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Читать книгу: «Schüchterne Gestalten», страница 13

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Wie im Film wähnte sich Nöthe, fühlte aber immer noch sicher, da er ja seine Kollegen um sich wusste.

Tatsächlich – mit Blaulicht und lautem Getöse umkurvten sie einige Staus, überquerten waghalsig große Kreuzungen und gaben auf der Tangente Richtung Norden Vollgas.

Hoffentlich geht das gut. Nöthe war sich dessen nicht mehr sicher. Verdammt, wo fahren die hin; kennen die überhaupt keine Verkehrsregeln. Nöthe wurde schweißnass.

Weniger Stress mit der Raserei hatten seine beiden Kollegen, die sich auf den Sitzen vorne ganz gut amüsierten und ihre Witze machten. Natürlich in Russisch oder Ukrainisch. Das war Nöthe nicht ganz klar.

Bevor sich Nöthe auf irgendwas einen Reim machen konnte, bogen sie von der Nordwesttangente ab, schnitten dabei mindestens einen Transporter und diverse PKWs. Nöthe beschlich das Gefühl, dass die Arroganz der Macht hier in der Ukraine noch etwas zählt und sich die Polizei weder an Gesetze hält noch die Menschen respektiert. Das Ganze kam ihm bekannt vor. Immer dann, wenn seine Eltern sich in der Zeit ‚vor der Wende‘ gedanklich verlieren, erzählten sie von Einschränkungen, Bespitzelungen und Willkür. Erlebt haben sie es anscheinend nie; es war wohl der Stoff, aus denen Geschichten gesponnen wurden. Trotz allem, die Zeit der Diktatur hat er selbst nur noch ganz schwach in Erinnerung, denn als die Mauer fiel und sich viele Dinge veränderten, trug er noch Windeln. Die zum Kochen selbstverständlich.

„Wir sind da.“ Daniil‘s Kollege riss seine Tür auf und forderte Nöthe auf, auszusteigen. Etwas freundlicher wäre nicht schlecht, dachte sich Nöthe, griff seine Tasche und schwang sich aus dem Auto.

‚Штаб-квартира будівлю моніторингу Львів‘ stand über dem Eingangsportal. Dieses gehörte zu einem eher neueren Gebäudekomplex, welches sich in einen nicht ganz so grauen und heruntergekommenen Zustand befand, wie die Häuser, die Nöthe vom Auto aus gesehen hat. Das Gelände war baulich betrachtet sehr gut gesichert und noch viel besser bewacht. Scheinbar ist das wirklich eine Marotte in Osteuropa, aufgepumpte Glatzköpfe als Sicherheitspersonal anzustellen, die in den Muckibuden nicht nur Eisen stemmen,

Ein weiterer Glatzkopf, aber im eleganten Outfit und von zwei Bodyguards begleitet, kam ihnen entgegen, wechselte im Vorbeigehen mit Daniil ein paar Worte, die Nöthe natürlich nicht verstand. Der streckte instinktiv seine Hand einer Pranke entgegen, die zum Glatzkopf, scheinbar dem Dmytro Lypar gehörte.

Grinsend zerquetschte Lypar Nöthe‘s rechte Hand und tat so, als würden sich beide schon ewig kennen. Im ganz passablen Englisch begrüßte Lypar seinen Besucher aus Deutschland und entschuldigte sich für das Wetter heute. Als wenn der Typ für das Wetter irgendetwas kann oder sogar dafür verantwortlich wäre. Eigenwillige Gesprächseröffnung.

Nöthe verfügte über eine Intoleranz gegenüber selbsternannten Sonnenkönigen. Schon von klein auf, als diese gelackten Herren in den einheitlichen Anzügen bei ihnen zu Hause klingelten und ohne Aufforderung zum Eintreten bereits im Wohnzimmer standen. Sich aufführten, als würden sie bei ihnen wohnen und die Chefs seiner Eltern sein. Er muss mal mit beiden reden, denn Kindheitserinnerungen halten lange an und können im Alter aufs Gemüt schlagen, wenn die nicht irgendwann mal aufgearbeitet werden. Hat Nöthe einmal gehört oder gelesen. Genau weiß er auch nicht mehr.

Jedenfalls muss er so gequält geschaut haben oder er war schon auf dem Weg, in die Knie zu gehen, dass sein Gegenüber ihn abrupt losließ und alle drei Ankömmlinge aufforderte, ihm zu folgen.

Daniil klopfte ihn aufmunternd auf die Schulter und schupste Nöthe in Richtung des Bürogebäudes. Nöthe bekam einen leichten Schock, denn er sah sich in der Rolle eines Gefangenen, der in den Kellern jetzt gefoltert und das Gebäude maximal im toten Zustand wieder verlassen wird.

