Читать книгу: «Der schwarze Atem Gottes», страница 3

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3. Kapitel

Sie hatte Hunger. Seit sie gestern Morgen nach Volkach gekommen war, hatte sie nichts mehr gegessen. Das Einzige, was ihr den Magen gefüllt hatte, war das schal schmeckende Wasser aus dem Brunnen am Marktplatz gewesen. Es war Maria nicht einmal gelungen, eine Mohrrübe oder eine Gurke zu stehlen; die Händler passten auf ihre kümmerlichen Waren auf wie der Teufel auf seine gefangenen Seelen.

Auch der strahlende Sonnenschein vermochte Maria nicht aufzuheitern. Dieses Städtchen mit seinen verwinkelten Gassen und seiner unebenen Pflasterung, in deren Mulden stinkende Abfälle schwammen, war nicht nach ihrem Geschmack, aber sie hatte gehofft, hier wenigstens für einige Tage Proviant und vielleicht sogar eine wohlgefüllte Geldkatze zu finden. Doch stattdessen drohte sie inmitten der quiekenden Schweine, der blökenden Schafe, der gackernden Hühner und all der Köstlichkeiten des Feldes zu verhungern.

Sie saß auf den kalten Stufen des Brunnens und stützte den Kopf in die Hände. Wenn das Leben gerecht wäre, würde einer der Bauern, die auf dem Marktplatz lautstark ihre Waren anpriesen, sich ihrer erbarmen und ihr etwas zustecken. Doch selbst auf demütigste Fragen und Bitten hin hatten sie das junge Mädchen mit den hübschen braunen Locken und den genauso braunen Augen weggejagt wie einen räudigen Hund. Nein, das hier war kein guter Ort – weder für jemanden, der auf die Gunst anderer angewiesen war, noch für jemanden, der bereit war, sich diese Gunst zur Not auch unrechtmäßig zu verschaffen.

Doch da trat ein Licht in das Leben Marias.

Keine zehn Meter von ihr entfernt ging ein hochgewachsener, dürrer Herr in einem verschwenderisch bestickten Umhang über den Markt und warf nur rasche, beiläufige Blicke auf das reichhaltige Angebot. Maria amüsierte sich über seinen wunderlichen Kopfputz: eine riesige Pfauenfeder hing von seinem Barett herab und nickte wie aus eigener Kraft, ob der Herr nun den Kopf bewegte oder nicht.

Er roch nach Geld, ja er stank geradezu danach.

Sofort stand Maria auf. Ihre Gedanken überschlugen sich. Niemand grüßte den vornehmen Herrn, der von Zeit zu Zeit stehen blieb und in die Runde blickte, als suche er jemanden, wobei er jedes Mal geistesabwesend mit dünnen, langen Fingern durch seinen sauber geschnittenen Bart fuhr. Bestimmt war er kein Einheimischer. Wie konnte sie an ihn herankommen? Sie war sicher, dass er einen gut gefüllten Geldsack um den Bauch trug – einen Sack, von dessen Inhalt Maria monatelang leben könnte. Sie schritt die zwei Stufen der Brunneneinfassung herunter und tat so, als suche auch sie etwas, bis sie sah, dass der vornehme Herr sich wieder in Bewegung setzte.

Sie stürzte ihm so schnell nach, dass sie fast mit einem Bauern zusammengestoßen wäre, der ein laut grunzendes Schwein an der Leine führte. Maria schlug einen kleinen Haken, taumelte und musste sich an einem finster dreinblickenden Mann festhalten, der wie ein Scharfrichter aussah.

Als sie wieder nach vorn schaute, war der vornehme Herr verschwunden.

Maria stieß einen Seufzer der Verzweiflung aus. Obwohl sie doch gar keinen Plan gehabt hatte, wie sie ihn berauben konnte, hatte sie sich schon im Besitz seines unanständig vielen Geldes gesehen. Wo mochte er nur abgeblieben sein?

Da sah sie ganz hinten, am anderen Ende des Marktes eine über allen Häuptern tanzende Feder. Das musste er sein. Wie schnell er doch war! Maria lief auf die wippende Feder zu. Als sie ihr Ziel schon beinahe erreicht hatte, kam ihr eine Idee.

Sie hielt sich ein wenig hinter dem hoch aufgeschossenen Mann, der nun den Marktplatz verließ, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er bog in eine schmale Gasse ein, in der sich nur wenige Läden befanden. Das war der ideale Ort.

Maria war nun so nahe hinter ihm, dass sie ihn mit der ausgestreckten Hand hätte berühren können. Dann überholte sie ihn, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Plötzlich stieß sie einen hohen Schmerzenslaut aus und sackte zusammen. Der vornehme Herr blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Dann beugte er sich über sie, streckte die Hand nach ihr aus und sagte mit einer tiefen, vollen Stimme:

»Hast du dich verletzt, mein schönes Kind?«

»Ach, es ist nicht so schlimm, edler Herr«, gab Maria zurück und schaute hoch zu ihm. »Ich habe mir nur den Fuß verrenkt. Könntet Ihr mir bitte aufhelfen?«

Sie ergriff die ihr dargebotene Hand und hängte sich schwer daran. Der Mann zog sie wieder auf die Beine, doch sie knickte erneut ein und packte ihren Retter, um sich an ihm festzuhalten. Blitzschnell steckte sie eine Hand unter seinen Umhang. Sofort hatte sie die Geldkatze ertastet. Sie hing an einem Lederriemen von einem schweren Gürtel herab. Doch der Riemen war nicht mit dem Gürtel vernietet, sondern nur um ihn gebunden.

»Verzeiht mir, es tut so weh«, keuchte Maria.

»Oh, du ärmstes Kind«, sagte der Mann voller Mitleid. Vielleicht würde er ihr ja sogar freiwillig etwas geben, doch darauf wollte sie es nicht ankommen lassen. Jetzt hatten ihre schlanken, geschickten Finger die Schlaufe gelöst, und der kleine Beutel lag beruhigend schwer in ihrer Hand. Sie schloss die Finger darum und tat dann so, als befühle sie ihr rechtes Bein. Dabei zwängte sie den Beutel von unten unter ihren Rock.

»Kann ich etwas für dich tun, Perle des Nachmittags?«, fragte der dürre, elegante Herr galant. Sein Gesicht gefiel Maria nicht. Es hatte etwas Grausames an sich.

Du hast mir schon genug getan, vielen Dank, dachte sie und sagte: »Ihr seid zu gütig, mein edler Herr, aber ich bin bereits reich genug damit beschenkt, dass Ihr mir so uneigennützig geholfen habt.«

»Es wäre mir eine noch größere Freude, dir auch in anderer Weise zu helfen.«

Einen Augenblick lang glaubte Maria, dass dies die Aufforderung zu einem Liebesdienst der besonderen Art sein sollte, doch ein weiterer Blick in sein merkwürdiges Gesicht genügte, um sie davon zu überzeugen, dass ihm nichts ferner lag als ein solcher Gedanke.

Aber was war, wenn er ihr ein Geldstück schenken wollte? Dann würde der Diebstahl unweigerlich auffallen!

»Ich brauche nichts, vielen Dank, edler Herr; Ihr seid einfach zu gütig«, sagte sie rasch und schlug die Augen nieder. Sie versuchte zu erröten, aber es wollte ihr nicht recht gelingen.

Schon tastete der Herr an seinem Umhang herum. Es wurde höchste Zeit für Maria, sich von ihm zu verabschieden. Sie trat einen Schritt von ihm zurück, sagte schnell: »Seht Ihr, es geht schon wieder«, und lief zurück zum Markt. Bei den ersten Schritten gab sie noch vor, zu hinken, doch je weiter sie sich von ihm entfernte, desto ungehinderter lief sie. Sie warf einen kurzen Blick zurück und wollte ihm zum Gruß noch einmal zuwinken – aber er war verschwunden. Vielleicht war er in einen der zur Straße hin völlig offenen Läden gegangen. Was ging es sie an!

Sie spürte den erregenden Druck der Geldkatze gegen ihre Hüfte und konnte es gar nicht mehr erwarten, ihre Reichtümer in Augenschein zu nehmen. In einer winzigen Sackgasse, in der es nicht einmal einen Laden gab und die Giebelhäuser so eng standen, dass sie kaum den Sonnenschein hineinließen, lehnte sie sich gegen eine Häuserwand, griff unter ihr Mieder und zerrte ungeduldig den schwarzen Beutel hervor. Sie zog die kleine, lederne Schnur auf und schüttete den Inhalt auf ihre Handfläche.

Es waren menschliche Zähne und welke Blätter.

Maria wusste nicht, welche Regung in ihr stärker war: Enttäuschung oder Entsetzen. Der Beutel war viel zu schwer gewesen, als dass er nichts außer den Dingen enthalten konnte, die nun in ihrer Hand lagen. Sie hatte schon oft von den Goldstücken gehört, die der Teufel seinen Hexen auf dem Sabbat gab und die sich später als Blätter und allerlei wertloser Unrat entpuppten. War sie etwa an den Teufel geraten? Ihr schauderte.

Dann schüttelte sie den Kopf, wie um ihre Gedanken zu befreien. Wer glaubte denn noch an einen solchen Unsinn? Angewidert warf sie die Blätter und die Zähne fort und ging zurück auf den Marktplatz. Was sollte sie nun tun? Ihr Magen knurrte lauter denn je und verdrängte durch seine Begehrlichkeit alle befremdlichen Gedanken.

»So allein, schönes Kind?«

Sie fuhr zusammen. Wessen meckernde Stimme war das?

Neben ihr stand ein kleiner, schäbig gekleideter Mann, der beinahe genauso breit wie hoch war. Sein Wams glänzte vor Fettflecken und abgescheuerten Stellen, seine Hose schien im Bund fast zu platzen, seine bis über die Knie reichenden Strümpfe waren durchlöchert, und an seinen Kuhmaulschuhen fehlten die Schnallen. Alles in allem: ein Krämer. Und ein sabbernder dazu. In seinen Augen lag ein gieriges Glitzern.

»Ich wüsste nicht, was es Euch angeht, ob ich allein bin oder nicht«, gab Maria schnippisch zurück, doch sie hütete sich davor, allzu verletzend zu sein. Wie oft hatte sie schon erfahren müssen, dass gerade die widerwärtigsten Menschen ihr für einige Zeit das Überleben gesichert hatten.

»Oh, Ihr habt ganz recht, meine Schöne, es geht mich gar nichts an, doch ich habe Euch noch nie in unserer herrlichen Stadt gesehen.«

»Ich bin erst seit gestern hier.«

»Da seid Ihr sicherlich auf Besuch? Haben Euch Eure Gastgeber schon die Sehenswürdigkeiten unserer Stadt gezeigt? Das Rathaus? Die Kirche? Nein? Darf ich Euer Fremdenführer sein?«

Ein einziger Blick in seine Augen hatte Maria verraten, was er von ihr wollte. Sie konnte nicht gerade behaupten, dass ihr der Gedanke, dieses stinkende und schmuddelige Wesen aus nächster Nähe betrachten zu müssen, angenehm war, aber in der Not fraß der Teufel halt Fliegen. Ihr knurrender Magen duldete keine andere Entscheidung. Sie war schon einige Male in derselben Lage gewesen, und es hatte sich für sie immer ausgezahlt. Also beschloss sie, es kurz zu machen.

»Wie wäre es denn, wenn Ihr mir Eure Schlafkammer zeigt?«

Dem Männchen blieb der Atem weg. Mit einer solch dreisten Offenheit hatte er nicht gerechnet. Er fing sich jedoch schnell wieder und sagte, während er seinen grauen Stoppelbart betastete: »Du gehst aber ran, meine Kleine. Doch es soll dein Schaden nicht sein, das verspreche ich dir. Komm.«

Er führte sie durch zahlreiche gewundene Straßen, bis sie schließlich vor einem schmalen, heruntergekommenen Haus in einer der schmutzigsten Gassen standen, die Maria je gesehen hatte. Kot und Waschwasser schwammen in der Gosse, die keinen Ablauf hatte, und Mist und Heu war über ihre gesamte Länge verteilt. Einige Hühner fühlten sich hier sehr zu Hause, genauso wie zwei winzige, magere Schweine, die in den Abfällen nach etwas Essbarem suchten.

Plötzlich drückte der kleine Mann Maria zur Seite. Kurz nachdem sie ein Quietschen wie vom Öffnen eines Fensters gehört hatte, ergoss sich auch schon aus dem ersten Stock des Nachbarhauses der Inhalt eines Nachttopfes beinahe genau auf die Stelle, wo Maria und ihr zeitweiliger Beschützer eben noch gestanden hatten. Mit einem lauten Schlag wurde das Fenster wieder zugeworfen.

»Diese Schmidtlin!«, zeterte der Mann aufgeregt und schwenkte seine kleine, schorfige Faust dem stoischen Nachbarhaus entgegen. »Diese Hexe! Eines Tages wird sie brennen, das verspreche ich dir.«

»Versprich mir lieber etwas anderes«, sagte Maria, die es nicht mehr erwarten konnte, diese Gasse wieder zu verlassen.

Statt einer Antwort drückte der Mann die schiefe Tür auf, hinter der sich ein dunkler Raum mit einem Tisch darin befand, an dem ein schmächtiger, bleichgesichtiger Junge saß. »Das hier ist mein Kontor«, sagte der kugelige Mann und warf sich stolz in die Brust. »Ich kaufe und verkaufe Gewürze.« Er sackte wieder zusammen. »Leider gehen die Geschäfte im Augenblick nicht so gut. Aber meine Frau, das alte, gerissene Luder, ist zu ihren Verwandten nach Würzburg gereist und will dort neue Geschäftsbeziehungen für mich knüpfen. Stoffe, ha! Das ist doch Weiberkram. Das will ich nicht. Aber jetzt werden wir es uns erst einmal schön machen.« Er drängte Maria durch das finstere Kontor. Sie sah, wie der Junge ihr schmachtende Blicke nachwarf. Er wäre ihr lieber gewesen.

Die Schlafkammer war eng und stickig. Nur ein kleines Fenster ging auf die Straße hinaus, und das Fensterglas, das einmal in ihm gesteckt haben mochte, war inzwischen durch Ölpappe ersetzt worden. Offenbar gingen die Geschäfte wirklich schlecht.

Das Männchen warf seinen Umhang auf den Boden, nahm seine Geldkatze, die recht mager war, in die Hand und wog sie ab. »Wenn du hältst, was dein Aussehen verspricht, wirst du dich hinterher daraus bedienen können. Doch so lange werden wir das gute Stück hier in dieser Truhe verstauen.« Er lachte meckernd, stöberte unter seinem Wams herum und zog sich eine Kordel über den Kopf, an dem ein kleiner Schlüssel hing. Damit öffnete er die Truhe, die neben dem Himmelbett und einem wackeligen Stuhl die einzige Einrichtung des Zimmers bildete. Er legte das Säckchen auf die gefaltete Wäsche, die Maria mit einem kurzen Blick bemerkte, schloss danach die Truhe ab und streifte sich den Schlüssel wieder über den Kopf. Dann entkleidete er sich.

Maria hatte genau gesehen, dass neben der neu hinzugekommenen Geldkatze noch zwei andere in der Truhe gelegen hatten – offenbar Notgroschen. Der Gedanke an diese Reichtümer, die sie hier angesichts der nur allzu deutlichen Armut nicht erwartet hatte, gab ihr neue Kraft, als sie sah, wie der Mann sich seines Hemdes entledigte und nun in seiner ganzen zweifelhaften Herrlichkeit vor ihr stand. Die Kordel mit dem Schlüssel daran trug er inzwischen wieder wie eine Kette um den Hals; er hatte offenbar nicht vor, sie abzulegen.

Nun zog auch Maria sich aus. Mit jedem Kleidungsstück, das zu Boden fiel, stand der Mund des Mannes weiter offen, und auch andere Körperregungen bewiesen, dass ihm gefiel, was er da sah.

Maria wusste, dass sie einen schönen Körper hatte. Ihr Bauch war flach, ihr Hintern hing noch nicht, und ihre Brüste waren voll, rund und straff. Wie lange würde sie dieses Kapital noch haben? Schließlich war sie bereits vierundzwanzig; ein Alter, in dem viele Frauen schon dem Grabe sehr nahe waren. Sie legte sich auf das Bett. Die strohgefüllte Matratze stach und pikste.

Das Männchen konnte sich an der Herrlichkeit ihres Körpers nicht sattsehen. Er betastete sie überall, und sein Schweiß und sein Gestank ekelten sie an. Denk an die Geldbeutel, sagte sie sich und schloss die Augen. Dann wälzte er sich auf sie.

Es war schnell vorüber. Das Männchen hatte sich vollkommen verausgabt; es kullerte wie eine Kanonenkugel von Maria herunter, murmelte noch: »Da hat der vornehme Herr mit der Pfauenfeder aber nicht zu viel versprochen«, und blieb dann laut schnarchend neben ihr liegen. Sie öffnete die Augen, seufzte erleichtert auf und betrachtete ihren feurigen Liebhaber. Welchen »vornehmen Herrn« hatte er gemeint? Doch nicht etwa denselben, den sie so erfolglos ausgeraubt hatte? Nein, wahrscheinlich hatte sie sich verhört.

Die Kordel mit dem Schlüssel daran hing noch immer um den Hals des erschöpften Schnarchers, doch der Schlüssel selbst hatte sich seitlich unter seine mächtige Brust geschoben und befand sich damit außerhalb von Marias Reichweite. Sie zupfte leicht an der Kordel. Ihr Liebhaber stieß ein Grunzen aus und rollte sich noch mehr auf den Bauch.

Maria hätte am liebsten vor Enttäuschung aufgeschrien. Warum, verdammt, stach ihn das Metall nicht so sehr, dass er sich auf den Rücken rollte? Es blieb ihr nichts anderes übrig: Sie musste nachhelfen.

Maria richtete sich vorsichtig in dem engen, muffigen Bett auf. Dabei fuhren die Spitzen ihrer Brüste sanft über den Rücken des Schlafenden. Als errege diese Berührung höchst angenehme Traumbilder in ihm, begann er zu lächeln und rekelte sich auf der harten Matratze. Dann drehte er sich endlich!

Mit einem Griff hatte Maria ihm den heiß ersehnten Schlüssel über den Kopf gezogen, und mit zwei Sprüngen war sie bei der Truhe. Sie öffnete sie rasch und lautlos und packte das erste Säckchen. Sie war vorsichtig geworden; also warf sie zunächst einen Blick hinein.

Knöpfe, Kieselsteine, ein paar wertlose Kupfermünzen. Sonst nichts.

Maria schleuderte die Geldkatze wütend zurück in die Truhe und schnappte sich den zweiten Lederbeutel.

Glänzendes Gold strahlte sie an.

Und der dritte – jener, den der Kaufmann als Letztes in die Truhe gelegt hatte – enthielt neben Kleingeld auch gute Silber- und zwei Goldmünzen.

»Hab ich dich, du nichtswürdige Hure!« Eine Hand packte sie am Arm und riss sie herum. Der kleine Kaufmann war aufgewacht und hatte bemerkt, dass sein Schlüssel fehlte.

Maria reagierte sofort. Sie riss sich aus dem Griff des Mannes los, der offensichtlich keine Gegenwehr erwartet hatte, und versetzte ihm einen Schlag gegen die breite, gewölbte Brust, sodass er rückwärts auf das Himmelbett fiel. Rasch hob sie ihren Rock, ihr Hemd, ihr Mieder und die beiden Ärmel vom Boden auf. Ihr blieb nur noch Zeit, den Rock hastig überzustreifen; die restlichen Kleidungsstücke warf sie sich über den Arm, während der Kaufmann bereits wieder aus dem Bett krabbelte. Sie griff nach den beiden wohlgefüllten Geldkatzen und rannte aus dem kleinen Zimmer. Der Kaufmann folgte ihr sofort. Er schien nicht einmal zu bemerken, dass er nackt war.

Maria stolperte die hohe, enge Stiege herunter, rannte durch das Kontor, in dem der bleiche Jüngling Stielaugen angesichts ihrer hüpfenden Brüste bekam, und als sie gerade bei der Haustür angekommen war, hörte sie, wie der Junge vor Lachen losprustete. Offenbar hatte auch der Kaufmann die Arbeitsstube erreicht.

Maria kümmerte sich nicht darum, welche Erscheinung sie abgab, und hastete hinaus in die übel riechende Gasse. Erregte Pfiffe gellten aus einigen Läden; ein Schmied schlug gar vor Überraschung neben seinen Amboss, und ein Schuster ließ den Stiefel fallen, den er gerade pfeifend reparierte.

»Haltet die Diebin!«, kreischte es da aus dem Haus des Kaufmanns. Maria warf einen Blick hinter sich. Er verfolgte sie nicht; sein Adamskostüm war ihm doch wohl zu peinlich.

Gerade als sie gehofft hatte, dass ihr die Flucht glücken würde, bemerkte sie, dass der Schuster aufgesprungen war. Er hastete hinaus in die Gasse und nahm die Verfolgung auf. Quiekend stoben die beiden mageren Schweine vor ihm auseinander. Hühner rannten aufgeregt umher und schlugen mit den Flügeln. Dieser Aufruhr zog immer mehr Menschen auf die Straße.

Und immer mehr verfolgten sie.

Der Schuster, der der Erste gewesen war, hatte bereits gefährlich aufgeholt. Maria kam an eine Kreuzung, huschte nach links in eine Seitenstraße – und stolperte über etwas. Beinahe wäre sie zu Boden gefallen, doch starke Arme fingen sie auf. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, hörte sie eine gepresste, raue Stimme: »Bück dich und beweg dich nicht«. Sie gehorchte sofort. Dann fiel etwas Schweres, Kratzendes auf sie und nahm ihr jede Sicht. Es musste eine härene Pferdedecke sein. Zumindest stank sie entsetzlich nach Pferd.

Aus ihrem Versteck, das sich doch mitten auf der Straße oder zumindest am Rand der Häuser befinden musste, hörte Maria aufgeregtes Schritteklappern. Dann eine hektische Stimme: »Wo ist sie?«

»Wer?« Das war die Stimme, die ihr geholfen hatte.

»Das halbnackte Weib.«

»Hab kein halbnacktes Weib gesehen, sonst wär es jetzt ganz nackt, das könnt ihr mir glauben. Steh nur hier mit meinen Stoffballen unter der Decke und wart auf meine Frau. Dieses zänkische Luder, ob sie mich wieder versetzt hat?«

Die Schritte entfernten sich.

Trotzdem dauerte es noch einige Zeit, bis sich die Decke hob.

»Komm hoch.«

Maria reckte und streckte sich. Vor ihr stand ein junger, verwegen aussehender Mann. Er war nach der Art der Bauern gekleidet und trug einen langen, blauen Kittel aus grobem Leinen. Das kurze, blonde Haar war ins bartlose Gesicht gekämmt. Trotz seiner Jugend durchzogen tiefe Falten seine Wangen, als ob er bereits bis in die Hölle und zurück gewandert wäre. Seine hellblauen Augen blickten trotzig und zugleich belustigt drein.

»Was für ein hübscher Anblick«, sagte er mit seiner rauen Stimme. »Es tut mir zwar leid, es sagen zu müssen, aber du solltest dir jetzt besser etwas anziehen. Schließlich scheinst du schöne Kleider zu haben.« Er befühlte kennerhaft den schweren Stoff des Mieders.

Natürlich hatte Maria diese Sachen nicht gekauft; dazu hatte sie kein Geld. Sie hatte sie vor einem Monat bei einer adligen Dame »ausgeborgt«, wie sie es nannte. Hastig zog sie zuerst das schlichte Hemd – ihr eigenes – und dann das Mieder an und befestigte zum Schluss die Ärmel an den Schultern.

»Wir müssen uns beeilen. Komm! Und vergiss deine Beute nicht!« Der Mann zerrte an ihrem Arm.

Maria stemmte sich gegen ihn. »Halt!«, rief sie. »Wer sagt denn, dass ich mit dir gehen will?«

»Dein Verstand sagt es dir. Ohne mich hast du keine Möglichkeit, heil aus diesem Städtchen herauszukommen. Mein Pferd wartet schon. Komm doch endlich.«

Maria gab seinem Drängen nach. Er geleitete sie in einen kleinen, stillen Hinterhof, in dem eine winzige Stallung lag. Der Mann führte eine kräftige Stute heraus, warf ihr die Decke über und schnallte dann einen alten Sattel darauf, der neben dem Pferd im Stall gestanden hatte. »So«, sagte er, »jetzt geht’s los.« Er hob Maria nach vorn in den Sattel, setzte sich hinter sie, ergriff die Zügel und trieb das Pferd an.

Sie kamen an das Stadttor. Marias Retter winkte einem der Wächter zu, der die beiden anstandslos passieren ließ. Als sie das Tor gerade hinter sich gebracht hatten, sagte der junge Bauer: »Spätestens in einer Viertelstunde wäre hier kein Durchkommen mehr gewesen; dann nämlich werden die Wächter von deinem Verbrechen wissen.«

Bei einem kleinen Buchenwäldchen, von dessen Rand aus man in der Ferne die Tore und Türme von Volkach sehen konnte, hielt Marias Retter das Pferd an. Sie stiegen ab und setzten sich ins hohe Gras.

»Hat es sich denn gelohnt?«, fragte der junge Mann.

Maria wollte ihm zunächst nicht ihre Beute zeigen, aber etwas in seinem Blick sagte ihr, dass sie es besser tun sollte. Schließlich war sie ihm vollkommen ausgeliefert. Sie war ohne ihren Willen in diese seltsame Situation hineingeraten, die ihr keineswegs gefiel. Widerwillig gab sie dem Mann die beiden Geldkatzen.

Er schüttete ihren Inhalt ins Gras. »Sehr schön«, sagte er. »Das behalte ich als Lohn für deine Rettung, aber hab keine Angst, denn das Geld wird auch dir zugutekommen. Einer für alle und alle für einen. Schließlich gehörst du jetzt zu uns.«

»Ich will zu niemandem gehören. Ich gehöre nur mir.«

Der junge Mann lachte. »Du bist ein wildes Mädchen! Wie heißt du?«

»Maria.« Ihr kam es plötzlich so vor, als gebe sie mit ihrem Namen ihr Innerstes preis.

»Reist du ganz allein durch Gottes weite Welt?«

»Was geht dich das an?«, gab Maria schnippisch zurück.

»Verzeih«, sagte der junge Mann, »du hast recht. Es geht mich wirklich nichts an. Aber eigentlich würden wir gut zusammenpassen. Ich heiße nämlich Josef.« In seinen blassblauen Augen lauerte der Schalk. Er hatte etwas jungenhaft Liebenswürdiges an sich, aber gleichzeitig war er mit seinen eingefallenen Wangen und seinem durchdringenden Blick auch eine unheimliche Erscheinung. »Es wäre gut, wenn du niemanden auf der Welt hättest, denn wenn du einen Liebsten hast, dann musst du ihm jetzt Lebewohl sagen.«

»Warum?«

»Ich wiederhole mich nur ungern: Weil du jetzt zu uns gehörst.« Josefs Stimme hatte nun etwas Schneidendes an sich.

»Ich bin allein. Schon seit vielen Jahren. Das heißt natürlich nicht, dass ich noch nie einen Mann gehabt hätte.« Sie warf ihr schönes, braunes Haar kokett in den Nacken, zog dann die Knie an und umfasste sie mit den Armen.

»Das ist mir klar. Soweit ich weiß, hattest du vorhin noch ein besonders beeindruckendes Exemplar unserer Gattung.«

Maria musste lachen, doch mitten in ihrem Gelächter fiel ihr etwas auf. Sie verstummte.

»Woher weißt du das? Du warst nicht unter denen, die mich verfolgt haben.«

»Oh, ich weiß sogar noch mehr. Das war nicht dein einziger Raubzug heute.« Josef streckte die Beine aus, lehnte sich an einen jungen Buchenstamm und riss einen Grashalm aus. Er kaute genüsslich daran herum, während er Marias Verwunderung offensichtlich sehr genoss.

»Steckst du etwa mit diesem vornehmen Herrn unter einer Decke?«

Josef pfiff anerkennend durch die Zähne. »Er hatte recht. Du bist nicht nur schön, geschickt und gewissenlos, sondern auch schlau.«

»Ich bin nicht gewissenlos«, schmollte Maria und zog eine Schnute. Jetzt sah sie wie ein kleines, ertapptes Mädchen aus. »Was ich tue, tue ich nur, um nicht zu sterben. Ich nehme mir bloß das, was ich unbedingt brauche.«

»Genau wie wir«, gab Josef zurück. »Na ja, das heißt, manchmal nehmen wir vielleicht ein ganz klein wenig mehr – aber wirklich nur ein ganz klein wenig.« Es hatte lustig klingen sollen, aber es lag etwas in seinen Worten, das Maria eine Gänsehaut verursachte. »Weißt du, dir hätte gar nichts Besseres passieren können, als dem Meister aufzufallen.«

»Dem Meister?«

»So nennen wir alle den Grafen. Er ist ein hochvornehmer Herr, und wir sind froh, dass er uns in seine Dienste genommen hat.«

»Was sind das für Dienste?«

»Na, du weißt schon …«

Auf einem Ast geradewegs über Maria hatte sich eine kecke Amsel niedergelassen und sang nun ihr abwechslungsreiches Lied. Der laue Frühlingswind spielte durch Marias Haar und streichelte ihr über die Wangen, als wolle er sie beruhigen. War das hier nicht die Gelegenheit, auf die sie so lange gewartet hatte? Lag in Josefs Bande nicht die höchste Sicherheit, die sie je haben konnte? »Wie viele seid ihr?«, fragte sie nach einer längeren Pause, während der Josef sie unverwandt aus seinen seltsamen blauen Augen angestarrt hatte.

»Mit mir acht«, sagte er. »Den Grafen natürlich nicht eingerechnet. Es sind alles prächtige Burschen, und eine solche Lilie wie du wäre der passende Schmuck für uns – abgesehen davon, dass wir deine Fertigkeiten ganz dringend brauchen. Deshalb hat der Graf dich ja ausgesucht.«

»Ausgesucht?«

»Du warst ihm schon recht früh aufgefallen, und da hat er dich auf die Probe gestellt. Er sagte mir, er sei sehr beeindruckt von deiner Fingerfertigkeit, aber er musste unbedingt auch wissen, wie weit du zu gehen bereit bist. Deshalb hat er den armen Kaufmann heiß auf dich gemacht.«

Jetzt fiel Maria wieder ein, dass ihr jämmerlicher Liebhaber von einem »vornehmen Herrn« gesprochen hatte. Plötzlich hatte sie den Eindruck, als habe sie sich in einem Spinnennetz verheddert, und jede ihrer Bewegungen führe nur dazu, dass sie fester von den klebrigen Fäden umsponnen wurde.

»Und warum soll ich für ihn oder für euch von so großem Nutzen sein?«

»Weil wir etwas Großes vorhaben. Wenn du mich fragst, geht es dabei um mehr als nur um Gold und Silber. Aber wir vertrauen dem Meister blind. Wir fragen nicht. Wir sind sein Eigentum.« Josefs Blick war starr in die Ferne gerichtet.

Maria spürte das Prickeln des Abenteuers. Warum sollte sie eigentlich nicht herauszufinden versuchen, warum dieser merkwürdige Graf sich so viel Mühe mit ihr gemacht hatte? »Was bleibt mir denn anderes übrig, als mich zu euch zu gesellen?«, sagte sie schließlich.

Josef spuckte den zerkauten Grashalm aus. »Ich wusste ja, dass du ein kluges Kind bist. Wirst es nicht bereuen. Schon morgen Nacht geht es los. Wir werden es mit leichten Gegnern zu tun haben: mit drei Benediktinermönchen …« Er füllte das Geld wieder in die Säckchen und stand auf. Auch Maria erhob sich aus dem weichen Gras. Die Amsel über ihrem Kopf flog laut schimpfend davon.

An ihre Stelle setzte sich ein fetter Rabe. Sein Krächzen hallte schauerlich durch den Buchenhain.

399
669,35 ₽
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9783864020551
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