Читать книгу: «Die Zauberfabrik », страница 15

Шрифт:

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

Oliver fuhr erschrocken aus dem Schlaf. Der Traum war immer noch in seinem Kopf. War es wirklich nur ein Traum? Oder war es vielleicht eine Vorahnung? Olivers Träume hatten ihm schon einmal die Richtung gewiesen. War es bei diesem Traum ähnlich?

Verzweifelt versuchte er zu verstehen, warum er träumte, dass Lucas mit einer Armee die Schule angriff. Warum wollte er sie zerstören? Woher wusste er überhaupt davon? Er war weder ein Mentor wie Armando noch ein Seher.

Sofort dachte Oliver an das Gespräch mit Professor Amethyst in der sechsten Dimension. Der Direktor hatte ihm von abtrünnigen Sehern erzählt, die den bösartigsten Menschen der Geschichte halfen. War Lucas eine solche Person? Nicht nur gemein, sondern.... böse? Hatte Oliver deshalb gesehen, wie er eine ganze Armee anführte?

Was auch der Grund war, Oliver wusste, dass er handeln musste. Und zwar schnell. Die Dinge, die ihm im Schlaf erschienen, waren mehr als nur Träume. Es waren Visionen. Armandos Tod, der bunt schimmernde Fangschreckenkrebs. Das Universum leitete ihn.

Plötzlich hörte Oliver eine Stimme in seinem Kopf. Es war Mrs. Belfry, die ihm sagte, er solle immer seinen Träumen folgen. Oliver fragte sich jetzt, ob sie es wörtlich gemeint hatte – ob sie über ihn Bescheid wusste.

In diesem Moment drangen ihre Worte jedenfalls in sein Bewusstsein wie ein lautes Rufen, als wären sie ein weiteres Zeichen aus dem Universum, das ihn auf seiner Reise führte.

Es durfte keine Zeit verlieren. Oliver musste Lucas aufhalten und die Schule beschützen. Dafür musste er in die Fabrik zurückkehren.

Als er spürte, wie sich seine Kapsel unter ihm bewegte, riss er die Elektroden von seinem Körper, damit er noch schneller aussteigen konnte.

Schließlich hielt die Kapsel auf dem Boden an, der Deckel öffnete sich zischend und Ichiros lächelndes Gesicht erschien über ihm.

„Hallo, Oliver“, begann er.

Doch Oliver war bereits auf den Füßen.

„Entschuldige, Ichiro, ich muss dringend weg“, sagte er und rannte zur Tür. Eilig zog er seinen frisch gewaschenen Overall an und rannte wieder los.

Dabei stieß er mit Hazel zusammen.

„Uff! Oliver! Du hast es aber eilig! Was ist denn los?“, fragte sie und machte einen Schritt zur Seite.

Oliver wich ihrem Blick aus und sah stattdessen nervös zur Tür. „Ich… es ist nichts… ich muss nur… etwas erledigen.“

Damit wollte er an ihr vorbei gehen, doch Hazel stellte sich ihm wieder in den Weg. Besorgt sah sie ihn mit ihren großen, grauen Augen an.

„Was ist los, Oliver? Ich sehe dir doch an, dass etwas nicht stimmt!“, hakte sie noch einmal nach.

In diesem Moment kam Ralph aus der Umkleide.

„Was ist denn los?“, fragte auch er, als er Hazel und Oliver sah.

Oliver versuchte, seine Gedanken zu sortieren.

„Ich muss ihn aufhalten!“, sagte er aufgeregt.

Ralph und Hazel sahen sich verwirrt an.

„Wen musst du aufhalten?“, fragte Ralph.

Olivers Gedanken überschlugen sich fast. Er ging ein paar Schritte, doch schon standen Walter, Simon und Esther vor ihm.

„Alles okay bei euch?“, fragte Walter grinsend.

„Nun, gibt es etwa Streitereien?“, fragte Simon in seiner altmodischen Ausdrucksweise.

„Irgendetwas stimmt nicht mit Oliver. Ich glaube er hatte einen Alptraum oder so etwas“, sagte Hazel.

„Es war kein Alptraum, sondern eine Vision…eine Vorsehung… nennt es, wie ihr wollt! Das war nicht das erste Mal. Ich weiß, wer hinter dem Angriff auf die Schule steckt!“

Esther riss die Augen weit auf. Sie legte ihre Hand an Olivers Ellbogen und führte ihn aus dem Raum, zu den Bänken unter dem Kapokbaum.

Schnell versammelten sich die Freunde um die beiden.

„Wer war es, Oliver? Wer hat die Schule angegriffen?“, fragte Esther leise.

„Lucas. Es war Lucas“, flüsterte Oliver aufgeregt. „Der Mann, der meinen Mentor umgebracht hat. Er steckte hinter dem Angriff gestern und er plant noch einen Größeren! Diesmal wird er mit einer ganzen Armee kommen! Er hat eine Bombe! Ich muss zurück zu Armandos Fabrik! Ich muss ihn aufhalten!“

„Woher weißt du das alles?“, fragte Hazel, die ihn skeptisch ansah.

„Ich habe es in meinem Traum gesehen!“, rief Oliver. Er hatte keine Zeit für dieses Gespräch. Er musste sich auf den Weg machen. Jetzt sofort!

Er wollte aufstehen, aber sie hielten ihn an der Schulter fest, entschlossen ihn aufzuhalten. Hazel sah nicht überzeugt aus und auch die anderen warfen sich unsichere Blicke zu.

„Wir lassen dich nicht einfach gehen. Dafür könntest du von der Schule suspendiert werden! Nur wegen eines Traumes!“, sagte Ralph ernst und hielt Oliver weiter fest. Verzweifelt schnaubte Oliver.

„Es war nicht nur ein Traum, es war eine Vorsehung. Das hatte ich schon ein paarmal“, erklärte er.

Esther setzte sich neben ihn. Sie legte ihre Hand sanft auf Olivers Arm. Es beruhigte ihn ein wenig.

„Erklär‘ uns doch alles von Anfang an“, bat sie ihn.

Etwas in Oliver begann sich zu entspannen. „Ich habe geträumt, dass Armando stirbt und genau das ist geschehen. Jetzt weiß ich, dass der Mann, der ihn getötet hat, die Schule zerstören will.“

In seinem Kopf herrschte ein solches Durcheinander, dass es für ihn eine große Herausforderung war, seine Gedanken so zu formulieren, dass seine Freunde ihm folgen konnten.

„Und das glaubst du, weil du es geträumt hast?“, fragte Hazel, die mit verschränkten Armen vor ihm stand und auf ihn herabblickte.

„Ja“, sagte Oliver angespannt.

„Verrückt“, kommentierte Walter.

„Vollkommen aberwitzig“, fügte Simon hinzu.

„Du kannst nicht einfach die Schule verlassen“, betonte Ralph noch einmal.

Oliver wurde immer verzweifelter. Warum glaubten sie ihm nicht?

Esther hob besänftigend die Hände. „Ralph hat recht“, sagte sie diplomatisch. „Selbst wenn du einen guten Grund hast, würde dein Stundenplan dich nicht einfach durch die Zeit reisen lassen.“

Oliver zog seinen Stundenplan aus der Tasche und wirbelte damit in der Luft herum. „Kein Unterricht! Professor Amethyst hat alles ausgesetzt. Das ist noch ein Zeichen, dass ich gehen muss!“

Sie sahen immer noch nicht überzeugt aus.

„Aber ich muss mich beeilen!“, sagte Oliver nachdrücklich.

„Wir brauchen dich hier“, widersprach Esther. Ihre Stimme klang flehend. „Wir müssen die Schule beschützen.“

Olivers Herz zerbrach bei dem Gedanken, dass Esther sich ohne ihn fürchten würde.

„Aber verstehst du denn nicht? Ich kann die Schule nur beschützen, indem ich gehe.“

„Und wenn es noch einen Angriff von innen gibt?“, fragte sie.

„Dann wirst du kämpfen. Ich habe doch gesehen, wie stark du bist!“

Ralph hatte genug. Er stellte sich vor Oliver und sah gebieterisch auf ihn herab.

„Du wirst nicht gehen und basta! Keine Chance! Professor Amethyst würde das nie zulassen!“

„Professor Amethyst weiß nichts davon.“

„Wenn er herausfindet, dass du deiner eigenen Agenda folgst, wird er dich von der Schule werfen!“

Olivers Augen wurden schmal. Er war nicht dumm. Er wusste, dass es nicht erlaubt war, die Schule zu verlassen. Er würde nicht aus Lust und Laune gehen. Oliver wusste, dass für ihn ein großes persönliches Opfer auf dem Spiel stand. Er konnte für immer ausgeschlossen werden. Aber es war ein Risiko, das er eingehen musste.

„Dann sollten wir alle unser Bestes tun, dass er es nicht herausfindet“, sagte Oliver ernst.

Ralph war schockiert.

„Und wie willst du diesen Lucas aufhalten?“, fragte Esther. „Du wirst da draußen vollkommen auf dich alleine gestellt sein. Außer deinem Instinkt hast du nichts, was dir sagen kann, ob du auf dem richtigen Weg bist. Du wirst sozusagen blind sein!“

„Ich weiß nicht, wie ich es euch erklären soll, aber das Universum wird mich führen. Ich kann ihm nicht nicht folgen.“

Oliver blickte von einem skeptischen Gesicht zum nächsten. Er war frustriert. Sie glaubten ihm nicht. Sie vertrauten ihm nicht. Und helfen würden sie ihm erst recht nicht. Er musste Lucas wirklich alleine aufhalten.

Plötzlich hörten sie Schritte. Als sie sich umdrehten, sahen sie jemanden weglaufen. Es war ohne jeden Zweifel Edmund.

„Oh nein!“, rief Oliver und sprang auf. „Edmund hat uns belauscht! Ich wette, er wird es Professor Amethyst erzählen! Wie soll ich es jetzt unbemerkt zur Fabrik schaffen? Er wird mich keine Sekunde aus den Augen lassen!“

Oliver war klar, dass es jetzt noch viel schwieriger war, sich heimlich davonzustehlen. Er konnte nicht auf seine Freunde bauen und zu allem Übel wusste sein Feind, was er vorhatte. Er musste sich alleine einen Fluchtplan ausdenken. Nur so konnte er Lucas noch stoppen. Oliver wurde immer unruhiger. Es war schon schwer genug, Lucas aufzuhalten, ohne diese zusätzlichen Hürden.

„Vielleicht ist das ja ein Zeichen des Universums, dass du nicht gehen sollst“, sagte Esther leise.

Oliver sah in ihre grünen Augen. Er wollte sie nicht anlügen, aber er hatte seinen Entschluss gefasst. Er würde die Schule verlassen und er würde es ohne die Hilfe seiner Freunde tun. Jetzt brauchte er nur noch einen bombensicheren Plan. Er hatte nur eine Chance.

„Vielleicht hast du recht“, seufzte er. „Es tut mir leid, Leute, ich habe die Nerven verloren.“

Sie sahen sich erleichtert an.

„Dann wirst du dich nicht davonschleichen?“, fragte Hazel zur Sicherheit.

Oliver schüttelte den Kopf.

„Sehr gut“, sagte Ralph zufrieden. „Dann lass uns jetzt frühstücken gehen und die ganze Angelegenheit vergessen.“

Oliver ging hinter den anderen her zum Speisesaal.

So weit, so gut…

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

Oliver verhielt sich den ganzen Tag über unauffällig und plante schweigend seine Flucht. Seinen Freunden gegenüber tat er so, als hätte er den dummen Traum fast vergessen. Er wusste, dass er nur gehen konnte, so lange die Stundenpläne deaktiviert waren, und er entschied, dass er die beste Chance hatte, wenn alle in ihren Schlafkapseln lagen. Er musste sie nur überzeugen, dass auch er ins Bett gehen würde, dann konnte er sich davonschleichen.

Als der Tag zu Ende ging, ging Oliver mit seinen Freunden zum Schlafsaal. Der Buchstabe an der Tür leuchtete weiß und sie gingen in den Umkleideraum.

Als sie zu den Schließfächern gingen, um ihre Schlafanzüge abzuholen, behielt Oliver seinen Overall bei sich. Es war für ihn undenkbar, die Welt in einem seltsamen weißen Schlafanzug zu retten.

Schnell zog er sich um und stopfte seinen Overall in die Vorderseite seines Schlafanzuges. Dann eilte er zu den Schließfächern und tat so, als würde er seine Kleider in einem Fach deponieren. Gerade als er die Schranktür schloss, tauchte Esther – ebenfalls im Schlafanzug – vor ihm auf. Oliver drehte sich abrupt um und versuchte, alle Anzeichen von schlechtem Gewissen von seinem Gesicht zu wischen. Esther schien nicht zu bemerken, dass etwas nicht stimmte. Sie legte ihre Kleidung in eines der Fächer.

Auch der Rest von Olivers Freunden versammelte sich im Umkleideraum, dann ging es durch die Schleuse zu den Schlafkapseln. Oliver hatte den Schlafsaal noch nie so voll gesehen. Alle Schüler mussten an diesem Tag gleichzeitig schlafen gehen, wie Professor Amethystes angeordnet hatte. Ichiro war nicht da, um sie ihren Kapseln zuzuweisen. Das kam Oliver gerade recht. Ohne ihn würde es einfacher sein, sich wegzuschleichen.

Olivers Freunde stiegen nacheinander in ihre Schlafkapseln und verschwanden in der Dunkelheit. Bei jedem einzelnen spürte Oliver einen Stich, weil er wusste, dass es vielleicht das letzte Mal war, dass er sie sah. Er wünschte, er könnte ihnen sagen, wie viel sie ihm bedeuteten, aber dann hätten sie sofort geahnt, was er im Schilde führte.

Er hielt sich ganz hinten im Raum auf und hoffte, dass er als Letzter wacher Schüler einfach nicht in die Kapsel steigen konnte. Aber Esther blieb hinter ihm.

„Nach dir“, sagte er, als die nächste Schlafkapsel bereit stand. Er spürte einen Kloß im Hals, als er daran dachte, dass er ihr womöglich zum letzten Mal gegenüber stand.

„Nein, du zuerst“, erwiderte Esther.

Es gab keinen Ausweg. Oliver warf einen letzten Blick auf Esthers schönes Gesicht, damit er sich immer daran erinnern konnte. Dann schluckte er den Klumpen in seinem Hals hinunter und wandte sich von ihr ab. Er kletterte in die Schlafkapsel, zog den Deckel zu und starrte das milchige Glas an. Dabei bemühte er sich, nicht an seinen Verlust zu denken, sondern sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren.

Die Kapsel begann sich an ihren Platz zu bewegen. Oliver hoffte, dass sie nicht zu weit weg fliegen würde. Er wollte nicht riskieren, seine Knochen schon bei der ersten Hürde zu brechen.

Sobald sie zum Stillstand kam, öffnete er den Deckel. Frustriert stellte er fest, dass seine Kapsel tatsächlich viele, viele Meter über dem Boden schwebte, fast unter der Decke des Schlafsaals.

Er schob den Deckel ganz auf und zog wieder seinen Overall an. Dann stand er auf und spürte, wie die Kapsel unter ihm hin und her schwankte.

Die Kapseln waren mit einem dicken Kabel verbunden. Oliver klammerte sich daran fest. Er blinzelte in die Dunkelheit und versuchte, sich einen Weg bis zum Boden zu suchen. Er hatte einen langen Weg vor sich. Über mindestens zwanzig Kapseln musste er bei seinem Abstieg klettern.

Oliver griff nach dem Kabel und zog sich zur nächsten Kapsel. Dabei spürte er, wie sie wackelte, als er sein Gewicht von einer auf die nächste verlagerte. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals, aber schnell stabilisierte sich die Kapsel.

Oliver arbeitete sich weiter voran. Diesmal war es ein größerer Sprung nach unten als bei der ersten. Er lehnte sich nach vorne und griff nach dem Kabel auf der anderen Seite, doch seine Finger bekamen es nicht ganz zu fassen. Er streckte sich so weit er konnte und stellte sich dabei auf die Zehenspitzen, um noch einen Zentimeter näher heran zu kommen. Es war sinnlos. Er kam einfach nicht an das Kabel heran.

Als Oliver sich nach einer Alternative umsah, verlor er plötzlich den Halt. Er rutschte aus und fiel mit dem Bauch auf den Deckel der Kapsel. Dann glitt er langsam über die Oberfläche.

Oliver tastete panisch nach dem Kabel. Er bekam es zu fassen, rutschte aber trotzdem weiter. Das Kabel glitt heiß durch seine wunden Hände. Er biss die Zähne zusammen.

Plötzlich rutschte er nicht mehr, aber dafür baumelte er jetzt über den Rand der schwankenden Kapsel. Einen Moment lang klammerte er sich noch an das Kabel, doch dann verlor er den Halt und stürzte in die Tiefe.

Es blieb keine Zeit zum Nachdenken. Oliver beschwor seine Kräfte und dachte daran, wie er seinen Körper in der Sporthalle verändert hatte. Könnte er das noch einmal tun?

Während er stürzte, stellte er sich vor, wie sein Körper zu Gummi wurde, ohne Knochen und Gelenke. Er kam dem Boden immer näher. Wenn er es nicht schaffen würde, wäre das sein sicheres Ende.

Oliver schlug auf den Boden auf und fühlte, wie seine Beine die Wucht aufnahmen wie Sprungfedern. Sie beugten sich nach unten durch und warfen ihn dann wieder in die Höhe.

Es hatte funktioniert!

Oliver landete ein zweites Mal, diesmal ohne den Rückstoß. Er hielt einen Moment inne, um Luft zu holen. Erleichtert und überrascht stellte er fest, dass er unversetzt war. Dann eilte er durch die Dunkelheit zur Tür.

Aber gerade als er sie erreichte, tauchte eine Gestalt vor ihm auf und stellte sich in den Weg. Oliver taumelte rückwärts und erkannte entsetzt, dass es Edmund war.

„Was machst du hier?“, fragte Oliver erschrocken und wich noch einen Schritt zurück.

Dabei wusste er, dass er Edmund nicht entkommen konnte. Dieser packte Oliver und warf ihn zu Boden. Sie begannen zu kämpfen und Oliver schaffte es, sich auf Edmund zu rollen. Aber jedes Mal wenn er aufstehen wollte, trat Edmund ihm die Beine weg und Oliver stürzte wieder. Nach einigem Gerangel hatte Edmund die Oberhand gewonnen. Oliver sah sein vor Wut verzerrtes Gesicht über sich, das von einer Kulisse aus weißen Schlafkapseln und Dunkelheit umgeben war.

„Was ist eigentlich dein Problem mit mir?“, zischte Oliver, während er versuchte, sich zu verteidigen.

„Ich wusste gleich, dass du dich über die Regeln hinwegsetzen würdest“, knurrte Edmund. „Deswegen bin ich aufgeblieben und habe dich beobachtet!“

Er schlug hart gegen Olivers Schulter und drückte ihn auf den Boden. Oliver versuchte, sich loszureißen, aber er hatte keine Chance.

„Warum? Warum willst du mich unbedingt aufhalten?“, fragte Oliver.

Er spürte, wie sich seine Kräfte regten.

Er wollte sie unterdrücken, aber nicht sein Verstand schien sie zu steuern, sondern sein Instinkt.

Edmund ignorierte Olivers Frage. Er drückte seine Schultern noch fester zu Boden.

Oliver schrie vor Schmerz.

Plötzlich kam ihm ein furchtbarer Gedanke. „Du bist der Verräter!“, rief er.

Edmund lachte. „Und du bist noch dümmer als ich dachte. Ich bin kein Verräter! Ich liebe diese Schule! Nur dich hasse ich.“

„Aber warum? Ich habe dir nichts getan!“

Sie kämpften weiter. Edmund war Oliver zwar körperlich überlegen, aber Olivers Kräfte als Seher waren stärker. Vielleicht sogar zu stark. Oliver kämpfte gegen sie an. Er wollte Edmund nicht noch einmal verletzen.

„Ist das nicht offensichtlich“, zischte Edmund.

Plötzlich fiel Olivers Blick auf eine Bewegung zwischen den Kapseln. Noch jemand hangelte sich auf den Boden herab. Ihre Bewegungen waren tänzerisch, fast mühelos. Oliver erkannte sofort, dass es Esther war.

Als er sie sah, wurde es ihm klar. Edmund mochte Esther auch. Diese ganze Rivalität zwischen ihnen war nur wegen Esther entstanden.

