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Kapitel 6

Am nächsten Morgen standen sie später auf als üblich, sie wuschen sich gründlich und nach einem kleinen Frühstück gingen die Aramäer zum Gebetshaus.

Jeschua begann mit den Lesungen und die Klarheit seiner Stimme berührte die Gemeinde sehr. Dann wählte er sieben Männer und auch diese lasen aus dem fünften Buch Mose. Nach den gemeinsamen Gebeten und Lesungen gingen alle zu ihren Familien, es wurde ihnen ein zweites Frühstück gereicht. Danach gingen sie in der nahen Umgebung bis zum Mittagsschlaf spazieren. Und für Jeschua fühlte es sich fast so an, als ob er noch in Nazaret lebte, und er vermisste seine Mutter und seine Familie sehr.

In diesen Stunden fiel auch von Claudius etwas von den Anspannungen der vergangenen Tage ab. Claudius kannte die Vorbehalte von hochgestellten Römern gegen viele aramäische Rituale und insbesondere gegen den Sabbat und er hatte sie bis zu diesem Tag mit seinen Landsleuten geteilt. Der Sabbat wurde mit Faulheit und Müßiggang gleichgestellt. Doch er dachte sich: Römern täte die Entspannung gut, sich der Familie zu widmen. Er spürte, wie ihm die Pause neue und zusätzliche Kraft verlieh.

Am nächsten Morgen berichteten Bezalel und Kenan von den Gesprächen mit Simons Kunden. Sie waren in die nördlichen Richtungen geritten und hatten alle angetroffen, die sie antreffen wollten. Die Schuldner beglichen die Rechnungen, es wurde über die künftigen Geschäftsbeziehungen gesprochen, doch mehr konnten Bezalel und Kenan nicht sagen. „Keine Fischzeichen?“ Fragte Claudius. „Nein,“ sagten sie. „Nun gut, Ihr Frauen und Männer. Bezalel und ich haben gesehen, was wir sahen. Doch vor allem danken wir Euch für Eure Freundschaft, die wir niemals vergessen werden. Solltet Ihr eines Tages in Not sein, so kommt zu uns. Wir werden Eure Gastfreundschaft vergelten.“ Bezalel reichte allen Aramäern zum Zeichen von Claudius Worten ein mit seinem und Claudius Siegel versehenes Stück Papyrus, das ihnen umgehenden Zutritt zu den obersten Stellen in Tiberias gewähren würde. Und sie alle dankten Bezalel und Claudius.

Im Dorf verabschiedeten sich Claudius und Bezalel von Elias und Aviel, der wieder zu Kräften gekommen schien und anschließend ritten sie so schnell, wie sie gekommen waren, davon. Und der Rhythmus, der die Menschen, ihre Sorgen und Hoffnungen, seit Jahrhunderten geprägt hatte, kehrte wieder in das kleine Dorf NaÏn in Galiläa zurück.

Die Kornfelder und die Weinberge wurden bestellt, die Kaufleute betrieben ihren Handel, Kinder wurden geboren, Alte starben und wurden begraben, Männer und Frau heirateten und der Sabbat wurde gefeiert. Elias und Aviel waren sehr erfreut, dass der Spuk vorbei war und der Zorn der Gottheit sie doch nicht gerichtet hatte. In den Familien oder auf dem Marktplatz wurden die Ereignisse um Simons Tod jedoch noch lange besprochen und mit zunehmendem Abstand auch immer mehr ausgeschmückt. Und je weniger die Frauen oder Männer, die darüber sprachen, daran beteiligt waren, umso abenteuerlicher wurden die Berichte. Ein Bauer dichtete gar die Zerstörungen eines seiner Kornfelder, die in Wahrheit durch ein Gewitter verursacht waren, einer ganzen Kohorte von Römern an, die auf der Suche nach Simons Mörder auch die ganze Gegend verwüstet hatte. Wurde Jeschua Zeuge einer solchen Verklärungen, ermahnte er die Geschichtenerzähler sich an die Wahrheit zu halten, doch auch die eindringlichsten Bibelzitate oder Gleichnisse, die Jeschua wusste und ihnen zur Belehrung sagte, vermochten diesen Verlauf nicht mehr aufzuhalten. Manche Menschen ließ er jedoch gewähren, damit sie die Ereignisse verarbeiten konnten.

Ein Tag nachdem Jeschua in NaÏn den dritten Sabbat gefeiert hatte und er nachmittags wieder auf dem Weg vom Gebetshaus zurück zu Simons Anwesen war, sah er in einiger Entfernung zwei aramäisch gekleidete Männer auf das Dorf zugehen, deren Erscheinungen er nicht einem Namen der Männer aus NaÏn zuordnen konnte. Zwei mit Leinensäcken bepackte Esel trotteten neben ihnen her. Wieder eine Weile später erkannte Jeschua noch immer keinen von ihnen. Ohne Eile ging er in Richtung Rundbogen am Ortseingang, denn bei den beiden Wachmännern mussten sich die Fremden erklären. Er dachte in sich, dass seine jetzige Nervosität mit den vergangenen Vorfällen um Simons Tod in Verbindung stehen müsse.

Jeschua war noch zu weit entfernt von den Fremden, als diese die Wachmänner ansprachen und er hörte nicht, was sie redeten. An ihren Gesten erkannte Jeschua, dass sie sich nach etwas oder jemanden erkundigten. Und einer der Wachmänner deutete in Richtung Simons Anwesen, woraufhin die Fremden und die Esel ihren Weg dorthin fortsetzen. Wenig später erreichte Jeschua die Wachmänner. „Schriftgelehrter,“ sprach ihn einer der Wachmänner an. „Die Fremden fragten nach Simon. Wir haben sie zu Simons Haus geschickt.“

„Habt Ihr den Fremden berichtet, was geschehen ist?“ Fragte Jeschua. „Nein, Schriftgelehrter,“ antwortete der andere Wachmann. Jeschua zwang sich zur Ruhe, anstatt den Fremden hinterher zu eilen. „Ihr seid uns ja feine Wachleute,“ sprach Jeschua sie an. Doch die Wachleute hörten Jeschuas Unterton nicht und sie fühlten sich gelobt.

Jeschua beließ es dabei und mit festen Schritten folgte er den Fremden und ihren Eseln. Dann sah Jeschua, wie die Fremden von Johannes und Kenan in Empfang genommen wurden und das beruhigte ihn. Da sich Jeschua bereits näherte, sahen Johannes und Kenan ihn kommen, die Fremden aber nicht. Schließlich war er in Hörweite bei der Gruppe angelangt, denn Kenan sagte: „Fragt unseren Schriftgelehrten. Er ist hinter Euch.“ Die Fremden drehten sich überrascht um. „Friede sei mit, Euch, Fremde,“ sagte Jeschua. „Und der Friede sei mit Dir, Schriftgelehrter,“ sagten die Gegrüßten. „Was führt Euch an diesen Ort, Fremde?“ Fragte Jeschua sie. „Das könnten wir Euch auch fragen,“ entgegnete der größere von ihnen. „Euch haben wir hier jedenfalls noch nicht gesehen und wir waren schon oft hier!“

Jeschua sah, dass Kenan zu seiner Klinge greifen wollte, doch ein kurzer Blick von Jeschua stoppte Kenans Vorhaben. „Nun,“ sagte Jeschua, „hinter Euch stehen Kenan und Johannes aus Nazaret, vor Euch steht Jeschua aus Nazaret. Wie ist Euer Name?“

„Verzeih, Schriftgelehrter,“ sagte der größere wieder, der ihr Wortführer war. „Dies ist Lukas aus Kapernaum und mein Name ist Matthias aus Kapernaum. Wir besitzen in der Gegend dort einige Gasthöfe und Simon belieferte uns mit gutem Wein. So, wie viele Jahre zuvor, erwarteten wir heute Simon, den Winzer und Schriftgelehrten zu treffen, stattdessen steht Ihr vor uns.“

„Verzeiht uns unsere Nervosität, Matthias und Lukas. Und ich bin traurig, Euch sagen zu müssen, dass Simon, möge er in Frieden ruhn, hier vor etwas mehr als drei Wochen von fremder Hand erschlagen wurde und zu allem Unglück ist seine Frau Sigalit seitdem verschwunden.“ Jeschua berichtete ihnen in Kürze die bisherigen Ereignisse, und auch die Anwesenheit einer Untersuchungskommission aus Tiberias erwähnte er. „Es ist ein weiter Weg von Kapernaum nach NaÏn, Matthias und Lukas. Ihr müsst erschöpft sein. Wollt Ihr Euch nicht bei etwas Brot und Salz und Wasser erfrischen und hier Euer Nachtlager aufschlagen?“ Fragte Jeschua sie. „Wir nehmen Euer Angebot gerne an, Schriftgelehrter,“ sagte Lukas. Jeschua wollte Johannes und Kenan anweisen, sie mögen sich um die Esel kümmern, doch Matthias sagte, dass sie gleich nach der Erfrischung weiterziehen. „Dies ist Euer Wunsch? So sei es,“ sagte Jeschua.

Matthias berichtete auf Nachfrage Jeschuas, dass ihre Lieferanten regelmäßig besuchten. So blieben sie im Kontakt zueinander, sie konnten die Qualität des neuen Jahrgangs bewerten und Kaufpreise verhandeln. Im Angesicht der Umstände erklärte er, blieben die Kaufpreise für Simons Wein bis zum nächsten Jahr gültig. „Das ist sehr großzügig, Matthias. Wir danken Dir!“ Sagte Jeschua. „Nun ja, Schriftgelehrter,“ sagte Matthias und „wir danken Dir für Deine Gastlichkeit und wir wünschen Dir Glück für eine gute Weinlese. Friede sei mit Euch.“ Und schneller, als sie gekommen waren, zogen sie davon.

Johannes dachte, es handelte sich um Falten an den Leinensäcken, doch Kenan sah es auch. „Schriftgelehrter,“ sagte Johannes leise. „Sieh!“ Sein Blick wies auf einen der unteren Leinensäcke auf einem Eselsrücken. „Das Fischzeichen.“ Jeschua ging mit ruhigen Schritten in den Schreibraum des Anwesens und er besah die Buchhaltungsschriften des Simon. Er fand zwei Einträge von Kunden aus Kapernaum, darunter war auch Matthias Name. „Sollten wir nicht Bezalel und Claudius über die Vorgänge berichten, Schriftgelehrter?“ Fragte Kenan.

„Bitte rufe die Weingärtner und die Mägde, Kenan. Wir wollen uns besprechen,“ sagte Jeschua. Da sie sich noch nicht gewaschen hatten, hielten sie stehend vor dem Haus Rat. Jeschua sprach zuerst: „Kenan, erkläre uns, was Du gesehen hast. Johannes und ich sahen es auch, Ihr anderen aber nicht.“

„Das Fischzeichen war auf einem der Säcke auf den Packeseln angebracht,“ sagte Kenan und Jeschua ergänzte: „Der, der sich Matthias aus Kapernaum nannte, ist in den Buchhaltungsschriften des Simon verzeichnet. Der, der sich Lukas nannte nicht. Du fragtest, ob wir nicht Claudius und Bezalel in Tiberias davon berichten sollten, Kenan. Stimmt Ihr Kenans Frage zu?“ Und alle nickten.

„Wie aber soll das geschehen?“ Fragte Jeschua. Einerseits hatten sie ihre jetzigen Verpflichtungen, andererseits waren diese eher den Umständen geschuldet, denn die Eigentumsverhältnisse über Simons Weingut waren noch nicht geregelt, und damit auch die Angestelltenverhältnisse der Weingärtner und der Mägde nicht. Jeschua war übergangsweise als Schriftgelehrter von NaÏn eingesetzt und er übernahm Verwaltungsaufgaben des Weingutes, obwohl dies nirgends festgeschrieben war. Johannes und Kenan waren hauptsächlich zum Schutz Jeschuas hier, doch sie machten sich auch in vielerlei anderen Dingen nützlich. Der Wille der Gottheit hatte sie zu Beteiligten der Untersuchungen der Männer aus Tiberias gemacht, doch diese waren von Claudius und Bezalel, zumindest für NaÏn, für beendet erklärt worden. Obwohl sie eine gewisse Leidenschaft für die Sache entwickelt hatten, verpflichtete sie dies nicht zu weitergehenden Handlungen. Denn dafür würden sie die Verantwortung selbst übernehmen müssen, solange es keine weiteren offiziellen Anweisungen gab. Die heutige Begegnung mit den Männern aus Kapernaum, mit ihrer zeitweise respektlosen Rede und das erneute Erscheinen des Fischzeichens, zeigten dagegen, dass die nach Claudius und Bezalels Abreise eingetretene Ruhe trügerisch gewesen war. Die Menschen, die Simon erschlagen hatten, hatten dies heimtückisch getan und sie hatten auf dem Anwesen nach etwas gesucht. Es war nicht bekannt, ob die Täter fanden, wonach sie gesucht hatten. Die Täter hatten offensichtlich wenig Achtung vor einem Menschenleben. Vielleicht waren die Männer aus Kapernaum Spitzel der Täter. Und sie, die jetzt auf Simons Weingut lebten und arbeiteten, fühlten sich von den unsichtbaren Mächten aus guten Gründen in ihrer Existenz bedroht. Sie befanden sich in einem Dilemma. Und Jeschua sagte: „Wir können den Willen der Gottheit nicht mit unseren Mitteln oder unserem Verstand erkennen. Was sagt Euer Herz Euch?“

Und sie beschlossen einstimmig, der Dorfrat sei zu befragen. Das gemeinsame Abendessen verlief ernster als die bisherigen und sie alle schliefen unruhig in dieser Nacht.

Kapitel 7

Früh am nächsten Morgen gingen Jeschua, Daniel, Johannes und Esther zu Elias und Aviel. Und nachdem sie ihnen berichtet hatten, erhofften sie von ihnen zu hören, was zu tun sei. Elias und Aviel zogen sich zu Beratungen unter vier Augen zurück, bevor Aviel zu ihnen sprach: „Wir danken Euch, dass Ihr zu uns gekommen seid, denn Eure Not ist auch die unsere,“ sagte er, der vor allem aufgrund der Belastungen der bisherigen Ereignisse schwer atmete. „Und wohl habt Ihr Eure Bedenken ausgeführt, denn ich erkenne darin keine Widersprüche. Doch diese Angelegenheit übertrifft die Erfahrungen, die wir haben. Mögen weisere Männer darüber befinden, als wir es sind.“ Und auch Elias nickte dazu. Daniel, Johannes und Esther erschraken und Jeschua sah ihre Angst, denn er sagte: „Fürchtet Euch nicht! Gut hat der Dorfrat gesprochen!“ Sie sahen Jeschua erstaunt an.

„Wenn Ihr damit einverstanden seid, gehen Johannes und ich noch heute nach Nazaret. Wir wollen die Weisen dazu befragen. Sie werden uns in dieser ernsten Angelegenheit den Weg zum Willen der Gottheit weisen. Wir werden spätestens übermorgen, nach dem Mittag zurück sein.“ Und sie nickten alle. Bevor Jeschua und Johannes die Gemeinschaft auf Simons Anwesen verließen, sagte Jeschua zu Kenan: „Wenn es möglich ist, denke nach, bevor Du Deine Waffen gebrauchst. Bleibt keine Zeit dafür, zögere nicht einen Lidschlag, sie zu gebrauchen!“ „Ja, Herr!“ sagte Kenan.

Sie erreichten Nazaret nach einem Eilmarsch in weniger als vier Stunden und sie gingen umgehend zu den Weisen. Erfreut wurden Jeschua und Johannes von ihnen begrüßt, doch in ihren Augen sah Jeschua, sie wussten, er und Johannes waren aus ernstem Anlass gekommen. Gestärkt von frischem Wasser, Brot und Salz berichteten Jeschua und Johannes von den Ereignissen seit ihrer Ankunft in NaÏn und die Weisen hörten ihnen zu, sie hatten nur wenige Zwischenfragen. „Wir danken Euch für Euren Bericht,“ sagte der Älteste der Weisen. „Gut habt Ihr gehandelt. Unser Entschluss und der Wille der Gottheit, Euch nach NaÏn zu entsenden, gebietet es, dass wir uns mit dieser ernsten Angelegenheit beschäftigen werden. Ruht Euch aus und kommt nach den Nachmittagsgebeten wieder zu uns. Dann werden wir Euch unseren Entschluss verkünden.“ „Ja, edle Weise,“ sagten Jeschua und Johannes.

Ihnen wurde ein Schlafplatz bereitet und weil der Marsch anstrengend gewesen war, schliefen sie sofort ein. Einer der Schüler der Weisen weckte sie nach den Nachmittagsgebeten, sie wuschen sich, man brachte ihnen etwas Obst und frisches Wasser, dann gingen sie zu den Weisen. „Nun,“ sagte der älteste der Weisen. „Wir sehen, Ihr seid wieder zu Kräften gekommen.“ Und er lächelte ihnen freundlich zu. „Eure Berichte haben uns sehr berührt, Jeschua und Johannes, und wir trafen diese Entschlüsse: Ihr werdet morgen nach Tiberias reiten und Ihr werdet dem Römer und dem Rechtsgelehrten von der Entwicklung berichten. Und ich sage Euch: Nicht die Heerscharen der Gottheit werden über uns kommen, wenn wir den dunklen Mächten nicht Einhalt gebieten, sondern die römische Armee!“ Er machte eine Pause und sagte dann: „Einer aus unseren Reihen wird Deinen Platz in NaÏn einnehmen, bis Du aus Tiberias zurückgekehrt sein wirst. Er wird von mehreren, waffenerfahrenen Männern begleitet und beschützt, die in NaÏn bleiben, bis dieser Spuk vorüber ist!“ Abermals holte er Atem. „So soll es geschehen, denn wir fürchten die Amoriter nicht!“ Endete der älteste der Weisen.

Doch Jeschua erhob seine Stimme: „Edle Weise, wir danken Euch für Euren Ratschluss, denn er ist gerecht.“ Jeschua zögerte kurz, doch dann sagte er: „Herr, ich kann nicht reiten!“ „Nun,“ sagte der älteste der Weisen, „dann wird Johannes es Dich lehren.“ Und die Weisen lächelten und sie verabschiedeten sich.

Jeschua ging umgehend in Richtung seines Zuhauses und Johannes tat es ihm gleich. „Wir treffen uns hier kurz vor Sonnenaufgang wieder, Johannes,“ sagte Jeschua noch. „Wer sind die Amoriter, Jeschua?“ fragte Johannes. „Ich erkläre es Dir morgen, geh nun.“

Tränen der Freude liefen über Marias Wangen, als sie ihren ältesten Sohn wiedersah und ihn fest ihre Arme schloss. Sein Bruder und seine Schwester, sein Patenonkel und dessen Familie freuten sich ebenso sehr. Von jeder Begebenheit musste Jeschua bis in die kleinste Einzelheit berichten und so wurde es ein langes Abendessen. Maria nahm keine Melancholie in Jeschuas Augen wahr. Die Stimme ihres Sohnes erschien ihr noch klarer geworden, seine Statur noch kräftiger, aber ihre Sorgen, die sie hatte, wenn sie Jeschua ansah, waren geblieben. Und nach fast einem Monat schlief Jeschua schließlich wieder auf dem Schlafplatz, auf dem er bisher die meiste Zeit seines Lebens geschlafen hatte. Es kam ihm vor, als wären viele Jahre vergangen.

Kapitel 8

Lange vor Sonnenaufgang wachte Jeschua auf und als er sich gewaschen hatte, ging er in den Küchenbereich. Seine Mutter war bereits mit dem Zubereiten des Frühstücks beschäftigt. „Guten Morgen, Mama,“ grüßte Jeschua sie. „Guten Morgen, mein Sohn,“ sagte Maria und „ich konnte nicht richtig schlafen. „Ich weiß, Mama, ich konnte es in meinem Schlaf spüren.“

„Die Reise, auf die Du jetzt gehst, wird sie gefährlich sein?“ „Ich weiß es nicht, Mama. Die Wege der Gottheit sind immer voller wundersamer Wendungen.“

„Und sie sind uns vorherbestimmt,“ sagte Maria. „Amen!“ Sagte Jeschua. Sie umarmten sich zum Abschied, sie sahen sich fest in die Augen und Jeschua ging zum Haus der Weisen, wo Johannes ebenfalls eintraf.

Die Morgenluft war kühl und nur wenig später würde die Sonnenscheibe sichtbar werden. Ein tiefblauroter Streifen im Osten kündigte den neuen Tag an. Zwei der Weisen erschienen, hinter ihnen Knechte, die die Pferde, Decken, Ersatzkleidung und Proviant brachten. „Friede sei mit Euch, Jeschua und Johannes,“ sagten die Weisen und „haltet Euch an die Wege und gebt gut aufeinander Acht.“ „Ja, Herr,“ sagten sie. Johannes entschied, dass Jeschua hinter ihm sitzen solle und sie die Pferde unterwegs regelmäßig wechseln würden, um sie nicht zu überfordern. „Wir haben keine Zeit für Reitunterricht,“ sagte er.

Jeschua lernte von Johannes, sich seinen Umhang so zu wickeln, dass er beim Reiten nicht störte und er gab ihm die wichtigsten Anweisungen für den richtigen Sitz. Beim ersten Versuch konnte Jeschua den Rücken des Pferdes nicht erreichen, und so halfen die Knechte. Doch bereits beim Anreiten fiel er vom Pferd, denn er hatte nicht mit der kraftvollen Bewegung des Tieres gerechnet. Jeschua musste sich drei Handbreit hinter Johannes auf die höchste Stelle über den Hinterläufen des Pferdes setzen und seine Beine auf einer Seite belassen. Er konnte sich, falls nötig, an Johannes Gürtel festhalten und mit der anderen aufstützen. Beim zweiten Versuch gelangen die Absichten besser. Im langsamen Schritt ritten sie in Richtung Tiberias, das Packpferd trottete gemütlich hinter ihnen her. Nach einer Weile wechselte Johannes in einen langsamen Trab, doch nicht, ohne Jeschua über den Tempowechsel vorgewarnt zu haben. Und so kamen sie gut voran. Die Pferde wurden im Laufe des Rittes mehrfach gewechselt. Die Passanten, an denen sie unterwegs vorbeiritten, waren mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, so wie Jeschua und Johannes auch. Jeschua brauchte alle seine Konzentration und Kraft, damit er sich im Gleichgewicht halten konnte. Johannes achtete mehr auf die Wege, kleinere Hindernisse, aber vor allem auf entgegenkommende oder sie überholende Reiter, denen er zuweilen ausweichen musste.

Der Abstieg nach Tiberias dauerte längere Zeit. Sie mussten vom Pferd absteigen und diesen Abschnitt ihrer Reise zu Fuß gehen, denn die Serpentinen waren schmal und es herrschte reger Verkehr in Richtung Tiberias und aus Tiberias hinaus. Jeschua kannte das galiläische Meer von gelegentlichen Besuchen beim Bruder seines Patenonkels in seiner Kindheit, Johannes sah es an diesem Tag aber zum ersten Mal und er war beeindruckt von der Größe des Sees und dessen tiefblauer Farbe. Beide Männer hatten Tiberias vorher noch nicht gesehen, sie wussten aber, Fürst Herodes Antipas hatte diese Stadt vor einigen Jahren zu seinem neuen Herrschaftssitz bestimmt. Schon aus der Ferne konnten sie sehen, dass Tiberias größer als Nazaret war. Sie sahen eine Stadtmauer, die die Stadt wie einen Halbkreis umschloss, denn die Ostseite war zum See hin offen. Im Hafen lagen mehrere Schiffe. Sie nahmen an, dass das sichtbar größte Gebäude der Fürstenpalast sein musste. Bei den Farben der Häuser dominierten Ockertöne und das gebrannte Rot der Dachziegel, sie konnten aber auch hellere Strukturen erkennen. Vor dem Stadttor angekommen erkundigten sie sich nach Unterstand für die Pferde, und sie fanden schließlich einen Stall, der Ihnen ein für sie erschwingliches Angebot machte. Viele Einwohner von Tiberias und Besucher, die es sich finanziell leisten konnten, gingen jedoch mit ihren Reit oder Packtieren in die Stadt, dort waren die Stallungen teurer als außerhalb der Stadtmauern.

Die Wachmänner in Dörfern wie Nazaret oder NaÏn, waren meist brave Männer aus den Dörfern selbst oder aus deren Umgebung. Sie waren oft nur unzureichend an den zumeist schlecht gefertigten Waffen ausgebildet, die sie trugen. In den Dörfern waren diese Umstände völlig ausreichend. In Tiberias wurden Reisende jedoch von römischen Legionären in Empfang genommen, die speziell im Wachdienst und für den Dienst an den Stadttoren ausgebildet waren. Über Jahrhunderte hatten die Römer diesen Dienst perfektioniert. Kein Außenstehender verstand ihre Handlungen, oder konnte daraus ein System entschlüsseln. Viele hatten das versucht und waren daran gescheitert. An einem Tag schien es, die Wachsoldaten seien gelangweilt oder die Hitze hätte ihnen zugesetzt, sodass viele Besucher oder Abreisende unbehelligt blieben. Am nächsten Tag führten sich genau die gleichen Soldaten trotz gleicher Hitze aber wie die Furien auf, und nahezu jeder Mensch und jede Kreatur wurde auf Herz und Nieren untersucht. Wenn den Soldaten eine Person oder eine Sache verdächtig erschien, wurde den betroffenen Personen der Zugang verweigert. Es konnte sogar geschehen, dass diese Personen von den Soldaten auf der Stelle verhaftet wurden. Große Städte zogen schließlich nicht nur die ehrlichen Menschen an, denn in ihnen befanden sich oft große Werte, daher war die Anwendung dieser Praktiken zum Schutz der Städte verständlich. In Rom, oder in großen Städten auf dem italienischen Festland, wurden Wachsoldaten, die sich von Besuchern für den Einlass bestechen ließen, und die dabei überführt wurden, zu drakonischen Strafen verurteilt. Gleiches galt für Wachsoldaten, die den Wachdienst ausnutzten, um ihren Sold aufzubessern, indem sie von Besuchern für den Zugang zur Stadt Geld erpressten. Rom war das Licht der Welt und nichts sollte diesen Eindruck bei den Menschen, die aus allen Ländern der Welt kamen, trüben. Vollständig verschwand diese Praxis zwar nie, aber für die überwiegende Zahl der Menschen, die nach Rom kamen oder aus Rom abreisten, war sie praktisch nicht spürbar. Aber Rom war von den Provinzen weit entfernt und Bestechung der Wachsoldaten war in den Provinzen Gang und gäbe, genauso wie Erpressung von Besuchern durch die Wachsoldaten. Es sei denn, ein zumeist neu angekommener, oft junger und übereifriger Kommandant der Wachsoldaten überwachte und bestrafte diese Praxis. Die Wachsoldaten fürchteten diese Neuankömmlinge aber nicht sehr. Denn, so sicher wie die Sonne im Osten auf und im Westen untergeht, so sicher war es, dass die neuen Kommandanten sich nach wenigen Tagen mit den örtlichen Gesetzmäßigkeiten anfreundeten.

Und so gingen Jeschua und Johannes zum Stadttor und sie sprachen einen der Wachsoldaten in ihrer Unerfahrenheit mit diesen Dingen direkt an: „Herr,“ sagte Jeschua, „wir möchten Legat Claudius Babillus sprechen. Wie können wir ihn finden?“ Kein Aramäer sprach einen römischen Wachsoldaten ohne Not ungefragt an, daher wusste dieser im gleichen Augenblick, dass die beiden Aramäer, die vor ihm standen, unerfahrenes Landvolk waren. Aber der unergründliche Wille der römischen Götter hatte entschieden, dass die Wachsoldaten zu dieser Stunde zu Scherzen aufgelegt waren, was Jeschua nicht wissen konnte. Und der Römer fragte mit der ihm größtmöglichen Freundlichkeit: „Nun, edle Herren, was ist Euer Begehr?“ Ein anderer Wachsoldat, der die Szene sah, kam zu ihnen und Jeschua sagte: „Wir möchten mit Legat Claudius Babillus in einer persönlichen Angelegenheit sprechen.“ Der erste Wachsoldat sah seinen Kameraden an: „Die edlen Herren wollen Legat Claudius Babillus in einer persönlichen Angelegenheit sprechen,“ wiederholte der erste Wachsoldat sichtlich amüsiert. Johannes ahnte, dass sie einen Fehler begangen hatten. Er berührte Jeschua an einem Arm. Dann zog Jeschua den versiegelten Papyrus aus seinem Umhang hervor, den Bezalel und Claudius ihnen gegeben hatten und zeigte es dem Wachsoldaten. Johannes tat es ihm gleich „Wir erhielten diese Schreiben von Legat Claudius Babillus persönlich. Er versicherte uns, dass wir damit jederzeit zu den höchsten Stellen in Tiberias vorgelassen werden.“ Die Wachsoldaten entrollten die Papyri, sahen die Siegel von Claudius und eines Rechtsgelehrten und auf der Stelle veränderte sich der Tonfall ihrer Stimmen. „Geht zum Palast des Fürsten, dort werdet Ihr Legat Claudius Babillus antreffen. Ihr dürft passieren,“ sagte der erste Wachsoldat und er gab Jeschua und Johannes die Papyri zurück. Die Wachsoldaten sahen sich an. „Ei, da wären wir ja beinahe in einen Schlamassel, geraten,“ sagte der zweite Wachsoldat.

Und die gute Laune der römischen Götter wandelte sich genauso schnell, wie sie gekommen war. Am meisten verärgerte die Wachsoldaten aber die entgangenen Einnahmen, die sie in ihren Gedanken von den beiden Aramäern erwartet hatten. Die Jeschua und Johannes nachfolgenden Reisenden wurden daher den strengsten Kontrollen unterzogen, was die eben noch verlorenen Einnahmen der Wachsoldaten mehr als kompensierte und schnell bildete sich eine Warteschlange vor dem Stadttor.

Nachdem sie einige Schritte gegangen waren, fragte Johannes: „Wer waren die Amoriter, Jeschua?“ Und Jeschua sagte ihm: „Bevor das Volk Israel in das gelobt Land gehen konnte, mussten sie das Volk der Amoriter besiegen, die sehr stark waren und so fürchteten sich viele im Volk Israel, obwohl die Gottheit doch an ihrer Seite stand. So verzögerte sich der Einzug des Volkes Israel in das gelobte Land um vierzig Jahre, denn die Gottheit bestimmte, dass keiner aus der Generation der Ängstlichen das gelobte Land sehen solle, außer Kaleb und Josua.“ Johannes verstand nun die Worte der Weisen in Nazaret.

Sie erkundigten sich mehrmals bei Passanten nach dem Weg zum Fürstenpalast. Viele Menschen, die sie sahen, trugen fremdländische Kleidung und hatten fremdländisches Aussehen. Da waren Römer, Menschen aus Syria, Mazedonien, Galatien, Ägypten, Mauretanien. Ein Stimmengewirr unterschiedlicher Dialekte und Sprachen umgab Johannes und Jeschua. „Ist es nicht erstaunlich,“ fragte Johannes, „wie alle diese Menschen hier miteinander leben? Obwohl man doch meinen könnte, sie müssten einander feindlich gesonnen sein.“ „Wir alle haben die gleichen Wurzeln, Johannes,“ sagte Jeschua. „Und doch besteht die Schöpfung der Gottheit aus Vielfalt. Kein Stein gleicht einem anderen und doch ist er Stein. Die Menschen hier, Johannes, besinnen sich auf ihr gemeinsames Interesse, das Geschäftemachen. Ihre Herkunft und ihr Aussehen sind dafür nicht von Belang.“ Darüber wollte Johannes später nachdenken, denn sie hatten ihr Ziel erreicht. Aus einer der kleineren Straßen kamen sie zu einem großen, offenen Platz, an dessen Ende der Eingang zum Palast war.

Anders, als in den Straßen, war der Boden des Platzes mit großen, grauweißen Steinplatten bedeckt, der das Sonnenlicht reflektierte und sie blendete. An seinen Rändern standen hohe Säulen im griechisch-römischen Stil, dazwischen Statuen von verschiedenen römischen und griechischen Gottheiten, auch mehrere kleinere Tempel und ein großes, aramäisches Gebetshaus. Der Platz war nicht so bevölkert, wie die Straßen, auf denen sie gekommen waren. Nur auf einer Seite, vor einem der Eingänge mit niedrigen Türen, warteten einige aramäisch aussehende und gekleidete Menschen. Vor diesem Eingang stand ein Aramäer hinter einem Schreibpult. Ein Wartender trat vor, sagte etwas zu dem Aramäer, der etwas aufschrieb. Dann ging der Wartende durch den kleineren Eingang, kurz danach kamen zwei Aramäer aus dem kleineren Eingang und entfernten sich vom Palast.

Jeschua und Johannes gingen zum größten Eingang, vor dem mehrere Legionäre Wachestanden, die aber anders gekleidet waren, als die Wachsoldaten am Stadttor. Jeschua ging zu einem der Männer, von dem er annahm, dass er der Älteste von ihnen war. Und er sagte: „Herr, die Soldaten am Stadttor sagten uns, hier würden wir Legat Claudius Babillus antreffen.“ Jeschua reichte ihm den Papyrus. Der Legionär besah zuerst den Papyrus und musterte dann die Ankömmlinge kurz, denn ihre Erscheinung erschien ihm nicht zu dem Schreiben zu passen, das vom Legaten und einem aramäischen Rechtsgelehrten persönlich versiegelt war. Höhergestellte Römer und Aramäer, mit feinerer Kleidung, als Jeschuas und Johannes, führten üblicherweise derartige Schreiben mit sich. Doch der Legionär erkannte die Echtheit der Siegel: „Ihr seid zum ersten Mal hier?“ Fragte er in ihrer Sprache. „Ja, Herr,“ sagten sie. „Wartet hier,“ sagte der Legionär und er ging in den Palast. Wenig später kehrte er mit einem Mann zurück, den Jeschua und Johannes als einen Sklaven erkannten, denn er trug den Umhang etwas anders zugeschnitten als üblich. Johannes musste dem Legionär seine Waffen übergeben. „Du erhältst sie bei Verlassen des Palastes zurück,“ sagte der Legionär. Dieser gab Jeschua auch den Papyrus zurück und der Sklave bat sie ihm zu folgen.

Weder Jeschua noch Johannes hatten in ihrem bisherigen Leben das Haus eines reichen Aramäers oder Römers betreten oder gar einen Fürstenpalast. So waren sie sehr beeindruckt von der Größe der Flure, durch die sie gingen und von der prachtvollen Ausstattung. Einige Diener und Beamte mit Papyri unter den Armen kreuzten ihre Wege, insgesamt herrschte ruhige Geschäftigkeit vor. Die Luft in den Fluren war angenehm kühl, anders als in den stickig heißen Straßen von Tiberias. Wie im Laufe der Anreise wurden sie nur von wenigen Menschen beachtet. Diejenigen, denen Jeschuas und Johannes Anwesenheit bewusst auffiel, befanden das Erscheinen von zwei ärmlich aussehenden Aramäern an diesem Ort zwar ungewöhnlich, doch alle sahen einen der ihnen bekannten Sklaven vor den Aramäern hergehend und so gingen sie wieder ihren Beschäftigungen nach. In einem Seitenflügel des Palastes, in dem nach Jeschuas Eindruck die Verwaltung untergebracht war, blieb der Sklave vor einer hohen Tür aus schwerem Holz stehen, die dieser öffnete. „Wartet hier,“ sagte er ihnen und er verschwand hinter der Tür, die er hinter sich schloss. „Immerhin wissen wir jetzt, wofür wir unsere Steuern zahlen,“ flüsterte Johannes. Jeschua nickte ihm kurz zu, doch mit einer Geste bedeutete Jeschua ihm auch, nicht alles laut auszusprechen, was er gerade dachte.

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