Читать книгу: «Grundfragen der Sprachwissenschaft», страница 5

Шрифт:

Der Gelehrte und Politiker James Harris (1709–1780) definiert in seinem erstmals 1751 erschienenen Buch Hermes, or a philosophical inquiry concerning language and universal grammar Universalgrammatik (universal grammar) als »that Grammar, which without regarding the several Idioms of particular Languages, only respects those Principles, that are essential to them all« (Harris 1771: 100). Dieser Satz könnte von Noam Chomsky stammen und wie Chomsky (s. Kap. 4) glaubt Harris, dass »MIND [is] ultimately the Cause of all« (ebd., S. 306). Universalien und Universalgrammatik sind in dieser Perspektive mental verankert, bei Chomsky sind es Prinzipien in der biologischen Grundausstattung des menschlichen Gehirns, bei Harris angeborene Ideen, die letztlich archetypische Formen des Geistes Gottes sind.

Die Universalgrammatik (UG) nach Chomsky befasst sich mit der Untersuchung der sog. ›language faculty’, die als biologische Komponente angesetzt wird, wir hatten dies in Kapitel 4 bereits ausgeführt. Die Universalgrammatik als mentale Grundausstattung ist angeboren und genetisch festgelegt. Sie besteht aus abstrakten, universellen Prinzipien, die allen menschlichen Sprachen gemein sind, und einer beschränkten Menge von Parametern zu den Prinzipien. »Wir wollen die ›Universale Grammatik‹ (UG) als das System von Prinzipien, Bedingungen und Regeln definieren, die Elemente bzw. Eigenschaften aller menschlichen Sprachen sind […]. Die UG kann man somit als Ausdruck des ›Wesens der menschlichen Sprache‹ verstehen. Die UG ist bezüglich aller Menschen invariant. Die UG spezifiziert, was beim Spracherwerb erlangt werden muß, damit dieser erfolgreich ist. […] Jede menschliche Sprache stimmt mit [der] UG überein; Sprachen unterscheiden sich in anderen, zufälligen Eigenschaften« (Chomsky 1977: 41). Die UG geht damit über eine rein deskriptive Sicht hinaus, sie erklärt, warum es sprachliche Universalien gibt.

17 Ist Gebärdensprachen eine Sprache?

Gebärdensprachen sind wie das Deutsche oder Englische natürliche Sprachen, mit denen gehörlose oder hörgeschädigte Menschen kommunizieren. Es gibt verschiedene Gebärdensprachen; z.B. sind die englische und amerikanische Gebärdensprache sehr unterschiedlich, obwohl gesprochensprachlich das britische und amerikanische Englisch sehr ähnlich sind. Gebärdensprachen haben eine Grammatik wie andere Sprachen auch, und sie können folglich wie diese auch linguistisch untersucht werden. Für die deutsche Gebärdensprache (DGS) gibt es eine ausgezeichnete Analyse und Darstellung von zwei Sprachwissenschaftlern (Happ/Vorkörper 2006), die beide die Gebärdensprache aktiv beherrschen.

Auf der Ausdrucksebene besteht die deutsche Gebärdensprache aus zwei Komponenten: (a) den durch eine Hand oder durch zwei Hände dargestellten Gebärden und (b) der nicht-manuellen Komponente, die Mimik, Kopfbewegungen, Kopf- und Körperhaltung umfasst; so werden z.B. bei Entscheidungsfragen die Gebärden durch hochgezogene Augenbrauen und einen leicht nach vorn geschobenen Kopf markiert.

Eine Gebärde selbst setzt sich aus vier Grundelementen zusammen: der Handform, der Handstellung, der Ausführungsstelle und der Bewegung. Bei der Gebärde für gebärden (s. Abb. 5) beispielsweise sind beide Hände beteiligt und die kreisförmige Bewegung der Hände wird wechselseitig ausgeführt. Wenn wir die Gebärde für gebärden nicht als Bild wie in Abb. 5 darstellen wollen, sondern in Alphabetschrift, dann schreiben wir den Stamm in Kapitälchen, also: GEBÄRD. Nebenbei: Es gibt verschiedene Gebärdenschriften, die Darstellung des Wortes Gebärdensprache in der Kapitelüberschrift ist eine typografische Umsetzung des Fingeralphabets.


Abb. 5: Gebärde für gebärden6

Es gibt ca. 30 Handformen, 5 Grundhandstellungen wie Handfläche nach oben oder unten, unterschiedliche Ausführungsstellen (am Kopf, an der Hand usw.) und viele verschiedene Bewegungen (kreisförmig, gerade nach oben / nach unten usw.). Aus der Kombination der Grundelemente mit ihren verschiedenen Realisierungen setzen sich die einzelnen Gebärden zusammen, die dann lexikalische oder grammatische Bedeutungen kodieren.

Das Deutsche ist eine flektierende Sprache (s. Kap. 10), aber die deutsche Gebärdensprache ist eine polysynthetische und sie weist gegenüber dem Deutschen eine Reihe von Eigenheiten auf. Wie die Beispiele (1, 2) zeigen, steht der Artikel bzw. das Demonstrativpronomen nach dem Nomen und nicht wie im Deutschen davor. Auch das Adjektiv steht postnominal. Die Position des Artikels ist ebenfalls entscheidend. In (1) bilden wie im Deutschen der Artikel / das Demonstrativpronomen und das Nomen eine Klammer (s. auch Kap. 48), nur ist der Artikel eben nachgestellt, das Adjektiv steht direkt nach dem Nomen und hat eine attributive Funktion. In (2) bilden Nomen und Artikel eine Einheit, über die etwas ausgesagt wird (,ist klein‹), man nennt dies die prädikative Funktion. Attributive und prädikative Funktion sind also durch die unterschiedliche Gebärdenfolge ausgedrückt. Anders als im Deutschen ist auch der Kasus nicht angegeben.

(1) HUND KLEIN DER / DIESER

Der/dieser kleine Hund

(2) HUND DER KLEIN

Der Hund ist klein.

Während der unbestimmte Artikel nicht ausgedrückt wird, gibt es zwei Gebärden für den bestimmten Artikel: »Der bestimmte Artikel für Personen wird stets mit der G-Handform ausgeführt. Dabei ist die Handfläche nach unten orientiert, die Bewegung ist waagerecht und die Gebärde endet sanft. Die Spitze des Zeigefingers verweist auf den Raumpunkt. Der bestimmte Artikel für Gegenstände, kleine Personen und Tiere wird mit der gleichen Handkonfiguration (Handform und Handstellung) wie der bestimmte Artikel für Personen ausgeführt. Die Bewegung ist jedoch leicht nach unten. Die Spitze des Zeigefingers zeigt auf das Referenzobjekt« (Happ/Vorkörper 2006: 96). Die Gebärde für das Demonstrativpronomen ist fast identisch mit der für den Artikel, allerdings endet die Bewegung nicht sanft, sondern abrupter, und die Gebärde wird durch eine Mundmimik begleitet.

Ein interessantes Phänomen in der deutschen Gebärdensprache ist das der sog. Klassifikatoren. Klassifikatoren (KL) sind sprachliche Mittel, mit denen der Wortschatz strukturiert und organisiert wird. Im Deutschen sind es (a) das Genussystem, wo Substantive nach drei Kategorien (Neutrum, Maskulinum, Femininum) strukturiert und (b) quantifizierende Ausdrücke (vgl. 3), mithilfe derer Mengen spezifiziert werden. Welche Maßangaben prototypisch gebraucht werden können, ist abhängig von den Objekten, auf die sich beziehen.

(3a) zwei Tassen Kaffee, drei Tassen Tee, ?drei Tassen Wein, ?drei Tassen Bier

(3b) ?zwei Gläser Kaffee, drei Gläser Tee, drei Gläser Wein, drei Gläser Bier

(3c) ?eine Flasche Kaffee, ?eine Flasche Tee, eine Flasche Wein, eine Flasche Bier

In vielen Sprachen gibt es Klassifikatoren (KL), die eine klassifizierende bzw. kategorisierende Funktion haben. Dabei spielen Faktoren wie Ausdehnung, Dimensionalität, Größe, Funktion, Richtung, Konsistenz der Referenten eine entscheidende Rolle. Im Chinesischen gibt es eine Reihe von Klassifikatoren (4), die immer mit einem Substantiv in Verbindung auftreten müssen, wie zhāng in Verbindung mit Substantiven flache, dünne Objekte bezeichnet. Für stockartige Dinge, die man mit der Hand greifen kann, steht der Klassifikator b, z.B. y b sn ›ein Regenschirm‹.

(4)

yī zhāng zh

ein KL Papier

ein Stück Papier

In der Gebärdensprache gibt es ebenfalls zahlreiche kategorisierende Klassifikatoren (5,6). Die Gebärde für den Klassifikator für zweidimensionale, eckige Objekte in Verbindung mit Papier hat die Bedeutung ›ein Blatt Papier‹. Wird stattdessen der Klassifikator für dreidimensionale, eckige Objekte gebärdet, dann entsteht die Bedeutung ›ein Block Papier‹.

(5) PAPIER KL: 2D-ECKIG

ein Blatt Papier

(6) PAPIER KL: 3D-ECKIG

ein Block Papier

Gebärdensprachen haben also eine Grammatik wie jede andere Lautsprache auch. Und: Untersuchungen zeigen, dass der Erstspracherwerb in der Gebärdensprache genauso verläuft wie in einer Lautsprache und dass die Sprachverarbeitung im Gehirn in den gleichen Regionen stattfindet.

18 Was sind Plansprachen?

Plansprachen sind für die menschliche Kommunikation konstruierte Sprachen; es gibt in der Regel eine Person, die die Sprache erfunden hat. In den meisten Fällen ist die dahinter liegende Idee, eine einfache Sprache zu entwickeln, die jeder Mensch auf der Welt nutzen kann. Erleichterung der Kommunikation bei Sprechern unterschiedlichster Sprachen, internationale Verständigung über Sprachgrenzen hinweg, dies sind die primären Motive für eine Plansprache. Es hat in der Geschichte unterschiedlichste Versuche gegeben, eine Plansprache zu etablieren – natürlich von Linguisten, berühmt sind Rasmus Christian Rask (1787–1832) und seine Linguaz Universale sowie Otto Jespersen (1860–1943) mit seinem Novia-Projekt –, aber Erfolg hatte nur der Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof (1859–1917). Sein 1887 zunächst auf Russisch erschienenes Werk Lingvo Internacia sollte unter jenem Begriff Karriere machen, den er als Pseudonym für die Veröffentlichung gewählt hatte: Dr. Esperanto (Dr. Hoffender). Nicht zuerst linguistisches Interesse, sondern seine Erfahrungen als Jude waren Zamenhofs Hauptbeweggründe für die Schaffung des Esperanto, wie aus einem Brief an den Juristen Alfred Michaux aus dem Jahre 1905 hervorgeht: »Niemand kann das Unheil der menschlichen Spaltung so stark empfinden wie ein Jude des Ghettos. Niemand kann die Notwendigkeit einer menschlich neutralen, anationalen Sprache so stark empfinden wie ein Jude, der gezwungen ist, zu Gott zu beten in einer seit langem toten Sprache eines Volkes, das ihn ablehnt, und der Leidensgenossen hat auf der ganzen Welt, mit denen er sich nicht verständigen kann. […] Ich sage Ihnen nur einfach, dass mein Judentum der Hauptgrund war, weshalb ich mich seit meiner frühesten Kindheit einer Idee und einem großen Traum verschrieben habe – dem Traum, die Menschheit zu einigen« (zitiert nach Janton 1978: 22).

Esperanto wird heute weltweit gesprochen und auch geschrieben, von wie vielen Menschen, ist schwer zu bestimmen, es sind sicherlich mehr als eine Million. Ein Blick auf das Esperanto zeigt (s.u.), dass einem Sprecher des Deutschen und Englischen oder gar einer romanischen Sprache der Text nicht fremd vorkommt. Eine Wortgruppe wie ›apud sia fratino’ ist uns orthografisch vertraut und wirkt irgendwie lateinisch (lat. apud = bei; suum, -a, -um = sein; frater = Bruder). Merkwürdig ist, dass im englischen Original sister (Schwester) steht und nicht brother (Bruder).

Alicio, jam longan tempon sidinte apud sia fratino sur la deklivo, tre enuiĝis pro senokupo. Unu, du foje ŝi prove rigardis en la libron kiun la fratino legas, sed povis vidi en ĝi nek desegnojn nek konversaciojn, kaj »por kio utilas libro,« pensis ŝi, »enhavanta nek desegnojn nek konversaciojn?«

Ŝi do ekpripensis ‒ ne tre vigle ĉar la tago estis varma, kaj ŝi sentis sin tre dormema ‒ ĉu la plezuro fari ĉenon el lekantetoj valorus la laboron sin levi kaj kolekti lekantetojn, kiam tutapude preterkuris Blanka kuniklo kun paleruĝaj okuloj.7

Alice was beginning to get very tired of sitting by her sister on the bank, and of having nothing to do: once or twice she had peeped into the book her sister was reading, but it had no pictures or conversations in it, ›and what is the use of a book‹, thought Alice, ›without pictures or conversation?‹

So she was considering in her own mind (as well as she could, for the hot day made her feel very sleepy and stupid), whether the pleasure of making a daisy-chain would be worth the trouble of getting up and picking the daisies, when suddenly a White Rabbit with pink eyes ran close by her.8

Das Esperanto hat eine einfache Grammatik und ist wie eine agglutinierende Sprache aufgebaut (s. auch Kap. 9), d.h. grammatische Kategorien wie Kasus oder Numerus werden durch eine Endung, genauer: durch ein Suffix, oder durch andere, eindeutige Mittel ausgedrückt. Sehr verkürzt gesagt: Esperanto ist ein agglutinierendes Latein.

Schauen wir uns das Nomen fratino genauer an. Das Nomen bekommt immer die Endung -o, an die Wurzel frat wird also die Endung -o angehängt: frato (Bruder), bei einem Adjektiv die Endung -a: frata (brüderlich). Bei der Femininform wird an die Wurzel die Endung -in angefügt, also frat-in-o (weiblicher Bruder = Schwester). Wollten wir den Plural bilden, so hängen wir an das ganze Wort ein -j: fratinoj (die Schwestern). Und wie wird der Kasus gebildet?

Die -o-Form entspricht dem Nominativ, es gibt aber keine eigentliche Nominativendung. Denn der Akkusativ wird dadurch gebildet, dass dem Nomen zum Schluss ein -n hinangefügt wird (s. auch Tab. 4), also fraton (den Bruder), fratinon (die Schwester), fratinojn (den Schwestern). [Nebenbei: Der Akzent liegt immer auf der vorletzten Silbe, das ist die sog. lateinische Pänultimaregel.] Die anderen Kasus werden wie im Englischen durch Präpositionen angegeben: der Genitiv durch de (von), der Dativ durch al (zu) und der aus dem Lateinischen bekannte Ablativ9 durch kun (mit). Das Possessivpronomen sia ist aus dem Personalpronomen si (sie) gebildet, indem -a angehängt wird. Die Präposition apud wird wie im Lateinischen nicht flektiert.


Wurzel Wortbildungsendung Nominalisierungsendung Pluralendung Akkusativendung
frat -in -o -j -n

Tab. 4: Formenbildung beim Nomen im Esperanto am Beispiel von fratinojn

Die meisten Wörter entstammen romanischen Sprachen, aber es gibt auch zahlreiche Wörter aus dem Deutschen und Englischen. Es sollte dem Leser nicht schwer fallen, en la šranko und La knabo similas sian patron zu übersetzen.

Sprache, Kommunikation, Handeln

19 Was sind sprachliche Zeichen?

Ganz allgemein wird die Lehre von den Zeichen, ihren Bedeutungen und Wirkungen als Semiotik bezeichnet. Diese ist nicht auf Analyse von sprachlichen Zeichensystemen reduziert, sondern bezieht tierische Kommunikation ebenso ein wie Kunst und Ästhetik. Für die Linguistik sind die Ansätze von Ferdinand de Saussure (1857–1913) und Charles Sanders Peirce (1839–1914) von zentraler Bedeutung. Ferner ist für die Sprachwissenschaft der Ansatz von Karl Bühler (1879–1963) interessant, der in Kap. 21 behandelt wird.

Ferdinand de Saussure ist der Begründer des Strukturalismus (s. u.). Sprachliche Zeichen weisen seinem Konzept nach eine Inhalts- und eine Formseite auf, sie sind wie die beiden Seiten einer Münze komplementär aufeinander bezogen. Er nennt diese beiden Aspekte des Zeichens Signifikat (signifié), das ist die Bedeutungsseite (z.B. BAUM), und Signifikant (signifiant). Der Signifikant ist die Formseite des sprachlichen Zeichens, z.B. /bam/ oder <Baum> (vgl. Abb. 1).


Abb. 6: Signifikat und Signifikant (Saussure 1967: 78, 136)

Saussure wendet sich damit gegen Positionen, nach denen das sprachliche Zeichen einen Namen und eine Sache in sich vereinige (vgl. Abb. 7 oben), vielmehr vereinigen sich im sprachlichen Zeichen eine Vorstellung und ein Lautbild bzw. ein andere Form der Repräsentation (vgl. Abb. 6 und beispielhaft Abb. 7 unten).


Abb. 7: Saussure (1967: 76, 78)

Die Verbindung von Lautseite und Bedeutung ist arbiträr, es gibt also keine Motivation dafür, dass dem Signifikat ›BAUM‹ genau das Lautbild /bam/ entspricht. In verschiedenen Sprachen ist daher dieses Signifikat mit unterschiedlichen Lautbildern verbunden: Deutsch /bam/, Englisch /tri/ oder Spanisch /abol/. Das Sprachzeichen beruht wie »jedes in einer Gesellschaft rezipierte Ausdrucksmittel im Grunde auf einer Kollektivgewohnheit, oder, was auf dasselbe hinauskommt, auf der Konvention« (Saussure 1967: 80). Arbitrarität und Konventionalisierung sind die beiden zentralen Charakteristika sprachlicher Zeichen.

Ferdinand de Saussure (*26.11.1857 in Genf; †22.2.1913 in Vufflens-le-Château)

Ferdinand de Saussure wurde 1857 in Genf geboren, studierte in Leipzig und Berlin Indogermanistik und hielt von 1906 bis 1911 Vorlesungen in Genf über Allgemeine Sprachwissenschaft. Seine Zeichentheorie und sprachwissenschaftlichen Arbeiten haben die Linguistik des 20. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst. Er gilt als Begründer der strukturalistischen Sprachwissenschaft.

Der Strukturalismus bildet ein Wissenschaftsparadigma, das für die moderne Sprachwissenschaft von eminenter Wichtigkeit war und ist. Der Strukturalismus ist in seiner Entstehungsgeschichte eng mit den Arbeiten von Ferdinand de Saussure verbunden, insbesondere mit den durch seine Schüler Charles Bally (1865– 1947) und Albert Sechehaye (1870–1946) posthum veröffentlichten Vorlesungsmitschriften, die unter dem Titel Cours de linguistique générale (1916; Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft 1931) erschienen sind. Die Interpretation des Cours, seine Originalität und Authentizität sind umstritten, sicher ist jedoch: Der Cours hat eine breite und tiefgehende Rezeption erfahren und er ist somit in vielerlei Hinsicht paradigmenbildend für die moderne Linguistik und andere Wissenschaften wie z.B. Literaturwissenschaft oder Ethnologie gewesen.

Der US-amerikanische Mathematiker, Logiker und Philosoph Charles Sanders Peirce (1839–1914) geht von einer triadischen Zeichenrelation aus: Objekt – Repräsentamen – Interpretant. Objekte, seien es reale Objekte der äußeren Welt oder ideelle im Bewusstsein eines Sprechers, sind durch Zeichen repräsentiert. Ein Repräsentamen ist ein Mittel der Repräsentation eines Objekts oder eines Ereignisses für einen Interpreten. Ein Interpretant (das Interpretierende) ist nach Peirce etwas, das eine Bezeichnung interpretiert, wobei die Bezeichnung ein Zeichen ist, das ein Objekt bezeichnet. Der entscheidende Punkt gegenüber dem saussureschen dyadischen Zeichenbegriff ist, dass ein Zeichen nur dann ein Zeichen ist, wenn es als solches interpretiert wird.

Im Hinblick auf die Objekt-Beziehung lassen sich nach Peirce Zeichen, somit auch sprachliche Zeichen, als Symbole, Ikone und Indizes klassifizieren. Besteht bei einem Zeichen zwischen Form und Inhalt ein willkürliches, arbiträres Verhältnis, so handelt es sich um ein symbolisches Zeichen. Sprachliche Zeichen sind also in erster Linie Symbole, aber es gibt auch andere Arten von Zeichen. Ein ikonisches Zeichen oder ein Ikon ist ein Zeichen, bei dem die Gestalt der Form den Inhalt angibt wie bei dem Zeichen <> für ›Buch‹. Es besteht eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem ikonischen Zeichen und dem Objekt, diese beruht auf Formmerkmalen, Eigenschaften etc. Auch Lautwörter wie grr oder peng sind ikonische Zeichen, denn sie imitieren ein Geräusch der Wirklichkeit. Ein indexikalisches Zeichen oder Index ist ein Zeichen, bei dem die Beziehung zwischen Zeichen und Bezeichnetem nicht auf Ähnlichkeit beruht, sondern der Inhalt aus der Gestalt der Form durch regelhafte Beziehungen (wie Kausalität) ermittelt werden kann. So ist Rauch ein Anzeichen (Index) für Feuer. Wenn allerdings über der Sixtinischen Kapelle weißer Rauch auftritt und wir diesen als Zeichen für eine erfolgreiche Papstwahl interpretieren, dann ist der Rauch zudem ein symbolisches Zeichen. Typische indexikalische Ausdrücke auf der sprachlichen Ebene sind Pronomina. In dem Satz Alfred sieht, wie Hans sich betrinkt verweist das Reflexivpronomen sich auf Hans.

zeigen

Dass Verb zeigen geht zurück auf ahd. zeigōn, eine Intensivbildung zu zeihen, mhd. zīhen, ahd. zīhan, ursprünglich mit der Bedeutung ›(an)zeigen, kundtun‹, dann ›auf einen Schuldigen hinweisen‹. Das Verb hat verschiedene Lesarten, was sich auch grammatisch niederschlägt. Die zwei grundlegenden Lesarten sind jem. etwas zeigen und auf jem./etwas zeigen. Der Unterschied lässt sich wunderbar an einer Situation im Fußball zeigen. Wenn der Schiedsrichter einem Spieler die Gelbe Karte zeigt, dann präsentiert er dem Spieler die Karte so, dass er sie in das Gesichtsfeld des Spielers platziert. Eine Präsentation der Gelben Karte hinter dem Rücken des Spielers ist ausgeschlossen; die stillschweigende Übereinkunft lautet, dass mit dem Anschauen der Gelben Karte seitens des Spielers die Strafe als zur Kenntnis genommen anerkannt und letztlich akzeptiert ist. ›zeigen‹ meint hier also das Präsentieren eines Objektes im Gesichtsfeld einer Person. Das Objekt (Gelbe Karte) wird durch das Akkusativobjekt ausgedrückt, die Person, der Adressat der Handlung, durch das Dativobjekt. Wenn aber ein Spieler mit dem Zeigefinger auf die gezückte Gelbe Karte des Schiedsrichters zeigt und zu seinem Mitspieler sagt: ›Pass auf, beim nächsten Mal bist du dran!‹, dann lenkt er den Blick des Spielers mit dem Finger auf die Gelbe Karte. ›zeigen‹ hat hier eine Verweisfunktion, indem der Blick des Adressaten auf ein bestimmtes Ziel, einen bestimmten Ort, gelenkt wird. Bei auf die Gelbe Karte zeigen ist das Objekt als lokales Ziel der Handlung durch ein Präpositionalobjekt (mit der Präposition auf) kodiert.

Warum kann man nicht sagen *Der Schiedsrichter zeigt ihm auf die Gelbe Karte? Das Ziel der Handlung ist hier doppelt kodiert, man zeigt entweder A etwas oder man zeigt auf B. Aber eine zusätzliche Lokalangabe ist möglich, wenn semantisch eine Teil-Ganzes-Beziehung vorliegt: Ich zeige ihm auf seinem Hals/auf dem Auto den roten Fleck.

20 Was ist Information?

Wenn wir mit jemandem kommunizieren, so sagt man, tauschen wir Informationen aus. In Aischylos’ Agamemnon erfährt Klytaimnestra noch in der selben Nacht vom Fall des 600 Kilometer entfernten Troja: ›Ich jauchzte längst in hellem Flammenjubel auf, / Als uns des Feuers erster nächtiger Bote kam, / Verkündend Troias Niedersturz und Untergang.‹ Und der Chor fragt: ›Wer naht in solcher Schnelle mit der Siegespost?‹ und Klytaimnestra antwortet: ›Hephaist, vom Ida sendend schnellen Flammenschein. / Brand schickte Brand im Feuerzeichenlauf heran. / Zuerst der Idagipfel zum Hermaierfels / Auf Lemnos’ Eiland; Athos’ Höh, dem Zeus geweiht.‹10 Die Kommunikation über eine Feuerkette hinweg skizziert das grundlegende Problem der Kommunikation, wie es der Mathematiker und Informationstheoretiker Claude Shannon (1916–2001) einmal formuliert hat. Das Problem besteht darin, dass »eine Nachricht, die an einem definierten räumlichen und zeitlichen Punkt ausgewählt wurde, an einem anderen definierten räumlichen und zeitlichen Punkt exakt oder annähernd exakt wiedergegeben wird. Häufig besitzen die Nachrichten eine Bedeutung« (Shannon/Weaver 1949: 31).

Lassen Sie uns das Grundproblem an zwei typischen aktuellen menschlichen Kommunikationsformen verdeutlichen, dem Telefonat und der E-Mail-Kommunikation. In beiden Fällen haben wir im technischen Sinne eine Informationsquelle, einen Sender (S), der die Nachricht in ein Signal übersetzt, und einen Empfänger (E), der das Signal in eine Nachricht zurückverwandelt und diese an das Ziel (Informationssenke) weitergibt. Das, was der Sender ausdrücken will, ist mental repräsentiert und wird in einer bestimmten Form enkodiert, nämlich in lautlicher oder in Textform. Abstrakt gesehen besteht zwischen Informationsquelle und -senke eine Übertragung von einer Anzahl (N) Zeichen aus dem Zeichenvorrat Z:


Das Lautsignal bzw. der Text wird über einen Kanal, Kabel oder Funkkanäle, transportiert, die Übertragung kann analog oder digital erfolgen. E empfängt das Signal und muss dieses decodieren, um die gesendete Nachricht verstehen zu können.

Beim Telefonat ist S der Sprecher und E der Hörer, bei der E-Mail-Kommunikation ist S der Schreiber und E der Leser. Im ersten Fall ist der Code ein Lautsignal, im zweiten ein schriftlicher Text. Gelingen kann die Kommunikation nur dann, wenn die Bedeutung der Zeichen, die S gebraucht, von E interpretiert werden kann. E muss also ein entsprechendes Vorwissen haben.

Rein technisch gesehen kann Information als das betrachtet werden, was über die Nachrichtenkanäle läuft. In diesem Sinne sind auch Botenstoffe, die die Kommunikation zwischen Zellen ermöglichen, Informationsträger. Menschliche Kommunikation zeichnet sich dadurch aus, dass Information durch Sprachzeichen ausgedrückt wird. Sprache kann nun als jenes Zeichensystem definiert werden, das menschliche Kommunikation ermöglicht. Welche Form, Bedeutung und Funktion diese Zeichen haben, ist für die Sprachwissenschaft von Bedeutung.

In dem grundlegenden Modell für Kommunikation von den beiden Mathematikern Claude Shannon und Warren Weaver (1894–1978) steht die Informationsübertragung im Vordergrund. Für unsere Zwecke reicht es aus zu wissen, dass es in diesem Modell einen Sender und Empfänger gibt, einen Übertragungskanal und ein Signal, das in kodierter Form vom Sender zum Empfänger gesendet wird (vgl. o. und s.u.).


Sender, Empfänger, Signal, Kanal, Code sind zentrale Begriffe des Shannon/Weaver-Modells. Was ist nun die Information bei der Informationsübertragung? Shannon setzt an der Frage an, wie (un)vorhersagbar ein Ereignis ist. Das Maß für die Information, das er entwickelt, ist ein Maß für die Ungewissheit. Mehr Alternativen bedeuten mehr Ungewissheit, mehr Information. Es geht ihm allein um das mehr oder weniger zufällige Auftreten von Zeichen und nicht um deren Bedeutung. Die Semantik ist ausgeschlossen, ganz anders als in sprachwissenschaftlicher Sicht.

Illustrieren wir die Grundidee an einem (zugegebenermaßen stark) konstruierten Beispiel analog zu Shannons Vorgehensweise. Wir gehen im Hinblick auf die Struktur einer Nachricht von einem Text in Deutsch aus, der aus 26 Alphabetzeichen und einem Leerzeichen (Spatium) besteht. Für eine Sequenz aus einem Gedicht wird eine Zufallsfolge erzeugt (1a), die Buchstaben sind rein zufällig verteilt.

1a abq fediqg onklmqp rusvqt (Näherung nullter Ordnung)

Nun nutzen wir die Kenntnisse, die wir über das Deutsche haben, und wir nehmen an, dass die Zwischenräume Wörter voneinander trennen und die Verteilung der Buchstaben in 1a abhängig ist von der Häufigkeit ihres Auftretens. So ergäbe sich unter der Tatsache, dass e der häufigste Buchstabe im Deutschen ist, die Sequenz 1b.

1b abe fedieg onklmep rusvet (Näherung erster Ordnung)

In einem weiteren Schritt betrachten wir Buchstabenpaare (Digramme). Im Deutschen ist das häufigste Digramm en, wir ersetzen eg, ep, et durch en und erhalten 1c:

1c abe fedien onklmen rusven (Näherung zweiter Ordnung)

Da zudem im Deutschen en eine häufige Wortendung ist, passen die Wörter ›noch besser‹ zur deutschen Sprache. In einem weiteren Schritt betrachten wir Buchstabentripel (Trigramme). Das häufigste Trigramm ist sch und wir setzen dieses für das im Deutschen nicht vorkommende Trigramm klm ein:

1d abe fedien onschen rusven (Näherung dritter Ordnung)

Im nächsten Schritt gehen wir auf die Wortebene. Die Artikel kommen im Deutschen sehr häufig vor; der ist das zweithäufigste Trigramm und das am häufigsten vorkommende Wort im Deutschen. Die steht an zweiter Stelle der Worthäufigkeitsverteilung. Da abe drei Buchstaben umfasst und auf e endet, ersetzen wir die Zeichenfolge durch die:

1e die fedien onschen rusven (Wortnäherung erster Ordnung)

1e wirkt nun bereits ›viel deutscher‹ als 1a, die Sequenz lässt sich z.B. viel leichter laut lesen und leichter merken. Nebenbei: Von Ausgangs- bzw. Zielwortfolge die gabben Schweisel frieben sind wir noch weit entfernt, aber letztlich ist der Unterschied zu die fedien Onschen rusven gar nicht so stark. Die Strukturen 1a-d treten mit unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten auf. Je mehr Alternativen man hat (am meisten in 1a), desto größer ist die Ungewissheit und desto mehr Information enthält die Sequenz nach dem Shannon-Modell. Je häufiger/wahrscheinlicher ein Zeichen vorkommt, desto geringer sein Informationsgehalt, und je weniger häufig/wahrscheinlich ein Zeichen vorkommt, desto höher sein Informationsgehalt. Die (Un)wahrscheinlichkeit einer Nachricht lässt sich nun berechnen; semantische Aspekte spielen hierbei keine Rolle. Dies ist für den Sprachwissenschaftler anders.

Die Information einer Mitteilung, der informationelle Gehalt, liegt gerade in der Reduktion von Ungewissheit. Gegenüber den zufällig verteilten Zeichen liegt der Informationsgehalt einer Botschaft in der Ordnung der Zeichen. Vereinfacht formuliert: Information ist gleich Ordnung der Zeichen. In den angeführten Beispielen 1a-e erhöht die Zunahme der Ordnung den Informationsgehalt. Die damit erhöhte Wiedererkennungsrate hängt von dem Strukturwissen ab, dem impliziten Wissen um statistische Verteilungen (z.B. en = häufig vorkommende Zeichenkette) und syntaktisch-semantischem Wissen, z.B. die ist ein Wort, das ein anderes Wort (ein Nomen) als ›bestimmt‹ spezifiziert. Während in der Informationstheorie allein statistische Aspekte der Zeichen eine Rolle spielen, sind es bei sprachlichen Zeichen auch die semantischen Aspekte. Denn es geht bei der Sprache um die Kodierung von Bedeutungen.

21 Wie hängen Sprache und Kommunikation zusammen?

Sprache ist ein, das Mittel in der menschlichen Kommunikation. Einem Gesprächspartner seine Gedanken, Intentionen mitteilen, kooperativ handeln, seine Gefühle schriftlich mitteilen – für all dies ist die Kommunikation von sprachlichen Zeichen ein effektives Verfahren. Sprachliche Kommunikation ist vielschichtig und komplex, doch ohne sie wäre eine menschliche Gesellschaft kaum vorstellbar, und die Entwicklung des Menschen ist direkt an seine Entwicklung von sprachlicher Kommunikationsfähigkeit gekoppelt (s. Kap. 13).

Das grundlegende Modell für Kommunikation wurde von den beiden Mathematikern Claude Shannon (1916–2001) und Warren Weaver (1894–1978) Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert, wobei insbesondere die mathematische Theorie der Kommunikation von Shannon hierfür relevant ist (s. auch Kap. 20). In dieser Theorie steht die Informationsübertragung im Vordergrund. Es gibt in diesem Modell einen Sender und Empfänger, einen Übertragungskanal und ein Signal, das in kodierter Form vom Sender zum Empfänger gesendet wird. Bezogen auf die gesprochene Sprache bedeutet dies: Der Sender erzeugt mit seinem Sprechapparat ein akustisches Signal, das über die Luft (Informationsträger) vermittelt durch das Ohr des Empfängers wahrgenommen und von den Nervenzellen weiterverarbeitet wird. Das Signal selbst ist vom Sender in spezifischer Form, in sprachlichen Zeichen kodiert. Um die Nachricht entschlüsseln zu können, muss sie dekodiert werden. Bei der Übertragung kann es zu Störungen kommen, wenn z.B. in einer Gesprächssituation Signale verschiedener Sprecher sich überlagern. Interferenzen und Rauschen sind Störungen beim Übertragungskanal.

Бесплатный фрагмент закончился.

765,11 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
491 стр. 153 иллюстрации
ISBN:
9783846341254
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают