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KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

Als Oliver die Augen öffnete, sah er zwei bekannte Gesichter auf ihn hinabblickten.

„Ich glaube, er ist zu sich gekommen“, sagte der Mann.

„Du hast recht. Oliver? Kannst du uns hören?“, sagte die Frau liebevoll.

Oliver schoss in die Höhe und sah von einem zum anderen. Es waren der Mann und die Frau aus seiner Vision! Er war nicht mehr im Flugzeug, sondern irgendwo in der dunklen Schwerelosigkeit von Professor Amethysts sechster Dimension. Außer ihm und den beiden Fremden war niemand hier.

„Wo bin ich?“, fragte Oliver. „Und wo sind meine Freunde? Wo ist der Direktor?“

Seine Stimme klang stumpf, als würden sich die Schallwellen hier anders verbreiten als normal.

„Du bist zwischen Schlaf und Wachen“, sagte der Mann, „und gleichzeitig ist dein Körper noch bei deinen Freunden im Flugzeug.“ Oliver war erleichtert.

„Warum seid ihr hier?“, fragte er.

„Wir wollten dich beglückwünschen“, sagte die Frau. „Du hast die Menschheit gerettet.“

Oliver erinnerte sich an die Vision, in der ihm diese beiden gesagt hatten, dass es seine Aufgabe war, die Menschheit zu retten. Aus irgendeinem Grund schien diesen beiden Fremden sein Erfolg sehr nahe zu gehen. Doch er verstand nicht, warum. Sie hatten es ihm nie erklärt.

„Seid ihr vielleicht meine Schutzengel oder so etwas? Warum erscheint ihr immer wieder in meinen Träumen?“

Der Mann und die Frau sahen sich vielsagend an.

„Ich glaube, du weißt genau, wer wir sind“, sagte die Frau.

„Ich weiß es?“

Der Mann nickte. Etwas Liebevolles lag in seinem Blick. „Ja. Ja, du weißt es. Aber du musst es akzeptieren.“

Olivers Kehle war wie zugeschnürt. Seine Finger berührten sein blondes Haar. Die Haarfarbe stimmte genau mit der Haarfarbe der Frau überein. Und seine Augen hatten das gleiche Braun wie die des Mannes, ganz im Gegensatz zu den blauen Augen der Familie Blue, die sich nie wie seine richtige Familie angefühlt haben. Konnte es wirklich sein, dass die Blues nicht seine Eltern und Chris nicht sein Bruder war? Wäre es verrückt zu glauben, dass diese Leute seine Eltern waren?

„Seid ihr meine Eltern?“, flüsterte er und seine Stimme zitterte vor Hoffnung.

Tränen liefen über die Wange der Frau. Die beiden lächelten ihn gütig an und nahmen seine Hände.

„Ja, genau das sind wir“, sagte die Frau. „Wir sind deine Mama und dein Papa.“

Mama. Papa. In Gedanken wiederholte er die Worte immer wieder, als wäre es für ihn ein völlig neues Konzept.

„Aber ich verstehe das nicht. Ich habe doch schon Eltern. Wie kann das sein?“

Der Mann ließ traurig den Kopf hängen.

„Wir haben dich verloren“, sagte er leise. „Es ist nicht leicht zu erklären.“

In Olivers Kopf drehte sich plötzlich alles. Es war zu viel für ihn. Doch tief in seinem Inneren leuchtete ein Funke auf. Ein schwaches Bild begann sich zu formen. Natürlich war er kein richtiger Blue. Er sah ihnen kein bisschen ähnlich. Sie hatten keinerlei Gemeinsamkeiten und sie hatten ihn immer wie einen Außenseiter behandelt.

Jetzt begriff er endlich, warum.

Dieser Mann und diese Frau, die ihm schon so lange in seinen Visionen erschienen waren, waren seine wahren Eltern. Der Gedanke war seltsam, fühlte sich aber gut an.

Als er sie wieder ansah, verblassten sie langsam.

„Geht nicht weg!“, sagte er.

„Aber du musst jetzt aufwachen, Oliver“, sagte seine Mutter sanft.

„Wo geht ihr hin? Warum kann ich euch nur in meinen Träumen sehen?“

„Das können wir dir jetzt nicht erklären“, sagte sein Vater. „Aber wir werden uns bald wieder sehen. Versprochen.“

„Und dann werden wir für immer vereint sein“, fügte seine Mutter hinzu.

Die beiden waren jetzt nur noch Schatten.

„Nein! Lasst mich nicht alleine!“, rief Oliver

„Wir lassen dich niemals alleine“, sagte sein Vater. Oliver konnte ihn jetzt kaum mehr sehen. „Denk‘ immer daran – wir sind immer bei dir.“

Die Stimmen waren nur noch ein Flüstern im Wind, aber ganz zum Schluss glaubte Oliver, doch noch etwas zu hören.

Wir lieben dich!

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

Oliver wurde sanft wachgerüttelt. Seine Augenlider flatterten. Als er sie öffnete, blickte er direkt in Esthers smaragdgrüne Augen.

Er blieb einen Moment lang regungslos liegen und bewunderte ihre hübschen Gesichtszüge. Dann verblasste die Benommenheit in seinem Kopf langsam und er erinnerte sich wieder an alles. Er war immer noch im Flugzeug von Professor Amethyst. Schnell richtete er sich auf.

Anders als bei der Schlafkapsel war Oliver diesmal bewusst, dass einige Stunden vergangen sein mussten. Sein Körper war steif, sein Hals tat weh. Er sah sich um.

Die Motoren waren kaum lauter als ein sanftes Summen im Hintergrund.

„Wir sind gelandet“, sagte Esther lächelnd.

„Gelandet?“, krächzte er heiser. „Wo?“

„Zu Hause.“

„Zu Hause? Meinst du…?“

Esther nickte. „In der Schule.“

Überwältigt ließ Oliver sich in seinen Sitz zurück fallen. Er hatte nicht geglaubt, dass er je wieder an diesen Ort zurückkehren durfte. Er war sehr erleichtert und ganz benommen vor Glück.

Esther redete weiter mit ihrer melodischen Stimme und Oliver hörte aufmerksam zu.

„Du hast die ganze Reise über geschlafen“, sagte sie. „Professor Amethyst hat gesagt, dass du all deine Energie aufgebraucht hast, um die Bombe zu zerstören. Er konnte kaum glauben, dass du es ganz alleine geschafft hast, obwohl du kaum Zeit hattest zu üben. Aber ich habe an dich geglaubt! Ich wusste von Anfang an, dass du etwas ganz Besonderes bist, Oliver.“

Oliver wurde rot. Schüchtern blickte er zu Boden. „Was ist passiert… nachdem ich gegangen bin? Ich hoffe, du hast die Lücke in der Wand nicht zu lange offen gehalten. Wann sind die Stundenpläne wieder aktiv geworden?“

„Ich habe die Lücke gehalten, so lange ich konnte“, erklärte sie. „Aber als mein Stundenplan sich gerührt hat, wusste ich, dass ich etwas unternehmen musste. Edmund ist natürlich sofort zu Professor Amethyst gegangen und hat ihm gesagt, was wir getan haben. Ich glaube, er wollte, dass du von der Schule geworfen wirst, aber der Professor hat alle Schüler versammelt und mit uns beraten, was zu tun wäre.“

„Edmund hat mich aus Versehen gerettet?“, grinste Oliver. „Ironie.“

Esther lachte. „Kann man so sagen. Professor Amethyst wusste bereits, dass du in Deutschland bist. Zumindest hat er uns gesagt, dass es in den meisten Dimensionen so war. Also sind wir dorthin geflogen und … nun ja… den Rest der Geschichte kennst du ja.“

„Wie konntet ihr ihn überreden, dass er euch mitnimmt?“, fragte Oliver.

„Das mussten wir gar nicht“, entgegnete Esther. „Er hat uns ausgewählt. Er wusste, dass unsere Kräfte am besten geeignet waren, wegen der starken Verbindung, die wir zu dir haben.“

Als er an seine Freunde dachte, sah er sich in der leeren Kabine um.

„Wo sind die anderen? Ralph, Hazel, Simon und Walter?“ Erst jetzt bemerkte er, dass die Tür offen stand. Licht fiel herein.

„Sie sind schon vorgegangen, um den anderen Schülern alles zu erzählen. Bist du bereit, als Held gefeiert zu werden?“

„Ich… Was?“, fragte er erschrocken.

Esther lächelte breit und ihre hübschen, perlweißen Zähne kamen zum Vorschein. „Du bist ein Held, Oliver! Komm schon!“

Für Oliver ging alles viel zu schnell, aber als Esther seine Hand nahm, verflogen seine Zweifel. Für ihn zählte nur noch das Gefühl von Esthers warmer, weicher Haut.

Sie zog ihn aus der offenen Tür des Flugzeugs und Oliver taumelte orientierungslos hinter ihr her ins gleißend helle Licht. Sofort entbrannte tosender Applaus, der immer lauter zu werden schien.

Er trat mitten in ein großes Konzert von Jubel. Das künstlich erzeugte Sonnenlicht ließ ihn blinzeln.

Als sich seine Augen an das Licht gewöhnt hatten, konnte er sehen, dass er sich in einer der großen Versammlungshallen in der Schule für Seher befand. Jede erdenkliche Variante von Fahrzeugen stand hier bereit, von Fähren über Hubschrauber bis hin zu futuristischen Gefährten wie dem Flugobjekt von Professor Amethyst. Sie mussten durch eine Öffnung an der Decke der Halle eingeflogen sein.

Überall um ihn herum standen Schüler und Lehrer zwischen den Fahrzeugen. Alle jubelten ihm zu, klatschten, sprangen auf und ab und feierten seinen großen Erfolg.

Oliver platzte vor Stolz. Aber es war mehr als das. Er empfand auch Dankbarkeit und das tiefe Gefühl, zu Hause zu sein.

Vor ihm war eine Bühne, auf der Professor Amethyst mit Ralph, Hazel, Walter und Simon in einer Reihe stand und auf ihn wartete. Sie winkten Oliver zu. Esther zog sanft an seiner Hand und führte ihn zu ihnen.

Als Oliver sich zu seinen Freunden stellte, verstummte die Menge. Professor Amethyst begann zu sprechen und seine dröhnende Stimme schallte durch die Halle.

„Heute haben Oliver und seine Freunde eine bemerkenswerte Leistung vollbracht. Sie haben die Welt vor dem Untergang gerettet. Noch nie hat ein Seher aus unserer Schule solch einen Erfolg verzeichnet.“

Wieder jubelten und schrien alle vor Begeisterung. Doch Oliver bemerkte ein Gesicht, das finster und ernst dreinblickte. Edmund. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte Oliver wütend an.

„Die Gefahr, der unsere Schule durch den hinterhältigen Angriff eines abtrünnigen Sehers ausgesetzt war, ist gebannt!“, fuhr Professor Amethyst fort. „Auch wenn sich dieser Angriff nicht wiederholen kann, müssen wir uns dennoch auf weitere Herausforderungen gefasst machen. Aber heute wird gefeiert! Ein besonderes Festmahl erwartet euch im Speisesaal!“

Wieder brandete ein ohrenbetäubender Applaus auf. Erst nach einer ganzen Weile begann sich die Versammlung nach und nach aufzulösen. Alle freuten sich jetzt auf das Festmahl.

Olivers Freunde umringten ihn.

„Mein Freund! Es tut wirklich gut, dich wohlauf zu sehen!“, sagte Simon und klopfte ihm herzlich auf den Rücken.

„Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Oliver!“, rief Hazel.

„Das war echt einmalig! Wahnsinnig mutig bist du!“, fügte Walter begeistert hinzu.

„Und leichtsinnig!“, fügte Ralph mit erhobenem Zeigefinger hinzu. „Ich hatte fast einen Herzinfarkt, als ich aufgewacht bin und gehört habe, dass du dich aus dem Staub gemacht hast!“

„Das war wirklich verrückt“, stimmte Hazel zu. „Du hast Glück, dass Professor Amethyst dir geholfen hat.“

„Er hatte gar keine Wahl. Die Schule war in Gefahr. Er musste handeln“, widersprach Esther.

„Aber es ist ein kleines Wunder, dass sie dich wieder in die Schule aufgenommen haben“, entgegnete Ralph.

Sie redeten immer weiter auf ihn ein, aber Oliver konnte nicht mehr zuhören. Noch immer fühlte er sich schwach und desorientiert. Und da war noch etwas anderes, das ihn belastete.

Er drehte sich um und ging zu Professor Amethyst.

„Könnte ich Sie einen Augenblick sprechen?“, fragte er.

Professor Amethyst nickte. Olivers Freunde sahen enttäuscht zu ihm.

„Kommst du nicht mit uns zum Essen?“, fragte Hazel.

„Ich muss nur erst…“, begann Oliver. „Es gibt da etwas, das ich klären muss.“

„Oliver, gönn dir doch mal eine Pause!“, rief Walter. „Komm mit uns und stärke dich!“

„Ja, und ruh‘ dich aus“, sagte Ralph.

„Das würde dir bestimmt nicht schaden“, fügte Simon hinzu.

Doch Oliver schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid, aber ich muss mit Professor Amethyst reden.“

Sein Blick verweilte auf Esther. Er sah ihr an, dass sie traurig war. Es war, als ob sie etwas wusste, das Oliver selbst noch nicht verstand. Wusste sie etwa, was er mit dem Direktor besprechen wollte?

Professor Amethyst schob Oliver an durch die Tür. Sie gingen hinaus in das Atrium und fuhren direkt in die oberste Etage der Schule. Dort überquerten sie die Schwelle zur sechsten Dimension und begann zu schweben. Um sie herum schwebten die bunt leuchtenden Quallen. Es war wunderschön. Oliver entspannte sich etwas.

„Was bedrückt dich, Oliver?“, fragte Professor Amethyst.

„Lucas“, sagte er leise. „Ich… ich glaube, es ist meine Schuld, dass er die Schule so sehr hasst.“

„Warum denkst du das?“

„Lucas ist ein Seher“, erklärte Oliver, „ein Kobalt-Seher, aber Armando hat das nicht erkannt. Deswegen wurde er auch nie hierher an die Schule geschickt und ich glaube, deswegen hat er sich dem Bösen zugewandt. Vielleicht war es ein Fehler in die Vergangenheit zu reisen und Armando meine Kräfte vorzuführen. So hat er nie erkannt, dass vielleicht Lucas der Seher war, den er in die richtige Richtung weisen sollte. Ich habe jedenfalls das Gefühl, dass es meine Schuld ist.

Der Direktor schüttelte den Kopf. „Ich glaube, du solltest wissen, dass Lucas von der Schule verwiesen wurde.

„Was?“

Professor Amethyst nickte. „Es war mein Fehler, Oliver. Ich habe nicht erkannt, dass Lucas ein Seher ist. Aber du musst auch verstehen, dass wir für die Entscheidungen anderer Menschen nicht verantwortlich sind. Lucas hat sich selbst entschieden, zur dunklen Seite zu wechseln.“

„Wirklich?“, hakte Oliver nach. „Er war genauso alt wie ich. Die Fabrik war sein Zuhause. Armando war sein Vorbild – dann kam ich und habe alles kaputt gemacht.“

Er spürte die Hand des Direktors auf seiner Schulter.

„Lucas hatte ein schweres Leben, das kann man nicht bestreiten. Aber das hattest du auch, Oliver. Trotzdem bist du an den Umständen nicht verzweifelt. Lucas hat sich seinen Lebensweg selbst ausgesucht. Dass du seinen Weg gekreuzt hast, hat nichts daran geändert.“

Oliver hätte dem Direktor gerne geglaubt, aber er fühlte sich immer noch schuldig und glaubte, dass er eine Kettenreaktion ausgelöst hatte. Es belastete ihn sehr.

„Er wird sich irgendwann rächen“, sagte Oliver laut. „Vielleicht wird es nicht ganz so furchtbar, wie er es geplant hatte, aber er wird Armando töten.“

„Ein Seher kann nicht alles und jeden retten“, sagte Professor Amethyst. „Es ist eine harte Lektion und du bist nicht der erste Seher, der in diesem Dilemma steckt. Auch ich habe immer wieder mit dem Schicksal gehadert. Es gibt einfach ein paar Dinge, die ein Seher nicht kontrollieren kann. Hitler, zum Beispiel. Du hast die Verschwörung eines Sehers sabotiert, der zusammen mit einem der bösesten Männer der Geschichte die Welt zerstören wollte. Aber das, was über Hitler in unseren Geschichtsbüchern steht, kannst auch du nicht ändern. Gegen manche Dinge sind wir machtlos. Auch wenn du dein Leben dem Kampf gegen die feindlichen Seher widmest, musst du diese Sache hinter dich bringen. Wir können die Weltgeschichte nicht perfekt machen.“

„Hitler wollte mich töten“, sagte Oliver. „Aber kann man überhaupt sterben, wenn es gegen das Schicksal geht?“

