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Nach beinahe einer Stunde intensivem Kämpfens traten die Männer des Empire den Rückzug an. Jemand auf ihrer Seite blies in ein Horn, und einer nach dem anderen begannen die verbliebenen Männer sich umzudrehen und aus der Stadt zu fliehen.

Mit noch lauterem Geschrei folgten ihnen Kendrick und seine Männer und jagten sie durch ganz Lucia hindurch aus den Toren hinaus.

Wer vom Bataillon des Empire noch übrig war – und es waren noch immer hunderte von Männern – ritt in einem wenig organisierten Chaos um sein Leben in Richtung Horizont.

Lauter Jubel brandete von den befreiten Gefangenen in Lucia auf. Kendricks Männer zerschnitten ihre Fesseln und befreiten sie und die Männer zögerten nicht, den gefallenen feindlichen Kriegern die Waffen abzunehmen, auf ihre Pferde zu springen und sich Kendricks Männern anzuschließen.

Kendricks Armee wuchs zu fast doppelter Größe an und die Männer jagten den feindlichen Kriegern über die Hügel hinterher. O’Connor und die anderen Bogenschützen trafen hier und da den ein oder anderen auf der Flucht.

Die Jagd ging weiter und Kendrick fragte sich, wohin sie flohen, bis er uns seinen Männer auf die Spitze eines besonders hohen Hügels kamen und von dort die größte der Städte des MacGil Reiches östlich von Silesia sahen – Vinesia – eingebettet zwischen zwei Berge, schmiegte sich die Stadt in ein malerisches Tal. Es war eine bedeutende Stadt, wesentlich grösser als Lucia mit dicken Steinmauer und verstärkten Eisentoren. Hierhin flüchteten also die verbliebenen Männer des Empire Bataillons – denn die Stadt wurde von zehntausenden von Andronicus Männern beschützt.

Kendrick stand mit seinen Männern auf dem Hügel und nahm die Situation in sich auf. Vinesia war eine große Stadt und sie waren weit in der Unterzahl. Er wusste, dass es töricht gewesen wäre, es zu versuchen, dass es am sichersten war, nach Silesia zurückzukehren und dankbar für den heutigen Sieg zu sein.

Doch Kendrick war nicht in der Stimmung für die sichere Wahl – genauso wenig wie seine Männer. Sie wollten Blut. Sie wollten Rache. Und an einem Tag wie heute war es nicht mehr wichtig, ob sie in der Unterzahl waren oder nicht. Es war an der Zeit, dem Empire zu zeigen, woraus die MacGils geschmiedet waren.

„ANGRIFF!“ schrie Kendrick.

Lautes Geschrei brandete auf und tausende von Männern stürmten voran und stürzten sich tollkühn den Hügel hinunter auf die Stadt zu, bereit alles für Ehre und Tapferkeit zu riskieren und ihr Leben dafür zu geben.

KAPITEL VIER

Gareth hustete und keuchte während er über die öde Landschaft stolperte, seine Lippen waren aufgesprungen vom Durst und seine Augen lagen tief in den Höhlen mit dunklen Ringen darunter. Die letzten Tage waren furchtbar gewesen, und er hatte mehr als einmal geglaubt, sterben zu müssen.

Gareth war haarscharf Andronicus Männern in Silesia entkommen, indem er sich in einem Geheimgang versteckt gehalten und abgewartet hatte. Er hatte wie eine Ratte zusammengerollt in der Dunkelheit auf seine Gelegenheit zur Flucht gewartet. Er hatte das Gefühl gehabt, Tage in dem Loch verbracht zu haben. Er hatte alles mitangesehen, hatte mit Unglauben gesehen, wie Thor auf dem Rücken dieses Drachen angekommen war und all die Männer des Empire getötet hatte. In der allgemeinen Verwirrung und dem Chaos das daraufhin ausgebrochen war, hatte Gareth seine Gelegenheit zur Flucht genutzt. Er war aus einem der Nebentore von Silesia geschlichen als niemand hingesehen hatte und hatte die Straße gen Süden entlang des Canyons genommen, wobei er sich meistens im Dickicht bewegte, um nicht entdeckt zu werden. Doch das war ziemlich egal – die Straße war ohnehin leer. Alle waren unterwegs gen Osten um in der großen Schlacht um den Ring zu kämpfen. Während Gareth seines Weges zog bemerkte er die verkohlten Körper von Andronicus Männern, die die Straße säumten und wusste, dass die Schlacht hier im Süden schon geschlagen worden war. Gareth ging weiter in Richtung Süden. Sein Instinkt trieb ihn zurück nach King’s Court – oder was davon noch übrig war. Er wusste, dass Andronicus Männer die Stadt verwüstet hatte, dass sie höchstwahrscheinlich in Trümmern lag, doch er wollte nach King’s Court zurück. An den Ort, den alle anderen aufgegeben hatten. Den Ort, an dem er, Gareth, einst geherrscht hatte.

