Читать книгу: «TO DIE FOR – GNADENLOSE JAGD», страница 2

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Ich wartete den ganzen Montag. Niemand rief an.

Am Dienstag ging ich in mein Fitnessstudio im Viertel, einem altmodischen Boxklub namens Murrays, der nach Schweiß, Menthol und Wundbenzin roch. Man kannte sich vom Sehen hier, aber ich sprach kaum mit jemandem. Manchmal unterhielt ich mich mit einem der alten Hasen über das Boxen, aber das war's dann auch schon. Ich blieb für mich, bearbeitete den schweren Sandsack, versuchte die Blicke der anderen zu ignorieren – und die Stimmung, die in den Keller ging. Es gab weniger Geplänkel, wenn ich da war, weniger Witze, so, als ob sich die Luft veränderte, dichter wurde, schwerer.

Auf meinem Weg zurück machte ich einen Zwischenstopp bei Akram, um nachzusehen, ob es eine Nachricht für mich gab. Der Laden war lang und schmal, mit ausgeblichenen gelben und weißen Vinylfliesen und einer dicken Staubschicht in den unbenutzten Ecken. An einer Wand standen Regale mit Magazinen, die vom Boden bis an die Decke reichten, und auf dem Boden stapelten sich gebündelt die Tageszeitungen. An der gegenüberliegenden Wand standen Regale mit Lebensmitteln. Süßigkeiten, Kartoffelchips, Getränke, solche Sachen.

Akram trug stets das gleiche beigefarben gestreifte Hemd und eine braune Hose, und er schien nicht zu bemerken, dass ihm beides zu klein war. Immer stand er hinter seiner Kasse, immer schwitzte er unter seinem dichten schwarzen Bart, immer in Sorge, immer rechtfertigend, und immer umringt von Frauen. Zumindest machte es den Anschein. Der Laden war immer geöffnet und immer war Akram da oder seine Schwestern oder seine Mutter. Seine Frau verbrachte ihr Leben im Hinterzimmer, hinter dem Perlenvorhang, wo sie scharfe Gerichte kochte und einer asiatischen Radiostation aus London lauschte. Sie kam niemals heraus, so weit ich das beurteilen konnte, aber sie schrie immer mit schriller Stimme nach Akram, wenn sie eine neue Aufgabe für ihn hatte.

Als ich hineinging, wetterte eine alte asiatische Frau in einem violettfarbenen Sari Akram an. Sie plapperte drauflos, und er, mit erhobenen Händen, schüttelte den Kopf und versuchte, etwas zu entgegnen. Akrams Frau rief dazwischen, er seufzte. Die alte Frau sah mich und wich zurück. Akram sagte etwas und deutete auf mich. Die alte Frau murmelte undeutlich eine Antwort und schlurfte davon, die Augen auf den Boden geheftet. Akram lächelte und nahm seine Arme herunter.

»Meine Großmutter«, sagte er. »Sie glaubt, dass jeder hier sie entweder ausrauben oder vergewaltigen will. Sie will wieder zurück nach Pakistan.«

»Dann sollte sie wieder zurück«, war die Stimme von Akrams Frau zu hören.

Es gab keine Nachrichten für mich. Ich überließ sie ihrem Streit.

Am Mittwoch ging ich in die örtliche Bibliothek. Die junge Angestellte am Empfang war eifrig mit Katalogisieren beschäftigt oder was man da eben so machte. Ich hatte einmal Hallo zu ihr gesagt und seitdem wich sie meinen Blicken aus, tat beschäftigt, so wie jetzt, bei einer Arbeit, für die sie angestrengt nach unten oder nach oben schauen musste. Ich lief an ihr vorüber. Vielleicht hatte mein Hallo zu aggressiv geklungen.

Meistens las ich etwas über Geschichte. Mich interessierte, wie die großen Persönlichkeiten zu Ruhm gekommen waren, wie die großen Verbrechen verübt wurden. Man lernte, wozu Menschen fähig waren, wie ihre Sicht auf die Dinge war, wie sie ihr Eigeninteresse verschleierten, wie sie andere hereinlegten und schikanierten, um sie zur Gefolgschaft zu zwingen. Man lernte, was die Gegenseite dachte, wo die Gewinner es richtig machten und die Verlierer versagten. Besonders die Kriege interessierten mich. Ganz wie beim Boxen waren sie das Ende aller Dinge, die menschliche Natur in ihrer ursprünglichsten Form.

Den restlichen Mittwoch verbrachte ich damit, über Berühmtheiten der Geschichte zu lesen, die es vermasselt hatten. In der ganzen Zeit meldete sich niemand bei mir, und das war merkwürdig. Für gewöhnlich würde Kendall zumindest anrufen und mir sagen, wann mit dem Geld zu rechnen war, oder mir den Grund nennen, warum es sich verzögerte. Ich hatte kein Problem damit, zu warten, aber wenn man drei Tage nach einem Job noch immer nichts hörte, stimmte etwas nicht.

Und da war noch etwas. Ich wartete darauf, etwas über einen anderen Job zu erfahren, der in einer Woche oder so steigen sollte. Ich brauchte das Geld jetzt nicht so dringend, aber ich hatte bereits zugesagt. Ich besaß den Ruf, zuverlässig zu sein, und ich wollte, dass es dabei blieb. Das war das Wertvollste, was ich hatte. Der Job war ein Juwelier drüben in Brent Cross. Die Truppe war von hier, aus Tottenham. Nathan King und seine Crew. Ich kannte King. Wir arbeiteten ein paar Mal zusammen. Er war ein brauchbarer Gauner. Er hatte mich in Murrays Studio aufgegabelt und gefragt, ob ich den Job machen will.

»Schnell rein und wieder raus«, hatte er gesagt. »Aber wir müssen das Ding am Nachmittag durchziehen. Der Laden ist groß. Wir könnten ein paar Jungs brauchen, um die Leute in Schach zu halten.«

Das war vor ein paar Wochen gewesen und mittlerweile sollte King die Sache mit Kendall geklärt haben, der darauf wartete, dass der Casino-Coup über die Bühne gegangen war, bevor er grünes Licht gab.

Am Donnerstag entschied ich, Kendall anzurufen. Ich lief die Stufen von meiner Dachgeschosswohnung hinunter und ging zu Akram. Er gab einer alten Frau ihr Wechselgeld, die sich darüber beschwerte, dass sie kein Gratis-Rubbellos bekam. Nachdem sie davon geschlurft war, kaufte ich eine Telefonkarte und ging nach draußen, um die Telefonzelle an der Ecke zu benutzen. Ich wählte Kendalls Nummer. Der Anrufbeantworter ging ran. Ich lief hinüber zu einem speckigen Imbiss namens Sams und versuchte es nach einer Stunde erneut bei Kendall. Wieder keine Antwort. Dieses Mal hinterließ ich eine Nachricht und sagte, er könne mich im Sam's erreichen.

Ich saß in dem Imbiss. Der Tag mündete in eine trübe Dämmerung. Ich rührte in meinem Tee und sah nach draußen, durch die Pockennarben aus Staub und Schmutz auf der Fensterscheibe. Beobachtete, wie die Leute sich vorbeiquälten, wie die Welt sich vorbeiquälte. Ich hatte keine Kopfschmerzen, meine Gedanken waren klar. Eine Frage nagte an meinem Verstand: Warum ich?

Ich hatte den Job angenommen, weil es nur ein Job war, und ich war nur irgendein Mistkerl, der nichts mit den Vorbereitungen zu tun hatte, der einfach nur die Drecksarbeit erledigte und einen kleinen Anteil bekam. Alles, was ich zu tun hatte, war Warren Angst einzujagen, ihn ein paar Mal herumzuschubsen und mich dann für eine Weile zu der Frau zu setzen. Beckett hatte seine gewohnte Crew um sich, und der Job selbst, soweit ich das beurteilen konnte, schien leicht genug. Simpson hätte sich um Warren kümmern können. Wieso brauchten Sie mich dafür? Und warum brauchten sie überhaupt jemanden, der sich neben die Frau setzte? Sie war gefesselt gewesen, und Warren war sich sicher, dass sie in Gefahr war. Sie hätten sie sich selbst überlassen können. Das Haus stand frei, niemand hätte sie gehört. Noch besser wäre gewesen, sie an einen verlassenen Ort zu bringen und sie dort zurückzulassen.

Es war dunkel geworden. Nieselregen schwebte durch die kalte Luft. Der Verkehr, der Himmel und die Gebäude wirkten träge, die wenigen Leute, die durch die Straßen stapften, hielten die Köpfe gesenkt, ihre Mäntel eng um sich geschlungen.

Ich lief an ein paar Wohnblocks vorbei bis zu dem mehrgeschossigen Parkhaus, wo ich meinen Vauxhall Carlton mit einer Langzeit-Parkerlaubnis untergestellt hatte. Ich schaute, ob noch genügend Benzin im Tank war und klapperte ein paar Orte im Norden von London ab.

Der dritte Ort, an dem ich mein Glück versuchte, war ein Pub, der Earl of Roxburghe in Enfield. Jedermann nannte es das Roxie. Als ich hereinkam, saß Kendall allein mit einem Glas Wodka-Tonic in einer Nische. Er nippte an seinem Drink, rührte die Eiswürfel mit seinem Finger um, nippte wieder und stellte das Glas vorsichtig auf den Tisch. Als er aufblickte und mich da stehen sah, grinste er breit. Er zog eine Zigarre aus dem Päckchen auf dem Tisch, zündete sie an und inhalierte tief. Er blies den Rauch aus und sagte: »Ich wollte dich anrufen. War beschäftigt. Bei dir alles in Ordnung?«

Ich nickte.

»Gut. Gut.«

Er zog wieder an seiner Zigarre, dann bemerkte er das Bitte-Nicht-Rauchen-Schild an dem Fenster neben ihm.

»Scheiße.« Er ließ die Zigarre auf den Boden fallen und trat sie aus. »Ich hasse diesen elenden Nichtraucher-Schwachsinn. Setz dich.«

Kendall trug einen teuren Anzug, aber an ihm sah er billig aus. Ich setzte mich ihm gegenüber und wartete. Er sah das Glas Wodka-Tonic vor sich an und stieß mit dem Finger dagegen, als hätte er vergessen, wofür der Drink da war.

»Hab gehört, dass du nach mir suchst«, sagte er. »Was ist los?«

Ich wartete. Er zündete sich noch eine Zigarre an, erinnerte sich an das Schild, fluchte und warf die Packung weg.

Ich wusste, dass ich es auf die subtile Art versuchen sollte. Darauf reagierten die Menschen besser, wie ich gelernt hatte. Das Problem war nur, dass ich nie verstanden hatte, was das genau bedeutete. Subtil zu sein erschien mir als reine Zeitverschwendung. Es bedeutete nichts anderes, als viel zu lang um den heißen Brei herumzureden. Ich überlegte, wie ich es subtil anstellen könnte, dann gab ich es auf und fragte: »Wo ist mein Geld?«

Kendall nahm einen Schluck von seinem Drink, und während er schluckte, schüttelte er den Kopf. Nach dieser Vorstellung sagte er: »Was ist los mit dir? Hast du nicht immer dein Geld gekriegt?«

»Ja.«

»Natürlich hast du das. Wo also ist das verdammte Problem? Es gibt eine kleine Verzögerung. Nichts, worüber man sich Sorgen machen muss.«

Er nahm den Umweg, um mir zu sagen, dass er das Geld nicht hatte. Vielleicht war er gerade subtil.

»Wo ist es?«

»Ich weiß es nicht. Beckett ist verschwunden. Ich kann den Wichser nicht finden.«

»Was ist mit den anderen? Walsh, Jenson?«

»Ich hab versucht, sie zu erreichen. Sieh mal, ich kenne Beckett. Der ist in Ordnung. Wenn er sich Zeit lässt, dann wird das einen Grund haben. Vielleicht hat er Probleme, das Geld sauber zu bekommen oder so was.« Er klopfte mit einem fleckigen Zeigefinger auf die Tischplatte, so als wollte er überprüfen, ob sie aus Holz war. »Hör zu«, sagte er. »Ich bezahle dich aus eigener Tasche. Ich meine, schließlich habe ich den Job an Land gezogen, richtig? Ich hole es mir später von Beckett zurück. Okay?«

In dem Moment wusste ich, dass etwas faul war. Sicher, es war Kendalls Art, einen hinzuhalten, wenn sich etwas verzögerte, aber sein eigenes Geld rausrücken? Vergiss es.

»Ich bringe es dir nachher vorbei«, sagte er. »Wohnst du immer noch bei diesem Pakistani? Tottenham High Road, richtig?«

»Bin umgezogen.«

»Wirklich?« Er hörte auf, auf die Tischplatte zu klopfen. »Wohin?«

»Nach oben. Nummer fünfzehn.«

»Dann bringe ich es nachher vorbei. Hey, du hattest noch gar nichts zu trinken.«

Er stand auf.

»Ich hab keinen Durst.«

Er zögerte, schien sich nicht wieder hinsetzen zu wollen.

»Ich muss mal eben pissen«, sagte er. »Warte kurz, okay?«

Er schwankte ins hintere Ende des Pubs. Hatte wohl ein paar Drinks mehr, als ich angenommen hatte. Während ich wartete, dachte ich nach.

Es war schon möglich, dass Kendall besorgt war, dass Beckett geschnappt worden oder in Schwierigkeiten geraten war und ihn vielleicht verpfiff. Möglich, aber unwahrscheinlich. Kendall war nicht wichtig genug, um sich Sorgen zu machen, und mit Sicherheit war es ihm scheißegal, wenn man mich schnappen würde. Glaubte er, dass sich Beckett mit der Kohle aus dem Staub gemacht hatte? Wieder – möglich aber unwahrscheinlich. Dann hätte er meinen Anteil in den Sand gesetzt, aber das war nicht so viel Geld, als dass es ihn groß gekümmert hätte.

Ich drehte mich um, musterte den Pub. Es war beinahe acht, viel zu früh für die Stammgäste. Ein paar Männer waren da, keine Frauen. Die meisten saßen in Zweier- oder Dreiergruppen zusammen, aber ein Mann saß allein am Ende der Bar, so weit wie möglich von mir entfernt. Mir fiel auf, dass Kendall die Nische am hintersten Ende gewählt hatte und mit dem Rücken zur Wand saß, sodass er den ganzen Pub im Blick hatte. Außerdem saß er am äußeren Rand der Bank, im Gang, um zu verhindern, dass ich mich neben ihn setzte. Der Mann an der Bar war riesig, mit wuchtigem Oberkörper und trainierten Armen. Vor ihm stand ein großes schmales Glas mit einer klaren Flüssigkeit darin. Vielleicht Wasser. Was immer es war, er trank nichts davon. Er hatte die Ellbogen auf den Tresen gelegt, und mit einer Hand hielt er das Glas, das er ab und an ein wenig ankippte, damit er darauf hinabsehen konnte.

Kendall kam zurück in die Nische. Er schwitze jetzt noch mehr.

Versuchsweise subtil sagte ich: »Hab noch nichts von Nathan King gehört.«

Er antwortete nicht darauf.

Ich fragte: »Hast du was für mich zu tun?«

»Nein, Joe. Nichts. Im Moment passiert nicht so viel.«

Er sah wieder auf den Tisch.

Ich stand auf und konnte förmlich spüren, wie die Anspannung von ihm abfiel.

»Und du willst wirklich nichts trinken?«, fragte er.

»Nein.«

Kendall hatte Angst. Mehr noch, er hatte Angst vor mir. Jemand hatte ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich nach ihm suchte, oder er hatte seinen Anrufbeantworter abgehört. Dann hatte er sich einen schönen, sicheren Platz in der Öffentlichkeit zum Warten gesucht, mit einem freundlichen Leibwächter, der auf ihn aufpasste.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Kendall. »Wegen dem Geld.«

Ich verließ den Pub, stieg in meinen Wagen und fuhr ein paar hundert Meter die Straße rauf. Dann wartete ich und beobachtete den Eingang des Pubs durch den Rückspiegel. Kendall und der andere Typ kamen ein paar Minuten später heraus. Sie blieben im Licht der Fenster stehen und wechselten ein paar Worte, dann trennten sie sich. Kendall ging zu seinem Auto und fuhr davon. Ich folgte ihm. Nach einer Minute wusste ich, dass er nach Hause fuhr. Ich lehnte mich zurück und ließ ihn davonfahren.

Kapitel 3

Er wohnte in einem einzelnen Pseudo-Tudor-Haus in Palmers Green. Es war nichtssagend genug, um nach Geschäftsmann auszusehen, aber auch groß genug, damit man sah, dass er Geld hatte. Er lud mich nie ein, hatte mir tatsächlich auch nie verraten, wo er wohnte. Ich entschied eines Tages, es selber rauszufinden. Für alle Fälle.

Als er die Tür öffnete, sagte er: »Urgh.«

Ich stürmte hinein und schob ihn zurück, trat die Tür hinter mir zu und bugsierte ihn durchs Haus.

Er versuchte, seine Arme freizubekommen. »Was zur Hölle tust du da?«

Das Wohnzimmer war riesig, vollgestellt mit alt aussehenden Möbeln, Kunstdrucken mit Jagdszenen, diesen Staffordshire-Hundefiguren und solchen Sachen. Es gab einen weißen Flokati, zwei dick gepolsterte Ledersofas und eine Esszimmergarnitur. Kendalls Frau hielt ihn wahrscheinlich für einen Börsenmakler oder so etwas. Ich ließ seinen Arm los.

»Was soll das Ganze?«, fragte er und rieb sich seinen Oberarm. »Ich sagte doch, ich besorge dir dein Geld.«

»Setz dich.«

Er setzte sich an den kleinen Esstisch.

»Ich sitze. Zufrieden?«

Ich packte ihn und schubste ihn durch den Raum. Er fiel auf ein niedriges Sofa. So langsam wirkte er besorgt.

»Hör mal …«

»Wo ist deine Frau?«

»Aus. Beim Bingo. Also, ich weiß nicht, was das …«

»Wer war der Kerl?«

»Welcher Kerl?«

»Der Typ im Roxburghe.«

Sein Körper sackte in das Sofa.

»Einer meiner Jungs. Heißt Robson.«

»Wozu ein Leibwächter?«

Er rutschte auf dem Sofa herum, suchte nach einer angenehmeren Position und, wie ich glaubte, versuchte Zeit zu gewinnen. Er stützte die Ellbogen auf den Knien ab und beugte sich nach vorn. Ich lief hinüber zu dem Barschränkchen und nahm die Flasche mit Wodka, schenkte ein Glas ein und hielt es ihm hin. Er trank es schnell aus und streckte es mir für einen zweiten entgegen. Ich goss ihm noch einen ein.

»Hör zu, bleib einfach locker, okay?«

Ich warte und sah ihm dabei zu, wie seine Augen zwischen mir und der Eingangstür hin und her zuckten.

»Das ist nichts Persönliches, Joe«, sagte er schließlich und leckte sich über die Lippen. »Wir haben schon eine Menge Jobs zusammen erledigt, oder?«

»Wozu ein Leibwächter?«, fragte ich noch einmal.

»Hast du es nicht gehört?«

»Was?«

»Der Typ«, sagte er. »Der bei eurem Job dabei war.«

»Da waren fünf von uns dabei.«

»Der neue, dieser Schrank.«

»Simpson?«

»Ja, Simpson.«

Er wusste verdammt gut, wer bei dem Job dabei war. Jetzt spielte er den Vergesslichen. Das machte mich stutzig.

»Was ist mit ihm?«, fragte ich.

»Er ist tot.«

»Wie? Wann?«

»Vor drei Tagen. Der Tag nach dem Job.«

»Wo?«

»Bei sich Zuhause. Haben ihn totgeschlagen.«

Der Job entpuppte sich als totales Desaster, wie man es auch drehte und wendete.

»Wer war das?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Was weiß die Polizei?«

Er kippte sich den letzten Rest Wodka die Kehle hinunter und klopfte seine Taschen nach einem Feuerzeug ab. Ich entdeckte ein paar Streichhölzer auf dem Tisch und warf sie ihm zu.

»Beckett, Walsh, Jenson«, sagte ich, nachdem er sich seine Zigarre angezündet hatte.

»Keine Ahnung, was mit denen ist. Die sind verschwunden.«

Er blies den Rauch aus.

»Wohin?«

»Weiß ich nicht. Hab nicht wieder von ihnen gehört.«

»Das Geld?«

»Nun, wenn du es nicht hast, dann hat's Beckett. Oder auch nicht. Keine Ahnung.«

»Was soll das heißen, wenn ich es nicht habe? Ist es das, was du denkst? Dass ich Beckett abgezogen und Simpson umgelegt habe?«

»Ich denke gar nichts. Herrgott, wir haben lange genug zusammengearbeitet, oder?«

»Trotzdem wolltest du mich nur mit Leibwächter treffen.«

»Hör mal …«

»Vergiss es. Wenn Beckett verschwunden ist, wieso denkt dann keiner, dass er mit dem Geld abgehauen ist? Er könnte Simpson umgebracht haben.«

»Na ja, er ist der Hauptverdächtige. Aber …«

»Aber was?«

»Das ist nicht alles.«

Er zögerte und zog an seiner Zigarre. Asche fiel ihm in den Schoß.

»Weiter.«

»Diese andere Gang. Wie hieß er noch? Dieser schwarze Typ. Ellis.«

»Was ist mit denen?«

»Man hat sie ausgenommen.«

Zuerst verstand ich nicht, was er meinte, aber dann kapierte ich es.

»Das Ding in Brighton? Das war vor vier Wochen. Damit hatte ich nichts zu tun.«

»Du hast mit ihnen an dem Job davor zusammengearbeitet.«

Mir lief es kalt über den Rücken.

»Das war der Job zuvor.«

»Die nehmen nie einen von außen dazu. Aber dann tun sie es ein einziges Mal, und beim nächsten Job werden sie aufs Kreuz gelegt.«

Sie hatten mich das eine Mal dazu geholt, weil Caine total im Arsch war, nachdem seine Frau ihn einfach so sang- und klanglos verlassen hatte. Nach dem Job in Brighton hatten sie einen Haufen Bargeld abgezogen, aber dann wurden sie von einer unbekannten Truppe überfallen. Jemand hatte ihnen von dem Bargeld erzählt. Ich hatte mir gedacht, dass Caine vielleicht geplaudert hatte, vielleicht gegen etwas Heroin, aber nachdem er und zwei andere von einer Kaliber 12 auseinandergerissen wurden, schätzte ich, dass es niemand wirklich erfahren würde. Es gab keinen Grund, das alles Kendall zu erzählen. Ihn musste ich nicht überzeugen. Ich sah ihn an und er zuckte wenig überzeugend mit den Schultern.

»Du glaubst also, dass ich einmal was mit denen am Laufen hatte, etwas über deren nächsten Coup erfahren und dann die Informationen weitergegeben habe?«

»Nein, Joe. Das glaube ich nicht. Natürlich nicht.«

»Aber denken das die anderen? Nathan King zum Beispiel? Hab ich deswegen von ihm nichts wegen des Juwelen-Jobs gehört?«

Kendall hob die Hände. »Wie ich bereits sagte, ich weiß, dass du okay bist. Aber die Leute sind eben vorsichtig. Irgendwas bleibt immer hängen. Und an dir hängt eine Menge, Joe.«

»Warum sollte Beckett mich dabeihaben wollen, wenn mein Ruf angeknackst ist?«

»War er nicht. Zumindest zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber jetzt, wo Simpson tot ist … nun ja, jetzt ist er nicht mehr der Beste.«

Er hatte recht, es sah mies aus. Wenn das Gerücht umging, ich sei korrupt, konnte ich London vergessen. Die einzigen Leute, von denen ich dann noch Arbeit bekäme, wäre die Sorte, mit denen ich nie was zu tun haben wollte. Es war nichts Persönliches. Ich wäre wahrscheinlich genauso nervös, wenn ich jemanden mit meinem Glück kennen würde.

Als ich gehen wollte, kämpfte sich Kendall von dem Sofa hoch. Er packte meine Hand, schüttelte sie. Sein Händedruck war lasch, seine Hand warm und feucht. Er hielt sie ein paar Sekunden zu lang. Als er sie schließlich losließ, tätschelte er mir den Arm und sagte noch einmal, dass er nie an mir gezweifelt hätte. Ich hätte ihn am liebsten durchs Fenster geworfen.

Das war's dann also. Ich war geliefert. Meine Ersparnisse würden nicht allzu lange reichen, ohne eine andere Geldquelle. Mein Ruf war futsch. Ich wurde alt.

Zurück im Wagen dachte ich über alles nach. So wie ich das sah, gab es zwei Probleme.

Da war zuerst die Sache mit Beckett. Wo steckte er? Wo war das Geld? Was war mit Simpson passiert? Ich konnte das Ganze immer noch überleben, wenn ich das herausfand.

Die andere Sache war dringender: Nathan King. Ich sollte den Job mit ihm machen. Wenn er dachte, dass ich käuflich sei, würde ich in Schwierigkeiten stecken.

Ich beschloss, zu Kings Haus zu fahren. Das würde ihm sicher nicht gefallen, aber ich nahm nicht an, dass er mir auf seinem eigenen Grundstück etwas tun würde. Eine alte russische Makarov PM Pistole klebte unter dem Beifahrersitz. Ich würde die Kanone mitnehmen, aber draußen vor dem Haus deponieren. Auf die Art konnte ich ohne größeres Aufsehen reinspazieren, hätte aber eine Rückversicherung, sobald ich das Haus wieder verließ. Wenn ich es wieder verließ.

Die Makarov war klein und schwer, aber der Rückstoß verlieh ihr Treffergenauigkeit, und sie war zuverlässiger als die meisten anderen Pistolen. Ich reinigte die Waffe und prüfte, ob sie noch funktionierte.

Dann fuhr ich zur U-Bahn-Haltestelle Oakwood und ließ den Wagen dort auf dem Parkplatz stehen. Ich lief ein Stück weiter, bis zu einem Doppelhaus in einer ruhigen Straße. Ich lief die Auffahrt hinauf und hielt neben Kings schwarzem BMW an. Dort schob ich die Makarov unter das Hinterrad auf der Beifahrerseite.

Die Frau, die mir die Tür öffnete, war klein, jung und pummelig. Sie hatte blondierte Haare und trug so viel Make-up, dass man einen Nagel hineinschlagen konnte. Sie sah zu mir auf, seufzte, hielt die Tür mit einer Hand auf, stemmte sich die andere in die Hüfte und rief über ihre Schulter: »Nate, ist für dich.«

Dann lief sie davon, ließ die Tür aber offen. Ich trat ein, ließ die Tür angelehnt. Ich hörte den Fernseher laufen und Kinderstimmen. Der Geruch von frittiertem Fleisch und Parfüm hing schwer in der Luft. King kam aus dem Wohnzimmer. Er war ein Schwarzer mit grauen Schläfen und einem harten, zerfurchten Gesicht. In der Hand hielt er ein Dosenbier. Er blieb abrupt stehen, als er mich sah und seine gute Laune war dahin. Stattdessen bekam er einen unerbittlichen Gesichtsausdruck. Ein wenig kniff er die Augen zusammen.

»Joe. Was machst du hier?«

»Wir müssen reden.«

»Worüber?«

»Geschäftliches.«

Er nahm einen Schluck von seinem Bier und nutzte den Moment, um mich zu mustern. Ich stand ruhig da, die Hände an den Seiten. Eine männliche Stimme rief von drinnen nach King.

»Sieh mal, wer da ist«, rief King zurück.

Tony Daley war ein stämmiger Weißer mit einem Faible für Goldklunker. King und er arbeiteten seit zwanzig Jahren zusammen. Sie waren in Wood Green aufgewachsen, mit Blick auf den Ally Pally. Ihnen gehörte ein Gebrauchtwagenladen in Muswell Hill, der ihnen als Tarnung diente. Sie ließen sich nie auf halbgare Dinger ein, gingen nie ein unnötiges Risiko ein, versuchten nie, das ganz große Ding zu drehen. Ich hatte ein paar Mal mit ihnen zusammengearbeitet und wir kamen miteinander aus. King und Daley wussten, wie sie ihren Job zu machen hatten, und sie taten es ohne großes Tamtam. Sie waren clever und vorsichtig. Wenn ich mittlerweile als unzuverlässig galt, würden die beiden es wissen. Außerdem waren sie wohl diejenigen, die am meisten zu verlieren hatten, wenn ich ein Informant wäre.

Daley lächelte, als er mich sah. Es war ein sorgloses Lächeln, und ich glaubte, er sah mich zumindest nicht als Bedrohung an. Ich wurde ein wenig lockerer und spürte, wie sich meine Schultern entspannten.

»Joe. Was führt dich hierher?«

»Was Geschäftliches, sagt er«, antwortete King statt meiner.

Schnell tauschten sie in paar Blicke. Ich kannte sie nicht gut genug, um sagen zu können, was die Blicke bedeuteten. Wenn sie vorschlugen, dass wir das Haus verlassen sollten, würde ich einwilligen, und mir dann die Pistole schnappen.

»Muss was Wichtiges sein«, sagte Daley. »Wenn ich mich recht erinnere, verlässt du Tottenham sonst nie. Außer für 'nen Job.«

»Es ist wichtig.«

Sie sahen sich wieder an, wogen die Sache ab.

King fragte: »Bist du allein hier?«

»Ja.«

»Wo ist dein Wagen?«

»An der U-Bahn in Oakwood. Von da bin ich gelaufen.«

Er sah zu Daley und nickte mit dem Kopf in Richtung Straße. Daley lief an mir vorbei und zur Vordertür raus. Wir warteten, schweigend.

Nach ein paar Minuten kam Daley zurück. »In Ordnung«, sagte er.

»Komm mit«, sagte King.

Er führte uns ins Haus. Ich kam an ein paar Kids vorbei, die vor einem Fernseher saßen. Sie spielten Videospiele an so einem Computer-Konsolen-Ding und stritten, wer als Nächstes dran war. Zwei Frauen, Kings Ehefrau und eine andere Frau, wahrscheinlich die Frau von Daley, saßen mit Drinks in der Hand auf einem Sofa. Kings Frau warf ihm einen bösen Blick zu, als wir vorbeiliefen. Er seufzte und sah woanders hin. Sie würde ihm später die Hölle heißmachen. Daleys Frau sah mich böse an. Sie sah aus, als hätte sie so was schon öfter erlebt. Sie widmete sich wieder ihrem Drink.

King führte uns in die Küche, in der sich benutztes Geschirr und Pfannen auftürmten. Es war heiß vom Dampf und dem gekochten Essen. Durch die Hintertür gingen wir in einen weiteren Raum, der früher mal eine Garage gewesen war. Jetzt stand hier ein Pool-Tisch und an der langen Seite war eine Bar aufgebaut. Daley ließ sich in einen schwarzen Ledersessel fallen und griff nach einem Glas Scotch, das auf dem Boden stand. Ich hatte sie beim Billardspielen gestört. King lehnte sich gegen den Tisch. Niemand bot mir etwas zu trinken an. Hatte ich auch nicht erwartet. Ich blieb zwischen den beiden Männern an der Bar stehen, aber mit genug Abstand. So hatte ich beide im Blick und konnte mir eine Flasche greifen, falls ich musste.

»Also«, sagte King. »Schieß los.«

»Hab gehört, dass ihr beiden nicht mehr mit mir zusammenarbeiten wollt. Stimmt das?«

King atmete tief durch. »Nein. Das stimmt nicht. Zumindest nicht ganz.«

»Wir haben gehört, du wärest nicht verlässlich«, sagte Daley.

»Und der Job? Heißt das, ich bin raus aus der Nummer?«

»Nein, Joe«, sagte Daley. »Du bist weder dabei noch raus. Wir lassen die Sache einfach sein.«

»Wegen mir?«

»Spielt das eine Rolle?«, fragte King.

»Ja, tut es.«

»Wir lassen es sein, weil die Sache stinkt«, sagte Daley. »Nichts für ungut, Joe. Aber wir müssen vorsichtig sein.«

»M-mh.«

»Was aber nicht heißt, dass wir dich für einen linken Hund halten. Nate hat gleich gesagt, dass das Schwachsinn ist, als er es hörte.«

»Stimmt«, sagte King.

»Außerdem dachten wir nicht, dass du in nächster Zeit auf der Bildfläche auftauchst. Schon gar nicht, um einen Job zu machen.«

»Wie meinst du das?«

King nahm die weiße Kugel vom Tisch, dann legte er sie wieder zurück. Daley schüttelte den Kopf und sagte: »Ach, komm schon, Joe. Du kannst nicht einfach einen Mann wie Cole ausnehmen, ohne dass die Scheiße auf dich zurückfällt.«

»Cole? Bobby Cole?«

»Natürlich Bobby Cole. Der Casino-Job.«

»Das war Coles Casino?«

»Das wusstest du nicht?«, fragte King.

»Nein.«

Cole auszurauben war reiner Wahnsinn. Er würde nicht ruhen, bis er uns alle aufgeknüpft hatte. Möglicherweise hatte er Simpson umgebracht. Und Beckett. Wenn dem so war, wieso hatte Kendall das nicht gecheckt? Aber andererseits, vielleicht hatte er das ja. Vielleicht zog er sich aus der ganzen Sache zurück.

»Wer hat euch erzählt, dass ich nicht vertrauenswürdig wäre?«, fragte ich. »Hatte das was mit der Sache von Ellis zu tun?«

»Wir haben es nicht von Ellis gehört«, meinte Daley. »Das war einfach nur Pech, sagt Ellis selbst. Er gibt Caine die Schuld dafür.«

»Dave Kendall hat es uns gesteckt«, sagte King. »Letzte Woche. Sagte, er würde sich wegen dir Gedanken machen, und dir keine Aufträge mehr geben wollen.«

Kendall. Das erklärte, wieso er sich so seltsam verhalten hatte, und glaubte, einen Leibwächter zu brauchen. Er muss davon ausgegangen sein, dass ich Wind davon bekommen hatte, dass er meinen Namen mit Dreck bewarf.

»Ich konnte Kendall noch nie leiden«, sagte King. »Hab ihm nie getraut. Er redet zu viel.«

Eines von Daleys Kindern, ein kleines blondes Ding, kam ins Zimmer gerannt und blieb wie angewurzelt stehen, als es mich sah. Starrte mich mit großen Augen und offenem Mund an. Dann fiel ihm wieder ein, dass es Beine hatte, drehte sich um und rannte hinaus.

Daley erzählte mir irgendwas, dass der Name des Kindes auf Holländisch etwas Bestimmtes bedeutete. »Meine Mutter war Holländerin, weißt du?«

Etwas von dem, was King sagte, war hängengeblieben. Es passte nicht zusammen. Als Daley damit fertig war, mir seine Familiengeschichte zu erzählen, fragte ich King: »Letzte Woche?«

»Hä?«

»Du sagtest, er hat dir das letzte Woche erzählt.«

»Ja. Nachdem ich dich im Boxklub gesehen hatte, rief ich ihn an und sagte ihm, dass wir dich gern bei dem Juwelier-Job dabei hätten.«

286,32 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 марта 2022
Объем:
290 стр.
ISBN:
9783958352452
Переводчик:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
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