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Читать книгу: «Die Industrielle Revolution», страница 2

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1.5 Demografie

Diese ländliche Industrialisierung war einerseits möglich, weil immer weniger Menschen benötigt wurden, um ausreichend Nahrungsmittel anzubauen oder herzustellen. Andererseits ergab sie sich aus dem Zwang, alternative Erwerbsquellen für die durch technische Verbesserungen zunehmend aus der Landwirtschaft verdrängten Arbeitskräfte zu finden. Ohne diese Freisetzung von Arbeitskräften wäre die spätere Hochindustrialisierung nicht denkbar gewesen. Im 18. Jahrhundert erlebte Großbritannien zudem einen fundamentalen demografischen Wandel. Erstmals war hier das eingangs genannte Malthus’sche Prinzip des zyklischen Bevölkerungswachstums durchbrochen und durch einen linearen Anstieg ersetzt worden, wie die nachfolgende Tabelle zeigt.


Jahr Bevölkerung in Mio. Jahre pro Bevölkerungszunahme um 1 Mio.
1695 5 -
1757 6 62
1781 7 24
1794 8 13
1804 9 10

Bevölkerungswachstum in Großbritannien (England, Schottland, Wales)

Die Beschleunigung des Bevölkerungswachstums hing mit der landwirtschaftlichen Revolution zusammen, hatte aber darüber hinaus noch andere Ursachen. Die Fortschritte im Agrarsektor hatten zwar nicht für eine uniforme Verbesserung der Erträge gesorgt, aber in vielen Gegenden des Landes deutlich mehr und vor allem regelmäßig Feldfrüchte zur Verfügung gestellt. Wenn in weniger weit entwickelten Regionen die Ernte aus natürlichen Gründen schlechter ausfiel, konnten andere Regionen diesen Produktionsausfall nun meist kompensieren. Großflächige Missernten traten immer seltener auf, weil die innovativen Methoden mehr als nur Subsistenzwirtschaft erlaubten. Der Anteil von Erträgen, die nicht für den Eigenbedarf angebaut wurden, stieg ständig, was unter anderem eine weniger einseitige und damit gesündere Ernährung der Menschen

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zur Folge hatte. Auch die Preise für Nahrungsmittel lagen zunehmend auf einem stabilen und relativ niedrigen Niveau.

Weitere Faktoren hatten die Bevölkerung bis ins 18. Jahrhundert nur moderat ansteigen lassen. Dazu gehörten eine sehr hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit und die Tatsache, dass Paare durchschnittlich erst mit Mitte Zwanzig heirateten. Außereheliche Beziehungen waren stark tabuisiert, und angesichts fehlender effektiver Methoden der Empfängnisverhütung war eine späte Heirat die einzige Möglichkeit der Geburtenkontrolle. Selbst wenn Frauen rund 15 Jahre fruchtbar blieben, konnte ein englisches Ehepaar im frühen 18. Jahrhundert nur mit durchschnittlich drei überlebenden Kindern rechnen. Hungersnöte und Seuchen sorgten dafür, dass auch das daraus resultierende Bevölkerungswachstum zyklisch wieder unterbrochen wurde. Dies begann sich erst zu ändern, als die Menschen früher heirateten und mehr Kinder bekamen, was ursächlich damit zusammenhing, dass sich die Aussichten verbesserten, den Nachwuchs ernähren zu können. Die Protoindustrialisierung auf dem Land gestattete einer wachsenden Zahl junger Leute den Aufbau einer unabhängigen Existenz, während zuvor viele Landarbeiter unverheiratet geblieben waren, da sie als abhängige Lohnarbeiter auf kleinen Farmen nicht genug verdienten und keinen Platz hatten, um Familien zu gründen. Wer in Heimarbeit oder protoindustriellen workshops tätig war, konnte sich eher ein Auskommen erarbeiten, das wenigstens für eine eigene Hütte reichte. Zusätzlich ließ ein verändertes Moralverhalten die Zahl außerehelich gezeugter Kinder ansteigen.

Etwa seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, wie die Zahlen verdeutlichen, beschleunigte sich das Bevölkerungswachstum deutlich. Darüber hinaus wurden die Briten statistisch betrachtet immer jünger: um 1700 waren etwa 33 – 35 % unter 15 Jahre alt; um 1800 waren es mindestens 10 % mehr, wobei diese Statistiken jedoch nicht sehr zuverlässig sind. Eine junge und wachsende Bevölkerung brachte Konsequenzen mit sich. Mehr und mehr Menschen drängten auf den Arbeitsmarkt, was die Löhne stabil hielt oder sinken ließ. Die Preise für Lebensmittel und Gebrauchsgüter erhöhten sich tendenziell, da die Nachfrage stieg. Die traditionellen Handwerke weichten Standards und Eintrittsregeln auf, da sie den starken Andrang der Arbeitswilligen bewältigen mussten. Insgesamt kam

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es zu einem deutlichen Wirtschaftsaufschwung, der zwar partiell mit Elend und Armut einher ging, im Wesentlichen jedoch die Nachfrage ankurbelte, Arbeitsplätze schuf und viele Sektoren der Wirtschaft wachsen ließ. Die protoindustriellen, meist auf dem Land befindlichen und mit primitiven Methoden produzierenden Betriebe konnten die Arbeitssuchenden jedoch nur bedingt absorbieren. Erst die Industrialisierung, die sich seit den 1760er Jahren Bahn brach, fing die wachsende Zahl der Briten wirtschaftlich auf.

Exkurs

Wäre der demografische Wandel auch ohne die landwirtschaftliche Revolution denkbar gewesen? Der Fall Irlands scheint als Beleg dafür dienen zu können. Das im 18. Jahrhundert von Großbritannien beherrschte Land, das 1801 formal Teil des Vereinigten Königreichs wurde, verzeichnet einen noch stärkeren Bevölkerungsanstieg als die britische Hauptinsel, und dies obwohl es kaum enclosures gab, die Zahl der kleinen und kleinsten Farmen sehr groß blieb und die Bewirtschaftungsmethoden deutlich weniger modern waren als in England, Schottland oder Wales. Es gab somit auch kaum Protoindustrie als Alternative zur Landarbeit. Jedoch: Auch in Irland heirateten die Menschen im 18. Jahrhundert früher und hatten dadurch eine längere Fruchtbarkeitsspanne, gerade weil es so viele kleine Farmen gab, die einer noch sehr jungen Familie ein eigenes, wenn auch bescheidenes Auskommen geben konnten. Weiterhin war Irland fast komplett katholisch und propagierte stärker als das mehrheitlich protestantische Großbritannien Fruchtbarkeit und Kindersegen. Die extreme Kleinteiligkeit der Landwirtschaft hatte jedoch mittelbar erhebliche Auswirkungen auf die Demografie. Sie war der Hauptgrund dafür, dass die große Mehrheit der irischen Bauern ausschließlich Kartoffeln anbaute. Diese Frucht brachte auch auf kleinen Flächen ausreichende Erträge für die Subsistenzwirtschaft; außerdem war das Klima für den Kartoffelanbau gut geeignet. Als es jedoch zwischen 1845 – 1849 aufgrund von Schädlingsbefall zu mehreren katastrophal schlechten Kartoffelernten kam, hatten die Iren keine Möglichkeit, den Ausfall durch andere

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Nahrungsmittel auszugleichen. Eine auch durch die Passivität der britischen Regierung begünstigte verheerende Hungersnot und die mit ihr verbundenen Krankheiten führten beinahe zu einer Halbierung der Landesbevölkerung. Rund 1 Million Iren starben; weitere 2 Millionen wanderten bis zur Mitte der 1850er Jahre aus. Von diesem demografischen Aderlass hat sich die Insel bis in die Gegenwart nicht erholt.

1.6 Wissens- und Handelsrevolution

Wichtige Voraussetzungen für die Agrarrevolution und den mit ihr verbundenen demografischen Wandel waren eine Neuorientierung der Wissenschaften und Veränderungen im Handel. Fortschritte in der Medizin und Hygiene bewirkten, dass die Mortalität der Briten abnahm, und mit leichter Verzögerung auch die der übrigen West- und Mitteleuropäer. Die Pest, die bis ins frühe 18. Jahrhundert die Bevölkerung regelmäßig stark dezimiert hatte, trat in West- und Mitteleuropa nicht mehr auf. Die letzte große Epidemie hatte England 1665/66 heimgesucht und über 100.000 Todesopfer gefordert. Die Kindersterblichkeit ging zurück, weil vermehrt auf die Dienste von professionellen Hebammen zurückgegriffen wurde. Mehr und dichter bevölkerte Städte begannen damit, auf die Sauberkeit des Trinkwassers zu achten und Abwässer sowie Abfälle gezielter zu entsorgen. Diese und andere Veränderungen basierten auf dem Erstarken der Wissenschaft, so dass das 18. Jahrhundert, zumindest für West- und Teile Zentraleuropas, auch als Zeitalter der „Wissensrevolution“ gilt. Schon im 16. und 17. Jahrhundert hatten Physiker, Astronomen, Chemiker und Mediziner rationale, materielle Erklärungen für viele Naturphänomene gefunden, die sich die Menschen bis dahin nur durch göttliche oder magische Intervention erklären konnten. Wissenschaftler verhalfen so den Menschen zu einem besseren Verständnis ihrer unmittelbaren Umwelt. Zur Erzeugung und vor allem zur Verbreitung dieser neuen Erkenntnisse war es wichtig, dass Wissenschaftler sich nicht im „Elfenbeinturm“ verbargen. Zunächst in England und Frankreich wurden gelehrte Gesellschaften unter königlicher Patronage gegründet, wie die englische Royal Society 1662 und die Académie des Sciences in

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Paris 1666. Hier tauschten sich Wissenschaftler aus und korrespondierten auch international miteinander. Lehranstalten, in England mechanics colleges genannt, gaben die neuen Erkenntnisse an Studenten weiter, die ihrerseits praktische Anwendungen für das Gelernte im Alltagsleben fanden. Einerseits bereiteten die Wissenschaften so den Boden für die beschriebenen bahnbrechenden Veränderungen im agrarischen und technischen Bereich. Andererseits wirkten sie auch indirekter, indem sie seit vielen Jahrhunderten bestehende Lehrmeinungen ad absurdum führten, sich für neue Sichten offen zeigten und ein Klima des Aufbruchs schufen. Ohne dies wäre es kaum denkbar gewesen, dass Bakewell, Townshend und viele andere mehr die Neugier gezeigt hätten, an ihrer Umwelt praktische Veränderungen vorzunehmen. Die Überzeugung, dass die Menschen ihre materielle Umwelt kontrollieren können, war ein Grundpfeiler der Industrialisierung. Wissenschaftler und Erfinder machten durch ihre Arbeit deutlich, dass Gebete und die Hoffnung auf göttliche Intervention keine gute Ernte garantierten, sondern dass der Mensch eine solche durch kluges Handeln gravierend beeinflussen konnte. Obwohl die meisten Wissenschaftler aufgrund ihrer Erkenntnisse keinen Grund sahen, persönlich dem Glauben zu entsagen, sondern beides gut miteinander kombinieren konnten, agitierte speziell die katholische Kirche beständig gegen solche Neuerungen. Zu offensichtlich widersprachen diese in vielem der Bibel und den Lehren der Kirchenväter. So kam es, dass die Wissenschaften in den katholischen, aber auch den orthodoxen Ländern Europas wesentlich weniger florierten als in den dominant protestantischen. Dies war ein wichtiger Grund dafür, dass sich in Süd- und Osteuropa fortschrittliche Agrartechniken und die mit ihnen assoziierten gesellschaftlichen und demografischen Veränderungen teils erheblich später als in West-, Mittel- und Nordeuropa einstellten.

