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Mit dem guten Gefühl, diesen Ort erlebt zu haben, begeben wir uns wieder auf den Weg und in die Hitze. Muschel und Pfeil führen uns sicher nach Obanos. Hier trifft der Nebenweg der Eunate wieder auf die Hauptroute. Ich bin froh darüber. So ergiebig der Umweg war, so erschöpfend war er auch. Auf den Straßen von Obanos herrscht ein reges Treiben. Auch hier scheint mal wieder ein Dorffest stattzufinden. Weiß gekleidete Einheimische mit rotem Halstuch lassen nur diesen Schluss zu. In den Straßen aufgestellte Schutzzäune und ein unverkennbarer Geruch sagen mir, dass hier vor wenigen Minuten noch mindestens ein Stier durchgetrieben wurde. Oder ein sehr stark schwitzender, dicker, ungeduschter, haariger Mann. Vielleicht der, für den der finnische Ed Sheeran seine Freundin hat sitzen lassen.

Ich bin sehr froh, als Hanne und ich fast gleichzeitig endlich den Stadtrand von Puente la Reina erreichen. Für heute reicht es langsam. Sowohl für die Füße, als auch für die Schweißdrüsen. Wir sehen eine erfrischende Dusche schon vor Augen und stürzen uns in die Gassen der Stadt. Aber weit gefehlt. So einfach hier durchlaufen is‘ nicht. In Puente la Reina ist ebenfalls ein großes Fest. Ein Motorradtreffen. Das ganze Stadtvolk drängelt sich auf der engen Hauptstraße, die gleichzeitig der Jakobsweg ist, und begrüßt die einfahrenden Biker. Ebenfalls mitten auf dem Weg steht eine große Gruppe Trommler mit mehreren Schlagzeugen und gibt ihr dröhnendes Können zum Besten. Prima. Normalerweise finde ich sowas toll. Sehr toll. Aber nicht jetzt. Wir wollen hier einfach nur durch, raus aus der Hitze und zu unserer Unterkunft. Also wie in Pamplona, irgendwie Aufmerksamkeit erhaschen und Verwirrung stiften. Ich reiße die Arme auseinander und nach oben, rufe mehrfach sehr laut und deutlich „Peregrino soy“ und verschaffe Hanne und mir so den benötigten Platz, um uns durch die Massen zu schlängeln. Wie stressig dieses Pilgern sein kann.

Geschafft. Kurz danach erreichen wir die uralte Bogenbrücke, die dem Ort seinen Namen gab. Da im Hochmittelalter Flussüberquerungen immer gefährlich waren, stiftete die damalige spanische Königin Dona Mayor eine Brücke, um den Pilgern den Camino zu erleichtern. Puente la Reina. Brücke der Königin. Hier vereinen sich endgültig die letzten beiden Hauptwege aller aus Europa führenden Jakobswege. Der aragonesische und der navarresische Zweig. Ab hier gibt es traditionell nur noch den einen, ursprünglichen Camino de Santiago. Fast so alt wie unsere moderne Geschichtsschreibung. Mein innerliches Gefühl und Interesse für Geschichte und Tradition fährt Achterbahn.

Hanne und ich überqueren die Brücke und finden am Ende ein Schild, das zu unserer Herberge weist. Durch Alex‘ App wissen wir ja schon, sie muss hier irgendwo am Ortsende sein. Der Schock folgt auf verschwitztem Fuße: Nicht nur am Ortsende, sondern außerhalb des eigentlichen Städtchens, abseits des Camino und auch noch auf einem Hügel liegt unser Ziel. Heute ist wohl alles kräftezehrend. Ein letzter steiler Anstieg fordert jede noch so kleine, letzte Kraftreserve des Körpers, bevor endlich die kleinen Bungalows und das Herbergsgebäude der Unterkunft Santiago Apostol vor uns auftauchen. Hanne und ich sind unfassbar froh, das heutige Ziel erreicht zu haben.

Alex und Inga sitzen im Schatten unter einem Holzdach und winken uns zu sich. Der Verzweiflung fast anheimgefallen und völlig abgekämpft, lassen wir uns nieder und beglückwünschen uns zu dieser anstrengenden Etappe. Alex checkt uns ein, Inga besorgt kalte Getränke und wir kommen langsam zur Ruhe. Das kalte Bier ist so schnell im Schlund verschwunden, dass ich mich frage, ob da nicht ein wenig Verdunstung seitens der Sonne im Spiel war. Ein neues Getränk lässt nicht lange auf sich warten. Inga spricht mit dem Herbergsbetreiber über die Möglichkeiten des Abendessens und fragt außerdem, ob es hier oder in der Nähe Zigaretten zu erstehen gibt. Denn es steht fest: Heute bewegen wir uns nicht mehr hier weg. Die Füße haben genug. Kurzerhand verkauft uns der Wirt die angebrochene Zigarettenschachtel seines Sohnes. Argument: „Der soll sowieso weniger rauchen.“ Schön hier.

Dann sichten wir das Areal. Das Hauptgebäude erscheint mir wie eine alte Jugendherberge, die nur geringfügig umgestaltet wurde. Ein riesiger Saal mit Bar, ein Billardtisch, ein paar Schlafsäle, fertig. Im Außenbereich daneben ist der Pool. Schräg gegenüber sieht man ein separat angelegtes Gelände, auf dem sich die Bungalows befinden. Alex und Inga zeigen uns das Hüttchen für die heutige Nacht. Wow. Ein Bad nur für uns, ein Aufenthaltsraum mit kleiner Küche, zwei Zimmer mit je zwei Betten und eine kleine, schattige Terrasse davor. Geniale Entscheidung hier zu reservieren. Danke Inga. Ganz schnell Wäsche waschen, windgeschützt oder mit Klammern aufhängen und auf zum gemütlichen Teil. Während Inga auf unserer kleinen Terrasse ihr Reisetagebuch schreibt, finden sich Hanne, Alex und ich im Pool ein. Ist das herrlich. Ein absoluter Hochgenuss. Die Abkühlung der Muskeln und des gesamten Körpers tut unbeschreiblich gut. Von oben knallt uns zwar die blanke Sonne auf den Latz, aber das interessiert uns jetzt nicht. Der Camino verändert dich sowieso. Und sei es nur durch einen gepflegten Sonnenstich.

Wir duseln vor uns hin und können unser bisheriges Glück mit den Herbergen kaum fassen. Die gestrige war ja schon gut. Die heutige ist auch ganz gut. Nur halt mit Pool und einer Hütte nur für uns. Gestern hatten wir quasi das i. Heute das Tüpfelchen obendrauf. Aber ohne das ι. Man kann nicht alles haben. Wollen wir auch nicht. Wir sind schließlich keine Luxuspilger.

Während wir im Pool entspannen, stiefelt am Zaun des Geländes eine bekannte Gestalt in militärischem Stechschritt schnurstracks auf den Eingang des Gebäudes zu. Ich glaub es nicht, das ist David. Gleich danach tauchen auch Heidi und Kelly auf. Unsere Lieblings-Amis aus Florida, die wir seit dem ersten Abend im Orisson nicht mehr gesehen haben. Sie checken auch hier ein. Welch eine tolle Überraschung.

Wir lassen uns noch ein wenig im Pool treiben und finden uns schon bald schattig platziert mit David zum Bierchen wieder. Heidi und Kelly sind kaputt und liegen den ganzen Nachmittag auf der faulen Haut. David redet noch immer sehr viel. Sehr, sehr viel. Keine Veränderung bisher. Wir finden einen Weg, den Heidi angeblich auch praktiziert, um David klarzumachen, dass er gefälligst mal seinen Mund halten soll. Er gibt mir zu verstehen, er wird auch nicht böse sein. Der einfache Code dafür lautet: „David, shut the fuck up.“ Es funktioniert. Manchmal kann es so einfach sein.

Später am Abend finden wir uns alle zusammen zum Pilgermenü in der Herberge wieder. Aus Mangel an Alternativen. Hauptsache, der Hunger wird gestillt. Am meisten freut mich immer, dass ich alles an Süßkram an Hanne weiterreichen kann und sie sich wie ein kleines Weißwürstchen darüber freut. David und Heidi sitzen mir gegenüber und sprechen mal wieder beide gleichzeitig mit mir. Kelly hat Schmerzen am ganzen Körper und hat bei jedem persönlichen Gespräch nach wie vor sofort Tränen in den Augen. Veränderungen am Camino brauchen eben ihre Zeit.

Nun sitze ich draußen und genieße ein wenig Ruhe, während neben mir die Sonne über den Hügeln langsam ihren wohlverdienten Feierabend einläutet. Ist gut so Sonja, hast heute dein Bestes gegeben. Und mehr noch. Auch der Rest gesellt sich allmählich nach draußen und gemeinsam lassen wir diesen anstrengenden Tag ausklingen.

Da ich heute wieder mein komplettes Feierabend-Outfit anhabe, steht Däne Diederik auf einmal wieder vor mir und fotografiert mich. Ich hatte ihn erst gar nicht bemerkt. Ich frage ihn: „Warum machst du das Foto von mir?“

Antwort: „Das Outfit an dir sieht so geil aus, das stelle ich als Profilbild auf meine Dating-Website und reiße damit Frauen auf.“ Okaaaaay…

Viel Erfolg.

Ich schrubbte an diesem Tag 24 Kilometer weg und bin nie allein. I shall not walk alone.

01.09.2019 07:05 Uhr

Blasen.

Nochmal bedrohlicher: BLASEN!

Nicht schön. Zwei riesige Blasen an jeweils einer Ferse. Unter der Hornhaut. Klasse Gefühl. Ich habe nicht die geringste Erfahrung mit sowas. Ich bin den Rennsteig hoch und runter gewandert. Aber eine Blase hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie. Jetzt weiß ich auch, was sich da gestern schon anbahnte. Kein Wunder, dass der Abstieg vom Alto so schmerzte. Dank der Erfahrung meiner Mitpilger kann ich meine Füße zumindest vorläufig einigermaßen verarzten. Aber heute Morgen tun mir nichtsdestotrotz die ersten Kilometer extrem weh. Jeder Schritt ist eine Herausforderung. Purer Wille hält mich am Laufen. Heute Abend muss ich sie unbedingt vollständig ausmerzen, diese beiden mit Flüssigkeit gefüllten Widerlinge.

Von unserer Herberge hinab geht es wieder zurück auf den eigentlichen Camino. Ganz Puente la Reina leuchtet mystisch im frühen Morgengrauen. Das ist der Vorteil an der Herberge auf dem Hügel. Diesen Blick hat man vom eigentlichen Weg aus nicht. Aufragende Kirchtürme und kleine Häuser vor den Bergen im Hintergrund, die vom violetten Himmel der Morgendämmerung überlagert werden. Wahnsinnsbild. Am Fuß des Hügels weist uns das nächste Muschelschild im Halbdunkel den Weg.

Beim Fotostopp an der gestern erwähnten Bogenbrücke kommt uns das schnarchende kanadische Holzfällerpärchen aus der vorgestrigen Herberge aus Puente la Reina heraus entgegen. Sie haben wohl direkt im Ort übernachtet. Es folgt ein lautes „Good morning Canada“ meinerseits und ein noch lauteres „Good to see you Sir“ andererseits. Zu höflich, diese kanadischen Schnarcher.

Die nächsten Meter sind mir bekannt. Hier liefen wir auf unserer Reise 2010 die erste der wenigen Etappen der Tour. Es geht auf einem bekiesten Weg entlang der Felder ebenerdig weiter. Ich treffe auf ein italienisches Pärchen, das gerade sein Lager im Feld abbaut, um weiterzuziehen. Wir reden kurz und mal wieder danke ich dem Universum für mein angeborenes Sprachgefühl. Sie laufen auch den kompletten Camino, aber schlafen immer draußen. Sie haben angeblich nicht einen einzigen Cent dabei. Respekt. Ich weiß nicht, ob ich das wagen würde.

Es folgt ein steiler Anstieg. Hier mussten wir uns vor neun Jahren gegenseitig stützen und helfen, da die Steigung mit Felsspalten und kleinen, ausgewaschenen Schluchten übersät war. Das wurde vor ein paar Jahren geändert. Der Weg ist immer noch steil, aber wenigstens ohne große Blessuren zu bewältigen. Danke an all die namenlosen Helfer des Camino. Sprintend schnaufe ich an drei jungen Damen vorbei, die mich anschauen, als wäre ich Speedy Gonzales. Ja Mädels, ich bin schnell. Arrrrriba!

Ich erreiche die erste Anhöhe und somit den Ortseingang von Mañeru. Ja, das kenn ich. An diesem Brunnen hier erfrischte ich mich damals ausgiebig und duschte mich regelrecht ab. Die Hitze ist aber in dem Moment dieser frühen Stunde noch erträglich. Und außerdem ist der Brunnen sowieso aus.

Im Dorf warte ich auf meine Bandmitglieder. Da heute Sonntag ist und außerdem gestern im ganzen Ort schon wieder eine Party stattgefunden zu haben scheint, hat keine einzige Bar zu dieser frühen Stunde schon offen. Verdammt. Wir alle hatten gehofft, einen schönen Kaffee zu bekommen, um die morgendliche Trägheit aus dem Frontallappen zu vertreiben. Dann müssen wir eben weiter. Vor zugesperrten Kneipen lungern noch die letzten Partyleichen der Nacht herum und überall auf den Straßen liegen Pappbecher, Girlanden, allerlei Unrat und wer weiß, was noch. Durch die Folgen der nächtlichen Party waten wir hinaus aus Mañeru. Aufgrund der sinnlosen Suche nach den letztendlich geschlossenen Bars hat sich eine stattliche Anzahl von Pilgern angestaut und gesammelt, die nun alle unterkoffeiniert am Friedhof Mañerus vorbei zielgerichtet auf die erste Dröhnung des Tages zumarschieren.

Durch herrliche Weinberge geht es weiter und auf einem kleinen Hügel sehe ich das nächste Dorf Cirauqui direkt vor mir liegen. Malerisch schmiegt es sich auf dem kleinen Hügel in die Landschaft. Mit der Hoffnung auf einen Kaffee und vielleicht auf Zigaretten stürmen wir kämpferisch in den Ort. Auch hier scheint eine Party stattgefunden zu haben. Die navarresischen Dörfer lassen es wohl mächtig krachen. Einzig ein kleiner Mini-Supermarkt hat geöffnet. Vollkommen überfüllt mit Pilgern, die nach dem ersten Koffeinkick des Tages suchen. Uns egal. Dann warten wir eben. Es gibt zwar keine Zigaretten, aber Wurst, Brot und einen Kaffeeautomaten. Läuft. Neben dem Markt befindet sich ein altes steinernes Tor, durch das der Camino ins Oberdorf führt. Unter dem Bogen sitzen etliche Jugendliche, lachen, sprechen unfassbar schnell und laut und die Vermutung tut sich auf: Die haben diese Nacht nicht geschlafen und sind noch ziemlich betrunken. Macht nichts. Die wollen nur spielen. Die tun nix. Sie sind vollkommen harmlos, bis auf einen jungen Kerl, der sich mit einem Sorry an der Schlange im Minimarkt an allen Wartenden vorbeischiebt und die Verkäuferin lallend fragt, ob sie ihm seine Käsepackung aufschneiden kann. Er selbst ist dazu nicht mehr in der Lage. Zudem riecht er extrem nach Erbrochenem. Nach Kotze. Nach Gekübeltem. Wer weiß, ob es sein eigenes ist.

Schmausend sitzen wir auf einer Bank und beobachten das Gewimmel. Unsere beiden Kanadier, unsere drei Lieblings-Floridianer und auch sonst sind fast nur bekannte Gesichter hier. Heute ist wahrlich sehr viel los auf dem Camino. Bis hierhin waren die ersten Kilometer wie auf einer Autobahn. Für Pilger. Ich bin auf spätere Etappen gespannt, die selbst offiziell in allen gängigen Reiseführern und -berichten als Pilger-Autobahn bezeichnet werden.

Langsam ziehen wir weiter, hinauf ins Oberdorf. Dort holen wir uns einen Stempel am Rathaus ab, füllen unser Wasser auf und wenige Meter weiter steigen wir schon wieder hinab vom Hügel Cirauquis. Meine drei Mitpilger machen kurz darauf eine Pause in einer kleinen Hippie-Oase. Ein Pärchen hat hier im Olivenhain einen schönen Rastplatz geschaffen. Ich bin so im Fluss, meine blasengeplagten Füβe schmerzen nicht so sehr, wenn ich einmal im Laufen bin, also winke ich den anderen kurz zu und spurte schon mal weiter. Ich muss. Die Schmerzen einfach weglaufen. Immer nach den Pausen tun die Blasen am meisten weh. Ich muss wirklich unbedingt nochmal was dagegen tun. Also los. Mit Musik auf dem Ohr.

Ich habe es in den letzten Tagen ja schon öfters gehört und auch gemerkt, wusste es teilweise auch vorher schon, merke es aber heute ziemlich extrem: Mein Tempo ist schon recht zügig. Sagen wir mal scheiße schnell. Egal ob bergan, bergab oder eben. Ich bin echt flott unterwegs. Ich empfinde es während des Laufens nicht so, aber da ich nach und nach alle auf der überfüllten Strecke hinter Cirauqui überhole, muss was dran sein. Und das, obwohl es nicht mal eine Überholspur gibt. In einer kleinen Kopfhörerpause komme ich an einer Gruppe Kanadier vorbei. Wir sind uns vom Sehen her auch schon bekannt. Einer der Ahornfreunde sagt: „Ah, there he is again. The racing flower pilgrim.“ Okaaaay… gefällt mir. Es gibt definitiv schlechtere Spitznamen. Und die Blumen und mein ganzer Rucksack machen ja auch wirklich was her.

Kurz vor Lorca habe ich alle vor mir sichtbaren Pilger überholt und mache Halt in diesem kleinen Bergdörfchen. Als meine Mitstreiter ankommen, sitze ich bereits eine Weile. Wir fragen uns durch nach Zigaretten, aber auch hier gibt es keine. Na ja. Wenigstens nochmal neues, frisches Wasser. Einen Stempel aus einer Bar nehme ich noch mit, setze mich dann aber erlaubt von der Truppe ab und laufe vorerst wieder alleine weiter.

Mitten in der Pampa an einem schattigen Rain sitzt Däne Diederik im Gras und massiert sich die Füße. Demonstrativ mache ich ein Bild von ihm. Auf meine Nachfrage, ob denn das Bild, welches er gestern von mir machte, schon Erfolg erzielte, antwortet er: „Na klar. Schon zehn Frauen haben sich gemeldet, da ich dank deines Bildes jetzt endlich mal gut aussehe. Und drei davon haben mir schon Geld geschickt, damit ich so schnell wie möglich zu ihnen fliegen kann.“ Was für ein absonderlich cooler Typ. Bevor ich aufgrund dieser Aussage noch selbstverliebt werde, laufe ich lieber schnell weiter.

Durch Wein- und Weizenfelder schlängelt sich der Camino mit mir und meiner Musik in das kleine Städtchen Villatuerta. Hier werde ich Pause machen und auf meine Band warten. Ich frage mich durch alle Bars, auf der Suche nach Zigaretten und Fassbier. Aber so etwas Verrücktes an einem Sonntag in einem kleinen Ort in Spanien aufzutreiben… Keine Chance. Ähnlich wie bei meiner Suche nach Briefmarken in Saint-Jean verhilft mir diesmal die Suche nach Suchtmitteln zu einem umfassenden Überblick über die Struktur eines typisch spanischen Kleinstädtchens zur sonntäglichen Mittagszeit. Schön. Hat nicht jeder. Braucht aber auch nicht jeder.

Nach meiner Dorfrunde treffe ich an der Kirche die anderen drei Teilnehmer meines Häuflein Elends. Unser Timing ist einfach perfekt. Aus einem Supermarkt, der verrückterweise am Sonntag aufhat, habe ich wenigstens für Alex und mich ein Not-Dosenbier schnappen können. Also rasten wir am Kirchplatz und kommen uns mit verschwitztem Äußeren und Bierdosen ein wenig deplatziert vor, als die Anwohner in feinstem Sonntagszwirn aus dem Gotteshaus strömen. Na ja. Wir sind Pilger, wir dürfen das.

Gemeinsam bestreiten wir die letzten Kilometer des heutigen Tages. Ich bin heute nach wie vor so im Flow, dass ich kaum die Umgebung wahrnehme. Ich kann es nicht genau erklären. Schmerz und Glück wechseln sich ab, aber die Geschwindigkeit bleibt konstant schnell. Keine Ahnung, was mein merkwürdiger Körper im Sinn hat. Hanne und Inga sind irgendwo hinter uns, aber Alex und ich erreichen fast gleichzeitig und sehr zufrieden Estella. Eine Stadt, die in der Größe ungefähr Puente la Reina gleichkommt. Ziel für heute erreicht.

Neben einem Fluss und einer beeindruckenden Kirche entlang, stehen wir auch schon vor der öffentlichen, städtischen Herberge der Stadt. Eine sogenannte Albergue Municipal. Sie gehört zu den drei Haupt-Typen der Herbergen am Camino.

Es gibt die städtischen Herbergen, betrieben von den Gemeinden.

Es gibt die kirchlichen Einrichtungen, logischerweise betrieben vom heiligen Geist. Denke ich.

Und der größte Anteil sind die privaten Herbergen, in denen wir bisher immer untergebracht waren.

Heute also mal eine städtische Unterkunft, die wir auf eine Empfehlung Ingas hin vorgemerkt haben. Heute weniger luxuriös. Reicht ja auch erstmal. Ein altes, mehrstöckiges Stadthaus mit riesigem Foyer und Gemeinschaftsküche empfängt uns. Vier Betten sind frei, für jeweils sechs Euro kann man nicht meckern. Es gibt mehrere Schlafsäle mit je acht Doppelstockbetten. Schon fast volle Belegung. Wir bekommen die letzten vier oberen Betten im vorletzten freien Schlafsaal. In den Fluren mit den Abstellregalen duftet es sehr verführerisch nach Fuß. Lecker.

Vor dem Waschprogramm organisieren Alex und ich auf der anderen Seite des Flusses noch Zigaretten, ein paar Flaschen Bier und machen es uns im Innenhof der Unterkunft gemütlich. Wie könnte es auch anders sein, auch unsere drei Florida-Alligatoren checken hier ein und David gesellt sich schneller mit Bier zu uns, als man Drei Betten bitte sagen kann. Seine beiden Mädels verschlafen einmal mehr den ganzen restlichen Tag.

Am frühen Abend sind wir alle fein sauber und erholt und brechen ins Innere Estellas auf. Über die alte, sehr steile Bogenbrücke hinüber in den Altstadtkern. Gleich dahinter sitzt wieder das französische Paar aus dem Orisson in einem Restaurant und winkt uns zu. Okay, hier kehren wir auch ein. Man muss ja nicht zwingend noch weiterlaufen. Wir sind ja schon im Stadtkern.

Irgendwie haben wir nach den Anstrengungen der letzten Tage heute Lust auf einen Burger. Einen stinknormalen, einfachen, schön fetten Burger. Auf der aufgestellten Karte des Restaurants lacht uns das Bild eines saftigen Burgerleins schon entgegen. Yammi. Auf Nachfrage stellen wir fest, dass die Küche erst ab 20:00 Uhr mit Nahrung aufwartet. Mist. Woanders hin? Nee. Wir werden warten. 22:00 Uhr macht unsere Herberge ihre Schotten dicht. Mal wieder. Schaffen wir schon. Es gab selten ein lohnenderes Warten. Es gibt Fajita für Alex und für den Rest von uns jeweils einen Burger mit Pommes. Wahnsinnig gut, frisch gemacht und riesige Portionen. Wir schaffen es kaum. Ein Pilgermenü kostet mindestens fünf Euro pro Person mehr. Braucht kein Mensch.

Satt, zufrieden und sehr gemütlich schlendern wir zurück über die Brücke und lassen uns noch ein wenig im Innenhof der Albergue nieder. Am einzigen freien Tisch setzen wir uns zu einem extrem nervösen, zitternden Herrn. Ich verstehe fast gar nichts von den Dingen, die seinen Sprechapparat verlassen. Alex weist mich erst höflich darauf hin, dass das tatsächlich Englisch ist. Ich verstehe es trotzdem kaum. Er ist jedenfalls Ire, raucht ununterbrochen und zittert unentwegt. Einen Namen bekomme ich nicht mit. Egal. Er ist einfach der nervöse Ire.

Zitternd vertändeln wir den wenigen Rest des Abends und werden 22:00 Uhr vom hauseigenen Personal doch mal zur Bettruhe genötigt. Frechheit.

Ich flog heute 22 Kilometer auf dem Camino entlang, denn ich bin The Racing Flower Pilgrim.

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