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Ich kann mich noch erinnern, wie ich Stamets zum ersten Mal von «Mykoremediation» reden hörte – sein Ausdruck für die Nutzung von Pilzen zur Reinigung von Umweltverschmutzung und Industriemüll. Eine der Aufgaben von Pilzen in der Natur besteht darin, komplexe organische Verbindungen aufzuspalten; ohne sie wäre die Erde schon lange eine riesige, unbewohnbare Abfallhalde aus toten, aber unzersetzten Pflanzen und Tieren. Als die Exxon Valdez 1989 vor der Küste Alaskas auf Grund lief und Millionen Liter Rohöl in den Prinz-William-Sund strömten, erweckte Stamets die langjährige Idee wieder zum Leben, den petrochemischen Abfall durch Pilze aufspalten zu lassen. Er zeigte das Dia eines dampfenden Haufens von öligem schwarzem Schlamm, bevor er diesen mit den Sporen von Austernpilzen impfte, und dann ein vier Wochen später aufgenommenes zweites Foto desselben Haufens, auf dem dieser um ein Drittel geschrumpft und von einer dicken Schicht schneeweißer Austernpilze umhüllt war. Das war ein Vortrag und ein alchemistisches Kunststück, die ich so schnell nicht vergessen werde.

Doch Stamets‘ Bestrebungen für das Pilzreich gehen weit darüber hinaus, petrochemischen Schlamm in urbaren Boden zu verwandeln. Aus seiner Sicht gibt es kaum ein ökologisches oder medizinisches Problem, bei dessen Lösung Pilze nicht helfen können.

Krebs? Stamets‘ Extrakt aus Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) hilft offenbar bei Krebspatienten, das Immunsystem zu stimulieren. (Stamets behauptet, er habe es verwendet, um den fortgeschrittenen Brustkrebs seiner Mutter zu heilen.)

Bioterrorismus? Nach dem 11. September 2001 wurden im Rahmen des Bioshield-Programms der Bundesregierung Hunderte seltener Pilzarten in Stamets‘ Sammlung untersucht, wobei man mehrere ausfindig machte, die eine starke Wirkung gegen SARS, Pocken, Herpes sowie Vogel- und Schweinegrippe zeigten. (Falls Ihnen das unglaubwürdig erscheinen sollte, denken Sie daran, dass auch Penicillin aus einem Pilz gewonnen wird.)

Bienensterben (CCD)? Nachdem Stamets beobachtet hatte, wie Honigbienen einen Holzstoß aufsuchten, um am Myzel zu knabbern, identifizierte er mehrere Pilzarten, die die Widerstandskraft der Bienen gegen Infektionen und CCD stärkten.

Insektenbefall? Vor ein paar Jahren bekam Stamets das Patent für ein «Mykopestizid» – ein mutiertes Myzel einer Cordyceps-Art, das, nachdem es von Riesenameisen gefressen wird, sich in deren Körpern ansiedelt und sie tötet, aber erst nachdem es die Ameise auf chemischem Wege dazu bringt, den höchsten Punkt ihrer Umgebung zu erklimmen, wo ein Pilz aus ihrem Kopf hervorbricht und seine Sporen in den Wind entlässt.

Als ich Stamets zum zweiten oder dritten Mal ein Video zeigen sah, in dem Cordyceps sein diabolisches Werk an einer Ameise verrichtet – ihren Körper in Beschlag nimmt, ihr seinen Willen aufzwingt und dann einen Pilz aus ihrem Gehirn hervorbrechen lässt, um die eigenen Gene zu verbreiten –, da kam mir in den Sinn, dass Stamets und die arme Ameise ziemlich viel gemeinsam hatten. Stimmt schon, die Pilze haben ihn nicht getötet, und vermutlich weiß er genug über ihre Tricks, um diesem Schicksal zu entgehen. Aber es stimmt auch, dass die Kontrolle über das Leben dieses Mannes – über sein Gehirn! – völlig von Pilzen übernommen wurde; er hat sich ihrer Sache verschrieben und setzt sich genauso für die Pilze ein, wie sich der Lorax von Dr. Seuss für die Bäume einsetzt. Er verbreitet überall Pilzsporen und hilft ihnen, ob durch den Versand oder seine Begeisterung, ihre Reichweite auszudehnen und ihre Botschaft weiterzutragen.

Ich glaube nicht, dass ich hier etwas über Paul Stamets sage, das er beanstanden würde. In seinem Buch schreibt er, dass Myzelien – das riesige, spinnwebartige weiße Netz aus einzelligen Fäden namens Hyphen, mit denen Pilze sich durch den Boden schlängeln – intelligent sind und «eine empfindsame Membran» und «das neurologische Netzwerk der Natur» bilden. Der Titel seines Buchs Mycelium Running kann auf zwei Arten gelesen werden. Das Myzel läuft tatsächlich ständig durch die Erde, wo es eine wichtige Rolle bei der Bodenbildung, der Gesunderhaltung von Pflanzen und Tieren und der Verknüpfung des Waldes spielt. Aber aus Stamets‘ Sicht geben die Myzelien auch den Ton an – in der Natur allgemein und, wie ein neuronales Software-Programm, im Denken bestimmter Lebewesen, darunter auch, wie er als Erster eingestehen würde, Paul Stamets selbst. «Pilze überbringen uns eine Botschaft aus der Natur», sagt er gern. «Das ist eine Stimme, die ich höre.»

Doch auch manche von Stamets‘ versponneneren Vorstellungen haben eine wissenschaftliche Grundlage. Schon seit Jahren bezeichnet er das riesige Myzeliennetz im Boden als «natürliches Internet der Erde» – ein zusätzlich vorhandenes, komplex verzweigtes, selbstreparierendes und erweiterbares Kommunikationsnetzwerk, das viele Arten über gewaltige Entfernungen miteinander verbindet. (Der größte Organismus auf Erden ist weder ein Wal noch ein Baum, sondern ein Pilz – ein Hallimasch in Oregon, der 3,8 Kilometer breit ist.) Stamets behauptet, diese Myzelien-Netzwerke hätten in gewisser Hinsicht ein «Bewusstsein»: Sie seien sich ihrer Umgebung bewusst und demgemäß imstande, auf Herausforderungen zu reagieren. Als ich zum ersten Mal von diesen Vorstellungen hörte, hielt ich sie bestenfalls für fantasievolle Metaphern. Doch seither deuten immer mehr Forschungsergebnisse darauf hin, dass sie viel mehr als Metaphern sind. Experimente mit Schleimpilzen haben gezeigt, dass diese Organismen auf der Nahrungssuche den Weg durch ein Labyrinth finden können – sie erspüren den Standort der Nahrung und wachsen dann in diese Richtung. Die Myzelien in einem Wald2 verknüpfen die dort stehenden Bäume von Wurzel zu Wurzel und versorgen sie nicht nur mit Nährstoffen, sondern dienen auch als Medium, das Informationen über Umweltbedrohungen weiterleitet und es den Bäumen ermöglicht, anderen Bäumen im Wald wahlweise Nährstoffe zu senden.* Ein Wald ist ein viel komplexeres, geselligeres und intelligenteres Gebilde, als wir wussten, und es sind Pilze, die das Zusammenleben der Bäume organisieren.

Stamets‘ Vorstellungen und Theorien haben sich als viel beständiger und brauchbarer erwiesen, als ich je vermutet hätte. Und der andere Grund, warum ich unbedingt Zeit mit ihm verbringen wollte: Ich war neugierig herauszufinden, wie seine eigene Erfahrung mit Psilocybin sein Denken und sein Lebenswerk beeinflusst hatte. Doch ich war mir nicht sicher, ob er bereit sein würde, offen über Psilocybin zu reden, geschweige denn jetzt, wo er ein erfolgreiches Unternehmen hatte, acht oder neun Patente auf seinen Namen liefen und er mit Institutionen wie DARPA, NIH und dem Lawrence Livermore National Laboratory zusammenarbeitete, mit mir auf Pilzsuche gehen würde. In den jüngsten Interviews und Vorträgen, die ich im Internet fand, sprach er nur selten über Psilocybin und führte das Bestimmungsbuch nicht mehr in seiner Publikationsliste auf. Außerdem hatte er gerade eine prestigereiche Ehrung von der Mykologischen Gesellschaft von Amerika und der Amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften (AAAS) erhalten. Allem Anschein nach war Paul Stamets gesetzestreu geworden. Schlechtes Timing für mich.