Wissenschaftler waren jedoch nicht die einzigen, die sich verstärkt international austauschten. Für die Industrialisierung von mindestens ebenso großer Bedeutung war die im 17. Jahrhundert einsetzende „Handelsrevolution“. Dieser erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts geprägte Begriff steht für die Entwicklung eines Netzwerks von Fernhandelsrouten, das verschiedene Regionen der Welt kommerziell miteinander verband, Rohstoffe nach Europa brachte und neue Absatzmärkte für europäische

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Gebrauchsgüter schuf. Zwar verstärkte sich auch der innereuropäische Handel, jedoch waren die verschiedenen Staaten primär darauf bedacht, ihre nationalen wirtschaftlichen Interessen zu protegieren, was durch Einfuhrzölle und Ausfuhrverbote bewerkstelligt wurde. Auf der Route um das Kap der Guten Hoffnung herum nach Ostasien waren es zuerst die Niederländer, gefolgt von den Engländern, die Monopole für den Handel mit dem indischen und indonesischen Raum etablierten. Spanier und Portugiesen bauten als erste Kolonialbesitz in Mittel- und Südamerika auf und legten so den Grundstein für den immer wichtiger werdenden Transatlantikhandel. Westeuropäische Nationen, allen voran Engländer, Franzosen und Niederländer, folgten ihnen bald nach und trugen besonders zur Entwicklung des nordamerikanischen Handelsraumes bei. Dies brachte neue Güter nach Europa. Innerhalb weniger Jahrzehnte entwickelten sich zuvor exotische und rare Waren wie Gewürze, feine Tuche oder Nutzpflanzen zu Produkten des alltäglichen Gebrauchs, zumindest für finanziell besser gestellte Europäer. Die aus Südamerika stammende Kartoffel wurde bereits im Laufe des 17. Jahrhunderts in einigen europäischen Ländern zum Grundnahrungsmittel. Der Mittelmeerraum, der bis dahin die stärkste europäische Handelsregion war, verlor dagegen im 17. Jahrhundert erheblich an Bedeutung, was später tiefgreifende Auswirkungen auf seine Industrialisierung haben sollte. Um 1600 waren noch drei Viertel aller asiatischen Waren auf dem Landweg nach Europa gelangt und dabei durch verschiedene Mittelmeerstaaten und ihre Häfen geführt worden. Ein Jahrhundert später lief nahezu der gesamte Ostasienhandel per Schiff direkt nach Nordwesteuropa. Die Handelsmacht des Kontinents verlagerte sich innerhalb kurzer Zeit vom Süden in den Norden, womit sich auch eine Verschiebung politischer und militärischer Schwergewichte verband.

Aus dieser Neuorientierung des Handels ergab sich eine Reihe von Entwicklungen, die die spätere Industrialisierung des Kontinents entscheidend begünstigten. Der Hunger nach neuen Waren ließ im 17. Jahrhundert erstmals ein modernes Konsumverhalten entstehen, das zunächst nur eine winzige Oberschicht hauptsächlich aus Adligen betraf, sich aber rasch in die obere Mittelschicht ausbreitete. Diese wurde auch und gerade durch eine starke Involvierung in Handelsgeschäfte immer breiter und

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einflussreicher. Es versteht sich, dass die wachsenden Konsumbedürfnisse der Europäer nur durch die Ausbeutung von Arbeitskräften und Rohstoffen aus anderen Regionen der Welt befriedigt werden konnten. Vom späten 17. Jahrhundert an entwickelte sich ein florierender Dreieckshandel zwischen Europa, das Baumwolle, Edelmetalle und weitere Rohstoffe aus Nord- und Südamerika bezog, dafür Fertigwaren nach Afrika lieferte, um diese gegen Sklaven einzutauschen, die wiederum über den Atlantik verschifft wurden, um in Amerika auf Plantagen und in Bergwerken die in Europa nachgefragten Rohstoffe an- und abzubauen.

Jeder Handel benötigt Kapital. Die Internationalisierung des Handels wurde noch zu Beginn des 17. Jahrhunderts allerdings durch zahlreiche Zölle sowie die enorme Vielfalt der europäischen Währungen behindert. Jedes kleine Fürstentum oder auch größere Städte verfügten über eigene Währungen mit unterschiedlichem Gold- oder Silbergehalt. Es musste also eine verlässliche Größe gefunden werden, um deren Wert untereinander festzulegen. Die 1609 etablierte Bank von Amsterdam schuf als erste Finanzinstitution ein uniformes Wechselkurssystem, um die verschiedenen in der Stadt gehandelten Währungen aufeinander abzustimmen. Sie konnte dies mit großer Autorität bewirken, da die rohstoffarmen Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert das Handels- und Finanzzentrum Europas waren. Amsterdam war die entscheidende Drehscheibe der kontinentalen Wirtschaft, von der aus etwa südamerikanisches Silber weiter in die Ostseehäfen verschifft wurde. Aus dem Baltikum und Russland importierten die Niederländer vor allem Getreide und Holz. Die niederländische Hauptstadt war im 17. Jahrhundert auch der Ort, an dem das wichtigste Instrument des internationalen Kapitalverkehrs, der Wechsel, modernisiert wurde. Wechsel waren schon seit dem Hochmittelalter vor allem im norditalienischen Raum in Gebrauch und waren nichts anderes als eine Zahlungsanweisung über eine bestimmte Summe. Der Ausstellende konnte damit beispielsweise Waren an einem Ort kaufen und das Dokument mit diesen Waren an einen anderen Ort schicken. Dort wurde der Wechsel vom Empfänger der Ware bei einer Bank eingelöst oder „gezogen“, und diese Bank wies eine mit ihr kooperierende Bank am Ort des Ausstellers an, diesem die Summe auszuzahlen. So konnte der teure und mitunter gefährliche Transport großer Bargeldmengen vermieden

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werden. Neben Edelmetallen waren im 17. Jahrhundert Wechsel, die auf besonders vertrauens- und kreditwürdig geltende Amsterdamer Bankhäuser gezogen wurden, die einzigen universal anerkannten Zahlungsmittel. Der wirtschaftliche Abstieg der Niederlande im 18. Jahrhundert und der zeitgleiche Aufstieg Londons zum führenden Finanzplatz ließen auf dortige Bankiers gezogene Wechsel dominierend werden. Seit dieser Zeit wurden Wechsel nicht mehr nur zwischen zwei Parteien ausgetauscht, sondern konnten für mehrere miteinander verbundene Geschäfte verwendet oder sogar an Börsen gehandelt werden. Mehr und mehr kapitalkräftige Kaufleute begannen sich verstärkt im Kredit- und Finanzwesen zu engagieren. Diese untereinander vernetzten merchant bankers sorgten dafür, dass auch komplexere monetäre Transaktionen immer schneller, einfacher und zuverlässiger durchgeführt werden konnten.

Die verstärkten Handelsaktivitäten und die verbesserten Instrumente und Institutionen des Kapitaltransfers resultierten in mehr Liquidität. Händler generierten Kapital und waren darauf bedacht, es gewinnbringend zu investieren. Bis relativ weit ins 19. Jahrhundert hinein blieben diese Entwicklungen jedoch auf Westeuropa und einige Regionen Mitteleuropas sowie Nordamerikas beschränkt. Die Verfügbarkeit von Kapital, die Lage eines Landes in Relation zu den bedeutenden internationalen Handelsrouten oder das Vorhandensein moderner Finanzinstitutionen hatten erhebliche Auswirkungen auf den Zeitpunkt und Charakter der Industrialisierung der verschiedenen Regionen Europas.

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2. Großbritannien – The First Industrial Nation

Der seit dem späten 17. Jahrhundert immer produktiver werdende Agrarsektor, die Ausprägung einer ländlichen Protoindustrie, eine rasch anwachsende Bevölkerung, die ein großes Reservoir an Arbeitskräften zur Verfügung stellte, die starke Involvierung des Landes in den Welthandel und eine große Offenheit für wissenschaftliche Erkenntnisse – all dies waren wichtige Gründe dafür, dass Großbritannien die erste Industrienation der Welt werden konnte. Jedoch müssen noch eine ganze Reihe weiterer Voraussetzungen betrachtet werden, die diese Entwicklung entscheidend beeinflussten: Rohstoffe, Technologie, Kapital, Absatzmärkte und Transportnetzwerke. All dies gab es auch in vielen anderen Regionen Europas, aber nur in Großbritannien wirkten im 18. und frühen 19. Jahrhundert alle Faktoren zusammen. Als industrieller Pionier beherrschte Großbritannien die Weltwirtschaft bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts, sah sich dann aber nicht zuletzt aufgrund dieser Vorreiterrolle zunehmender Konkurrenz ausgesetzt.

2.1 Rohstoffe und Technologie

Kohle war der wichtigste „Treibstoff “ der Industrialisierung. Sie brennt bei gleicher Größe wesentlich langsamer als Holz, gibt dadurch mehr Energie ab und eignet sich daher besser für viele industrielle Prozesse. Erst die massenhafte Verwendung von Kohle machte eine Reihe von industriellen Produktionsprozessen kosteneffizient. In Großbritannien fanden sich bedeutende Kohlevorkommen, die zudem häufig in geringer Tiefe lagen. Dies machte bereits im 17. und 18. Jahrhundert, als die Technologie für tieferen Bergbau noch nicht entwickelt war, die massenhafte Gewinnung von Kohle zu niedrigen Preisen möglich. Die Lage

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der Kohlefelder bestimmte grundlegend, wo sich im 18. Jahrhundert Industrien mit hohem Energiebedarf ansiedelten, denn der Kohletransport über weite Strecken war aufwändig und unrentabel. Die größten britischen Vorkommen befanden sich im englischen Norden – vor allem in Northumberland, Yorkshire und Lancashire –, in Südwales und im südlichen Schottland. Hier entwickelten sich seit dem späten 18. Jahrhundert die dominierenden Industriegebiete Großbritanniens. Kohle kam auch in zahlreichen anderen europäischen Regionen vor. Doch im nordfranzösisch-wallonischen Raum, im deutschen Ruhr- und Saargebiet, Schlesien oder der Ukraine waren die Förderbedingungen meist schwieriger oder es bestand eine zu geringe Nachfrage nach diesem Brennstoff. Im stark bewaldeten Russland blieb beispielsweise Holz bis weit ins 19. Jahrhundert hinein der wichtigste Energielieferant, obwohl Kohle auch dort häufig dicht unter der Erdoberfläche lag. In Großbritannien aber war die Kohle nicht nur ein preiswerter Brennstoff, sondern sie war auch alternativlos, da das Land im 18. Jahrhundert nur noch über vergleichsweise wenig bewaldete Fläche verfügte. Kohle löste das ebenfalls schwierig über große Distanzen zu transportierende Holz bereits im 17. Jahrhundert als wichtigstes Heizmaterial für Häuser ab. Gerade die rasch wachsende Hauptstadt London, um die herum kaum noch Wälder lagen, konnte nur durch ständige Kohletransporte aus dem Nordosten des Landes versorgt werden. Großbritannien profitierte von einem weiteren geologischen Vorteil: die meisten Vorkommen von Eisenerz befanden sich nicht weit entfernt von den großen Kohlefeldern. Traditionell war seit Jahrhunderten Holzkohle verwendet worden, um aus Eisenerz Eisen zu gewinnen. Als die dazu benötigten großen Mengen an Holz immer schwieriger zu besorgen waren, schlugen zunächst Versuche fehl, die Holzkohle durch reine Kohle zu substituieren, da dadurch das Metall verunreinigt wurde. Erst die Verwendung von Koks – unter Sauerstoffentzug verbrannte Kohle – brachte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zufriedenstellende Ergebnisse.

Der Abbau und die Weiterverarbeitung von Rohstoffen wurden im 18. Jahrhundert in Großbritannien durch eine Vielzahl technischer Innovationen schneller, effizienter und preiswerter. Erst durch sie wurden Produktionsprozesse „industriell“. Bis ins frühe 18. Jahrhundert hatte

