Читать книгу: «Verschollen am Nahanni», страница 4

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7

Junger Mann, Sie haben einfach kein Sitzleder!“

Der Chefredakteur der Rheinischen Post ist ärgerlich.

„Glauben Sie denn, Sie wissen schon alles, was man in diesem Beruf wissen muss? Nach ganzen zwei Jahren? Zugegeben, Sie haben sich hier recht geschickt angestellt, was ich von Ihrem Ressortleiter so mitbekommen habe.

„Aber“, er blättert in der Personalakte herum, „nach ganzen vier Jahren, wenn man die Zeit in der deutschen Journalistenschule in München mitrechnet schon als freier Mitarbeiter ins Ausland zu gehen, ist einfach zu früh! Sehen Sie, Harder, in unserem Beruf ist solide Redaktionsarbeit die Grundlage. Bei Ihren Anlagen haben Sie gute Chancen, aber nur wenn Sie klar Ihren Weg gehen. Übrigens – richtig! – da fällt mir ein, ich habe im Industrieclub vor einiger Zeit Ihren Vater getroffen. Er war nicht gerade begeistert, dass Sie Journalist geworden sind! Warum waren Sie so abgeneigt, sein Beratungsunternehmen zu übernehmen? Das nährt doch seinen Mann, oder?'“

Peter Harder merkt auf einmal, dass ihm der Zorn ins Gesicht steigt. Verflixt, in dieser Stadt, wo seine Eltern wohnen, kann man solchen Fragen einfach nicht entrinnen.

Er rückt unruhig auf dem mit Leder bezogenen Chromsessel vor dem modernen Schreibtisch hin und her.

„Herr Wesenberg, ich habe da familiäre Gründe“, sagt Peter und entschließt sich plötzlich, die Flucht nach vorn anzutreten.

Er gibt sich einen Ruck.

„Mein Vater, den Sie gesprochen haben, ist nicht mein wirklicher Vater, obgleich er es mir an nichts hat fehlen lassen. Aber mein leiblicher Vater, der sich von meiner Mutter scheiden ließ bevor ich geboren wurde, ist damals nach Kanada ausgewandert, ohne von meiner Existenz zu wissen. Niemand weiß, wo er ist, und ich will ihn finden. In Kanada gibt es keine polizeiliche Meldepflicht und es ist sehr schwer in einem Land, das sich über fünftausend Kilometer von Küste zu Küste erstreckt, einen Menschen zu finden, wenn man praktisch keinen Anhaltspunkt hat. Mein Vater, er heißt übrigens Uwe Breuer, war in Kanada in Kriegsgefangenschaft. Da gibt es eine einzige mögliche Spur, aber es ist alles sehr ungewiss. Ich bitte Sie mir zu glauben, dass es mir sehr, sehr wichtig ist, diesen Mann zu kennen. Ich habe meinen Vater, ich meine meinen hiesigen Vater, nur sehr schweren Herzens enttäuscht, weil es wirklich keinen besseren gibt. Als ich vor vier Jahren von alldem erfuhr, habe ich meine Pläne für das Studium der Betriebswirtschaft aufgegeben und bin in den Journalismus gegangen, weil ich hoffte, dass mir dieser Beruf die Möglichkeit schafft, in Kanada nach meinem Vater zu suchen.“

Peter hat sich diese leise Rede förmlich abgequält. Sein Kopf ist auf die Brust gesunken.

Der Chefredakteur macht ein betroffenes Gesicht.

„Jetzt verstehe ich Sie natürlich schon besser, das habe ich ja alles nicht gewusst“, sagt er und nickt nachdenklich.

„Schade, ich hatte Sie nämlich, zusammen mit zwei anderen jüngeren Redakteuren, für eine besonders gründliche Ausbildung in unserem Hause ausersehen, gewissermaßen als Führungsnachwuchs. Sie können sich ja vorstellen, was das auf Dauer für Sie bedeuten könnte.“

Peter schaut ihn überrascht an.

„Ich freue mich natürlich sehr über dieses Vertrauen, Herr Wesenberg. Aber ich glaube, dass ich nie darüber hinwegkäme, die Chance aufgegeben zu haben, meinen Vater zu finden. Er ist jetzt, wenn er überhaupt noch lebt, dreiundsechzig. Ich kann einfach nicht länger warten.“

„Ich verstehe das, mein Junge. Ach, entschuldigen Sie, das ist sonst nicht meine Art.“ Er war von dem Problem dieses sympathischen jungen Mannes so gepackt, dass er aus dem sonst recht steifen Verhaltenskodex in seiner Redaktion herausfiel.

„Aber lassen Sie uns doch mal nachdenken, was Sie aus dieser Situation machen können. Unser Blatt hat ja, zusammen mit mehreren anderen regionalen Zeitungen, einen Korrespondentenring, zu dem auch einige Reisereporter gehören. Ich weiß, dass Sie ein guter Schreiber sind. Vielleicht könnten wir unsere Partner auch dafür interessieren, von Ihnen Reportagen aus Kanada zu drucken. Das ist ja mit seiner großartigen Natur für Europäer so etwas wie ein Gelobtes Land, obwohl wir, wenn wir ehrlich sind, nicht sehr viel darüber wissen. Ja, das könnte funktionieren. Ich denke mal drüber nach. Und bevor Sie abreisen, kommen Sie unbedingt nochmals zu mir rein, dann weiß ich vielleicht schon mehr.“

8

Macht Euch doch nichts vor, Leute! Natürlich gibt es da oben überall Gold. Das Problem ist nur, es zu finden und es dann aus dem Boden herauszukriegen. Ich habe eine ganze Reihe von Goldgräbern getroffen, die ein Leben lang versucht haben, Gold aus dem Dreck heraus zu waschen. Aber kaum einer davon hat auch nur ein kleines Vermögen gemacht, geschweige denn Reichtümer. Nee, das ist nichts für mich.“

Uwe schaut den vier, rund um den Tisch sitzenden Männern der Reihe nach in die Augen:

„Sei mir nicht böse, Bill, und wenn du noch so einen guten Tipp hast, nicht mit mir.“

Bill Collins sieht nicht so aus, als ob er durch diese Zurückweisung entmutigt sei.

„Uwe, ich rede ja nicht von Goldwaschen“, sagt er.

„Das wäre mir auch zu unsicher, und du kannst darauf bauen, dass ich dir ein solches Angebot nur mache, wenn ich mehr in der Hand habe als nur einen Tipp!“ Während er unter den Tisch greift und eine ziemlich schwere Segeltuchtasche heraufholt, schaut er mit lustig schelmischem Augenzwinkern zu seinen drei Kumpanen, die alle grinsen.

Bill verlängert die Spannung, indem er beide Hände auf die Tasche legt, als wollte er sie vor unbilliger Neugierde schützen, während er ein wenig umständlich zu erzählen beginnt.

„Wir haben doch alle den alten Ryan Walters gekannt, der vor drei Wochen gestorben ist. Du doch auch, Uwe, oder nicht? Ist der nicht auch öfters hier eingekehrt?“

Uwe nickt. „Ja, das war ein ernsthafter Mensch. Ich habe mich oft mit ihm unterhalten.“

„Ja, Ryan hat als viel beschäftigter Prospektor praktisch jedes Erzvorkommen im Umkreis von tausend Kilometern gekannt. Hättest du den Ryan für einen Spinner gehalten, wenn er dir gesagt hätte, er kenne ein absolut sicheres Goldvorkommen?“

„Komm, sag schon, was das soll!“, knurrt Uwe, der die Geheimnistuerei nicht leiden kann.

„Ganz im Ernst, Uwe, ich mache da keinen Spaß“, setzt Bill jetzt zu einer Erklärung an.

„Ryan hatte mir zwei Wochen vor seinem Tod sagen lassen, dass er mich sprechen wolle. Man verweigert so einem alten Mann nicht so einen Wunsch. Er war, wie er mir sagte, fünfundachtzig Jahre alt! Ich bin also zu seinem Haus unten am Highway gefahren. Da hat er mir erzählt, dass er am Little Doctor Lake, da an den Abhängen der Nahanni Range zum Mackenzie Valley'', er kramt eine Karte heraus, deutet auf den Punkt und zeigt Uwe die Stelle, „schon vor ein paar Jahren in einem vor dreißig oder vierzig Jahren aufgegebenen Minenschacht eine goldführende Quarzader entdeckt hatte. Er sei absolut sicher, hat er mir gesagt, dass da eine Menge Gold stecke. Und als Beweis hat er mir diese Tasche gegeben.“

Mit betont ruhigen Bewegungen löst Bill Collins den Riemenverschluss und schüttet seinen Inhalt auf den Tisch. Es sind helle Gesteinsbrocken unterschiedlicher Größe, helles Quarz zumeist. Bill nimmt einen der faustgroßen Brocken und zeigt auf einige fingerdicke dunklere Einschlüsse, die sich wie Adern durch den Stein ziehen. Er nimmt sein Messer aus dem Etui am Gürtel und kratzt daran herum.

„Siehst du das Gold?“, fragt er Uwe, der das Stück ein wenig widerstrebend näher betrachtet.

Da gräbt Bill ein paar Schriftstücke aus einem Plastikordner.

„Das sind die Laboranalysen, die Ryan bei der Firma Cominco in Trail hat anfertigen lassen.“

Er beobachtet Uwe genau, während dieser die Dokumente sorgsam liest.

„Die scheinen das ernst zu nehmen“, sagt er dann zögernd; aber Bill sieht deutlich, dass es auf Uwe erheblichen Eindruck macht.

„Die Mine ist aber ziemlich weit weg von hier“, setzt Uwe hinzu.

„Sicher! Aber der alte Ryan schätzte das Potential des Vorkommens auf zwischen ein und zwei Millionen Dollar, da dürfte die Entfernung wohl eine untergeordnete Rolle spielen. Und außerdem ist das genau der Grund, warum wir dich mit dabei haben wollen, dich und dein Flugzeug!“

„Mal ganz langsam! Soweit sind wir noch lange nicht. Ich möchte erst einmal wissen, warum Ryan Walters das nicht selbst ausgebeutet hat und warum die früheren Eigentümer die Mine aufgegeben haben!“

Uwe ist nach wie vor skeptisch.

„Ich sagte ja schon, Ryan Walters war Mitte achtzig und schon lange ziemlich wackelig. Er wusste, dass er keine Chance mehr hatte, die Sache selbst durchzuziehen. Ich habe ihm vor Jahren mal einen sehr großen Gefallen getan, und jetzt wollte er sich auf diese Weise bei mir revanchieren. Ryan sagte mir, er kenne das Vorkommen schon seit über zehn Jahren, aber er habe sich einfach nicht getraut, Partner für das Unternehmen zu suchen, aus Angst, hereingelegt zu werden. Und allein hätte er weder die Kräfte noch das Geld dafür gehabt. So sei es übrigens auch den Vorbesitzern der Mine gegangen. Die hätten das Gold zwar dort vermutet, aber ohne einen Beweis zu haben. So hätten sie den Claim verfallen lassen müssen.“

„Und wie gedenkt ihr das zu finanzieren?“

Uwe schaut der Reihe nach in die Gesichter der vier Männer.

„Jeder von uns wird ein paar tausend Dollar aufbringen, um die Ausrüstung zu beschaffen und sie zu der Mine zu bringen. Wir brauchen einen guten, gebrauchten Kompressor für meine beiden Presslufthämmer. Den müssen wir wohl mit einem Hubschrauber aus Fort Simpson herüberfliegen lassen. Und außerdem Dynamit zum Sprengen. Trevis ist ja Sprengmeister“, er nickt bestätigend zu dem stillen Mann hinüber.

„Und dann wollen wir draußen arbeiten, in Schichten. Wenn du mitmachst, Uwe, habe ich mir vorgestellt, du würdest kein bares Geld einzubringen haben, und auch nicht in der Mine arbeiten. Aber du könntest mit dem Flugzeug die Versorgung übernehmen und die Ablösungen mit hin- und hernehmen. Die Mine liegt direkt am Ufer, sodass du auf dem See wassern könntest. Wenn du einmal in der Woche oder alle zehn Tage rauskommen würdest, müsste das ausreichen! Was denkst du darüber, Uwe?“

„Bill, das klingt alles recht vernünftig. Aber ich muss das zuerst mal überschlafen. Meine Arbeit hier im Motel und in der Werkstatt geht auf jeden Fall vor. Ich werde es erst einmal mit Mabel besprechen!“

9

Uwe, Du weißt doch, wie wichtig es ist, dass wir die Schulden loskriegen. Wenn du dich mit dieser Goldmine verzettelst, wird das schwierig.“

Mabel schaut ihn trotzig an.

„Du kannst nicht die ganze Last mir überlassen!“

„Nein, natürlich nicht“, sagt Uwe begütigend. „Auf der anderen Seite könnten wir den Goldregen ganz gut gebrauchen. Stell dir nur mal vor, ich käme da mit hunderttausend oder hundertfünfzigtausend Dollar raus, dann könnten wir die Hypothek zurückzahlen und wären nicht mehr so davon abhängig, ob es ein guter Touristensommer ist oder nicht.“

„Das sind doch Träume, Uwe. Das Risiko bei einem solchen Unternehmen ist doch immer größer als die Chance.“

„Ja, aber wenn man gar keinen Versuch macht, bekommt man nie eine Chance.“

Er schaut unentschlossen aus dem Fenster, hinaus auf den Vorplatz, vor dem General Store. Dann gibt er sich einen Ruck.

„Also, wir reden nochmals darüber. Für mich wird es Zeit, mich an die Arbeit an der Zündanlage des Cherokee zu machen. Die Leute wollen heute Nachmittag nach Watson Lake weiterfahren. Und dann muss ich die Maschine klarmachen, für den Flug morgen früh, um Bruce abzuholen.“

10

Nein, da kann ich Ihnen nicht helfen. Meine Eltern sind beide vor Jahren gestorben, eine ganze Weile nachdem Uwe damals hier vorbeikam. Ich selbst war da noch in Saskatoon beim Studium.“

Tom Musgrove, ein Mann Ende der Vierzig, kratzt sich hinter den Ohren. Man sieht ihm das Bedauern an, dass er dem Fremden nicht helfen kann.“

„Aber warum suchen Sie Uwe Breuer?“

Peter Harder gerät in Verlegenheit. Wie oft ist ihm diese Frage gestellt worden!

„Er ist mein Vater!“, sagt er dann, um ohne weitere Frage zu erklären, warum er selbst nicht Breuer heißt.

„Ich habe erst vor Kurzem erfahren, dass er das ist, meine Eltern hatten sich scheiden lassen.“

Der Satz hängt wie eine billige Floskel in der Luft.

„Wir alle haben Uwe sehr gerne gehabt. Als Kinder war er für uns, für meinen Bruder und mich, wie ein Bote aus der großen weiten Welt“, sagt Tom.

Da unterbricht er sich.

„Halt mal, da fällt mir was ein. Mein Bruder hat mal erwähnt, Uwe sei dann irgendwo im Norden für so ein Charterflug-Unternehmen geflogen. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wo das war, aber ich könnte Wally mal anrufen.“

Er bittet Peter ins Haus, stellt ihn Mary, seiner Frau vor. Sie wischt sich die Hände an der Schürze ab und fragt ihn, ob sie ihm einen Saft anbieten könne. Peter nimmt dankend an.

Da kommt Tom Musgrove aus dem Nebenzimmer zurück.

„Ich habe Glück gehabt, Wally war gerade zuhause. Er hat mir gesagt, Uwe habe damals einen Job als Pilot und Mechaniker in La Ronge angenommen, weit oben im Norden von Saskatchewan, am Lac la Ronge, bei einem Sandy Foster, dem die Northern Flying Services Ltd. gehören. Aber Uwe sei nicht mehr dort. Mein Bruder hat ihn dort vor Jahren mal besucht. Er ist selbst Buschpilot, aber jetzt ist er lange nicht mehr dort gewesen, weiß also, nicht, was aus ihm geworden ist.“

Peter Harder hat sich alles genau aufgeschrieben.

„Wo ist dieses La Ronge?“, fragt er.

„Das dürften so rund dreihundertfünfzig Meilen weiter nach Norden sein, vorbei am Prince Albert National Park. Es ist recht einsam da oben, aber sehr schön, eine Menge Seen und so. Wollen Sie dort hinauffahren?“

Peter lacht leise.

„Wird das Beste sein, denke ich mir. Niemand hier gibt gerne Auskunft über andere Leute. Ich fürchte, wenn ich nur anrufe, bekomme ich kaum eine Antwort.“

„Da haben Sie recht“, grinst Tom.

„Aber vielleicht kann ich Ihnen die Adresse meines Bruders geben. Wenn der bei der Charterfirma, bei diesem Sandy Foster, anruft, sagt der ihm sicher, was aus Uwe geworden ist.“

11

Unter ihm verbreitert sich der enge Canyon des Toad River in ein weites Hochtal. Die Bergkette der Rocky Mountain Foothills bleibt hinter ihm zurück. Er hält die Cessna knapp unter der Basis der Stratusbewölkung, die bei etwa achttausendfünfhundert Fuß Höhe, also bei zweitausendfünfhundert Meter liegt. Uwe nimmt das Gas zurück. Er muss Höhe verlieren, weil es höchstens noch fünfundzwanzig Kilometer bis zum Landepunkt sind, der nur runde fünfhundert Meter über Meereshöhe liegt.

Der Ton des Motors sinkt um mehrere Oktaven, als er die Drehzahl verringert. Die Luft ist ruhig und die Cessna auf Schwimmern scheint sich in ihrem Element wohl zu fühlen. Unter ihnen liegt menschenleeres Land. Uwe hat sich sehr an die karge Landschaft in diesen Bergen gewöhnt.

Er sieht die Mündung des Toad River in den Liard auftauchen. Der Fluss ist breit und inzwischen auch behäbig. Dreißig Kilometer flussaufwärts sieht die Szene ganz anders aus. Gewaltige Strecken tost der Fluss über Stromschnellen und Wasserfälle, die zu den wildesten in ganz Nordamerika gehören, durch den Grand Canyon of the Liard. Dort liegen auch die Rapids of the Drowned, die Stromschnellen der Ertrunkenen. Wer dort mit dem Kanu unterwegs ist, muss sein Gefährt lange Strecken über schwer zugängliches Land tragen.

Ja, dort kommt die große Biegung des Flusses auf, wo die Cabin liegt. Uwe nimmt das Gas auf tausendsechshundert Touren zurück und geht in einen gestreckten Gleitflug über; neunzig Knoten Geschwindigkeit liegen an.

Jetzt die Klappen auf zwanzig Grad. Er kennt die Stelle, wo er die Schwimmer ins Wasser setzen kann. Man muss sich ja hier vor Untiefen im Flusslauf hüten.

Uwe legt die Maschine in eine flache Kurve und hat jetzt den richtigen Landekurs. Klappen voll ausfahren, die Sinkrate mit etwas Gas stabil halten, bis die Schwimmer im richtigen Winkel eintauchen. Gas ganz weg! Der plötzliche Widerstand des Wassers bremst das Flugzeug rapide ab.

Am Ufer zeigt sich niemand. Man sieht auch keine Kanus dort liegen. Uwe gibt wieder Gas und gleitet langsam auf das Ufer zu.

Kein Lebenszeichen. Uwe sieht auf die Uhr. Bruce und seine drei Begleiter müssten längst hier sein. Uwe zieht den Gemischhebel ganz heraus, der Motor stottert und erstirbt dann. Man hört nur noch das Rauschen des Wassers.

Er klettert aus der linken Tür und lässt sich auf den Schwimmer hinunter. Für eine Minute lauscht er. Nichts!

Nach kurzem Überlegen steigt er wieder in die Kabine zurück, greift nach dem Sicherheitsgurt und lässt den Motor an. Hier im Busch kann man es nicht einfach auf sich beruhen lassen, wenn jemand zur vereinbarten Zeit nicht auftaucht; man muss sich vergewissern, ob nichts passiert ist. Langsam dreht sich die Maschine zur Mitte des Flusslaufs. Vollgas! Der linke Schwimmer kommt zuerst frei, als Uwe mit einem kräftigen Ruck das Steuerhorn nach rechts schwenkt. So überwindet man die Saugkraft des Wassers am hydrodynamisch geformten Schwimmer.

Und nun beginnt der Steigflug. Uwe bleibt auf der rechten Seite des Flusses, dem er in allen Windungen folgt. Links und rechts steigen die Berge bis fast zweitausend Meter an. Aber das Flusstal bleibt relativ breit.

Uwes Augen kleben förmlich an den Ufern unter ihm. Der Grayling River ergießt sich von Norden in den Liard River. Dann von links der Crusty Creek. Vor ihm kommen die Berge näher an den Fluss heran. Dort liegt Hell´s Gate, das Höllentor, wie es auf der Karte heißt. Uwe bleibt so niedrig wie möglich. Er weiß, dass sich weiter westlich das Tal wieder verbreitert, sodass er dort in einer flachen Kurve umkehren könnte, wenn die Wolkenbasis absänke.

Da irritiert ihn plötzlich etwas.

Ja, das ist ein umgeschlagenes Kanu! Ein, zwei Meilen weiter ein steil aus dem Wasser ragendes Riff.

„War da etwas?“ fragt er sich laut, als er darüber hinweg rast. Im Reflex schiebt er Gemisch- und Gashebel auf Volllast und lässt die Maschine steigen. Sobald er die Höhe erreicht hat, in der er ohne Gefahr wenden kann, geht er in die Gegenkurve.

Neuer Anflug. So tief wie möglich. Und jetzt konzentriert er sich auf ein Felsenriff, das da vorn wieder ins Blickfeld gerät.

Richtig! Er sieht Menschen, die sich an den Fels klammern! Sie winken herauf! Da ist er wieder vorbei und geht erneut in den Steigflug über. Uwe ist sofort klar, was da geschehen sein muss. Die Kanus sind in der starken Strömung gekentert und die Männer haben sich schwimmend auf das Riff gerettet, von dem sie nicht mehr wegkommen. Sie haben keine Chance, das Ufer schwimmend zu erreichen. Sie würden in die Strudel gesogen und dann über den nächsten Wasserfall zu Tode stürzen.

Uwe kreist in sicherem Abstand über der Szene. Was kann er tun? Er mustert die Umgebung des Riffs. Auf der Leeseite, also flussabwärts, erkennt er einen Streifen relativ ruhig fließenden Wassers. Vielleicht kann er dort aufsetzen! Aber wenn es misslingt, kann er an der nächsten Stromschnelle zerschmettert werden.

Sorgsam bereitet Uwe den neuen Anflug vor. Er holt weit aus und kommt mit leicht überschüssiger Fahrt einen Meter über dem Wasserspiegel auf die Stelle zu. Er tastet sich förmlich in die richtige Position. Jetzt, Gas weg! Sofort nachdem die Schwimmer eingetaucht sind, gibt er wieder Gas, um nicht von der Strömung zurückgetrieben zu werden.

Trügerische Unterströmungen des Flusses muss er mit dem Gashebel ausgleichen. Der Propeller steht auf Startstellung, um so den größtmöglichen Vortrieb zu erreichen. Das Riff vor ihm kommt ganz langsam näher. Jetzt sieht er zwei der Männer, die sich aus dem Wasser auf das Riff hinaufgearbeitet haben. Sie winken.

Er kann nur mit dem Kopf nicken, weil er beide Hände zum Manövrieren der Maschine braucht. Er muss darauf vertrauen, dass die Männer begreifen, was nötig ist. Hinter den Schwimmern hält die Strömung die beiden Seile gestreckt, die sonst zum Vertäuen gebraucht werden. Werden die beiden begreifen, dass sie herüberhechten und dann alle Kräfte einsetzen müssen, um diese Seile zu schnappen?

Von Uwes Stirn rinnt Schweiß. Er ist verkrampft, weil er Steuerhorn, Gashebel und Seitenruder millimetergenau handhaben muss, um das im Wildwasser bockende Flugzeug in Position zu halten. Jede Sekunde kann das Flugzeug ausbrechen. Wenn es quer zur Strömung getrieben werden sollte, wird es in die nächste Stromschnelle geschmettert. Dann Gnade ihm Gott!

Langsam schiebt er sich an das Felsenriff heran. Die beiden Männer haben begriffen, was er von ihnen erwartet. Sie machen Handzeichen, dass sie sich für den Hechtsprung vorbereiten. Einer von ihnen trägt einen grauen Vollbart. Das muss Bruce sein.

Da! Beide springen zur gleichen Zeit! Um ein Haar hätten sie das Seil verpasst, wenn nicht Uwe ein wenig Gas weggenommen hätte, um das Flugzeug ein, zwei Meter zurückfallen zu lassen.

Uwe gibt wieder Gas und lässt die Maschine nach rechts zur ruhigeren Flussmitte driften. Durch das hochgeklappte linke Kabinenfenster beugt er sich so gut es geht hinaus. Ja, die beiden hängen an dem Seil und ziehen sich rasch heran. Jetzt klettert der erste auf den linken Schwimmer. Uwe bedeutet ihm, er möge auf den anderen Schwimmer hinüberwechseln und zur rechten Türe hereinsteigen, weil er die Cessna mit viel Finesse in der Strömung gerade halten muss; er kann nicht aus seinem Sitz heraus.

Zwei Minuten später sind die beiden erschöpften Männer in der Kabine geborgen. Bruce klopft Uwe dankend auf die Schulter. Beide schauen hinüber zu dem Felsenriff, wo die anderen mit fragenden Gesten warten.

„Ich kann nur zwei mitnehmen. Ich komme zurück!“, brüllt Uwe durch den Motorlärm den Geretteten in der Kabine zu. „Anschnallen! Ich starte!“

Er hat die Maschine in die Mitte des Flusses bugsiert und geht auf Vollgas. Viele Reserven hat er nicht mehr und es scheint fast, als käme die Cessna nicht auf Fahrt. Die Strömung treibt sie einen Meter zurück, wenn sie zwei Meter vorankommt. Aber dann gehen die Schwimmer auf Stufe. Und wieder der Trick mit dem Herauslösen des einen! Das Flugzeug ist aus dem Wasser. Um Fahrt zu machen, hält Uwe es für eine Weile knapp über dem Flussbett, dann steigt es aus dem Tal heraus.

„Du hast ja wieder mal Kopf und Kragen riskiert!“

Mabel sagt es mit einem bitteren Unterton.

„Du hättest ja auch über Funk die Flugsicherung alarmieren können. Die hätten sicher die Search and Rescue mit ihren Hubschraubern herangeholt. Aber nein, Uwe Breuer macht alles eigenhändig und unter totalem Risiko! Er landet zweimal in diesem rasenden Fluss, wo schon ein einziges Mal Gott versuchen heißt!“

„Komm Mabel, sei vernünftig. Die Männer waren schon völlig ausgekühlt. Die Air Force konnte nicht vor vierundzwanzig Stunden an Ort und Stelle sein. Der Rettungs-Hubschrauber aus Edmonton wäre zu lange unterwegs gewesen. Diese Männer auf dem Riff aber hätten die vierundzwanzig Stunden wahrscheinlich gar nicht überlebt. Sollte ich bei deren Beerdigung sagen, dass es mir zu riskant gewesen sei, sie zu retten? Ich würde es nicht mehr wagen, morgens beim Rasieren in den Spiegel zu schauen.“

Uwe ist wütend. Er hat diese Kritik nicht erwartet. Wie um sich zu rächen, sagt er das plötzlich sehr viel lauter, als es sonst seinem Naturell entspricht:

„Du musst dich daran gewöhnen, dass ich mir in meine Entscheidungen nicht reinreden lasse, und schon gar nicht in einem solchen Fall. Wo kämen wir denn da hin?! Ich werde übrigens auch bei der Goldmine mitmachen, damit du ganz klar siehst!“

Mabel ist konsterniert. Sie kann sich nicht erinnern, dass sie je mit Uwe Krach gehabt hat.

„Ihr verflixten Helden denkt einfach nicht an die möglichen Folgen. Und wenn was passiert, müssen andere alles austragen. Weißt du, wie es mir ergangen wäre bei einem Unglück? Ich säße hier mit einem Schuldenberg, den ich nie hätte abtragen können. Die Versicherung käme dafür bestimmt nicht auf. Ich wäre arm wie eine Kirchenmaus herausgejagt worden.“

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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253 стр. 6 иллюстраций
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9783948097516
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