Читать книгу: «Den österlichen Mehrwert im Blick», страница 2

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Was hieße das konkret? Für das Gespräch mit der säkularen Gesellschaft? Für den Stil kirchlicher Präsenz in den Medien? Für die Bündelung von Kräften im Hochschul- und Ausbildungsbereich? Wir schieben oft genug noch anstehende Entscheidungen vor uns her und vergeben so Chancen. Unsere Bistümer, besonders in der Diaspora werden „Missionskirchen neueren Typs“ sein, die nicht flächendeckend, aber mit Anlauf- und Kontaktstellen zur Gesellschaft hin arbeiten müssen. Für neue Formen des Kirche-Seins kommt uns eine neue Beweglichkeit vieler Menschen entgegen. Generell gilt: Nicht unser Kleiner-Werden ist das Problem, sondern eher eine mentale Selbstmarginalisierung, für die es eigentlich keinen Grund gibt. Hier wäre manches von Minderheitskirchen anderswo zu lernen, zumindest was Selbstbewusstsein und spirituelle Ausstrahlung betrifft.

Demütiger werden

Bei diesem Punkt tue ich mich schwer, in Worte zu fassen, was ich derzeit empfinde. Ich sage es einmal so: Wir sollten als Bischöfe, von Amts wegen und auch ganz persönlich, demütiger werden. Wir müssen von allen falschen „Sockeln“ herabsteigen. Unsere Gewissheiten sollten bescheidener daherkommen, im Wissen um Fragwürdigkeiten, die bei manchen Problemfeldern trotz allem bleiben. Bei strittigen Themen sollten wir miteinander die kirchliche Lehre bedenken, deren Begründungen neu in den Blick nehmen und fragen, was das heute für uns bedeutet. Dabei müssen wir vermutlich auch aushalten, untereinander bei nachgeordneten Fragen nicht immer einer Meinung zu sein. Dort, wo wir als Kirche in Deutschland Rom gegenüber Anliegen haben, sollten wir diese klar und öffentlich benennen. Nicht jeder diesbezügliche Dissens muss sofort ein Dissens im gemeinsamen Glauben oder in der Einheit mit dem Papst als Petrusnachfolger sein.

Ich habe immer wieder angeregt, dass wir als Bischöfe mit mancher medialen Präsenz und der Zahl unserer Verlautbarungen zurückhaltender sein sollten. Weniger könnte manchmal mehr sein. Wichtiger wäre, dass wir kirchenoffiziell selbst Themen setzen und uns dort zurücknehmen, wo man uns vorführen will.

Schließlich gilt es für uns als kirchliche Amtsträger immer neu das Verhältnis zu den Laienchristen zu überdenken. Wir sollten Zeichen setzen, dass wir auf den Glaubenssinn und die Kompetenz unserer Laienchristen vertrauen. Nicht nur die Schrift, die Tradition, das Lehramt der Kirche sind Bezeugungsinstanzen des Glaubens. Auch der Glaubenssinn des Volkes Gottes hat etwas mit der Bezeugung des Evangeliums zu tun. Auch bei gelegentlichen Konflikten muss erkennbar bleiben, dass Bischöfe mehr anzuerkennen als zu kritisieren haben. Die „christifideles“ sind es, die in Welt und Kirche (!) das Licht des Evangeliums auf den Leuchter zu stellen haben und es auch stellen. Wir Amtsträger, einschließlich Bischöfe, haben ihnen dabei durch unseren Dienst (mit Wort und Sakrament und der sachgerechten Darlegung der kirchlichen Lehre) beizustehen. Aber an der „Front“ dieser Zeit stehen sie, weniger wir.

Und schließlich liegt mir auch dieser Gesichtspunkt am Herzen, vielleicht ist er sogar der entscheidende:

Den „geistlichen Grundwasserspiegel“ heben

Das Christliche wird sich in Zukunft stärker qualitativ präsentieren und weniger quantitativ. Auch heute gilt das Wort: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Es braucht in einer sich ins Subjektive und Beliebige weiter verlierenden Moderne eine Spiritualität, die dem einzelnen Christen Stehvermögen verleiht und ihm hilft, sich dem anderen gegenüber zu öffnen. Wo kann man diese lernen, vor allem gemeinschaftlich lernen?

Zudem scheint es auch einen Frömmigkeitsstil zu geben, der mit den geistigen und intellektuellen Fragestellungen der Zeit korrespondiert. John Henry Newman etwa war ohne Zweifel bis in seine innerste Existenz hinein ein frommer Mann. Nicht umsonst ist er jüngst selig gesprochen worden. Aber er war zugleich ein fragender, suchender Mensch, der sich mit vorschnellen Antworten und gestanzten Klischees von katholischer Kirchlichkeit nicht zufrieden gab. Was zeichnet heute menschenfreundliches, profiliertes Christ-Sein aus? Wie sieht „Glaubwürdigkeit“ aus, die sich dem Evangelium verpflichtet weiß? Was bedeutet das für unseren Umgang miteinander, in der Ökumene, im Gespräch mit der Gesellschaft?

Christen, die sich mit ihrem Leben im Gottesgeheimnis verwurzeln, bleiben für die Leute immer interessant. Dass dies so ist, darauf gründet meine Hoffnung – auch für unsere Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, die in ein neues Jahrhundert hinein unterwegs ist.

Der Aufsatz geht auf einen Vortrag zurück, den Bischof Dr. Joachim Wanke am 30. November 2010 in der Katholischen Akademie Berlin gehalten hat.

1 Die Orthodoxie unterscheidet ein Handeln kat´akribeian (gemäß „Genauigkeit“, also genaunach Vorschrift) und ein Handeln kat´ oikonomian (gemäß Barmherzigkeit, also der Einzelsituation angemessen). Die lateinische Kirche kennt die Praxis der Dispens in Einzelfällen.

ISRAEL UND DIE VÖLKER IN JES 2,1–5.
EIN MODELL FÜR DIE SELBSTBESINNUNG DER KIRCHE?

Norbert Clemens Baumgart

Hinführung

Wenn demnächst eine repräsentative Umfrage in Deutschland dazu auffordern würde, innerhalb des folgenden Textes die gegenwärtig bekannteste Formulierung zu benennen, welches Ergebnis wird man erwarten dürfen?

1 Das Wort, das Jesaja, der Sohn des Amoz, über Juda und Jerusalem schaute.

2 Es wird geschehen in zukünftigen Tagen:

Fest wird stehen der Berg des Hauses JHWHs

an der Spitze der Berge, er überragt die Hügel.

Alle Nationen werden zu ihm strömen,

3 viele Völker werden hingehen und sagen:

„Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs,

zum Haus des Gottes Jakobs.

Er lehre uns von seinen Wegen,

dass wir gehen in seinen Pfaden.“

Ja, von Zion wird Weisung ausgehen

und das Wort JHWHs von Jerusalem.

4 Er wird richten zwischen den Nationen

und zwischen vielen Völkern schlichten.

Dann werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden,

ihre Lanzen zu Winzermessern.

Nicht mehr wird Nation gegen Nation das Schwert erheben,

noch werden sie ferner das Kriegshandwerk lernen.

5 Haus Jakob, kommt doch, lasst uns gehen im Licht JHWHs! (Jes 2,1–5)

Man darf wohl auf die Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“ tippen. Die Formulierung dürfte selbst Zeitgenossen bekannt klingen, denen die Bibel eher unbekannt ist. Denn die Formulierung ist vor nicht allzu langer Zeit zu einem Slogan aufgestiegen und hat eine beeindruckende Wirkungsgeschichte entfaltet. Wie war es dazu gekommen?

Eine Skulptur trug dazu bei. Der sowjetische Bildhauer Ewgenij Viktorowitsch Wutschetitsch (1908–1974) hatte die Skulptur angefertigt: Ein Mann schmiedet ein Schwert in eine Pflugschare um. 1957 kam diese Skulptur als Geschenk der UdSSR an die UNO nach New York. Dort aufgestellt, führte das Werk zu Reaktionen, die von den Schenkenden vermutlich gar nicht beabsichtigt worden waren. Angesichts militärischer Hochrüstung sowie düsterer großpolitischer und gesellschaftlicher Erfahrungen wurde die Skulptur als eine Verdichtung von Hoffnungen gedeutet und angenommen. Das geschah von Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre an vor allem in der Friedensbewegung der DDR, die in Teilen auch christlich geprägt war. Die Skulptur wurde auf einem Kreisrund als Bild wiedergegeben. Das Bild wurde zudem im Kleinformat auf Stoff geprägt, um es auf Bekleidungsstücke aufnähen zu können. Das Bild unterlegte man mit der Formulierung „Schwerter zu Pflugscharen“. Das Wort war für viele zum Motto ihrer Einstellung und Erwartung geworden. Das Bild und das Motto wurden auch schnell im Westen Deutschlands bekannt.

Das Bild enthielt von Anfang an einen Hinweis auf die Bibel: „Micha 4“. Der Hinweis hätte ebenso „Jesaja 2“ lauten können. Die beiden Abschnitte Jes 2,1–5 und Mi 4,1–5 sind im Wortlaut sehr ähnlich.

Die hier skizzierte Wirkungsgeschichte kennt also ein inspirierendes und beflügelndes Potential, das man dem alttestamentlichen Text zu entnehmen vermochte. Aber nicht nur die Wirkungsgeschichte ist interessant.

Beachtenswert sind auch die Funktionen, die der Abschnitt 2,1–5 innerhalb des Buches Jesaja übernimmt. Dem wird dieser Beitrag nachgehen. Der Abschnitt Jes 2,1–5 übt eine Art Signalfunktion für den Lesegang durch das Prophetenbuch aus. Diese Signalfunktion entsteht aber erst dadurch, dass der Abschnitt zusammen mit den Texten, die ihm vorausgehen, eine Spannung aufbaut.

Ein erster Pol, durch den die Spannung entsteht, ist leicht einsichtig und ergibt sich aus dem Gedanken in Jes 2,1–5, dass eine künftige Wallfahrt der Völker zum Zion, nach Jerusalem, die Lage auf der Welt deutlich verbessern könnte. Dabei würden global die Grundlagen für Krieg und Zwist abgeschafft werden und verschwinden – ein kühner Gedanke im antiken Buch Jesaja, dessen Entstehung sich vom 8. Jh. bis zum 4. Jh. v. Chr. erstreckte. Allseits würde Frieden einkehren.

Der andere Pol, der zur Spannung beiträgt, wird erst deutlich, wenn man das erste Kapitel des Jesajabuches als Hintergrund hinzunimmt. Am Anfang des Buches steht es innerhalb der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem offenkundig nicht zum Besten. Der Anfang des Buches muss bei der Gemeinschaft Desiderate feststellen. Die Gemeinschaft folgt nicht ihren religiösen und gesellschaftlich-politischen Idealen und Satzungen, sondern verkehrt diese Ideale und Satzungen eher in ihr Gegenteil. Die Desiderate haben bereits zu fatalen Schlägen und zu Verlusten für die Gemeinschaft geführt und könnten noch weitere, ähnliche Folgen für sie heraufbeschwören.

Die Spannung, die sich aus diesen beiden Polen ergibt, ruft im Jesajabuch eine eindringliche Fragestellung hervor: Wird die in Aussicht gestellte, erstrebenswerte Zukunft der Völker von der Gemeinschaft am Zion und in Jerusalem als etwas für sie Relevantes angenommen werden? Wird sie ihr Verhalten lenken können?

Diese Spannung im Jesajabuch lädt letztendlich die Größe „Jerusalem und Juda“ ein, sich ihrer Rolle und Verantwortung in der Welt der Völker bewusst zu werden. Verkehrungen im Innenbereich sind eine schmerzliche und beklagenswerte Sache. Aber das Jesajabuch bleibt dem kleinen Innenbereich und dessen Mängeln nicht verhaftet, sondern bietet eine Art Selbstbesinnung anhand einer geweiteten Perspektive an. In der Besinnung reicht es nicht aus, nur auf sich selbst zu starren wie auf einen isolierten Binnenzirkel. Vielmehr ist es nötig, die förderliche und die fordernde Verwobenheit in die breite Völkerwelt in den Blick zu nehmen. Dieser neue, weite Blick über den Innenraum hinaus kann vielleicht eine Motivation dafür liefern, die eigene Lebensführung zu überdenken und neu zu gestalten.

Wie das konkret in den Texten und im Buch aussieht, sei nun dargestellt. Zu beginnen ist mit dem oben schon zitierten Abschnitt Jes 2,1–5.

Die Völker kommen

Die zweite Überschrift im Prophetenbuch, Jes 2,1, wirkt wie eine kommentierende Stimme. Die Stimme stellt die Lektüre des Abschnittes 2,1–5 unter eine Regieanweisung. Was in diesem Abschnitt zu vernehmen ist, gehört zu „dem Wort“, welches Jesaja geschaut hat und welches sich auf die Zweiheit „Juda und Jerusalem“ bezieht. Beide Namen benennen Themen, die das Buch Jesaja durchziehen („Juda“ bis 65,9; „Jerusalem“ bis 66,20). Das Übergreifende im Buch gilt es zu beachten. Zwar wird unser Abschnitt nur „Jerusalem“ (vgl. 2,3) erwähnen und das ansprechen, was mit diesem Stadtnamen eng verbunden ist. Aber dem stellt die Überschrift 2,1 Signale voran, die sich an die erste Überschrift im Buch anlehnen (1,1). Die erste Überschrift bezieht sich auf das ganze Buch. Somit sind die wallfahrenden Völker zusammen mit dem wahrzunehmen, worum es der prophetischen Schrift laut ihrer ersten Überschrift insgesamt auch geht: Jesajas Vision über „Juda und Jerusalem“ (1,1). Wenn im Buch erstmals der Abschnitt 2,1–5 eine Wallfahrt der Völker zum Zion schildert, will die Schilderung anscheinend als eng auf das Buch bezogen wahrgenommen werden, und zwar derart, dass die Wallfahrt der Völker für die Konzepte im Buch bedeutsam ist. Juda und Jerusalem werden mit den Völkern konfrontiert. Man kann auch sagen: Die für das Buch ausschlaggebende theologische Größe „Israel“ wird auf die Völker bezogen.

Von Jes 2,2 an kommt der literarische Prophet Jesaja sozusagen selbst zu „Wort“. Seine Stimme ist jetzt im Text zu vernehmen. Sofort richtet Jesaja seinen Blick auf die „zukünftigen Tage“. Er denkt dabei an keine jenseitige Ära, die erst nach dem Abbruch der Geschichte eintreten würde. Jesaja versteht die kommenden Tage und das, was sich an ihnen ereignen wird, binnengeschichtlich. Jesaja rechnet damit, dass Völker in die Stadt Jerusalem kommen werden. Aber es gibt noch einen zeitlichen Spielraum, bevor die Völker herbeiströmen. Dieser Spielraum wird für Jesaja noch wichtig werden.

Jesaja ordnet das Kommen der Völker in eine hintergründige Topographie ein. Die Topographie stimmt nicht überein mit unserer Kenntnis über die faktische Lage der Stadt Jerusalem, über ihr Höhenniveau im Verhältnis zum Umland. Aber das Landschaftsbild, letztlich die Weltlandschaft, wird während des Kommens der Völker verwandelt sein. Das kontrafaktische Landschaftsbild hebt theologisch-konzeptionell auf die einmalige Bedeutung „des Berges des Hauses JHWHs“, des Zions, und von Jerusalem ab. Dieser Berg werde einst eine Festigkeit in der Schöpfung besitzen, er sei dann zugleich der höchste der Berge, und kein Hügel erreiche seine Höhe. Diese metaphorische Erhöhung Zion-Jerusalems wird mit der Aufwärtsbewegung der Völker zu dieser Stätte einhergehen: Sie werden „hinaufziehen“ wollen (Jes 2,3). Diese Aufwärtsbewegung der Völker schließt den Aspekt mit ein, dass die Völker solch „göttliche“ Höhe nicht mehr bei sich und in ihrem Umfeld werden finden können. Die Antike verband oft Götter und Berge, wobei die „Höhenverhältnisse“ Religiös-Theologisches zum Ausdruck brachten. Das Jesajabuch wird später – insbesondere ab Kapitel 40 – noch ausweisen, dass sich die Götter der Völker in der Geschichte als Nichtse entpuppen und dass sich Israels Gott JHWH allein als wahrhafte Gottheit erweist. Das klingt bereits in Jes 2 verhalten an. Die Völker werden schon vor ihrer Wallfahrt einsehen, dass ihnen Göttliches sowie göttliche Belehrung und Hilfe in der eigenen Umgebung und in dem ihnen sonst Zugänglichen entschwand, wohl aber in Zion-Jerusalem zu finden sein wird und dort als Geschenk entgegen genommen werden kann.

Das attraktive, anziehende Zion-Jerusalem mit JHWHs Wohnung in der Welt wird noch vor der Ankunft der Völker eine erste, einstweilen noch provisorische Einigung unter ihnen herbeiführen. Jesaja gibt die künftigen Worte der Völker wieder und zitiert sie. Sie werden sich gemeinsam in vereinter Rede bekunden können. Zuerst werden sie sich auf eine Absicht geeinigt haben, und zwar auf ihre gemeinsame Wallfahrt: „Kommt doch, lasst uns hinaufziehen zum Berg JHWHs, zum Haus des Gottes Jakobs“ (Jes 2,3). JHWH wird für die Völker zugleich der Gott von Israels Erzvater Jakob sein. So werden die Völker auch etwas von der Geschichte JHWHs mit Israel mitbekommen haben und damit davon, wie sich JHWH über die Zeiten hin anhand von Jakob-Israel in der Welt kundgemacht hat. Die Völker werden erahnen, wer als der eine und einzige Gott im Tempel auf dem aufgesuchten Zion präsent ist. Aufgrund des Erahnten werden die Völker von JHWH Orientierung erwarten, und sie werden sich daran auch halten wollen. Denn in ihren Worten sind sie davon überzeugt, von JHWH unterwiesen zu werden, und sie erklären zudem gemeinsam ihre Bereitschaft, seiner Unterweisung zu folgen: „Er lehre uns von seinen Wegen, und wir wollen gehen auf seinen Pfaden (2,3).“ Mit der für die Bibel typischen Wegmetaphorik wird hier ein Verhalten angesprochen, welches im göttlichen Belehren vorgezeichnet und dann in lernbereiter Folgsamkeit der Völker vollzogen werden wird.

Danach übernimmt wieder Jesaja das Wort. Dem Strömen, Gehen und Hinaufziehen der Völker zum „Berg des Herrn“ stellt er eine Gegenbewegung gegenüber: „Ja, von Zion geht Weisung aus und das Wort JHWHs von Jerusalem (Jes 2,3).“ Von zentraler Bedeutung ist der Begriff „Weisung“, hebräisch „Tora“, der kurz zuvor vorbereitet wurde durch das wurzelgleiche Verb „lehren“. Zwölfmal taucht der Begriff „Tora“ im Buch Jesaja auf (von Jes 1,10 bis 51,7) und damit vielleicht nicht rein zufällig in einer biblisch bedeutsamen Anzahl. Steht hier in Jes 2 die Tora in Parallele zum „Wort JHWHs“, dürfte Jesaja an keine feststehenden Tora-Gebote denken, sondern an eine durch das aktuelle Wort Gottes neu unterbreitete Tora. Jedenfalls wird die Tora den Völkern nicht verborgen bleiben, sondern die Tora wird sich aktiv den Völkern zuwenden.

Jesaja entfaltet keine konkreten Inhalte des JHWH-Wortes, dafür aber den Zweck, wozu das göttliche Wort ergeht. Der Zweck besteht keineswegs darin, dass JHWH zum Strafgericht über die Völker anhebt. Er wird nicht „über“ dieses oder jenes Volk richten. Vielmehr wird JHWH „zwischen“ den Völkern richten. JHWH wird sich ihres Zusammenlebens und Miteinanders annehmen, für gerechte Rechtssprechung eintreten und auf diese Weise unter ihnen Schlichtung bewirken: „Er wird richten zwischen den Nationen und zwischen vielen Völkern schlichten (Jes 2,4).“

Wird JHWH so die Angelegenheiten der Völker auf gerechte Weise entschieden haben, kommt es sodann unter den Völkern zu einem erstaunlichen Selbstlauf. Jesaja wendet sich mit poetisch dichten Worten diesem Selbstlauf zu, und dabei folgt nun die Formulierung, deren eindrückliche Wirkungsgeschichte im 20. Jahrhundert eingangs skizziert wurde: „Schwerter zu Pflugscharen“. Die Völker werden – so darf man meinen – wieder nach Hause reisen und dort eine so genannte „Rüstungskonversion“ vernehmen. Die teuren Materialien für Waffen und ihre aufwendigen Herstellungen hatten schon in der Antike wertvolle Ressourcen der Völker gebunden, die ihnen so für andere Entwicklungen und vielleicht sogar auch für soziale Aufgaben fehlten. Der Sinn des Verses 2,4 würde verkannt werden, wenn man ihn nur als romantische Idylle abtut. Der Vers befasst sich vielmehr mit dem, worauf kollektive Energien mit weitreichenden sozial-gesellschaftlichen und politischen Folgen ausgerichtet sein können. Was die Völker an Bodenschätzen in der Welt vorfinden und was ihnen an Potentialen selber zueigen ist, wird nicht mehr für Abschreckungen vergeudet oder für Eroberungen und Vernichtungen eingesetzt werden („Schwerter“, „Lanzen“), sondern wird der Ernährung dienen und das tägliche Arbeiten erleichtern dürfen („Pflugscharen“, „Winzermesser“). Doch damit nicht genug. Mit den abhandengekommenen Waffen wird auch selbstredend das Lernen und Einüben ihrer Anwendungen verschwinden: „Und sie werden ferner nicht mehr den Krieg erlernen (Jes 2,4).“ Der Prophet Jesaja rechnet somit mit einem Pazifismus, der in Zukunft möglich werden kann.

Die Grundlagen für diese kühne und hoffnungsvolle Aussicht im Jesajabuch sind zu beachten. Keine rein innerweltlichen Bestrebungen werden die neue und allseits friedliche Lage herbeiführen können. Menschliche Bemühungen allein werden das in Aussicht Gestellte nicht herbeizwingen können. Zuerst werden mittels der Tora und durch JHWH selbst Recht geschaffen und Schlichtungen herbeigeführt werden müssen, bevor die Konversionen der Rüstungsgüter erfolgen und die alten Gewohnheiten, das Kriegshandwerk zu lernen, enden. Beide, JHWH und auch seine Tora, werden Initiatoren jenes manifesten Friedens sein, in dem sich erst die Waffen und das Kriegshandwerk erübrigen werden. Die Völkerwelt wird keinen Frieden „machen“, sondern einen solchen geschenkt bekommen. Die Völker werden friedlich agieren, nachdem sie „von oben“ her und ohne Gewalteinwirkung befriedet worden sind.