Glücklicherweise hatte ich unrecht. Als ich Stamets zu Hause in Kamilche, Washington, erreichte und ihm erzählte, was ich vorhatte, hätte er nicht hilfsbereiter und entgegenkommender sein können. Wir sprachen lange über Psilocybinpilze, und bald war klar, dass er an ihnen nach wie vor höchst interessiert war. Er wusste alles über die Arbeit an der Hopkins University – und hatte sogar mit dem Hopkins-Team gesprochen, als man dort eine Bezugsquelle für Psilocybin suchte. Mein Eindruck war, dass es Stamets angesichts der Wiederbelebung zulässiger Hochschulforschung leichter fiel, dieses Kapitel in seinem Leben neu aufzuschlagen. Er sagte, er sei gerade dabei, das Psilocybin-Bestimmungsbuch von 1996 zu aktualisieren. Der einzige Misston schlich sich in das Gespräch, weil ich beiläufig den Slangausdruck für Psilocybin fallen ließ, als ich fragte, ob wir uns auf die Suche nach «‘shrooms» begeben könnten.

«Dieses Wort kann ich auf den Tod nicht ausstehen», sagte er ziemlich ernst und schlug den Ton eines Vaters an, der ein unflätiges Kind rügt.

Das Wort kam mir nie mehr über die Lippen.

Am Ende des Anrufs hatte mich Stamets in sein Haus in Washington State, am Little Skookum Inlet am unteren Ende der Olympic-Halbinsel, eingeladen. Ich fragte ihn zaghaft, ob ich zu einer Zeit kommen könne, in der die Psilocybes Fruchtkörper hätten. «Die meisten von ihnen sind schon hinüber», sagte er. «Aber wenn Sie direkt nach Thanksgiving kommen und das Wetter mitspielt, kann ich Sie zum einzigen Ort auf der Welt bringen, an dem Psilocybe azurescens durchgängig gefunden wurde, an der Mündung des Columbia River.» Er nannte den Namen des Parks, in dem er sie früher gefunden hatte, sagte, ich solle dort eine Jurte buchen, und fügte hinzu: «Wahrscheinlich ist es am besten, meinen Namen nicht zu erwähnen.»

In den Wochen vor meiner Reise nach Washington State studierte ich in der Hoffnung, mich auf die Pilzsuche vorbereiten zu können, Stamets‘ Bestimmungsbuch. Offenbar gibt es mehr als zweihundert Arten von Psilocybes, die über die ganze Welt verbreitet sind; es ist unklar, ob das schon immer der Fall war oder ob die Pilze den Spuren der Tiere gefolgt sind, die solch großes Interesse an ihnen zeigten. (Stamets zufolge nutzen Menschen Psilocybinpilze schon seit mindestens siebentausend Jahren für sakramentale Zwecke. Doch auch Tiere nehmen sie manchmal zu sich, aus Gründen, die im Dunkeln bleiben.3)

Psilocybes sind Saprophyten und leben von Kot und totem Pflanzenmaterial. Sie sind Bewohner geschädigter Natur und tauchen zumeist in Lebensräumen auf, die durch ökologische Katastrophen wie Erdrutsche, Überschwemmungen, Stürme und Vulkanausbrüche entstanden sind. Sie gedeihen auch in den von unserer Spezies verursachten ökologischen Katastrophen: abgeholzten Wäldern, Straßenschneisen, im Schlepptau von Planierraupen und auf Landwirtschaftsflächen. (Mehrere Arten leben im und ernähren sich vom Dung von Wiederkäuern.) Seltsamerweise, oder vielleicht auch gar nicht seltsamerweise, kommen die wirksamsten Arten seltener in der Wildnis als in Groß- und Kleinstädten vor; ihre Vorliebe für Lebensräume, die von uns zerstört wurden, hat es ihnen ermöglicht, weit herumzukommen und «Trümmerströmen zu folgen», auch unseren eigenen. In den vergangenen Jahren hat das Mulchen mit Holzschnitzeln den Lebensbereich einer Handvoll wirksamer Psilocybes, die einmal auf den Nordwesten der Vereinigten Staaten beschränkt waren, stark ausgeweitet. Sie gedeihen inzwischen an all den Orten, die wir Menschen «landschaftlich gestalten»: Vorstadtgärten, Baumschulen, Stadtparks, Friedhöfen, Autobahnraststätten, Gefängnissen, Collegecampussen, und sogar, wie Stamets gern ausführt, auf dem Gelände von Gerichtsgebäuden und Polizeirevieren. «Die Psilocybe-Pilze und die Zivilisation entwickeln sich koevolutionär», schreibt Stamets.4

Demnach sollte man meinen, dass diese Pilze ziemlich leicht zu finden wären. Nachdem ich einen Artikel über Psilocybin-Forschung veröffentlich hatte, hat mich ein Student sogar davon in Kenntnis gesetzt, dass Psilocybes nach den Dezemberregenfällen auf dem Campus von Berkeley zu finden sind, wo ich unterrichte. «Suchen Sie in den Holzschnitzeln», riet er mir. Doch als ich die Fotos in Stamets‘ Bestimmungsbuch betrachtete, gab ich die Hoffnung auf, je einen Pilz als Angehörigen der Gattung identifizieren, geschweige denn lernen zu können, wie man eine Art von Psilocybe von einer anderen unterschied.

Den Bildern nach zu urteilen, ist die Gattung lediglich eine große Gruppe von kleinen braunen Pilzen, von denen die meisten völlig unscheinbar sind. Im Vergleich dazu waren die Speisepilze, die ich kannte, so deutlich zu unterscheiden wie Tulpen und Rosen oder Pudel und Deutsche Doggen. Ja, alle Psilocybes haben Lamellen, aber das ist nicht besonders hilfreich, weil Tausende von anderen Pilzen ebenfalls Lamellen haben. Danach versucht man, eine verwirrende Reihe von Merkmalen auszuwählen, die jedoch nicht alle der gesamten Gattung gemeinsam sind. Manche Psilocybes weisen oben einen kleinen nippelförmigen Knubbel oder Höcker auf; wie ich gelernt habe, wird er Nabel genannt; andere haben keinen. Manche waren «viskös» – bei Nässe glitschig oder schleimig, was ihnen einen gewissen Glanz verlieh. Andere waren mattgrau; manche, wie azurescens, waren milchkaramellfarben. Viele, aber nicht alle Psilocybes haben ein «Pellikel» – eine kondomartige Schicht aus gelatinösem Stoff, die die Kappe bedeckt und abgeschält werden kann. Mein Pilz-Wortschatz mochte größer werden, doch mein Selbstvertrauen sank rapide in sich zusammen, fast wie der Pilz, der sich im Lauf eines einzigen Tages in eine tintenschwarze Pfütze zersetzt.

Als ich beim vierten Kapitel, «Die Gefahr der Verwechslung», angelangt war, war ich so weit, das Handtuch zu werfen. «Verwechslungen können bei Pilzen tödlich ausgehen», beginnt Stamets, bevor er ein Foto zeigt, auf dem ein Psilocybe stuntzii zu sehen ist, der Seite an Seite mit einem Trio des von ihm ununterscheidbaren Galerina autumnalis wächst, einem unscheinbaren kleinen Pilz, der, wenn man ihn isst, zu «einem qualvollen Tod führen kann».5

Doch obwohl Stamets Laien, die glauben, Psilocybes erkennen zu können, zu äußerster Vorsicht mahnt, rüstet er auch den Pilzsammler, der nicht völlig entmutigt ist, mit der sogenannten «Stamets‘schen Regel» aus:6 einem dreiteiligen Test, der, so versichert er uns, Tod und Verhängnis abwenden kann.

«Woher weiß ich, dass ein Pilz eine psilocybinerzeugende Art ist oder nicht?»

«Wenn ein Lamellenpilz lilabraune bis schwarze Sporen hat und das Fleisch sich bläulich verfärbt, dann gehört er höchstwahrscheinlich einer psilocybinerzeugenden Art an.» Das ist auf jeden Fall eine große Hilfe, obwohl ich nichts gegen etwas Kategorischeres als «höchstwahrscheinlich» einzuwenden hätte. Dann äußert er einen ernüchternden Vorbehalt: «Ich kenne keine Ausnahme von dieser Regel, aber das heißt nicht, dass es keine gibt!»

Nachdem ich mir die Stamets‘sche Regel eingeprägt hatte, begann ich vielversprechend aussehende Lamellen-LBMs zu sammeln – in den Gärten meiner Nachbarn, auf dem Weg zur Arbeit, auf dem Parkplatz der Bank – und sie ein bisschen zu bearbeiten, um zu sehen, ob sie sich blauschwarz verfärben würden. Das blaue Pigment ist ein Indiz für oxidiertes Psilocin, eine der beiden psychoaktiven Hauptsubstanzen in einem Psilocybe. (Die andere ist Psilocybin, das sich im Körper in Psilocin umwandelt.) Um zu ermitteln, ob der fragliche Pilz lilabraune oder schwarze Sporen hatte, machte ich Sporenpulverabdrücke. Dazu muss man die Kappe eines Pilzes abschneiden und ihn mit den Lamellen nach unten auf ein weißes Blatt Papier legen. (Oder schwarzes Papier, falls Grund zu der Vermutung besteht, dass der Pilz weiße Sporen hat.) Innerhalb weniger Stunden setzt die Pilzkappe ihre mikroskopisch kleinen Sporen frei, die auf dem Papier ein hübsches, schemenhaftes (an einen Lippenstiftkuss erinnerndes) Muster bilden, bei dem man entscheiden muss, ob es lilabraun oder schwarz ist – oder rostbraun, was bedeuten könnte, dass man einen tödlichen Galerina in Händen hält.

Bestimmte Dinge lernt man vielleicht besser eigenhändig statt aus Büchern. Ich beschloss, ehe ich irgendwelche unwiderruflichen Entscheidungen traf, lieber zu warten, bis ich etwas Zeit in Gesellschaft meines mykologischen Vergil verbracht hatte.

Zur Zeit meines Besuchs wohnte Paul Stamets mit seiner Lebensgefährtin Dusty Yao und ihren beiden großen Hunden Plato und Sophie in einem großflächigen neuen Haus am Little Skookum Inlet, das innen und außen aus Unmengen prächtiger heller Douglasie und Zeder besteht. Wie viele Pilzarten hat auch Stamets eine leidenschaftliche Beziehung zu Bäumen und Holz. Ich traf an einem Freitag ein; unsere Reservierung auf dem Zeltplatz galt erst von Sonntagabend an, deshalb hatten wir fast das ganze Wochenende, um über Psilocybes zu sprechen, (andere Pilzsorten) zu essen, einen Rundgang durch die Räumlichkeiten von Fungi Perfecti zu machen und mit den Hunden durch die umliegenden Wälder und an der Küste entlangzustreifen, bevor wir am Sonntagvormittag südwärts an die Grenze von Oregon fuhren, um nach «Azzies» zu suchen.

Dieses Haus sei mithilfe von Pilzen erbaut worden, erklärte Stamets und legte mit seiner Geschichte los, ehe ich auch nur die Gelegenheit hatte, meine Tasche auszupacken. Es hatte die Stelle eines wackligen alten Farmhauses eingenommen, das bei Stamets‘ Einzug von Riesenameisen befallen war. Stamets machte sich daran, eine mykologische Lösung für das Problem zu ersinnen. Er wusste genau, welche Cordyceps-Art die Ameisenkolonie auslöschen konnte, aber das wussten auch die Ameisen: Sie untersuchen alle zurückkehrenden Ameisen auf Cordiceps-Sporen, beißen jeder den Kopf ab, die Sporen an sich trägt, und bringen den Körper weit weg von der Kolonie. Stamets überlistete die Verteidigung der Ameisen, indem er einen mutierten Cordiceps-ähnlichen Pilz züchtete, der die Sporenbildung verzögerte. Er legte ein paar Myzelien davon in eine Puppenhausschüssel seiner Tochter, ließ diese in der Küche auf dem Fußboden stehen und beobachtete in der Nacht, wie eine Prozession von Ameisen das Myzelium ins Nest schleppte – weil sie es für eine sichere Nahrungsquelle hielten. Als der Pilz schließlich Sporen bildete, hatte er sich schon in der Kolonie ausgebreitet, und die Ameisen waren erledigt: Die Cordyceps siedelten sich in ihren Körpern an und ließen Fruchtkörper aus ihren Köpfen hervorbrechen. Es war zu spät, um das Farmhaus zu retten, doch mit dem Erlös aus dem Verkauf seines Patents auf den Pilz konnte Stamets dieses weitaus stattlichere Denkmal für mykologische Genialität errichten.

Das Haus war geräumig und gemütlich; ich hatte im ersten Stock einen ganzen Zimmerflügel für mich. Im Wohnzimmer, wo wir die meiste Zeit des regnerischen Dezemberwochenendes verbrachten, gab es eine hohe, kathedralenartige Decke, einen großen, mit Holz befeuerten Kamin und ein von der gegenüberliegenden Seite des Raums aufragendes, zwei Meter dreißig großes Skelett eines Höhlenbären. Über dem Kamin hängt ein Gemälde von Albert Hofmann. Und weit oben, unterhalb der höchsten Stelle, befindet sich ein großes rundes Buntglasfenster, das «Die Universalität des myzelischen Archetyps» darstellt – ein kompliziertes Muster von blauen Linien an einem Nachthimmel, wobei die Linien zugleich für Myzelien, Wurzeln, Neuronen, das Internet und dunkle Materie stehen.

An den Wänden, die sich vom Wohnzimmer nach oben ziehen, hängen gerahmte Kunstwerke, Fotos und Andenken, darunter auch ein von Ken Kesey und Neal Cassady unterzeichnetes Diplom, das die erfolgreiche Absolvierung eines Merry-Pranksters-Acid-Tests bestätigt. Außerdem mehrere Fotos von Dusty, auf denen sie in Urwäldern mit eindrucksvollen Pilz-Exemplaren posiert, und ein farbenfreudiggrotesker Druck von Alex Grey, dem Doyen der psychedelischen Künstler Amerikas. Der Druck ist Greys Interpretation der sogenannten «Stoned Ape Theory» (Theorie vom berauschten Affen) und zeigt einen frühen, elektrisiert aussehenden Hominiden, der einen Psilocybe in der Hand hält, während ein Wirbel von Abstraktionen aus seinem Mund und seiner Stirn fliegt. Der einzige Grund, warum ich mit dem Bild etwas anfangen konnte, war, dass ich ein paar Tage vorher von Stamets eine E-Mail erhalten hatte, in der er die fragliche Theorie erwähnte: «Ich möchte über die hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, dass die Stoned Ape Theory, erstmals von Roland Fischer vorgelegt und dann neu formuliert und bekannt gemacht von Terence McKenna, vermutlich stimmt – dass [die Einnahme von Psilocybin] eine schnelle Entwicklung des Hominiden-Gehirns zu analytischem Denken und gesellschaftlicher Bindung bewirkt hat. Wussten Sie, dass dreiundzwanzig Primaten (einschließlich des Menschen) Pilze verzehren und wissen, wie man ‹gut› von ‹schlecht› unterscheidet?»

Wusste ich nicht.

Doch die kurze, knapp formulierte E-Mail nahm schon den Verlauf meines Wochenendes mit Stamets vorweg, bei dem ich mich abmühte, die Flut von mykologischen Fakten und Spekulationen aufzunehmen, der man wie bei einem reißenden Fluss nicht standhalten kann, ohne umgeworfen zu werden. Die schiere Brillanz von Stamets‘ Pilzperspektive der Welt kann überwältigend sein, aber nach einer Weile kann sie einen auch klaustrophobisch machen, wie es nur ein wahrhafter Monomane oder Autodidakt fertigbringt – und Stamets ist beides. Bei solchen Menschen schwingt stets die unterschwellige Botschaft mit: Alles ist miteinander verbunden; in diesem Falle ist alles, was man sich vorstellen kann, zufällig durch Pilzmyzelien verbunden.

Ich war neugierig zu erfahren, wie Stamets zu seiner mykozentrischen Weltsicht gekommen war und welche Rolle Psilocybinpilze dabei gespielt haben mochten. Stamets ist als jüngstes von fünf Kindern in der Kleinstadt Columbiana unweit von Youngstown, Ohio, aufgewachsen. Die Maschinenbaufirma seines Vaters machte Konkurs, als Paul noch klein war, und mit seiner Familie «ging es schnell den Bach runter». Sein Dad verfiel dem Alkohol, und Paul nahm sich seinen älteren Bruder John zum Vorbild.

Der fünf Jahre ältere John war ein aufstrebender Wissenschaftler – er erhielt ein Stipendium, um Neurophysiologie studieren zu können –, der sich «im Keller ein ausgezeichnetes Labor» eingerichtet hatte, ein Reich, das Pauls Vorstellung vom Paradies war, zu dem John dem jüngeren Bruder aber nur selten Zutritt gewährte. «Ich dachte, es gäbe in allen Häusern Labore, also fragte ich, wenn ich bei einem Freund war, wo sich das Labor befände.» Das Ringen um Johns Anerkennung wurde zur Antriebskraft in Pauls Leben, was vielleicht erklärt, warum Stamets so großen Wert darauf legt, dass seine Arbeit vom wissenschaftlichen Mainstream anerkannt wird. John war sechs Monate vor meinem Besuch an einem Herzinfarkt gestorben, und wie es der Zufall wollte, erfuhr Paul am selben Tag von seiner Ehrung durch die AAAS. Sein Tod war ein Verlust, von dem sich Paul noch nicht erholt hatte.

Als Paul vierzehn war, erzählte ihm John von Magic Mushrooms, und als John nach Yale ging, ließ er das Buch Altered States of Consciousness zurück, das auf Paul einen gewaltigen Eindruck machte. Herausgegeben von dem Psychologen Charles T. Tart, ist das Buch eine dicke Anthologie wissenschaftlicher Schriften über außergewöhnliche Geisteszustände, in denen das ganze Spektrum von Traum und Hypnose bis zu Meditation und Psychedelika abgedeckt ist. Doch der Grund, warum das Buch so einen bleibenden Eindruck bei Stamets hinterließ, hatte weniger mit dem Inhalt zu tun, so provokativ er auch war, als mit der Reaktion, die das Werk bei bestimmten Erwachsenen auslöste.

«Mein Freund Ryan Snyder wollte es sich ausleihen. Seine Eltern waren stockkonservativ. Als ich ihm eine Woche später sagte, dass ich es zurückhaben wollte, zögerte er und hielt mich hin. Eine weitere Woche verstrich, ich verlangte das Buch noch mal zurück, und schließlich gestand er, was passiert war. ‹Meine Eltern haben es entdeckt und verbrannt.›

Sie haben mein Buch verbrannt?!? Das war für mich ein Schlüsselmoment. Ich betrachtete die Snyders als Feinde, die versuchten, die Erforschung des Bewusstseins zu unterdrücken. Aber wenn das so machtvolle Informationen waren, dass sie sich gezwungen sahen, das Buch zu vernichten, dann waren das machtvolle Informationen, die ich unbedingt haben musste. Deshalb bin ich ihnen zu Dank verpflichtet.»

Stamets ging aufs Kenyon College, wo er im ersten Jahr «eine tiefgehende psychedelische Erfahrung» hatte, die in seinem Leben die Weichen stellte. So weit er zurückdenken kann, wurde Stamets von einem lähmenden Stottern behindert. «Das war für mich ein Riesenproblem. Ich habe immer auf den Boden geblickt, weil ich Angst hatte, jemand könnte mich ansprechen. Einer der Gründe, warum ich so gut im Pilzesuchen bin, ist, dass ich immer nach unten geschaut habe.»

An einem Frühlingstag gegen Ende seines ersten Studienjahrs ging er nachmittags allein den bewaldeten Bergrücken oberhalb des Campus entlang und aß in der Überzeugung, es sei eine angemessene Dosis, eine ganze Tüte Pilze, vielleicht zehn Gramm. (Vier Gramm sind schon viel.) Als das Psilocybin zu wirken begann, erblickte Stamets eine besonders schöne Eiche und beschloss, sie zu erklimmen. «Beim Hinaufklettern wurde ich buchstäblich immer higher.» In diesem Moment verdunkelte sich der Himmel, und am Horizont leuchtete ein Gewitter auf. Der Wind schwoll an, während das Gewitter näher kam, und der Baum begann zu schwanken.

«Mir wurde schwindlig, aber ich konnte nicht runterklettern, ich war zu berauscht, also schlang ich bloß die Arme um den Baum und hielt mich fest. Der Baum wurde zur axis mundi und verwurzelte mich mit der Erde. ‹Das ist der Baum des Lebens›, dachte ich; er dehnte sich in den Himmel und verband mich mit dem Universum. Und plötzlich ging mir auf: Ich werde vom Blitz erschlagen! Alle paar Sekunden schlägt er ein, mal hier, mal da, überall ringsum. Die Erleuchtung vor Augen, werde ich von einem Stromschlag getötet. Das ist mein Schicksal! Die ganze Zeit wurde ich von warmem Regen durchnässt. Inzwischen weinte ich, überall war Flüssigkeit, doch ich fühlte mich auch eins mit dem Universum.

Und dann sagte ich mir: Was mache ich, wenn ich das hier überlebe? Paul, sagte ich, du bist nicht dumm, aber die Stotterei hemmt dich. Du kannst den Frauen nicht in die Augen sehen. Was sollte ich tun? Hör auf zu stottern – das wurde mein Mantra. Hör auf zu stottern, sagte ich ein ums andere Mal.

Das Gewitter zog irgendwann weiter. Ich stieg von dem Baum, kehrte in mein Zimmer zurück und legte mich schlafen. Das war bis jetzt die wichtigste Erfahrung meines Lebens, und zwar aus folgendem Grund: Als ich am nächsten Morgen den Gehsteig entlangging, kam mir das Mädchen entgegen, zu dem ich mich hingezogen fühlte. Sie war unerreichbar für mich. Als sie auf mich zukam, sagte sie: ‹Guten Morgen, Paul. Wie geht‘s dir?› Ich sah sie an und sagte: ‹Mir geht‘s fantastisch.› Ich stotterte nicht! Und habe es seither auch nicht mehr getan.

Und da habe ich begriffen, dass ich mich mit diesen Pilzen befassen wollte.»

In erstaunlich kurzer Zeit entwickelte Stamets sich zu einem der führenden Experten Amerikas für die Gattung Psilocybe. 1978 veröffentlichte er im Alter von dreiundzwanzig Jahren sein erstes Buch, Psilocybe Mushrooms and Their Allies – wobei er unter ihren Verbündeten uns versteht, das Tier, das am stärksten zur Verbreitung ihrer Gene und, wie es Stamets jetzt als seine Berufung betrachtete, ihrer planetarischen Heilsbotschaft beigetragen hatte.

Stamets erhielt seine mykologische Ausbildung nicht am Kenyon College, das er nach einem Jahr verließ, sondern am Evergreen State College, das Mitte der 1970er Jahre eine neue experimentelle Hochschule in Olympia, Washington, war, an der die Studenten ihren Studienverlauf frei und eigenverantwortlich gestalten konnten. Ein junger Professor namens Michael Beug, der einen Abschluss in ökologischer Chemie hatte, nahm Stamets und zwei weitere vielversprechende, von Pilzen besessene Studenten unter seine Fittiche: Jeremy Bigwood und Jonathan Ott. Beug war von der Ausbildung her kein Mykologe, doch die vier bewältigten das Thema gemeinsam, mithilfe eines Elektronenmikroskops und einer Lizenz der Drogenbehörde, die Beug irgendwie beschafft hatte. Solchermaßen ausgestattet, richteten die vier ihre Aufmerksamkeit auf eine Gattung, die die restliche Forschung des Fachgebiets im Allgemeinen in betretenem Schweigen überging.

Die Psilocybinpilze, seit 1970 verboten, waren damals hauptsächlich für die Gegenkultur von Interesse, als sanftere, natürlichere Alternative zu LSD, doch über ihren Lebensraum, ihre Verbreitung, ihren Lebenszyklus oder ihre Wirkungsstärke war nur wenig bekannt. Man glaubte, psychedelische Pilze seien im Süden Mexikos heimisch, wo R. Gordon Wasson sie 1955 «entdeckt» hatte. In den 1970er Jahren wurde der größte Teil des Psilocybins, das in Amerika im Umlauf war, aus Lateinamerika importiert oder im Inland aus Sporen lateinamerikanischer Arten, vor allem cubensis, gezüchtet.

Die Evergreen-Gruppe konnte mehrere beachtliche Erfolge verbuchen: Man identifizierte und veröffentlichte drei neue Psilocybin-Arten, perfektionierte Methoden zum Anbau in Gebäuden und entwickelte Techniken zur Messung des Psilocin- und Psilocybinspiegels in Pilzen. Aber der vielleicht wichtigste Beitrag der Gruppe bestand darin, die Aufmerksamkeit der Leute, die sich für Psilocybes interessierten, vom Süden Mexikos auf den Nordwesten der Vereinigten Staaten zu verlagern. Stamets und seine Kollegen fanden überall in ihrer Umgebung neue Arten von Psilocybinpilzen und veröffentlichten die Funde. «Man konnte geradezu spüren, wie sich die Erdachse dieser Weltgegend zuneigte.» Überall wo man hinfuhr, erinnert sich Stamets, konnte man Leute sehen, die, vornübergebeugt in der sogenannten «Psilocybin-Bückhaltung», auf Feldern und Rasenflächen seltsame Muster hinterließen.

In dieser Zeit wurde der Nordwesten zum neuen Gravitationszentrum der amerikanischen Psychedelik-Kultur, und das Evergreen State College diente de facto als geistiger Knotenpunkt und Forschungs- und Entwicklungseinrichtung. Von 1976 an organisierten Stamets und seine Evergreen-Kollegen eine Reihe inzwischen legendärer Pilztagungen, auf denen die führenden Köpfe des Wissenschafts- und des Laienflügels der psychedelischen Welt zusammenkamen, und im Verlauf meines ersten Abends in seinem Haus kramte Stamets ein paar VHS-Kassetten von der letzten dieser Tagungen im Jahre 1999 hervor. Les Blank hatte alles gefilmt, aber wie so oft bei der Dokumentation solcher psychedelischen Treffen schaffte es niemand richtig, das Ganze zu schneiden, und so blieb es Rohmaterial.

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