Читать книгу: «GESCHICHTEN AUS DONNAS KASCHEMME», страница 3

Шрифт:

»Home, sweet home« beschäftigt sich mit den Häusern der Zukunft.

Der Hausflüsterer

»Sag mal, stimmt das, Willi, dass du deine Schrottmühle inzwischen als Viehtransporter benutzt?«, wollte Quoxx wissen, während er sich den Bierschaum vom Mund wischte.

Willi, das Wurmlochwiesel, grinste den stämmigen Kuiper-Belter an. »Eine Dienstleistung im Rahmen meiner Tätigkeit als Hausflüsterer!«

»Hausflüsterer?«, wiederholte Quoxx verständnislos, und winkte Donna, Wirtin der gleichnamigen Kaschemme, Willi ein frisches Bier zu bringen.

Der ließ sich nicht lange bitten. »Ich musste auf Novo Rus’ landen, weil die Rosinante bockte. Die Reparatur würde teuer werden, das Kopfgeldgeschäft lief schlecht, und ich war ziemlich pleite. Also ging ich in die nächste Bar, um meinen Kummer zu ersäufen. Dort traf ich einen jungen Outlander, dem es offenbar noch dreckiger ging als mir. Er heulte in sein Bier, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich ihn soweit hatte, dass er uns seine Geschichte erzählte. Igor war Architekt für Neuromorphing-Häuser und hatte gerade seinen ersten Entwurf im Holzhüttenstil verwirklicht. Mit Luxusinterieur, versteht sich!«

Mit einem Fingerschnipsen aktivierte Willi seinen Holowürfel. »Igors Modell ›Nasedka‹!«

Donna warf einen Blick auf das Objekt und schüttelte sich. »Ein Albtraum, wenn du mich fragst.«

Willi zuckte die Achseln. »Geschmackssache – rund um Rus’ Hauptstadt Babajaga haben sich viele stinkreiche Oligarchen niedergelassen, und der Entwurf meines jungen Freundes stieß auf reges Interesse. Der Junge schwärmte mir vor, wie alles in dem Haus vernetzt ist, vom Gastromodul über Medieninstallationen bis zum Lokus, der jedem Benutzer aufgrund seiner Ausscheidungen eine umfassende Gesundheitsanalyse erstellt.«

»Nicht mal in Frieden scheißen kann man mehr!«, knurrte Quoxx und beugte sich vor. »Sag mal, steht das Haus auf Stelzen?«

»Das Modell ›Nasedka‹ hat drei Füße und kann seine Sonnenkollektoren so platzieren, dass es seine Energie selbst erzeugt.« Willi rieb sich die Nase. »Nun hab’ ich keinen blassen Schimmer von diesem Neuromorphing-Kram, und Igor erklärte mir, der Clou ist, dass auf den Steuerchips Neuronen mit Transistoren verschaltet sind, um eine optimale Integrationsleistung zu erzielen. Das Hochfahren der CPU verlief zunächst ganz nach Plan, aber je mehr Module Igor zuschaltete, desto nervöser reagierte das System. Als schließlich alle Module aktiviert waren, war das Haus ein einziges Nervenbündel, das abwechselnd drohte, sich von den Klippen zu stürzen oder per Kurzschluss aller Schaltkreise Selbstmord zu begehen. Ein Beispiel, dem der junge Mann in Kürze zu folgen gedachte, wie er mir düster versicherte.«

»Aus gutem Grund!«, befand Donna ungnädig.

Willi überhörte ihren Einwurf. »Ich überredete Igor, mir sein Modell vor diesem endgültigen Schritt doch einmal zu zeigen, und er willigte ein. Als wir uns näherten, tippelte das ›Nasedka‹ nervös von einem Fuß auf den anderen. Und als ich die Füße sah, hatte ich plötzlich eine Eingebung. Ich erklärte ihm, dass ich ihm aus der Patsche helfen könne, wenn er mir die Kosten für die Reparatur der Rosinante vorstreckte … er war sofort einverstanden!«

»Und?«, drängte Quoxx und schob Willi ein frisches Bier zu. »Was war diese Eingebung?«

»Hühner!« Als Willi unsere verständnislosen Gesichter sah, konnte er ein selbstzufriedenes Grinsen nicht unterdrücken: »Die Füße, auf denen das Haus stand, waren Hühnerfüße. Und die Zellen auf den Chips stammten von wer-weiß-wie-alten Hühnerzelllinien ab, wie mir mein junger Freund bestätigte. Das Haus hat ein Hühnergehirn – und je mehr Neurochip-Module zusammengeschaltet werden, desto hühnchenhafter verhält es sich: Streicht der Schatten eines Vogels über seine Sensoren, erstarrt es vor Schreck und fängt an zu zittern wie Espenlaub. Schleicht nachts ein kleines Raubtier vorbei, erhebt es sich und eilt in Panik davon, so schnell es seine Hühnerfüße tragen. Hühner sind Herdentiere; allein sind sie unglücklich. Also hab’ ich Igor ein Dutzend Vögel von Chicken’s Planet besorgt. Dem armen Hühnerhaus fehlte einfach Gesellschaft!«

Willi aktivierte seinen Holowürfel erneut. Umgeben von einer Schar eifrig pickender Hühner, ruhte das Modell ›Nadeska‹ wie eine dicke braune Glucke auf seinen drei Beinen und machte einen sehr zufriedenen Eindruck.

Begeisterter Applaus ringsum.

»Wirklich clever!«, meinte Quoxx. »Da hat der junge Mann die Auslagen für den Antrieb wohl nicht zurückgefordert?«

»Dazu war er viel zu glücklich, und ‘ne fette Prämie gab’s obendrein …«

Willi stockte, aber als er das Glitzern in Quoxx’ Augen sah, wusste er, dass es zu spät war. Donna hatte bereits ein Tablett mit Gläsern gefüllt und stellte es mit breitem Lächeln auf den Tisch. »Willis Runde!«

»Dass ich mein verfluchtes Mundwerk nicht halten kann!«, seufzte der Wurmlochscout und angelte sich ein frisches Glas.

Wir ließen den Hühnerhausflüsterer gebührend hochleben und tranken auf sein Wohl. Und dann noch mal. Und noch mal.

Wenn Sie irgendwann einmal in unserer Gegend am Rand der Milchstraße sind – in Donnas Kaschemme ist immer etwas los. Vielleicht spendieren Sie ja die nächste Runde?

»Home sweet home«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2014


Selbst ein Dichterfürst weiß gutes Bier zu schätzen.

Inkognito

Wie immer ging es in Donnas Kaschemme hoch her, und wie üblich stritten Quoxx und Willi miteinander, als plötzlich ein wütendes Fauchen ertönte und die Luft heftig zu flimmern begann. Sekunden später materialisierten direkt vor uns zwei Gestalten.

Wir beäugten die beiden Neuankömmlinge neugierig. Der Ältere besaß eine hohe Stirn, ausdrucksvolle Augen, volles graues Haar und trug einen antiquierten Gehrock sowie Schnallenschuhe. Sein deutlich schmächtigerer Gefährte war in einen langen dunklen Umhang gehüllt. Er hatte scharfe Gesichtszüge, und aus seinem lackschwarzen Haaransatz ragte ein Paar kleiner Höcker hervor.

Der Grauhaarige ließ seinen Blick über Donnas exotische Gästeschar gleiten. »In was für eine Spelunke sind wir denn hier geraten?«, fragte er verblüfft. »So viel hab’ ich doch gar nicht gesoffen.«

»Spelunke?« Donna stemmte die Arme in die Hüften. »Wer seid ihr beiden Vogelscheuchen eigentlich?«

Der Angesprochene hob sein imposantes Kinn. »Ich bin Dichter, gute Frau, und das ist mein …«

»Impresario«, fiel ihm sein Begleiter rasch ins Wort. Er machte einen Kratzfuß in Donnas Richtung. »Gestatten, Mephi! Mein Freund möchte inkognito bleiben.«

Donna starrte die beiden misstrauisch an. »Und wer sagt, dass Ihr wirklich seid, was Ihr vorgebt? Wie wär’s mit einer Probe Eures Könnens, werter Herr?«

Der Grauhaarige musterte sie einen Moment mit zusammengezogenen Augenbrauen. Donna trug ihren Rotschopf diesmal in üppigen Medusenschlingen. Dann hellte sich seine Miene auf, und er deklamierte mit volltönender Stimme:

Er küsste ihres Mundes Rand

und spielt’ mit ihren Flechten,

das tat er mit der linken Hand,

was tat er mit der Rechten?

Donna grinste. »Ich liebe Wirtinnenverse!« Sie reichte ihm ein Bier.

Der Dichter kostete und schnalzte anerkennend mit der Zunge. »Ein vorzügliches Gebräu. Bringe Sie mir eine weitere Maß, Frau Wirtin!«

»Wie seid Ihr eigentlich hier gestrandet?«, wollte Willi wissen, während er sich unauffällig ein frisches Bier vom Tablett angelte.

»Nun, wir saßen gerade im ›Wetzlarer Hof‹ beim Schoppen und schwatzten ein wenig über Alchemie und Metaphysik«, entgegnete der Dichter. »Dabei muss Mephi versehentlich der Wirtshauskatze auf den Schwanz getreten sein …«

»Es war ausgerechnet Schrödingers Katze«, seufzte Mephi, »und die war höchst ungehalten, und so sind wir in diesen Schlamassel geraten.«

»Was bedeuten schon Raum und Zeit für einen großen Geist!«, tröstete ihn sein Begleiter. »Reisen bildet …«

»Dann kennen Sie wohl ein paar gute Geschichten?«, fragte Quoxx, während er Willi einen hinterhältigen Blick zuwarf.

»Nun ja …« Der Dichter strich seine Mähne zurück. Und dann begann er zu erzählen, von Wassernixen und Erlkönigen, von Schatzgräbern und Zauberlehrlingen, von finsteren Gestalten und lockeren Frauen. Donnas Bier schien ihm sichtlich zu munden; seine Armbewegungen wurden immer ausladender und seine Geschichten immer fantastischer. Quoxx feixte übers ganze Gesicht. Endlich jemand, der dem Wurmlochwiesel das Wasser abgrub.

»Ich hab’ unsere Spritztour rekonstruiert …« Mephi war näher an Willi herangerückt und wies auf den Hypernavigator in seiner Hand. »Wir scheinen da in einen Zeitknoten geraten zu sein. Verstehen Sie zufällig etwas von Knotentheorie?«

»Als Wurmlochscout bleibt das nicht aus.« Willi grinste.

»Ich würde mich hier gern noch ein wenig nach talentiertem weiblichem Nachwuchs umsehen.« Er zwinkerte Willi lüstern zu. »Aber wenn aus dem großen Œuvre etwas werden soll, muss er ins Bett, bevor Ihr Kumpel ihn völlig abfüllt. Wie schaffen wir ihn schleunigst wieder in seine Studierstube?«

Willi rieb sich das Kinn. »Wenn ich mich recht an das Handbuch für Zeitknotentheorie erinnere, muss man ein paar temporale Überkreuzungen lösen und die Enden neu verbinden, um die Sache wieder ins Lot zu bringen …«

»In Mathe war ich immer eine Niete«, gestand Mephi. »Knotenberechnungen hat Großmutter immer für mich erledigt.«

Willi, dem ein Verschwinden des eloquenten Dichters nicht ungelegen kam, beugte sich über das Gerät. »So müsst’s gehen«, meinte er schließlich.

Mephi warf einen Blick auf die Einstellung und kicherte. »Genial! In 4-D löst sich jeder Knoten!«

Er tippte seinem Reisegefährten auf die Schulter. »Gute Nacht, mein Freund!« Und ohne dem anderen Zeit zum Einspruch zu geben, aktivierte er das Gerät.

»Mehr Biiiiiier!«, hörten wir den Dichter mit klagender Stimme protestieren, während seine Umrisse immer stärker zu flimmern begannen und sich schließlich auflösten.

Mephi grinste. »An den letzten Worten müssen wir noch etwas feilen!«, befand er, während er einen dezenten Schwefelrülpser ausstieß. Er warf eine Handvoll Dukaten auf den Tisch. »Meine Tantiemen für des Meisters neues Stück. Mein Alter Ego spielt darin eine Hauptrolle …«

Das gab gewaltigen Beifall, und wir ließen den Dichter und seinen Impresario immer wieder hochleben. Aber obwohl wir Mephi bis zur Halskrause abfüllten, gelang es uns nicht, ihr Inkognito zu lüften. Falls Sie eine Idee haben, das wäre uns sicher ein paar Bier wert.

»Goethe?«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2015

»Blaufußtölpel« sind schon ein ganz eigenes Völkchen – und ziemlich eingebildet.

Das Blaue vom Himmel

»Donna, noch ein Bier für meinen Freund Willi!«

Quoxx’ dröhnende Stimme ließ uns verblüfft verstummen. Der betuchte Händler aus dem Kuiper-Belt und der ständig abgebrannte Wurmlochscout sind gewöhnlich Intimfeinde und liegen sich ständig in den Haaren.

»Ich konnte Quoxx einen kleinen Dienst erweisen!«, erklärte Willi auf unsere fragenden Blicke grinsend und nahm ein frisches Glas entgegen.

Alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf den Kuiper-Belter. Und der ließ sich nicht lange bitten.

»War einer von euch schon mal auf Sula? Nicht? Naja, dieser Mond, der um einen Planeten mit einer Zwergsonne und einer exzentrischen Umlaufbahn kreist, ist nicht gerade ein Urlaubsparadies; die Nachtseite ist eiskalt, die Sonnenseite höllenheiß, und nur ein schmaler Zwischenstreifen ist bewohnbar. Und die Ornithischier, die dort leben, sehen aus wie Kreuzung zwischen einem gefiederten Troll und einem Pelikan.«

Quoxx griff nach seinem Glas, während Willi erklärte: »Diese Ornithischier stehen auf einer archaischen Kulturstufe und sind in Kasten organisiert, die sich an Fußfärbung und Gangart orientieren; beispielsweise stehen rosafüßige Torkler unter violettfüßigen Tumblern. Die oberste Kaste bilden die Tölpel, und das vornehmste Geschlecht ist das derer von Blaufuß, die sich mächtig viel auf ihre blauen Treter einbilden.«

»Ganz recht, und niemand würde sich um den Planeten und seine ungehobelten Bewohner kümmern, wenn er nicht die einzige Quelle von Azurium wäre«, übernahm der Händler wieder, »ein Element, das der Haut von Humanoiden einen himmlischen, modisch sehr begehrten Blauton verleiht.« Er kratzte sich am Kinn. »Ich hatte daher das übliche Zeug mitgebracht, das auf primitiven Planeten so begehrt ist, Glasperlen, Laserpistolen, Syn-Alkohol und so weiter, aber als ich um eine Audienz beim Großtölpel nachsuchte, dessen blaufüßige Familie ein Monopol auf sämtliche Azurium-Vorkommen hat, wurde ich vertröstet. Nachdem ich so eine Woche vertrödelt hatte, gelang es mir schließlich mit einer üppigen Bestechung, dem Haushofmeister die Information entlocken: Mit ›physisch so minderwertigen‹ Geschöpfen wie mir machten Tölpel keine Geschäfte.« Quoxx’ buschige Brauen sträubten sich. »Am liebsten hätte ich den unverschämten Kerl ungespitzt in den Boden gestampft, doch das hätte mich einer Audienz auch nicht nähergebracht. In meiner Verzweiflung kontaktierte ich Willi, der ja fast jeden Winkel des Quadranten kennt …«

»Mir war sofort klar, dass wir die Tölpel mit ihren eigenen Waffen schlagen mussten«, nahm das Wurmlochwiesel den Faden auf. »Und als Quoxx mir erzählte, er habe Fracht für den Ferienplaneten Holiday an Bord, kam mir eine Idee …«

»… und die war wirklich genial!«

Der Kuiper-Belter aktivierte grinsend seinen Holowürfel, und wir beugten uns gespannt vor.

Als der Händler den Audienzsaal betrat, ging ein verblüfftes Raunen ging durch die Menge. Quoxx schritt würdevoll auf den Thron des Großtölpels zu. Sein Gang war ein selbstbewusstes, nonchalantes Watscheln. Die Damenwelt begann leise zu gurren und warf dem Händler schmachtende Blicke zu. Und selbst der Großtölpel starrte voller Neid auf Quoxx’ Fußzier – ein Paar riesige, himmelblaue Schwimmflossen.

Wir applaudierten begeistert, und Quoxx gab großzügig eine Lokalrunde aus. »Dank Willis Trick kam ich mit dem arroganten Fußfetischisten ins Geschäft und konnte ein erkleckliches Häufchen Azurium eintauschen.« Er hob das Glas. »Auf den Profit!«

Die ganze Kneipe applaudierte erneut und ließ Willi und den Kuiper-Belter hochleben.

»Könnte es sein, dass Azurium nicht nur Haut und Schwimmfüße färbt, sondern, in Alkohol gelöst, auch die Fähigkeit verleiht, das Blaue vom Himmel zu fabulieren?«, erkundigte sich einer der Gnurks, die manchmal in Donnas Kaschemme rumhingen und Willi seit seinem Sieg über den Baron stets etwas ans Zeug zu flicken versuchen.

»Alles Ammenmärchen!« Willi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wer als Kopfgeldjäger und Wurmlochscout im ganzen Quadraten herumkommt, der braucht höchstens ein frisches Bier, um das Hirnschmalz auf Touren zu bringen …«

Er schielte zu Donna hinüber, die ihm breit lächelnd ein Glas reichte und einen weiteren Strich auf Quoxx’ Deckel machte.

»Ah, das tat gut«, seufzte er, als sein Riechkolben wieder aus dem Schaum auftauchte. »Also, als ich letztens im Alphaquadranten hinter einem Formwandler her war, der als Reinkarnation eines antiken Gottes ehrbare Geschäftsmänner mit todsicheren Börsentipps direkt aus Delphi beliefert und zudem ihre Gattinnen vernascht hatte…«

Wir rückten erwartungsvoll zusammen. Willi mag ein unverbesserlicher Schnorrer sein, aber ohne ihn und seine Geschichten wäre Donnas Kaschemme hier am Rande der Milchstraße nicht das, was sie ist. Einfach fantastisch!

»Blaufußtölpel«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2015

»Reset« heißt, alles wieder auf null zu stellen und etwas Neues anzufangen – zum Beispiel, wenn eine Kneipenwirtin und ein Dichter versuchen, ihre Jobs zu tauschen.

Träume am Ufer des T’ung-t’ing-Sees

Willi, das Wurmlochwiesel, und Quoxx, der stämmige Kuiper-Belter, stritten gerade darüber, ob acht Beine für Arachnianerin gerade genug oder einige zu viel sind, als plötzlich eine Gestalt neben unserem Tisch auftauchte. Da es ein lauer Sommerabend war, stand die Kneipentür offen, aber niemand hatte den neuen Gast hereinkommen sehen. Dieser schien ebenfalls ein wenig verwundert, denn er rieb sich die Augen, als wisse er nicht so recht, wo er sei. Er hatte asiatische Gesichtszüge, trug sein Haar zu einem Knoten gebunden und einen schütteren weißen Bart sowie eine weite Kutte. Als sein Blick auf Donna fiel, erhellte ein breites Lächeln seine Züge, und er machte eine kleine Verbeugung. »Verehrte Regenspenderin!«

»Meister Li*!« Donna zog den schmächtigen Ankömmling an ihre Brust. »Welche Freude! Ist eine ganze Weile her …«

»Die blauen Stunden am Ufer des T’ung-t’ing-Sees … erinnerst du dich noch?« Um Meister Lis Mund spielte ein leises Lächeln.

»Sicher erinnere ich mich …

Rubinroter Wein,

süßes Verlangen,

Frühling wird Herbst, wird Winter.«

»Nicht schlecht – für eine Kneipenwirtin«, urteilte der Alte. »Sollte das heißen, dass du in deinem Etablissement auch edlen Rebensaft führst?«

»Nur für besondere Gäste!« Mit geübter Bewegung entkorkte Donna eine Weinflasche und schenkte ihm ein. Meister Li kostete und schmatzte zufrieden.

Willi, dessen Neugier stets über sein Taktgefühl siegt, beugte sich vor. »Ihr kennt euch von früher?«

Die beiden sahen sich an. Donnas Augen glitzerten maliziös. ›Warum nicht?‹, schien ihr Blick zu sagen.

»Nun, ich stamme aus einer alten Poetenfamilie und sollte in die Fußstapfen meines Vaters treten«, begann Meister Li, während er erneut sein Glas füllte. »Doch mein Traum war damals eine eigene kleine Kneipe am Ufer des T’ung-t’ing-Sees …«

»Und ich, aufgewachsen in einer Bar, träumte davon, Dichterin zu werden«, nahm Donna den Faden auf. »Also dichtete ich und Meister Li zapfte.« Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Eines Abends nach Kneipenschluss besuchte ich Meister Li, der über seinen Bilanzen hockte, und schob ihm hoffnungsvoll meine Gedichte zu.«

»Ich las sie einmal und dann noch einmal …« Der alte Chinese schüttelte den Kopf. »Sie waren grottenschlecht …«

»… während ich mir unterdessen seine Abrechnungen anschaute. Er hat so viel Zahlenverstand wie eine Schildkröte Zähne.« Donna fuhr sich durch ihren Irokesenkamm und seufzte. »Es war wohl das schlimmste Saufgelage meines Lebens. Wir leerten Lis halben Weinkeller, aber dann stand fest, dass wir beruflich nochmals von vorn anfangen würden – mit vertauschten Rollen.« Sie kicherte. »Ihr seht ja, was daraus geworden ist.«

»Ein mäßig erfolgreicher Dichter und eine überaus erfolgreiche Kneipenwirtin.« Der Alte lächelte heiter und setzte die Flasche an den Hals.

Donna grinste. »Meister Li, Ihr seid allzu zu bescheiden …«

Willi schaute ungläubig vom einen zum anderen. »Das habt ihr beiden euch doch nicht gerade aus den Fingern gesogen?«

»Ha, Ihr haltet mich für einen Aufschneider? Ich werde Euch eine Probe meiner Kunstfertigkeit geben!«

Der trunkene Poet zog einen Pinsel aus seinem Haarknoten und zog ein Tuschefässchen aus dem Ärmel. Er griff nach einem Seidenfetzen, der über der Banklehne hing, strich ihn glatt und begann mit kühnen, schwungvollen Strichen zu schreiben …

诗 是 噪 音

»Poesie ist Rausch«, verkündete er, gähnte herzhaft und rollte sich auf der Bank zusammen. Und während seine Atemzüge immer ruhiger wurden, verblassten seine Umrisse allmählich, bis sie nur noch ein Schatten auf der Netzhaut waren.

»Er kann sich dematerialisieren!«, staunte Quoxx.

»Manche nennen es Träumen«, meinte Donna und griff nach dem Seidenfetzen.

»Das ist meiner!«, protestierte der Kuiper-Belter. »Er hat mich auf Nix-Wie-Weg …«

»Das ist kein Schal, sondern ein Kneipenkunstwerk!«, stellte Willi kategorisch fest. »Eine echte chinesische Kalligrafie, damit können die Eierköpfe in ›Kurts Kiste‹** nicht aufwarten!«

Derart an seinem Lokalpatriotismus gepackt – wir alle verabscheuen die snobistische Klientel der Kneipe gleich nebenan –, gab Quoxx nach, vor allem, als Donna anbot, eine Lokalrunde zu spendieren. So hängten Willi und Quoxx den Seidenschal neben der Tür und traten einen Schritt zurück. Die kraftvollen schwarzen Schriftzeichen neben den roten Feuerlöscher, den Quoxx nach dem Besuch des falschen Brandschutzinspektors gespendet hatte, boten wirklich einen prachtvollen Anblick. So hoben wir denn unsere Gläser und ließen Donnas Kaschemme samt ihrer Wirtin und Kundschaft hochleben. Und iedas nicht nur einmal.

Sollten Sie demnächst hier in unsere Gegend am Rande der Milchstraße kommen, schauen Sie doch mal rein. Und falls Sie irgendwelche Informationen über Meister Li haben sollten – wir alle hier sind sehr neugierig, ob Donna und er … für solche Informationen würden wir sicherlich ein paar Bier springen lassen.

Wie wir das für jenen Sinologen und Schriftsteller getan haben, der mit seiner Frau ständig durch die halbe Galaxis kreuzt und deshalb fast zwangsläufig auch einmal bei uns hereinschneite. Ihm mussten wir allerdings eigens einen badischen Wein aus Donnas Keller holen lassen, damit er uns Meister Lis Satz übersetzte. »Ihr Haar zersprang wie blaues Glas« soll der Spruch angeblich heißen, aber was das bedeuten soll, ist für uns ein Rätsel.

»Reset«, Hrsg. Thomas Le Blanc, Phantastische Bibliothek Wetzlar, 2015

* Eine Schöpfung des Autors Jörg Weigand, die regelmäßig in den Phantastischen Miniaturen auftaucht.

** Ein mieses Konkurrenzunternehmen, gegründet vom Autor Bernd Schuh.

Бесплатный фрагмент закончился.

717,23 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
185 стр. 10 иллюстраций
ISBN:
9783957658654
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают