Читать книгу: «Schüchterne Gestalten», страница 10

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„40 bitte; 40 Stunden ist die Tat etwa her, dazwischen zwei Nächte und ein ganzes Wochenende.“ Kriminaloberkommissar Ulrich setzte auf Deeskalation, wohlwissend, dass auch er noch nicht mehr Informationen zur Aufklärung beisteuern konnte.

„Wir haben eine PK, mit Fernsehen. Heute Abend sehen die da draußen, wie dilettantisch die Mordkommission in Vesberg arbeitet. Und ich soll das vertreten?“

Wenn Stiegermann so weitermachte, kollabiert der Mensch und die PK findet tatsächlich ohne ihn statt. Eine amüsante Vorstellung, wie Remsen fand, denn prinzipiell gehört ein schreiender Staatsanwalt nicht in die Öffentlichkeit. „Hören Sie: Die Tote ist eine Ukrainerin. Gleich den großen Fall dahinter zu vermuten, klingt eher nach Karrieregeilheit. Vielleicht war das ein Auftragsmord von jemandem, der mit CodeWriter oder dem Weilham über Kreuz lag. Wir haben das Umfeld ausgeleuchtet und noch nicht viel gefunden. Weilham's Frau, ich meine die Junge, sprach von einer intakten Familie und ein Umfeld mit dem üblichen Stress.“

„Remsen, das klingt ja alles ganz toll. Darf ich das der Presse nachher erzählen?“

„Das kann der Herr Krimimalrat machen, der hätte nicht so viele Probleme damit. Wenn Sie aber auf Fahndungserfolge aus sind, die Sie verkaufen wollen, dann denken Sie sich was aus. Meinen Segen haben Sie dabei jedenfalls nicht.“ Remsen fand Gefallen an dem Spiel und trieb inzwischen Stiegermann vor sich her. Nur merkte der das noch nicht.

„Vergessen Sie es Remsen. Sie machen da. Ich will Sie dort oben auf der Bühne haben. Sie werden Rede und Antwort stehen und schön auf die Fragen antworten. Zeigen Sie der Öffentlichkeit, wie wenig Sie an zwei Tagen zustande bringen. Versager.“ Man sollte Stiegermann irgendwelche Tabletten besorgen; die könnte er bei dem roten Kopf jetzt gut brauchen, befand Remsen.

Die anderen im Raum haben sich wohlweislich aus dem Streit herausgehalten. Entweder trauten sich Ulrich und Dietering nicht, dem Staatsanwalt Paroli zu bieten oder aber sie waren selbst mit der bisherigen Arbeit nicht zufrieden und hatten für den Streit nicht das richtige Blatt. Soll Remsen doch den ‚Bad Guy‘ spielen und allein den Schutzwall für die Mordkommission bilden. Immerhin ist er deren Leiter.

Der legte aber kräftig nach. „Während Sie Herr Staatsanwalt den Sonnabend im Wellnesstrakt eines Bordells hinter der Grenze verbracht haben, haben wir noch nicht einmal die eigenen Betten seit Freitagabend gesehen. Die Gerichtsmedizin hat gestern ganze Arbeit geleistet und uns ganz genau die Todesursachen erläutert. Wir haben die letzten Tage des Toten, sein Umfeld, seine Freunde und Feinde beleuchtet. Alles harte Polizeiarbeit, Herr Staatsanwalt. Nichts, aber auch gar nichts wird uns geschenkt. Was meinen Sie, wie viele Leute da draußen für uns Akten studieren, Informationen auswerten und Protokolle verfassen. Haben Sie jemals den Stallgeruch von Ermittlungsarbeit in der Nase gehabt?“

„Was interessiert mich Ihr Stallgeruch? Sie könnten übrigens durchaus mal eine Dusche vertragen, Remsen.“

Remsen drehte sich jetzt tatsächlich um und sah sein Gegenüber ins Gesicht. Er starrte ihn verächtlich an und machte Stiegermann damit klar, was er von ihm hielt.

„Wenn Sie bei der PK schmückendes Beiwerk brauchen, dann bedienen Sie sich draußen im Gewerbegebiet-Nord. Da im Thai-Puff werden Sie ganz sicher fündig. Wegen dem Stallgeruch müssten Sie allerdings die Nase nicht so hochtragen; die Damen dort sollen etwas kleiner sein. Einen schönen Tag noch.“

Während der Staatsanwalt vor einigen Minuten seinen ganz speziellen Auftritt zelebrierte, gönnt sich Remsen jetzt seinen Abgang. Gelassen, nahezu majestätisch ging Remsen auf die Tür zu, der er ganz andächtig öffnete und kräftig wieder zuschlug, als der draußen auf dem Flur war.

Your Mind is on Vacation‘, sang Van Morrison Mitte der 1990er. Und wird wohl auch nicht mehr wiederkommen, davon war Remsen fest überzeugt.

Was jetzt? Einen Plan B hatte auch Remsen auf die Schnelle nicht. Er sollte mal mit Van Morrison telefonieren, vielleicht fällt ihm ein Song dazu ein. Apropos einfallen: Er könnte sich ja einen ruhigen Sonntagabend machen und die noch ungeöffnete DVD ‚Live at the Hollywood Bowl‘ von ihm anschauen. Das wäre doch ein guter Plan B für heute. Die Ironie in der Idee erkannte Remsen erst später.

Die zum Nachmittag angesetzte Pressekonferenz wurde wie erwartet ein Fiasko. Oben auf dem Podium saß neben dem Staatsanwalt Stiegermann und Kriminalrat Dietering noch Kriminaloberkommissar Ulrich. Dietering gab der Kriminalassistentin Kundoban für den Rest des Tages frei. Er war davon überzeugt, dass die nächsten Tage von der Mordkommission insgesamt und auch von Jutta Kundoban jede Menge abverlangen werden. Sie war schon das ganze Wochenende voll im Einsatz, sodass einige Stunden Freizeit ihr sicher guttun würden.

Er rechnete jedoch fest mit Remsen, der mit Sicherheit die meisten Fakten beisteuern könnte. Auf seine spezielle Art, eine Mischung aus kumpelhaftem Gehabe und freundlich bestimmten Ausweichen von Antworten auf messerscharf gestellte Fragen schaffte er es immer wieder, die Pressemeute auf Distanz zu halten. Remsen ließ dabei nie ein Zweifel aufkommen, dass die Kollegen der W36 hoch professionell und mit Engagement ihrem Job nachgehen.

Dietering versuchte nach dem Crash mit Remsen, den Staatsanwalt zu besänftigen. Er musste bis zur Pressekonferenz Ruhe reinbringen und sich vor allem um Remsen kümmern. Einerseits brauchte er ihn; ihn, den erfahrenen und in vielen Hamburger Jahren gestählten Ermittler. Ja, er war schon sehr eigenwillig; deshalb akzeptierte ihn überhaupt nicht. Andererseits kollaborierte er durchaus mit seinen Kollegen und gab vielen Ermittlungen mit seinen unkonventionellen Ideen immer wieder den entscheidenden Kick. Wenn Remsen bei den Ermittlungen mitmischte, konnte Dietering eine recht hohe Erfolgsquote nachweisen. Auch und vor allem in seinem eigenen Interesse.

Remsen aber war nach dem Streit mit Stiegermann von der Bildfläche verschwunden. Sein Handy war aus, sein Büro unbesetzt und zu Hause schaltete sich der Anrufbeantworter ein.

Dietering konnte Remsen durchaus verstehen. Torsten Stiegermann war karrieregeil und menschlich ein widerlicher Kerl. Im Grunde wusste das jeder im Kommissariat und bei der Staatsanwaltschaft, aber nur Remsen traute sich, seine Antipathie offen zu zeigen.

Das Ganze interessierte ihn jetzt nicht, er brauchte Remsen für die PK. Der Pager war die letzte Möglichkeit, ihn direkt zu erreichen. Remsen durfte den Pager nie ausschalten; eine der wichtigsten Regeln bei der Mordkommission. So ließ er Remsen anfunken und hoffte auf dessen Rückmeldung; kurzfristig oder besser sofort.

Remsen meldete sich nicht.

Der Presseraum war für einen Sonntag sehr gut gefüllt. Es waren die üblichen Verdächtigen der Boulevardpresse, aber auch Journalisten seriöser Zeitungen erschienen. Sogar drei Fernsehsender beorderten Kamerateams in die PK. Vor dem zentralen Platz auf dem Podium war eine ganze Batterie von Mikrofonen aufgebaut.

Dietering und Ulrich standen etwas abseits und redeten aufeinander ein. Der Kriminalrat verlegte sich auf die Strategie, eine simple Erklärung rauszugeben, die Ulrich auf die Schnelle verfasste. Weiteren Fragen wollte Dietering nur wenig Zeit einräumen, denn er war davon überzeugt, dass bei dem Aufgebot auf beiden Seiten die Mordkommission kaum Chancen haben dürfte, als Sieger aus der PK hervorzugehen. Außerdem war es noch nie seine Stärke, auf spontane Fragen genauso spontane Antwort zu geben. Er kannte seine beiden Mitstreiter nur zu gut und wusste, dass sich beide im Zweifel hinter ihm verstecken würden.

Remsen tauchte nicht mehr wie erhofft auf, dafür betrat Staatsanwalt Stiegermann unmittelbar vor Beginn der PK den Presseraum, schritt entschlossenen Schrittes nach vorne und nahm auf dem Podium rechts außen Platz. Ganz passend, fiel Dietering dazu nur ein.

Der Kriminalrat verlas im monotonen Ton die von Ulrich verfasste Erklärung. Ohne Emotionen. Ohne den Anschein zu erwecken. Ohne PK unnötig in die Länge zu ziehen. Als Dietering zum Ende kam, stellte er für sich fest, dass der Kriminaloberkommissar den bisherigen Verlauf und den Stand der Ermittlungen so gut zusammengefasste, dass er, Dietering, sich ganz spontan entschlossen hat, keine Fragen zuzulassen.

„Da wir zum aktuellen Stand der Ermittlungen nichts mehr sagen können, bitte ich Sie, auf weitere Fragen zu verzichten. Sobald wir belastbare Ergebnisse haben, werden diese an Sie weitergeben. Bis dahin bitte ich Sie, sich zu gedulden.“

Dietering sah zufrieden auf die Meute und machte Anstalten aufzustehen. Ohne auf Stiegermann und Ulrich zu achten, die aus unterschiedlichen Gründen keine Anstalten machten, ihn zu unterstützen, sah er die Pressekonferenz für beendet an.

Er machte allerdings seine Rechnung ohne die Presse. Sie drängten vor zum Podium oder schrien Fragen in den Raum. Dietering verglich die Situation mit einem Aufruhr eines Publikums am Ende einer Opernpremiere, welches sich äußerst schlecht unterhalten fühlte. Wie er spürte, hinkte der Vergleich, denn die Journalisten fühlten sich vor allem schlecht informiert.

So war es an Guther, einem Vertreter der überregionalen Tageszeitung, seine Fragen so zu stellen, dass Dietering und seine beiden Kollegen diese nicht ignorieren konnten.

„Herr Kriminalrat Dietering, nach meinen Informationen wurde auf dem Haus des Vaters eines der Opfer heute Nacht ein verheerender Brandanschlag verübt. Darüber haben Sie uns nicht informiert. Was können Sie dazu sagen?“

Kai-Uwe Guther war Journalist des Vesberger Tageblatts, eine Zeitung, die aufgrund ihres informellen Netzwerks und der sehr guten Recherchearbeit bekannt und viel beachtet war. Die Mitarbeiter des VT waren phänomenal in Politik, Gesellschaft und in der Wirtschaft vernetzt. Guther hatte sich über viele Jahre seinen Respekt und reichlich Anerkennung beim Vesberger Tageblatt hart erarbeitet.

Er wurde nach der Schulzeit Informatiker, EDV-Facharbeiter wie es damals exakt hieß. Diese Ausbildung musste er machen, da ihm das DDR-Regime aus unerklärlichen Gründen sein Traum, ein Jurastudium, verwehrte. So musste sich Guther mit der EDV arrangieren, was ihm mit der Zeit gelang. Er wurde sogar richtig gut darin, da er sich im Laufe der Jahre in der Kryptographie, den Netzwerkprotokollen und in dem Aufbau von Rechnerverbunden immer besser auskannte. Noch während der Wirren um die Wiedervereinigung sah er seine Chance gekommen und begann mit dem der Journalistik. Guther spezialisierte sich auf Gerichtsberichte, dem Aufarbeiten, vor allem dem Aufdecken von spektakulären Fällen insbesondere der Wirtschaftskriminalität. Vesberg war dafür ein dankbares Pflaster.

Guther beschäftigte sich schon seit geraumer Zeit mit der Entwicklung von IT-Firmen im Großraum Vesberg. Sein Chef war fest davon überzeugt, dass nicht alle davon legal zu Ruhm und Ehre gekommen sind. Guther sollte herausbekommen, welche Geschäfte die Start-ups von damals gemacht haben und welche Beziehungen es in Richtung Osteuropa gibt.

Im Visier hatte er auch CodeWriter. Obwohl die Firma nicht übermäßig groß war, sich seriös gab, war das Umfeld der Kunden von CodeWriter mehr als spannend. Guther war der Meinung, dass in der Sicherheitsbranche kaum etwas ohne illegale Absprachen und Korruption ablaufen würde. Speziell die Beziehung zwischen Hausmann und Weilham, die beiden Macher von CodeWriter und dem Igor Abtowiz, Chef der Safety Objects war Guther suspekt.

Der Anruf gestern Vormittag warf seine Wochenendplanungen komplett über‘n Haufen. Guther war im Presseraum anscheinend der Einzige, der wusste, wer der Tote war und dass dieser von einer Dienstreise aus der Ukraine zurückkam.

Nur wenige seiner Kollegen stellten den Zusammenhang vom Brandanschlag auf das Haus vom alten Weilham und den Toten vom Freitagabend im Wald so her, dass die daraus sprießenden Spekulationen den Kriminalrat Dietering wieder auf seinen Stuhl fesselten.

„Also, ich sag mal so: Wir haben keine Hinweise, dass der Tod von Carsten Weilham mit dem Brandanschlag auf das Haus der Familie Weilham sen. in direkter Verbindung steht. Wir ermitteln aber in alle Richtungen und gehen jeden Hinweis nach.“ Dietering erging sich wie immer in vergleichbaren Situationen in Plattitüden.

„Sicher, die Hinweise, die wir Ihnen geben.“ Der Spott der versammelten Presse war die zu erwartende Reaktion auf das inhaltsleere Statement des Kriminalrats.

Dietering versuchte sich auf dem unsicheren Terrain – der Offensive: „Gehen Sie davon aus, dass wir zum Tathergang jede Menge Hinweise aus der Nachbarschaft haben, die wir sorgfältig auswerten.“

„Herr Dietering, stimmt es, dass die Firma CodeWriter mit einigen ihrer Kunden im Rechtsstreit liegt? Können Sie Zusammenhänge zum Mord an Carsten Weilham herstellen?“

Kai-Uwe Guther war offensichtlich verdammt gut informiert. Jetzt war es an Stiegermann, nicht ganz unterzugehen. „Von welchem Rechtsstreit sprechen Sie Herr Guther? Die Firma CodeWriter hat sich nichts zu Schulden kommen lassen und arbeitet nach unseren Erkenntnissen absolut seriös.“

Stiegermann hatte vor lauter innerer Panik die schlimmste aller Taktiken angewandt und in aller Öffentlichkeit Unkenntnis kundgetan. Eine Steilvorlage, die sich Guther nicht entgehen lassen konnte.

„Herr Staatsanwalt: Die Firma Safety Objects hat vor einiger Zeit gegen CodeWriter Klage eingereicht. Hintergrund ist ein Streit mit dem Softwarehersteller über Funktionen in der Software, mit der sich die Arbeit von Safety Objects ausspähen lässt. Reden Sie nicht mit Ihren Kollegen vom Wirtschaftsdezernat?“

Kriminaloberkommissar Ulrich, der bis jetzt völlig unbeteiligt der Pressekonferenz beiwohnte, sackte innerlich zusammen. Sollte das der Grund sein, warum Weilham gestern bei der missglückten Gegenüberstellung auf Abtowiz losgegangen ist, sinnierte er, ohne gleich eine Antwort darauf zu finden. Er musste an Remsen rankommen, irgendwie.

„Herr Guther, Wirtschaftsdelikte stehen hier nicht zur Diskussion. Er haben zwei Tote und müssen herausfinden, wer Interesse an den Tod der beiden hat und Mörder der beiden ist. Geschäftliche Streitigkeiten können Sie gerne morgen bei der Pressestelle der zuständigen Wirtschaftskammer recherchieren. Andere Fragen bitte.“

Stiegermann versuchte mit seiner aufgesetzt arroganten Art die PK wieder in den Griff zu bekommen und ignorierte die Fragen der Journalisten.

Guther war im Laufe der Jahre Profi geworden und konnte abwarten. Genau in dem Moment, als seine Kollegen mit ihren mehr oder weniger verbalen Fragen durch waren, meldete er sich wieder zu Wort: „Soweit ich weiß, gab es gestern Abend zwischen Herrn Weilham und Herrn Abtowiz ein handgreifliches Treffen; im Beisein Ihrer Ermittler. Können Sie uns den Hintergrund erklären?“

Nein, das wollte Stiegermann nicht. Auch Kriminalrat Dietering verfügte weder über Detailkenntnisse noch über die Bereitschaft, dazu Stellung zu nehmen. So musste wohl oder über Kriminaloberkommissar Ulrich irgendetwas dazu sagen: „Wir erhielten gestern während der Ermittlungen davon Kenntnis, dass sich am Freitagabend beide zum Essen getroffen haben. Unser Ziel war es, mit einer Gegenüberstellung das zu überprüfen und das Verhältnis der beiden zu klären.“

„Herr Kriminaloberkommissar“, Guther legte nach, denn er sah sich als professionell an, „Warum steht eigentlich nicht der Leiter der Ermittlungskommission Remsen hier Rede und Antwort? Wir haben ein berechtigtes Interesse an Informationen aus erster Hand; das möchte ich unmissverständlich anmerken.“

„Remsen kümmert sich weiter um die Aufklärung und hat zu tun. Sie haben sicher Verständnis dafür, dass er hier nicht persönlich anwesend sein kann. Die ersten 48 Stunden sind immer entscheidend, für einen Ermittlungserfolg.“ Dietering stellte sich vor sein bestes Pferd im Stall und machte damit klar, dass die PK hiermit für ihn beendet war.

„Der Streit muss wohl so heftig gewesen sein, dass Georg Weilham gleich über Nacht von Ihnen in Gewahrsam genommen wurde? Welchen Grund führen Sie an, uns das bisher verheimlicht zu haben?“ Guther schien jetzt so richtig auf Betriebstemperaturen zu kommen.

Dietering ließ sich den Hieb nicht anmerken und antwortete lapidar: „Herr Guther, haben Sie Nachsicht, dass wir aus ermittlungstaktischen Gründen nicht alles im Detail erläutern. Wir hatten Grund zur Annahme, dass Weilham so erregt war, dass er durchdreht und noch weiteren Unsinn anstellt. Eine Schutzmaßnahme, so würde ich es sehen.“

„Auf Kosten der Steuerzahler? Nur um jemanden zu schützen, der selbst wegen Geschäftsbetrug und Vertrauensmissbrauch im erheblichen Umfang von Kunden angeklagt wurde? Wie rücksichtsvoll von Ihnen. Seine Frau sitzt alleine zu Hause und wartet auf Abtowiz. Da haben Sie sicher das Haus der Weilham's rund um die Uhr bewacht. Nur scheinbar sind Ihre Beamten eingeschlafen, sodass Abtowiz oder wer auch immer den Anschlag verüben konnte. Dürfen wir das so morgen drucken?“ Guther legte recht geschickt nach und erhoffte sich so, weitere Informationen.

„Herr Guther, das sind doch alles nur Spekulationen.“ Staatsanwalt Stiegermann würde jede Menge darum geben, diese PK möglichst schnell und ohne Gesichtsverlust zu beenden.

„Wenn Abtowiz nicht hinter dem Brandanschlag steckt, wen haben Sie denn im Visier?“ Die Frage von Guther, der inzwischen so etwas wie eine Privatfehde mit dem Podium führte, ging wieder an die Ermittler.

„Wie gesagt Herr Guther, wir ermitteln in alle Richtungen und können zum derzeitigen Stand der Ermittlungen noch keine weiteren Informationen dazu rausgeben.“ Dietering versuchte erneut, die Diskussion regelrecht abzuwürgen.

„Vielleicht weiß Remsen mehr darüber. Können Sie ihn bitte hierher beordern, Herr Kriminalrat?“ Ein Affront eines Journalisten gegenüber den Ermittlern. Jemand, der genau wusste, wie die Kräfteverhältnisse in der W36 waren und welche Rolle der Staatsanwalt spielte.

„Nein, das lässt sich nicht arrangieren Herr Guther.“ Basta, aus, Dietering hatte jetzt wirklich von den penetranten Nachfragen genug.

„Aber Herr Ulrich, Sie waren doch gestern Abend bei der Schlägerei mit dabei – können Sie uns darüber was erzählen, warum Sie ganz bewusst das Risiko einer Konfrontation und dann noch in einem Restaurant, in der Öffentlichkeit eingegangen sind?“ Guther grinste siegessicher den Kriminalbeamten an.

„Sie müssen wissen, dass Remsen die Gegenüberstellung veranlasste und sicher dafür seine Gründe hatte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Ulrich fühlte sich offenkundig unwohl in seiner Haut.

„Ach so, Sie arbeiten gar nicht zusammen. Das ist bemerkenswert und ganz bestimmt für unsere Leser höchst interessant. Die Ermittler behindern sich untereinander, stimmen sich nicht miteinander ab. Ja, sie reden noch nicht einmal über ihre Arbeit. Also, so könnten wir nicht arbeiten.“

„Herr Guther, Sie spekulieren hier nur rum und versuchen, die Arbeit unserer Mordkommission in den Dreck zu ziehen. Ich denke, wir können jetzt die Pressekonferenz beenden.“

Das halbherzige Machtwort vom Staatsanwalt Stiegermann krepierte schon auf halber Strecke, denn Guther legte nach: „Dann ist es sicher auch nur eine Spekulation, dass der Tote Carsten Weilham gestern Abend aus dem Osten zurückkam; genau aus der Gegend, in der sich Abtowiz sein langes Vorstrafenregister erarbeitet hatte. Was sagen Sie dazu Herr Staatsanwalt?“

Der Mann schien besser informiert zu sein als ich. Stiegermann war auf Dietering, nein, eher auf Remsen jetzt richtig sauer. Jetzt half nur noch die Flucht nach vorne: „Wir geben in den nächsten Tagen eine Pressemitteilung heraus, aus der Sie alles Weitere entnehmen können. Bis dahin bitte ich Sie, sich zu gedulden. Einen schönen Tag noch.“

Stiegermann schaltete sein Mikrofon ab und zeigte den anwesenden Journalisten im Saal damit deutlich, dass die Show für ihn jetzt vorbei ist. Egal, was die TV-Sender heute Abend dazu zeigten oder süffisant kommentierten. Die PK ist einzigartig schlecht gelaufen; das wird ein Nachspiel der besonderen Sorte haben.

Dietering und Ulrich folgten ihm und ließen die Journalisten mit ihren unbeantworteten Fragen im Presseraum zurück.

Jutta Kundoban ließ es sich nicht zweimal sagen und verplante den unverhofft freien Abend schnell. Jetzt saß sie bei ihrer Freundin Claudia. Während beide auf das Eintreffen ihrer bestellten Pizzen warteten, zappten sie durch die Programme.

Was soll an einem Sonntagabend vor dem Tatort schon Interessantes zu sehen sein? Als Jutta bei Claudia angerufen und sich angekündigte, erklärte diese ihr, dass Bit auch noch kommen würde. Wenn sie, Jutta nichts dagegen hätte, wäre sie willkommen.

Da Bit noch nicht da war, musste der Fernseher herhalten. Denn Jutta verspürte nach der kurzen und herzlichen Begrüßung plötzlich nur noch das Gefühl, erschöpft zu sein. Sie wollte sich einfach nur noch dahintreiben lassen. Jede Erklärung, jede Diskussion erschienen ihr mit einem Mal zu viel. Inzwischen bereute sie es, überhaupt hierhergekommen zu sein. Andererseits war sie auf der Suche nach Nähe, nach der Nähe zu ihrer Freundin, ohne sich gleich erklären zu müssen.

Jutta stibitzte sich die Fernbedienung und hangelte sich durch die Sender. Sie blieb bei einem lokalen Sender hängen, denn was da gezeigt wurde, fesselte sofort ihre Aufmerksamkeit. Unschwer konnte sie erkennen, dass es eine nahezu unkommentierte Übertragung der Pressekonferenz war, der sie entfliehen konnte. Dietering musste wohl schon seine Eingangserklärung vorgelesen haben, übrigens ein Ritual was er aus dem tiefsten Bayern mitbrachte. Sie wartete nun darauf, dass die Kamera auf Remsen schwenkte, denn der wird ja wohl der meist gefragteste auf dem Podium sein.

Dachte sie sich zumindest so!

Einigermaßen erstaunt stellte sie mit der Zeit fest, dass neben Dietering nur der Staatsanwalt und Hanns-Peter anwesend waren. Wo war Jan Remsen geblieben? Jutta suchte nach ihrem Handy und wählte die Nummer von Jans mobilem Telefon an. Nach einiger Zeit sprang seine Mailbox an; von ihm war nichts zu hören. Mist, die anderen Telefone bringen ganz sicher nichts, da Jan ohne sein Smartphone keine Sekunde mehr lebensfähig war.

Das kann doch nicht sein? Jan ist der Leiter der Mordkommission und nicht bei der PK dabei? Hat der alte Sepp; Jan hatte eine Vorliebe für schräge Spitznamen, ihn abkommandiert oder eine Spezialaufgabe verpasst? Dann wäre er doch an das Telefon gegangen; ihre Nummer hätte Jan bestimmt nicht ignoriert. Mit Hanns-Peter kann es nichts zu tun haben, die beiden mögen sich zwar nicht sonderlich, respektieren sich dennoch. Kann also nur Stiegermann dahinter stecken. Wenn Remsen ab- und bei der PK nicht wiederauftauchte, werden beide Krach miteinander haben.

Jutta war so angespannt, dass sie überhaupt nicht mitbekam, wie einer der Reporter ihre Kollegen in die Enge trieb. Ihre Freundin Claudia stand schon einige Zeit hinter ihr und massierte ihr den Nacken. Sie musste dringend ins Bett und mal so richtig ausschlafen.

„Den kenne ich“, meinte sie und deutete mit dem Kopf auf den Fernseher, „das ist einer vom Vesberger Tageblatt. Die müssen verdammt gute Drähte zu Informanten haben oder stellen es einfach geschickter als andere an. Die Zeitung liegt bei uns im Warteraum für Kunden, ich lese mir immer die regionalen Seiten durch. Da schreibt der Typ, Gutmann oder so, ziemlich viel.“

Jutta fand inzwischen den Faden und ihre Aufmerksamkeit wieder und korrigierte ihre Freundin ungern: „Guther heißt der Mann, meine Liebe.“

„Ach ja, Kai-Uwe Guther. Der schreibt aber nur Dinge, die er selbst recherchiert hat. Woher weiß der eigentlich, was ihr bei der Polizei so macht?“

Gute Frage, dachte sich Jutta. Von den wenigen Fetzen, die sie mitbekommen hat, gewann sie mittlerweile auch den Eindruck, dass der Mann wirklich gut Bescheid wusste. Daraus folgte nur die eine Frage: Wer ist das Leck bei uns?

An der Wohnungstür klingelte es; könnte nur die Pizza sein. Claudia ließ von Juttas verspanntem Nacken ab und drückte auf den Türöffner. Es war aber nicht der Pizzabote, sondern ihr gemeinsamer Freund, eher ein Bekannter aus alten Kinderzeiten und Schultagen: Edwin Bittling. Er stürmte in die Wohnung, umarmte Claudia mit einem Küsschen und bahnte sich den Weg in Richtung Fernseher.

Mann, ist der fett geworden, entfuhr es beinahe Jutta. Sie hatte Bittling schon eine geraume Zeit nicht gesehen. Sie konnte aber ihre Entrüstung gut verbergen und heuchelte ein freundliches Hallo.

„Habe ich schon im Autoradio gehört, spannende Geschichte. Bist du nicht mit dabei Jutta?“ Das obligatorische Küsschen bekam auch sie ab.

„Oh doch, seit Freitagabend fast durchgängig. Habe aber einige Stunden frei bekommen, um mich zu entspannen. Die nächsten Tage werden richtig anstrengend.“ Jutta brachte wirklich keine Lust auf, Bit vom Ermittlungsverlauf zu berichten. Abgesehen davon, dass sie eh nichts berichten durfte.

Rettender weise klingelte es erneut und jetzt war es der Mann mit der Pizza. Claudia bezahlte für alle und brachte strahlend neben den drei Kartons noch ein Präsent in Form einer Flasche Rotwein mit an den Tisch.

„Abendbrot meine Lieben. Kalte Pizza schmeckt scheußlich.“ Wie auf Kommando stürmten Bit und Jutta an den Tisch. Bit erbot sich als Mann, die Flasche Wein zu öffnen, während Jutta Besteck und Gläser aus der Küche holte.

Beide Freundinnen mochten Bit, der sich in den letzten Jahren als IT-Mann einen Namen gemacht macht. Davon verstanden sie aber nichts, sodass sie mit ihm darüber nie sprachen. Wobei, eigentlich hatte Claudia mehr Kontakt zu ihm. Sie war es auch, die ihren Edwin dabei half, mit der Frauenwelt zurechtzukommen. Zugegeben, ein hoffnungsloser Fall. IT-Freaks halten von Frauen wohl überhaupt nichts oder sie sind schwul. In etwa in dieser Gegend ist auch das Gefühlsleben von Bit angesiedelt.

Und sie stehen auf Kriegsfuß mit Weinflaschen, wie beide Freundinnen amüsiert mit ansahen. Offensichtlich war Bit gerade dabei, die erste Weinflasche seines Lebens zu öffnen. Entsprechend fielen die Kommentare aus. Jutta, die es genoss, mit Remsen bei sich oder bei ihm in der Wohnung einen guten Wein zu trinken und fast schon nebenbei die Fälle zu lösen, erlangte inzwischen Übung beim Öffnen von Weinflaschen. Sie half Bit nach einigen belehrenden Hinweisen aus der Bredouille und entkorkte gekonnt die Flasche. Das Einschenken übernahm sie gleich selbst. Die Pizza wurde kalt und Bit inzwischen dunkelrot, im Gesicht.

„Ich habe gehört, CodeWriter steckt da mit drin? Soll ich das mal checken? Die machen doch Sicherheitssoftware; wer weiß, was die da alles mit eingebaut haben.“ Edwin war froh, dass Jutta ihm aus dieser Peinlichkeit erlöst und mit jetzt Werbung plärrenden Fernseher gleich das richtige Thema geliefert zu haben.

„Wieso eingebaut? Software ist Software oder nicht?“ Jutta schüttelte verständnislos den Kopf und schob sich das erste Stück Pizza in den Mund. Sie kaute und wartete auf Erklärungen.

Bit war schon beim zweiten Stück Pizza, wobei bei ihm die Stücke etwa doppelt so groß waren.

So wartete er, bis er einigermaßen Luft zum Atmen und Sprechen bekam: „Wie naiv von dir. Die Entwickler stöpseln Funktionen an, die nicht dokumentiert werden. Keiner weiß, was die Software noch alles kann. Die Hersteller selbst können nur hoffen, dass die Entwickler keinen Scheiß machen. So ist das.“

„Und bei CodeWriter ist das so?“ Jutta kam aus dem Staunen nicht mehr raus und vergaß ihre Pizza. Claudias Gesten nach zu urteilen, konnte sie nicht einmal erahnen, wovon die beiden sprachen.

„Nein, das habe ich nicht gesagt. Ich weiß aber, dass die Entwickler mit Bausteinen, das sind vorgefertigte Bibliotheken, arbeiten, und selbst nicht immer nicht wissen, was alles an Möglichkeiten die SDK-Hersteller da reinprogrammiert haben. Dann heißt es immer, geheime Funktionen entdeckt‘, die alles testende und nichts verstehende Boulevardpresse, die es auch für die Computer gibt.“

Auch wenn Jutta fast nichts kapiert hat, fiel ihr die Frage ein: „Was sind SDK-Hersteller?“

„Du wirst es nicht glauben Jutta, aber auch bei den Softwareentwicklern gibt es so etwas wie Arbeitsteilung. Keiner schreibt mehr alles selbst. Viele Funktionen mit einfachen und immer mehr komplizierten Aufgaben stellen Firmen her, die sich darauf spezialisiert haben. CodeWriter wird mit Sicherheit solche Programmierumgebungen auch nutzen oder ganze Programme zukaufen, damit die nicht mehr alles noch einmal entwickeln müssen. Aber leider, was in den zugekauften Modulen wirklich steckt, weiß dann niemand mehr so genau.“

„Aber was hat das jetzt mit meinem Fall zu tun? Also ehrlich Bit, ich verstehe nicht, was du willst?“ Jutta tat nicht nur so, nein, sie war verzweifelt. Dafür schmeckte der Wein so gut, dass sie sich bereits ein zweites Glas eingeschenkte.

„Ich weiß es nicht. Aber der Zeitungsreporter vorhin auf der PK sprach von einem Abtowiz. Der hat eine Sicherheitsfirma und die sind Kunde bei CodeWriter; haben bisher deren Software für die Überwachung genutzt.“

„Wieso bisher?“ Jutta biss sich beinahe auf die Zunge, denn Dietering gab ihr ja die Aufgabe, herauszubekommen, was zwischen den beiden Firmen in letzter Zeit gelaufen ist. Außerdem sprach der Journalist auf der PK von einem Verfahren vor der Wirtschaftskammer.

„Jutta, ich habe die Ohren offen. Vor einigen Jahren wäre ich beinahe bei CodeWriter gelandet, aber dann bekam ich ein tolles Projekt im Gameboard; das war spannender, also wurde nichts daraus. CodeWriter und Safety Objects streiten vor Gericht darum, dass CodeWriter angeblich eine Backdoor in deren Software eingebaut hat, mit der es möglich sein soll, über peer-to-peer Informationen abzusaugen. Gut für CodeWriter wenn das klappt, schlecht für die Kunden.“

Bit kaute weiter genüsslich an der Pizza und verschmähte die Weinangebote seiner Gastgeberin Claudia. Da es kein Bier gab, musste er mit einer Apfel-Rhabarber-Schorle vorliebnehmen. Was soll’s, er fühlte sich immer dann richtig gut, wenn er mit seinem Wissen Gesprächsgegenübern prahlen konnte.

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1040 стр.
ISBN:
9783742769886
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Первая книга в серии "Jan Remsens erster Fall"
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