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Читать книгу: «Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten», страница 11

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VIII

»Ach so! … Ich danke dir, lieber Freund: nur darauf habe ich gewartet!« schrie Katerina Lwowna auf. »Nun wird es wohl weder nach meinem noch nach deinem Willen gehen …«

Mit einem Ruck stieß sie Ssergej von sich, stürzte sich auf den Mann, packte ihn, noch ehe Sinowij Borissowitsch das Fenster erreicht hatte, mit ihren feinen Fingern an der Kehle und warf ihn wie eine Hanfgarbe zu Boden.

Sinowij Borissowitsch schlug sich mit dem Nacken am Fußboden an und wurde ganz wahnsinnig vor Entsetzen. Ein so schnelles Ende hatte er nicht erwartet. Die erste Gewalttätigkeit seiner Frau gegen ihn zeigte ihm, daß sie zu allem entschlossen sei, um ihn loszuwerden, und daß er sich in höchster Gefahr befinde. Sinowij Borissowitsch hatte das alles blitzartig im Augenblick seines Sturzes erfaßt; er schrie nicht einmal auf, denn er wußte, daß seine Stimme kein Ohr erreichen und die Sache nur noch beschleunigen würde. Er ließ seinen Blick schweigend um sich schweifen, und richtete ihn zuletzt mit einem Ausdruck von Haß, Vorwurf und Schmerz auf seine Frau, deren feine Finger seine Kehle zusammenpreßten.

Sinowij Borissowitsch wehrte sich nicht, seine Arme mit den geballten Fäusten lagen ausgestreckt da und zuckten wie in einem Krampfe. Der eine Arm war frei, den andern hatte Katerina Lwowna mit dem Knie gegen den Boden gedrückt.

»Halt ihn einmal fest,« flüsterte sie gleichgültig Ssergej zu und wandte sich wieder zum Mann.

Ssergej setzte sich rittlings auf seinen Herrn und drückte dessen beide Hände mit den Knien gegen den Boden. Er wollte ihn unter den Händen Katerina Lwownas an der Kehle fassen, schrie aber in diesem selben Augenblick selbst wahnsinnig auf. Als Sinowij Borissowitsch seinen Todfeind so nahe vor sich sah, nahm er seine letzten Kräfte zusammen: mit einem verzweifelten Ruck befreite er seine Hände unter Ssergejs Knie, packte ihn an den schwarzen Locken und biß sich wie ein wildes Tier in seine Kehle fest. Dies dauerte aber nur wenige Augenblicke; Sinowij Borissowitsch stöhnte schwer auf, und sein Kopf fiel wieder zurück.

Katerina Lwowna stand blaß, fast ohne zu atmen über den Mann und den Geliebten gebeugt; in der rechten Hand hielt sie einen schweren gegossenen Leuchter am oberen Ende, so daß der schwere Fuß nach unten gerichtet war. Über die Schläfe und Wange Sinowij Borissowitschs rieselte ein dünnes Bächlein hellroten Blutes.

»Einen Popen …« stöhnte Sinowij Borissowitsch dumpf, den Kopf voller Ekel so weit es ging vor dem auf ihm sitzenden Ssergej zurückwerfend. »Beichten …« sagte er noch dumpfer, am ganzen Leibe zitternd und auf das über sein Gesicht fließende warme Blut schielend.

»Bist auch ohne Beichte gut,« flüsterte Katerina Lwowna.

»Mach keine langen Geschichten,« sagte sie zu Ssergej. »Pack ihn einmal ordentlich an der Gurgel.«

Sinowij Borissowitsch röchelte.

Katerina Lwowna beugte sich über ihn, preßte mit ihren Händen Ssergejs Hände, die die Kehle ihres Mannes umklammerten, noch fester zusammen und drückte ihr Ohr an dessen Brust. Nach fünf stummen Minuten stand sie auf und sagte:

»Es ist genug, er ist fertig.«

Ssergej stand ebenfalls auf und holte tief Atem. Sinowij Borissowitsch lag leblos mit eingedrückter Kehle und zerschmetterter Schläfe da. Auf dem Fußboden links von seinem Kopfe war ein kleiner Blutfleck; aus der kleinen Wunde, an der schon die Haare klebten, kam aber kein neues Blut mehr.

Ssergej trug die Leiche in den Keller unter der gemauerten Vorratskammer, in die ihn vor nicht langer Zeit der selige Boris Timofejitsch eingesperrt hatte, und kehrte bald ins Schlafzimmer zurück. Katerina Lwowna hatte die Ärmel ihrer Jacke aufgekrempelt und den Saum ihres Rockes gerafft und wusch mit Seife den Blutfleck, den Sinowij Borissowitsch auf dem Fußboden seines Schlafzimmers hinterlassen hatte. Der Samowar, aus dem er soeben den vergifteten Tee getrunken hatte, war noch nicht erkaltet, und der Blutfleck ließ sich mit dem heißen Wasser spurlos abwaschen.

Katerina Lwowna nahm die kupferne Spülschale und einen eingeseiften Bastwisch in die Hand.

»Leuchte mir einmal,« sagte sie zu Ssergej, zu der Türe gehend. »Halte die Kerze tiefer!« sagte sie, die Dielenbretter untersuchend, über die Ssergej die Leiche in den Keller geschleppt hatte.

Nur an zwei Stellen waren auf der gestrichenen Diele zwei kirschengroße Flecke zu sehen. Katerina Lwowna rieb sie mit dem Bastwisch, und sie verschwanden spurlos.

»Nun wirst du nicht mehr wie ein Dieb zu deiner Frau schleichen und sie belauern,« sagte Katerina Lwowna, sich aufrichtend und einen Blick zur Vorratskammer werfend.

»Jetzt ist Schluß,« sagte Ssergej und fuhr vor dem Klange seiner eigenen Stimme zusammen.

Als sie ins Schlafzimmer zurückkehrten, zeigte sich im Osten schon der erste feine Streif des Morgenrots, das die blühenden Apfelbäume mit schwachem goldenem Scheine übergoß und durch das grüne Gartengitter in das Schlafzimmer Katerina Lwownas hereinblickte.

Über den Hof ging aus der Scheune in die Küche, den Schafspelz über die Schultern geworfen, gähnend und sich bekreuzigend, der alte Verwalter.

Katerina Lwowna schloß leise den Fensterladen und warf einen durchdringenden Blick auf Ssergej, als wollte sie ihm in die Tiefe seiner Seele blicken.

»Nun bist du Kaufmann,« sagte sie, ihm ihre weißen Hände auf die Schultern legend.

Ssergej erwiderte nichts.

Er zitterte wie im Fieber. Katerina Lwowna fühlte nur Kälte um die Lippen.

Nach zwei Tagen hatte Ssergej an beiden Händen Schwielen, die vom Brecheisen und dem schweren Spaten herrührten. Sinowij Borissowitsch war dafür so gut verwahrt, daß ihn vor der allgemeinen Auferstehung wohl niemand ohne Beihilfe Katerina Lwownas und ihres Geliebten finden würde.

IX

Ssergej trug ein rotes wollenes Halstuch und klagte über Halsschmerzen. Ehe aber die Male von den Zähnen Sinowij Borissowitschs auf seinem Halse vernarbt waren, fiel den Leuten die allzu lange Abwesenheit des Hausherrn auf. Ssergej selbst sprach am häufigsten von ihm. Wenn er abends mit den anderen Burschen auf der Bank vor dem Tore saß, brachte er oft die Rede auf ihn: »Was bleibt unser Herr so lange aus?«

Auch die Burschen wunderten sich.

Von der Mühle kam aber die Nachricht, daß Sinowij Borissowitsch schon längst einen Wagen gedungen hatte und nach Hause abgereist war. Der Kutscher, der ihn gefahren hatte, berichtete, daß Sinowij Borissowitsch in einer seltsamen Aufregung gewesen sei; am Kloster, etwa drei Werst vor der Stadt, sei er mit seiner Reisetasche aus dem Wagen gestiegen und hätte den Kutscher entlassen. Als die Leute diesen Bericht hörten, staunten sie noch mehr.

Sinowij Borissowitsch schien spurlos verschwunden zu sein.

Man fing zu suchen an, konnte aber auch nicht die geringste Spur finden. Der Kutscher, den man bald verhaftete, wußte nur zu berichten, daß der Kaufmann vor dem Kloster den Wagen verlassen und zu Fuß weitergegangen sei. Die Sache blieb rätselhaft. Katerina Lwowna erfreute sich indessen ihrer Witwenfreiheit und lebte mit Ssergej ohne jede Scheu zusammen. Man meldete zwar ab und zu, daß man Sinowij Borissowitsch bald hier und bald dort gesehen hätte, er kam aber nicht zurück, und Katerina Lwowna wußte am besten, daß er überhaupt nicht mehr zurückkehren konnte.

So verging ein Monat, ein zweiter und ein dritter, und Katerina Lwowna fühlte sich in anderen Umständen.

»Das Kapital wird uns zufallen, Sserjoscha: ich habe jetzt einen Erben,« sagte sie zu Ssergej. Sie ging auf das Kaufmannsgericht und meldete, daß sie in Umständen sei; die Geschäfte lägen brach; man möchte ihr daher die Vollmacht geben, das Geschäft selbständig zu führen.

Man durfte das alte Handelshaus doch nicht zugrunde gehen lassen; Katerina Lwowna war ja die eheliche Gemahlin Sinowij Borissowitschs, Schulden waren keine vorhanden, also konnte man ihr ohne Bedenken die Vollmacht geben.

Katerina Lwowna ist nun unumschränkte Herrin, und Ssergej wird auf ihren Wunsch von allen Ssergej Philippowitsch genannt. Plötzlich kommt eine ganz neue Sorge. Man meldet dem Bürgermeister aus Liwny, daß Sinowij Borissowitsch nicht bloß mit eigenem Kapital Handel getrieben habe; in seinem Geschäft hätte auch das Geld seines minderjährigen Neffen Fjodor Ignatjewitsch Ljamin gesteckt, das sein eigenes Kapital um ein Beträchtliches überstiegen habe; diese Sache müsse noch genauer untersucht werden, und man dürfe nicht das ganze Geschäft Katerina Lwowna allein anvertrauen. Als diese Nachricht eintraf, ließ der Bürgermeister Katerina Lwowna zu sich kommen und teilte ihr alles mit. Nach acht Tagen kommt aber aus Liwny eine alte Frau mit einem halbwüchsigen Jungen.

»Ich bin eine Base des seligen Boris Timofejitsch,« sagt sie, »und der Junge ist mein Großneffe Fjodor Ljamin.«

Katerina Lwowna nahm sie huldvoll auf.

Als Ssergej die Gäste und den Empfang, den ihnen Katerina Lwowna bereitete, sah, wurde er kreideblaß.

»Was hast du?« fragte ihn Katerina Lwowna, als er gleich nach den Gästen ins Haus trat und aufgeregt im Vorzimmer stehen blieb.

»Nichts,« antwortete der Bursche, aus dem Vorzimmer wieder in den Hausflur gehend. »Ich denke mir nur, was für eine wunderbare Stadt dieses Liwny ist,« fügte er seufzend hinzu, die Haustüre hinter sich schließend.

»Was sollen wir jetzt anfangen?« fragte Ssergej Philippowitsch nachts am Teetisch Katerina Lwowna. »Unsere Sache steht jetzt wohl sehr schlecht.«

»Warum sollte sie schlecht stehen, Sserjoscha?«

»Weil die Erbschaft geteilt werden wird. Wie willst du wirtschaften, wenn dir kein Geld im Geschäfte bleibt?«

»Glaubst du, daß es für dich nicht langen wird, Sserjoscha?«

»Ich spreche nicht von mir, ich glaube nur, daß wir beide jetzt nicht mehr so glücklich werden leben können.«

»Warum glaubst du das, Sserjoscha?«

»Ich liebe Sie, Katerina Lwowna, und möchte Sie als wirkliche Dame sehen und nicht in der Lage, in der Sie vor Ihrer Heirat gelebt haben,« antwortete Ssergej Philippowitsch. »Nun wird aber das Kapital so sehr verringert, daß Sie noch ärmer sein werden, als Sie es als Mädchen waren.«

»Brauche ich denn das viele Geld, Sserjoscha?«

»Es ist wohl möglich, Katerina Lwowna, daß Sie für das Geld gar kein Interesse haben. Ich achte Sie aber so sehr, daß es mir schmerzlich sein wird, zu sehen, wie die gemeinen und neidischen Menschen Sie anschauen werden. Sie können darüber natürlich urteilen, wie es Ihnen beliebt, ich bin aber der Ansicht, daß ich dann unmöglich so glücklich sein kann, wie ich es bisher gewesen.«

Und er redete in einem fort, daß dieser Fedja Ljamin ihn zum unglücklichsten Menschen mache und daß er nicht mehr die Möglichkeit habe, sie, Katerina Lwowna, vor den Augen der ganzen Kaufmannschaft zu erhöhen und zu ehren. Wenn dieser Fedja nicht wäre, so bekäme Katerina Lwowna, nachdem sie vor Ablauf der neunmonatlichen Frist nach dem Verschwinden ihres Mannes ein Kind geboren haben würde, das ganze Kapital; dann würde ihr gemeinsames Glück ganz grenzenlos sein.

X

Nach einiger Zeit hörte aber Ssergej ganz auf, von der Erbschaft zu sprechen. Dafür nahm jetzt Fedja Ljamin alle Gedanken und Regungen Katerina Lwownas gefangen. Sie war nun immer nachdenklich und gegen Ssergej oft sogar unfreundlich. Ob sie schläft, oder den Geschäften nachgeht, oder betet, – immer denkt sie an das eine: »Wie ist es nun? Warum muß ich seinetwegen das ganze Kapital verlieren? Ich habe so viel durchgemacht, habe eine solche Sünde auf mich genommen, und er kommt gefahren und nimmt mir ruhig alles ab … Wenn er wenigstens ein erwachsener Mensch wäre, aber er ist nur ein kleines Kind …«

In diesem Jahre kamen die Fröste früh. Von Sinowij Borissowitsch war natürlich nichts zu hören. Katerina Lwowna nahm von Tag zu Tag an Leibesumfang zu und war immer nachdenklich. In der Stadt sprachen die Leute nur noch von ihr: die junge Ismajlowa ist doch immer kinderlos und mager gewesen, und nun ist sie plötzlich so aufgedunsen. Das ist doch seltsam! Der junge Miterbe Fedja Ljamin ging aber indessen in einem leichten Halbpelz aus Eichhornfellen auf dem Hofe herum und brach mit den Absätzen das Eis in den Pfützen ein.

»Du, Fjodor Ignatjewitsch!« schrie ihm manchmal die Köchin Aksinja zu. »Paßt es denn für dich, den Kaufmannssohn, in den Pfützen herumzustapfen?«

Der Miterbe, der Katerina Lwowna und ihrem Geliebten solche Sorgen machte, sprang aber so vergnügt wie ein Böcklein den ganzen Tag herum; nachts schlief er ruhig und sorglos unter der Obhut seiner Großtante und dachte gar nicht daran, daß jemand ihm in den Weg treten und sein glückliches Dasein verdunkeln könnte.

Fedja lief so lange auf dem Hofe herum, bis er eines Tages die Windpocken bekam. Zu den Windpocken gesellte sich auch eine Lungenentzündung. Der Junge lag krank darnieder. Man behandelte ihn zuerst mit allerlei Hausmitteln und ließ schließlich auch den Arzt kommen.

Der Arzt kam alle paar Tage ins Haus und schrieb Arzneien auf. Der Junge bekam sie alle paar Stunden nach der Uhr. Die Großtante selbst gab sie ihm ein. Manchmal mußte es auch Katerina Lwowna tun.

»Bemühe dich einmal, Katerina,« sagte sie ihr. »Du bist gesegneten Leibes, erwartest das Gericht Gottes, also kannst du dich auch einmal bemühen.«

Katerina Lwowna tat der Alten den Gefallen. Wenn jene in die Kirche ging, um »für den auf dem Krankenlager liegenden Knaben Fjodor« zu beten oder ein Stückchen Hostie für ihn zu holen, saß Katerina Lwowna am Bette des Kranken und gab ihm pünktlich seine Arzneien ein.

So ging die Alte auch am Festtage der Darstellung Mariä in die Kirche zur Abendmesse und Frühmesse und bat Katerina Lwowna wieder, nach dem Jungen zu sehen. Fedja ging es schon viel besser.

Katerina Lwowna kommt zu Fedja ins Zimmer, er sitzt aber schon in seinem Eichhornpelz auf dem Bette und liest.

»Was liest du, Fedja?« fragte Katerina Lwowna, sich in den Sessel vor seinem Bette setzend.

»Ich lese im Heiligenleben, Tantchen.«

»Ist es interessant?«

»Sehr interessant, Tantchen.«

Katerina Lwowna stützt den Kopf in die Hand und blickt auf Fedja, der lautlos die Lippen bewegt. Wie wenn sich alle Dämonen von den Ketten losgerissen hätten, bemächtigt sich ihrer plötzlich wieder der alte Gedanke, daß dieser Junge ihr soviel Böses zufüge und daß es viel besser wäre, wenn es ihn gar nicht auf der Welt gäbe.

– Er ist krank, – dachte sich Katerina Lwowna. – Er nimmt Arzneien ein … Einem kranken Kind kann ja manches zustoßen … Hinterher kann man sagen, daß der Arzt eine unrechte Medizin verordnet hat …

»Ist es nicht Zeit, die Medizin zu nehmen, Fedja?«

»Bitte, Tantchen!« sagte der Junge. Er schluckte die Medizin herunter und fügte hinzu: »Das Buch ist sehr interessant, Tantchen, es wird darin das Leben der Heiligen beschrieben.«

»Lies nur, lies,« versetzte Katerina Lwowna. Sie sah sich kaltblütig im Zimmer um und richtete den Blick auf das mit Eisblumen überzogene Fenster.

»Man muß die Fenster schließen lassen,« sagte sie. Dann ging sie durch das Gastzimmer in den Saal und von dort zu sich ins Schlafzimmer. Hier setzte sie sich hin.

Nach etwa fünf Minuten trat ins Schlafzimmer in einem mit Seebärenfell besetzten Halbpelz Ssergej.

»Hat man die Fenster geschlossen?« fragte ihn Katerina Lwowna.

»Man hat sie geschlossen,« antwortete Ssergej. Er putzte die Kerze und stellte sich vor den Ofen.

Beide schwiegen.

»Heute geht die Abendmesse wohl nicht so bald zu Ende?« fragte Katerina Lwowna.

»Morgen ist ein großer Feiertag, der Gottesdienst wird heute lange dauern,« antwortete Ssergej.

Es entstand wieder eine Pause.

»Ich muß nach Fedja schauen, er ist allein,« sagte Katerina Lwowna, sich erhebend.

»Allein?« fragte Ssergej, sie mürrisch anblickend.

»Ja, allein,« antwortete sie leise: »Warum?«

Von einem Augenpaar zum andern zuckten schnelle Blitze; aber keiner von ihnen sagte ein Wort.

Katerina Lwowna ging hinunter und machte eine Runde durch die leeren Zimmer. Überall war es still; vor den Heiligenbildern brannten ruhig die Lämpchen; ihr eigener Schatten huschte über die Wände; die Außenläden waren schon geschlossen, und die Fensterscheiben tauten auf und tränten. Fedja saß auf dem Bett und las. Als er Katerina erblickte, sagte er ihr:

»Tantchen, legen Sie, bitte, dieses Buch weg und geben Sie mir das andere, das auf dem Heiligenschrein liegt.«

Katerina Lwowna erfüllte die Bitte des Neffen und gab ihm das Buch.

»Willst du nicht einschlafen, Fedja?«

»Nein, Tantchen, ich möchte auf die Großtante warten.«

»Warum willst du auf sie warten?«

»Sie versprach mir, geweihtes Brot von der Abendmesse mitzubringen.«

Katerina Lwowna wurde plötzlich blaß: ihr eigenes Kind regte sich eben zum erstenmal unter ihrem Herzen, und sie fühlte Kälte in der Brust. Sie stand noch eine Weile mitten im Zimmer da und ging hinaus, die erkaltenden Hände gegeneinander reibend.

»Nun!« flüsterte sie, leise ins Schlafzimmer tretend, wo Ssergej noch immer vor dem Ofen stand.

»Was denn?« fragte Ssergej kaum hörbar. Ihm stockte der Atem.

»Er ist allein.«

Ssergej runzelte die Brauen und begann schwer zu atmen.

»Komm!« sagte Katerina Lwowna hastig, sich zur Türe wendend.

Ssergej zog sich schnell die Stiefel aus und fragte:

»Was soll ich mitnehmen?«

»Nichts!« hauchte Katerina Lwowna und führte ihn leise hinaus.

XI

Der kranke Knabe fuhr zusammen und ließ das Buch auf den Schoß sinken, als Katerina Lwowna zum drittenmal zu ihm hereinkam.

»Was hast du, Fedja?«

»Ach, Tantchen, ich habe solche Angst, ich weiß selbst nicht warum,« antwortete er, lächelnd und sich unruhig in eine Ecke des Bettes drückend.

»Wovor hast du Angst?«

»Wer war eben mit Ihnen, Tantchen?«

»Wo? Niemand war mit mir, mein Liebling.«

»Niemand?«

Der Knabe beugte sich zum Fußende des Bettes vor, kniff die Augen zusammen, blickte zur Türe, durch die seine Tante soeben gekommen war, und beruhigte sich.

»Es ist mir wohl nur so vorgekommen,« sagte er.

Katerina Lwowna lehnte sich an die Kopfwand seines Bettes.

Fedja blickte die Tante an und fragte sie, warum sie so blaß sei.

Katerina Lwowna hüstelte nur und blickte erwartungsvoll auf die Türe des Gastzimmers. Dort knarrte leise ein Dielenbrett.

»Ich lese eben die Lebensgeschichte meines Namenspatrons Fjodors des Stratilaten. Was der für ein gottgefälliges Leben führte!«

Katerina Lwowna stand schweigend da.

»Tantchen, wollen Sie sich nicht hinsetzen? Ich möchte Ihnen vorlesen!« sagte der Neffe, sie liebevoll anblickend.

»Wart, ich komme gleich, ich will nur das Lämpchen im Saal richten,« antwortete Katerina Lwowna und verließ schnell das Zimmer.

Im Gastzimmer wurde ganz leise, fast unhörbar geflüstert; das Kind hörte es aber in der tiefen Stille mit seinen scharfen Ohren.

»Tantchen! Was ist denn das? Mit wem tuscheln Sie denn?« schrie der Knabe mit tränenerstickter Stimme. »Tantchen, kommen Sie doch her, ich habe solche Angst!« rief er nach einem Augenblick noch klagender: es kam ihm vor, als ob die Tante im Gastzimmer zu jemand »Jetzt!« gesagt hätte. Der Knabe bezog es auf sich.

»Was hast du Angst?« fragte Katerina Lwowna heiser, mit festen, entschlossenen Schritten ins Zimmer tretend. Sie stellte sich vor das Bett so hin, daß ihr Körper die Gastzimmertüre vor den Blicken des Kranken verdeckte. »Leg dich!« sagte sie ihm.

»Ich will nicht, Tantchen.«

»Nein, Fedja, hör auf mich, leg dich … Es ist spät … Leg dich …« wiederholte Katerina Lwowna.

»Was fällt Ihnen ein, Tantchen! Ich will noch gar nicht liegen.«

»Nein, leg dich, leg dich,« sagte Katerina Lwowna mit veränderter, abgerissener Stimme. Sie nahm den Jungen unter den Achseln und legte ihn gewaltsam hin.

In diesem Augenblick stieß Fedja einen wahnsinnigen Schrei aus: er sah Ssergej, blaß und barfuß ins Zimmer treten.

Katerina Lwowna drückte ihre Hand auf den vor Entsetzen weit geöffneten Mund des Kindes und schrie:

»Schnell! Halt ihn einmal, damit er nicht zappelt!«

Ssergej packte Fedja an Armen und Beinen, Katerina Lwowna warf mit einem schnellen Ruck ein großes Daunenkissen auf das Gesicht des unglücklichen Kindes und legte sich mit der ganzen Schwere ihres Rumpfes darauf.

An die vier Minuten herrschte im Zimmer eine Grabesstille.

»Er hat genug,« flüsterte Katerina Lwowna. Kaum hatte sie sich aber erhoben, um alles in Ordnung zu bringen, als die Wände des stillen Hauses, das so viele Verbrechen in sich barg, von wuchtigen Schlägen erdröhnten: die Fenster klirrten, die Böden bebten, die Lämpchen vor den Heiligenbildern zitterten an ihren Ketten, und unheimliche Schatten huschten über die Wände.

Ssergej fuhr zusammen und stürzte hinaus; Katerina Lwowna rannte ihm nach, und das Dröhnen folgte ihnen. Es war, wie wenn überirdische Kräfte das sündige Haus bis auf den Grund erschütterten.

Katerina Lwowna fürchtete, daß der von Entsetzen gepeitschte Ssergej hinauslaufen und sich durch seinen Schreck verraten könnte; er lief aber in das Schlafzimmer hinauf.

Als Ssergej die Treppe hinaufgelaufen war, schlug er im Finstern mit der Stirne an die Tür und stürzte, ganz wahnsinnig vor Entsetzen, die Stufen hinunter.

»Sinowij Borissowitsch, Sinowij Borissowitsch!« stammelte er, kopfüber die Treppe hinunterstürzend und Katerina Lwowna umwerfend und mit sich reißend.

»Wo?« fragte sie.

»Da flog er eben als ein eisernes Blech über uns vorbei! Da fliegt er!« schrie Ssergej auf. »Da dröhnt er schon wieder!«

Nun war es klar, daß viele Hände von außen gegen alle Fenster hämmerten und auch die Türe einzuschlagen versuchten.

»Narr! Steh auf, Narr!« schrie Katerina Lwowna. Mit diesen Worten lief sie schnell wie der Blitz in Fedjas Zimmer, legte seinen toten Kopf in der natürlichen Stellung eines Schlafenden auf die Kissen hin und machte mit fester Hand die Türe auf, in die ein großer Haufen Menschen einzudringen suchte.

Das Bild, das sich ihr bot, war schrecklich. Katerina Lwowna blickte über die Köpfe der Menge, die die Haustüre belagerte, sah viele unbekannte Menschen über den hohen Zaun in den Hof klettern und hörte das Brausen vieler Stimmen.

Katerina Lwowna hatte noch nicht Zeit gehabt, die Sachlage zu erfassen, als die Menschen, die vor der Türe standen, über sie herfielen und sie zurück ins Haus drängten.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
13 октября 2017
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230 стр. 1 иллюстрация
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Правообладатель:
Public Domain

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