Читать книгу: «Die Jägerin - Blutrausch (Band 2)», страница 2

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6. Durst

Als er fort war, blickte ich auf meine Uhr. Es war 22.45 Uhr. Seufzend schüttelte ich die Krümel von meiner Bettdecke und legte mich wieder hin. Ich wollte versuchen zu schlafen. Ein bisschen Hoffnung, dass ich dieses Mal keine Alpträume haben würde, hatte ich noch. Doch ich irrte mich. Ich hatte wieder den gleichen Traum wie die anderen Male zuvor. Immer wieder sah ich vor mir eine dunkle Gestalt in einen Umhang gehüllt, die mir mein Baby wegnahm und es wegtrug. Ich wollte sie aufhalten, ihr mein Kind entreißen. Aber ich war festgeschnallt auf der Liege. Und wie jedes Mal wachte ich mit rasendem Herzen und Tränen in den Augen auf. Ich fragte mich immer wieder, ob der Traum eine Erinnerung war, die sich im Schlaf bei mir meldete, oder ob es meine Fantasie war, die mir diesen Streich spielte. Ich wusste schon gar nicht mehr, was wirklich war und was nicht.

Zitternd setzte ich mich im Bett auf und schaltete die kleine Lampe auf meinem Nachttisch an. Das Licht brannte in meinen Augen, und ich bekam stechende Kopfschmerzen. Ich sah die Uhrzeit und war erstaunt darüber, wie wenig Zeit erst vergangen war. Gerade einmal eine halbe Stunde. Mein Blick fiel auf das Glas Wasser, welches der Pater dort hatte stehen lassen. Als ich die klare Flüssigkeit sah, musste ich mir unwillkürlich über die Lippen lecken. Nur konnte ich sie nicht befeuchten. Ich hatte gar keine Flüssigkeit mehr in mir übrig. Sie war mit den unendlichen Tränen aus meinem Körper geschwemmt und bisher nicht wieder aufgefüllt worden.

Plötzlich war ich wahnsinnig durstig und schnappte mir das Glas. Meine Hand zitterte, als ich es anhob. Ich hatte kaum Kraft, diese einfache Tätigkeit auszuführen. Schließlich hatte ich seit Tagen nichts gegessen, was mir hätte Energie geben können. Ich musste beide Hände nehmen, damit ich das Gefäß an meinen Mund führen konnte. Aber irgendwie schaffte ich es und nahm einen ersten zaghaften Schluck. Es war wunderbar, die Flüssigkeit an den Lippen zu spüren und wie sie meinen Mund befeuchtete. Die Kühle rann meine Kehle hinunter, und ich spürte, wie sie in meinem Magen landete. Ich setzte das Glas erneut an und leerte es in einem Zug. Aber mein Durst war noch nicht gestillt.

Ich kletterte aus meinem Bett und schwankte in mein Badezimmer. Immer wieder füllte ich das Glas voll und leerte es umgehend. Ich weiß nicht, wie viel ich trank, aber ich fühlte mich erfrischt und nicht mehr dem Wahnsinn nahe wie jemand, der kurz vor dem Verdursten ist. Zufrieden ging ich zurück in mein Bett und legte mich hin. Der Kopfschmerz war schon weniger, und ich schlief schnell ein.

Als ich erwachte, hatte ich wieder Kopfschmerzen. Es war ein Druck, als würde jemand meinen Kopf zerquetschen wollen. Da mir das Wasser schon in der Nacht geholfen hatte, dachte ich, ich müsste vielleicht einfach nur wieder etwas trinken. Somit ging ich ins Bad und trank direkt vom Wasserhahn. Es war mir egal, ob ich mich bekleckerte. Ich wollte nur schnell diesen Schmerz in meinem Kopf loswerden. Leider brachte es mir dieses Mal keine Linderung. Der Schmerz war immer noch genauso schlimm wie vorher. Ich sackte vor dem Waschbecken zu Boden und versuchte nachzudenken, was ich tun konnte. Aber es gab nur eines, was mir dabei helfen konnte, mich besser zu fühlen: etwas zu essen.