Du spinnst ja Ben, ermunterte er sich selbst und nahm seinen letzten verfügbaren Mut zusammen und folgte Lypar und dessen Bewacher, eingekreist von Polizisten.

„Jede Woche bekommen wir Besuch aus Deutschland, das ist schön. Wir wollen gerne mit euch Geschäfte machen.“ Lypar eröffnete jetzt offiziell und etwas unbeholfen das Gespräch.

Nöthe hatte sich nervlich in dem Gesprächszimmer wieder im Griff, auch weil nur er und Lypar alleine anwesend waren. Ihm ließ das Gefühl nicht los, dass Lypar entweder noch nicht wusste, was mit seiner Mitarbeiterin passiert oder er tiefer in die Geschichte verstrickt war, als das Ermittlungsteam bis jetzt annahm.

Das finde ich raus!

„Kennen Sie die Frau hier, Herr Lypar?“ Nöthe zeigte ihm ein Foto seiner toten Mitarbeiterin.

Sein Gesprächspartner nahm es in die Hand und blickte recht erstaunt auf die tote Frau.

„Ja, das ist meine Mitarbeiterin, Larissa Kongratuwa. Eine ganz Tüchtige im Vertrieb. Sie ist am Freitag mit dem Vertreter dieser Softwarefirma nach Deutschland gefahren, weil sie dort Vertragsabschluss vorbereiten soll. Sie ist tot!?“

Nöthe rätselte, ob das eine Aussage oder eine Frage war, und war sich dessen nicht sicher. Er ging in die Offensive.

„Herr Lypar, die Frau Larissa...“.

Lypar hilft gerne aus: „Kongratuwa“.

„Die Frau Kongratuwa ist Opfer eines Unfalls geworden und leider verstorben. Wir ermitteln gerade, ob es ein Unfall oder ein Mord war. Deshalb musste ich Sie recht schnell hier treffen. Vielen Dank, dass es geklappt hat.“ Nöthe atmete durch, denn Englisch spricht er nicht jeden Tag.

„Woran ist sie gestorben? Wie ist sie…?“ Lypar verlor kurzzeitig die Geduld; die Schwingungen in seiner Stimme deuteten darauf hin. Toll, die Ausbildung war doch nicht umsonst. Nöthe freute sich, die nonverbalen Signale lesen und interpretieren zu können.

„Sie ist mit Carsten Weilham, so hieß übrigens der Mann von der IT-Firma, in der Nähe von Vesberg mit dem Auto in einen Unfall geraten. Leider haben beide das nicht überlebt und waren sofort tot.“ Die wahren Todesursachen mochte er nicht preisgeben.

„Sofort?“ Lypar nickte nachdenklich und sinnierte, „Beide? Sofort tot? Was war das dann für ein Unfall?“

„Ein Autounfall eben...“ Nöthe wollte einfach nicht mehr preisgeben.

„Aber das Tier, warum war es dort?“

Upps! Was ist hier los? Der weiß ja viel mehr. Er weiß schon länger, dass seine Mitarbeiterin tot und macht ihm gegenüber auf überrascht. Nöthe ersann eine neune Strategie; ich muss ihn aus der Reserve locken.

„Herr Lypar, wie haben Sie erfahren, dass Ihre Mitarbeiterin tot ist?“

„Herr Weilham rief mich am Sonnabend an und erzählte, was passiert war. Er sagte auch, dass der andere Herr Weilham nicht im Auto, sondern im Wald gestorben ist.“ Lypar blickte dazu, aber durchaus angriffslustig in die Augen von Nöthe. Nicht lange, denn abrupt sprang er auf, schlug mit der Hand auf den Tisch und schrie: „Sagen Sie mir, warum Larissa sterben musste?“

Die Tür sprang auf und seine Bodyguards, gefolgt von der Trachtengruppe stürmten in den Raum. Lypar, wieder ganz ruhig, hielt per Handzeichen alle auf, die prompt stehen blieben.

„Es ist alles gut, ich habe mich nur aufgeregt. Mehr nicht. Lasst uns alleine.“ Diese kurze Anweisung reichte und sie waren wieder zu zweit im Raum.

„Herr Lypar, wir haben noch am Freitag die Ermittlungen aufgenommen, um genau das ganz schnell herauszubekommen. Deshalb muss ich ihnen einige Fragen stellen. Wollen Sie uns helfen?“

Weil Lypar nur kurz nickte, stellte Nöthe seine Fragen: „Kennen Sie Igor Abtowiz?“ Kein Wort zu viel, dachte er sich. Sollte Lypar doch rätseln.

„Abtowiz? Nein, wer soll das sein? Ein Russe? Wenn das einer ist, dann gehen Sie davon aus, dass er bestimmt nicht zu meinen Freunden gehört.“ Lypar hatte offensichtlich keine Ahnung von Abtowiz.

Ein paar Informationen können ja nicht schaden, dachte sich Nöthe.

„Er ist Pole, war während der kommunistischen Herrschaft bei der Sicherheit und ist danach nach England gegangen, um dort seine Geschäfte zu machen. Primär Prostitution, vielleicht auch Drogen. Das ging schief und er nach Vesberg. Jetzt macht er so etwas Ähnliches wie Sie hier. Gebäudesicherheit, Überwachung und so.“

„Das ist mir egal, ich kenne den Menschen nicht. Hat er was mit dem Unfall zu tun? Ich kümmere mich um den.“ Kurz hielt Lypar inne. „Das ist wohl kein Unfall gewesen? Stimmt‘s?“

„Das wissen wir nicht. Sagt Ihnen die Firma ‚Safety Objects‘ etwas, Herr Lypar?“

„Nein auch nicht, warum? Auch so eine Gebäudesicherheitsfirma? Aus England?“

Jetzt log Nöthe etwas: „Wir ermitteln noch und können dazu noch nichts sagen. Ich dachte, Sie können uns helfen und mir etwas zu dieser Firma erzählen? Man kennt sich doch in der Branche, oder nicht?“

Keine Reaktion von Lypar. Das gefiel dem deutschen Polizisten nicht. Nöthe überlegte gerade, mit welchem Schachzug er seinen Gesprächspartner aus der Reserve locken könnte, aber da übernahm dieser wieder das Wort. Zögerlich.

„Ich glaube, der Weilham von der IT-Firma hat diese Firma erwähnt. So als Referenz glaube ich. In meinem Büro liegen noch ein paar Unterlagen; ich kann die holen lassen.“

Darauf wollte Nöthe jetzt nicht eingehen. Er machte mit seinem Fragenstakkato weiter.

„Wie haben Sie eigentlich die Firma CodeWriter kennengelernt? Die sind ja kein Weltkonzern, da muss man schon genau recherchieren, um so eine kleine Firma zu finden?“

„Da war Anfang des Jahres in Polen, in Krakau eine Fachmesse. Wir sind hingefahren und haben uns die Software für die Überwachung von denen angeschaut. Danach haben wir Informationen aus Deutschland bekommen und über das Internet wurde uns die Software in allen Details vorgestellt. Wir haben uns dann entschieden, nicht nur auf Bodyguards zu setzen, sondern mit guter Technik und Software besser zu sein, als die anderen. Irgendwann wurde es dann konkret, sodass Weilham uns letzte Woche besuchte, um Gespräche über den Vertrag, natürlich über den Preis und andere Konditionen und Bedingungen zu führen. So macht man bei uns seriöse Geschäfte, bei euch etwa nicht?“

Lypar zeigte mit seiner Körpersprache, dass er seine innere Unruhe abgelegen konnte und jetzt wieder ganz der Geschäftsmann mimte. Er war es ganz offensichtlich gewohnt, die Gesprächsführung bei sich zu behalten und nicht auf die Fragen eines Polizisten antworten zu müssen. Sofern er es nicht wollte.

Trotzdem, die Fragen stelle ich, dachte sich Nöthe.

„Kennen Sie einen Karl Hausmann?“

Lypar dachte kurz nach, und schien seine Antwort sich genau zu überlegen. Diese kam für Nöthe eine Spur zu langsam, sodass er aufmerksam wurde: Der verbirgt etwas.

„Ja klar, er ist einer der beiden Chefs von der IT-Firma, von CodeWriter. Ich traf ihn einmal auf dieser Messe in Krakau. Netter Mensch, guter Geschäftsmann denke ich.“

Da haben wir es doch – Hausmann auf einer Vertriebsmesse? Soweit Nöthe wusste und die Ermittlungsunterlagen richtig gelesen hatte, war Hausmann gelegentlich als Redner auf wissenschaftlichen Fachmessen engagiert, um CodeWriter als Hersteller individueller Software, gerade für wissenschaftliche Belange, zu empfehlen. Mehr aber auch nicht. Auf einer Vertriebsmesse? Davon hörte oder las Nöthe bisher noch nichts.

„Wissen Sie Herr Lypar, ob CodeWriter in der Ukraine schon Geschäftspartner hat? Oder wären Sie der erste Vertragspartner hier?“

Lypar hatte bemerkt, dass Nöthe zwischenzeitlich in seinen Gedankengängen gefangen war und offensichtlich im Kopf seine Aussagen mit Ermittlungsergebnissen abglich. Anscheinend stieß er wohl auf Unstimmigkeiten.

„Soweit ich weiß nicht. Die wollten sich stärker nach Osteuropa ausbreiten, um neue Kunden zu gewinnen. Ist ja okay, immerhin dehnt sich die EU ja auch immer weiter nach Osten aus. Eines Tages sind wir auch in der EU und Geschäfte miteinander zu machen wird immer einfacher. Soweit der Weilham gesagt hat, gibt es wohl einen ersten Kunden in Moldawien, glaube ich zumindest zu wissen. Sollte doch leicht sein für Sie, das herauszufinden.“

Nöthe nickte zufrieden: „Okay, das bekommen wir schnell raus. Wann haben sie Hausmann zuletzt gesehen?“

So, und jetzt sag nichts Falsches mein Lieber. Nöthe richtete sich gespannt auf und erwartete die Antwort.

Lypar schien nachzudenken, viel länger als man normalerweise annehmen würde und sich seine Antwort zurechtzulegen. Mal wieder, dachte sich Nöthe.

„Vor zwei Wochen etwa, in Südamerika. Hausmann wusste, dass wir nahe dran waren, uns zu entscheiden und wollte wohl noch etwas nachhelfen und sicher gehen, das Nichts mehr schief. Er machte dort gerade Urlaub und mich eingeladen, eine Runde Golf miteinander zu spielen. Glauben Sie mir, dass machen alle Geschäfteleute weltweit so. Ich bin runtergeflogen und wir waren einige Tage zusammen, auf dem Golfplatz, haben eine Amazonas-Safari gemacht, gut gegessen und viel getrunken. Ich hab doch gesagt, interessanter Mann die Hausmann.“

Wieso hat Weilham uns nichts davon gesagt? Er ruft hier bei Lypar an und informiert diesen über den Tod seiner Mitarbeiterin, während Lypar sich mit Hausmann in Südamerika rumtreibt. Na ja, nicht zur gleichen Zeit, aber erst vor kurz davor.

„Ich gehe doch davon aus, dass Herr Weilham von Ihrem Treffen mit Herrn Hausmann informiert war.“

Nöthe ließ ganz bewusst die Frage so offen, dass sie als Aussage, als Feststellung im Raum stand. Jetzt lag es an Lypar, darauf einzugehen und die These richtigzustellen.

Lypar dachte aber nicht daran und entschied für sich: Wo keine Frage, da keine Antwort.

Leicht angesäuert saß Nöthe nun da und war mit sich unzufrieden. Ihm wurde viel zu spät klar, dass er eine gute Chance leichtfertig vergab. So einfach ließ sich Lypar keine weiteren Informationen entlocken.

Er musste es anders versuchen. „Sagen Sie Herr Lypar, wie lange gibt es Ihre Firma schon? Das Gebäude sieht recht neu aus. Laufen Ihre Geschäfte hier gut?“

Aber Lypar war zu erfahren, als dass er Nöthe den Gefallen tat, umfassend zu antworten. Stattdessen verlor er sich in Banalitäten: „Wir expandieren hier schon länger und sind erst im Sommer in diese Gebäude eingezogen. Wir Ukrainer bereiten uns auf den Eintritt in die EU vor. Ihr Deutsche wollt doch immer, dass die neuen Länder in Europa wirtschaftlich stark sind.“

„Schon, schon, aber was haben Sie vorher gemacht? Bevor es diese Firma hier gab? Können Sie mir dazu etwas sagen?“

Nöthe wollte unter allen Umständen irgendetwas aus seiner Vergangenheit herausbekommen. In Osteuropa kommt niemand mal soeben wie ein Phönix aus der Asche. Entweder hatte Lypar allerbeste Verbindungen zum Staat, weil er damals vielleicht mit dazu gehörte, oder aber er war und ist noch immer skrupellos, um mit dunklen Geschäften zu jeder Menge Geld zu kommen.

Lypar grinste ihn aber nur an und verlor augenscheinlich die Lust an diesem Gespräch. Nein, diesem Deutschen wird er nichts mehr sagen, befand er einfach.

Nöthe musste einen letzten Versuch starten, seinen Gastgeber aus der Reserve zu locken.

„Sagen Sie, waren Sie schon einmal in Vesberg? Wenn ja, wann und warum?“

Kurz entglitten Lypar jetzt doch die Züge, aber ebenso schnell hatte er sich wieder im Griff.

„Herr Inspektor“, fast väterlich war jetzt der Ton, „das hat doch mit diesem Unfall, oder sagen wir doch besser Mord, nichts zu tun. Also kann ich dazu Ihnen überhaupt nichts sagen.“ Das Grinsen in seinem Gesicht wurde immer breiter.

„Gut, halten wir fest: Sie waren noch nie in Vesberg, kannten vorher Karl Hausmann nicht, auch keinen Kurt Stahlburg. Und die Weilham's sind Ihnen zum ersten Mal in Krakau begegnet.“

Ist doch gut, wenn man zwischendurch bei seiner Truppe anrufen kann. Denn seine Kollegin erklärte ihm das Wichtigste in drei Sätzen zum Dr. a. D.

„Jetzt ist aber gut. Ich habe Ihre Frage nicht beantwortet, soweit ich mich erinnere. Also gibt es nichts festzuhalten. Klar?“ Lypar legte sein Grinsen ab und wurde richtig unruhig, eher ungeduldig und dabei beinahe so laut, dass Nöthe befürchten musste, erneut Bekanntschaft mit den Wachhunden des Firmenchefs zu machen.

Nöthe hielt stand.

Wenn er etwas in seinen jungen Jahren gelernt hat, dann vor allem seinen Standpunkt zu vertreten, nein durchzusetzen. Er wird Ulrich und Remsen schon noch zeigen, dass er nicht nur ein kleiner Assistent ist. Nöthe kann mehr.

Lypar nutzte die Nachdenkpause seines Gegenübers und sah die Chance gekommen, Nöthe hinaus zu komplimentieren.

„Wenn Sie jetzt keine weiteren Fragen mehr hätten, würde ich mich gerne wieder meiner Firma widmen. Ich habe jede Menge zu tun. Vielen Dank.“

Stil hat er ja, dachte sich Nöthe und zog seinen letzten Trumpf, mit dem er hoffte, Lypar zu verunsichern und an Informationen ranzukommen.

„Dr. Kurt Stahlburg, der Name sagt Ihnen wirklich nichts?“

„Nein, überhaupt nicht. Wer soll das sein? Ein Arzt bei Ihnen oder wo oder was?“ Lypar war mehr als gereizt, denn Nöthe wagte es, seine Autorität zu untergraben und sich dem Willen seines Gesprächspartners nicht zu beugen.

„Und Grundberg?“

„Raus jetzt!“ Lypar explodierte und sofort waren seine Bodyguards zur Stelle.

Nöthe blieb stur und ließ nicht locker. „Es würde mich interessieren, ob Sie einen der beiden kennen. Sie wollen doch wissen, wer Larissa Krum...“

„Kongratuwa!“

„...warum Ihre Mitarbeiterin Kongratuwa sterben musste oder etwa nicht?“

Da Lypar definitiv keine Anstalten mehr machte, zu antworten, sann Nöthe über eine Strategie nach, wenigstens als Sieger das Feld zu räumen. Er schien davon überzeugt, mit seiner Art der Interviewführung einem Ganoven der Lemberger Unterwelt den Schneid abgekauft zu haben.

Im Rausch seines vermuteten Sieges fiel ihm beim Rausgehen seine mutmaßlich allerletzte Frage ein.

„Sagen Sie Herr Lypar“, Nöthe blieb stehen, drehte sich um und stierte Lypar in ganz kurzer Entfernung direkt in die Augen, „erzählte Ihnen Herr Weilham auch, dass er bei diesem Unfall seinen Sohn verloren hat. Wir haben hier zwei Tote und ermitteln wegen zweifachen Mordes.“

Lypar nahm diese Nachricht so auf, als wisse er es tatsächlich nicht.

Großer Schauspieler oder tatsächlich betroffen? Nöthe konnte zunächst Lypars Verhalten nicht einordnen, denn dieser ließ sich schwer beeindruckt auf dem nächsten Stuhl wieder. Zumindest waren jetzt beide Augenpaare in etwa auf gleicher Höhe. Denn Nöthe übersah unter dem Einfluss jeder Menge Adrenalins völlig, dass Lypar gut 1,95m, also einen ganzen Kopf größer war.

Aber viel mehr beschäftigte er sich mit der Frage, warum der Tod seines Geschäftspartners Lypar offensichtlich sehr nahe ging und vor allem, warum dieser davon noch nichts gewusst haben wollte. Ist es nur das entgangene Geschäft, wobei das ja durchaus noch zustande kommen kann, oder steckte da mehr dahinter?

Nöthe stellte sich gerade die Szene vor, in der ein Boxer nach einigen selbst eingesteckten Schlägen seinen Gegner ziemlich am Boden hatte.

Er grinste.

„Wann geht Ihr Rückflug, Herr Inspektor?“ Lypar und diese unerwartete Frage. Von einer Sekunde auf die nächste war es jetzt Nöthe, der zumindest irritiert schaute.

„Am späten Nachmittag. Warum?“

„Lassen Sie uns was essen, ich glaube ich muss Ihnen einige Dinge erklären. Die Streife haben wir schon weggeschickt, ich lasse Sie nachher zum Flughafen bringen.“

Obwohl Nöthe das erst einordnen wollte, ließen ihn die Bodyguards des Firmenchefs dazu keine Zeit, sondern drängten zu einem Monstrum von Auto, einen Cadillac wie Nöthe sah. Er erinnerte sich, einmal auf der Automesse in einem Escalade gesessen zu sein; das hier könnte auch so einer sein.

Er nahm auf der hinteren Reihe Platz oder besser er schob sich auf den Platz, den ihn einer der unfreundlichen Muskelmänner zuwies. Nach einiger Zeit kam dann auch Lypar. Der stieg ein und setzte sich neben Nöthe.

Das Gefährt setzte sich in Bewegung: Alles war schwarz, natürlich. Gespiegelte Scheiben und jede Menge edles Design und schwarzes Leder prägten das Bild des Cadillacs. Jetzt war sich Nöthe sicher: Es ist ein Escalade, eines der größten Autos, die er gesehen hatte.

Und in eines, welches er nicht einsteigen sollte…

Mitten in seinen Gedanken beschlichen Nöthe einige Ängste. Das Ganze hier kam ihm wie in einem schlechten Film vor. Wahrscheinlich bringen sie ihn jetzt in einen Wald und dann ... Nein, das glaubte Nöthe nicht. In Vesberg und hier bei der Polizei wissen alle, dass er hier ist. Lypar kann ihn nicht einfach verschwinden lassen; das würde sofort auffliegen. Obwohl – sicher ist er sich mit jedem gefahrenen Kilometer mit mehr.

Lypar selbst machte keine Anstalten, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Also versuchte Nöthe sich in Konversation: „Wohin fahren wir eigentlich? Ist das weiter weg vom Flughafen?“

Lypar starrte aus seinem Seitenfenster und antwortete nur kurz: „Nein, wir sind gleich da. Ein Restaurant mit dem besten Essen in Lemberg. Und den besten Service.“ Beim letzten Satz grinste Lypar, für Nöthe nicht erkennbar, in sich rein.

Lange dauerte die Fahrt nicht. „Okay, wir sind da.“ Das Ungetüm hielt vor einem Restaurant, welches für Nöthe eher als Rotlichtlokal durchgehen würde. Egal, vielleicht ist es drinnen wirklich ganz angenehm.

Während Nöthe noch immer unsicher war, ob er wirklich aussteigen sollte, befand sich Lypar schon auf dem Weg. Offensichtlich wurde er erwartet, denn kaum als sie hielten, kamen zwei Damen heraus und winkten dem Ungetüm von Cadillac zu. Eher Lypar.

Der Bekleidung und Aufmachung nach zu urteilen war Nöthe sich jetzt ganz sicher: Lypar wollte mit ihm in einen Puff. Allerdings ließ ihn einer der Bodyguards keine weitere Zeit zum Nachdenken und drängelte Nöthe, auszusteigen und Lypar zu folgen.

Augen zu und durch, war jetzt seine Devise. Welches Interesse sollte dieses ukrainische Zwielicht haben, ihn nicht seinen Flieger erreichen zu lassen?

Rein jetzt!

Schweißnass, gepaart mit einer Heidenangst betrat er das angebliche Restaurant. Im Inneren angekommen, wurde er gleich von zwei äußerst netten Frauen in Empfang genommen. Das sind ja fast noch Mädchen; da war er sich sicher. Er versuchte dennoch, einen Eindruck vom Etablissement zu erhaschen, und stellte fest, dass es sich wohl doch um ein Restaurant handeln musste. Es standen Tische und Stühle herum, vereinzelt Gäste waren anwesend und es roch gut. Allerdings war ihm r beim ersten Rundblick entgangen, dass die Gäste augenscheinlich nicht mit ihren Frauen, sondern eher mit dem leicht bekleideten Personal an den Tischen saßen. Dem armen Nöthe blieb wenig Zeit zur Orientierung, denn seine weiblichen Begleiter hingen sich an ihm und zogen ihn, Lypar folgend, in eine Art Nebenraum; Separee oder was auch immer. Eine Welt von der Nöthe bisher nur hörte, tat sich mit einem Mal auf. Unsicher, ja verängstigt, folgte er den Anweisungen seines Gastgebers. Lypar spielte in Nöthe‘s Wahrnehmung zumindest bisher diese Rolle; er sollte das korrigieren. Der zeigte inzwischen kaum noch Interesse an dem Wohlergehen seines Gastes aus Deutschland, da er sich für Nöthe‘s Verhältnisse hemmungslos dem weiblichen Personal hingab.

Nöthe wusste, dass noch genug Zeit bis zum Abflug blieb. Jedoch sann er danach, um aus dieser, für ihn nicht einzuordnenden, Situation so schnell wie möglich rauszukommen. Vielleicht könnte er sich ein Taxi rufen lassen ...

Ein Blick in Richtung Tür sorgte für eine glatte Vereisung des Gedankens: Einer der Muskelfratzen befolgte ganz sicher die Anordnung, ihn nicht durchzulassen. Jedenfalls fixierte ihn Mr. Universum ausdrücklich unfreundlich.

Eine seiner Begleiterinnen gab sich zudem allerbeste Mühe, dass er sich rundum wohl fühlte. Das Glas kann man ja annehmen, welches sie ihm reichte. Allerdings hatte er noch nie etwas mit einer Nutte zu tun, sodass er keine Erfahrungen besaß, wie er auf ihre intensive Anmache reagieren sollte. Und dass sie ganz eindeutig eine Nutte war, davon ging Nöthe aus.

Na ja, ganz hübsch ist sie schon. Warum eigentlich nicht?

...dachte sich Nöthe noch, als er plötzlich recht müde wurde. Mit einem hübschen Mädchen im Arm wäre doch eine tolle Geschichte, sich etwas auszuruhen. Der Tag war lang, sein Flieger war am Morgen ganz früh der Erste. Sie bemühte sich doch so sehr um ihn. Nein, das konnte Nöthe nicht unbeantwortet lassen.

Es war so schön, so bequem, so weich und einfach nur herrlich. Nöthe‘s Gedanken kreisten um Schlaf, um Liebe machen, um gutgehen lassen.

Betrunken!

Ja, er war wohl betrunken. Ein Glas kann doch nicht schaden. Ich will noch etwas haben, war sein Wunsch, den ihm niemand mehr erfüllte.

Nöthe schlummerte in den Armen seiner außerordentlich hübschen Begleitung ein. Die Welt kann doch so schön sein, sogar hier in der Ukraine ...

Jutta Kundoban war in die Falsbacher Straße gefahren und hielt am Tresen des Eingangs vom Landgericht dem Bediensteten ihren Dienstausweis vor die Nase. Das Gebäude ist eines dieser Bausünden aus der DDR-Zeit: Ein hässlicher Betonkasten, mehr grau, eher in einer Farbe für die es keine RGB-Farbpalette gibt. Wer diese Farbe jemals erfunden hat, müsste heute den Preis für Augenkatarrh täglich 12 Stunden durch die Stadt spazieren tragen, eigenhändig und ohne Pause.

„Kundoban, Mordkommission, Arkadenstraße, W36. Ich möchte jemanden sprechen, der sich mit Wirtschaftsverfahren vertraut ist und zur Firma CodeWriter mir Auskünfte geben kann. Die sind in Verfahren mit Kunden verwickelt und wurden verklagt.“

Sichtlich überfordert bewegte sich der Mann erst einmal nicht.

„Hallo, habe ich Sie gerade geweckt oder was?“

Doch, er lebte und bewegte sich. Langsam zwar, aber eindeutig erkennbar.

„Nur weil Sie von der Polizei sind, müssen Sie mich nicht gleich beleidigen. Ich überlege gerade, wen ich anrufen könnte.“

Das war’s. Andere Synapsen, auf ‚langsam‘ eingestellt, beamtentauglich.

Kundoban brachte keine Lust für diese Spiele auf. Ungeduldig trommelte sie mit der rechten Hand auf den Tresen. „Es wird doch mal möglich sein...?“

Weiter kam sie nicht, denn der Beamte im Eingangsbereich machte Anstalten, aufzustehen. Mehr als ein Versuch – mehr kam dabei nicht heraus. Er schien keinerlei Motivation zu verspüren, seinen beträchtlichen Leibesumfang wegen einer nervösen Polizistin überanstrengen zu wollen.

Nicht er!

Nicht in seinem Alter!

Nicht so kurz vor der Pensionierung!

Doch, er schaffte es, einen rechten Arm nahezu waagerecht anzuheben: „Da entlang, dritte Etage. Aber vergessen Sie es, der Lift geht seit der Wende nicht mehr.“

Kundoban verzichtete auf jede Form einer Danksagung und stapfte in die dritte Etage zur Wirtschaftskammer. Dort kam ihr eine junge freundliche Angestellte mit jeder Menge Akten unterm Arm entgegen und half ihr auf der Stelle.

Recht unkompliziert und vor allem in angemessen kurzer Zeit saß sie einem Dr. Bachmann gegenüber.

„Vielen Dank Herr Dr. Bachmann, dass Sie sich so schnell für mich Zeit nehmen.“ Bachmann war Richter für Wirtschaftsdelikte am Landgericht in Vesberg, sah ganz adrett aus und muss ein Westimport sein.

Als Kriminalassistentin lernte sie früh, bei Erstbegegnungen von dem Gegenüber ein Ad-hoc Profil zu erstellen. Der erste Eindruck ist unschlagbar, wenn es darum geht, einen Menschen einzuordnen. Ihre Erfahrungen zeigen, dass sie mit dieser Fähigkeit durchaus sehr weit kommt.

Seit Bachmann die Polizistin sah, war er sofort in den Flirtmodus gegangen und versuchte alles, um seiner Gesprächspartnerin zu beeindrucken. Der Kundoban ging diese Balz so langsam auf die Nerven; sie musste bei Gelegenheit gegensteuern.

„Das ist doch kein Problem, Frau Kommissarin. Wir leisten sehr gerne und unkompliziert Amtshilfe. Was kann ich für Sie denn tun“?

Nein, kein Westimport. Dieser Dialekt ist heimisch, wie der ihrige auch. Warum eigentlich muss man nach 20 Jahren noch immer zwischen Ossi und Wessi unterscheiden? Noch nie war ihr klar, warum seid dieser Wende die Leute hier einen Volkssport daraus machen. Sie nahm vor, einmal mit ihren Eltern darüber sprechen. Wenn sie Zeit hat, zwischen den Jahren vielleicht.

„Wir ermitteln in zwei Mordfällen. Sie haben sicher von dem Autounfall am Freitagabend auf dem Autobahnzubringer gehört. Wie sich herausgestellte, waren fremde Kräfte am Werk, um dem Junior vom Chef der CodeWriter und dessen Begleiterin…“

„Ich hab davon gehört, aber dass es Mord sein soll? Ist nicht der Hauptkommissar Remsen mit der Leitung der Aufklärung beauftragt? Warum begleitet er Sie nicht?“

Kundoban biss sich auf die Zunge.

So ein blöder Typ.

Ossi und arrogant.

Kreuzdämlich dieser Mensch.

„Ich soll Ihnen einen Gruß ausrichten, aber diesem üblen Stahlbetonbau aus grauer Vorzeit wollte er dann doch keinen Besuch abstatten. Sie verstehen?“

Ein Grinsen huschte über Dr. Bachmanns hohe Wangenknochen, die er extra dazu anspannte. Klug, die Kleine.

„Worum geht es genau?“

„Der Tote ist Carsten Weilham, Account Manager der CodeWriter GmbH. Die Tote war seine Begleiterin im Auto, eine Ukrainerin.“

Dr. Bachmann zog erneut sein Grinsen auf, dieses Mal etwas breiter: „Verstehe.“

„Sie verstehen nichts. Sie war nicht Weilham's Geliebte, sondern seine Geschäftspartnerin. Ebenfalls Account Managerin eines neuen Kunden von CodeWriter. Aus der Ukraine.“

„Ja, ja. Heutzutage lässt sich doch problemlos beides miteinander verbinden.“

Kundoban explodierte: „Warum seid Ihr Männer immer so schwanzgesteuert?“

Ihr Gesprächspartner wurde etwas rot, kurzzeitig nur, dann fasste sie sich wieder. Kundoban weiter: „Wir ermitteln in alle Richtungen und haben von einem Journalisten erfahren, dass die Firma CodeWriter mit Kunden über Kreuz liegt und verklagt wurde. Genaues würde ich gerne hier erfahren. Ich weiß bis jetzt nur, dass es ein Verfahren mit der Firma Safety Objects geben soll. Wissen Sie etwas davon?“

Dr. Bachmann ließ sich jetzt auffällig viel Zeit und schien seine Antwort genau abzuwägen. „Ja, ich selbst habe in zweiter Instanz eine Klage verhandelt, die von Safety Objects eingebracht wurde. Recht unschön das Ganze, kann ich Ihnen sagen.“

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