„Auch wenn das Schicksal vorgesehen hat, dass du lebst, kannst du trotzdem sterben“, sagte Professor Amethyst vorsichtig. „Nichts ist festgelegt. Aber das Universum wird immer versuchen, einen Weg zu finden. Wenn man stirbt, obwohl man zu Größerem bestimmt ist, dann kann es sich einschalten und beispielsweise weitere Seher zur Unterstützung schicken. Manche Dinge können nicht in jeder Dimensionen passieren, besonders die bösen Taten von abtrünnigen Sehern.“

„Aber Lucas ist ein abtrünniger Seher“, wandte Oliver ein, „heißt das, seine Taten können rückgängig gemacht werden?“

Wenn Armando von Lucas, einem abtrünnigen Seher, getötet wurde, bedeutete das vielleicht, dass es eine Chance gab, die Geschichte noch einmal zu ändern. Wollte das Universum, dass Oliver einen besseren Weg fand?

Der Professor hielt inne. Ein Lächeln zuckte an seinem Mundwinkel. Oliver hatte den starken Eindruck, dass er ihn zu einem bestimmten Entschluss führte. Oliver war aufgeregt.

„Ich habe recht, oder?“, bohrte er nach. „Weil Lucas ein abtrünniger Seher ist, ist keine seiner Handlungen in den Zeitebenen festgelegt – auch nicht der Mord an Armando.“

Professor Amethyst lächelte jetzt etwas breiter.

„Armando sollte nicht sterben!“, rief Oliver. „Genau wie Hitlers Bombe nicht explodieren sollte.“ Er starrte den Direktor mit großen Augen an. „Sie wussten es die ganze Zeit!“

Der Professor nickte. „Alles hat einen Grund und einen Zweck. Nichts ist festgelegt. Ein Seher muss seinen eigenen Weg finden, und du hast deinen eigenen Weg gefunden. Armando Illstrom ist nicht dein Mentor, weil du so gut zu ihm passt, sondern weil er wichtig ist. Eure beiden Schicksale sind miteinander verwoben. Jeder von euch braucht die Hilfe des anderen und das Universum braucht euch beide.“

Oliver war von dieser Offenbarung völlig überwältigt. Sein Kopf schwirrte. Er dachte, dass für Armando jede Hoffnung verloren war, aber jetzt hatte er erfahren, dass das nicht stimmte. Vielleicht würde er ihn doch noch retten können!

„Armandos Schicksal gehört zu meinem Schicksal“, sagte Oliver laut.

„Und jeder Moment ist für ihn gefährlich“, sagte der Professor. „Bei unserem ersten Treffen habe ich dir gesagt, dass ich dir nur ein paar Tage mit ihm möglich machen konnte. Das liegt an Lucas‘ Machenschaften. Es wird nicht leicht sein – womöglich ist es sogar unmöglich, das zu ändern. Mit jedem Moment sind sie fester in die Zeit eingebrannt.“

„Ich muss Armando helfen.“

Jetzt begriff er, was hinter Esthers traurigem Blick steckte. Sie hatte bereits herausgefunden, dass Armando gerettet werden konnte und dass Oliver derjenige war, der es tun musste. Sie hatte gewusst, dass er sie und die Schule wieder verlassen würde. Und das bedeutete, dass er möglicherweise nie wieder zurückkam.

„Armando braucht mich. Ich werde sofort gehen.“

Der Professor schwieg. Aber Oliver verstand den Blick in seinen Augen. Es war sein Schicksal. Die Zeit war eine Aneinanderreihung von Augenblicken, die ihn hierher geführt hatten.

Das Schicksal hatte ihn wieder zurück in die Schule für Seher gebracht, aber vielleicht hatte er das nächste Mal nicht so viel Glück. Es gab keine Garantie, dass es in Zukunft wieder so sein würde. Jetzt zu gehen, konnte das Ende seiner Zeit an der Schule bedeuten.

Professor Amethyst blieb stoisch. „Verstehst du auch wirklich, was das für dich bedeutet? Verstehst du alle Konsequenzen?“

Oliver nickte langsam. „Es bedeutet, dass ich womöglich nicht mehr zurückkehren kann.“

„Und du bist bereit, dieses Risiko einzugehen?“, fragte der Professor nachdrücklich. „Du willst wirklich, alles, was du hier hast, für deinen Mentor aufgeben?“

Oliver wurde schwer ums Herz. „Ich muss es tun. Armando muss leben. Ich weiß selbst nicht, warum, aber vielleicht hat es etwas mit seinen Erfindungen zu tun. Er hat wunderbare Dinge für die Menschheit geleistet.“

„Dann musst du deiner Eingebung folgen. Ich möchte dir das hier geben“, sagte der Professor.

Er zog etwas aus seiner Tasche und gab es Oliver. Es war ein Amulett. Darauf war ein Ring mit drei Augen zu sehen. Das Symbol der Schule.

„Trage es immer bei dir. Wenn eine Zeitebene mit dem Moment verschmilzt, den du gerade erlebst, wird es leuchten und dir ein Tor zurück in die Schule öffnen.“

Oliver drückte es dankbar an sich. Vielleicht würde er doch eines Tages zurückkommen.

„Jetzt geh zu den anderen“, sagte Professor Amethyst. „Deine Freunde haben es verdient, dass du ihnen von deinem Vorhaben erzählst. Danach werde ich dich zum Ausgang bringen – zu einem richtigen Ausgang.“ Grinsend sah er ihm in die Augen. „Diesmal braucht Miss Valentini nicht mein Schild beschädigen.“

Oliver nickte. Er verließ die sechste Dimension und ging zum Aufzug. Auf dem Weg nach unten kämpfte er gegen die Tränen. Wie sollte er seinen Freunden ins Gesicht sehen und ihnen sagen, dass er sie vielleicht nie wieder sehen würde? Dass er sich für immer von ihnen verabschiedete?

Als er den Speisesaal erreichte, öffnete sich die Tür, noch bevor er sie berührte. Seine Freunde kamen heraus.

„Oliver!“, rief Ralph überrascht. „Wir wollten gerade nach dir sehen.“

Oliver senkte den Blick. Wie Esther hatten wohl auch die anderen gespürt, dass etwas nicht stimmte.

Traurig sah er von Gesicht zu Gesicht. Alleine der Gedanke, sich von ihnen verabschieden zu müssen, war so schmerzhaft, dass Oliver fast bereit war, seine Meinung zu ändern. Aber das Gefühl, dass er gehen musste, war zu stark. Die Fabrik zog ihn magnetisch an.

„Ich muss gehen“, sagte er, um es kurz und schmerzlos zu machen.

Sie waren nicht überrascht und niemand versuchte, es ihm auszureden. Es kam Oliver fast vor, als wären sie alle stillschweigend zum gleichen Schluss gekommen. Aber gleichzeitig war das Gefühl des Verlustes fast unerträglich.

„Wir können dich von deinem Entschluss nicht abbringen, oder?“, sagte Simon leise.

Oliver schüttelte den Kopf.

„Auch wenn es eine große Dummheit wäre, alleine zu gehen?“, fragte Hazel. Sie klang dabei nicht herablassend, sondern wehmütig. In ihren Augen glitzerten Tränen.

Oliver lachte traurig und schüttelte den Kopf.

„Oder wenn ich dir sagen würde, dass es gegen die Regeln verstößt?“, fügte Ralph hinzu.

Wieder schüttelte Oliver den Kopf.

„Bleibst du noch für eine letzte Runde Switchit?“, fragte Walter.

„Ich kann leider nicht“, entgegnete Oliver, der immer trauriger wurde.

Jetzt trat Esther auf ihn zu. „Du hast mir ein zweites Date versprochen“, sagte sie leise.

„Ich weiß“, sagte Oliver. „Es tut mir leid. Aber ich hoffe, dass ich eines Tages zurückkehren kann, dann werden wir es nachholen.“

Ralph legte seine Hand auf Olivers Schulter.

„Ich wünsche dir viel Glück“, sagte er. Oliver sah, dass auch er mit den Tränen kämpfte.

Oliver nahm in die Arme, dann schlangen auf einmal alle ihre Arme um ihn, hielten ihn fest und überschütteten ihn mit Liebe und Freundschaft. Er wollte diesen Moment für immer festhalten. Sein ganzes Leben lang hatte er sich nach solchen Freunden gesehnt. Aber jetzt hatte er eine wichtigere Aufgabe zu erfüllen. Seine Pflicht als Seher verlangte es. Armando musste leben.

Er löste sich aus der Umarmung. Es war zu schmerzhaft, sie ein letztes Mal anzusehen.

Schnell drehte er sich um und eilte davon.

Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 октября 2019
Объем:
321 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9781640296862
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
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