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Читать книгу: «Der dritte Versuch Magische Wesen», страница 3

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Kings Crown


Cian weiß nicht so recht was er machen soll. Jedes Mal, wenn er meint, dass sein Versuch erfolgreich ist, die Traumsequenz aufzurufen, verschwinden die Bilder wieder. Den gesamten Vormittag wandert er mit großen Schritten durch den Raum, mal die Hände auf dem Rücken verschränkt, dann sie ballend oder mit einer Faust in die geöffnete andere Hand schlagend. Der alte Magier ist überzeugt, der Traum hat ihn nicht grundlos heimgesucht. Das muss etwas bedeuten. Und es hat mit … Nein, hier verwirren sich die Gedanken erneut. Er bekommt keinen Faden zu fassen, dem er folgen kann. Gegen Mittag meldet sich ein Hungergefühl. Soll er jetzt etwas zu sich nehmen? Unschlüssig wandert er weiter. Seine hellblauen Augen, die erstaunlich jung wirken, schweifen umher, fixieren kurz ein Buch in den übervollen Bücherregalen, um dann sofort ein anderes anzusehen. Er weiß, ein willkürlich gewähltes Buch wird ihn nicht unterstützen können, den flüchtigen Traum zu fassen. Das wäre mehr als nur Zufall, das käme einer Fügung gleich, die nicht … Cian stutzt. Ist es den Versuch wert, mit geschlossenen Augen auf die Regale zuzugehen, um einen der alten Wälzer auszuwählen?

»Du wirst wirklich senil, mein Lieber«, spricht er zu sich. »Und außerdem vernachlässigst du das Feuer!« Sein Blick ruht auf letzten, kaum noch glimmenden Resten. Soll er mit einem Spruch Holzscheite aus seinem Vorrat herzaubern? Nein. Er entscheidet anders. Die Bewegung, verbunden mit einer kleinen körperlichen Anstrengung, wird ihm vermutlich guttun. »Anschließend mache ich mir eine schöne, heiße Tasse Tee und esse etwas Käse. Ja, das mache ich!« Er nimmt den abgetragenen Umhang, in den er sich aus alter Gewohnheit wickelt und verlässt den Raum. Mit Absicht nutzt er dazu nicht den magischen Sprung. Es ist an der Zeit, sich mal wieder einen Überblick über den Zustand der alten Königsburg, besser gesagt den der Ruine, zu verschaffen. Die Eichentür führt auf ein Podest, von dem sich eine steile Steintreppe nach unten windet. Die Sonne steht hoch am Himmel, an dem vereinzelt weiße Wolken zu sehen sind. Mehrere schwarze Vögel spielen übermütig in der Luft, scheinen sich gegenseitig zu jagen und krächzen laut. »Dohlen«, murmelt Cian und folgt den ausgetretenen Stufen vorsichtig abwärts. Fünf Minuten später befindet er sich innerhalb eines Trümmerfeldes riesigen Ausmaßes. Er dreht sich um und überprüft die Maskierung des Turmes, den er jetzt hinter sich gelassen hat. Er staunt jedes Mal, wie perfekt sein Tarnzauber funktioniert. Die Ruine sieht derart baufällig aus, dass der nächste heftige Windstoß sie zusammenbrechen lassen wird. Niemand, der nichts von der Existenz seines Heims weiß, würde Giants Crown, den letzten erkennbaren Rest der Königsburg, zu betreten wagen. Er würde sich vielmehr möglichst weit entfernt davon aufhalten, da sogar ständig Schuttbrocken von den höheren Stellen nach unten rieseln. Aber lassen sich damit andere Zauberer täuschen? Was ist, wenn sie eine Tarnung vermuten und sie mit einem Entdeckungs- oder Offenbarungsspruch aufzuheben versuchen? Der alte Elf probiert alle Sprüche, die ihm dazu einfallen, doch der Anblick der Ruine ändert sich nicht.

