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Die Entstehung der Masseninhaftierung

Die Rhetorik von »Recht und Ordnung« wurde zuerst in den 1950er Jahren bemüht, als in den Südstaaten Gouverneure und Gesetzeshüter versuchten, den Widerstand der Weißen gegen die Bürgerrechtsbewegung zu mobilisieren. In den Jahren nach der Grundsatzentscheidung Brown v. Board of Education übte die Bürgerrechtsbewegung im Süden durch direkte Aktionen Druck aus, um die Aufhebung der Rassentrennung durchzusetzen. Ihre Gegner bezeichneten diese Aktionen als kriminell und behaupteten, der Erfolg der Bürgerrechtbewegung sei ein Indiz für den Verfall von Recht und Ordnung. Jegliche Unterstützung der Bürgerrechtsgesetzgebung galt den Konservativen im Süden als »Belohnung von Gesetzesbrechern«.

Mehr als ein Jahrzehnt lang – von Mitte der 1950er bis Mitte der 1960er Jahre – verbargen die Konservativen ihren Widerstand gegen die Bürgerrechtsgesetzgebung hinter der Rhetorik von Recht und Ordnung und diskriminierten Martin Luther Kings Philosophie des zivilen Ungehorsams als einen der wichtigsten Gründe für Kriminalität. Bürgerrechtsproteste wurden häufig als kriminelle und nicht als politische Handlungen dargestellt, die Bundesgerichte als zu lasch gegeißelt. Der damalige Vizepräsident Richard Nixon erklärte, die steigende Kriminalität könne »direkt mit der zersetzenden Idee in Zusammenhang gebracht werden, dass jeder Bürger ein angeborenes Recht hat, selbst zu entscheiden, welchen Gesetzen er gehorchen und wann er ihnen nicht gehorchen will«.37 Einige Befürworter der Rassentrennung gingen so weit, zu behaupten, dass die Integration Kriminalität verursache. Die geringeren Krimina litätsraten in den Südstaaten nahmen sie als Beweis für die Notwendigkeit einer Rassentrennung. Der Kongressabgeordnete John Bell Williams sagte dazu dies: »Dieser Exodus der Neger aus dem Süden und ihre Zuwanderung in die großen urbanen Zentren in anderen Regionen des Landes führte zu einer Welle von Verbrechen. … Was haben die Bürgerrechte diesen Regionen gebracht? … Die Rassentrennung ist die einzige Antwort, und die meisten Amerikaner – freilich nicht die Politiker – wissen dies auch schon seit Jahrhunderten.«38

Ungünstig war, dass das FBI gerade zu der Zeit, in der die Bürgerrechte als Bedrohung von Recht und Ordnung ausgemacht wurden, einen dramatischen Anstieg der landesweiten Kriminalitätsrate vermeldete. Tatsächlich stieg in den 1960er Jahren die Zahl der Verbrechen in den USA von Jahr zu Jahr. Die angezeigten Fälle von Straßenkriminalität vervierfachten sich, die Zahl der Morde verdoppelte sich beinahe. Auch wenn die Exaktheit dieser Statistiken umstritten ist (die Methoden des FBI zur Erfassung von Verbrechen änderten sich ständig), waren sich Soziologen und Kriminologen einig, dass die Gesamtzahl der Verbrechen stieg, in einigen Kategorien sogar ganz erheblich. Die Gründe dafür sind komplex, aber zum großen Teil lässt sich das Phänomen durch den »Babyboom« erklären – die Zahl der jungen Männer zwischen 15 und 24, schon immer für die größte Zahl der Verbrechen verantwortlich, war enorm gewachsen. Gleichzeitig nahm die Arbeitslosigkeit unter schwarzen Männern dramatisch zu. Doch in den Medien spielten diese demografischen und ökonomischen Faktoren keine Rolle. Sie brachten Kriminalitätsstatistiken als Sensationsmeldungen und als Beleg, dass es in der Folge der Bürgerrechtsbewegung mit Gesetzestreue, Moral und gesellschaftlicher Stabilität bergab ging.39

Dann brachen im Sommer 1964 Straßenschlachten in Harlem und Rochester aus, und nach der Ermordung von Martin Luther King 1968 kam es zu Unruhen im ganzen Land. Die Bilder von aufständischen Schwarzen gossen Öl ins Feuer der Bürgerrechtsgegner. Städte wie Philadelphia und Rochester wurden als Opfer ihrer eigenen Großzügigkeit hingestellt. Nachdem sie die Schwarzen aus dem Süden willkommen geheißen hätten, seien sie »rasch mit Slums voller Kriminalität und schwarzem Unmut belohnt worden«, so die Konservativen.40

Barry Goldwater schlachtete 1964 in seiner Präsidentschaftskampagne die Unruhen und die Angst vor kriminellen Schwarzen aus und legte damit den Grundstein einer Bewegung, die Härte gegen Kriminalität versprach. In einer oft zitierten Rede warnte Goldwater die Wähler: »Wer den Weg der Regierung [Johnson] geht, der bahnt dem Mob den Weg auf den Straßen.«41 Bürgerrechtsaktivisten, die argumentierten, die Unruhen seien eine direkte Folge der Schikanen und Übergriffe der Polizei, wurden von den Konservativen kurzerhand abgetan. »Wenn sich [die Schwarzen] ordentlich benehmen, dann müssen sie sich über Polizeibrutalität keine Sorgen machen«, meinte Robert Byrd, Senator von West Virginia.42

Viele Bürgerrechtler kämpften gegen den Versuch der Konservativen, die steigende Kriminalitätsrate als Vorwand für eine harte Politik gegenüber den Schwarzen auszuschlachten, doch es gab sogar schwarze Aktivisten, die sich dem Ruf nach »Recht und Ordnung« anschlossen und ebenfalls ein hartes Vorgehen gegen Gesetzesbrecher forderten. So machten sich schwarze Bürgerrechtler in Harlem, aufgeschreckt durch die steigenden Kriminalitätsraten, für das drastische »Rockefeller-Drogengesetz« und andere harsche Maßnahmen stark.43 Unbewusst trugen sie damit zur Entstehung eines Strafverfolgungssystems bei, das in der Welt seinesgleichen sucht. Dass auch Schwarze, angesichts der Unsicherheit auf den Straßen, eine harte Linie gegen die Kriminalität in den Städten befürworteten, war konservativen Politikern sehr willkommen. Sie witterten eine Chance, die Uhren der Rassenpolitik in den USA zurückzudrehen, und führten die Unterstützung dieser Schwarzen als »Beweis« dafür an, dass ihre Forderungen nach mehr »Recht und Ordnung« nichts mit der Hautfarbe zu tun hatten.

Anfangs gab man sich wenig Mühe, die Rassenmotive hinter der Rhetorik von Recht und Ordnung und den harschen Gesetzesvorlagen zum Strafrecht zu verbergen. Die schärfsten Gegner der Bürgerrechtsgesetzgebung und der Aufhebung der Rassentrennung waren zugleich die aktivsten Befürworter dieser Strafrechtsreform. Einer der bekanntesten Befürworter der Rassentrennung, George Wallace, klagte beispielsweise, dass »derselbe Oberste Gerichtshof, der die Aufhebung der Klassentrennung angeordnet und die Bürgerrechtsgesetzgebung gefördert hat«, sich nun »ein Bein ausreißt, um Kriminellen zu helfen«.44 Drei weitere prominente Befürworter der Rassentrennung – die Senatoren McClellan, Ervin und Thurmond – versuchten unterdessen, die Rechte von Angeklagten einzuschränken.45

Nachdem sich die Regeln des akzeptablen Diskurses geändert hatten, bestritten die Befürworter der Rassentrennung explizit rassistische Absichten. Stattdessen entwickelten sie eine von allen Rassenbegriffen gereinigte Rhetorik des »harten Durchgreifens« gegen das Verbrechen, die mittlerweile Politiker jeglicher Couleur im Munde führen. Konservative Politiker, die sich dieser Sprache bedienten, machten ganz bewusst keinen Unterschied zwischen der Strategie der direkten Aktion der Bürgerrechtsbewegung, den Unruhen in den Städten und ganz gewöhnlicher Kriminalität. Stattdessen wurden »alle diese Phänomene nun unter der Überschrift ›Straßenkriminalität‹ eingeordnet«, wie Marc Mauer vom Sentencing Project feststellt.46

Nach der Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze war in der öffentlichen Debatte denn auch nicht mehr von der Segregation die Rede, vielmehr ging es nun nur noch um Kriminalität. Die Frontlinien blieben allerdings weitgehend dieselben. Die Positionen zur Kriminalpolitik deckten sich typischerweise mit den Standpunkten in der Rassenfrage. Die Politikwissenschaftlerin Vesla Weaver erklärt dazu: »Abstimmungen, in denen es um das Verbot der Rassentrennung auf dem Wohnungsmarkt (open housing), die Förderung der Rassenintegration durch Transport von Schulkindern in andere Bezirke (busing), die Bürgerrechtsgesetze und andere Maßnahmen ging, zeigten stets dieselben Trennlinien auf wie die Abstimmungen über Erweiterungen der Strafgesetze. … Kongressabgeordnete, die gegen die Bürgerrechtsgesetze gestimmt hatten, setzten sich nun energisch für neue Strafgesetze ein.«47

Obwohl es mit der Rhetorik von Recht und Ordnung formell nicht gelang, die Zerschlagung des Systems von Jim Crow zu verhindern, fand sie doch sehr viel Anklang bei den armen Weißen der Arbeiterklasse, insbesondere im Süden, die gegen die Aufhebung der Rassentrennung waren und sich von der Demokratischen Partei im Stich gelassen fühlten. Weaver schreibt dazu: »Die Verknüpfung von Verbrechen und Hautfarbe, die die Befürworter der Rassentrennung vorgenommen hatten, löste sich nicht, sie wurde nur neu gefasst und mit einem leicht anderen Anstrich versehen.« In dieser neuen Form wurde sie dann zum Fundament des konservativen Programms zur Verbrechensbekämpfung.48 Schließlich trug die Idee von Recht und Ordnung, die zuerst die Befürworter der Rassentrennung vorgetragen hatten, zu einer breiten Neuausrichtung der Parteien in den Vereinigten Staaten bei.

Nach dem Bürgerkrieg war das Land parteipolitisch zweigeteilt. Der Süden war fest in der Hand der Demokraten. Sie vertraten jene, die vom Ausgang des Kriegs verbittert waren, und taten alles, um das rassische Kastensystem aufrechtzuerhalten. Vehement lehnten sie jede Unterstützung der Bundesregierung für die Sache der Afroamerikaner ab. Der Norden hingegen war weitgehend republikanisch gesinnt. Zwar hatten auch die Republikaner eine zwiespältige Haltung zur Gleichheit der Afroamerikaner, aber sie waren eher geneigt, eine Reform der Rassengesetze in Angriff zu nehmen als ihre demokratischen Kollegen südlich der Mason-Dixon-Linie, der Grenzlinie zwischen Nord-und Südstaaten.

Die Große Depression führte zu einem grundlegenden Wandel in den amerikanischen Rassenbeziehungen und der Orientierung der Parteien. Präsident Franklin D. Roosevelt versuchte, mit seinem New Deal die Not der Armen in der Wirtschaftskrise zu lindern, wovon die Schwarzen, die Ärmsten der Armen, überproportional profitierten. Trotz vieler Beispiele von Diskriminierung bei der Ausführung der Programme wurden die Schwarzen doch zumindest dem Kreis der Begünstigten zugerechnet – allein das schon ließ »die Hoffnungen und Erwartungen der Schwarzen nach Jahrzehnten der bewussten Vernachlässigung durch Washington steigen«.49 Die armen Weißen der Arbeiterklasse im Norden und Süden nahmen den New Deal ebenso positiv auf wie die Afroamerikaner. So entwickelte sich die Koalition des demokratischen New Deal zu einer Allianz urbaner ethnischer Gruppen mit dem weißen Süden, die in den Wahlen zwischen 1932 und 1960 eine beherrschende Rolle spielte.

Dies fand ein jähes Ende mit der Entwicklung der sogenannten »Southern Strategy«. Die große Wirkung der rhetorischen Floskel von Recht und Ordnung bei der weißen Arbeiterklasse und die besonders im Süden anhaltend massiven Vorbehalte gegenüber einer Reform der Rassenbeziehungen ließ bei den Parteistrategen der Republikaner die Idee reifen, ihrer Partei zu einer »New Majority«, einer neuen Mehrheit, zu verhelfen – mit der traditionellen Basis der Republikaner, dem weißen Süden und der Hälfte der katholischen Arbeiterschaft in den großen Städten.50 Einige von ihnen gaben offen zu, ein wesentlicher Bestandteil dieser Strategie bestehe darin, an die Ängste und die Feindseligkeit der Weißen gegen die Schwarzen zu appellieren, freilich nur verdeckt. H. R. Haldeman, einer der engsten Berater Nixons, erinnert sich, dass sein Chef selbst ganz bewusst eine rassistische Linie im Sinne der Southern Strategy verfolgte: »Er [Präsident Nixon] betonte die Notwendigkeit, sich der Tatsache zu stellen, dass die Schwarzen das große Problem seien. Es kommt nur darauf an, ein System zu finden, das dies anerkennt, ohne dass es offensichtlich wird.«51 Ähnlich erklärte John Ehrlichman, Sonderberater des Präsidenten, Nixons Wahlstrategie von 1968 mit den Worten: »Wir holen uns die Rassisten.«52 Laut Ehrlichman war »dieser unterschwellige Appell an die schwarzenfeindlichen Wähler in Nixons Verlautbarungen und Reden ständig präsent«.53

Kevin Phillips, Wahlkampfstratege der Republikaner, gilt als einer der Erfinder dieser Strategie. In The Emerging Republican Majority, erschienen 1969, legte er dar, dass Nixons erfolgreicher Präsidentschaftswahlkampf den Weg zu einer langfristigen politischen Neuausrichtung und zur Bildung einer neuen republikanischen Mehrheit weisen könne, wenn die Republikaner ihren Wahlkampf weiterhin in erster Linie mit Rassenthemen unter Verwendung einer verschleierten schwarzenfeindlichen Rhetorik führten.54 Die weiße Wählerschaft der Demokraten im Süden habe sich durch deren Engagement für Bürgerrechtsreformen von ihrer Partei entfremdet und könne leicht für die Republikaner gewonnen werden, wenn sie sich dort mit ihren Rassenressentiments aufgehoben fühle. Warren Weaver, der das Buch für die New York Times rezensierte, wies darauf hin, dass der Erfolg von Phillips’ Strategie vor allem davon abhinge, ob es den Republikanern gelänge, die Politik mit dem Thema Rasse zu polarisieren. »Totale rassische Polarisierung ist ein wesentlicher Bestandteil von Phillips’ politischem Pragmatismus. Er wünscht sich eine schwarze demokratische Partei, besonders im Süden, weil das der Republikanischen Partei genau jene schwarzenfeindlichen Wähler in die Arme treibt, die ihr helfen können, eine neue Mehrheit zu gewinnen. Zu diesem Zweck unterstützt er sogar gewisse Bestrebungen der Bürgerrechtsbewegung.«55 Ende des 19. Jahrhunderts hatte man die Populistische Partei aus dem Feld geschlagen, indem man den Rassismus und die Sorgen und Nöte der weißen Arbeiterklasse aufgriff, und jetzt war eine wachsende Zahl von Konservativen dafür, genau dies zu wiederholen, nur etwas versteckter.

So bildeten sich Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre zwei Denkrichtungen über Rasse, Armut und Gesellschaftsordnung aus. Konservative argumentierten, dass die Gründe für Armut nicht in strukturellen Faktoren, die mit Klasse oder Hautfarbe zu tun hatten, liegen, sondern mehr mit der Kultur zu tun hätten – insbesondere der schwarzen Kultur. Diese Sicht der Dinge wurde vom mittlerweile berühmt-berüchtigtem Moynihan Report über die schwarze Familie unterstützt, in dem die schwarze Armut einer mit vielen Problemen behafteten schwarzen »Subkultur« zugeschrieben wurde. Die Soziologin Katherine Beckett meint dazu: »Das (angebliche) Fehlverhalten der Armen wurde nicht mehr als Anpassungsleistung an die Bedingungen der Armut angesehen, die sie im Ergebnis unglücklicherweise reproduzierte, sondern als Charaktermangel, der die Armut überhaupt erst verursachte.«56 Die Gründe für die »Sozialpathologie« der Armen, insbesondere Straßenkriminalität, Drogenkonsum und Kleinkriminalität, wurden von den Konservativen nun vor allem in zu großzügigen Hilfsprogrammen gesehen. Schwarzer »Sozialbetrug« und seine gefährlichen Folgen wurden erstmals Thema im politischen Diskurs und in den Medien.

Liberale hingegen hielten daran fest, dass Reformen wie der Krieg gegen die Armut und die Bürgerrechtsgesetze die Ursachen der Kriminalität an den Wurzeln packen würden, und verwiesen auf die gesellschaftlichen Bedingungen, die zwangsläufig Kriminalität förderten. So stellte Lyndon Johnson beispielsweise 1964 im Präsidentschaftswahlkampf gegen Barry Goldwater Programme gegen die Armut letztlich als Programme gegen Kriminalität dar: »Es ist grundverkehrt, wenn ein Kandidat für das höchste Amt die Gewalt auf den Straßen beklagt, aber gegen den Krieg gegen die Armut, gegen den Civil Rights Act und gegen wichtige Bildungsreformen stimmt, die ihm als Abgeordnetem vorgelegt werden.«57

In den Debatten wurde das Bild »unverschuldeter« gegen das »selbst verschuldeter« Armut gesetzt. Mit rassischen Untertönen versehen wurde dieses Bild zu einem entscheidenden Argument der Konservativen. Es diente ihnen dazu, ihre Ideen von Recht und Ordnung mit den Ressentiments in der weißen Arbeiterschaft zu verknüpfen, von denen sich viele durch den Aufstieg der Afroamerikaner bedroht fühlten. Wie Thomas und Mary Edsall in ihrem aufschlussreichen Buch Chain Reaction darlegen, trugen die Unterschicht und die untere Mittelschicht der Weißen einen überproportional großen Teil der Kosten der Integration und der Rassengleichheit, da sie auf einmal mit den Schwarzen unter denselben Bedingungen um Arbeitsstellen und Status konkurrieren mussten und in Vierteln wohnten, die an die Gettos der Schwarzen grenzten.

Ihre Kinder – und nicht die Kinder der Wohlhabenden – besuchten die Schulen, die am ehesten vom »Busing«, der staatlich angeordneten Integration durch Schülertransporte, betroffen waren. Die wohlhabenden weißen Liberalen, die sich für die Forderungen von Schwarzen und anderen Minderheiten starkmachten, »waren in ihrem Privatleben großenteils abgesichert und meist nicht betroffen von den Kosten, die die Umsetzung der Forderungen von Minderheiten mit sich brachte«.58 So konnten die Konservativen vom »liberalen demokratischen Establishment« reden, dem sie vorwarfen, den Kontakt zu den arbeitenden Menschen verloren zu haben – was eines der zentralen Probleme löste, mit denen sich die Konservativen konfrontiert sahen: Wie die Armen und die Arbeiterklasse davon überzeugen, dass die Interessen der Konzerne und der konservativen Elite auch die ihren waren? Im Jahr 1968 stimmten laut einer Gallup-Umfrage 81 Prozent der Einschätzung zu, »Recht und Ordnung haben in den USA keine Geltung mehr«, und die Mehrheit machte dafür »aufrührerische Neger« und »Kommunisten« verantwortlich.59

In der Präsidentschaftswahl jenes Jahres machten sowohl der Kandidat der Republikanischen Partei, Richard Nixon, als auch George Wallace, der für Rassentrennung eintrat und als Unabhängiger kandidierte, »Recht und Ordnung« zum zentralen Thema ihres Wahlkampfs. Damit erhielten sie zusammengenommen 57 Prozent der Stimmen.60 Nixon widmete 17 Reden ausschließlich dem Thema Recht und Ordnung, und in einem Wahlkampfspot forderte er die Wähler explizit auf, der Gesetzlosigkeit der Bürgerrechtsaktivisten eine Absage zu erteilen und für die »Ordnung« in den Vereinigten Staaten zu stimmen.61 Der Spot zeigte in rascher Bilderfolge und dramatischer Musikuntermalung Demonstranten, blutüberströmte Opfer und Krawalle. Eine tiefe Stimme sprach dazu den Kommentar:

Es ist Zeit für einen ehrlichen Blick auf das Problem der Ordnung in den Vereinigten Staaten. Meinungsverschiedenheiten gehören notwendig zu jedem Wandel, aber in einem Regierungssystem, das friedlichen Wandel ermöglicht, ist Gewalt durch nichts zu rechtfertigen. Bedenken wir, dass das wichtigste Recht eines jeden Amerikaners ist, im eigenen Land keine Gewalt fürchten zu müssen. Ich versichere Ihnen, für Ordnung in den Vereinigten Staaten zu sorgen.

Am Ende des Wahlspots wurde der Text eingeblendet: »Wählen Sie diesmal … als würde Ihre ganze Welt davon abhängen … NIXON.« Nixon soll die Vorführung des Spots mit den Worten kommentiert haben: »Das sitzt. Das haben diese verdammten Neger und Puerto Ricaner da draußen davon.«62

Rasse war wieder zu einem starken Keil geworden, getrieben in die solide liberale Koalition, die sich aus den ökonomischen Interessen der Armen und Arbeitenden und der unteren Mittelschicht gebildet hatte. In der Präsidentschaftswahl von 1968 wurden Rassenfragen wichtiger als Klassenzugehörigkeit, und 1972 definierten sich die Wähler eher über ihre Einstellung zu Rassenproblemen als über ihren sozioökonomischen Status. In den späten 1960er und frühen 1970er Jahren nahm die Überzeugung der weißen Arbeiterklasse, dass Armut und wirtschaftliche Erfolglosigkeit das Ergebnis eines verfehlten politischen Systems waren, das verändert werden musste, rapide ab. »Die Art, wie am unteren Ende der Einkommensskala die Weißen gegen die Schwarzen ausgespielt wurden, verstärkte die ohnehin bei vielen Weißen verbreitete Ansicht, dass die Benachteiligten – insbesondere die Schwarzen – selbst die Verantwortung für ihre Lebensbedingungen trugen und nicht die Gesellschaft«, erklären die Edsalls.63 So wie die Eliten des Südens bei der Wende zum 20. Jahrhundert das Thema Rasse eingesetzt hatten, um die Klassensolidarität unter den Armen zu zerstören, so hatte nun die landesweite Problematisierung von Rassenfragen die Koalition der Mittel- mit den Unterschichten zerstört, die der New Deal der Demokraten geschmiedet hatte.

Die konservative Revolution, die in den 1960er Jahren in der Republikanischen Partei Wurzeln schlug, erreichte ihre volle Ausprägung erst mit der Präsidentschaftswahl von 1980. Das Jahrzehnt vor Ronald Reagans Kandidatur war geprägt von politischen und gesellschaftlichen Krisen. Der Bürgerrechtsbewegung folgten eine erbitterte Auseinandersetzung über die Umsetzung des Gleichheitsprinzips – Streitpunkte waren insbesondere Busing und Affirmative Action – sowie dramatische politische Auseinandersetzungen um den Vietnamkrieg und Watergate. Auch die Konservativen legten in dieser Zeit Lippenbekenntnisse zur Rassengleichstellung ab, tatsächlich aber widersetzten sie sich aktiv der Integration, dem Busing und der Durchsetzung der Bürgerrechte. Immer wieder stellten sie Sozialhilfe in Frage und setzten dabei geschickt das Bild einer sich nach Kräften abmühenden weißen Arbeiterschaft in Gegensatz zu dem der armen Schwarzen, die sich angeblich vor der Arbeit drückten. Die Botschaft an die weiße Arbeiterklasse war klar: Eure Steuergelder fließen in Unterstützungsprogramme für Schwarze, die sie in aller Regel nicht verdient haben. Während dieser Zeit rief Nixon auch den »Krieg gegen die Drogen« aus – eine Ankündigung, die mehr oder weniger reine Rhetorik blieb, da sich an der Drogenpolitik wenig änderte, außer dass Drogen zum »Staatsfeind Nummer eins« erklärt wurden. Den Schwarzen blies also wieder einmal der Wind ins Gesicht, aber es hatte sich noch kein Konsens darüber herausgebildet, welche neue Rassen- und Gesellschaftsordnung diese turbulente Zeit hervorbringen sollte.

Reagan erwies sich im Wahlkampf als Meister darin, »die Sprache der Rasse aus dem öffentlichen Diskurs der Konservativen zu streichen«. Damit konnte er auf dem Erfolg früherer Konservativer aufbauen, die es verstanden hatten, die Feindseligkeit und die Ressentiments zwischen den Rassen politisch auszuschlachten, ohne sich explizit auf das Thema Rasse zu beziehen.64 Er wetterte gegen sogenannte »Welfare Queens«, zumeist alleinerziehende Mütter, die sich angeblich mithilfe von Sozialleistungen ein schönes Leben machten, und zog gegen kriminelle »Raubtiere« zu Felde. So errang er die Präsidentschaft mit Unterstützung der unzufriedenen weißen Arbeiterklasse, die sich von der Befürwortung der Bürgerrechte durch die Demokratische Partei verraten fühlte. Wie ein Insider bemerkte, beruhte Reagans Anziehungskraft vor allem auf dem ideologischen Eifer des rechten Flügels der Republikanischen Partei und »der Nöte jener, die Angst oder Abneigung gegenüber den Negern empfanden und die von Reagan erwarteten, sie ›an ihrem Platz‹ zu halten oder zumindest ihrer eigenen Wut und Enttäuschung eine Stimme zu geben«.65 Reagan verstand es, die Frustration der Weißen in rassenneutraler Sprache unterschwellig anzusprechen. Weiße (und schwarze) Wähler hörten aus seinen oberflächlich »farbenblinden« Sätzen über Verbrechen, Sozialleistungen und die Rechte der Bundesstaaten sehr deutlich die rassistischen Untertöne heraus, auch wenn sich dies nirgends konkret festmachen ließ. Ein Beispiel: Als Reagan seine Kandidatur für das Präsidentenamt auf der jährlich stattfindenden Neshoba County Fair bei Philadelphia im Bundesstaat Mississippi verkündete – in einer Stadt, in der 1964 drei Bürgerrechtsaktivisten ermordet worden waren –, versicherte er der Menge: »Ich glaube an die Rechte der Bundesstaaten«, und versprach, ihren Einfluss zusammen mit dem der Kommunalverwaltungen zu stärken.66 Seine Kritiker warfen ihm sofort vor, dies sei eine rassistische Botschaft, mit der Reagan bei den Gegnern der Bürgerrechte anzukommen versuche, doch Reagan bestritt dies entschieden und zwang damit die Liberalen in eine Position, die bald vertraut werden sollte – sie behaupteten, etwas sei rassistisch gemeint, konnten es aber nicht nachweisen, da keinerlei explizit rassistische Äußerungen gefallen waren.

Verbrechen und Sozialprogramme waren die beherrschenden Themen in Reagans Wahlkampf. Gerne erzählte er die Geschichte von einer »Welfare Queen« aus Chicago, mit »80 Namen, 30 Adressen, 12 Sozialkarten«, deren »steuerfreies Einkommen 150.000 Dollar übersteigt«. 67 Der Ausdruck »Welfare Queen« war ein nicht besonders subtiler Code für eine angeblich »faule, habgierige schwarze Mutter aus dem Getto«. Lebensmittelmarken würden es bloß ermöglichen, dass sich »irgendjemand vor einem ein Steak kauft«, während man »mit seiner Packung Hackfleisch an der Kasse steht«.68 Solche stark rassistisch gefärbten Geschichten, die sich gezielt an die weiße Arbeiterklasse wendeten, waren gewöhnlich von vollmundigen Versprechen begleitet, auf Ebene der Bundesregierung härter gegen Verbrechen vorzugehen. Reagan charakterisierte den Kriminellen als »ein glotzendes Gesicht – ein Gesicht, das der beängstigenden Realität unserer Zeit gehört: das Gesicht des menschlichen Raubtiers«.69 Reagans rassistisch codierte Rhetorik und Strategie erwiesen sich als außerordentlich effektiv: 22 Prozent der Demokraten ließen ihre Partei im Stich und gaben ihm ihre Stimme. Von den Demokraten, die fanden, dass die Führer der Bürgerrechtsbewegung »zu stark« drängten, liefen sogar 34 Prozent zu ihm über.70

Nach Reagans Wahl zeigte sich, dass sich sein Wahlversprechen, den Kampf gegen die Straßenkriminalität zu verstärken, nicht ohne Weiteres umsetzen ließ, da diese Aufgabe traditionell den Vollzugsorganen der Bundesstaaten und Gemeinden zufiel. Nach anfänglicher Konfusion und einigen Kontroversen darum, ob nun die öffentliche Sicherheit in die Verantwortung des FBI und der Bundesregierung fallen sollten, kündigte das Justizministerium an, die Zahl seiner Spezialisten für Wirtschaftskriminalität um die Hälfte zu reduzieren und sich von jetzt an mehr auf die Straßen- und insbesondere die Drogenkriminalität zu konzentrieren.71 Im Oktober 1982 erklärte Präsident Reagan offiziell seinen Krieg gegen die Drogen. Zu diesem Zeitpunkt betrachteten lediglich 2 Prozent der Amerikaner Drogen als das größte Problem des Landes.72 Davon ließ sich Reagan nicht aufhalten, hatte doch der Drogenkrieg von Anfang an wenig mit Drogen, aber viel mit Rasse zu tun ge habt. Mit seinem Krieg gegen die Drogenkonsumenten und Dealer löste Reagan sein Versprechen ein, gegen die »Anderen« – vorzugehen – jene, die es nicht besser verdient hatten.

Die Budgets der Vollzugsbehörden des Bundes schossen praktisch über Nacht in die Höhe. Zwischen 1980 und 1984 stiegen die Mittel des FBI für den Kampf gegen die Drogen von 8 Millionen Dollar auf 95 Millionen Dollar. 73 Die Gelder, die das Verteidigungsministerium für den Drogenkrieg bereitstellte, nahmen von 33 Millionen Dollar im Jahr 1981 auf 1,042 Milliarden Dollar im Jahr 1991 zu. Während dieser Zeit kletterten die Ausgaben der Antidrogenbehörde DEA von 86 Millionen Dollar auf 1,026 Milliarden Dollar und die des FBI für den Kampf gegen die Drogen von 38 auf 181 Millionen Dollar.74 Im Gegensatz dazu wurde die Finanzierung von Einrichtungen, die sich mit der Behandlung von Süchtigen, der Prävention und Aufklärung beschäftigten, drastisch zusammengestrichen. Das Budget des National Institute of Drug Abuse beispielsweise fiel von 1981 bis 1984 von 274 Millionen Dollar auf 57 Millionen Dollar, und die Gelder des Bildungsministeriums für diese Zwecke wurden von 14 Millionen Dollar auf 3 Millionen Dollar gekürzt.75

Um sicherzustellen, dass die »neue republikanische Mehrheit« weiterhin die aussergewöhnliche Expansion der bundesstaatlichen Aktivitäten unterstützte und der Kongress diese weiterhin finanzierte, lancierte die Regierung unter Reagan eine Medienkampagne, die den Krieg gegen die Drogen rechtfertigen sollte.76 Darin wurde vor allem der Konsum der neuen Droge Crack in den Innenstädten dramatisiert, die aufgrund der Deindustrialisierung unter rasant steigenden Arbeitslosenzahlen litten. Der Medienrummel, den die Kampagne auslöste, hätte für die Afroamerikaner kaum zu einem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können.

Anfang der 1980er Jahre, als der Krieg gegen Drogen seinen Anfang nahm, standen viele amerikanische Innenstädte vor dem ökonomischen Kollaps. Die einfachen Arbeitsplätze in der Industrie, die es in den Städten während der 1950er und 1960er Jahre noch in Hülle und Fülle gegeben hatte, waren verschwunden.77 Vor 1970 konnten auch gering qualifizierte, in der Stadt lebende Arbeiter unweit ihres Wohnorts eine Stelle in der Industrie finden. Mit der Globalisierung war dies zu Ende. Die Konzerne verlagerten die Produktion in Länder, in denen es keine Gewerkschaften gab und wo die Arbeiter nur einen Bruchteil dessen verdienten, was in den USA als anständiger Lohn galt. Weitere Jobs für Geringqualifizierte fielen dem technologischen Fortschritt zum Opfer. Gut ausgebildete Arbeiter konnten vom technologischen Wandel und dem Einzug der Computertechnik profitieren, aber die einfachen Arbeiter hatten beim rasanten Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft das Nachsehen.

Die Globalisierung und der mit ihr verbundene industrielle Niedergang wirkten sich am stärksten in den von Schwarzen bewohnten Stadtvierteln aus. William Julius Wilson beschreibt in seinem Buch When Work Disappears, dass in den 1970er Jahren die überwiegende Mehrheit der Afroamerikaner über keinen College-Abschluss verfügte und segregierte, miserabel ausgestattete Schulen besucht hatte. Diese Menschen, die in den Gettos lebten, waren denkbar schlecht auf den gewaltigen Umbruch vorbereitet, den die Wirtschaft der USA erfuhr; sie wurden arbeitslos und im Stich gelassen. Laut einer Studie hatte noch Ende der 1970er Jahre mehr als 70 Prozent der Schwarzen, die in städtischen Gebieten berufstätig waren, einen Job als einfache Arbeiter.78 Doch schon 1987, als der Krieg gegen die Drogen so richtig in Fahrt gekommen war, waren nur noch 28 Prozent aller schwarzen Männer in der Industrie beschäftigt.79

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9783956141591
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