Oliver sah, wie Esther sich an der letzten Kapsel herabließ und auf den Boden hüpfte. Dann huschte sie zu ihnen herüber.

„Lass ihn los, Edmund!“, rief sie und das Echo ihrer Stimme hallte durch den ganzen Saal.

Erschrocken blickte Edmund über die Schulter.

Mehr als diese halbe Sekunde brauchte Oliver nicht. Er schob ihn mit den Armen von sich und hob gleichzeitig seine Knie bis zur Brust. Dann trat er zu wie ein Känguru. Ohne seine Kräfte einsetzen zu müssen, schaffte Oliver es, Edmund von sich zu stoßen. Der flog rückwärts und krachte zu Boden. Schnell sprang Oliver auf die Beine.

„Ich werde Professor Amethyst sagen, was du vorhast!“, rief Edmund beleidigt.

Dann wollte er Oliver erneut angreifen, aber gleichzeitig baute Esther einen ihrer Schilde auf. Edmund knallte gegen die Barriere, seine Stimme war wie abgeschnitten. Auf der anderen Seite tobte er weiter, aber Oliver konnte seine Worte nicht mehr hören. Wütend schlug Edmund gegen die unsichtbare Barriere.

Oliver sah zu Esther hinüber. Sie konzentrierte sich auf den Schild.

„Woher wusstest du, dass ich wach bin?“, fragte er sie unschuldig.

„Du bist leicht zu durchschauen“, sagte Esther. „Und du hast deinen Overall nicht ins Fach gelegt.“

So viel dazu, dachte Oliver.

„Und warum hilfst du mir?“, fragte er dann. „Ich dachte, du willst nicht, dass ich gehe.“

„Ich vertraue dir, Oliver“, antwortete Esther ruhig. „Ich habe gesehen, wie du bei Switchit deine Hände in Stahl verwandelt hast. So etwas können nur die Besten. Du musst sehr starke Kräfte haben. Deswegen vertraue ich darauf, dass du weißt, worauf du dich einlässt.“

Ihre Worte bedeuteten ihm sehr viel.

„Danke“, flüsterte er. Dann blickte er zu Edmund. „Was machen wir mit ihm?“

Esther lächelte. „Ich glaube, ich weiß schon was.“

Sie senkte den Schild und sofort stürmte Edmund auf Oliver zu.

„Runter!“, rief Esther.

Oliver machte einen Schritt zur Seite und Edmund stolperte. Esther wirbelte herum und erzeugte damit eine Welle, die Edmund in Richtung der Schlafkapseln über den Boden rutschen ließ.

Eine Kapsel stand geöffnet bereit. Oliver begriff sofort, was Esther versuchte. Er rannte zu Edmund und gerade als er ihn erreichte, schob Esther ihn mit einer weiteren Welle in die Kapsel. Noch ehe Edmund sich aufraffen konnte, schubste Oliver ihn auf das Kissen, hielt ihn mit einem Arm in Position und beeilte sich, mit der anderen die Kabel an sein Herz und seine Schläfen anzuschließen.

„Lass mich los!“, kreischte Edmund wütend, aber Oliver drückte ihn fest in sein Bett.

Schon erschien Esther an Olivers Seite. Sie drückte auf den weißen Schalter.

„NEIN!“, schrie Edmund. Zu spät hatte er begriffen, was vor sich ging.

Keine Sekunde später war Edmund tief und fest eingeschlafen.

Esther knallte den Deckel zu und drückte auf den Knopf, der die Schlafkapsel in die Dunkelheit schickte.

„Süße Träume, Edmund“, kicherte sie.

Oliver sah sie mit offenem Mund an. „Das war klasse!“, jubelte er.

Esther lächelte, aber Oliver sah ihr an, dass sie bedrückt war. Jetzt war es an der Zeit, sich zu verabschieden.

„Esther… ich…“, begann er mit zittriger Stimme.

Doch sie schüttelte nur den Kopf. „Spar dir das für später“, sagte sie streng. „Jetzt müssen wir dich erstmal aus der Schule schaffen.“

Oliver sah sie verblüfft an. „Heißt das, du willst mir helfen einen Weg nach draußen zu finden?“

Ihre Augen funkelten. „Hast du wirklich geglaubt, du kannst es alleine aus der Schule schaffen? Komm, wir müssen los!“

Sie rannten durch den Umkleideraum hinaus ins Atrium. Dort war alles finster und still. Das einzige Licht leuchtete ganz oben auf der letzten Etage.

„Die Lehrer sind bestimmt in der sechsten Dimension“, flüsterte Oliver ihr zu.

„Dann müssen wir uns an ihnen vorbeischleichen.“

Sie stiegen in den Aufzug und fuhren hinauf. Leise gingen sie den Gang entlang, bis zu dem großen Auffangnetz und der langen Rutsche. Soweit Oliver wusste, war das die einzige Verbindung zur Außenwelt.

Oliver blickte hinauf. Die Rutsche war so lang, dass er das Ende nicht einmal erahnen konnte. Außerdem war sie so glatt, dass er sich an keiner einzigen Ritze festhalten konnte. Niemals würde er die Rutsche einfach hochklettern können.

„Und jetzt?“, flüsterte Esther.

Oliver wusste, dass sie ihre Kräfte benutzen mussten.

„Ich habe eine Idee“, sagte er.

Oliver schloss die Augen, um seine Gedanken zu sammeln. Er beschwor seine Kräfte und visualisierte, wie sich seine Hände in große Saugnäpfe verwandelten. Als er seinen Fokus von der Realität auf seine Vorstellung verlagerte, entstand ein neues Bild. Er blickte nach unten. Seine Hände hatten sich tatsächlich verwandelt!

Esther sah ihn erschrocken an. „Was ist das?“

„Saugnäpfe“, sagte er grinsend und wedelte seine Arme durch die Luft. „Damit komme ich die Rutsche hoch.“

„Und ich? Soll ich mich an dir festhalten?“, fragte sie mit erhobener Augenbraue.

„Hast du eine bessere Idee?“, fragte Oliver.

Esther seufzte widerwillig. Sie sprang auf Olivers Rücken und klammerte sich an ihm fest. Oliver begann, die Innenseite der Rutsche zu erklimmen.

Es fiel ihm schwer, sich an seinen neuen Händen hochzuziehen; sowohl körperlich als auch mental. Durch das zusätzliche Gewicht von Esthers Körper wurde es noch schwieriger. Sie hielt sich an seinem Hals so fest, dass er kaum noch atmen konnte.

„Esther“, krächzte er. „Du erwürgst mich.“

„Entschuldige“, sagte sie, lockerte ihren Griff aber nur minimal.

Oliver kletterte weiter.

„Ich hoffe, dir ist klar, dass das nicht als zweites Date gilt“, flüsterte Esther in sein Ohr.

Oliver musste grinsen. „Nein, das holen wir nach, wenn ich wieder da bin.“

Sie wurden nachdenklich. Es gab keine Garantie, dass Oliver jemals zurückkommen würde.

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie schließlich das Ende der Rutsche. Als sie hinaus in den engen Korridor kletterten, erinnerte Oliver sich daran, wie er Ralph bei seiner Ankunft in die Schule gefolgt war. Es tat ihm leid, dass sein Freund jetzt nicht bei ihm sein konnte. Wenigstens hatte er Esther an seiner Seite. Fürs Erste jedenfalls.

Sie krabbelten auf Händen und Knien weiter, bis die Decke wieder hoch genug war, dass sie sich aufrichten konnten. Dann eilten sie durch die Gänge und folgten den gewundenen Wegen bis zum Haupttor.

Sie hielten an. Hier befand sich die unsichtbare Wand von Professor Amethyst.

Oliver streckte die Hand aus und berührte die Oberfläche. Die Wand fühlte sich an wie eine Blase, wie ein Gummiband, das ihm zähen Widerstand leistete. Er drückte vorsichtig und fühlte, wie sie ihn zurückschob. Wie er vermutet hatte, war die Wand undurchdringlich. Er sah zu Esther hinüber.

Sie starrte in den leeren Raum. Dann griff sie mit den Fingerspitzen nach vorne und strich über die unsichtbare Wand.

„Fühlt sich genauso an wie mein Schild“, sagte sie nachdenklich.

„Glaubst du, dass sie auch aus Wellen besteht?“

Sie nickte.

„Wie komme ich auf die andere Seite?“, fragte er.

„Ich glaube, ich kann sie mit meiner Kraft öffnen“, sagte sie.

Oliver sah sie begeistert an. „Glaubst du immer noch, dass Sonar nicht wertvoll genug ist?“

Esther lächelte verschmitzt.

Oliver sah zu, wie sie ihre Kräfte sammelte. Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn. „Das wird nicht einfach“, sagte sie angestrengt.

Sie streckte die Hände aus. Es sah aus, als wollte sie zwei Magnete voneinander trennen oder einen Stoff mit bloßen Händen zerreißen.

„Ich bin nicht stark genug, das alleine zu schaffen“, sagte sie.

„Ich werde versuchen, dir zu helfen“, sagte Oliver.

Er beschwor seine eigenen Kräfte und verwandelte diesmal eine seiner Hände in ein Brecheisen. Er griff nach vorne und fand die Lücke, die Esther durch den Schild gerissen hatte, und riss sie weiter auf. Der Widerstand war stark, aber sie ließen nicht locker und arbeiteten zusammen weiter, bis sie einen Spalt geschaffen hatten, der groß genug war, dass Oliver sich hindurch zwängen konnte.

„Jetzt!“, rief Esther und machte ihm Platz, doch sobald sie auch nur ein wenig locker ließ, verschloss sich der Spalt wieder.

Esther blickte zu Oliver hinüber. In ihrem Blick lag die Erkenntnis, dass sie es nicht schaffen würden. Sie wurde blass.

„Der Schild ist so stark, dass wir ihn nicht öffnen können.“

Oliver atmete laut aus. „Und wenn ich doch durchkomme, sitze ich auf der anderen Seite fest.“

Esther schüttelte den Kopf. Das wollte sie nicht zulassen. „Dann halte ich den Spalt eben offen, bis du wieder kommst.“

„Das schaffst du nicht. Es ist zu schwer.“

„Ich bin stark. Das hast du selbst gesagt!“

„Nein, Esther. Es ist zu schwer. Darum würde ich dich nie bitten!“

„Du bittest mich nicht. Ich möchte es tun.“

Oliver ergriff ihre Schultern. „Ich will deine Hilfe nicht.“

Doch Esther blieb stur. „Ich werde es tun, ob du willst oder nicht.“

Oliver seufzte. „Ich möchte nicht, dass du für mich deine Gesundheit riskierst.“

„Und ich möchte nicht, dass du auf der anderen Seite festsitzt und nicht zurückkommst.“ Sie nickte entschlossen. „Ich werde es tun!“

Oliver erkannte, dass es keinen Sinn hatte, weiter zu diskutieren. Esther würde nicht nachgeben.

„Na gut“, gab er schließlich nach. „Aber nur, solange die Stundenpläne deaktiviert sind. Sobald sie morgen wieder aktiv sind, musst du loslassen. Du könntest sonst die ganze Dimension destabilisieren.“

Esther rechnete nach. „Professor Amethyst hat gesagt, dass sie für achtundvierzig Stunden ausgesetzt sind. Das heißt, dass du nur noch acht Stunden hast.“

Oliver nickte. Er wusste genau, wie seine Chancen standen.

Schweigend machten sie sich wieder daran, eine Öffnung in die Wand zu reißen. Oliver sah, wie sehr es sie anstrengte.

„Esther“, sagte er noch einmal, „du musst das nicht tun.“

„Doch“, sagte sie und sah ihn mit ihren wunderschönen smaragdgrünen Augen an. Tränen glitzerten darin. „GEH JETZT!“

Oliver verlor keine Zeit mehr. Er zwängte sich durch die Öffnung und wurde auf der anderen Seite von einer seltsamen Kälte empfangen. Er drehte sich noch einmal um, um zu Esther zurück zu blicken, aber sie war bereits hinter der unsichtbaren Wand verschwunden.

„Auf Wiedersehen“, flüsterte er schweren Herzens.

Возрастное ограничение:
16+
Дата выхода на Литрес:
10 октября 2019
Объем:
321 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9781640296862
Правообладатель:
Lukeman Literary Management Ltd
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают