Читать книгу: «TO DIE FOR – GNADENLOSE JAGD», страница 4

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»Ja?«, meldete sich eine männliche Stimme. Nicht Beckett.

»Ist John da?«, fragte ich.

»Wer ist da?«

»Ein Freund von ihm.«

Es gab eine Pause.

»Er ist gerade nicht da. Ich versuche selbst, ihn zu finden. Sie können …«

Ich legte auf. Sicher einer von Coles Männern. Ich sah mich in dem Zimmer um, auf der Suche nach etwas Festem. Ich war es gewohnt, zu handeln, manchmal schnell, manchmal langsam. Jetzt wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ungewissheit war wie eine juckende Stelle, an der man sich nicht kratzen konnte.

Kendall und seine Frau lagen vor mir auf dem Boden, zusammengerollt wie Müll. Ich starrte sie eine Weile an, bevor mir klar wurde, dass ich ihre Leichen noch nicht untersucht hatte. Ich probierte es zuerst bei der Frau, die ich mit dem Fuß umdrehte. Als sie herumrollte, fiel ihr Arm auf den Boden. Das Fett an ihrem Hals wackelte hin und her. Sie trug ein Baumwollkleid, zu dünn, um etwas zu verbergen, außer den Falten auf ihrer Haut, sogar zu dünn, um die Form ihrer Unterwäsche zu verbergen, die sich durch das Gewebe abzeichnete und sie selbst als Tote noch dumm wirken ließ. Ich sah sie für einen Moment an. Ich war ihr einmal begegnet, als Kendall einen Zwischenstopp im Fitnessstudio machte, um mir etwas Geld vorbeizubringen. Das war schon eine Weile her, aber ich erinnerte mich, dass sie überheblich war und sich demonstrativ von mir abwendete, als Kendall sie mir vorstellte.

Ich hatte nicht vorgehabt, sie umzubringen. Sie geriet in Panik und versuchte, aus dem Haus zu rennen, und mir blieb nichts anderes übrig, als ihr eine zu verpassen. Sie schlug hart auf dem Boden auf, aber ich dachte nicht, dass mein Schlag sie umgebracht hatte. Vielleicht hatte sie ein schwaches Herz oder so. Jetzt, wo sie tot war, wirkte ihr Leben mit all dem dicken Make-up und den goldenen Armreifen wie eine elende Zeitverschwendung.

Es war Kendalls hintere rechte Hosentasche, in der ich einen Zettel fand. Darauf waren in seiner Handschrift eine Reihe von Namen notiert. Ich kannte keinen davon. Alle Namen waren durchgestrichen, bis auf den letzten: R. Martin. Sagte mir gar nichts. Martin war ein gebräuchlicher Name. Weiter fand ich nichts.

Ich durchsuchte noch einmal das Haus, versuchte zu erraten, wo Kendall seine wichtigen Informationen verstecken würde. Wäre ich nicht im vorderen Schlafzimmer gewesen, hätte ich wohl die Scheinwerfer nicht bemerkt, als sie in die Einfahrt bogen. Ich ließ die Schublade fallen, die ich in den Händen hielt, und lief zum Fenster. Unten hielt ein schwarzer Mercedes hinter Kendalls Wagen und versperrte die Zufahrt. Drei Männer sprangen aus dem Auto. Einer blickte hinauf und ich sah ein langes, dünnes, weißes Gesicht, das mich anstarrte. Die kleinen schwarzen Augen, der kleine Mund und die scharfen Wangenknochen ließen das Gesicht maskenhaft wirken. Es war ein fein geschnittenes Gesicht, reizend auf seine Art. Es gehörte einem Mann, den ich kannte, und an dem war nichts Reizendes. Ich kannte ihn von früher. Sein Name war Kenny Paget. Damals arbeitete er für einen Mann namens Frank Marriot, Zuhälter und Pornograf, einer der größten in London. Paget war sein Mann fürs Grobe. Wir waren uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Verdammt, was machte der hier? Ich bewegte mich nicht. Er sah weiter in meine Richtung, dann drehte er sich weg, hatte mich in dem abgedunkelten Raum nicht sehen können. Er sagte etwas zu den anderen Männern. Die drei schwärmten aus, zwei gingen zur Vordertür, einer lief um die linke Seite herum. Es läutete.

Zu dem Zeitpunkt, als ich in der Küche ankam, drückte der dritte Mann an der Tür die Türklinke herunter. Ich hatte meinen Wagen oben an der Straße stehen lassen, und ich hatte meine Kanonen in dem Wagen gelassen. Das war dumm. Ich war leichtsinnig gewesen, hatte darauf gebrannt, Kendall zusammenzuschlagen.

Im Schutz der Schatten im hinteren Teil des Hauses lief ich ins Esszimmer. Von dort aus führte eine Balkontür auf die Terrasse. Als ich in der Küche Glas splittern hörte, löste ich die Verriegelung an der Balkontür und schob sie gerade weit genug auf, um mich hindurchzuzwängen. Ich zog die Tür wieder zu, lief um das Haus herum zur Seite und sprang über den Zaun in den Garten von Kendalls Nachbarn. Geduckt bewegte ich mich über die weiche Erde an dem Zaun entlang, bis ich zur Straße kam. Hinter mir hörte ich, wie Kendalls Haustür geöffnet wurde.

»Er ist tot«, sagte ein Mann. »Jemand hat hier rumgewühlt.«

Als die Tür wieder geschlossen wurde, stand ich langsam auf. Paget und seine Männer waren ins Haus gegangen. Ich lief zu meinem Wagen und fuhr davon.

Ich fuhr ziellos durch die Straßen, ohne darüber nachzudenken, wohin ich fuhr. Die Dinge holten mich langsam aber sicher ein. Wenn Cole oder die Bullen mich nicht bereits suchten, würde es nicht mehr lange dauern. Ich war gebrandmarkt. Gerade hatte ich den Mann umgebracht, der meine Verbindung zu der einzigen Art von Arbeit darstellte, der ich in diesen Tagen nachgehen konnte. Aber am schlimmsten war, dass meine Reputation zum Teufel war. Das zählte.

Ich hatte Kendall nie vertraut, aber ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich hatte die Deckung aufgegeben. Kendall war dumm genug gewesen, mich zu verarschen. Und ich war dumm genug gewesen, es mit mir machen zu lassen.

Ich fuhr an den Straßenrand, angelte Kendalls Handy aus der Tasche und tippte Kings Nummer ein.

»Scheiße, wer ist da?«, fragte eine heisere, schlaftrunkene Stimme.

»Joe.«

»Verdammt. Bleib dran.«

Ich hörte Kings Frau fragen, wer dran sei, und King, der ihr sagte, sie solle weiterschlafen. Ich hörte, wie er aus dem Bett stieg, hörte, wie sich eine Tür schloss. Ich behielt die Augen auf der Straße und die Hand an meiner Waffe. Die Straße war wie ausgestorben. Ein näherkommendes Fahrzeug würde sich lange genug vorher ankündigen. Ich war nervös. Ich mochte es nicht, nervös zu sein – das machte mich auch nervös.

»Was ist los?«, fragte King.

»Ich muss jemanden finden.«

»Für wen hältst du mich, die Polizei?«

»Beckett ist abgetaucht. Ich muss ihn finden.«

Er lachte laut auf. »Wirklich? Dann viel Glück.«

»Willst du mir nicht helfen?«

»Worum geht's hier eigentlich, Joe?«

»Er hat Coles Geld.«

»Und schiebt es dir in die Schuhe?«

»Wirst du mir helfen oder nicht?«

»Wenn Beckett sich versteckt hat, werde ich ihn nicht finden. Selbst wenn jemand was weiß, wird man es mir nicht verraten.«

»Sie werden es mir verraten.«

»Okay, meinetwegen, du kannst sie dazu zwingen. Aber dann musst du sie auch gleich umlegen, denn sonst rufen sie Beckett an und er macht sich vom Acker.«

»Ich hab kein Problem damit, sie umzulegen.«

»Nein, natürlich nicht. Aber dann steckst du derbe in der Scheiße.«

Ich steckte jetzt schon derbe in der Scheiße. Was machte da schon noch ein wenig mehr aus?

»Wer könnte etwas wissen?«

»Keine Ahnung. Ich kenne Beckett nicht, hab die Schwuchtel nie gemocht.«

»Du kennst ein paar Typen. Die kennen wiederum ein paar Typen. Ruf sie an, frag herum.«

Er machte eine Pause.

Als King weitersprach, war seine Stimme leiser. »Das könnte ich tun, aber das werde ich nicht. Wenn ich anfange, Fragen zu stellen, macht das die Runde bis zu Cole. Er wird wissen wollen, was ich mit der Sache zu schaffen habe. Sorry, Joe, das ist mir zu gefährlich. Meinst du nicht, dass Cole wissen wird, wenn man fragen muss? Wenn er Beckett noch nicht gefunden hat, werde ich das auch nicht können.«

Er hatte natürlich recht.

»Gib mir einen Namen«, sagte ich. »Niemand wird erfahren, dass er von dir kam. Wenn ich Beckett nicht finde, bin ich erledigt.«

Am anderen Ende der Leitung war es still. Er dachte darüber nach. Seine Loyalität war gespalten. Er kannte mich, und ich galt als jemand, mit dem man gut zusammenarbeiten konnte, verlässlich. Und er hasste Beckett. Ich setzte ihn unter Druck. Hatte keine andere Wahl. Nach ein paar Sekunden sagte er: »Du solltest untertauchen, Joe. Solange du noch am Leben bist.«

Es war sinnlos. King wurde wegen so etwas nicht rührselig. Wäre ich auch nicht. Ich war kurz davor, aufzulegen, als mir etwas einfiel.

»Kennst du jemanden mit dem Namen Martin?«, fragte ich. »Der Vorname fängt mit einem R an.«

»Martin«, wiederholte King. »Der Name kommt mir bekannt vor. Ray Martin. Lange nichts mehr von ihm gehört.«

»Wieso würde Kendall nach ihm suchen?«

»Mann, woher soll ich das wissen? Frag Kendall.«

»Kann ich nicht.«

»Warum nicht?«

»Willst du nicht wissen.«

Wieder eine Pause.

»Fuck. Du steckst echt tief drin, weißt du das?«

»Sag mir einfach, wo ich diesen Martin finden kann.«

»Das weiß ich nicht.«

»Nenn mir jemanden, der es vielleicht weiß. Ich halte deinen Namen aus der Sache raus.«

Er seufzte und murmelte vor sich hin. Schließlich sagte er: »Kennst du Jim Bowker?«

Bowker. Den kannte ich.

»Erinnerst du dich an Paget?«, fragte ich.

»Ja?«, sagte King langsam.

»Den hab ich heute Nacht gesehen. Vor Kendalls Haus.«

»Und?«

»Arbeitet er immer noch für Marriot?«

»Nicht mehr. Bekam ein besseres Angebot und arbeitet für Cole. Wusstest du das nicht?«

»Nein. Seit wann?«

»Seit sie Marriot weggesperrt haben. Paget hat übergewechselt. Joe, tauch unter. Wenn Paget hinter dir her ist, steckst du in großen Schwierigkeiten.«

Kapitel 6

Bowker war einer vom alten Schlag, der in den Siebzigern in London gearbeitet hatte. Damals, als die Gesetzeshüter so korrupt wie die Banditen waren und man nur mit einer Schrotflinte aus dem Auto fallen musste, um sich fünfzigtausend Steine zu verdienen. Er brummte ein paar Jahre in Wandsworth ab, und als sie ihn schließlich rauswarfen, musste er feststellen, dass seine Zeit vorbei war, dass sich sein Beruf geändert hatte und dass sich niemand mehr auch nur einen Scheiß dafür interessierte, was er vor zwanzig Jahren mal getan hatte. Ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr gesehen, aber ich erinnerte mich an ihn.

Ich fand Bowker im The Connaught Arms Club, einem Snooker-Laden an der Holloway Road. Früher war ich hier ständig gewesen. Das letzte Mal vor sechs Jahren, als ich in der Nähe arbeitete.

Der Laden war nur für Mitglieder, und ich hatte Probleme reinzukommen, bis ich dem Typen am Einlass einen Fünfziger zuschob. Dann gab er Ruhe. Dass ich ihm Geld gab, bedeutete, dass ich kein Bulle war. Das war alles, was ihn interessierte. Das – und die fünfzig Tacken.

Eine Treppe höher befand sich ein großer Raum, dämmrig und staubig, mit einer langen Bar, ein paar Tischen mit verschiedenen Stühlen und Sesseln und vielleicht zwölf heruntergekommenen Snookertischen, die die Mitte des Raums ausfüllten. Es war spät, aber dieser Laden machte nie dicht, soweit ich mich erinnerte. Bis in die frühen Morgenstunden wurde hier Alkohol ausgeschenkt, und weil der Kerl unten am Einlass rechtzeitig Bescheid geben konnte, wenn die Polizei aufkreuzte, ließ man die Kunden rauchen, wenn sie wollten. Und rauchen war nicht das Einzige, was hier abging. Eine paar junge schwarze Männer an einem der Tische rauchten Joints, unterhielten sich und texteten auf ihren Handys herum. Wahrscheinlich Yardies, jamaikanische Gangs. Aber harmlos. Tagsüber konnte man Wetten abschließen. Hinter der Bar gab es ein paar Fernseher und die Kunden konnten sich hinsetzen, was trinken und ihr Geld auf Pferderennen in Goodwood oder im Haydock Park verwetten. Und es ging immer nur ums Spiel, nicht ums Gewinnen oder die Chance auf einen Gewinn, sondern ums Spielen an sich, das sie nicht mehr losließ und sie sich lebendig fühlen ließ.

Bowker war ein Spieler, deshalb hatte ich ihn überhaupt erst kennengelernt. Seine Zockerei hatte ihn in den Knast gebracht. Er war einmal zu oft abgebrannt. Bowker war einer von diesen Kerlen, die immer wenig gewannen und viel verloren. Deswegen hatte King ihn vorgeschlagen, dachte ich mir. Er würde alles ausplaudern, solange jemand mit genügend Asche vor seiner Nase herumwedelte. Jeder wusste, dass er eine Plaudertasche war, aber irgendwie schien es niemanden zu kümmern, obwohl sich alle redliche Mühe gaben, in seiner Gegenwart nichts Geschäftliches zu bequatschen.

Ich sah ihn am hinteren Ende über einen der Tische gelehnt, Queue in der einen Hand, Kippe in der anderen. Ich lief zu ihm hinüber. Er war ein kleiner Mann, sein dreiteiliger Anzug war ihm ein paar Nummern zu groß. Er schien geschrumpft zu sein, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Irgendetwas brachte ihn um, die Kippen, der Alk, das ewige Verlieren. Er versuchte immer noch an seiner Elvis-Tolle festzuhalten, aber sein Haar war zu dünn und der schwarze Glanz war viel zu dunkel, um echt zu sein, und ließ sein Gesicht nur noch älter und bleicher aussehen.

Bowker visierte mit der blauen Kugel eine der Ecktaschen an. Er steckte sich den Zigarettenstummel zwischen die Lippen, beugte sich nach vorn, zog den Queue zurück und gab der weißen Kugel einen Stoß. Die blaue Kugel verfehlte das Loch um mindestens fünfzehn Zentimeter und schoss in die roten Kugeln, die in alle Richtungen davonrollten. Er zog an dem Stummel, hustete erbärmlich und lief um den Tisch für den nächsten Stoß. Es schien ihn nicht zu stören, dass er daneben geschossen hatte.

Er nahm mich so lange nicht wahr, bis ich an dem Tisch ankam. Als er mich schließlich bemerkte, reagierte er nicht auf mich, was mir seltsam vorkam. Ich hätte es mir aber denken können.

»Joe«, sagte er. »Ist 'ne ganze Weile her.«

»Ja.«

»Ein Spielchen?«

»Nein.«

Er beugte sich weit nach vorn und ließ die weiße Kugel in eine Gruppe roter Kugeln rasen. Eine davon verschwand in der Mitteltasche.

»Du solltest nicht hier sein«, sagte er, wanderte um den Tisch herum und zielte mit dem Queue auf die weit entfernt liegende schwarze Kugel. »Man sucht nach dir.«

»Mach dir darüber keine Sorgen.«

Ich beobachtete den Queue. Er zitterte. Ich erinnerte mich daran, wie ich mit ihm Poker spielte. Er hätte gut sein können, wenn das Zittern nicht gewesen wäre. Bowker verfehlte die Schwarze und richtete sich auf. Er zog an seiner Zigarette und blies mit einem Seufzen den Rauch aus. Dann nahm er einen Schluck Guinness aus einem Glas, das auf dem kleinen Tisch stand. Schweiß stand ihm auf der Oberlippe. Er tat so, als wäre er unbeeindruckt, doch ich wusste, dass er verdammten Schiss hatte.

»Wirklich, ich meine es ernst, jeden Moment könnte jemand hier sein.«

»Mich kennt hier keiner mehr. Niemand außer dir.«

»Bist du sicher?«

»Ich nehme es an.«

Zum ersten Mal nahm er mich komplett in Augenschein. Seine Haut hatte eine gelbliche Farbe, die mir zuerst bei dem Dämmerlicht nicht aufgefallen war. Seine Augen waren wässrig, die Haut darum hing herab, sodass man die Blutgefäße darunter sehen konnte. Seine Haut war wie sein Anzug – zwei Nummern zu groß. Er sagte: »Um mich brauchst du dir keine Gedanken zu machen. Ich bin zu alt, um mir Feinde zu machen. Was kann ich schon tun? Weißt du, ich komme kaum noch zuhause raus. Meine Frau, ihre Beine sind so geschwollen, dass sie nicht mehr das Haus verlassen kann. Gehe nicht mal zu den Buchmachern. Kann es mir nicht mehr leisten.«

Er lehnte sich erneut über den Tisch, bereit, wieder danebenzuschießen. »Das hier ist der einzige Ort, an den ich ab und an noch verschwinde«, sagte er. »Ist billig hier.«

Als er mit seiner rührseligen Geschichte fertig war, zog ich ein paar Hunderter aus meiner Tasche und legte die Scheine auf den grünen Vlies, direkt vor seine Nase. Er sammelte das Geld ein, ohne sich aufzurichten.

»Ray Martin«, sagte ich.

»Martin? Weswegen?«

»Ich muss mit ihm reden.«

Er stieß mit dem Queue nach vorn und die weiße Kugel tanzte auf dem Tisch herum. Ich hatte keine Ahnung, welche Kugel er hatte treffen wollen. Er wohl auch nicht. Er erhob sich und ließ den Queue auf den Tisch gleiten.

»Meinst du reden oder ausquetschen?«

»Reden.«

»Weil … er ist ein alter Freund und ich will ihn nicht ans Messer liefern.«

»Du hast keine alten Freunde.«

»Trotzdem.«

»Hab nicht vor, meinen Ärger an ihm auszulassen.«

Er nickte, sah für einen Moment auf seine Füße hinunter und tat so, als würde er abwägen, etwas zu sagen der nicht. So als würde er in einem moralischen Dilemma stecken. Ich ließ ihn so tun als ob. Wir beide wussten, dass er es mir verraten würde.

»Okay. Wenn du sagst, dass er keine Schwierigkeiten bekommt. Nehm‘ dich beim Wort. Ich kenn‘ ihn. Also … kannte. Hab ihn seit Jahren nicht mehr gesehen. Fünfzehn, mindestens. Er saß 'ne Weile ein und blieb von da an sauber.«

»Erzähl mir von ihm.«

»War ein tougher alter Fuchs. Damals. Wie gesagt, heutzutage ist er sauber.«

»Was hat er gemacht?«

»Banken, gepanzerte Fahrzeuge.«

»Kennst du Dave Kendall?«

»Kendall? Klar, sicher.«

»Irgendeine Verbindung zwischen den beiden?«

»Was, Kendall und Martin?« Er dachte eine Weile darüber nach und nahm einen weiteren Schluck Guinness. Das Bier hinterließ eine Schaumspur auf seiner Oberlippe. »Da fällt mir keine ein«, sagte er und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.

»Wo wohnt er?«

»Kann ich rausfinden.«

»Tue das.«

Er nahm das Queue auf und sah daran entlang. Ich griff in meine Tasche nach ein paar weiteren Banknoten, holte einen Hunderter hervor, fütterte ihn damit an.

»Dauert vielleicht 'ne Weile.«

Er schlurfte zur Bar. Ich sah zu, wie er sich auf einen Stuhl neben einem Wandtelefon setzte. Einer der schwarzen Männer saß auf dem Stuhl neben ihm und sah sich die Wiederholung eines Fußballspiels an. Ich beobachtete Bowker für zehn Minuten oder länger. Der Rauch in dem Klub begann in den Augen zu brennen. Es war schmierig und heiß und ließ meine Hände klebrig werden. Ich war müde. Mein Genick tat weh, mein Rücken schmerzte.

Ich ging in das, was der Klub als Toilette ausgab und spritzte mir Wasser ins Gesicht. Ich nahm die Seife, wusch mir die Hände und trocknete sie an einem Rollhandtuch ab, das längst nicht mehr rollte und meine Hände wahrscheinlich schmutziger machte als zuvor. Einer der schwarzen Kerle kam herein, um das Scheißhaus zu benutzen. Seine Klamotten rochen nach dem eklig-süßen Ganja, das er rauchte. Er warf mir einen misstrauischen Blick zu. Ich lief an ihm vorbei.

»Kennst du ihn?«, fragte er.

Ich blieb stehen und drehte mich um.

»Wen?«

»Den alten Sack am Telefon. Bowker.«

»Was ist mit ihm?«

»Der is' nich' sauber, weißt du. Hab gesehen, dass du dich mit dem unterhalten hast. Ich sag's dir lieber gleich, falls du von hier verschwinden willst.«

»Erzähl weiter.«

»Ich weiß nur, das der Kerl gern singt, und es klang so, als würde er dich an jemand verpfeifen. Hat jemanden gesteckt, dass jemand anderes hier ist. Vielleicht bist du einer von denen, und die anderen sind die Bullen. Ich sag's nur.«

Als ich zurück in die Snookerhalle kam, war Bowker verschwunden. Hatte nicht gedacht, dass er den Mumm dazu haben würde. Seitdem er am Telefon hing, waren zehn Minuten vergangen. Ich lief zum Ausgang, nahm zwei Stufen auf einmal. Als mir draußen die kalte Luft entgegenschlug, suchte ich die Straße ab, konnte ihn aber nicht entdecken. Ich war noch gute zwölf Yards von meinem Wagen entfernt, als ich das Geräusch eines Autos hörte, das einen Gang höher schaltete und auf mich zusteuerte.

Ich sah auf. Der schwarze Mercedes schoss quietschend um die Highbury Corner und schleuderte herum, bis er wieder geradeaus fuhr. Ich hatte keine Waffen bei mir.

Mein Auto stand mit der Vorderseite zu dem ankommenden Wagen. Ich sprang hinein und ließ den Motor an. Der Mercedes war jetzt auf gleicher Höhe mit mir und drehte sich auf der Straße, als er bremste. Ich sah Paget auf dem Beifahrersitz. Er schaute auf die Straße. Hatte mich nicht gesehen. Die beiden hinteren Türen öffneten sich. Ich wartete, bis die beiden Männer halb ausgestiegen waren, dann drehte ich das Lenkrad hart nach links und trat aufs Gas. Die Straße war rutschig und mein Wagen machte eine 180-Grad-Drehung, die Reifen quietschten und rauchten durch das verbrennende Gummi. Jetzt hatten sie mich bemerkt. Paget wirbelte herum, um zu sehen, was der Tumult zu bedeuten hatte. Als er mich erblickte, wurden seine Augen zu Schlitzen, wie Kerben von einem Daumennagel. Er rief den Männern hinten im Wagen etwas zu, aber ich hatte den Moment richtig abgepasst und sie saßen fest. Ich trat auf die Bremse, richtete mich auf und trat wieder aufs Gas. Der Mann auf der anderen Seite sprang wieder zurück in den Wagen, und derjenige auf meiner Seite wollte ebenfalls zurück ins Auto, änderte seine Meinung aber und hechtete in die Mitte der Straße. Ich verfehlte ihn um ein paar Zentimeter und trieb meinen Wagen in die Seite des Mercedes, verbeulte die Tür und schob ihn gut drei Meter die Straße hinunter. Ich fuhr ein wenig zurück und konnte sehen, wie der Fahrer verzweifelt versuchte, den Wagen anzulassen. Ich holte die Makarov aus dem Handschuhfach, stieg aus, lief auf den Mercedes zu und pumpte ein paar Kugeln in den Vorderreifen. Der platzte mit einem Poff und das Auto sank schräg ein. Paget stieg aus seinem Wagen aus – ich in meinen ein. Er hielt eine Waffe in der Hand. Ich glaubte nicht, dass er sie benutzen würde. Cole brauchte mich lebendig – und singend.

