora stellt Israel vor die Entscheidung. Das macht die folgende Gottesrede deutlich (Jes 1,18–20). Diese Rede ahmt einen Rechtsstreit vor Gericht nach. JHWH setzt sich wie in einem Rechtsstreit mit Israel als seinem Gegenüber auseinander. JHWH zeigt sich bereit, auch die schwersten Vergehen in Israel zu vergeben (1,18). Die göttliche Bereitschaft zur Vergebung gestattet Israel aber keineswegs, dass es sich bequem zurücklehnen kann. Die Tora hat soeben Israel kundgemacht, was JHWH wirklich gefällt. Nun macht JHWH klar, dass Israel auf die Anliegen in der Tora reagieren muss. Diese Reaktion wird die Weichen stellen, wie sich Israels Zukunft und Geschick gestalten werden. Macht sich Israel willig und gehorsam die göttlichen Anliegen zueigen, wird es ein glückliches Leben im Land führen (1,19). Falls nicht, kommt ein gewaltsames Sterben auf Israel zu (1,20).

Eines ist noch zu den sozialethischen Ansprüchen JHWHs an Israel zu sagen. Diese Ansprüche werden in Kapitel 1 insbesondere mit den Begriffen „Recht“ (Jes 1,17) und „Gerechtigkeit“ benannt. Israels Geschick ist an das Ausüben von Recht und Gerechtigkeit gebunden. Literarische Pendelschläge machen das deutlich: Der Vers 1,21 muss eine Totenklage anstimmen; denn in Jerusalem waren zwar früher Recht und Gerechtigkeit vorhanden gewesen, beide Größen sind aber momentan abhandengekommen. Durch deren Verdrängen ist die Stadt JHWH untreu geworden und benimmt sich wie eine Dirne. Es werde schon ein Gerichtshandeln Gottes nötig sein müssen (1,24–25), das Jerusalem wieder auf ihren früheren Stand bringt, damit man sie „Stadt der Gerechtigkeit“ (1,26) nennen kann. Der Vers 1,27 schließlich bezieht Recht und Gerechtigkeit in eine mögliche zukünftige Erlösung ein: „Zion wird durch Recht erlöst, und ihre Umkehrenden durch Gerechtigkeit.“

Damit ist ein wenig das Kapitel Jes 1 beschrieben, auf dessen Hintergrund die Schilderung der Völkerwallfahrt und Jesajas Appell an seine Adressaten in Jes 2,5 zu stehen kommen. Auf diesem Hintergrund werden an Jes 2,1–5 einige Aspekte sichtbarer. Diese lassen sich in vier Punkten bündeln.

(1) Von Jes 1,1 bis Jes 2,5 wechseln die Perspektiven auf eine Weise, dass sich ein Kreis schließt. Sieht man von Randerscheinungen ab, so hat sich das erste Kapitel mit dem Binnenraum Israel befasst und ist auf diesen Binnenkreis konzentriert gewesen. Der erste Abschnitt des zweiten Kapitels weitet danach den Blickwinkel und nimmt die Völkerwelt, „alle Nationen“ (2,2), in den Gesichtskreis mit hinein. Nach dieser geweiteten Perspektive kehrt der Schlussvers des Abschnittes 2,5 wieder zum Binnenraum zurück. Ein wichtiger Effekt dieser Perspektivwechsel besteht darin, dass nun der Binnenraum Israel, das lebendige „Haus Jakob“, in eine Horizonterweiterung gebracht worden ist. Spricht Jesaja in 2,5 Israel auffordernd an, muss dieses Israel dabei die künftige Umtriebigkeit in der Völkerwelt mitbedenken.

(2) Wenn der Vers Jes 2,5 an Israel appelliert, sich im „Licht JHWHs“ aufzuhalten, dann geht dieser Appell nicht einfach davon aus, dass Israel bei einem neutralen Nullpunkt anzufangen hat, als ob nichts gewesen wäre. Kapitel 1 hat gezeigt, dass sich Israel an einem Tiefpunkt befindet. Mit der Metaphorik des Verses 2,5 gesprochen, hält sich Israel noch wie in einer Finsternis auf, dem Gegenpol von Licht, und in keiner bloßen Grauzone. Schuld und Sünde, kultische Defizite und sozialethische Mängel haben Israel von seinem Gott JHWH entfernt und das Gottesvolk belastet. Israel steht vor einem langen Weg ins Licht, den es – wie Jes 1 darlegte – mit JHWHs Hilfe und orientiert am Maßstab Tora und an Recht und Gerechtigkeit beschreiten kann. Die beiden angesprochenen Wege, der der Völker und der Israels, sind einander ähnlich, aber sie sind auch voneinander unterschiedlich. In Zukunft wird die globale Völkerwelt sowohl eine örtliche als auch eine innere Bewegung vollziehen (2,2–4), aber der Binnenraum, das Haus Jakob, möge jetzt eine sehr weitgreifende innere Bewegung vollziehen (2,5).

(3) Der Binnenkreis Israel weiß durch den geweiteten Gesichtskreis zur Genüge um die hoffnungsvollen und vielversprechenden Chancen für ein Zusammenleben in der Welt. Nationen und Völker werden in einen Friedenszustand eintreten können. Das Aussichtsreiche und Erfolgversprechende für das globale Miteinander werden dem Binnenkreis Israel wie ein Anreiz vor Augen gestellt, selber aktiv zu werden und sich zu bewegen. Was den wallfahrenden Völkern widerfahren soll, kann und darf Israel als anspornende Motivation aufgreifen. Der Gedanke bei der Motivation für den Binnenraum kann etwa so beschrieben werden: Handeln und leben wir als Haus Jakob derart, dass unsere eigene Gemeinschaft dem zukünftigen Friedenszustand und Glück unter den Völkern entspricht! – Falls aber diese Motivation nicht greift, könnte sich zumindest hypothetisch auch ein sehr düsteres Szenario einstellen, das nicht nur Israel, sondern auch die Völkerwelt betrifft:

(4) Denn der Binnenkreis Israel ist in der literarischen Darstellung von Jes 1,1–2,5 alles andere als eine in seiner Existenz gesicherte Größe. Jes 1 hatte an Vernichtungen von Teilen Israels erinnern müssen. Die Gründe und Auslöser für die Vernichtungen herrschen aber immer noch im verschonten Rest-Israel vor. Falls dieses Rest-Israel weiterhin auf dem sündhaften Stand von Sodom und Gomorra verbleiben würde, droht dann diesem Israel nicht doch noch der Untergang (vgl. 1,20)? Im Falle eines solchen Untergangs könnten die Völker in Zukunft auch keinen bewohnten Zion und keine belebte Stadt Jerusalem mehr aufsuchen. Die kühne Zukunftsvision vom Frieden unter den Völkern hätte dann eine ihrer Grundlagen verloren. Eine Ermöglichung des Völkerfriedens am Zion und in Jerusalem wäre abhandengekommen. Damit ist beim Appell in Jes 2,5 ein weiterer Gedanke präsent. Das Israel am Zion und in Jerusalem, der Binnenkreis, ist vor die Aufgabe gestellt, durch eigenes Aktivwerden den zukünftigen globalen Frieden mit zu ermöglichen und nicht zu verhindern. Dieser weitere Gedanke beim Appell lässt sich in etwa auch so umschreiben: Werden wir als Haus Jakob zu einer Tora-konformen, zu einer gerechten Gesellschaft und dadurch überlebensfähig, damit sich dadurch der Frieden unter den Völkern realisieren kann!

Die Gedanken in Jes 1,1–2,5 sind eingeflochten in eine richtungsweisende Theologie. JHWH hegt die Absicht, Zion-Jerusalem als Ausgangspunkt für einen weltweiten Frieden einzusetzen. Angesichts und aufgrund dieser göttlichen Absicht hat der Binnenraum Israel nicht allein an die eigenen Belange zu denken und nicht nur um sich selbst zu kreisen. Der Binnenraum muss auch die universellen Pläne seines Gottes mit den Völkern einbeziehen. Wenn Israel durch Toragehorsam seine Existenz schützt, bewahrt Israel zugleich seinem eigenen Gott die Möglichkeit, eine Stätte in der Welt zu haben, von der Tora ausgehen und an der ein Frieden unter den Völkern beginnen kann. Israel wird dann von JHWH eine der Chancen erhalten, mit der er Krieg und Zwist überwinden kann.

Jes 1,1–2,5 stellt im umfangreichen Jesajabuch eine Art Ouvertüre dar. Die Ouvertüre lässt vieles anklingen, was dann im Buch weiter entfaltet wird. Einzelne Punkte, die für aufschlussreiche oder für überraschende Weiterführungen stehen, seien kurz angedeutet.

Israel und die Völker

„Tora“ als eines der Leitworte des Buches kommt im Kapitel 51 das letzte Mal vor. Das Leitwort steht auch hier im erhellenden Zusammenhang: Zion befand sich in einer desolaten Lage. Doch JHWH tröstet Zion und „ihre Trümmerstätten“, und er richtet Zions Umland neu her (Jes 51,3). Die Aufforderungen am Anfang des Buches, die Tora zu befolgen, münden u.a. in Kapitel 51 in einen Toragehorsam unter den Bewohnern am Zion. JHWH kann nun solche anreden, die sich als „Kenner der Gerechtigkeit“ und als „Volk mit meiner Tora im Herzen“ erweisen (51,7). Entsprechend verkündet JHWH das Ende von Not und die Beständigkeit seines Heils (51,7–8). Erhoffte der Buchanfang, dass die Tora die Völker erreichen wird, erfüllt sich solches u.a. auch hier. Denn innerhalb der Darstellung vermeldet JHWH seinem Volk: „ [...] Tora wird von mir ausgehen und mein Recht als Licht der Völker [...] Meine Gerechtigkeit ist nahe, mein Heil ist hinausgegangen, und meine Arme verschaffen den Völkern Recht“ (51,4–5). Standen in der Ouvertüre die Tora für Israel und die Tora für die Völker eher unverbunden nebeneinander, so sind nun beide einander näher gerückt. Der Toragehorsam im Inneren geht mit einer heilsamen Wirkung der Tora in der Völkerwelt einher.

Höchst beachtlich ist nun, dass die Völker Israel in seiner Zusammensetzung verändern können: Das Jesajabuch setzt viele historische Veränderungen einfach voraus. In einer Phase gelangten ‚Israeliten’ außerhalb ihres Ursprungslandes. Sie weilen dann im Exil (Babylon) oder leben in einer Diaspora. Die Rückkehr dieser Israeliten zum Zion wird so im Buch zum Thema (vgl. Jes 48,20; 52,11–12; 55,12–13), zudem wird auch ein Zug der Völker zum Zion thematisiert, bei dem sie Nachfahren der Israeliten mitbringen (vgl. 60,5). Anscheinend passend zu diesem Hin und Her nimmt das Buch JHWH-Verehrer aus anderen Völkern in den Blick und problematisiert die Stellung dieser Verehrer im Gottesvolk Israel. Das Buch spiegelt dabei eine Auseinandersetzung im Inneren der Gemeinde Israels wider: Wer darf zur Gemeinde gehören und wer nicht? Die Auseinandersetzung spaltet die Gemeinde Israel. Eine entscheidende Gruppe im Buch Jesaja sieht die Mitgliedschaft von JHWH-Gläubigen aus den Völkern in der Gemeinde Israel als angemessen und richtig an, und die Gruppe kann sich auch auf Worte JHWHs berufen. Die Zulassung zur Gemeinde darf nicht davon abhängen, welche ethnische Herkunft jemand hat. Entscheidend sind zuerst das ethische Verhalten, die Beachtung des Sabbats, das Bekenntnis zu JHWH (vgl. 56,1–8) und die Abkehr von Fremdgottverehrungen (vgl. 66,17). Von JHWH her gilt, dass sein Tempel auf dem Zion „ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden soll“ (56,7; vgl. 1Kön 8,41–43) und dass an dieser Stätte Fremde werden wohlgefällig opfern können. Das Finale des Buches unterstreicht diese Auffassung von einer offenen Israel-Gemeinde und schreibt sie buchintern fest: Hier gehen JHWHs Worte erneut auf einen gottgefälligen Kult und angemessenen Gottesdienst ein (Jes 66,20–23). „Alles Fleisch“ wird nach Jerusalem kommen, um JHWH zu verehren (66,23). Der Begriff „alles Fleisch“ benennt die neue Größe und Gemeinde, die sich aus Teilen Israels und aus Teilen der Völkerwelt zusammensetzt. Dieser Begriff „alles Fleisch“ verwies schon am Anfang der Bibel auf eine Menschheit (Gen 6–9), die noch nicht in verschiedene Ethnien gespalten war (Gen 10). Die Gottesdienstgemeinde im Buchfinale realisiert sich durch das Miteinander von jenen, die sich aus Israel und aus den Völkern aufrichtig JHWH zuwenden können.

Das Ende des Buches ist von seiner Ouvertüre her zu lesen. Dabei sind drei Punkte ausschlaggebend: (1) Wie gesehen, gelang in der Ouvertüre dem Binnenraum Israel kein JHWH gefallender Kult und Gottesdienst. Aber auch am Ende des Buches ist einem abgeschlossenen Binnenraum Israel allein ein solcher Kult und Gottesdienst nicht möglich, auch wenn Israel in Teilen von Schuld und Sünden gereinigt sein mag. Gelingender Kult und Gottesdienst werden erst durch Vertreter „allen Fleisches“, eben aus Israel und den Völkern, vollzogen werden können.

(2) Der Appell an das Haus Jakob in Jes 2,5 zielte „nur“ auf eine theologische Ethik ab. Israel sollte seinem Gott die Möglichkeit offen halten, vom Zion aus Frieden in der Völkerwelt herbeiführen zu können. Die Entwicklungen im Buch gehen dann über diese Ethik hinaus und führen zu einer neuen „Ekklesia“ (vgl. LXX Dtn 23,2–9) im Jesajabuch. Sollte eingangs die Zion-Israel-Gemeinde lediglich zugunsten der Völker agieren, treten dann zu guter Letzt Vertreter der Völker in die Gemeinde ein und formatieren ihre Zusammensetzung neu.

(3) Das Buchende erwähnt eine fortbestehende Gefahr, die schon in der Ouvertüre zum Gericht geführt hat und die im Brechen mit JHWH und mit seinen Anliegen besteht (Jes 1,2.18). Der Schlussvers hebt von der neuen Gemeinde Einzelne ab, die durch solch ein Brechen ihren Untergang herbeigeführt haben (66,24). Das Neue und das Richtungsweisende ist gegeben, aber das Alte und die Existenz Bedrohende besteht fort. Die Lesenden haben am Buchende zu überlegen und zu entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen.

Schlussreflexion

Das Jesajabuch entfaltet das Thema „Israel und die Völker“ viel breiter, als es hier wenige Federstriche andeuten konnten. Doch wurden zumindest Einzelaspekte des Themas deutlich. Israel hat eine Aufgabe und Verantwortung für die Völkerwelt. Dabei sollen die Geschicke der Völker Israel im Inneren bewegen. Im Gegenzug können dann Vertreter der Völker die Zusammensetzung Israels verändern.

Die folgende Reflexion zu diesem Befund holt zu einem weiten Bogen aus und wird zugegebenermaßen gewagt anmuten. Die Reflexion bezieht einige pastorale Gedanken von Bischof Joachim Wanke ein, dem dieser Band gewidmet ist. Wanke entwickelte seine Gedanken zunächst in einer konkreten geschichtlichen Situation.

Die Geschichte der katholischen Kirche in der ehemaligen DDR und in den neuen Bundesländern durchlief einige Phasen. Eine erste Phase war geprägt von negativen Erfahrungen mit den politischen und ideologischen Realitäten im Ostblock. Die katholische Kirche und die Bischöfe der DDR richteten sich in dieser Phase mehr oder weniger im eigenen, mühsam freigekämpften Binnenraum ein. Pastorale Konzepte dachten von einem „geschützten Raum“ Kirche her. „Geschützt“ bedeutete in diesem Fall zugleich: abgeschottet. Selten geschah eine interne Ermutigung der Gläubigen und der Kirche dahin, dass sie sich gesamtgesellschaftlich engagieren könnten. Ihre notgedrungene geistige Distanz zum realen System ließ für die Kirche auch das Land und die Gesellschaft, in denen das System herrschte, eher als Nichtheimat und als Fremdes erscheinen. Diese Sichtweise und Einstellung änderten sich schrittweise – nicht zuletzt mit der Übernahme des Bischofsamtes in Erfurt durch Joachim Wanke.

Wanke trat sein Bischofsamt 1980 an, nachdem das Zweite Vatikanische Konzil zu alten, bisweilen vergessenen Einsichten über das Wesen der Kirche Gottes zurückgefunden hatte. In den Einsichten des Konzils ist der Kirche ein Weltauftrag gegeben, der sich jeweils am Ort und in der konkreten Zeit segensreich auszuwirken hat. Wanke vermochte für sein Aufgabenfeld als Bischof eine Differenzierung vorzunehmen. Er unterschied zwischen zwei Seiten: dort Staat und System, hier das Land und seine Menschen. Auf die zweite Seite lenkte Joachim Wanke seine pastoralen Überlegungen. Schon 1981 sah der Bischof auf Pastoralkonferenzen den DDR-Raum nicht mehr nur als unleidliche Schicksalsstätte für die Kirche an. Dieser Raum war für Wanke und seine Mitbrüder im Presbyterium zuerst einmal Heimat, in der das Evangelium auf „mitteldeutsch“ buchstabiert werden muss. Der Sendungsauftrag der Kirche wurde von Wanke mit einer neuen Positionierung zur Mitwelt im gemeinsamen Raum verbunden. Die Konsequenzen daraus gingen für Wanke dahin, dass die Kirche in vielen ihrer Lebensäußerungen unterschiedslos für alle Menschen des Landes solidarisch da sein muss. Der Raum für die Kirche ist eine von Gott gegebene Realität und verlangt eine Hinwendung zu den Menschen, welche dem gemeinsamen Raum angehören.

Wanke griff seine frühen pastoralen Gedanken mehrfach auf, spitzte sie aber auch zu. Dreißig Jahre nach seiner Weihe zum Bischof, am 30.11.2010, hielt er in der Katholischen Akademie Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Katholische Kirche in Deutschland – wie geht es weiter?“ Der Vortag befasste sich mit der „Glaubwürdigkeit“ dieser Kirche. Diese hat bekanntlich in den letzten Jahren arg gelitten. Wanke nahm seine Kirche in die Pflicht: „Der Auftrag der Kirche ist es, Gott zum Vorschein zu bringen, nicht sich selbst. Es ist einfach falsch zu meinen, wir müssten als Kirche eine Gegengesellschaft zur Welt bilden, vielleicht noch perfekter als diese werden. Gerade diese Mentalität hat in der Vergangenheit manche strukturelle Heuchelei verursacht. Der Schein war dann wichtiger als das Sein. Die Kirche muss sich als Ferment im Ganzen verstehen, nicht als Rückzugsort für die Vollkommenen und Reinen.“ Ferment bedeutet u.a. „Gärungsmittel“ oder „Sauerteig“. Beide wirken, sobald sie in organischer Materie eingemischt sind. Wo hat Kirche zu wirken?

Die pastoralen Gedanken Wankes enthalten Momente, die offenkundig dem ähneln, was hier aus dem Jesajabuch erhoben werden konnte: Gemeinschaften, die sich vom biblischen Gott her verstehen, können keine rein auf sich bezogenen Binnenräume bleiben, sondern haben sich in weiten Bezugsfeldern wiederzufinden. Doch ein direkter Vergleich der Gedanken Wankes mit den Inhalten des Jesajabuch verbietet sich. Die Differenzen in den historischen Umständen und in den Konstellationen, in den die jeweiligen Gemeinschaften stehen, sind zu groß.

Vor allem aber ist der Unterschied zu beachten, ja zu betonen, dass im Jesajabuch Israel im Fokus steht und bei Wankes Gedanken die Kirche. Zwar fußt die christliche Kirche auf dem biblischen Israel auf, und Christen begegnen im aktuellen Judentum ihren „älteren Brüdern“ (Johannes Paul II.). Doch das Alte Testament kreist im sogenannten ersten Lesegang durch die christliche Bibel zunächst einmal um Gott, die Welt und insbesondere Israel, und Bezüge auf Christen und Kirche fehlen dabei im Alten Testament. Erst danach kommt von christlicher Seite her der notwendige zweite Lesegang unter Kenntnis des Neuen Testamentes hinzu, und dabei erst dürfen sich Christen im Alten Testament – ohne das Judentum zu vereinnahmen – erhellend widerspiegeln.

Unter diesen Konditionen und Einschränkungen lassen sich dem Jesajabuch Aspekte ablauschen, die sowohl Wankes Gedanken als auch eine Selbstbesinnung der Kirche theologisch grundieren und vertiefen können.

Das Prophetenbuch stellte sich dem Wandel und Wechsel in der Geschichte. Das Gottesvolk erlebte Verluste und Niederlagen, machte Erfahrungen mit dem Exil und in der Diaspora und hatte mühsame Neuanfänge in der alten Heimat zu bestehen. Die geschichtlichen Entwicklungen wurden im Buch nicht nur einfach zur Kenntnis genommen. Die Geschichte wurde von Gott her gedeutet und verstanden. Nicht zuletzt die Einsicht, dass JHWH mit langem Atem sein Volk durch Zeiten und Räume leitet, führte im Buch zur Erkenntnis der Einzigkeit JHWHs. Aufgrund dieser Einzigkeit wurde JHWH zugleich als Schöpfer der Welt und als der Lenker auch der Geschichte der Völkerwelt angesehen.

Damit war im Prophetenbuch eine zentrale theologische Ausgangsbasis gegeben. In dieser Denkweise steht zuerst JHWH in universellen lebendigen Bezügen. Und umgekehrt steht dann auch jede Mitwelt, die es zum Gottesvolk geben kann, schon immer in Beziehung zu JHWH. Von dieser Theologie her hat das – bzw. ein – Gottesvolk je neu seine Mitwelt in den Blick zu nehmen und der Mitwelt zu begegnen.

Literatur

Berges, U., Das Buch Jesaja. Komposition und Endgestalt, Freiburg i. Br. 1998 (Herders biblische Studien 16).

Beuken, W. / Berges, U., Jesaja 1–12, Freiburg i. Br. 2003 (Herders theologischer Kommentar zum Alten Testament).

Fischer, I., Tora für Israel – Tora für die Völker. Das Konzept des Jesajabuches, Stuttgart 1995 (Stuttgarter Bibelstudien 164).

Henrix, H. H., Judentum und Christentum. Gemeinschaft wider Willen, Kevelaer 2004 (Topos 525).

Lohfink, N. / Zenger, E., Der Gott Israels und die Völker. Untersuchungen zum Jesajabuch und zu den Psalmen. Stuttgart 1994 (Stuttgarter Bibelstudien 154).

VERTRAUEN: FUNDAMENT DER BEZIEHUNGEN
ZWISCHEN BISCHÖFEN UND THEOLOGEN

Konrad Feiereis

Bei Jes 40,31 lesen wir: „Die aber auf den Herrn vertrauen, schöpfen neue Kraft, sie bekommen Flügel wie Adler. Sie laufen und werden nicht müde, sie gehen und werden nicht matt.“

Paulus formuliert in Gal 6,8 einen seiner Grundgedanken wie folgt: „Wer […] im Vertrauen auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.“

Marie von Ebner-Eschenbach schreibt in einem ihrer Aphorismen: „Vertrauen ist Mut und Treue ist Kraft.“ (Marie von Ebner-Eschenbach, 3)

Vertrauen gehört zu den höchsten Gütern unseres menschlichen Lebens. Vertrauen ist zuerst das Fundament unserer Beziehung zu Gott. In diesem Vertrauen aus unserem Glauben heraus besitzen wir zugleich Urbild und Vorbild für das Vertrauen zwischen uns Menschen. In herausragender Weise gilt das auch für das Verhältnis zwischen Bischöfen und Theologen in unserer Kirche in der heutigen Zeit.

Wir erleben gegenwärtig erhebliche Spannungen im Verhältnis zwischen Bischöfen und Theologen im deutschsprachigen Raum. Sie wurden besonders sichtbar anlässlich der Veröffentlichung des Memorandums von 144 Theologieprofessoren unter dem Titel „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“. Die Diskussion darüber ist bis heute heftig und kontrovers, auf Seiten der Bischöfe wie der Theologen. Der erste eindrucksvolle Beitrag stammt von Hermann Josef Pottmeyer mit einer zum Nachdenken anregenden Analyse. Eine soeben erschienene Veröffentlichung setzt diese Diskussion in differenzierter Weise fort. Sie trägt den Titel des Memorandums und enthält zahlreiche „Argumente zum Memorandum“, so der Untertitel (hg. von Marianne Heimbach-Steins u.a.). Der erste Beitrag ist verfasst von dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Neben zahlreichen namhaften Theologen aus unserem Sprachraum ist auch unser Erfurter Kollege Benedikt Kranemann, Professor für Liturgiewissenschaft, mit einer Abhandlung vertreten.

Bereits am 30.11.2010 plädierte Bischof Joachim Wanke in einem Vortrag in der Katholischen Akademie in Berlin für eine neue „Glaubwürdigkeit“ unserer Kirche, welche „Bereitschaft zu Gespräch, Entschiedenheit“ und „Menschenfreundlichkeit“ aufweisen müsse. Er betont, dass ein „Drang zum Rechthaben“ zu „Parteiungen“ führe, an dessen Ende der Zerfall stehen könnte. Am Ende appelliert Bischof Wanke an seine Mitbrüder im Bischofsamt in eindrücklicher Weise u.a. dazu, „demütiger“ zu werden.

Aus langjähriger persönlicher Erfahrung heraus möchte ich einige konkrete Beispiele dafür nennen, wie die Beziehung zwischen den Bischöfen und den Theologieprofessoren in der Zeit der Ostzone bzw. der DDR charakterisiert werden kann: durch ein beide Seiten umfassendes Grundvertrauen.

Völlige Veränderung des eigenen Lebens

Am 1. September 1953 überschritt ich zum ersten Mal die Grenze, die beide deutsche Staaten voneinander trennte. Ich hatte meine theologischen Studien gerade abgeschlossen und mich – mit sechs anderen Klassenkameraden – zum Pastoralkurs im Bamberger Priesterseminar angemeldet. Da erhielt ich von meinem zuständigen Ordinarius aus Görlitz, Kapitelsvikar Piontek, die Aufforderung, den Pastoralkurs im Priesterseminar Neuzelle an der Oder zu absolvieren. Anfangs wehrte ich mich dagegen. Daraufhin erhielt ich aus Görlitz die Antwort: „Kommen Sie mit Vertrauen in unser heimatliches Priesterseminar Neuzelle.“ Ich fand mich am Ende meiner Bahnfahrt unter dem Ortsschild „Stalinstadt“, früher Fürstenberg, wieder, plötzlich hineingeworfen in eine völlig andere Welt, der größte Umbruch in meinem Leben nach der Flucht aus Schlesien. Bis zum heutigen Tage habe ich jedoch mein Leben im Osten Deutschlands nicht bereut. Ein Grundvertrauen hat mich stets getragen: Vertrauen auf die Vorsehung Gottes, aber auch Vertrauen in die Lenkung dieses Lebens durch die Kirche.

Vertrauen bestimmte die Tätigkeit in der Seelsorge

Von 1954 bis 1959 habe ich als Kaplan, von 1965 bis 1967 als Pfarrer im Jurisdiktionsbezirk Görlitz wirken dürfen. Im Rückblick auf diese Zeit bin ich noch immer darüber erstaunt, welche Verantwortung uns Seelsorgern übertragen wurde und welches Vertrauen uns entgegengebracht worden ist. Misstrauen oder Kontrolle erlebten wir nicht.

Die hl. Messe feierten wir in der brandenburgischen Diaspora auf Außenstationen, z.T. in den Klassenzimmern der kommunistischen Schulen, mit dem Anblick großer Fotos von Stalin und Ulbricht. Selbst ein Versehgang in das streng abgeschirmte NVA-Lazarett in Bad Saarow war möglich und für mich bis heute unvergessen, weil im Allgemeinen in diesem Umfeld die Spendung der hl. Sakramente undenkbar war.

Noch im Jahre 1957 hielt ich in Görlitz am Nachmittag Religionsunterricht in einem Klassenzimmer einer staatlichen Schule. Keiner unserer Vorgesetzten hätte uns Priester einer Kumpanei mit Vertretern des Staates verdächtigt: Diese unsere Oberen waren der bald zum Bischof ernannte Kapitelsvikar Piontek, sowie die Ordinariatsräte Theissing und Schaffran. Beide wurden ebenfalls später zu Bischöfen geweiht.

In der Stadt Görlitz gab es damals drei Kapläne. Wie veranstalteten im Katechetenseminar fröhliche Abende mit Tanz für die Jugend unserer drei Pfarreien, ohne jemals die dazu erforderliche staatliche Genehmigung einzuholen. Natürlich wussten wir, dass die gesamte Seelsorge, insbesondere die Jugendarbeit, von der Staatssicherheit scharf observiert wurde. Kein Bischof hat gegen unsere Arbeit jemals Bedenken geäußert. Ähnliches galt u.a. auch für große Treffen der Kolpingsvereine.

Zu den unvergessenen Erinnerungen gehören auch Abende oder Nächte, in denen bei uns zwei Kaplänen von Heilig Kreuz polnische Flüchtlinge vor der Tür standen. Sie waren durch die nahe gelegene Neiße geschwommen und baten um Hilfe, um Westberlin erreichen zu können. War der betreffende Flüchtling glaubwürdig, handelte es sich vielleicht um eine Falle? Wir Kapläne haben in etwa fünf Fällen geholfen und waren glücklich, wenn eine Karte mit unverfänglichem Text aus Westberlin das Gelingen der Flucht bestätigte.

In meiner Zeit als Pfarrer zwischen 1965 und 1967 beauftragte mich mein Bischof mit der Bildungsarbeit und der Akademikerseelsorge im Diözesanbezirk. Die Bildungsarbeit befasste sich hauptsächlich mit der Glaubenslehre unserer Kirche. Sie fand statt für die Pfarreien in Görlitz und Cottbus und für die Pfarrei Senftenberg und die Pfarrei Hoyerswerda. Sie wurde angeboten jeweils monatlich im Winterhalbjahr, unter in Kaufnahme von z.T. schwierigen Straßenverhältnissen. Die Aufgeschlossenheit unserer Gläubigen war in Senftenberg und Hoyerswerda, also in der tiefsten Diaspora, am größten. Dort hatte ich jeweils etwa 50 Zuhörer.

Über Vertrauen zwischen Bischöfen und Seelsorgern wurde nie gesprochen, es war selbstverständliche Grundlage unserer Beziehungen. Das gegenseitige Vertrauen wurde gelebt.

Das Vertrauen der Bischöfe in unsere wissenschaftliche Arbeit

Im Jahr 1967 durfte ich meine Lehrtätigkeit am Philosophisch-Theologischen-Studium Erfurt beginnen. Ich habe niemals erlebt, dass einer unserer Bischöfe unsere Arbeit als Lehrer für Philosophie und Theologie mit Misstrauen betrachtet hätte. Das Gleiche gilt für die Herausgabe unserer Theologischen Studien, unserer Theologischen Schriften, unseres Theologischen Jahrbuches und für die Herausgabe der exegetischen und pastoralen Schriftenreihen. Oft ergaben sich unermessliche Schwierigkeiten für die Drucklegung zwischen Verlag und staatlicher Zensur (Hübner 2010, 294–304). Das Vertrauen der Bischofskonferenz war so groß, dass sie die Erteilung des „Nihil obstat“ in die Verantwortung der Mitglieder unseres Professorenkollegiums legte.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass auch nur einer der von uns Professoren für einen Lehrstuhl vorgeschlagenen Kandidaten von der Bischofskonferenz abgelehnt worden ist. Sie entsandte Mitglieder unserer Konferenz zum Zweiten Vatikanischen Konzil und in die bis heute bedeutsame „Internationale Theologenkommission“, ebenso in zahlreiche wichtige philosophische und theologische Gremien, Konferenzen und Arbeitskreise. Besonders – für unseren damaligen gesellschaftlichen Kontext – der Erinnerung wert erscheint mir im Rückblick die Arbeit, die meine Kollegen vor allem in der Ökumene und in der Pastoral geleistet haben. Wir durften ferner viele der anerkanntesten deutschsprachigen Theologen – auf dem Weg einer privaten Einladung! – zu Gastvorlesungen bei uns begrüßen, von Professor Joseph Ratzinger bis hin zu Professor Johann Baptist Metz. Nach meiner Erinnerung gab es in unserem Kollegium nur ein einziges Mal keine Zustimmung für eine Einladung eines bekannten Tübinger Professors, weil wir fürchteten, dass durch diesen Besuch ein Zwiespalt mit unseren Bischöfen entstehen und Vertrauen zerstört werden könnte.

Gesellschaftliche Relevanz theologischen Wirkens

Der katholischen Kirche in der DDR wurde häufig zum Vorwurf gemacht, sie habe sich von der Gesellschaft abgeschottet und ein Binnendasein geführt. Im Vergleich zur evangelischen Kirche, die nach dem Krieg eine Volkskirche war, waren wir gewiss nur eine „kleine Herde“. Doch ist dieser Vorwurf gegenüber uns Katholiken nur zum Teil berechtigt. So lebten unsere Gläubigen mitten in einer sozialistischen Gesellschaft, wenn auch nicht gleichberechtigt, oft diskriminiert, aber sie waren präsent und bezeugten ihren Glauben. Ich möchte daran erinnern, dass alle Mitglieder unseres Professorenkollegiums in die Gesellschaft durch vielfältige theologische Arbeit hinein gewirkt haben: bei kirchlichen Veranstaltungen, in unseren Bildungshäusern, mit Vorträgen, durch Literatur und durch vieles andere mehr.

Für mich hatte zunächst die Pastoralsynode von 1973 bis 1975 in Dresden eine besondere Bedeutung. Die Diözesen wählten selbstständig ihre Kandidaten als Mitglieder diese Synode. Daneben wurden aber auch Teilnehmer aus überpfarrlichen und überdiözesanen Gremien delegiert; aus dem Philosophisch-Theologischen Studium und dem Priesterseminar waren es vier. Ich selbst wirkte in zwei Arbeitsgruppen als Berater mit. Die eine konzipierte einen Beschluss zu dem Thema „Der Christ in der Arbeitswelt“, die andere über den „Dienst der Kirche für Versöhnung und Frieden“. Leiter der Synode war Alfred Kardinal Bengsch. Ihm war es ein primäres Anliegen, jede Nähe zum Staat oder sozialistischen Gruppierungen zu vermeiden. Ein erster Entwurf des Beschlusses über die Arbeitswelt suchte – ohne mein Zutun – Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Marxisten herauszuarbeiten. Kardinal Bengsch befürchtete Missverständnisse und Vereinnahmungen seitens des Staates. Er vertraute darauf, dass die zwei in dieser Arbeitsgruppe mitwirkenden Erfurter Professoren, Professor Wilhelm Ernst und meine Person, diesen Gefahren entgegenwirken würden. Unvergesslich bleiben mir die Diskussionen mit dem Kardinal bis in die Nachtstunden hinein. Wir mussten bei beiden genannten, sehr brisanten Themen eine Reaktion der staatlichen Stellen befürchten. Schließlich gelang es in der Arbeitsgruppe über den Christ in der Arbeitswelt, zwei sehr unterschiedlich argumentierende Richtungen der Synode zu einem veränderten Beschlusspapier zu bewegen, welches auf die Betonung einer Gemeinsamkeit zwischen Christen und Kommunisten verzichtete. In der damaligen Situation war es nicht möglich, Missstände in der DDR offen beim Namen zu nennen. Das hätte sofort zu Schikanen gegen unsere pastorale Arbeit geführt. Schwerpunkt war für uns die Darstellung eines christlichen Verständnisses von Arbeit. Es enthielt aber eine bis an die Grenze gehende indirekte Kritik an der herrschenden Ideologie mit ihrer Deutung von Leistung und Arbeit. Später wurde zwar öfter auf Defizite dieses Beschlusses hingewiesen, zugleich aber meistens zugestanden, die Synode habe versucht, das in dieser politischen Situation Mögliche zu sagen, ohne weitere Benachteiligungen für die Christen zu provozieren (Schumacher 1998, 181–193).

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9783429060473
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