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Florenz

Florenz – Reiselust

Gustav war nun übermotiviert. Ständig fragte er, ob Ramona etwas brauche, sie durstig sei oder hungrig, ob die Klimaanlage nicht zu kalt, die Musik nicht zu laut oder die Fahrt nicht zu langweilig sei.

Immerhin ließ sie sich von ihm zu einem Sahnetörtchen einladen.

Er war ausgesprochen charmant und fürsorglich, machte viele Komplimente.

Ramona gefiel es und im Laufe des Tages war ihr Zorn verflüchtigt.

Auf einem Hügel hielt Gustav an, nahm ihre Hand und küsste sie voller Überschwang.

„Sieh, meine liebe Ramona, dort liegt Florenz, die Stadt der Künste und von Michelangelo. Das ist unser heutiges Ziel. Ich habe dort für ein paar Tage ein kleines Hotel gebucht und ich hoffe, es gefällt dir.“

Ramona lächelte ihn an. Sie war noch nie in Florenz.

„Hast du wieder ein Doppelzimmer gebucht? Die machen dann bestimmt wieder Ärger und Ärger brauchen wir nicht mehr, oder?“, bemerkte sie vorwurfsvoll. Gustav errötete.

Verdammte Planung!

Jetzt musste er viel rücksichtsvoller sein, denn Streit wollte er vermeiden.

„Du brauchst keine Angst zu haben, Ramona, ich schlafe auch auf dem Sofa.“, sagte er verlegen und gleichzeitig dachte er, dass sie dann wenigstens gemeinsam duschen und auf dem Bett Rotwein trinken könnten. Doch der mahnende Blick von Ramona verriet ihm, dass sie andere Gedanken hegte. Enttäuscht senkte er seine Stimme.

„Aber vielleicht haben die noch Einzelzimmer, auch kein Problem. Ich kümmere mich darum.“, fügte er hinzu.

„Ach Gustav!“, stöhnte Ramona und doch schmunzelte sie.

Irgendwas lag in dieser italienischen Luft und es knisterte. Und so fuhren sie nach Florenz und es sah fast so aus, als wären sie ein Paar.

Gustav hatte Pech, denn das Hotel besaß ausreichend Einzelzimmer, die noch frei waren, verteilt auf unterschiedlichen Etagen. Ärgerlich, denn Ramona erzählte später ganz beiläufig, dass es ihr selber nichts ausgemacht hätte, wären sie in einem Doppelzimmer untergebracht. Verdammte Italiener!

Die Stadt am Arno war herrlich und so verschwenderisch. Wenn Geschichte fühlbar war und einen eigenen Geruch besäße, dann hier in dieser ehrwürdigen Stadt. Gassen, Winkel und Plätze in einem Labyrinth historischer Details. Beide waren verzückt und liefen vergnügt durch den Trubel der Altstadt.

Vor einem noblen Restaurant blieben sie stehen und betrachteten das Speiseangebot an üppigen Meeresfrüchten und herrlichen Köstlichkeiten.

„Das ist ein sehr schönes Restaurant.“, meinte Ramona.

„Schön teuer!“, dachte Gustav, der sich aber nun nicht als Geizkragen präsentieren wollte. Also betraten sie das hübsche Restaurant.

Es stellte sich heraus, dass es auch eine kleine Terrasse gab, mit wunderbarem Ausblick auf die Altstadt mit ihrem Fluss.

„Dann nehmen Sie bitte dort Platz, auf unserer Terrasse und ich bringe Ihnen die Karte.“, erklärte der nette Oberkellner, mit einer sehr würdevollen Verneigung.

Sie traten durch die Gasträume, bis sie die besagte Terrasse durch ein breites Panoramafenster erblickten.

„Oh, das ist wirklich sehr hübsch und es ist draußen so angenehm warm.“, säuselte Ramona. Nur eine Tür fanden sie nicht auf Anhieb am großen Panoramafenster. Niemand war in ihrer Nähe und beide ein bisschen ratlos.

Gustav wollte kein Trottel sein und suchte weltmännisch den Durchgang.

Es war auch etwas eng. Vorsichtig schob Gustav die Tische beiseite, um besser an das prächtige Panoramafenster zu gelangen. Die großen Blumekübel störten auch. Er begann zu schwitzen.

„Ich finde hier keine Tür und keinen Öffner! Es bleibt mir ein Rätsel, wie man hierdurch auf die Terrasse kommen will!“, flüsterte er Ramona zu.

Nun packte auch sie mit an und gemeinsam rüttelten sie das riesige Panoramafenster. Irgendwo musste es doch einen Mechanismus geben!

Der nette Oberkellner war nirgends zu sehen.

Inzwischen knieten sie beide auf dem Boden und suchten den Fensterrahmen nach Öffnungsmöglichkeiten ab.

Ramona fand schließlich einen großen Riegel, den sie kraftvoll, aber mit weiblicher Würde und voller Eleganz bewegte. Wild rüttelte sie und laut ächzte der Rahmen. Aber das Panoramafenster war so riesig und schwer, dass es sich nicht bewegen ließ. Ramona fluchte.

Schweißperlen formten sich auf ihrer Stirn und sie wollte nicht vor einem italienischen Mechanismus kapitulieren. Gustav war vielleicht zu provinziell, um den Durchgang zu finden, aber nicht Ramona. Verbissen rüttelte sie an allen möglichen Rahmenecken und Kanten, schlug mit ihren Fäusten gegen das Fenster. Nicht einen Millimeter ließ sich die Glasfront zur Terrasse öffnen.

Grob stieß sie Gustav zur Seite und ihre Augen funkelten wild.

„Ich bräuchte nur ein Rohrzange!“, stöhnte sie.

Gustav erhob sich und kratzte sich am Kopf. Waren die Menschen in Italien bessere Türöffner oder kannten sie einfach nur einen Trick, um solche Panoramafenster zu öffnen? Die traumhafte Terrasse lag mit eingedeckten Tischen einladend vor ihnen. Einen Durchgang gab es aber nicht und die Glasfront blieb geschlossen.

Er stand neben Ramona, die noch immer zu seinen Füßen am Boden kniete und wild um sich fluchte, als plötzlich der nette Oberkellner mit den Speisekarten hinter ihnen auftauchte.

„Mein Herr, wenn Sie das, freundlicher Weise, unterlassen würden.“,

sprach er und zeigte auf Ramona, die am Fußboden begonnen hatte, die Teppichkanten am Fensterboden hochzureißen.

„Nehmen Sie bitte das gnädige Fräulein und folgen Sie mir zur Terrasse.“, sagte er ruhig und bedächtig.

Verdattert sprang Ramona auf und hakte sich eingeschüchtert bei Gustav unter.

Der nette Oberkellner trat vorbei am verfluchten Panoramafenster, um einen Pfeiler herum und huschte elegant durch eine breite Nebentür, raus auf die Terrasse.

„Warum haben wir diesen Durchgang nicht gesehen?“, fragte Gustav und zeigte auf das kleine Schild mit der Aufschrift „

Zur Terrasse

“.

Es war wirklich ein bisschen peinlich. Nun machte es auch Sinn, dass vor dem Panoramafenster Tische, Stühle und Blumenkübel standen, die er etwas voreilig weg geschoben hatte. Beide schauten betroffen zu Boden und folgten dem netten Oberkellner in seinem schmucken Frack.

Sie besetzten einen eingedeckten Tisch und der Oberkellner entfernte sich wortlos. Er war ein echter Profi.

Die Terrasse war unglaublich romantisch und das Essen vorzüglich. Niemand sprach über das verfluchte Panoramafenster und beide bemühten sich, dieses Thema zu vermeiden. Mit starrer Mine tauchte hin und wieder der Oberkellner auf.

Nach einem Krug Wein entspannten sich beide Gemüter mehr und mehr und Gustav traute sich wieder mit dem netten Oberkellner einen Blickkontakt herzustellen. Aber ein kleines Lächeln konnte er ihm nicht entlocken. Der Wein schmeckte großartig.

Als Gustav schließlich in Ramonas Augen schaute, schlug sie ihre Hand auf den Tisch und brach in hemmungslosem Gelächter aus.

Kraftvoll pustete sie:

„Gott, sind wir blöde! Fast hätten wir das riesige Panoramafenster ausgehebelt!“

Auch Gustav lachte und schüttelte seinen Kopf.

„Was musst du dich auch gleich so reinknien, wie eine übermotivierte, schmutzige Handwerkerin, du gnädiges Fräulein!“, entgegnete er herzhaft und gackerte los.

„Ich? Du Irrer hattest die Tische doch gleich weg geschoben! Wie kann man so blöde sein!“

Sie erlitt einen echten Lachkrampf und Tränen schossen ihr aus den Augen. Er wollte noch erwidern, dass die Terrasse auch sehr schlecht ausgeschildert war, aber gleichzeitig lachen und sprechen, das konnte auch er nicht mehr.

Es war bereits dunkel, als sie wohl gelaunt und angeheitert ihr Hotel erreichten.

Brav blieb Gustav vor ihrem Zimmer stehen. Sie hatte gerötete Wangen und ihre blaugrauen Augen glitzerten.

„Ich würde gern noch etwas mit dir trinken, aber sicherlich bist du müde, oder?“, sagte Gustav leise. Ramona schaute ihn freundlich an und dann drückten sie sich plötzlich eng aneinander und küssten sich.

Nur kurz und die Zungen im Zaum gehalten. Trotzdem!

Noch nie hatten sie sich so hingebungsvoll geküsst. Der Flur war leer und nur ihr schneller Atem durchschnitt die nächtliche Stille.

„Ich liebe dich, Ramona!“, schnaufte Gustav.

„Ich weiß!“, schnaufte Ramona zurück.

Dann löste sie sich aus seiner Umarmung, wünschte eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Gustav blieb allein im Flur zurück, der nun noch stiller wirkte und kühle Leere ausstrahlte.

Wie oft hatte er das schon erlebt! Ramona ließ sich niemals in seine Arme fallen, suchte nie von sich aus seine Nähe und würde niemals ihn liebkosen oder gar verführen. Ramona nicht.

Als Gustav in seinem eigenen Zimmer ankam, schenkte er sich einen Whisky ein und hing mit seinen Gedanken an Ramona, deren Duft er noch deutlich verspürte. Sie war wirklich schön. Für ihn war sie die pure Verführung selbst. Ein Kunstwerk, das er als Kunstliebhaber begehrte. Und alles, was man begehrt, war am Ende auch schön. Sie hatte mit ihrer Ausstrahlung absolute Gewalt über Gustav und er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, dass jenseits jeder Vernunft, eine schöne Frau auch immer Macht verkörperte. Demzufolge war Hässlichkeit auch die unausweichliche Demut, überlegte er. Sollte er nun demütig oder machtvoll sein? Gustav grübelte darüber nach, fand aber keine Antwort.

Ramona blieb für ihn rätselhaft und verwirrend.

Er fand sie begehrenswert, sie empfand gar keine Gefühle. Warum?

Beide hatten eine kleine Stadtrundfahrt geplant und fuhren mit einem Kleinbus die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Der lässige Touristenführer, der sie alle mit Vornamen ansprach, als wären sie gemeinsam in einem Sandkasten aufgewachsen, erklärte in blumigen Beschreibungen die wichtigsten Dinge. Gustav wusste über die meisten Sehenswürdigkeiten besser Bescheid und war gelangweilt. Am liebsten hätte er ein Buch herausgeholt und angefangen zu lesen, doch er wollte gegenüber Ramona nicht unhöflich sein und bemühte sich um Fassung.

„Das stimmte so nicht, was unser Sandkastenfreund da erzählt. Michelangelo war doch kein Adoptivsohn der Medici, sondern nur ein begabter Bildhauerlehrling, der gefördert wurde. Und die Künstler mit ihren Lehrlingen wohnten teilweise im Haus der Medicis. Davon gab es vermutlich viele. Die Medici förderten zahlreiche Künstler und manche hatten eigene Gesellen, die noch im Kindesalter waren. Trotzdem wurde Michelangelo nicht adoptiert. Was für ein Idiot, dieser Touristenführer.“, bemerkte Gustav beiläufig.

„Er gibt sich Mühe und so genau wollen es die Touristen auch nicht wissen.“, entgegnete Ramona, „Außerdem stören deine klugen Kommentare.“

Gustav verzog missmutig seinen Mund und schwieg. Er hätte einfach sein Buch lesen sollen.

Anschließend saßen sie in seinem Hotelzimmer und Ramona meinte, dass Gustav manchmal zu seinen Mitmenschen taktvoller sein sollte. Schließlich hatte auch der Touristenführer nur nett sein wollen.

„Die Leute sollten sich gegenseitig ermutigen und nicht lächerlich machen. Es ist egal, ob andere Menschen dümmer sind.“, sagte sie.

„Ich bin ein kühner und forscher Zeitgenosse ...“, widersprach er mit fester Stimme.