Der Abschnitt endet auf eine beachtenswerte Weise und gelangt im Vers 2,5 an sein Ziel. Jesaja hat in diesem Schlussvers immer noch das Wort. Doch Jesaja ändert in diesem Vers seine Sprechrichtung. Dabei wechselt er von einer Zeitdimension in eine andere. Bei Letzterem, dem Zeitwechsel, sei begonnen. Der literarische Jesaja blickte bisher im Abschnitt in die Zukunft und besprach das, was eintreten kann. Nun wendet sich Jesaja der Gegenwart zu, in der er agiert und in welcher er redet. Jesaja spricht dabei erstmals im Abschnitt seine Adressaten, seine Hörer, an – und damit letztlich auch die Leser des Buches. Dabei stellt sich Jesaja sofort auf die Seite seiner Adressaten und reiht sich ihnen ein, wenn er ein Wir, ein „uns“ aufblitzen lässt. Jesaja geht es letztlich um die eigene Gegenwart und die seiner Adressaten.

Der Prophet zieht aus dem zukünftigen Verhalten der Völker die Konsequenzen für sein Hier und Heute. Dabei greift er in seiner Wortwahl, mit der er sich seinen Adressaten zuwendet, bezeichnenderweise auch die Sprechweise unter den Völkern auf: „Haus Jakob, kommt doch! Wir wollen gehen im Licht JHWHs! (Jes 2,5).“ Hat Jesaja soeben noch die künftige Aufmunterung unter den Völkern zur Wallfahrt auf den Berg JHWHs zitiert – „Kommt doch (2,3)!“ –, so macht er daraus einen Appell an sich selbst und an seine Klientel: „Kommt doch! (2,5).“ Hat Jesaja kurz zuvor die Bereitschaft der herbeikommenden Völker wiedergegeben, den Pfaden JHWHs zu folgen: „Wir wollen gehen (2,3)“, so appliziert er jetzt Vergleichbares auf seine Gemeinschaft und auf das, was sie tun solle: „Wir wollen gehen (2,5).“

Aufschlussreich ist in Jes 2,5 zudem, dass Jesaja den Eigennamen „Jakob“ aufgreift. Die Völker nennen ihr Ziel, den Tempel auf dem Zion, „Haus des Gottes Jakobs“ (2,3). Wie erwähnt, deuten die Völker damit an, wer auch für sie die Gottheit im Heiligtum aufgrund der bekannt gewordenen Geschichte ist. Jesaja spricht nun seine Adressaten als lebendiges „Haus Jakob“ (2,5) an. Die von den Völkern gesuchte Gottheit ist jene, welche mit den Adressaten vor Ort eine gemeinsame Vergangenheit teilt. JHWH hatte sich in der Welt bekundet und dies u.a. auch zugunsten derer getan, die unter dem Signalwort „Jakob“ firmieren. Die so Benannten leben aufgrund von Gottes Handeln auf dem Berg und in Jerusalem. Die künftige Hinwendung der Völker zum „Gott Jakobs“ betrifft – so Jesaja – seine jetzigen Adressaten als „Haus Jakobs“.

Jesaja erzeugt so im letzten Vers einen Nachklang zum erwarteten Gespräch unter den Völkern. Jesaja lässt zwar verhalten, aber doch gut vernehmbar das lokale Ziel der Völker, ihre religiöse Ausrichtung und ihre ethisch-religiöse Lernbereitschaft nachhallen. Jesaja spielt aber nicht nur mit dem „Echo“ auf die Intentionen der Völker an. Vielmehr spornt er mit dem Appell seine Adressaten dazu an, dass die Vorhaben und Ziele der Völker hier und jetzt „nachhaltige“ Wirkungen in den eigenen Reihen hervorrufen. Die Adressaten werden von ihm dazu gedrängt, sich gegenwärtig „im Licht JHWHs“ aufzuhalten und zu bewegen.

Bezieht sich Jesaja mit dem „Licht JHWHs“ auf seine eigene Rede kurz zuvor, als er von der „Tora“ und vom „Wort JHWHs“ gesprochen hat (2,3)? Von solch einem Bezug kann man wohl ausgehen. Jesajas Bezugnahme impliziert allerdings einen nicht näher entfalteten Gedankenschritt. Wenn die Tora und Gottes Wort den Völkern darlegen werden, was ihnen den Frieden ermöglicht, dann versteht Jesaja unter anderem dieses mögliche Resultat, den Frieden, theologisch-metaphorisch als „Licht JHWHs“. Somit ist von folgendem Gedankenschritt Jesajas auszugehen: JHWH wird für den künftigen globalen Zustand (sein Licht) zuvor das bereitstellen, was den Völkern ermöglicht (Tora und sein Wort), den Zustand zu erreichen, und was von den Völkern auch ergriffen wird (gehorsames Befolgen). Für Jesaja sind einerseits der Frieden und das Licht JHWHs und andererseits die Tora, das Wort JHWHs und deren Akzeptanz und aktive Umsetzung wie zwei Seiten einer Medaille zu sehen. Jesaja betrachtet dieselbe Medaille, nur ihre Kopfseite hat eine andere Prägung als die Zahlseite. Was bedeutet das nun für Jesajas Appell an seine Adressaten? Jesaja fordert seine Hörer auf, sich vom Toragehorsam der Völker und dem damit verbundenen Bewirken des Friedens so motivieren zu lassen, dass solche Wirkung oder eine ähnliche Wirkung zugleich der Status sind, in den sie sich versetzen mögen und in dem sie sich bewegen und aufhalten können: „Lasst uns gehen im Licht JHWHs!“ (2,5). Jesajas Adressaten sollen sich so verhalten und leben, wie es dem kommenden Weltfrieden entspricht.

Kommt man vom ersten Kapitel des Prophetenbuches her, so wird deutlich, dass Jesaja bei seinen Adressaten in Jes 2,5 eine eigene, breitere Kenntnis der Tora und des JHWH-Wortes voraussetzt und ein tieferes Wissen darüber, was deren gehorsames Befolgen bewirken kann. Kenntnis und Wissen der Adressaten sind jedenfalls umfangreicher, als ihnen aus den Andeutungen Jesajas in 2,1–5 hervorgehen kann. Jesaja geht davon aus, dass die Adressaten seine Einlassungen in 2,1–5 auf bereits Gehörtes beziehen. So ist jetzt diesem Gehörten und damit Kapitel 1 nachzugehen, um dann dessen Inhalte genauer auf den Appell Jesajas in 2,5 beziehen zu können.

Israel angesichts der Völker

Die Völker werden künftig von JHWH durch die Tora und sein Wort belehrt werden. Ein vergleichbares Belehren von Jesajas Israel, des „Hauses Jakob“, hat bereits in Kapitel 1 stattgefunden.

Kapitel 1 bettet dieses Belehren Israels in einen dramatischen Zusammenhang ein. Das Belehren Israels durch JHWH war überaus notwendig geworden. Denn Israel hatte sich auf Irrwegen befunden und war dabei in sein eigenes Verderben gerannt. Bevor ab Jes 1,10 die „Anführer“ und das „Volk“ Israel darüber unterrichtet werden, was JHWH wirklich gefällt, wird im Kapitel 1 hervorgekehrt, in welcher heillosen, verlustreichen Lage und belasteten Situation sich Israel vorfand.

JHWH selbst musste über sein Volk klagen und es anklagen (Jes 1,2–3). „Himmel“ und „Erde“ wurden dabei als Zeugen angerufen, um das Ausmaß des Beklagenswerten anzudeuten. JHWH hatte sich zwar Israel auf eine Art und Weise zugewandt, wie Eltern es zu tun pflegen, wenn sie ihre Kinder mühe- und hingebungsvoll großziehen. Doch trotz seines Einsatzes musste JHWH feststellen, dass sein Volk ihm gegenüber abtrünnig geworden und nicht zur Einsicht gekommen war. Dem literarischen Propheten Jesaja kommt es dann zu, in einem Weheruf die Folgen zu schildern, die sich aus Israels schuldhaftem und sündigen Verhalten ergeben hatten (1,4–9). Ein schweres Gericht war über das Volk und Land ergangen und hatte diese tief gebeugt. Das Strafgericht hatte zu weitreichenden Vernichtungen unter Israel geführt. Nur ein kleiner Rest Israels, die „Tochter Zion“, war übrig geblieben. Jesaja macht deutlich, dass sich dieser Rest von „Israel“ allein einem göttlichen Verschonen verdankt. Schuld und Sündhaftigkeit hätten auch dazu führen können, dass Israel ein unwiderruflicher Untergang ereilt und es ausgelöscht wird – wie einst „Sodom“ und „Gomorra“ (vgl. Gen 19,25.28). Doch zu solcher Auslöschung kam es nicht. JHWH hat davon abgesehen und den Rest erhalten. Jesaja deutet mit einem „Wir“ an, dass seine Adressaten und er selbst nur aufgrund der göttlichen Verschonung existieren: „Hätte JHWH Zebaot nicht einen kleinen Rest übrig gelassen, wie Sodom wären wir geworden, Gomorra wären wir gleich“ (Jes 1,9).

Beim Ton der Anklage bleibt es, wenn dann die Belehrung Israels erfolgt. Der Prophet redet in Jes 1,10 anscheinend zu den Bewohnern Jerusalems, sozusagen zum Rest Israels. Dieser Rest war zwar gerade einem Geschick entgangen, wie es ehedem Sodom und Gomorra ereilt hatte. Doch in puncto Schuld und Sündhaftigkeit sieht Jesaja sein Israel immer noch auf derselben Stufe wie die einstigen Bewohner von Sodom und Gomorra stehen. Jesaja redet deshalb seinen Hörerkreis in Israel mit den Worten an: „Anführer von Sodom [...] Volk von Gomorra!“ Mit diesem provozierenden und schockierenden Tonfall streicht Jesaja erneut die Dringlichkeit der Belehrung heraus. Israel befand sich – noch – in der Gefahrenzone, in der ihm Untergang und Auslöschung drohen. So lenkt Jesaja mit einem Höraufruf die Konzentration auf die Lehrinhalte, durch die Israel aus der Gefahr herauskommen wird, falls es diese Inhalte auch beachtet und beherzigt. Die Lehrinhalte benennt Jesaja mit zwei Begriffen, die er später ebenso bei seiner Schilderung der Völkerwallfahrt einsetzen wird (2,3) und die dort chiastisch gewendet, also in umgekehrter Reihenfolge auftauchen: „Wort JHWHs“ und „Tora (unseres Gottes)“ (1,10). Lesende werden sich so in 2,3 leicht daran zurückerinnern können, dass vor der Tora für die Völker zuerst dem gefährdeten Israel eine Tora JHWHs mitgeteilt wurde. Die Lesenden werden diese erste Tora für Israel auch bei Jesajas Appell in 2,5 mitdenken können, mit dem der Prophet Israel, das „Haus Jakob“, auffordert, sich im „Licht JHWHs“ zu bewegen. Dem gefährdeten Israel hat Jesaja jedenfalls in 1,10 zugerufen: „Hört das Wort JHWHs, Anführer Sodoms! Horcht auf die Tora unseres Gottes, Volk von Gomorra!“

Nach diesem Aufruf kommt Jesaja, der Prophet und berufene Rufer (vgl. Jes 6), seinem göttlichen Botendienst nach und unterbreitet Israel die Tora in Form einer belehrenden Rede JHWHs: Jes 1,11–17. Die Gottesrede wendet sich als Erstes Israels Kult, dessen Gottesdienst und dessen religiöser Praxis zu und übt daran heftige Kritik (1,11–15). Die Kritik geht auf göttlicher Seite mit weitreichenden Konsequenzen einher. Diese Konsequenzen reichen von JHWHs Erklärung, keinen Gefallen an Israels Opferdarbringungen zu haben (1,11), bis zu JHWHs Ansage, Israels Gebete nicht erhören zu wollen (1,15). Andere Prophetenbücher verwenden ebenso diesen Topos einer so genanten „Kultkritik“. Der Topos lehnt keineswegs jeglichen Kult und alles liturgische Agieren ab. Wohl aber entlarvt der Topos Haltungen und Verhaltensweisen in Israel, die mit einer aufrichtigen religiösen Hinwendung zu JHWH unvereinbar sind. Das alltägliche Verhalten und der soziale Umgang untereinander müssen in Israel dem Wollen und den Anliegen JHWHs entsprechen. Nur so wird Israel kultisch und religiös JHWH begegnen können. Andernfalls wird die Begegnung unmöglich. U.a. ein Detail deutet die gegenwärtige Unmöglichkeit zur Begegnung mit JHWH an. In Israel opferte man mit „Händen“ (1,12) und betete mit ausgebreiteten „Handflächen“ (1,15), doch die „Hände“ waren voller Bluttaten (1,15). Opfer und Gebete konnten die Bluttaten, die Gewaltausübungen am Nächsten (vgl. Gen 4), nicht verschleiern, und JHWH musste sich so von Israel abwenden. Folgerichtig unterbreitet deshalb die Tora am Schluss, was JHWH von Israel einfordert und was Israel tun soll (Jes 1,16–17). Bezeichnend sind die beiden letzten Forderungen. Israel hat „Waise“ und „Witwe“ bei Rechtsangelegenheiten aktiv zu unterstützen. Waise und Witwe stehen in der Antike und Bibel beispielhaft für die Kreise der Wehrlosen und Schutzbedürftigen. Damit schlägt die Tora einen Bogen, der von der Kultkritik bis zu den göttlichen Sozialforderungen reicht.

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9783429060473
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