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sich beispielsweise das Einsickern von Grundwasser als unüberwindliches Problem beim Abbau tiefer gelegener Kohlevorkommen erwiesen. Erst die zentrale „Erfindung“ der Industriellen Revolution, die Dampfmaschine, beseitigte dieses Hindernis, da dem Bergbau dadurch Pumptechnologie zur Verfügung stand. Ihre Entwicklung verdeutlicht, welch langen Weg technische Innovationen gehen mussten, zeigt aber gleichfalls einen weiteren Grund für die frühe Industrialisierung Großbritanniens bzw. Englands auf. 1709 hatte Thomas Newcomen (1664 – 1729) die bereits seit langer Zeit experimentell bekannte Kraft des Wasserdampfs derartig in eine Konstruktion umgesetzt, dass damit Wasser aus Bergwerksschächten abgepumpt werden konnte. Zwar wurde diese Dampfpumpe punktuell verbessert, nur ließ die Entwicklung einer für viele andere industrielle Zwecke einsetzbaren Dampfmaschine noch über ein halbes Jahrhundert auf sich warten. Dies lag daran, dass Newcomens Konstruktion sehr große Mengen Kohle verbrauchte und die Kraftübertragung sich nur für grobe Bewegungen eignete, die keine präzise Steuerung verlangten. Nur dort, wo sehr viel Kohle gefördert wurde, lohnte sich die Investition in diese Technologie. Die belgische Kohleproduktion, immerhin die größte des europäischen Kontinents im frühen 18. Jahrhundert, betrug nur wenig mehr als ein Zehntel der britischen. Dort wurden, wie im Rest Europas, nur sehr wenige Dampfpumpen eingesetzt, da die traditionellen, durch Pferde oder menschliche Muskelkraft betriebenen Wasserschöpfräder noch lange rentabler waren. Der schottische Ingenieur James Watt (1736 – 1819) patentierte 1769 einen separaten Kondensator, was den Wärmeverlust im Zylinder der Dampfmaschine und damit deren Energieverbrauch wesentlich verringerte. In den Folgejahren arbeiteten er und andere Konstrukteure erfolgreich an der Applikation der Dampftechnologie für komplexere maschinelle Bewegungen. Erst seit der Mitte der 1780er Jahre wurden die ersten Dampfmaschinen in der Textilindustrie eingesetzt, doch auch hier dauerte es bis in die 1830er Jahre, bis sie Wasser und Wind als primäre Energiequellen überholten. Zwischen den 1830er und 1870er Jahren – also vor dem Aufkommen der elektrischen Energie – lag die große Zeit der Dampfmaschinen, die nunmehr mit einer Präzision und Energieeffizienz betrieben werden konnten, die ihren Einsatz für alle industriellen Bereiche rentabel machte.

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Zeitlich parallel zu Newcomens erster Dampfpumpe kam es zu einem technischen Durchbruch in der Eisenherstellung. Der Eisengießer Abraham Darby (1678 – 1717) verwendete 1709 erstmals erfolgreich Koks, um in einem innovativ geformten Schmelzofen Eisen von für damalige Verhältnisse hoher Reinheit herzustellen. Der Ofen wurde heißer und brannte sparsamer als herkömmliche Modelle. War die Metallverarbeitung zuvor in der Nähe von Wäldern angesiedelt, verlagerte sie sich nun zunehmend in die Kohlereviere. Allerdings wurde bis ins frühe 19. Jahrhundert immer noch Wasserkraft benötigt, um die riesigen Schmiedehämmer anzutreiben, die das noch weiche Eisen bearbeiteten. Kohleförderung und Metallbearbeitung gingen eine symbiotische Beziehung ein und trieben ihre Nachfrage gegenseitig voran. Aber auch hier dauerte es noch Jahrzehnte, bis weitere technische Neuerungen die Eisenherstellung auf eine neue Stufe hoben. In den 1780er Jahren gelang es Henry Cort (1740 – 1800) mit Hilfe des sogenannten „Puddle-Verfahrens“, weitere Unreinheiten aus dem Eisen zu entfernen, die zuvor nur mühsam durch langes Schmieden beseitigt werden konnten. Die Dampfmaschine fand eine erste Anwendung in der Metallindustrie im Betrieb der Blasebälge, die die Schmelzöfen mit ausreichend Sauerstoff versorgten. Seit den 1780er Jahren stieg die Eisenproduktion in Großbritannien rasant an.

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