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Heinrich Glander zuckte mit den Schultern. »Wer soll denn da schon gekommen sein. Wir, seine Familie, und die beiden Damen. Wir hatten keinen Pastor. So etwas mochte Heiko nicht. Der Typ vom Beerdigungsinstitut hat ein paar Worte gesagt, was die sich natürlich auch haben bezahlen lassen …«

»Heinrich!«, maßregelte Annegret Glander Ihren Mann. »Es war ein sehr schöner Abschied«, sagte sie. »Sehr würdevoll und Alexandra hat sogar geweint.«

Während Heinrich Glander bemüht war, sich eine Bemerkung zu verkneifen, nickte ich verständnisvoll.

»Was haben Sie anschließend unternommen?«

»Wir sind noch in ein Café gegangen«, berichtete Annegret Glander. »Alexandra und Giulia waren ja ganz ausgehungert. Sie hatten auch nicht mehr viel Zeit, sind am Abend wieder zurückgeflogen.«

»Signora Galbani und ihre Tochter haben sich die Wohnung von Herrn Vogt nicht mehr angesehen?«, fragte ich. »Sich nicht um die persönlichen Dinge von Herrn Vogt gekümmert?«

»Das war doch alles schon erledigt«, übernahm wieder Heinrich Glander. »Die Möbel haben Tobi und ich zwischen Weihnachten und Neujahr ausgeräumt. Das ging alles zu so einem Second-Hand-Möbelladen. Hat so gut wie nichts eingebracht. Der Heiko hatte es eben nicht so dolle, der hat der Nachwelt nichts hinterlassen. Da geht es der Signora um einiges besser.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte ich schnell.

»Mein Mann meint gar nichts«, fuhr Annegret Glander dazwischen. »Alexandra kommt aus gutem Hause. Was sie besitzt, hat nichts mit Heiko zu tun. Bei der Scheidung hat sie nicht viel von ihm verlangt. Da kann man ihr keine Vorwürfe machen.«

»Aber sie hätte ihn doch unterstützen können«, rief Heinrich Glander. »Mit ein bisschen Geld hätte sie doch seinen Konkurs abwenden können.«

»Das steht uns nicht zu, darüber zu urteilen«, sagte Annegret Glander jetzt resolut.

Ich schüttelte den Kopf. »Entschuldigung, mich interessieren nur die Fakten. Herr Vogt hat weder Ihnen noch seiner Frau und Tochter etwas hinterlassen? Gab es Schulden?«

Heinrich Glander zuckte mit den Schultern. »Schulden hatte er keine, abgesehen von dem, was es uns gekostet ...«

»Hör endlich auf, Heinrich.« Annegret Glander schlug mit der flachen Hand auf das Sitzpolster der Couch.

»Es gab also kein Erbe«, folgerte ich.

Heinrich Glander blickte kurz seine Frau an, bevor er mir antwortete. »Passte alles in einen Karton.«

»Wie meinen Sie das?«

»Naja, man kann ja nicht alles wegschmeißen. Der Heiko hat doch damals studiert. Der war ja so etwas wie ein Architekt, obwohl er nach der Pleite was ganz Anderes machen musste. Wir haben alles Persönliche, ein paar Bücher und den Zettelkram, also alles, was er so in seinem Schreibtisch hatte, in einen Karton gegeben und es der Signora quasi in die Hände gedrückt. Sie hat es hinterher bestimmt weggeschmissen, aber das geht uns nichts an.«

»Was waren das für Unterlagen?«

Heinrich Glander verzog das Gesicht. »Ich habe da nichts von verstanden. So Baukram eben, Papiere mit Formeln drauf, handschriftliche Notizen. Der Heiko wusste schon, was es war. Die Signora vielleicht auch. Sie war doch ebenfalls eine Studierte, war auch Architektin, bis die Kleine gekommen ist, so weit ich das noch weiß.«

»Es waren aber keine Bankunterlagen darunter?«, fragte ich. »Und Sie wissen genau, dass Herr Vogt keine Schulden hatte?«

»Sie meinen Kredite oder so etwas?« Heinrich Glander schüttelte den Kopf. »Nein, nein, da war nichts offen, aber er hatte nicht mehr viel auf dem Girokonto, obwohl Mitte Dezember noch sein Gehalt eingegangen war. Sie kennen das doch, Heiko hat ja in gewisser Weise auch beim Staat gearbeitet, da gibt es ja immer zur Monatsmitte die Kohle. Jedenfalls hat uns das erst gewundert, aber dann haben wir die Kontoauszüge in Heikos Post gefunden. Da war Ende November ein größerer Betrag abgebucht worden.«

»Ein größerer Betrag?«, fragte ich. »Wie viel war es denn?«

Heinrich Glander überlegte. »Drei- oder viertausend, aber an das Datum erinnere ich mich noch genau. Es war der 23. November, eine Barabhebung. Vielleicht hat Heiko das Geld ja für seine Reise gebraucht.«

»Drei- oder viertausend Euro«, wiederholte ich. »Als man Herrn Vogt gefunden hat, war aber von dem Geld nichts mehr da.«

Heinrich Glander wurde hellhörig. »Meinen Sie, da hat sich einer bedient?«

»Nein, das meine ich nicht«, sagte ich resolut, weil ich genau wusste, worauf Heinrich Glanders Frage abzielte. »Ich werde die Sache mit dem Geld aber in den Ermittlungen vermerken. Haben Sie noch die Kontoauszüge?«

»Nee, ganz sicher nicht, nein«, Heinrich Glander schüttelte wieder den Kopf. »Da müssen Sie schon zur Hamburger Volksbank, falls die das überhaupt archiviert haben.«

»Das wird ohnehin notwendig sein«, sagte ich, »vielleicht hatte Herr Vogt ja doch einen Kredit laufen.«

»Ich kann mir nicht denken, dass da noch was offen war«, warf Heinrich Glander ein. »Als wir damals das Girokonto aufgelöst haben, hat die Bank jedenfalls nicht gemuckt. Die hätten sich schon gemeldet, wenn noch was offen gewesen wäre, also Kredite und so, aber dann hätte die Signora zahlen können.«

»Oder das Erbe ablehnen«, sagte ich lächelnd.

Heinrich Glander lachte kurz auf. »Das hätte gepasst.«

»Heinrich!«, zischte Annegret Glander erneut.

Ich überging die Reaktion. »Hat sich die Polizei später noch einmal an Sie gewandt?«

Heinrich Glander sah mich fragend an. »Nach anderthalb Jahren sind Sie überhaupt der Erste, der nach Heiko fragt.«

Ich wollte den Grund meines Interesses noch nicht offenlegen, ich wollte vor den beiden gar nichts offenlegen und so fuhr ich einfach fort. »Hatte Herr Vogt ein Herzleiden?«

Annegret Glander beugte sich vor. »Ein Herzleiden?«, wiederholte sie.

Ich nickte. »Es muss nichts Auffälliges gewesen sein. Hat Herr Vogt dazu einmal Andeutungen gemacht, dass er Probleme mit dem Herzen hat oder sich in Behandlung befand?«

»Also davon wissen wir nichts«, antwortete Heinrich Glander.

»Und was ist mit Medikamenten, was haben Sie für Medikamente in seiner Wohnung gefunden?«

Beide schüttelten den Kopf. »Daran erinnern wir uns nicht mehr«, sagte Annegret Glander. »Ich habe sein Bad ausgeräumt. Aspirin war dabei, ja, und ein paar Salben und so ein Schnupfenspray. Aber eigentlich habe ich da nicht lange geschaut und alles gleich in die Mülltonne gegeben.«

»Es hat natürlich einen Grund, dass ich frage. Man hat damals im Blut von Herrn Vogt ein Herzglykosid nachgewiesen.«

»Ein was?«, rief Heinrich Glander, als wenn man seinen Neffen bezichtigte, Drogen besessen zu haben.

»Der Begriff Digitalis sagt ihnen doch sicher etwas«, erklärte ich. »Das sind Medikamente, die die Schlagkraft des Herzens erhöhen können. So etwas nehmen Menschen mit offensichtlichen Herzerkrankungen.«

»Das ist uns wirklich nicht bekannt, dass der Heiko so etwas genommen hat«, sagte Annegret Glander kopfschüttelnd.

»Hatte Ihr Neffe einen Hausarzt?«

»Keine Ahnung«, sagte Heinrich Glander sofort, erhob sich und ging an eine Schublade des Wohnzimmerschrankes. Er wühlte in dem Fach und kam zur Couch zurück. »Hier ist seine Karte. Die haben wir noch.«

Er reichte mir eine blaue Versichertenkarte der Techniker Krankenkasse, die bereits mit einem Foto von Heiko Vogt versehen war.

»Das ist er«, sagte Heinrich Glander und nickte mir zu.

Heiko Vogts Abbild war ausdruckslos. Er schaute gelangweilt. Ich hatte bisher noch keine Fotografie von dem Mann gesehen und versuchte mehr aus Augen, Mund und Kopfhaltung zu interpretieren. Es gelang mir nicht.

»Darf ich das behalten?«, fragte ich. »Wir brauchen die Versichertennummer, um uns bei der Kasse nach Ihrem Neffen zu erkundigen.«

»Klar, nehmen Sie nur«, forderte Heinrich Glander mich auf. »Ein Glück, das ich die noch nicht weggeschmissen habe.«

Ich ließ ein paar Sekunden verstreichen, bevor ich zum letzten Punkt kam. Bruckner hatte mir nichts von einem Cousin erzählt. Tobias Glander oder Tobi, wie seine Eltern ihn nannten. Ich überlegte mir die Frage, ohne zu direkt zu sein.

»Waren Herr Vogt und Ihr Sohn im gleichen Alter?«

»Der Tobi«, rief Annegret Glander. »Nein, die beiden waren gut zehn Jahre auseinander. Der Heiko hat immer auf den Tobi aufgepasst, da konnte man sich auf den Jungen verlassen. Heiko war wie ein großer Bruder zu Tobi. So war das, als sie Kinder waren. Selbst als Erwachsener hat sich Heiko noch um ihn gekümmert, hat ihm bei den Schularbeiten geholfen. Und der Tobi hat es dann zurückgegeben, als die kleine Giulia auf die Welt kam, da hat er oft den Babysitter gemacht.«

Annegret Glander musste nach ihrem Redefluss tief einatmen und schaute mich dann etwas verklärt an. Heinrich Glander hatte dagegen das Gesicht verzogen. Er wartete noch, schüttelte dann den Kopf.

»Das die sich mal so in den Haaren liegen würden, hätte ich nie gedacht. Und warum, wegen einer Frau.«

Wie zur Warnung legte Annegret Glander die Hand auf den Arm ihres Mannes. Ich sagte nichts, schaute Heinrich Glander nur interessiert an, der sich dadurch animiert sah, weiterzuerzählen.

»Schade, dass die sich nicht mehr vertragen haben. Ich glaube das hat den Tobi ganz schön mitgenommen, nachdem das mit Heiko passiert ist.«

»Und es ging um eine Frau?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja, der Tobi war schon schwer verliebt. Das war wohl auch das Problem, sonst hätte er es nicht so ernst genommen. Der hatte doch früher alle halben Jahre eine Neue.«

»Heinrich, das stimmt doch gar nicht«, protestierte Annegret Glander.

Heinrich Glander ließ sich nicht aufhalten. »Pläne hatte er, wollte heiraten, aber ich glaube sie hat davon nichts gewusst oder es sich anders überlegt.«

»Und diese Frau war dann später mit Herrn Vogt liiert?«, fragte ich belanglos.

Heinrich Glander machte eine abwehrende Geste. »Also ich will nicht zu viel sagen. Sie hat dem Tobi den Laufpass gegeben, fertig. Sie war genauso daran beteiligt, aber der Tobi hat es Heiko krummgenommen. Das war nicht schön, aber jetzt Schluss damit, das geht uns eigentlich nichts an. Tobi ist ein erwachsener Mensch, hat sein eigenes Leben.«

»Können Sie mir den Namen der Frau nennen?«

»Nein!«, rief Heinrich Glander und verschränkte die Arme vor der Brust. »Da müssen Sie meinen Sohn schon selbst fragen.«

Ich nickte. »Könnte sein, dass das noch notwendig ist.« Ich zögerte kurz. »Wo kann ich Ihren Sohn erreichen?«

*

Ich hatte den Stadtteil noch nicht verlassen, fuhr rechts in eine Parkbucht und hielt an. Jetzt musste ich mir doch etwas notieren. Das Stimmungsbild, das Annegret und Heinrich Glander mir so eben vermittelt hatten. Nach einer Befragung sollte man sich eigentlich sofort eine ruhige Ecke suchen und alles noch einmal reflektieren. Der kleine Stopp tat es auch. Ich holte mein Notizbuch hervor und schrieb.

Ich hatte fünf Namen und ein Unbekannte, deren Namen wir aber ganz sicher auch noch herausfinden würden. Vor dem Gespräch eben gerade waren es nur vier Namen: Ehefrau, Tochter, Tante und Onkel. Ein Tobias Glander war Bruckner nicht bekannt, aber gerade die offensichtlich angeknackste Beziehung zwischen Tobias Glander und Heiko Vogt öffnete die Tür für Spekulationen. Ich musste damit vorsichtig umgehen, um nicht den größten Fehler eines Profilers zu begehen und mich durch eine Vorverurteilung selbst auf die falsche Fährte zu manövrieren. Dennoch lieferte Tobias Glanders Verhältnis zu Heiko Vogt ein mögliches Tatmotiv und darum musste diese Befragung in jedem Fall unter Bruckners Führung stattfinden. Ich nahm mein Mobile und durchsurfte das örtliche Telefonbuch. Ich wollte zumindest schon einmal die Adresse abgleichen. Ich fand einen T. Glander unter der Straßenanschrift, die mir seine Eltern genannt hatten. Eigentlich war Gefahr in Verzug, denn Annegret und Heinrich Glander würden ihren Sohn vor der Polizei warnen, und je länger Tobias Glander Zeit hatte, sich auf eine Befragung vorzubereiten, desto schlechtere Karten hatte Bruckner.

Ich wollte mein Mobile gerade wieder einstecken, als ich einen Anruf erhielt. Auf dem Display erschien eine Hamburger Behördennummer. Bruckner konnte es nicht sein. Ich nahm ab.

»Hallo, Hallo, sind Sie wieder an Bord?« Hartmann klang beinahe euphorisch. »Kurt hat mich schon über alles informiert und ich bin sofort los galoppiert.«

»Ich nehme an, Sie sind das Hartmann?«, fragte ich, um den Mann etwas zu bremsen.

»Ja, Entschuldigung, Mr. Halls, Kriminalkommissar Hartmann hier«, antwortete er etwas kleinlaut. »Aber man darf sich doch freuen, wieder einmal von Ihnen zu hören.«

»Sie sind sofort los galoppiert«, zitierte ich Hartmann. »Haben Sie denn keine eigenen Fälle, dass Bruckner Ihnen nur etwas hinzuwerfen braucht und Sie fassen zu?«

»Na, na, ganz so ist es nicht«, versuchte Hartmann sich zu rechtfertigen. »Aber es passte gerade und da kann man dem alten Bruckner doch nichts abschlagen.«

»Und jetzt wollen Sie mal hören, ob ich auch schon losgaloppiert bin?«

»Ja, schon, aber das ist nicht unbedingt der Grund meines Anrufs«, erklärte Hartmann. »Sie wissen das von der Universität Hamburg, dass der Tote dort zuletzt beschäftig war. Bruckner hat mich darauf angesetzt und ich habe doch glatt einen Termin mit Vogts ehemaligen Chef gemacht, einem gewissen Professor Münster. Der Mann will mich in einer Stunde empfangen. Sind Sie frei? Ich würde Sie gerne dabeihaben.«

»Jetzt?«

»In einer knappen Stunde. Wo sind Sie gerade?«

»In Jenfeld«, sagte ich nachdenklich.

»Bei Familie Glander?«

»Nicht mehr, bin gerade von denen fort.«

»Umso besser.« Hartmann schien zu überlegen. »Jenfeld? Dann schaffen Sie es in einer Stunde doch locker bis nach Stellingen. Kennen Sie sich dort aus?«

»Ja, aber ...«

»Vogt-Kölln-Straße, sagt Ihnen das was? Ist ein größeres Institutsgelände. Wir treffen uns beim Pförtner. Alles Weitere später.«

Ich merkte gar nicht, dass Hartmann bereits aufgelegt hatte. Ich wollte gerade noch etwas erwidern, aber die Leitung war unterbrochen. Das Universitätsgelände in Stellingen kannte ich gut. Mein Schwiegervater sprach oft davon, welchen Quadratmeterpreis man erzielen konnte, wenn sich die Universität dort zurückziehen würde. Gustav plante sogar mit einem Abriss der Institutsgebäude und einer Parzellierung des Grundstücks, das dann durch eine Neubebauung für Investoren erst richtig interessant werden würde. Natürlich sollte die Gustav-Schmidt-Immobilen dann mitmischen. Ich bezweifelte allerdings, dass die Nähe zum Hamburger Flughafen wirklich so attraktiv war. Es sei denn, dass auch der Flughafen eines Tages umziehen würde.

All das waren Zukunftspläne, die mich jetzt weniger interessierten. Nach fünfundzwanzig Minuten Fahrzeit hatte ich bereits Hagenbeck erreicht und fuhr umständlich am Tierparkgelände vorbei, weil eine Straßensperrung mich zu dem Umweg zwang. Ich kannte mich gut genug aus, um die Vogt-Kölln-Straße auf Anhieb zu finden und schon bog ich in die Auffahrt zum Universitätsgelände ein. Hartmann hatte den letzten freien Parkplatz belegt. Er wartete draußen neben der Pförtnerloge, einem kleinen Flachbau aus den Siebzigern. Ich ließ die Seitenscheibe herunter, aber Hartmann öffnete gleich die Beifahrertür und stieg zu mir in den Century.

»Der macht gleich auf.« Hartmann deutete zur Pförtnerloge und wie auf Stichwort öffnete sich die Schranke. »Wir müssen zum C-Trakt, immer geradeaus.«

Die Fahrt dauerte zwei Minuten. Ich parkte unter einem riesigen Kastanienbaum. Hartmann stieg aus und strebte gleich dem Eingang des nächstgelegenen Gebäudes zu. Ich folgte ihm. Wir gingen hinauf in den ersten Stock, eilten einen Korridor entlang, bis Hartmann vor einer Bürotür stehenblieb. Er klopfte an und wir traten gemeinsam ein. Hinter einem riesigen Eichenschreibtisch saß Professor Münster. Er erhob sich und deutete auf eine Sitzecke mit altmodischen Ledersesseln.

»Ich nehme an, Sie sind die Herren von der Polizei?«, begann er, noch bevor wir uns gesetzt hatten.

»Ganz richtig. Mein Name ist Hartmann, wir hatten telefoniert. Und das ist mein Kollege Herr Halls.«

Hartmann deutete auf mich. Ich ließ die Bezeichnung Kollege unkommentiert und gab Professor Münster ebenfalls die Hand.

»Ich kann Ihnen leider nichts anbieten, es sei denn, Sie möchten von meinem Pfefferminztee.« Münster deutete zu seinem Schreibtisch, auf dem eine silberne Thermoskanne stand.

Hartmann und ich schüttelten beinahe synchron den Kopf. »Danke, nicht nötig«, antwortete Hartmann für uns beide. »Wir wollen Sie auch nicht lange behelligen. Danke, dass Sie überhaupt so kurzfristig Zeit gefunden haben.«

Professor Münster nickte noch einmal.

»Wie ich bereits am Telefon erklärt habe«, kam Hartmann gleich zur Sache, »geht es um Ihren ehemaligen Mitarbeiter Herrn Heiko Vogt.«

Professor Münster zupfte sich nachdenklich am Kinn. »Ja, da bin ich gespannt, was Sie von mir wollen. Wie lange ist das mit Vogt jetzt her?«

»Gut anderthalb Jahre«, sagte Hartmann und legte sein Notizbuch auf den kleinen Eichentisch, der vor der Sitzgruppe stand. »Eine Routineuntersuchung hat uns dazu gebracht, in dem Fall noch einige fehlende Aussagen und Fakten zu ergänzen. Dazu gehört natürlich auch, mit Vorgesetzten und eventuell mit Kollegen von Herrn Vogt zu sprechen.«

Ich war amüsiert, eine ähnliche Geschichte hatte ich Annegret und Heinrich Glander ebenfalls erzählt.

»Nach so langer Zeit?«, fragte Professor Münster.

Hartmann lächelte. »Anderthalb Jahre, das ist gar nicht so lang. Wenn nicht gerade ein Kapitalverbrechen vorliegt, an dem natürlich immer mit Hochdruck gearbeitet wird, dann kann es sein, dass bestimmte Untersuchungen auch erst nach anderthalb Jahren abgeschlossen werden.«

»Und Sie wollen den Fall jetzt abschließen«, stellte Professor Münster fest.

»So kann man es sagen«, bestätigte Hartmann. »Also, dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?«

»Selbstverständlich, legen Sie los.«

Hartmann schlug das Notizbuch auf und prüfte seine Einträge. »Zunächst interessiert uns, wo wir hier eigentlich sind. Sie leiten im Fachbereich Informatik den Lehrstuhl für Computing in Science.«

»Ganz recht«, bestätigte Professor Münster.

»Und das heißt?«

Münster überlegte kurz. »Es geht um die Nutzung von Computern für wissenschaftliche Zwecke. Hier vor allem in den Naturwissenschaften. Rechnergesteuerte Durchführung und Auswertung von Experimenten, Modellierung, grafische Darstellungen, eben die ganze Bandbreite des CAX, des computer aided. Wir forschen zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Medizinern, Chemikern, Physikern und sehr oft auch mit Fakultäten aus den Ingenieurwissenschaften.«

Hartmann nickte. »War Herr Vogt ebenfalls wissenschaftlich tätig?«

»Hier bei uns?« Professor Münster schüttelte den Kopf. »Herr Vogt war für die Ausrüstung zuständig. Er war Techniker, Administrator, hat unsere Labore mit Equipment bestückt und das Ganze verwaltet.«

Hartmann beugte sich über sein Büchlein und machte Notizen. »Gut, vielleicht komme ich später noch einmal darauf zurück.« Er blickte wieder auf. »Wie haben Sie von Herrn Vogts Ableben erfahren? Haben Sie damals mit der Polizei gesprochen?«

»Mit der Polizei?« Professor Münster sah Hartmann fragend an. »Warum mit der Polizei? Ich wurde von der Senatskommission informiert, und zwar per E-Mail, und auch erst im Januar 2013. Das ist etwas unglücklich gelaufen. Herr Vogt hatte den ganzen Dezember frei und ich nach Weihnachten die ersten beiden Januarwochen. Ich habe die E-Mail erst nach meiner Rückkehr gelesen, ansonsten hätte ich natürlich an der Trauerfeier teilgenommen.« Professor Münster stutzte. »Wobei ich gar nicht weiß, ob es überhaupt eine Trauerfeier gab. Vogt hat sein Privatleben nicht so herausgekehrt. Ich weiß nur das er geschieden war.«

»Ja, das ist richtig«, bestätigte Hartmann. »Es gibt eine Ehefrau und eine Tochter.«

»Ach, das mit der Tochter wusste ich gar nicht.« Professor Münster kniff kurz die Augen zusammen und sah uns nachdenklich an.

»Eine erwachsene Tochter«, ergänzte Hartmann. »Was wissen Sie über die Umstände, die zum Tod von Herrn Vogt geführt haben?«

»Was ich darüber weiß?«, wiederholte Münster.

»Oder anders gesagt, wie wurden Ihnen die Todesumstände kommuniziert?«

»Unfall, ich glaube, es war ein Autounfall.« Professor Münster dachte noch einmal nach. »Ich habe die E-Mail nicht mehr, ich weiß nicht, ob dort etwas stand, aber irgendjemand hat was von einem Autounfall gesagt.«

»Wer?«, fragte Hartmann.

»Ich weiß nicht. Die Kollegen im Fachbereich. Ich habe Vogts Tod den Beschäftigten hier offiziell mitgeteilt, wie das so üblich ist. Der eine oder andere wusste aber bereits etwas. Vielleicht hat es da ja jemand gesagt. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wo ich das herhabe. Vielleicht stand es auch tatsächlich in der offiziellen Mail, die mir meine vorgesetzte Stelle zukommen lassen hat.«

»Es war kein Autounfall«, klärte Hartmann auf. »Herr Vogt ist auf der Fähre Sassnitz-Trelleborg tödlich verunglückt. Er ist in den Schacht eines Treppenabgangs gestürzt.«

»Ach, das wusste gar nicht«, sagte Münster mit belegter Stimme.

»Aber dass Herr Vogt zum Zeitpunkt seines Todes auf Reisen war, davon wussten Sie?«

Professor Münster zuckte mit den Schultern. »Das habe ich vermutet, weil er doch Urlaub hatte.«

»Hat Herr Vogt Ihnen gegenüber ein Reiseziel genannt oder erwähnt, was er während seines Urlaubs vorhatte?«

Professor Münster schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir nicht gesprochen. Nein, dass er nach Schweden wollte, wusste ich nicht. Vogt hat nie viel über Privates geredet. Was ich da weiß, habe ich auch nur wieder von anderen gehört, zum Beispiel, dass er geschieden ist.«

»Und sonst wissen Sie gar nichts über Herrn Vogt, ich meine außerhalb der Arbeit?«, fragte Hartmann noch einmal und sah mich kurz an.

»Gut, ich müsste seinen Lebenslauf kennen, aber ...« Münster dachte nach. »Ursprünglich war Herr Vogt sogar studierter Bauingenieur. Er hatte irgendeine Firma und ist in den Konkurs gegangen. Dann ist er hier bei uns gelandet. Ich habe ihn zwar letztendlich eingestellt, aber er wurde mir natürlich über den Behördenweg vorgesetzt. Ich weiß gar nicht mehr, ob es noch andere Bewerber gab.«

»Wann war das?«

»Fünf, sechs Jahre ist das her«, sagte Professor Münster.

Hartmann rechnete. »Herr Vogt war also gut vier Jahre an der Universität beschäftigt. Aber er hat hier nicht in seinem Beruf als Bauingenieur gearbeitet, wenn ich das eben richtig verstanden habe?«

»Als Bauingenieur, nein.« Professor Münster schüttelte den Kopf. »So etwas machen wir hier nicht. Wir haben hier nur Computer. Herr Vogt war als System-Administrator, als Techniker angestellt und nicht als Wissenschaftler.«

Hartmann überlegte. »Was wissen Sie noch über Herrn Vogts beruflichem Vorleben. Es ist doch ungewöhnlich, dass ein Bauingenieur als System-Administrator arbeitet.«

Münster nickte. »Mag sein, dass der Job hier im Institut nur etwas Vorübergehendes sein sollte, um finanziell wieder auf die Beine zu kommen. Ich weiß ja nicht, vielleicht musste er ja Schulden zurückbezahlen.«

»Das sind Ihre Vermutungen«, warf Hartmann ein. »Oder hat Herr Vogt sich diesbezüglich geäußert.«

»Nein, nein, ein solches Thema hätte Vogt von sich aus nie angesprochen«, erwiderte Münster. »Alles was ich über sein Vorleben weiß, habe ich aus seiner Akte.«

»Und das wäre?«

Münster überlegte. »Bevor Herr Vogt sich selbstständig gemacht hat, war er schon einmal an einer staatlichen Stelle beschäftigt. Ich muss nachdenken. Kolbig-Institut, glaube ich.«

Professor Münster zögerte. Er erhob sich von seinem Platz und ging quer durchs Zimmer zu seinem Bücherregal. Er studierte die Buchrücken, wurde schnell fündig und kehrte mit einer Art Almanach zurück. Er hielt uns das Buch kurz hin.

»Mein kleiner Wissenschaftsführer«, kommentierte er das Werk, das er aufschlug und in dem er zu blättern begann. »Ah, da steht es ja. Ich lag beinahe richtig. Es war das Raimund-Kolbig-Institut. Die waren auch hier in Hamburg. Sie müssen wissen, Anfang der Neunziger, also gleich nach der Wende, gab es eine regelrechte Aufbruchstimmung, da sind die halbstaatlichen Institute wie die Pilze aus dem Boden geschossen.«

»Was sagten Sie, Raimund ...« Hartmann schrieb wieder in seinem Notizbuch.

»Raimund-Kolbig-Institut!«, sagte Münster betont und zitierte aus dem Buch, das er vor sich auf den Tisch gelegt hatte. »Forschungsgebiete Baustoffkunde, Materialalterungsverhalten, Tragwerksplanung, grafische Statik, Starrkörperstatik. Da haben Sie es, Vogt war gelernter Statiker. Er hat allerdings nicht lange dort gearbeitet, wenn ich mich richtig erinnere. Außerdem steht hier, dass das Raimund-Kolbig-Institut im November 2000 geschlossen wurde.«

Ich gab Hartmann ein Zeichen und übernahm die nächste Frage. »Aber an diesem Raimund-Kolbig-Institut hat Herr Vogt demzufolge nicht als Techniker gearbeitet?«

Professor Münster zuckte erneut mit den Schultern. »Er war zwar nur kurz dort, zu kurz, um sich zu promovieren, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er dort ebenfalls als Techniker gearbeitet hat. Er war damals ein junger Hochschulabsolvent. Er wird schon eine wissenschaftliche Karriere angestrebt haben. Ich sehe das doch heute an meinen jungen Leuten.«

»Was glauben Sie, warum hat er dann nicht auch bei Ihnen nach Höherem gestrebt?«

»Das hat sich hier nicht ergeben. Außerdem, nach so langer Zeit. Er war doch zehn, fünfzehn Jahre selbständig, hat sich in dieser Zeit viel zu sehr vom Wissenschaftsbusiness entfernt. Da kommt man nicht mehr so schnell wieder rein. Die meisten meiner jungen Leute kommen direkt von der Hochschule, bleiben ein paar Jahre, schreiben ihre Doktorarbeit und verlassen das Institut wieder. Vogt war in einem anderen Lebensabschnitt, als er hier anfing. Er hatte eine Festanstellung und für eine richtige Assistentenstelle fehlte ihm dann doch die Qualifizierung, er war nicht promoviert, obwohl er sich wohl immer noch für wissenschaftliche Themen interessierte.« Professor Münster unterbrach sich kurz. »Merkwürdig, dass mir das gerade jetzt wieder einfällt.«

»Was fällt Ihnen wieder ein?«, hakte ich nach.

»Naja, ein paar Wochen vor seinem Tod hat mich Vogt tatsächlich mal außerhalb seiner üblichen Aufgaben angesprochen.« Professor Münster rieb sich das Kinn. »Er hat Unterlagen mitgebracht, wollte meine Meinung dazu hören.«

»Was waren das für Unterlagen?«

»Es waren Berechnungen, Gleichungen, ich glaube aus der Baustatik. Ich bin für die Fachgebiete, die wir unterstützen auch kein Experte, aber meine Mitarbeiter und ich sind in der Lage, Gleichungssysteme zum Beispiel aus der Physik oder den Ingenieurwissenschaften in Computermodelle umzuwandeln, das ist unser Job hier.«

»Und mit so etwas ist Herr Vogt zu Ihnen gekommen? Hat Sie das nicht gewundert?«

»Was heißt gewundert.« Professor Münster verzog den Mund. »Er wollte meine Meinung zu einem Thema hören. Ich hatte an dem Tag nicht viel Zeit. Ich habe es mir kurz angesehen, ihm vage zugesagt, mich später etwas näher damit zu beschäftigen. Dann habe ich es aber auch vergessen.«

»Und Vogt ist nicht noch einmal damit gekommen?«, fragte ich.

»Nein, nicht dass ich wüsste. Wir haben es beide vergessen und dann, Sie wissen schon ...«

Ich nickte. »Haben Sie denn ungefähr eine Ahnung, worum es Vogt dabei ging?«

»Wissen Sie was?« Professor Münster erhob sich erneut und ging zu seinem Schreibtisch. Er zog eine der unteren Schubladen auf und kramte darin. »Ich habe es doch noch«, sagte er schließlich und kehrte mit zwei zerknitterten Blatt Papier zur Sitzgruppe zurück. Er ließ sich in seinen Sessel fallen, lehnte sich nach hinten und war für ein, zwei Minuten wie entrückt, während er die Unterlage studierte.

Er schüttelte schließlich den Kopf. »Einer meiner Doktoranden kennt sich mit Statikmodellen besser aus. Ich kann ungefähr sagen, worauf das hinausläuft, aber es ist wirklich besser ...«

»Worauf läuft es denn hinaus?«, unterbrach ich Münster.

»Wie gesagt, da möchte ich mich wirklich beraten, jetzt wo Vogt ja selbst nichts mehr dazu beitragen kann, Sie verstehen?«

Ich nickte. »Hat Herr Vogt denn irgendetwas angedeutet, worum es ihm bei diesen Unterlagen ging?«

»Das muss ich erinnern, das fällt mir bestimmt wieder ein, wenn ich mit meinem Mitarbeiter darüber spreche. Also geben Sie mir in dieser Angelegenheit bitte etwas Zeit.« Münster hielt kurz inne. »Obwohl da nicht viel rauskommen wird.«

»Wie meinen Sie das?«

»Das sind nur ein paar Formeln«, versuchte Münster zu erklären. »Wir brauchen auch Parameter, mit denen wir die Formeln füttern können, Randbedingungen, Systemabgrenzungen und einen Überblick zum Praxisbezug. Aber egal, geben Sie mir ein paar Tage und ich kann Ihnen vielleicht mehr sagen.«

Ich sah kurz zu Hartmann. »Können wir uns dann wenigstens den Arbeitsplatz von Herrn Vogt ansehen?«

»Wollen Sie in die Labore?«, fragte Münster.

»Ich weiß nicht, hatte Herr Vogt nicht auch einen Schreibtisch, einen Computer, persönliche Dinge?«

»Natürlich, aber davon ist nichts übriggeblieben.« Münster dachte nach. »Aus Datenschutzgründen werden alle Festplatten verschrottet, der Rechner eines ausgeschiedenen Mitarbeiters neuaufgesetzt oder ebenfalls verschrottet, wenn es ein altes Gerät ist. In der Regel sichert ein Mitarbeiter selbst alle seine Daten, die ihm wichtig sind, bevor er oder sie uns verlässt.«

»Aber das konnte Herr Vogt nicht mehr«, warf ich ein. »Machen Sie in einem solchen Fall keine Sicherung?«

»Wir arbeiten hier auf Servern«, erklärte Münster. »Die wissenschaftlichen Ergebnisse gehen so nicht verloren, falls etwas Unvorhergesehenes passiert.«

»Dann gibt es also Sicherungen von Vogts Arbeit?«

Professor Münster schüttelte den Kopf. »Nein, ganz bestimmt nicht. Herr Vogt war keiner meiner Wissenschaftler. Alles, was er hinterlassen haben könnte, sind Bestellungen oder die Rechnungsablage. Das wird nicht sehr ergiebig sein, das ist trockener Zahlenkram.«

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