Ich hoffte darauf, dass der Pater bald kommen würde, um mir etwas hinzustellen. Doch als ich über seinen letzten Besuch nachdachte, war ich mir nicht sicher, ob er jemals wieder kommen würde. Vielleicht hat er die Schnauze voll von mir und lässt mich jetzt einfach verhungern, dachte ich. So etwas darf er nicht tun, schoss es mir durch den Kopf. Er ist schließlich ein Mann der Kirche. Selbst Gott würde ihm das nicht verzeihen. Oder vielleicht doch?

Mühsam rappelte ich mich auf und kehrte zurück in mein Bett. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu warten, bis er zu mir kam. Ich konnte ja nicht hinaus.

Das Aufschließen meiner Zimmertür weckte mich auf, und ich sah, wie Pater Michael hereinkam. Sofort entdeckte ich das Tablett auf seinen Händen. Langsam kam er herüber und stellte es neben mein Bett. „Guten Morgen, Ada”, sagte er zaghaft. Er wirkte etwas verunsichert. Vielleicht tat ihm sein Benehmen von gestern leid, als er mir meine Zähne beinahe eingeschlagen hatte? Er beobachtete mich noch einen Moment, und ich wartete darauf, dass er noch etwas sagte. Statt Worten entrann seiner Kehle nur ein betrübter Seufzer. Und mit Erstaunen sah ich zu, wie er den Schlüssel zu meiner Schlafzimmertür auf die Bettdecke legte.

Ich blickte fragend zu ihm auf. Es war das erste Mal seit Tagen, dass wir uns in die Augen sahen. Ohne ein Wort zu sagen, wandte er sich um und ging hinaus. In diesem Moment spürte ich, wie sehr wir uns entfremdet hatten. Ich konnte mich an das letzte Mal, als ich zu ihm etwas gesagt hatte, nicht mehr erinnern. Und er schien mir ebenfalls nichts mehr zu sagen zu haben. Aber ganz aufgegeben hatte er mich anscheinend noch nicht. Schließlich hatte er mir eine weitere Mahlzeit gebracht. Und er hatte mir meine Freiheit wiedergegeben. Dennoch nagte die Frage an mir, was das zu bedeuten hatte. Ich war froh und wahnsinnig dankbar für seine Geste, ja. Aber woher kam dieser plötzliche Sinneswandel?

Während ich weiter nachgrübelte, vertilgte ich mit großem Appetit das Frühstück. Es war die beste Mahlzeit, die ich je gegessen hatte. Es war ein einfaches Sandwich mit Erdbeermarmelade gewesen, und es war einfach himmlisch! Schade, dass es nur ein Sandwich war. Ich hätte am liebsten eine ganze Packung Toastbrot mit Marmelade verdrückt. Aber es war wohl gesünder, wenn ich meinem entwöhnten Magen nicht gleich zu viel zumutete.

Danach fühlte ich mich gleich viel besser. Der Zuckerschub hatte mir genug Energie geliefert, um aufzustehen und mich anzuziehen. Durch meine Essensverweigerung hatte ich mir die Schwangerschaftskilos wieder runtergehungert, sodass mir meine Kleidung immer noch passte. Der Pullover spannte nicht und die Jeans blieb nicht auf halbem Wege stecken, weil der Hintern zu breit und der Bauch zu rund waren. Selbst meine Schuhe glitten leichter über meine Füße als zuvor. Konnte man an dieser Körperstelle abnehmen? Nun ja, ich beschwerte mich nicht. Es gab wichtigere Dinge als überschüssiges Gewicht an den Zehen. Schließlich hatte ich mich dazu entschieden, zum Pater zu gehen, damit wir reden konnten. Er hatte einen versöhnenden Schritt auf mich zu gemacht. Nun war es an der Zeit, dass ich auf ihn zuging.

7. Lauschangriff

„Es zerbricht sie, dass sie das Kind weggeben musste. Ich wusste, dass es schwer werden würde. Aber dass es so schlimm wird, damit hatte ich nicht gerechnet. Sie weint oft fürchterlich. Ich hatte keine Ahnung, dass ein Mensch in der Lage ist, solche Töne von sich zu geben. Ihr Weinen…es war schrecklich…es war unmenschlich. Sie isst nicht, und sie trinkt nicht. Grundgütiger, ich habe sogar versucht, ihr etwas mit Gewalt hineinzuzwängen!” Pater Michael klang entsetzt und beschämt über sein eigenes Verhalten.

Ich stand an der geschlossenen Tür zu seinem Büro und belauschte sein Gespräch. Ich war mir nicht sicher, ob er telefonierte oder Besuch hatte. Erschrocken zuckte ich zusammen, als er nach kurzem Schweigen wieder sprach. „Sie hat davon gesprochen wegzugehen. Sie will alles aufgeben und hinter sich lassen, was sie begonnen hat. Ich habe sie in ihr Schlafzimmer gesperrt. Ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte”, bedauerte er sein Vorgehen.

Es wurde wieder still, und ich stellte mir sein trauriges und bekümmertes Gesicht vor, während er am Telefon seinem Gesprächspartner lauschte. Aber dann ertönte eine zweite Stimme hinter der Tür. Es war Mister Hawk, der die ganze Zeit still zugehört hatte, während der Pater berichtete, was in den letzten Tagen geschehen war. „Und wie geht es dir bei alledem?”, wollte mein ehemaliger Nachbar wissen.

In dem Zimmer blieb es lange ruhig, als der Pater über seine Antwort nachdachte. „Es geht mir kaum besser. Ich liege oft nachts wach und weine und trauere um mein Kind. Nun muss ich auch noch um Ada trauern. Mir zerreißt es das Herz, sie so zu sehen. Sie ist doch sonst immer so stark gewesen, Bernard.” Seine Stimme brach bei dem letzten Wort weg. Ich hörte ein leises Schniefen.

„Michael, sie ist stark. Ihr seid es beide”, erwiderte Mister Hawk.

Der Pater lachte verächtlich. „Ich bin nicht so stark wie du und Ada glauben.”

Ich hörte den Schmerz und die Enttäuschung in seiner Stimme. Auf einmal kam ich mir furchtbar egoistisch vor, weil ich mich nie bemüht hatte, ihm zu helfen, und nur an meinen eigenen Verlust gedacht hatte. Nicht einen Gedanken hatte ich daran verschwendet, dass auch er darunter leiden könnte. Und nun machte er sich Vorwürfe, war enttäuscht von sich selbst und schämte sich für die Dinge, die er getan hatte, um mir zu helfen.

„Wenn es so weitergeht, werde ich sie gehen lassen”, fügte Pater Michael mit einem Seufzen hinzu. Er klang gefasster und entschlossen.

Mir stockte der Atem, und mein Herz machte einen Hüpfer. Er würde mich tatsächlich gehen lassen?

„Du liebst diese Frau, Michael. Das würdest du nicht übers Herz bringen”, bemerkte Mister Hawk.

„Ja, ich liebe sie über alles! Mehr als alles andere auf dieser Welt. Aber soll ich zusehen, wie sie sich zu Tode hungert, weil sie sich nach ihrem Baby sehnt und ich es ihr verweigere?” Ich hörte, wie sein Stuhl knarrte, und Schritte erklangen hinter der Tür. Sie waren nervös und unruhig. Mit Sicherheit lief der Pater in seinem Büro auf und ab. „Sie hat sich so sehr verändert. Ich vermisse ihre Stimme, ihr Lachen. Aber nun ist nur noch Stille hier. Wo ist nur das fröhliche Mädchen hin, das mich zum Lachen bringen konnte und das mein Herz eroberte?”, fragte er, aber er erhielt keine Antwort von seinem Gesprächspartner. Aber ich hatte eine!

Aufgebracht stieß ich die Tür auf. Mit Schwung knallte sie gegen die Wand und kam mir wieder entgegen. Ich stoppte sie mit meiner Hand. Pater Michael stand vor dem Wandteppich mit dem Abbild der Heiligen Maria, Mutter Gottes, und sah mich mit offen stehendem Mund und großen Augen an. Mister Hawk saß auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch des Paters. Seine Hände lagen mit verschränkten Fingern auf dem Gehstock, von dem ich wusste, dass er ihn in Wirklichkeit nicht brauchte. Mit seinen wässrigen Augen blickte er mich aufmerksam an. Er wirkte nicht überrascht, mich hier zu sehen. Es war unheimlich. Als wenn er wüsste, dass ich hinter der Tür gestanden und gelauscht hatte.

„Ada”, hauchte Pater Michael überrascht und trat auf mich zu. Abrupt blieb er stehen, als er erkannte, wie fuchsteufelswild ich war.

„Du willst wissen, wo das Mädchen ist, in das du dich verliebt hast?”, fragte ich und funkelte ihn wütend an. Er starrte mich nur an, immer noch fassungslos über mein Auftreten, und wahrscheinlich bereute er seine Entscheidung, dass er mich doch nicht wieder eingeschlossen hatte. „Dieses Mädchen gibt es nicht mehr, Michael! Es ist in dem Moment gestorben, als du ihm das Kind weggenommen und es in sein Zimmer gesperrt hast wie eine Gefangene! Du wolltest doch, dass ich erwachsen werde. Und um dich zu zitieren: Ich bin nicht dein Kasper, der dich unterhält!”, warf ich ihm an den Kopf, so wie er es einst mit mir getan hatte. Wütend wirbelte ich herum und knallte die Tür hinter mir zu. Mit stapfenden Schritten stieg ich die Treppe hinunter und verschwand wieder unter der Erde. Das Letzte, was ich hörte, war Pater Michaels Stimme, die flehentlich meinen Namen rief und mich bat, zurückzukommen. Aber ich wollte nicht. Und er folgte mir auch nicht.

8. Eine Standpauke vom Feinsten

Meine Hände zitterten, und mein Herz raste, weil ich so wütend über die Dinge war, die der Pater gesagt hatte. Hatte er ernsthaft geglaubt, dass mich die Ereignisse nicht verändern würden? Dass mich das Geschehene nicht prägen würde? Aufgebracht lief ich in meinem Schlafzimmer umher. Ich brabbelte vor mich hin und schimpfte und meckerte so laut, dass ich nicht mitbekam, wie jemand in mein Zimmer trat. Erst als die Tür krachend ins Schloss fiel, fuhr ich herum und starrte auf den alten Mann, der dort stand.

„Was wollen Sie hier? Hat er sie geschickt?”, fuhr ich ihn an und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

„Nein, Pater Michael hat mich nicht geschickt. Es war mein Vorschlag, mit dir zu reden. Denn auf ihn willst du ja nicht hören, Mädchen”, gab er mir zur Antwort. Langsam kroch er über den Boden und näherte sich mir.

„Sie sollten gehen, Mister Hawk. Denn ich werde auch nicht auf Sie hören! Es ist mir egal, was Sie zu sagen haben!”

Missbilligend schnalzte er mit der Zunge. „Ich weiß, dass es dir egal ist. Dir ist alles egal! Ich bin dir egal. Pater Michael ist dir egal. Und die Welt da draußen ist dir auch egal! Du bist sehr selbstsüchtig, Ada”, bemerkte er und wedelte mit erhobenem Zeigefinger herum.

Seine Worte verschlugen mir die Sprache. Ich japste nach Luft bei dieser Beleidigung. Ich und selbstsüchtig??! „Wie können Sie es wagen? Ich habe gerade erst mein Kind verloren!”, schrie ich ihm wütend entgegen.

Plötzlich setzte er sich wieder in Bewegung und kam auf mich zugeeilt. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie er bei mir war und mir eine schallende Ohrfeige verpasste! Mein Kopf flog zur Seite, und ich glotzte ungläubig die Tür zu meinem Badezimmer an. Ich hielt mir die brennende Wange und wandte meinen Blick wieder Mister Hawk zu. Fassungslos sah ich ihn an.

„Auch Pater Michael hat sein Kind verloren! Hast du auch nur einmal darüber nachgedacht, wie es ihm dabei geht? Nein. Natürlich nicht! Wieso auch? Es ist dir egal, dass er um das Baby weint und nun auch um dich. Du denkst nur daran, was du brauchst, um glücklich zu sein. Aber was er braucht, daran denkst du nicht! Er könnte dir den Trost spenden, den du benötigst, und du könntest das Gleiche für ihn tun. Ihr solltet für einander da sein, damit diese Wunden, die dieselben sind, verheilen können”, blubberte er mich voll, ohne einmal Luft zu holen. Sein Gesicht war ganz rot angelaufen, weil er sich so in seinen Vortrag hineingesteigert hatte. „Reiß dich gefälligst zusammen! Sei für ihn da. Hilf ihm!”, fügte er energisch hinzu.

Aber seine Rede zeigte Wirkung. Erst durch sie hatte ich begriffen, was ich getan hatte - oder besser gesagt nicht getan hatte. Der alte Mann hatte absolut Recht. Ich war eine egoistische, blöde Kuh, und ich schämte mich dafür. Während ich vor Selbstmitleid fast ertrank, hatte ich vergessen, wer Pater Michael ist und was er einst für mich gewesen war. Aber nun erinnerte ich mich wieder daran: Er war mein Engel, der mich retten würde.

9. Lass mich dir helfen

Mister Hawk hatte mein Zimmer schon vor einiger Zeit verlassen. Aber ich konnte mich nicht rühren. Vor Entsetzen über mich selbst war ich wie gelähmt und konnte nicht aufhören, über seine Worte nachzudenken. War es Pater Michael in der vergangenen Zeit wirklich so schlecht ergangen? Hatte er wirklich um unser Kind geweint und sehnte sich ebenfalls danach, es in den Armen zu halten? Und hatte ich wirklich solche Macht über ihn, dass er mich tatsächlich gehen lassen würde, um meinem Kind nahe zu sein und meine Aufgabe zu vergessen?

Als ich durch die Tür zu seinem Büro trat, blendete mich das helle Tageslicht, das durch das Glas ins Zimmer einfiel. Der wundervolle Wandteppich war nach oben gehoben worden. Pater Michael stand regungslos vor der Tür zu meinem Garten und starrte hinaus.

„Hi”, sagte ich.

Er zuckte beim Klang meiner Stimme zusammen, und ich sah, wie er mit den Händen in seinem Gesicht herumfummelte. Dann erst drehte er sich zu mir herum, und mir wurde bewusst, was er gerade getan hatte. Er hatte sich die Tränen weggewischt, die seine Augen immer noch feucht glänzen ließen, und rote Flecken leuchteten auf seinen Wangen. Mit großen Augen sah mich der Pater an. Er zwang sich zu einem Lächeln, was aber nur kurz währte.

„Michael, ich…”, begann ich, konnte aber nicht weitersprechen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es tat mir einfach alles so leid. Vorsichtig trat ich näher und blickte zu ihm auf. „Ich weiß nicht, was…”, versuchte ich es erneut, aber mir stiegen plötzlich Tränen in die Augen, und meine Stimme brach weg. Hinter dem feuchten Schleier sah ich, wie Pater Michael auf mich zukam und die Hand an meine Wange hob.

„Ist schon gut, Ada. Du brauchst nichts zu sagen”, flüsterte er und strich mit dem Daumen über meine Haut.

Sein unendliches Verständnis und seine Güte trafen mich so unerwartet wie eine Lawine. Alle Dämme in mir stürzten ein, und ich löste mich in Tränen auf. Ganze Sturzbäche flossen aus meinen Augen, und ich schluchzte hemmungslos. Pater Michael zog mich in seine Arme und hielt mich fest. Ich vergrub mein Gesicht in dem Stoff seiner Soutane. So dicht an ihn gelehnt, nahm ich den Geruch seines Eau de Toilettes wahr und fühlte mich sofort wieder heimisch. Hier gehörte ich hin. In Pater Michaels Arme.

Mein Körper wurde von den heftigen Schluchzern geschüttelt. Aber ich spürte auch, dass er zitterte. Ich schlang meine Arme um ihn und streichelte über seinen Rücken. Ich umarmte ihn fester und fester. Aus uns beiden brach alle Trauer und Wut heraus, die sich in den vergangenen Tagen angestaut hatte.

Wir standen lange in dem Büro und ließen unseren Gefühlen freien Lauf. Als wir uns beruhigt hatten, lösten wir uns voneinander und wischten uns gegenseitig unsere tränennassen Gesichter ab. Es war eine einfache Geste, aber sie steckte so voller Zuneigung. Wir mussten beide darüber lächeln. Etwas, was wir schon seit langer Zeit nicht mehr getan hatten. Und im ersten Moment fühlte es sich ungewohnt und fremd an, als wären unsere Gesichtsmuskeln eingerostet.

„Michael, es tut mir alles so leid. Ich war so furchtbar selbstsüchtig und herzlos. Ich -”, begann ich mich zu entschuldigen.

Aber Pater Michael legte mir einen Finger auf die Lippen und brachte mich zum Schweigen. „Ich weiß. Es tut mir auch leid. Es tut mir leid, dass ich dir nicht den Trost spenden konnte, den du gebraucht hättest. Es tut mir leid, dass ich so grausam zu dir war, als ich dich zum Essen zwingen wollte. Ich war grob und hart zu dir”, sagte er. Beschämt ließ er den Kopf hängen und schüttelte seinen dunklen Haarschopf. „Manchmal wünschte ich, ich könnte alles ungeschehen machen, damit wir von vorn anfangen können”, murmelte er.

„Michael”, flüsterte ich. Ich wollte, dass er mich ansah, aber er weigerte sich hartnäckig. Also legte ich ihm einen Finger unter das Kinn und hob seinen Kopf hoch, damit er mich anblickte. In seinen schwarzen Augen schimmerten erneut Tränen. „Du hast alles richtig gemacht”, versicherte ich ihm, denn genau so war es gewesen. Nur ich war diejenige gewesen, die sich hatte dämlich benehmen müssen.

„Ich möchte für dich da sein, Ada”, hauchte er. Es war hörbar, dass es ihm schwerfiel zu sprechen. Nach einem kurzen Räuspern fuhr er fort. „Ich möchte dir aufhelfen, wenn du hinfällst. Ich möchte dich wärmen, wenn dir kalt ist. Ich möchte deine Tränen trocknen, wenn du weinst. Ich möchte dich nur lächeln sehen und niemals traurig. Ich bin da, wenn du jemanden brauchst, der dir zuhört. Wenn du Angst hast, will ich dich beschützen. Und wenn es dir schlecht geht, will ich für dich sorgen. All das möchte ich für dich tun, weil ich dich liebe. Aber du musst es auch zulassen.” Seine Worte jagten mir einen warmen Schauer über den Rücken. Vor Rührung fing ich wieder an zu weinen. Krampfhaft versuchte ich dagegen anzukämpfen, und ich spürte, wie meine Lippen zitterten. Pater Michael umfasste meine Wange und streichelte sie beruhigend. „Du hast vielleicht in der Vergangenheit gelernt, mit allem allein zurechtzukommen. Aber so etwas geht nicht. Nicht immer kann man die Dinge allein bewältigen. Gott hat uns zueinander geführt, damit wir füreinander da sein können und uns helfen. Ich möchte dir helfen, Ada. Willst du, dass ich dir helfe?”

Ich starrte ihn mit großen Augen an. Meine Kehle war trocken und wie zugeschnürt. Ich biss mir fest auf die Unterlippe, weil sie noch heftiger anfing zu beben. Ich konnte seine Frage nur beantworten, indem ich nickte. Meiner Stimme war jetzt nicht zu trauen. Und dann konnte ich einfach nicht mehr. Ich brach wieder in Tränen aus. Dieses Mal war der Anfall aber so schlimm, sodass sich mein ganzer Oberkörper krampfartig zusammenzog und mir die Knie weich wurden. Ich war kurz davor zusammenzubrechen. Doch dann spürte ich starke Arme, die sich um mich schlossen und mich davor bewahrten, zu Boden zu sinken. Liebevoll hielt mich der Pater fest und trug mich zu seinem Stuhl hinüber, wo ich mich setzen konnte. Er half mir auf, so wie er es versprochen hatte. Und ich wollte mir Mühe geben, das Gleiche für ihn zu tun. Ich wollte auch für ihn da sein, so wie er es für mich war. Genauso sollte es zwischen uns sein. Genauso hätte es vorher schon sein sollen.

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9783738033724
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