Nachdem er tagelang gewandert war, schwach und verwirrt vor Hunger, kam Gareth endlich an den Rand des Waldes und sah King’s Court in der Ferne. Da lag es – und die Mauern standen noch immer, zumindest zu Teil, auch wenn sie verkohlt waren und verfielen. Überall lagen die Leichen von Andronicus Männern herum, ein Beweis, dass Thor hier gewesen war. Davon abgesehen lag es verlassen, und außer dem Pfeifen des Windes war nichts zu hören.

Das war Gareth gerade recht. Er wollte nicht in die Stadt gehen. Er wollte zu einem kleinen, versteckten Gebäude außerhalb der Stadt, einem Ort, an den er als Kind immer gerne gekommen war. Ein rundes Gebäude aus Marmor, das sich nur wenige Meter über dem Boden erhob mit kunstvoll verzierten Statuen auf dem Dach. Es war die Gruft der MacGils. Der Ort an dem sein Vater begraben worden war – und dessen Vater vor ihm.

Gareth war sich sicher, dass die Gruft nicht zerstört worden war. Wer würde sich schon die Mühe machen, ein Grab anzugreifen? Es war der eine Ort, an dem niemand nach ihm suchen würde und an dem er Unterschlupf finden konnte. Ein Ort, an dem er sich verstecken konnte und in Ruhe gelassen wurde. Ein Ort, an dem er mit seinen Vorfahren alleine sein konnte. So sehr Gareth seinen Vater auch hasste so sehr wollte er ihm in diesen Tagen nahe sein.

Gareth eilte über das offene Feld; ein kalter Windstoß ließ ihn erschaudern und er zog den verschlissenen Mantel enger um seine Schulter. Er hörte den schrillen Ruf eines Wintervogels und sah die große, furchteinflößende schwarze Kreatur, die über ihm kreiste und mit jedem Ruf erwartete, dass er zusammenbrach und ihr nächstes Mahl wurde. Gareth konnte es ihr nicht verübeln. Er hatte kaum mehr Kraft und war sich sicher, dass er eine erstklassige Mahlzeit für den Vogel darstellen würde.

Endlich erreichte Gareth das Gebäude, griff den schweren eisernen Türgriff mit beiden Händen und drückte ihn mit beiden Händen nach unten. Die Welt drehte sich um ihn und er war vor Erschöpfung schon fast im Delirium. Die Türe öffnete sich einen Spalt weit, und er musste all seine Kraft aufzubringen, sie weiter aufzuziehen.

Gareth eilte in die Finsternis und zog die schwere Tür hinter sich zu. Der Klang hallte im alten in dem alten Gemäuer lang nach.

Er griff in der Finsternis nach einer Fackel an der Wand – er wusste genau, wo sie befestigt war, schlug einen Feuerstein und entzündete sie. Sie gab gerade genug Licht, damit er die Stufen hinabsteigen konnte, immer tiefer in Finsternis hinab. Es wurde immer kälter und zugiger je tiefer er kam, der kalte Winterwind fand seinen Weg durch die schmalsten Ritzen. Er hatte das Gefühl, dass seine Vorfahren ihn anheulten, ihn tadelten.

„LASST MICH IN RUHE!“ schrie er zurück.

Seine Stimme hallte von den Wänden der Gruft wieder.

„IHR WERDET EUREN PREIS SCHON FRÜH GENUG BEKOMMEN!“

Doch der Wind blies weiter.

Gareth war wütend und stieg tiefer hinab, bis er endlich die große marmorne Kammer mit ihrer drei Meter hohen Decke erreichte, in der all seine Vorfahren in marmornen Sarkophagen lagen. Gareth durchschritt feierlich den Raum, auf die gegenüberliegende Seite zu, wo sein Vater lag. Seine Schritte hallten vom marmornen Boden und den Wänden wider.

Der alte Gareth hätte den Sarkophag seines Vaters zertrümmert. Doch plötzlich begann er, so etwas wie Zuneigung ihm gegenüber zu spüren. Er konnte es kaum verstehen. Vielleicht ließ die Wirkung des Opiums nach; oder vielleicht war es auch, weil er wusste, dass er selbst bald tot sein würde.

Gareth erreichte den großen Sarkophag und beugte sich darüber. Er legte seinen Kopf auf den kalten Stein und bemerkte überrascht, dass er weinte.

„Ich vermisse dich Vater“, weinte er, und seine Stimme hallte in der Einsamkeit der Gruft.

Er weinte und weinte, Tränen liefen ihm über das Gesicht, bis schließlich seine Beine müde wurden und er erschöpft zusammensank und an das Grab seines Vaters gelehnt am Boden saß. Der Wind heulte, als ob er ihm antworten wollte und Gareth legte seine Fackel nieder, die immer schwächer brannte – eine winzige Flamme, die von der Schwärze umfangen wurde. Gareth wusste, dass bald alles Finster sein würde und dass er bald bei denen sein würde, die er am meisten liebte.

KAPITEL FÜNF

Steffen wanderte still den einsamen Waldweg entlang und entfernte sich langsam vom Tower of Refuge. Es brach ihm das Herz, Gwendolyn dort zurückzulassen, die Frau, die er mit seinem Leben zu beschützen geschworen hatte. Ohne sie war er nichts. Seitdem er sie getroffen hatte, hatte er das Gefühl gehabt, endlich einen Sinn für sein Leben gefunden zu haben: Über sie zu wachen, und sein Leben den Dienst an ihr zu widmen, dafür, dass sie ihm, einem einfachen Diener, erlaubt hatte sich über alle Ränge und Stände hinweg zu erheben; doch am meisten dafür, dass sie die erste Person in seinem Leben war, die ihn nicht für seine Erscheinung verabscheute und unterschätzte.

Steffen hatte ein Gefühl von Stolz verspürt, dafür, dass er ihr geholfen hatte, den Tower sicher zu erreichen. Doch sie dort zurückzulassen, ließ ihn eine tiefe Leere spüren. Wohin sollte er nun gehen? Was sollte er tun?

Ohne Gwendolyn zu beschützen schien sein Leben wieder einmal ohne Ziel. Er konnte nicht nach King’s Court zurückgehen oder nach Silesia. Andronicus hatte beide geschlagen, und er erinnerte sich an die Zerstörung, die er gesehen hatte, als sie aus Silesia geflohen waren. Das letzte, an das er sich erinnerte war, dass sein gesamtes Volk gefangen oder versklavt worden war. Zurückzukehren war sinnlos. Außerdem wollte Steffen den Ring nicht noch einmal durchqueren und so weit von Gwendolyn fort gehen.

Daher lief er stundenlang recht ziellos umher, folgte den Waldwegen und versuchte seine Gedanken zu sammeln, bis ihm endlich einfiel, wohin er gehen konnte. Er folgte der Landstraße gen Norden, einen Hügel hinauf, und von dort aus entdeckte er eine kleine Stadt, die in der Ferne an einen anderen Hügel geschmiegt lag. Er ging in diese Richtung, und als er sie erreichte, sah er, dass die Stadt alles hatte, was er brauchte: Einen perfekten Blick auf den Tower of Refuge. Wenn Gwendolyn ihn jemals verlassen würde, wollte er sicher sein, dass er in der Nähe war um sie zu begleiten und sie zu beschützen. Seine Treue galt ihr. Nicht einer Armee oder einer Stadt, sondern ihr. Sie war alles, was er hatte.

Als Steffen in dem kleinen, bescheidenen Ort ankam, entschied er sich, dort zu bleiben, wo er immer den Tower sehen konnte und ein Auge auf sie haben konnte. Als er durch die Tore kam, sah er einen unauffälligen, armen Ort, ein kleines Städtchen am Rande des Rings, so versteckt im Südlichen Wald, dass Andronicus Männer sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, hierher zu kommen.

Steffen kam unter den Blicken von dutzenden von Dorfbewohnern an, in ihren Gesichtern spiegelte sich Ignoranz und der Mangel an Mitgefühl wider. Sie starrten ihn mit weit aufgerissenen Mündern und der wohlbekannten Verachtung und Spott im Blick an, den er von Geburt an kannte. Als sie ihn betrachteten, konnte er es ihn ihren Blicken sehen.

Steffen wollte umkehren und davonlaufen, doch er zwang sich zu bleiben. Er musste um Gwendolyns Willen in der Nähe des Towers bleiben, und er würde alles dafür tun. Ein Dorfbewohner, ein korpulenter Mann in den Vierzigern, der wie die anderen in Lumpen gekleidet war, kam auf ihn zu.

„Was haben wir denn hier? Eine Art von verunstaltetem Männchen?“

Die anderen lachten, und kamen näher.

Steffen blieb ruhig; er hatte diese Art der Begrüßung erwartet – so war er schon sein ganzes Leben lang begrüßt worden. Er hatte festgestellt, je provinzieller die Leute waren, umso mehr Freude schienen sie daran zu finden, sich über ihn lustig zu machen.

Steffen versicherte sich, dass sein Bogen über seine Schulter hing, für den Fall, dass diese Dorfbewohner nicht nur brutal mit ihren Worte waren, sondern womöglich auch gewalttätig. Er wusste, dass er mehrere von ihnen in einem einzigen Wimpernschlag töten konnte, wenn es sein musste. Doch er wollte keine Gewalt. Er suchte Unterkunft.

„Vielleicht ist er nur eine ganz gewöhnliche Missgeburt, oder nicht?“ fragte ein anderer, als ihn eine wachsende Gruppe von Dorfbewohnern bedrohlich umringte.

„Die Rüstung die er trägt sieht aus wie eine königliche Rüstung.“

„Und der Bogen – das ist feines Leder!“

„Ganz abgesehen von den Pfeilen. Die haben goldene Spitzen, nicht wahr?“

Sie blieben ein paar Meter vor ihm stehen und sahen bedrohlich auf ihn herab. Sie erinnerten ihn an die anderen Kinder, die ihn als Jungen gequält hatten.

„Sprich, Missgeburt, wer bist du?“, sagte einer von ihnen.

Steffen holte tief Luft und bemühte sich, ruhig zu bleiben.

„Ich will euch nichts Böses.“, fing er an.

Die Gruppe brach ihn wildes Gelächter aus.

„Böses? DU? Was könntest du uns schon antun?“

„Du könntest nicht einmal unseren Hühnern etwas anhaben!“ brüllte ein anderer.

Steffen wurde rot als das Gelächter lauter wurde, doch er konnte nicht zulassen, dass sie ihn provozierten.

„Ich brauche eine Unterkunft und Essen. Ich habe starke Hände und kann arbeiten. Gebt mir eine Aufgabe und ich werde sie erfüllen. Ich brauche nicht viel. Nicht mehr als jeder andere Mann auch.“

Steffen war bereit, wieder niedrige Arbeiten zu leisten, so wie all die Jahre im Keller von König MacGil. Das würde ihn ablenken. Er konnte hart arbeiten und ein anonymes Leben führen, so wie er es getan hatte, bevor er Gwendolyn begegnet war.

„Du nennst dich selbst einen Mann?“, lachte einer.

„Vielleicht können wir einen Nutzen für ihn finden.“, schrie ein anderer.

Steffen sah ihn hoffnungsvoll an.

„Vielleicht kann er ja gegen unsere Hunde und Hühner kämpfen!“

Die Männer brüllten vor Lachen.

„Ich würde gutes Geld bezahlen, um das sehen zu können!“

„Hier draußen herrscht Krieg, falls ihr das noch nicht bemerkt habt.“, gab Steffen kühl zurück. „Ich bin sicher, dass ihr selbst in einem ländlichen und einfachen Ort wie diesem jede Hand gebrauchten könnt, um die Ernährung sicherzustellen.“

Die Dorfbewohner sahen einander sprachlos an.

„Natürlich wissen wir, dass wir ihm Krieg sind.“, sagte einer. „Doch unser Ort ist zu klein. Keine Armee wird sich die Mühe machen, hierher zu kommen.“

„Ich mag nicht wie du redest“, sagte ein anderer. „So hochtrabend? Klingt als hättest du ne Bildung. Denkst wohl, du bist besser als wir!“

„Ich bin nicht besser als jeder andere Mann“, sagte Steffen.

„Na das ist ja offensichtlich.“, lachte ein anderer.

„Genug der Stichelei!“ rief einer der Dorfbewohner in ernstem Ton.

Er trat vor und schob die anderen beiseite. Er war älter als die anderen und sah ernst aus. Die Menge verstummte in seiner Anwesenheit.

„Wenn du meinst, was du sagst“, sagte der Mann in einer tiefen, rauen Stimme, „kann ich gut ein extra Paar Hände in meiner Mühle gebrauchen. Ich zahle einen Sack Körner pro Tag und einen Krug Wasser. Du schläfst im Heuschober mit dem Rest der Jungen. Wenn du einverstanden bist, hast du Arbeit gefunden.“

Steffen nickte und war froh, endlich einen ernstzunehmenden Mann zu sehen.

„Ich will nicht mehr als das.“, sagte er.

„Hier entlang“, sagte der andere und bahnte sich seinen Weg durch die Menge.

Steffen folgte ihm zur großen hölzernen Getreidemühle, die von Jungen und Männern umgeben war. Jeder einzelne von ihnen war verschwitzt und mit Schmutz bedeckt und stand in matschigen Spuren und schob ein riesiges hölzernes Rad an – jeder von ihnen lief eine Speiche haltend stur voran. Steffen stand da und betrachtete die Arbeit die ihn erwartete. Er erkannte, dass es Knochenarbeit sein würde, doch sie würde ihren Zweck erfüllen. Steffen wandte sich um, um den Mann zu erklären, dass er sein Angebot annehmen würde, doch er war schon verschwunden. Die Dorfbewohner hatten sich nach ein paar letzten abschätzenden Bemerkungen wieder ihrer Arbeit zugewandt und Steffen blickte auf das Mühlrad; das neue Leben, das vor ihm lag.

Für einen kurzen Augenblick war er schwach gewesen, hatte er sich zu träumen erlaubt. Er hatte sich ein Leben in Schlössern vorgestellt, mit Rang und Adel. Er hatte sich selbst als eine wichtige Person gesehen, die Rechte Hand der Königin. Er hätte es besser wissen müssen. Natürlich war ihm das nicht vom Schicksal bestimmt gewesen. Was ihm zuteil geworden war, so wie die Begegnung mit Gwendolyn, war ein Zufall gewesen. Nun wurde sein Leben wieder zurückgesetzt werden. Doch wenigstens war es ein Leben das er kannte und verstand. Ein hartes Leben. Und ohne Gwendolyn würde dieses Leben genug für ihn sein.

KAPITEL SECHS

Thor drängte Mycoples schneller zu fliegen. Sie jagten durch die Wolken und kamen dem Tower of Refuge immer näher. Thor konnte mit jeder Faser seines Körpers spüren, dass Gwendolyn in Gefahr war. Er spürte, wie eine Vibration durch seine Fingerspitzen, durch seinen ganzen Körper lief, die ihn warnte. Schneller, flüsterte sie ihm zu.

Schneller.

„Schneller!“, drängte Thor Mycoples.

Mycoples brummte sanft und schlug stärker mit den Flügeln. Thor hatte noch nicht einmal etwas sagen müssen – Mycoples verstand ihn auch ohne Worte. Doch er sagte es trotzdem – er fühlte sich besser damit.

Doch er fühlte sich hilflos. Er spürte, dass etwas ganz und gar nicht mit Gwendolyn stimmte, und wusste, dass jeder Augenblick zählte.

Endlich brachen sie durch eine kleine Wolkenbank und Thor wurde sofort von einer Woge der Erleichterung überrannt – denn vor ihnen lag in der Ferne der Tower of Refuge. Er war ein altes und gespenstisch anmutendes Stück Architektur, ein perfekt runder, schlanker Turm, der sich fast bis zu den Wolken in den Himmel erhob.

Er war aus glänzendem, schwarzem Stein erbaut und Thor konnte seine Macht selbst von hier spüren.

Als sie näher kamen, sah er plötzlich etwas oben auf dem Turm. Eine Person. Sie stand mit ausgestreckten Armen am Rande der Zinnen. Ihre Augen waren geschlossen und sie schwankte im Wind.

Thor wusste sofort, wer sie war.

Gwendolyn.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals als er sie dort stehen sah. Er wusste, was sie dachte. Und er wusste warum. Sie dachte, er hätte sie aufgegeben, und er gab sich daran die Schuld.

„SCHNELLER!“, schrie Thor.

Mycoples schlug noch fester mit den Flügeln und flog so schnell, dass es Thor den Atem nahm.

Als sie Näher kamen, konnte Thor sehen, wie Gwen einen Schritt zurück machte, weg von der Kante, zurück auf das sichere Dach, und sein Herz füllte sich mit Erleichterung. Sie hatte ohne ihn gesehen zu haben ganz alleine die Entscheidung getroffen, nicht zu springen.

Mycoples brüllte und Gwen sah auf und sah Thor zum ersten Mal. Ihre Blicke fingen einander selbst auf die große Distanz hin ein und er sah die Überraschung in ihrem Gesicht.

Endlich landete Mycoples auf dem Dach und in dem Moment, in dem sie es tat, sprang Thor von ihrem Rücken und rannte auf Gwendolyn zu.

Sie wandte sich ihm zu und starrte ihn überrascht an. Sie sah aus, als hätte sie einen Geist gesehen.

Thor rannte auf sie zu, sein Herz schlug wild, er war überwältigt vor Freude und streckte die Arme aus. Thor umarmte sie und wirbelte sie herum. Sie lagen sich in den Armen und hielten einander fest.

Thor hörte sie weinen und spürte, wie ihre heißen Tränen seinen Nacken hinunterliefen und er konnte kaum glauben, dass er wirklich hier war und sie in Armen hielt. Es war real. Das war der Traum, den er Tag für Tag und Nacht für Nacht geträumt hatte während er tief im Empire war und sich sicher war, dass er niemals wieder zurückkehren und Gwendolyn nie wieder sehen würde. Doch hier war er nun und spürte sie in seinen Armen.

Nachdem er so lange fort gewesen war, schien alles neu zu sein. Es war perfekt. Und er schwor, dass er nie wieder auch nur einen einzigen Augenblick mit ihr als selbstverständlich hinnehmen würde.

„Gwendolyn“, flüsterte er ihr ins Ohr.

„Thorgrin“, flüsterte sie zurück.

Sie hielten einander lange fest, und dann küssten sie sich. Es war ein langer, leidenschaftlicher Kuss, und keiner von ihnen wollte aufhören.

„Du lebst“, sagte sie. „Und du bist hier. Ich kann nicht glauben, dass du hier bist!“

Mycoples schnaubte und Gwen blickte über Thors Schulter als Mycoples einmal mit den Flügeln schlug. Furcht huschte über Gwens Gesicht.

„Hab keine Angst.“, sagte Thor. „Ihr Name ist Mycoples. Sie ist meine Freundin. Und sie wird auch deine Freundin sein. Lass sie mich dir vorstellen.“

Thor nahm Gwendolyn bei der Hand und führte sie langsam über das Dach. Er konnte ihre Angst spüren, während sie sich dem Drachen näherten. Er konnte es verstehen. Immerhin war sie ein echter Drachen, und so nah war Gwen noch nie zuvor in ihrem Leben einem Drachen gekommen.

Mycoples sah Gwendolyn mit ihren riesigen rot glühenden Augen an. Sie schnaubte sanft, wackelte mit den Flügeln und legten den Kopf in den Nacken. Thor konnte so etwas wie Neid spüren, und vielleicht Neugier.

„Mycoples, das ist Gwendolyn.“

Mycoples wandte stolz den Kopf ab. Doch dann drehte sie sich plötzlich wieder um und blickte Gwendolyn direkt in die Augen, gerade so, als ob sie bis auf den Grund ihrer Seele sehen konnte. Sie lehnte sich vor, so wie, dass ihr Gesicht fast das von Gwendolyn berührte.

Gwen keuchte vor Überraschung und Ehrfurcht. Sie hob zitternd ihre Hand, legte sie sanft auf Mycoples lange Nase und berührte ihre purpurnen Schuppen.

Wenige angespannte Augenblicke später zwinkerte Mycoples endlich, senkte ihre Nase und rieb sie an Gwens Bauch als Zeichen der Zuneigung. Sie rieb ihre Nase immer weiter an Gwens Bauch, gerade so, als wäre sie darauf fixiert, und Thor konnte nicht verstehen warum.

Dann wandte Mycoples genauso schnell den Blick ab und sah zum Horizont.

„Sie ist wunderschön“, flüsterte Gwen.

Sie wandte sich um und sah Thor an.

„Ich hatte die Hoffnung auf deine Rückkehr schon aufgegeben.“, sagte sie. „Ich habe nicht mehr damit gerechnet.“

„Ich auch nicht“, sagte Thor. „Nur der Gedanke an dich hat mich am Leben gehalten. Hat mir einen Grund gegeben, weiterzuleben und zurückzukehren.“

Sie umarmten sich wieder und hielten einander fest, während der kalte Winterwind sie umwehte.

Gwendolyn senkte den Blick, sah das Schwert des Schicksals an Thors Hüfte hängen und riss die Augen auf. Sie keuchte.

„Du hast das Schwert zurück gebracht.“, sagte sie und sah ihn ungläubig an. „Du bist der, der es führt!“

Thor nickte.

„Doch wie…“, begann sie und war überwältigt.

„Ich weiß nicht wie“, sagte Thor, „ich konnte es einfach.“

Ihre Augen weiteten sich hoffnungsvoll, als ihr etwas anderes einfiel.

„Dann haben wird den Schild wieder.“, sagte sie voller Hoffnung.

Thor nickte wieder.

„Andronicus ist in der Falle.“, sagte er. „Wir haben bereits King’s Court und Silesia befreit.“

Freude und Erleichterung huschten über Gwendolyns Gesicht.

„Du hast unsere Städte befreit“, bemerkte sie.

„Zum größten Teil war es Mycoples. Und das Schwert. Ich war einfach nur da.“

Gwen strahlte.

„Und unsere Leute? Sind sie sicher? Hat irgendwer überlebt?“

Thor nickte.

„Fast alle sind am Leben und es geht ihnen gut.“

Sie strahlte und sah auf einmal wieder wie das junge Mädchen aus, das sie war.

„Kendrick erwartet dich in Silesia.“, sagte Thor. „Genauso wie Godfrey, Reece, Srog und viele, viele andere. Sie sind frei und gesund und die Stadt ist frei.“

Gwendolyn sprang Thor in die Arme und hielt ihn fest. Er konnte die Welle der Erleichterung spüren, die sie durchfuhr.

„Ich hatte befürchtet, dass alle zerstört und für immer verloren wäre.“, weinte sie.

Thor schüttelte den Kopf.

„Der Ring hat überlebt.“, sagte er. „Andronicus ist auf der Flucht. Wir werden zurückkehren und ihn ein für alle Mal auslöschen. Und dann werden wir anfangen, alles wieder aufzubauen.“

Gwendolyn drehte sich plötzlich um und starrte in den Himmel. Sie wickelte ihren Mantel enger um ihre Schultern und ihr Blick war voller Sorgen.

„Ich weiß nicht, ob ich wieder zurückkehren kann.“, sagte sie zögerlich. „Als du fort warst ist mir etwas zugestoßen.“

Thor griff sanft ihre Schultern, drehte sie zu sich um und sah sie an.

„Ich weiß, was dir zugestoßen ist.“, sagte er. „Deine Mutter hat es mir gesagt. Du hast keinen Grund dich zu schämen.“, sagte er.

Gwen sah ihn an und in ihrem Blick lag Überraschung und Verwunderung.

„Du weißt es?“ fragte sie erschrocken.

Thor nickte.

„Es ist bedeutungslos.“, sagte er. „Ich liebe dich genauso wie zuvor. Sogar noch mehr. Unsere Liebe – das ist, was zählt. Sie ist unzerstörbar. Ich werde Rache für dich üben und Andronicus selbst töten. Doch unsere Liebe – sie wird niemals sterben.“

Wieder fiel Gwen Thor in die Arme und ihre Tränen liefen ihm über den Nacken. Er konnte spüren, wie erleichtert sie war.

„Ich liebe dich“, flüsterte Gwen ihm ins Ohr.

„Und ich liebe dich auch.“, antwortete er.

Thor stand da, hielt sie fest und sein Herz schlug wild vor Anspannung. Er wollte jetzt, in diesem Augenblick um ihre Hand anhalten. Doch er hatte das Gefühl, dass er es nicht tun konnte, bevor er ihr gesagt hatte, wer sein Vater war.

Der Gedanke daran füllte ihn mit Scham. Hier stand er und hatte gerade eben geschworen, den Mann zu töten, den sie beide am Meisten hassten. Und mit den nächsten Worten sollte er verkündigen, dass Andronicus sein Vater war?

Thor war sich sicher, dass Gwendolyn ihn für immer hassen würde. Und er konnte nicht riskieren, sie zu verlieren. Nicht nach allem, was geschehen war. Er liebte sie zu sehr.

Darum griff er mit zitternden Händen unter sein Hemd und zog die Halskette hervor, die er unter den Schätzen des Drachen gefunden hatte, mit der goldenen Kette und dem glänzenden goldenen Herzen, das mit Diamanten und Rubinen besetzt war. Er hielt sie ans Licht und Gwen keuchte bei ihrem Anblick. Thor trat hinter sie und legte sie ihr um den Hals.

„Ein kleiner Beweis meiner Liebe und Zuneigung“, sagte er.

Es lag wunderschön auf ihrer Brust. Das Gold schimmerte im Licht und die Steine glitzerten.

Der Ring brannte im Säckchen um seinen Hals, und Thor schwor, dass er ihn ihr zur rechten Zeit geben würde. Wenn er den Mut aufbringen konnte, ihr die Wahrheit zu sagen. Doch jetzt war nicht die Zeit dazu, so sehr er es auch gehofft hatte.

„Du siehst, der Weg zurück steht dir frei“, sagte Thor und strich ihr mit der Hand über die Wange. „Du musst zurückkehren. Dein Volk braucht dich. Sie brauchen einen Anführer. Der Ring ist nichts ohne einen Anführer. Sie warten auf deine Führung. Andronicus hält immer noch den halben Ring besetzt und unsere Städte müssen wieder aufgebaut werden.“

Er sah ihr in die Augen und konnte sehen, dass sie überlegte.

„Sag ja“, drängte Thor sie. „Komm mit mir zurück. Der Tower ist kein Ort an dem ein junges Mädchen den Rest ihrer Tage verbringen sollte. Der Ring braucht dich. Ich brauche dich.“

Thor streckte ihr eine Hand entgegen und wartete.

Gwendolyn senkte den Blick und zögerte.

Doch dann griff sie schließlich seine Hand. Ihre Augen wurden heller und glühten vor Wärme und Liebe. Er konnte sehen, dass die alte Gwendolyn langsam ihren Weg zurück ins Leben fand, voller Leben, Liebe und Frohsinn. Sie war wie eine Blüte, die vor seinen Augen wieder aufgeblüht war.

„Ja“, sagte sie sanft und lächelte.

Sie umarmten einander und schworen, nie wieder loszulassen.

299 ₽
Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
09 сентября 2019
Объем:
273 стр. 6 иллюстраций
ISBN:
9781632910035
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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