Die Windschutzscheibe zersplitterte, als die Kugeln einschlugen. Ich duckte mich, legte den Rückwärtsgang ein und kurbelte am Lenkrad. Der Wagen schwang herum. Ich hörte, wie weitere Schüsse einschlugen. Ich machte mich aus dem Staub und ließ sie mit dem durcheinander zurück.

Für eine Weile fuhr ich durch die Gegend, sah mich um. Ich hatte so eine Ahnung, wo Bowker hingehen würde. Dann sah ich ihn in der Ferne davon trippeln, die Schultern eingezogen, Hände in den Hosentaschen. Rauch stieg von der Kippe in seinem Mund auf. Ich fuhr neben ihm heran. Er sah mich an, warf einen Blick auf die verbeulte Front meines Wagens. Er versuchte nicht, davonzulaufen. Ich stieg aus. Er nahm die Zigarette aus dem Mund.

»Ich hatte keine andere Wahl«, sagte er. »Du weißt das. Paget hätte mir das Gesicht abgerissen, wenn er erfahren hätte, dass ich dich gesehen habe und es ihm nicht erzählt hätte.«

Wahrscheinlich hatte er recht. Aber es kümmerte mich nicht. Er zog sich zu der Vorderseite eines Kebabladens zurück. Ein paar Teenager saßen drinnen an einem Tisch und sahen uns über ihr Essen hinweg mit ausdruckslosen Gesichtern an. Bowker griff in seine Jacketttasche und holte ein Stück Papier hervor.

»Ray Martin«, sagte er.

Auf dem Zettel stand eine Adresse.

»Lass mich gehen.«

»Damit du mich wieder verpfeifen kannst? Hast du Paget gesagt, was ich will?«

»Nein. Kein Scheiß. Ich wusste, dass er nach dir suchte. Sagte, ich soll die Augen nach dir offen halten. Konnte ja nicht ahnen, dass du zu mir kommen würdest. Gott, ich hab Schiss bekommen. Was hätte ich denn tun sollen? Wenn ich dich verpfeife, bringst du mich um. Wenn ich es nicht tue, bring mich Paget um.«

»Was weißt du über den Casino-Job?«

»Nur, dass du Cole ausgenommen hast. Du und Beckett, sagt man. Beckett ist verschwunden. Das ist alles.«

Ich schob ihn zum Wagen. Er drehte sich um.

»Tu's nicht. Bitte. Der alten Zeiten wegen, Joe. Weißt du noch?«

»Nein.«

»Deine Puppe.« Er hob das Kinn. »Dort. The Sportsman

Ich drehte mich um. Auf der anderen Straßenseite stand ein großes und breites edwardianisches Haus, die Ziegel orangebraun, aus den Giebelfenstern fiel gelbes Licht auf die Straße. Der Name hatte sich geändert. Jetzt nannte es sich einen Klub.

»Hab sie immer gemocht«, sagte Bowker. »Und sie mochte mich.«

Von außen wirkte das Haus solide, respektabel. Vielleicht war es das jetzt. Ich hatte nicht mitbekommen, wie nahe wir dem Ort schon waren, obwohl ich mir dachte, dass Bowker wahrscheinlich hierherkommen würde. Er war wie eine Ratte, die nach Hause hetzte, wenn sie sich bedroht fühlte. The Sportsman war sein Zuhause, früher zumindest. Bowker sagte etwas, aber ich hörte nicht hin.

Das war das erste Mal, dass ich an den Ort zurückkehrte. Ich wusste nicht, ob es an dem Ort selbst lag oder ob ich nur einfach keinen Grund gehabt hatte, wieder herzukommen. Die Tür flog auf und ein junges Pärchen kam aus dem Klub. Sobald sie in die Kälte traten, sah man ihren Atem als Dampfwölkchen aufsteigen. Sie schlenderten die Stufen hinab. Er sagte etwas zu ihr, und sie lachte, wickelte ihren Arm um seinen und kuschelte sich an ihn, um sich zu wärmen. Sie wanderten die Straße hinunter, eng aneinandergeschmiegt. Ich sah ihnen nach.

Als ich mich wieder umsah, war Bowker verschwunden. Ich wusste nicht, dass er Brenda gekannt hatte. Ich spürte, wie alles wieder zurückkam, das ganze Chaos. Erst Paget, dann Bowker. Und jetzt das hier.

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Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 марта 2022
Объем:
290 стр.
ISBN:
9783958352452
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Издатель:
Правообладатель:
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