In diesem Augenblick schreckt Cian kurz zusammen. Aus dem Augenwinkel meint er, einen Blitz gesehen zu haben! Schnell ruft er mit »Sgiath« und »Protego« einen Schutz für sich auf. »Ich werde wirklich senil! Portaro!« Im gleichen Moment flirrt die Luft und Cian steht etwa 100 Meter entfernt auf einem der Steinhaufen. Von hier hat er einen guten Überblick. Befindet sich irgendwo ein feindlicher Magier? Sein Blick schweift forschend umher. Er schaut zum Schwarm Dohlen hinauf, den er mit seinem Erscheinen aufgeschreckt hat. Erneut ändert er den Aufenthaltsort. Von dem anderen Steinhügel aus kann er genau die Stelle sehen, wo er sich aufhielt, als er einen Blitz entdeckt zu haben glaubte. Nein. Ein Feind ist nirgends zu sehen! Aber was wird es gewesen sein, wenn es nicht das Ergebnis eines Zauberspruchs war? Cian wechselt abermals den Standort, doch auch von hier ist kein Gegner zu entdecken.

Die Königsburg stand ursprünglich auf einem großen Hügelplateau. Jetzt sucht er die Grenzen der Hochebene ab. Trotz des hohen Alters ist die Sehstärke seiner Augen seit der Jugend unverändert. Das ist nicht erstaunlich, sondern bei Elfen immer so. Selbst wenn Elfenaugen verletzt werden, etwa in einem Kampf, sind sie durch eine entsprechende Wundbehandlung oder mittels Zauber schnell wieder geheilt. Jetzt erblickt der alte Ausbilder einen, nein zwei Wölfe, die langsam den Rand des Plateaus entlang trotten. Sollten das feindliche Magier sein, die ihre Gestalt gewechselt haben, um harmlos zu erscheinen? Aber was wollen sie hier? Eines der beiden Raubtiere wittert in seine Richtung, scheint ihn direkt anzublicken, dann folgt es dem anderen. Cian zweifelt. Diesen Aufenthaltsort kennt bisher niemand, oder doch? Hm. Finn ist er bekannt und auch Kayleigh, aber beiden vertraut er. Der Elf erstarrt. Etwas blitzt kurz in seinem Kopf auf. Finn? Ja, sein Traum hatte mit seinem Schüler zu tun. Doch die Sequenz lässt sich nicht aufrufen. Der Herzschlag des alten Elfen beschleunigt sich. Ist Finn in Gefahr? Ein Schauer überläuft seinen Rücken. Er fühlt sich unbehaglich, so, als ob er beobachtet werden würde. Feine Nackenhaare richten sich auf und er wendet sich schnell um. Aber dort ist niemand! Lediglich eine Elster hüpft zwischen den Trümmern umher. Sollte sie den Blitz …? Das könnte sein!

Dieser Vogel aus der Rabenfamilie ist möglicherweise der Verursacher der Lichterscheinung. Im nächsten Moment steht Cian wieder dort, wo er etwas aufblitzen zu sehen meinte. Doch die Elster wird er nicht versehentlich als strahlende Erscheinung bemerkt haben. Selbst wenn sie fliegt und die großen, weißen Stellen ihres Körpers oder die Enden ihrer Schwingen kurz in seinem Sichtfeld waren, wird er sie nicht mit einem Blitz verwechselt haben. Da ist er sich sicher. Aber etwas anderes ist möglich. Elstern lieben alles, was glänzt. Rundliche, silbrig glänzende Gegenstände wecken ihr Interesse besonders stark. Falls sie derartige Schmuckstücke entdecken, können sie nicht widerstehen. Sie sind schlau und schaffen es oft, sie in einem unbewachten Moment mitzunehmen und zu verstecken. Cian schaut sich um. Diese Vögel sind standorttreu, überwachen als Brutpaare ihr Revier ganzjährig und bleiben ein Leben lang zusammen. Ein Paar hat er in den letzten Jahren immer wieder hier gesehen, deshalb sucht er nach dem zweiten Tier. Cian sieht, wie es dorthin fliegt, wo er vorhin einen Blitz zu sehen meinte. Langsam bewegt sich der Elf auf den Vogel zu, um ihn nicht zu erschrecken. Hüpfend bringt sich dieser etwas außer Reichweite und schaut mit schräg gehaltenem Kopf zu, was der große Mann dort vorhat. Das Tier klappert mehrfach mit den Augendeckeln. Sollte sein Versteck entdeckt worden sein? Cian bückt sich und stochert vorsichtig in dem kleinen Laubhaufen herum. Verblüfft zieht der Elf die Luft ein. Was er sieht, will er fast nicht wahrhaben. Vor ihm liegt ein Ring, ein sehr alter Silberring. Er hebt ihn auf und betrachtet ihn, wobei sich das Sonnenlicht in zwei geschliffenen, blauen Steinen spiegelt. Sie leuchten und glitzern hell, als er den Ring bewegt. Könnte der Blitz dadurch verursacht worden sein? Möglich wäre das schon. Er wendet sich in Richtung der Elster und deutet eine Verbeugung an.

»Ich danke dir, mein kleiner Freund. Dieses Artefakt scheint mir etwas Besonderes zu sein. Ich werde es in Ehren halten.« Er steckt das Schmuckstück in eine Tasche und zaubert stattdessen ein Stück Fleischwurst herbei, das er mit Laub und einigen Grashalmen zudeckt. Langsam bewegt er sich zurück in Richtung der Steintreppe, die zu seinem Turm hinaufführt. Hier dreht er sich um und blickt zurück. Der schwarz-weiße Vogel hopst zu dem Versteck. Das Tier scheint es zu begutachten. Wurde hier etwas geändert? Vorsichtig senkt es den Kopf und zerrt mit dem Schnabel die Abdeckung beiseite. Im nächsten Moment hackt die Elster in die Wurst und schnappt sich einen Teil davon. Der Handel ist offenbar akzeptiert worden.

Cian läuft an der Treppe vorbei. Schon bald kommt er zu einem optimal in einem Steinhaufen versteckten und gegen Feuchtigkeit geschützten Verschlag, in dem er Holzscheite lagert. Er nimmt einen Arm voll auf und schließt das Gatter. Sofort flirrt die Luft und er steht in seinem Wohnraum. Zwei der Holzstücke legt er auf die restliche Glut im Kamin, die anderen stapelt der Elf neben der Feuerstelle. Das mittlerweile heftige Verlangen des Magens nach Nahrung missachtend, tritt er an die Bücherregale. Er ist voller Wissbegierde, was es mit dem Ring auf sich hat, der eine Schlange oder einen Drachen darstellt. Wem wird er gehören, und wo hat die Elster ihn entwendet?

Cian und Kayleigh


Cian versucht zu klären, was der silberne Ring mit den zwei blauen Steinchen auf sich hat, der wie eine Schlange oder ein Drache wirkt. Nach dem Durchblättern des dritten Buches stellt er fest, dass er nicht voll konzentriert bei der Suche ist. Sein Traum lenkt ihn immer wieder ab. Also entschließt er sich, nun doch etwas zu essen, nimmt sich ein großes Stück Käse und verzehrt es. Dazu trinkt er einen Fencheltee und isst anschließend einen Apfel.

Cian läuft trotz des beruhigend wirkenden Tees erneut ruhelos in seiner Wohnung hin und her. Er weiß, er hat in der Nacht etwas gesehen, was ihn sehr aufgewühlt haben muss. Deshalb ist er auch schweißgebadet aufgewacht. Was es ist, will ihm aber partout nicht einfallen. Er legt sich erneut hin, schließt die Augen und versucht einzuschlafen. Doch er kann seine sich im Kreis drehenden Gedanken nicht stoppen. Schon nach kurzer Zeit springt er ungeduldig auf, stopft sich eine Pfeife, entzündet sie und pafft aufgeregt. Anders als sonst gelingt es ihm nicht, sich dadurch zu entspannen. Innerhalb kurzer Zeit ist die Pfeife aufgeraucht, wofür er in anderer Verfassung eine, manchmal sogar eineinhalb Stunden benötigt haben würde, wäre er eben nicht so aufgewühlt. Er springt zum Fenster, öffnet es und lässt frische Luft hinein. Der süßliche Duft des Tabakrauchs ist ihm mit einem Mal unangenehm. Nach draußen blickend lenkt das Krächzen einer Elster seinen Blick zuerst auf sie und dann seine Gedanken in eine andere Richtung.

»Da war doch etwas mit einer Elster«, grübelt er. »Irgendetwas, was ich entdeckte. – Das ist doch nicht zu fassen! Es ist zum Verrücktwerden. Warum fällt mir auch das nicht … Ha, der Ring. Genau. Den habe ich heute Mittag gefunden und in meine Tasche gesteckt.« Aufgeregt suchen seine Finger nach diesem Schmuckstück. »Wo habe ich den denn … Ich könnte ihn in meiner Leseecke liegengelassen haben, als ich in den Büchern nach Hinweisen suchte. Genau.« Er läuft dorthin und hält das silberne Artefakt innerlich jubelnd kurz darauf zwischen Zeigefinger und Daumen. Er weiß nicht so recht, warum ihn der Anblick derart mit Stolz erfüllt. Weil er den Ring nicht vergessen und schnell gefunden hat? Vermutlich deshalb, weil er sich genau erinnert hat, wo er ihn zuletzt betrachtete und er also nicht senil ist! »Das war jetzt einfacher, als das Geschehen aus meiner Traumsequenz aufzurufen! – Hm. Was habe ich nur im Traum gesehen, und wer kam darin vor?« Der alte Elf weiß, dass seine hellseherischen Fähigkeiten nicht besonders ausgeprägt sind. Trotzdem hat er hin und wieder Sequenzen gesehen, die sich letztendlich als wahr herausgestellt haben. Ist er darum so verzweifelt bemüht, Klarheit über seinen Traum zu bekommen? Erst wenn er dessen Ereignisse kennt, wird er sie bewerten können. Er atmet tief ein und aus, hebt die Schultern und versucht, sich erneut auf den Ring zu konzentrieren.

»Wem mag der gehören und wo hat die Elster ihn entwendet? Es ist ein alter, sehr alter Silberring. Das Metall ist schwarz angelaufen, da es offenbar lange Zeit nicht geputzt worden ist. Nur die blauen Steine haben draußen das Sonnenlicht reflektiert. Hm. Schlange oder Drache, was stellst du dar? Ich habe doch …« Er tritt erneut zu den Bücherregalen und sucht ein bestimmtes Buch. Zwischendurch murmelt er vor sich hin, was natürlich niemanden stört. Cian lächelt. »Ich bin allein hier. Finn besucht mich ja manchmal und sollte eigentlich in den nächsten Ta... Finn? Hatte mein Traum mit ihm zu tun?« Der alte Elf schüttelt den Kopf. Seine langen, silbergrauen Haare wehen umher. Die Furchen in seinem Antlitz werden tiefer, so sehr bemüht er sich. Aber auch jetzt kann er die Bilder der Nacht nicht heraufbeschwören. »Du musst dich auf eine Sache konzentrieren. Ring oder Traum? Reiß dich zusammen!«

Und plötzlich blitzt ein Name in seinem Kopf auf: »Kayleigh!« Sofort sieht er die stolze, hoch aufgerichtete Gestalt der obersten Elfe aus dem geheimen Wald im Norden vor sich. Will sie einen gedanklichen Kontakt mit ihm herstellen? Cian schließt die Augen und öffnet seinen Geist. Obwohl sie unterschiedlichen Elfenvölkern angehören, mussten beide nie einen Elfenstein zur Aufnahme einer Verbindung nutzen.

»Cian, mein Freund«, vernimmt er tatsächlich die Stimme der Elfe in seinem Kopf. »Ich muss dringend mit dir sprechen. Genauer gesagt, ich benötige deinen Rat. Kannst du kommen, oder darf ich dich in der alten Königsburg, also in ihren Resten, besuchen?«

»Kayleigh! Ich freue mich, von dir zu hören. Ich komme gerne, denn mein Zuhause ist für einen Besuch nicht so geeignet. Ich muss nur einige Vorkehrungen für meine Abwesenheit treffen, dann bin ich gleich bei dir.« Sie trennen die Verbindung und Cian überlegt. Was wollte er gerade suchen? Ach ja, den Wälzer über magische Artefakte. Aber in Serengard, der Burg der Nordelfen im geheimen Wald, wird das Buch sicher auch zu finden sein. Außerdem kann ihm Kayleigh vermutlich sogar ohne darin nachzuschauen sagen, was es mit dem Ring auf sich hat.

Der Elf tritt von dem Regal zurück und lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Das Feuer löscht er mit einer Handbewegung, genauso wie die wenigen Kerzen, die er entzündet hatte. Er schließt das geöffnete Fenster und murmelt zur Erneuerung den Tarnzauber, der den Turm als einsturzgefährdete Ruine erscheinen lässt. Der wirkt für einen längeren Zeitraum, also ist der Turm sogar in seiner Abwesenheit geschützt. Er atmet einmal tief durch, überlegt kurz, ob er auch nichts vergessen hat. Ach ja, sein Umhang hängt dort am Haken, der muss natürlich mit. Schnell schnappt er sich diesen und wickelt sich hinein. Er will bereits den magischen Sprung nutzen, als er sich mit der flachen Hand vor die Stirn schlägt.

»Du wirst doch wohl senil. Du willst etwas über den Ring erfahren und vergisst, ihn mitzunehmen?« Er tritt in seine Leseecke und tatsächlich, dort hat er das Artefakt liegen lassen, als er aufstand, um nach dem Buch zu suchen. Schnell greift er danach und überlegt kurz, den Ring in eine seiner Taschen zu stecken. Dann schüttelt er grinsend den Kopf. »Kommt nicht in Frage, dort könnte ich ihn noch verlieren. Ich stecke ihn lieber an, wenn er denn auf einen meiner Finger passt!« Mit der rechten Hand hält er ihn prüfend vor die verschiedenen Finger der linken Hand. Der mittlere ist zu dick. Der Ringfinger könnte passen, doch auch der ist nicht geeignet. Nach kurzem Zögern steckt er ihn auf den kleinen Finger. Ja, dort passt er gut. Ein warmes Gefühl der Zufriedenheit durchfährt ihn. Kurz blitzt das Bild eines kleinen, blauen Drachen in seinem Kopf auf. »Was ist das jetzt? Hat das etwas zu bedeuten, oder beginne ich Erscheinungen zu haben? – Ich muss Kayleigh fragen. Sie kann mir vielleicht raten, was ich mit dem Ring anfangen soll.« Cian blickt noch einmal prüfend um sich. Nein, jetzt hat er nichts vergessen. Ganz sicher! »Portaro!« Die Luft flirrt, dann ist der Raum verlassen.

Cian blickt in einen hellen Wald, den er schon geraume Zeit nicht mehr betreten hat. Die Bäume sind belaubt. Ihre hellgrünen Blätter sehen denen im Frühjahr ähnlich. Der Waldboden ist übersät mit Buschwindröschen und Leberblümchen. Er weiß, dass es in diesem Wald immer so aussieht, trotzdem fühlt er sich bei diesem Anblick wie verjüngt. Er will bereits mit federnden Schritten dem vor ihm liegenden Pfad folgen, als er rechtzeitig an die hier versteckten Wächter denkt. Sie würden jeden unbefugt eindringenden Fremden töten, doch er ist eigentlich kein Unbekannter, also bestünde für ihn die Gefahr vermutlich nicht. Das bestätigt sich auch sofort. Ein grün gekleideter, junger Elf tritt aus seinem Versteck hervor. Sein langes, hellblondes Haar wird mit einem grünen Stirnband um den Kopf fixiert. Den Bogen trägt er locker in der Hand, ein Pfeil ist nicht aufgelegt. Das ist ein Zeichen dafür, dass ihn die Wächter, es sind stets fünf von ihnen hier versteckt, als Freund erkannt haben.

»Ich grüße dich, Cian!« Die Stimme klingt freundlich, auch wenn das Gesicht streng wirkt. »Du darfst passieren!«

»Ähem. Ich grüße dich auch und Danke.« Der alte Elf wundert sich nicht, wie schnell der Wächter wieder verschwunden ist, ohne dabei ein Geräusch zu machen. Schließlich sind die Wachen der erste Schutz des geheimen Waldes der Nordelfen, die jeden Ankömmling empfangen und wenn nötig zurückweisen oder auch töten.

Cian überlegt, ob er durch diesen Frühlingswald wandern oder mittels magischem Sprung direkt in die Bibliothek in Serengard wechseln soll. Es riecht hier verlockend nach Frühling, doch dann entscheidet er sich für die schnellere Variante. Er wurde ja gebeten, herzukommen, da Kayleigh offenbar dringend seinen Rat benötigt. Den Spaziergang kann er auch noch im Anschluss machen. Die Luft flirrt und im gleichen Moment steht er in der Bibliothek der Elfenfestung. Er weiß, dass die Oberste der Nordelfen ihn in diesem Raum, wo ihr Lieblingsaufenthalt ist, erwartet.

»Sei gegrüßt, Kayleigh. Du hast mich gerufen, hier bin ich!« Der Elf macht dabei eine leichte Verbeugung und wird durch ein glockenhelles Lachen empfangen.

»Mein lieber Freund. Ich danke dir für dein schnelles Erscheinen!« Auch sie macht eine leichte Verbeugung und deutet anschließend auf die bequemen Sessel, die vor einem Kamin stehen, in dem ein lustiges Feuer prasselt.

»Darf ich dir etwas zu trinken anbieten? Einen Tee vielleicht?«

»Ja, danke, den nehme ich gern.« Er hat das kaum gesagt, da stehen auch schon zwei Tontassen auf dem kleinen Tischchen zwischen ihnen. Aus ihnen steigen Dampf und prickelndes Pfefferminzaroma auf. Cian weiß, sie werden zuerst einige Schlucke des noch heißen Tees trinken, bevor Kayleigh auf den eigentlichen Grund zu sprechen kommt, weshalb sie ihn gerufen hat. Beide mustern sich aufmerksam. Bei der Begrüßung hielt die Elfe ihre schlanke Gestalt kerzengerade, genauso wie jetzt im Sitzen ihren Oberkörper. Das ist ein Ausdruck jahrzehntelanger Disziplin, mit der sie ihre Aufgabe als oberste Elfe wahrgenommen hat. Ihr Gesicht, auf deren Stirn ein Sonnensymbol erkennbar ist, ist trotz ihres Alters unverändert schön. Das Symbol kennzeichnet sie als eine der oberen Drei aller Zauberer, zu denen Cian einst auch gehörte. Ihre Haare sind wie seine mittlerweile silbrig glänzend, obwohl ihre noch einen leicht goldenen Schimmer zeigen. Beide seufzen kurz, während ihre Gedanken nach kurzem Verweilen in der langen, gemeinsamen Vergangenheit ins Jetzt zurückkehren. Sie greifen zu den Trinkgefäßen, pusten darüber und nehmen die ersten, vorsichtigen Schlucke.

»Wir steuern auf eine neue Auseinandersetzung mit den Dubharan zu«, beginnt Kayleigh. »An vielen Orten im Land sind die Menschen unzufrieden. Das provozieren die dunklen Magier geschickt. In den letzten beiden Jahren gab es Ernteausfälle, die durch Notrationen aus den Vorratslagern nicht ausgeglichen werden konnten. Die Missernten sind nur zum Teil durch äußere Umstände erklärbar. Es gab im vorigen Frühjahr unüblich lange Frostperioden, die die Obsterträge beeinträchtigten und im letzten Sommer zu viel Regen, wodurch Getreide an den Halmen verfaulte. Viele der restlichen Felder gerieten in Brand, dessen Ursache nie gefunden wurde. Das Vieh litt im gleichen Maße unter der Nahrungsverknappung, selbst die reinen Viehweiden lieferten kaum Futter für sie. Die Tiere wurden an manchen Orten notgeschlachtet, wobei sie meist nicht einmal die Hälfte des sonst üblichen Gewichts erreichten.«

»Das habe ich in meinem Turm im Osten nicht mitbekommen. Ist es wirklich so schlimm?«

»Es ist so schlimm. Ich vermute, die Wetterkapriolen wurden und werden durch die Dubharan verursacht, genauso wie die unerklärlichen Brände. Gleichzeitig sammeln sie überall im Land Verbündete, vornehmlich aber im Süden und Westen. Der Norden, die Mitte und der Osten sind bisher unauffällig.«

»Was meinst du mit unauffällig?«

»Deshalb habe ich dich hergebeten. Im Westen und im Süden gibt es immer wieder Überfälle auf Städte, Dörfer und einsame Ansiedlungen. Die zuständigen Regionalherren, Bürgermeister und Fürsten, haben die Übeltäter bisher nicht ermitteln können. Die Angreifer entkamen jedes Mal, ohne dass die Verfolger aufklären konnten, wohin. Sie folgten den Spuren der Pferde, die sich stets im unwegsamen Gelände verloren. Ich habe die wenigen Elfen, die dort wohnen, um Hilfe gebeten. Sie sollen aufmerksam die Gebiete beobachten und notfalls Meldung machen, damit die Ostelfen oder wir aus dem Norden eingreifen können, um den Menschen zu helfen. Gleiches habe ich unseren Völkern in der Mitte und im Osten empfohlen. Hast du einen Vorschlag, was wir darüber hinaus unternehmen können?«

»Das sind gute Maßnahmen. Von mir möchtest du sicher, dass ich die Region um die alte Königsburg im Auge behalte. Da ich nicht mehr so wie früher als einer der oberen Drei zu unseren verschiedenen Völkern reise, auf der Suche nach talentierten Schülern, halte ich mich mittlerweile fast ständig in meinem Turm auf. Was wir sonst unternehmen könnten, wenn wir keinen offenen Kampf mit den Dubharan beginnen wollen, weiß ich nicht. Möglicherweise Späher in die bereits auffälligen Regionen schicken? Aber das hast du sicher schon veranlasst.«

»Es wäre fahrlässig von mir, das nicht anzuordnen. Trotzdem danke ich dir für deinen Rat. – Was gibt es bei dir für Neuigkeiten? Wir haben uns ja schon mehrere Jahre nicht mehr gesehen. Ich glaube, fast so lange, wie du dich zurückgezogen hast.«

»Das stimmt. Wir sahen uns bei den verschiedenen Zauberertreffen meist nur kurz, so dass das nicht zählt. Ich habe, was du daher nicht weißt, vor zwei Jahren wieder einen Schüler akzeptiert.« Auf eine Reaktion seiner Freundin wartend, schaut er sie an. Aber sie lächelt nur. »Was ist? Du äußerst dich nicht dazu? – Ja, ich weiß, ich bin nicht mehr der Jüngste, eigentlich bin ich zu alt dafür, aber wenn du diesen Jungen kennen würdest, könntest du mich vielleicht verstehen.«

»Ich stimme dir zu, dass du, genau wie ich, sehr alt bist. Ich finde aber nicht, dass das ein Grund ist, weshalb du keinen Schüler annehmen solltest. Du bist in meinen Augen der beste und geeignetste … Nein, unterbrich mich nicht. Ich will dir nicht schmeicheln, das ist die reine Wahrheit! Aber gut, dann lasse ich die Lobeshymnen. Jetzt sag mir schon, wer dich dazu überreden konnte. Ist es ein sehr talentierter Zauberer der Menschen oder einer der Elfen?«

»Es ist Finn, ein junger Elf aus der Mitte des Landes. Sein Onkel ist von mir ausgebildet worden, starb jedoch bei der letzten großen Auseinandersetzung mit den Dubharan.«

»Oh. Das freut mich. Du kennst also Finns Großeltern, konnten sie dich dazu überreden? Ach nein, die sind ja vor fast drei Jahren gestorben. Warum schaust du mich so erstaunt an, was ist los?«

»Der Junge hat mich eigentlich an mich selbst erinnert, als wir uns bei dem Zauberertreffen vor zwei Jahren begegneten. Außerdem schien er sehr traurig zu sein und stellte mir die Sinnfrage des Lebens. Ich glaube, diese Nachdenklichkeit hat mich verleitet, ihn anzunehmen. Obendrein hat er …, aber das ist nicht so wichtig. Den Namen seines Onkels oder der Großeltern nannte er nicht, auch nicht, dass diese ebenfalls gestorben sind. Es hörte sich so an, als ob sie ihn erzogen hätten. Wer waren sie? Du scheinst sie zu kennen.«

»Der Großvater war der letzte Obere der Elfen der Mitte. Er besaß große magische Kräfte, genau wie seine beiden Söhne. Der eine starb, wie du schon sagtest, vor etwa zwanzig Jahren, der andere heiratete eine sehr begabte Elfe aus dem Osten. Seit diesem Konflikt mit den Dubharan waren Finns Eltern ständig im Land unterwegs, stets auf der Suche nach Vergeltung an den dunklen Zauberern, während der junge Elf bei den Großeltern blieb. Seit etwa fünf Jahren sind seine Eltern verschwunden, niemand weiß, was ihnen möglicherweise zugestoßen ist. Sie wurden vermutlich bei einer Auseinandersetzung mit den bösen Magiern getötet. – Darum freut es mich sehr, dass du diesen jungen Elf ausbildest. Du kannst und wirst ihm ein guter Lehrmeister sein, davon bin ich überzeugt! Er wird später die Elfen in diesem Landesteil führen, ihr neuer Oberster sein.« Jetzt schweigen beide. Cian ist etwas verlegen, weil Kayleigh offenbar mehr von seinen Fähigkeiten hält, als er selbst. Er hüstelt verlegen.

»Es ist nur so, dass in Finn möglicherweise große Talente schlummern, diese aber noch nicht zu erkennen sind. Er ist von vielen Selbstzweifeln geplagt, weshalb er beim Ausüben eines Zauberspruchs von dessen Resultat nicht überzeugt ist. Es ist aber nicht so, dass er es nicht ernsthaft versucht. Er übt die Sprüche ununterbrochen, so, als ob er sich und mir sein Talent beweisen müsse.«

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9783742722058
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