„Ein grüner und morscher Mann mit Flosse?“, flunkerte sie.

„Ein kühler und flotter Zweitmann! … Verdammt!“, rief er entnervt.

„Flotter Zweitmann?“

„Nein! Der erster Mann, der frisch und forsch sein kann!“

Gustav fuchtelte wild mit seinen Armen vor ihr Gesicht.

„Ach was?“

Ramona vergnügte sich und ihre Zungenspitze schnellte kurz und flink hervor. Gustav erkannte, dass sie ihren Schabernack trieb.

Entschlossen packte er ihre Schultern und schaute sie an.

„Wirklich, mein Hasenpups. Ich bin ein furchtbar kühner und frischer Zeitgenosse.“

„So frisch siehst du gar nicht mehr aus.“, grinste sie frech.

„Ich meine: forsch!“

„Aaah-ja!“

Sie kicherte unverhohlen und er sackte ein wenig zusammen. Um wieder Zuversicht zu erlangen, zündete sich Gustav eine Zigarette an. Kühn schnippte er den Streichholz von sich und forsch inhalierte er den Qualm. Wie ein lässiger Privatdetektiv aus einem klassischen Schwarzweißfilm stolzierte Gustav vor Ramona hin und her. Sie grinste immer noch. Dann blieb er direkt vor ihr stehen

„Na, Kleines! Alles frisch im Schritt?“, hauchte er mit rauchiger Stimme.

Nun gackerte sie laut los. Gustav verzog keine Miene und pustete Ringe aus Zigarettenqualm durch die Luft. Effektvoll lösten sie sich in Dunst auf. Mit gespielter Gleichgültigkeit schaute er sie tadelnd an.

„Nun, Kleines! Was kann ich für dich tun, bevor du vor Erregung in Ohnmacht fällst?“, brummte er selbstsicher.

„Ich möchte Wein, du forscher, frischer Bursche!“, lachte sie.

„Sage das nochmals schneller und dreimal hintereinander!“, grinste er.

Du froschers, fischers Burste ...

Zum Abendessen verbesserte sich seine Laune mit jedem Glas Rotwein.

„Was machen wir heute Abend?“, fragte er mit spannendem Gesichtsausdruck, der alles Mögliche für den Abend erwartete.

„Ich weiß nicht. Wollen wir etwas spielen?“

„Flaschendrehen mit Kleiderpfand?“, rutschte ihm raus. Ramona wollte kein Risiko eingehen und blieb zugeknöpft.

„Vielleicht Karten? Es war auch nur ein Vorschlag.“, meinte sie.

„Also brauchen wir keine Flasche?“, fragte er enttäuscht.

„Ich habe gerade ein gutes Buch und würde es weiter lesen.“

„Darf ich dir dabei zusehen?“

„Hast du kein eigenes Buch dabei?“

„Bücher habe ich immer dabei. Ich dachte aber, dass wir etwas gemeinsam machen könnten.“, entgegnete er gelangweilt und seine Laune verschlechterte sich wieder.

„Eigentlich bin ich heute viel zu müde und gehe doch lieber schlafen.“, sagte sie und gähnte dabei, um ihre Lustlosigkeit zu unterstreichen.

Gustav hatte noch nie Verständnis dafür, wenn jemand zu müde war, um Sex zu haben. Das war eine lächerliche Ausrede. Niemand wäre dafür zu müde. Er wusste, dass Ramona wieder keine Lust empfand, dass sie jede Ausrede anführen würde, um es zu verhindern. Und hätte sie nicht ganz unerwartet die angebliche Müdigkeit, dann wären es Rückenschmerzen, Kopfweh oder ein dringendes Telefonat, wovon der Weltfrieden abhing.

„Ich habe auch Kopfweh.“, erwiderte er schlecht gelaunt und bestellte einen neuen Krug Wein.

Anschließend begleitete er Ramona zu ihrem Zimmer. Nach einem Küsschen zur guten Nacht und einem freundlichen Lächeln verschwand sie und sie sah wirklich müde aus.

Gustav streifte um das Hotelviertel und wählte irgendeine Kneipe, um noch etwas zu trinken. Als er sich gemütlich an einem Tisch setzte und sein Bier trank, bemerkte er, dass er ausgerechnet eine Karaokebar gewählt hatte. Um ihn herum saßen ausschließlich Engländer im älteren Semester. Ein Mann mit kunterbuntem Hemd ging von Tisch zu Tisch und befragte die Gäste als Showman. Dann zielte er mit seinem Mikrophon auf Gustav und frage nach seiner Herkunft.

„Ich komme aus einem kleinen Hotel, zwei Straßen entfernt.“, antwortete Gustav etwas launisch. Gelächter an den Nachbartischen.

„Sagen Sie uns ein Land.“, entgegnete der Animateur und sah ihn auffordernd an. Sein Grinsen strahlte sehr geheimnisvoll.

„Kaufland!“, erwiderte Gustav stur.

„Kaufland?“

„Dort kann man einkaufen.“

„Sie kommen nicht aus Britannien?“, fragte der kunterbunte Hemdträger.

„Ich hoffe nicht.“

Allgemeines Murmeln im Saal. Gustav hatte keine Lust auf Frageantwortspiele. Die anderen Gäste schauten finster zu seinem Tisch hinüber. Unbeeindruckt blieb der bunte Hemdträger an seiner Seite.

„Was möchten Sie singen?“, fragte der Animateur hartnäckig weiter.

„Ich möchte hier nur in aller Ruhe mein Bier trinken. Aber Sie können mir auch etwas vorsingen, danke.“

„Irgend ein Titel. Machen Sie uns die Freude!“

„Na gut! Die Leute sollen was Französisches singen!“, brüllte Gustav ins Mikrofon. Alle Briten erstarrten und warfen hasserfüllte Blicke zu ihm. Er wollte ja auch nur ein Bier in aller Ruhe genießen.

Tumult. Gläser fielen zu Boden, Frauen kreischten und starke Briten warfen den Deutschen, der so gut englisch sprach, hinaus.

Gustav stand wieder auf der Straße, allein und er durfte nicht einmal sein Bier austrinken. Um die Ecke rauschte ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene vorbei. Irgendwie taten Gustav die Florentiner Polizisten leid, da sie so spät noch in eine Kneipe gerufen wurden.

Verdammte Engländer!

In bester Laune ging er zu Bett.

Am nächsten Tag gingen Ramona und Gustav gemeinsam durch die Stadt. Hin und wieder besuchten sie einige Läden, ohne etwas zu kaufen. Es war pure Neugier, als sie einen schäbigen und doch sehr antiquarischen Buchladen betraten.

„Hier haben die sogar deutsche Bücher und manche sehen ziemlich alt aus.“, bemerkte Gustav, der Bücher über alles liebte.

Ramona wollte hingegen lieber einen anderen Laden aufsuchen und so verabredeten sie sich für eine Stunde später in einem nahen Restaurant.

Gustav sah auf seine Uhr, um die Zeit nicht zu vergessen. Oft verlor er sich in solchen Bibliotheken.

Er fand einige Bücher, die uralt und eindeutig in deutscher Sprache geschrieben waren. Manchmal musste er richtig wühlen, um an bestimmte Bücher zu kommen. Dem Inhaber störte es scheinbar nicht und wahrscheinlich war es üblich hier zu kramen. Ein Buch fesselte besonders seine Aufmerksamkeit.

Chronik der Weltgeschichte

“, stand auf dem abgegriffenen Einband.

Interessiert blätterte Gustav in den Seiten. Dazwischen lagen einige handgeschriebene Zettel. Irgendwer hatte sie in die Buchseiten gesteckt.

Die ersten Blätter waren einfache Rechnungen und Steuerlisten deutscher Klöster. Sie sahen sehr alt aus. Doch ein Pergament war dabei, was anders war. Gustav war hypnotisiert von dem Inhalt.

Eine in Hamburg 1699 verfasste Handschrift schilderte einen bemerkenswerten Hirschabschuss. Es geschah im Jahre 1696, als der Brandenburgische Kurfürst

Friedrich III.

in einem Wald nahe dem märkischen Dorf Briesen diesen Hirsch erlegte. Das Tier hatte 66 Enden am Geweih und galt als kapitalstes Tier aller Zeiten. Gustav las die historische Schrift und bebte vor Aufregung.

Er kannte diese Geschichte und in Briesen verbrachte er einen Teil seiner unbekümmerten Kindheit. In dem unscheinbaren Dorf lebte damals seine Urgroßmutter und dort waren seine Eltern und er regelmäßig als Feriengäste. Und jetzt entdeckte er hier in Florenz eine alte Weltchronik und eine historische Originalhandschrift über den legendären „

Briesener 66-Ender“

.

Gustav hatte sein ganzes Leben lang großartige Bücher gesammelt und besaß inzwischen eine eigene kleine Bibliothek. Doch dieses Buch, mit den losen Handschriften im Inneren, war ein richtiger Schatz, eine echte Rarität. Er klappte das schwere Buch zu und achtete darauf, dass die interessanten Pergamente im Buchinneren versteckt blieben.

Der alte Ladenbesitzer warf nur kurz einen Blick auf den Einband und sagte gelangweilt:

„Ist ziemlich alt. 40 Euro!“

Gustav bezahlte sofort und verließ glückselig und sehr aufgeregt die staubige Buchhandlung. Er hatte ein prächtiges Geschäft gemacht.

Vermutlich hatte der Händler wenig Interesse an deutschsprachigen Büchern und war schlichtweg ahnungslos über den tatsächlichen Wert.

Er sah nicht den seltsamen Blick des alten Buchverkäufers, dessen blasse Gestalt durch das Fenster schimmerte.

Ramona saß schon im Restaurant und schlürfte einen Espresso.

„Hast du was gefunden?“, fragte sie erstaunt, als Gustav das schwere Buch auf den Tisch legte. Wie ein aufgedrehtes Kind am Weihnachtsabend erzählte er seine Geschichte über die alten Handschriften zwischen den Buchseiten. Dabei streichelte er voller Hingabe seine „

Chronik der Weltgeschichte

“.

Ramona lächelte milde, denn auch sie mochte Bücher.

„Du bist närrisch! Wahrscheinlich sind es nur Handnotizen eines kundigen Lesers der Weltgeschichte. Achtlos im Buch liegengelassen. Vielleicht sind sie gar nicht alt und einfach nur unbedeutend und wertlos?“, sagte sie, nahm vorsichtig das Buch und öffnete es.

Gustav sah ihr gespannt zu und flüsterte:

„Zwischen den Seiten 388 und 389!“

Kurz darauf zog Ramona die Handschrift hervor und betrachtete das handgeschriebene Blatt aufmerksam. Sollte es wirklich aus dem Jahr 1699 sein, dann wäre es ungewöhnlich gut erhalten. Keine Einrisse, kaum Verschmutzungen und keine Spuren von Säureflecken.

Sie teilte Gustav ihre Beobachtungen mit und hoffte gleichzeitig, dass er keine allzu große Enttäuschung erlebte.

„Du hat Recht, mein kleiner Hasenpups. Aber vielleicht liegt die Handschrift schon Jahrhunderte in diesen Seiten. Damit wäre es vor Licht und Zerfall geschützt. Säurefraß war erst im 19. Jahrhundert ein Problem, da in der Papierherstellung Chemikalien benutzt wurden. Ursprünglich wurde Papier nur aus Holz hergestellt, ohne Chlor und dem ganzen Zeug. Aber die Tinte fraß sich in das Papier und war früher schwarz und nicht blau. Der Text wurde mit einem Gemisch aus Ruß und Öl geschrieben und ist sehr alt.

Und die Schrift stammt ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert, so wie die Schreibweise.“, erklärte er aufgeregt.

Beide schauten auf das alte Dokument.

„Sieh! Das Wort Kurfürst wurde statt mit einem „

K

“ noch mit „

C

“ geschrieben, ein „

ie

“ gab es noch nicht und wurde nur als „

i

“, das „

t

“ meist als „

th

“ geschrieben…“

Ramona lauschte aufmerksam.

„Und noch ein wichtiges Detail. Der alte Kurfürst krönte sich selber 1701 zum ersten Preußenkönig. Danach nannte er sich nur noch

Friedrich I.

und so wurde er auch immer rückblickend genannt. Unsere Handschrift berichtet jedoch vom Kurfürsten

Friedrich III.

und wurde vor 1701 verfasst!“

Ramona nickte schweigend.

„Nun könnte es auch eine moderne Abschrift eines Dokumentes sein. Dennoch ist das Papier eindeutig alt und die Tinte auch. Vielleicht eine bewusste Fälschung? Warum sollte jemand soviel Mühe verwenden? So ein Text ist öffentliches Gut und kein Geheimdokument aus

Dan Browns

Romanen. Es gibt zahllose Abhandlungen über dieses Ereignis. Ich denke, dass es ein echtes Original ist und es wurde 1699 geschrieben. Leider ohne Namen und Unterschrift.“, erklärte er.

Gustav klappte das Buch mit Genugtuung zu, nahm Ramonas Hand und grinste zufrieden. Er würde das mysteriöse Schriftstück später noch richtig untersuchen und vielleicht gab es noch weitere Geheimnisse.

Nach dem Abendessen trafen sich beide im Zimmer von Gustav. Er hatte irgendwoher eine Kerze besorgt und angezündet, Italienischen Wein entkorkt und sein Bett als Sitzmöbel umfunktioniert. Die Beleuchtung hatte er gedämmt und den lokalen Musiksender eingestellt.

Ramona war entspannt. Gustav war es nicht und etwas nervös. War es sein Abend? Diesmal wollte er nicht zu unsicher wirken. Er strahlte doch stets Sicherheit aus.

Nach dem ersten Gläschen nahm er einfach ihre kleine Hand und streichelte sie wie einen alten Talisman. Aber schon nach kurzer Zeit fand er es albern und kindlich. Er ließ ihre Hand wieder los.

Unbeholfen schenkte er die Gläser erneut voll. Der Rotwein schimmerte durch das Glas auf Ramonas Wangen, sobald sie daran nippte.

Gustav hätte es gern fotografiert, aber dieser Moment war ein stiller Raum in angenehmer Untätigkeit. Jede Bewegung hätte gestört. Gustav mochte solche Momente, die ein Stück zeitlose Ewigkeit waren.

Aber was mochte Ramona? Wäre sie einverstanden, wenn er sie jetzt küsste, ihre kleinen Brüste liebkoste und ihr das Kleid öffnen würde? Gustav hatte keine Ahnung. Umso länger er sie kannte, desto unsicherer wurde er ihr gegenüber.

Von seinen Ängsten wusste Ramona nichts, der Rotwein schmeckte lecker und Florenz war einfach eine tolle Stadt. Ramona fühlte sich wohl.

Da Gustav nur schweigsam neben ihr saß, dachte sie über ihr Verhältnis nach. Eigentlich war er ein toller Freund. Gustav war witzig, klug und gegenüber der restlichen Welt sehr selbstsicher. Nie würde er ihr einen Wunsch verweigern, wäre ihr gegenüber niemals grob oder rücksichtslos und zärtlich wäre er ohnehin. Irgendetwas stand aber immer zwischen ihr und Gustav. Sie konnte es eigentlich nicht erklären, denn sie war gern in seiner Nähe.

Und nun saßen sie gemeinsam auf einem Bett, mit Rotwein und im Kerzenschein, an einem milden Abend unter Italiens Himmel.

Was würde sie machen, wenn Gustav sie plötzlich küssen würde, ihre Brüste streicheln und ihr Kleid öffnen würde? Hätte sie es gemocht und auch genießen können? Ramona dachte nach. Es war schon eine Weile her, als sie den letzten Sex hatte und auch die Enttäuschungen danach. Doch Gustav würde sie nicht enttäuschen.

Er gehörte zu den Menschen, die lieber überraschten, als enttäuschten. Sie konnte es sich fast vorstellen, wie er sie küssen würde, wie er ihre Brüste entblößte, ihr das Kleid öffnete und sie mit seinem Mund berührte. Sie stellte es sich vor und spürte die heimliche und warme Feuchtigkeit ihrer stillen Gedanken.

Jetzt hatte Ramona Lust.

Gustav saß schweigend neben ihr und schien über irgendein Problem zu brüten. Dann schaute er sie an, bemerkte ihre geröteten Wangen und seufzte ganz unmerklich, legte seinen Arm um ihre Hüfte und rückte ganz dich heran.

Sie waren sich nah und Gustav wollte schon seinen ganzen Mut zusammennehmen und sie leidenschaftlich bestürmen, sie küssen und lieben. Jetzt wollte er es wagen!

Beide schreckten hoch, denn es klopfte unvermittelt an seiner Zimmertür.

Verdammte Zimmertür!

Es war ein Junge, der einen Briefumschlag überreichte und gleich wieder verschwand. Gustav öffnete den Brief und las vor:

Mein Herr, Sie haben heute ein Buch bei mir erworben. Leider stellte ich fest, dass ich nicht befugt war, es Ihnen zu verkaufen. Der eigentliche Besitzer bekam das Buch von seinem Vater als persönliches Familienerbstück mit hohem, ideellem Wert und er besteht auf die Rückgabe des Buches.

Als Wiedergutmachung für die Unannehmlichkeiten, die ich Ihnen bereitet habe, erhalten Sie von mir 400 Euro. Bitte kommen Sie allein und bringen sie das Buch am Morgen um 10 Uhr in mein Geschäft, wo ich Ihnen das Geld aushändige.

Hochachtungsvoll, Rigonaldos

Gustav runzelte die Stirn.

„Was soll das?“, fragte er.

Ramona zuckte die Achseln.

„Satte 400 Euro ist kein schlechtes Geschäft. Vermutlich wusste der alte Buchkrämer nicht, welches Buch schon verkauft und welches Buch nur eine Leihgabe war.“, sagte sie und sah zu, wie Gustav das Buch hervor holte.

„Mag sein, dass der Alte die Übersicht verloren hat.“, antwortete er, „Aber wie sollte ein Erbstück, was dem Eigentümer so ideell wichtig war, in ein verstaubtes Bücherregal eines Antiquariats landen?

Viel wahrscheinlicher ist, dass er irgendwie von den Handschriften erfahren hat und diese weit wertvoller sind als lumpige 400 Euro.“, entgegnete er grübelnd. Ramona setzte sich aufrecht, zog ihr Kleid gerade und sagte etwas empört:

„Gustav, willst du das Buch behalten, obwohl du weißt, dass es nicht dir gehört?“

Ihre Wangen wurden noch roter, obwohl ihre Lust längst verflogen war.

Gustav zog ein Päckchen Zigaretten aus seiner Tasche und zündete sich eine an, trotz des Rauchverbotes. Damit zeigte er deutlich, dass er Regeln verabscheute und meist ignorierte, ohne Skrupel zu haben. Gustav war nie ein Mann, der unterwürfig handelte.

„Ich habe es ganz offiziell für 40 Euro gekauft und könnte es einfach behalten.“, antwortete er trotzig, „ Aber gut, wir gehen morgen hin und tauschen das Buch für 400 Euro zurück. Die Handschrift von 1699 behalte ich aber und werde behaupten, dass ich keine Handschrift gefunden habe. Und eigentlich schreibt der Mann auch nur von dem Buch und nicht von irgendwelchen Zetteln, die zufällig drinnen lagen. Ich werde mir das Buch genauer ansehen und die anderen Zettel auch. Irgendwas liegt hier verborgen und scheint wertvoller zu sein, als wir bisher glaubten.“, entgegnete er bockig und beleidigt.

Ramona erhob sich.

„Nun gut. Ich bin müde und gehe ins Bett.“, sagte sie ebenfalls beleidigt.

Dann küsste sie Gustav flüchtig und ging.

Wieder ein Abend ohne Liebe, Sex und ohne Körperlichkeit. Gustav verzog mürrisch das Gesicht, widmete sich aber gleich seinem Buch. Jede einzelne Seite überflog er, suchte nach Notizen und Unstimmigkeiten. Anschließend begutachtete er sämtliche Schriftstücke, die er lose im Buch gefunden hatte. Nichts!

Wie er bereits vermutete, waren es belanglose Steuerlisten aus ehemaligen Klöstern. Zwei Listen mit Zählungen von Einwohnern kleiner Dörfer und eine Rechnungsliste für Bier. Einzig und allein die Schriftakte aus dem Jahr 1699 blieb bemerkenswert, weil sie alt und geschichtlich war. Vielleicht war sie sogar 400 Euro wert, aber viel wertvoller war sie nun auch wieder nicht. Gustav grübelte und Stunde um Stunde verging. Er fand nichts Geheimnisvolles.

Müde und enttäuscht ging er zu Bett.

Er träumte. Ganz sicher, denn er fühlte sich körperlos und war nicht wach. Manchmal erkennt man die Traumwelt, egal wie realistisch sie erscheint. Und dieser Traum war einfach da, ohne Anfang, ohne Vorspiel, ohne Steuerung.

Eine wunderschöne Frau, voller Liebreiz und Anmut, saß an seiner Seite. Tatsächlich erkannte Gustav keine konkreten Formen, keine abspeicherbaren Gesichtszüge und keinerlei Farben. Sie war seine persönliche Empfindung, eine Euphorie seines Traumes.

Trotz der Formlosigkeit war sie eine handfeste Erscheinung. Sie war jung, viel jünger als Ramona, hatte etwas ungemein Vertrautes an sich und wirkte sehr anziehend auf Gustav. Wärme breitete sich aus.

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