Читать книгу: «Die Maske des Pharaos», страница 14

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Plötzlich kam mir eine fürchterliche Erkenntnis. Mein ganzer Körper wurde mit einem Mal eiskalt. Das war kein Schnarchen. Das war ein Knurren!

Mein Kopf schnellte herum. Ein Dobermann! Auf einer unansehnlichen Hundedecke neben der Heizung lag ein riesiger Dobermann, der sich in eben dem Moment aufrichtete, als ich ihn entdeckte. Seine Lefzen nach oben gezogen, sah ich seine blitzenden weißen Zähne. Und was waren das für Zähne! Dobermänner sind eigentlich schlanke Tiere, aber der hier hatte einen gewaltigen Brustkorb und war bestimmt so groß wie eine kleine Dogge. Sein bösartiges Knurren verstärkte sich. Das Tier sprang auf die Beine und bellte los. Ein wütendes und verdammt unmissverständliches Bellen. Das Letzte, bevor er angreifen würde!

Ich stand wie erstarrt. Ich liebe Hunde. Ich liebe alle Hunde. Aber dieser hier liebte mich nicht! Und dann war alles aus. Sein Herrchen wachte von dem Gebell auf und schaute verwirrt um sich. Aber dann begriff er, was vor sich ging. Er packte die Maske und erhob sich vom Sofa. In dem Moment machte der Hund einen Satz nach vorn, blieb aber dann doch noch einmal stehen. Sabber lief aus seiner Schnauze, und das Knurren war jetzt in einer derart tiefen Tonlage, dass es in alle meine Nerven drang. Was um Gottes Willen sollte ich jetzt tun? Ich war versucht, um Hilfe zu schreien, damit Tommy mich hörte und die Polizei rufen würde. Aber bis dahin hatte mich der Hund wahrscheinlich aufgefressen oder der Kerl mich niedergeschossen. Das Riesenviech zuckte schon wieder nach vorn, und der Gangster machte nicht die geringsten Anstalten, seiner Bestie Einhalt zu gebieten. Die Eingebung kam wie ein Blitz in meinen Kopf. Der Zeitsand! Aber das Glas war noch verschlossen und ich hatte die Holografie in der anderen Hand!

Satan!“, brüllte der Gangster auf einmal. „Stell ihn!“

Satan hieß das Monster! Na, das passte ja! Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren oder gar zum Überlegen. Als der Hund lossprang und mich packen wollte, warf ich die Holografie in den Flur und schrie Raus! Dann schwang ich die Wohnzimmertür mit einem Ruck ganz nach innen, und der Dobermann prallte mit seinem Körper voll dagegen und jaulte auf. Blitzschnell zog ich den Verschluss von dem Glas mit Zeitsand ab, und in der Sekunde, in der sich der schwarze Bluthund schüttelte und wieder aufrappelte, kippte ich es nach vorn und verschüttete eine Ladung davon. Noch während die Welt um mich verwischte und konturlos wurde, sprang ich durch die Wohnungstür. Es war ein Gefühl, als würde ich in Watte gepackt sein, und meine Bewegungen erschienen mir wie in Zeitlupe. Aber es klappte. Draußen im Hausflur knallte mit Tommy zusammen.

Voller Panik und Erschrecken klammerten wir uns aneinander.

Pass auf!“, brüllte Tommy. „Du verschüttest den Zeitsand!“

Ruckartig hielt ich das Glas wieder gerade und wir lösten uns voneinander. Ich drückte den Verschluss wieder auf die Öffnung und vergewisserte mich, dass er fest saß. Dann erst lauschten wir in den Flur und an der Wohnungstür, ob irgendein Geräusch zu vernehmen war. Doch keiner der Mieter öffnete die Tür, um nachzusehen, wer da soviel Lärm gemacht hatte. Unser Atem ging stoßweise und erst, nachdem mehrere Minuten vergangen waren und aus der Wohnung der beiden Gangster kein Laut drang, beruhigten wir uns langsam.

Diesmal brauchte ich nicht so lange wie sonst. Suchend blickte ich mich um. Da lag sie! Ich nahm meine Holografie wieder an mich.

„Was ist denn bloß passiert?“, drängte Tommy. „Nun sag schon!“

Da ich wusste, dass wir die Zeit um einiges zurückgedreht hatten, erzählte ich Tommy in Ruhe, was mir in der Wohnung widerfahren war. Seine Augen wurden immer größer. Dann standen schweigend herum. Was jetzt?

„Gegen den Hund hilft auch kein Zeitsand“, sagte Tommy zerknirscht. „Der wird immer da sein, egal, wie weit du zurückdrehst.“

Ich nickte. Auch mir war klar, dass wir mit dem Zeitsand hier nicht weiterkommen würden. Im Moment schliefen die da drin bestimmt wieder tief und fest. Aber wenn ich in die Wohnung zurückging, ging das Theater von vorne los. Wir mussten uns etwas anderes einfallen lassen. Wie macht man einen Hund unschädlich? Nein, ich wollte ihn ja nicht gleich unschädlich machen. Nur ungefährlich. Und dann kam mir die Eingebung. Ich grinste von einem Ohr zum anderen. Tommy starrte mich an, als sei ich ein völlig Fremder.

„Was ist denn jetzt los? Das ist doch nicht lustig!“

„Nein, ist es nicht“, meinte ich. Ich überlegte kurz, denn wenn meine Idee nicht funktionierte, dann hatte ich diese Bestie gleich wieder am Hals. Im wahrsten Sinne des Wortes!

„Hast du Hunger?“, fragte ich.

„Ja, schon“, sagte Tommy. „Aber ich kann doch jetzt nichts essen! Bist du verrückt geworden?“

„Nein. Bin ich nicht. Aber ich hab ein Leberwurstbrötchen!“ Und Tommys völlig verständnislosen Blicken zog ich mein in eine Papierserviette eingewickeltes Brötchen hervor, das ich vorhin in der Cafeteria eingesteckt hatte.

„Du müsstest eigentlich wissen, dass Leberwurst unwiderstehlich für Hunde ist! Wenn du Leberwurst hast, liebt dich jeder Hund!“

„Hm ... “, zweifelte Tommy. „Aber liebt der auch jemanden mit Leberwurst, der in sein Territorium einbricht?“

Ich schluckte.

„Aber es könnte funktionieren. Ich werde das Glas Zeitsand gleich offen lassen, wenn ich wieder reingehe. Und wenn der Hund meine Wurst nicht mag, komm ich sofort wieder raus.“

„Du willst wirklich wieder reingehen?“ Tommy sah mich an wie einen Geist.

„Ja“, sagte ich wild entschlossen. „Wie spät ist es?“

„Zehn vor zehn.“

„Also wir schaffen es nur jetzt oder nie. Diesmal brauch ich die Tür erstmal nicht so weit aufmachen. Da kann ich notfalls so wieder raus. Du wartest doch hier, oder?“

„Pass bloß auf! Ohne Zeitsand und Holografie und vor allem ohne Joe bin ich aufgeschmissen!“

Wir grinsten uns an. Komisch, ich hatte in diesem Moment alle Angst abgelegt. Ich nickte Tommy zu. Dann nahm ich die Holografie, rief leise Ich will da rein! und warf die Kugel in die Luft. Ich sah gar nicht mehr zu, wie sie anfing, sich zu drehen und die Tür durchdrang, sondern nahm den Verschluss vom Zeitsand ab, steckte ihn in die Hosentasche und ging dann ohne zu Zögern mitten durch die Wohnungstür.

Ich verlor keine Sekunde mit Herumschauen. Die Holografie lag in derselben Ecke des Flures wie vorhin, aber ich konnte sie jetzt nicht aufheben, weil ich beide Hände brauchte. Äußerst vorsichtig stellte ich das Glas Zeitsand auf dem Boden ab. Dann nahm ich das Brötchen, klappte die Hälften auseinander, nahm etwas von der Wurst und rieb mir damit die Hände ein. Ich klappte das labbrige Ding wieder zu und ging neben der Wohnzimmertür in die Hocke.

Diesmal drückte ich die Tür mit der rechten Hand auf. Langsam, ganz langsam entstand ein Spalt. Als er für meine Zwecke groß genug war, schob ich das Brötchen hindurch. Dann nahm ich den Zeitsand in die linke Hand, erhob mich und wartete.

Viele Sekunden vergingen. Ich lauschte so angestrengt, dass ich nicht einmal zu atmen wagte. Dann jedoch hörte ich ein flauschiges Tapsen. Konnte es sein ... ?

Das Wohnzimmer war mit dickem Teppichboden ausgelegt, dass es eigentlich unmöglich schien, Hundepfoten hören zu können. Aber doch! Plötzlich erschien die Nase des Dobermanns im Spalt der Tür! Starr wie eine Statue im Tempel der Artemis stand ich da und beobachtete den Hund. Jetzt sah ich den ganzen Kopf von Satan. Neugierig schnüffelte das Kerlchen am Brötchen, und dann schaute das riesige Tier hoch und mir direkt in die Augen! Während ich versuchte, mich genau daran zu erinnern, wo die Holografie lag, falls Satan doch keine Leberwurst mochte und auf die Idee kam, die Tür aufzudrücken, um mir an die Kehle zu gehen, begann ich, leise auf ihn einzureden.

„Lecker Fresschen für dich, braver Hund! Gaaanz brav ... “

Ich sprach so leise wie nur möglich, um den schlafenden Gangster auf dem Sofa nicht zu wecken. Aber ich brauchte gar nicht so viel reden. Der Geruch von Leberwurst hat noch jeden Hund zahm gemacht! Nicht ein bisschen Knurren oder Zähnefletschen kam von Satan. Nach einem kurzen neugierigen Blick auf mich wandte er sich meinem Brötchen zu und leckte es genüsslich ab. Dann nahm er das inzwischen recht unansehnliche Ding vorsichtig in die Schnauze, legte sich platt auf den Boden, warf den Kopf hoch und Schnapp war das nicht gerade kleine Teil mit zwei Schlucken im Rachen verschwunden. Jetzt musste ich handeln. Wenn ich gewinnen wollte, ging das nur in den nächsten Sekunden. Leise weiter vor mich hinredend, hielt ich meine rechte, mit Leberwurst eingeschmierte Hand durch die Tür und versuchte, nicht an irgendein Angstgefühl zu denken, weil das jeder Hund sofort mitbekommt.

Satan stand auf.

Er kam zu mir und leckte mir die Hand ab! Blitzschnell traf ich eine Entscheidung. Wenn ich jetzt in das Zimmer hineinging, würde ich die Holografie und den Zeitsand im Flur lassen müssen, während ich mich von diesem Kampfhund ablecken lassen musste. Gleichzeitig musste ich versuchen, die Maske mit der anderen Hand zu nehmen. Verdammt, warum hatte ich keine vier Hände?

Während das schwarze Riesenviech mich abschlabberte, stellte ich den Zeitsand wieder ab und drückte die Tür behutsam nach innen auf. Nur soweit, dass ich durchpasste. Satan aber auch! durchfuhr es mich. Aber das war jetzt egal. Entweder der Hund akzeptierte mich als den Freund mit der leckeren Leberwurst oder er überlegte es sich und ich war geliefert.

Ich war im Zimmer. Der Kerl auf dem Sofa schlief tief und fest. Also los. Mit dem schlabbernden Satan an der Hand ging ich langsam die wenigen Schritte hinüber und postierte mich vor dem Schlafenden. Der Hund interessierte sich überhaupt nicht für das, was ich tat, sondern ausschließlich für meine verdammt leckere Hand. Aber irgendwann würde er auch das allerletzte Leberwurstmolekül abgeleckt haben. Und dann? Nein, jetzt oder nie!

Dummerweise hatte ich mir die rechte Hand mit der Wurst eingeschmiert und musste nun mit meiner schwächeren linken die Maske anheben. Ich griff sie von der Seite und nahm sie behutsam von der sich hebenden und senkenden Brust des schnarchenden Kerls. Jetzt traten mir doch Schweißperlen auf die Stirn, aber ich zog das durch. Das goldene Stück war so schwer, dass meine Hand sofort zu zittern anfing. Mit einem Ruck nahm ich sie und klemmte sie unter den linken Arm. Geschafft!

Der Gauner rührte sich nicht. Der schlief den Schlaf des Ungerechten. Ich begann, Satans Kopf mit der nun wohl leberwurstfreien Hand zu streicheln und machte mich auf den Rückzug. Mit meinem neuen Freund im Schlepptau zwängte ich mich durch den Spalt der Wohnzimmertür und stand wieder im Flur. Jetzt blieb nur noch ein Problem. Ich hatte drei Sachen, aber nur zwei Hände. Die Holografie konnte ich ja werfen. Für einen fürchterlich langen Moment musste ich die Maske an die Wand lehnen. Ich hatte Bauchschmerzen, dass der Gauner aufwachen, durch die Tür stürzen und mich noch erwischen könnte. Aber ich schüttelte alle Gedanken daran ein letztes Mal ab. Ich fingerte den Verschluss des Zeitsands aus der Hosentasche, verschloss unter den neugierigen Augen Satans das Glas wieder und behielt es in der Hand. Dann bückte ich mich und hob die Holografie auf. Mit einem letzten Braves Hundchen ... warf ich sie in die Luft und rief leise Raus! Noch während sich die Kugel grün färbte, ihre Drehungen verstärkte und sie durch die Tür verschwand, nahm ich die Maske mit der rechten Hand auf, sagte: Tschüss, Satan! und sprang mitten durch die Eingangstür in den Hausflur!

Dann passierte dreierlei. Ich rempelte Tommy an, der überrascht nach hinten stolperte, drinnen fing Satan auf einmal an wie wild zu bellen, vielleicht, weil sein Leberwurstfreund für immer verschwinden wollte, und zu allem Überfluss ging auch noch die gegenüberliegende Wohnungstür auf und ein erstauntes Männergesicht erschien.

Nimm die Maske!“, brüllte ich Tommy an und knallte ihm das Goldstück in die Arme. Dann suchten meine Augen unter den verwirrten Blicken des Nachbarn hektisch den Treppenabsatz ab. Da endlich entdeckte ich die Holografie, direkt vor den Füßen des glotzenden Mannes. Ich sprang hin, hob meinen Schatz auf und schrie „Los, weg hier!“

Ich war nicht der einzige, der schrie. Hinter der Wohnungstür der Gangster ertönte auf einmal ein unbeschreiblicher Lärm. Unter das Hundegebell mischte sich das Wutgeschrei eines Mannes. Wir verloren keine Sekunde. Der völlig verdutzte Nachbar sagte etwas, aber wir hörten ihn nicht mehr. Wie wild polterten wir die Treppen hinunter und ich betete, dass ich nicht hinfiel, da ich doch beide Hände voll hatte und mich nicht am Geländer festhalten konnte. Tommy war einen Tick schneller als ich und hielt mir unten die Tür auf. Wie der Blitz schossen wir aus dem Haus ins Freie.

Wohin?

„Der Köter kann uns verfolgen! Der riecht uns doch!“, stieß Tommy atemlos hervor. Ich wollte es beim besten Willen nicht darauf ankommen lassen, ob Satan noch immer mein Freund sein würde, und meine Gedanken überschlugen sich.

In die U-Bahn!“, brüllte ich und rannte los, ohne auf die Reaktion von Tommy zu warten. Wir rannten die Paulstraße hinunter, umkurvten Passanten und verschwendeten keine Sekunde damit, uns umzudrehen. Doch es war kein Hecheln eines auf uns gehetzten Bluthundes hinter unseren Rücken zu hören. Allein schon der Gedanke daran machte mir solche Beine, dass ich jeden Bundesjugendwettbewerb in unserer Schule mit der Laufzeit gewonnen hätte, die wir bis zur U-Bahn-Station brauchten.

Immer zwei Stufen auf einmal nehmend verschwanden wir im Untergrund. Als wir den Gang entlang zum Bahnsteig rannten, fiel mir ein, dass sonntags die Züge nur alle zehn Minuten kamen! Bitte, lieber Gott, mach, dass er jetzt kommt, flehte ich. Es war nicht zu glauben, aber das Glück blieb uns erhalten, denn als wir um die Ecke bogen, hörten wir gerade die Stimme der Abfertigung: Zurückbleiben bitte! Aber zurückbleiben wollten wir wahrhaftig nicht! Wir sprinteten die letzten Meter zum Zug und schlüpften gerade noch durch die Türen, als sie schon begannen, sich zu schließen. Mit einem leichten Ruckeln fuhr die Bahn an, und Tommy und ich blickten uns keuchend, aber überglücklich an. Mit einem Augenzwinkern verbarg er die Maske unter seiner Jacke.

Als die U-Bahn in den Tunnel fuhr, war mir, als würde ich einen schwarzen, vierbeinigen Schatten in die Station huschen sehen.

*

Die Maske

Als wir an der Station, an der wir in den Bus nach Hause umsteigen mussten, die Stufen vom U-Bahnhof nach oben hasteten, fummelte Tommy schon sein Handy aus der Jacke.

„Ich sende gleich wir haben sie“, dann können die beiden gleich zu Janine nach Hause vorfahren!“

Während ich auf den Verkehr achtete, als wir die Straße überquerten, suchte Tommy die SMS raus und sandte sie ab. Dann stellten wir uns in einen Hauseingang hinter der Haltestelle und warteten auf den Bus. Verstohlen schauten wir die Straße runter, ob sich irgendetwas Verdächtiges zeigte, aber es kam niemand. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, dass die Gangster herauskriegen würden, an welcher Station wir ausgestiegen waren.

Plötzlich klingelte das Handy. Wir fuhren erschrocken zusammen. Tommy schaute auf das Display.

„Es ist Janine!“

Er drückte auf Empfang, sagte nur: Ja, Janine?“ und hörte dann nur noch zu. Ab und zu nickte er. Janine redete so laut, dass ihre Stimme als Wispern bis zu mir hinüber drang. Dann beendete Tommy das Gespräch. Sein Gesicht war ernst.

„Janines Mutter wurde gestern ins Krankenhaus gebracht. Ihr ging es auf einmal ziemlich schlecht. Deswegen hat ihr Vater bei euch angerufen. Wir können nicht zu ihr nach Hause, sondern müssen ins Krankenhaus. Sanne und Janine sind schon losgefahren.“

„In welches Krankenhaus?“

„Dreimal darfst du raten!“

„Etwa ins ... ?“

Tommy nickte. „Ganz recht, ins Sophien-Krankenhaus! Die ganze Zeit über waren wir dicht bei Janines Mutter und wussten es nicht. Wir hätten schon im Krankenhaus versuchen müssen, die Maske wiederzukriegen.“

„Wie denn?“, fragte ich kopfschüttelnd.

„Hast ja Recht. Aber jetzt haben wir sie ja. Los, wir müssen wieder in die U-Bahn! Wie spät ist es?“

Ich sah auf die Uhr. „Halb elf! Das schaffen wir nie!“

„Komm schon!“, rief Tommy und rannte los. Wieder rasten wir U-Bahn-Treppen hinunter. Wir brauchten auch diesmal nicht lange warten, aber die zwei, drei Minuten, die es dauerte, bis der Zug einfuhr, zogen sich in die Länge wie Kaugummi.

Fünfzehn Minuten später waren wir im Krankenhaus.

Es war heute schon das zweite Mal, dass uns Sanne und Janine am Haupteingang entgegensahen. Und sie hatten unsere Hunde mitgebracht! Als die beiden uns bemerkten, jaulten sie vor Freude und zogen wie wild an ihren Leinen, mit denen die Mädchen sie an Fahrradständern festgemacht hatten. Wir knuddelten die beiden kurz. Für mehr war jetzt keine Zeit.

„Wir sind auch gerade angekommen.“ Janine war total hibbelig. Ihr Blick irrte von einem zum anderen und blieb dann an Tommys Jacke hängen, unter der sich die Ausbeulung der Maske abzeichnete. Tommy nickte und klopfte mit der Hand gegen die Jacke.

„Hier ist sie. War verdammt gefährlich, das Ding wiederzubekommen. Joe hat einen Dobermann besiegt!“

„Echt?“, fragte Sanne bewundernd.

„Echt“, sagte ich. „Aber das erzähl ich dir später. Wir haben nur noch anderthalb Stunden Zeit. Wir müssen jetzt zu Janines Mutter!“

„Nun kommt doch endlich!“, drängte Janine. Wir durften jetzt wirklich keine Zeit verlieren. Wir redeten beruhigend auf unsere Hunde ein, damit sie verstanden, draußen warten zu müssen, drückten uns durch die Drehtür und fragten an der Anmeldung nach Janines Mutter.

„Hast du nicht heute früh erst deine Tante besucht?“, fragte Schwester Annerose mit irritiertem Blick. „Und deine Mutter hast du vergessen? Die beiden liegen gleichzeitig in unserem Krankenhaus, und du vergisst deine Mutter? Findest du das nicht ein bisschen merkwürdig?“

Tommy hatte keine Lust, lange zu diskutieren. Und wir alle keine Zeit.

„Es ist nicht meine Mutter, sondern die von Janine, meiner Freundin hier. Und außerdem wussten wir bis eben gar nicht, dass sie ins Krankenhaus musste. Wir waren nicht zu Hause.“

„So, so, nicht zu Hause“, grummelte die Schwester mit finsterer Miene. „So ist die Jugend heute, treibt sich nachts herum und die Eltern kommen um vor Sorgen ...“

Bitte, liebe Schwester ...“, drängelte Janine mit Tränen in den Augen, „bitte sagen Sie mir, wo meine Mutter liegt. Ich muss doch zu ihr ...“

Die strenge Schwester ließ sich durch ihre verzweifelte Miene wohl doch erweichen und suchte die Daten heraus.

„Station 2, Zimmer 226. Das ist gleich hier den Gang runter auf der linken Seite. Aber meldet euch vorher bei der Stationsschwester in Zimmer 202. Ach ja, noch etwas. Ihr habt hier heute Morgen eure Blumen vergessen. Auf die Station 2 dürft ihr sie auch nicht mitnehmen. Also nehmt sie bitte nachher mit nach Hause. Ich hab keine Lust, sie für euch zu entsorgen.“

„Keine Angst, machen wir!“, rief Sanne über die Schulter zurück, als wir schon längst in den Gang eingebogen waren.

Während wir den Gang entlangliefen, suchten unsere Augen die Türen nach den Nummern ab. Dann standen wir vor der Tür mit der Aufschrift 202. Die Tür stand halb offen und ich sah, wie drinnen jemand hin- und herging.

„Warum sollen wir uns denn hier melden?“, fragte Sanne ungeduldig. „Lasst uns doch gleich zu 226 gehen!“

„Hm ...“, machte Tommy. „Du hast Recht. Womöglich halten die uns nur auf. Wenn es deiner Mutter gerade sehr schlecht geht, lassen die uns vielleicht gar nicht zu ihr. Los, kommt, gehen wir gleich zu ihr!“

In dem Moment, als wir weitergehen wollten, drangen laute Stimmen aus dem Stationszimmer zu uns auf den Gang. Der Name von Janines Mutter fiel und wir hielten inne. Drinnen wurde gerade über ihre Mutter gesprochen!

„Wartet einen Moment“, sagte Tommy leise. Wir drängten uns vor die Tür und hofften, dass Schwester Annerose oder irgendeine andere Schwester uns jetzt nicht sehen würde. Es sah nicht nur so aus, als ob wir lauschten. Wir taten es wirklich. Und was wir zu hören bekamen, jagte uns einen fürchterlichen Schrecken ein.

„Ich habe gegen diese Operation gestimmt! Sie ist viel zu gefährlich! Du warst doch dabei, warum hast du nichts gesagt?“

„Du weißt doch, wie der Professor ist! Je mehr du dagegen bist, desto mehr verbeißt er sich in seine Meinung.“

„Aber die Frau ist in einem geschwächten Zustand! So eine Operation ist viel zu belastend! Das kann schief gehen!“

Ich stand dicht neben Janine und spürte, wie sie anfing zu zittern. Mein Gott, was hatten die getan? Ich konnte zwar niemanden sehen, aber es war vollkommen klar, dass sich in diesem Zimmer zwei Ärzte über das Schicksal von Janines Mutter unterhielten. Voller Sorge lauschten wir weiter.

„Sag das bloß nicht auf der Konferenz! Der Alte sitzt immer noch am längeren Hebel.“

„Ich weiß nicht. Wir können das nicht ewig durchgehen lassen. Mit seinen fünfundsechzig Jahren hätte er längst aufhören müssen. Wenn das jetzt schief geht, dann werde ich reden!“

Janine begann hemmungslos zu schluchzen. Ich versuchte, sie zu beruhigen, aber das war unmöglich. Und ich verstand das. Ihre Mutter war in Lebensgefahr! Sanne umarmte Janine und führte sie ein paar Meter weit weg. Tommy und ich lauschten weiter.

„Wird schon gut gehen. Bis jetzt hat der Alte immer unglaubliches Glück gehabt.“

„Ich habe gehört, die Frau hat zwei Kinder ...“

Dann war Stille. Sekundenlang hörten wir nichts. Ich trat näher an die Tür heran, doch plötzlich wurde sie aufgerissen und ein Mann in weißem Kittel starrte mich böse an.

„Was habt ihr hier zu lauschen?“

Ich bekam kein Wort heraus. Tommy half mir aus der Klemme.

„Wir haben gehört, was sie über die Mutter unserer Freundin gesagt haben.“ Er deutete auf Janine, die in Sannes Armen lag und nicht zu beruhigen war. „Warum haben Sie solche Angst vor ihrem alten Professor? Sagen Sie ihm, er soll sofort mit der Operation aufhören!“

Der Arzt war blass geworden. Die Tür schwang jetzt ganz auf und sein Kollege erschien mit fragender Miene im Blickfeld.

„Was ist denn hier los?“

„Sie haben alles mit angehört“, sagte der jüngere der beiden tonlos. „Das Mädchen da hinten ist die Tochter unserer Patientin.“

Dem anderen fuhr sichtlich der Schreck in die Glieder. Alle Farbe wich ihm aus dem Gesicht.

„Mein Gott!“, stotterte er. „Wie lange steht ihr hier schon?“ Er schaute hinüber zu Janine und seine Miene verriet Sorge und Mitleid.

„Wir können die Operation jetzt nicht mehr verhindern. Sie läuft bereits seit einer halben Stunde. Macht euch bitte nicht solche Sorgen. Es wird schon gut gehen.“

Es wird schon gut gehen?“, schrie Sanne außer sich. „Es wird schon gut gehen? Wie können Sie so was sagen! Gerade haben Sie gesagt, es kann schief gehen!“

Der Arzt guckte Sanne unglücklich an. Janine konnte überhaupt nicht sprechen, so sehr weinte sie.

„Hört mal, es ist doch oft so, dass man verschiedene Meinungen hat. Eure Mutter ist schwer krank. Eine Operation ist niemals ungefährlich. Aber wenn man nichts macht, wird es mit Sicherheit noch schlimmer.“

Wir sahen ihm an, dass er sich wand, die Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit, die wir gerade deutlich vernommen hatten, als wir noch nicht entdeckt waren. Ich hatte nicht übel Lust, diesem Weißkittel gegen das Schienbein zu treten und ihm meine ganze Wut entgegenzubrüllen, aber damit wäre uns auch nicht geholfen gewesen. Der jüngere Arzt warf einen neugierigen Blick auf die Maske, die Tommy an sich gedrückt hielt.

„Was hast du denn da?“, fragte er und versuchte, abzulenken.

„Das ist jetzt unwichtig“, sagte Tommy bestimmt. „Wo ist der OP?“

„Da hinten“, rutschte es dem älteren raus, bevor er es verhindern konnte. „Aber da dürft ihr auf gar keinen Fall rein!“

„Gut“, meinte Tommy. „Und wo ist das Zimmer Nummer 226?“

„Das ist fünf Türen weiter hier den Gang runter auf der linken Seite. Ist das das Zimmer eurer Mutter?“

Tommy nickte. „Dürfen wir dort auf sie warten?“

Die beiden Mediziner sahen sich an. Man konnte deutlich erkennen, was jetzt in ihren Köpfen vorging. Wir hatten sie ein wenig in der Hand. Wenn die Operation gut ausging, konnte man ihnen ja nichts anhaben, aber wenn Janines Mutter durch die Operation etwas passieren würde, dann konnten wir erzählen, dass diese beiden Ärzte es hätten verhindern können und nichts getan hatten.

„Natürlich“, nickte der ältere Arzt. „Geht nur. Wenn ihr etwas zu trinken haben wollt, könnt ihr ruhig nach der Schwester klingeln. Ich sag ihr Bescheid.“

Tommy nahm Janine in den Arm und sprach beruhigend auf sie ein. Sanne stand mit funkelnden Augen daneben und sandte wütende Blicke zu den beiden jetzt richtig hilflos wirkenden Männern. Ich stand nur da und fühlte mich nutzlos.

„Kommt“, sagte Tommy schließlich. „Warten wir in ihrem Zimmer. Ich glaube, das ist am besten.“

Janines Schluchzen hatte etwas nachgelassen. Vielleicht lag das an Tommys beruhigenden Worten. Aber Sanne war mit den beiden Ärzten noch nicht fertig.

„Lassen Sie uns bloß in Ruhe! Ich will von Ihnen nichts zu trinken!“

Schweigend nahmen wir Janine in unsere Mitte. Zimmer 226 war ein Einzelzimmer und das kam uns sehr gelegen. Wenn hier noch andere Patienten gelegen hätten, dann hätten wir uns kaum unterhalten können. Tommy schloss die Tür hinter uns, und sowie er sich sicher glaubte, überzog ein Grinsen sein Gesicht.

„Warum lachst du?“, fragte Sanne immer noch wütend. Janine hatte sich auf einen Besucherstuhl gesetzt und schaute uns mit Tränen verschleierten Augen an.

„Ich lache nicht. Ich freue mich!“, meinte Tommy und winkte beruhigend ab. „Wir sind hier allein und können in Ruhe machen, was wir wollen. Joe, wie viel Zeitsand haben wir noch?“

Während ich in meiner Jacke nach dem schweren Glas kramte, glomm in Janines Augen Hoffnung auf.

„Du willst ...?“, schniefte sie.

„Ja!“, sagte Tommy bestimmt. „Wir werden zur Not den ganzen Zeitsand verschütten, aber dann kriegen wir deine Mutter wieder hierher zurück ins Zimmer und können ihr die Maske auflegen.“

„Aber die Operation läuft doch schon eine halbe Stunde!“, sagte Sanne zweifelnd.

„Hier!“, rief ich. „Noch halb voll!“

„Hm“, machte Tommy. „Das wird knapp. Aber es ist unsere einzige Chance. Und wozu sonst haben wir das Glas mitbekommen? Zeitsand schützt die Maske! Schon vergessen?“

Nein, natürlich hatten wir das nicht vergessen, aber die Aufregung, die Angst, die wir ausgestanden hatten und nicht zuletzt die Sorge um Janines Mutter hatten uns völlig durcheinander gebracht. Jetzt fühlte ich auf einmal, wie neue Kraft durch meinen Körper strömte. Entschlossen zog ich den Verschluss von dem Glas mit Zeitsand.

„Alles auf einmal?“, fragte ich in die Runde.

„Alles!“, bestätigte Tommy. „Wir haben ihn jetzt dreimal benutzt, und viel mehr als eine halbe Stunde dürfte uns der Rest da nicht bringen. Warte nicht länger. Los, verschütte ihn!“

Erst wollte ich ihn vorsichtig verstreuen, aber dann dachte ich, die Zeit würde ruckeln, wenn ich den Sand nicht gleichmäßig auskippte. Also nahm ich einen tiefen Atemzug, drehte das Glas um, und der Zeitsand ergoss sich in einem feinen Strom in das Zimmer.

Wuuusch ... machte es und die Welt oder besser das Zimmer um uns herum rauschte in einem wahnsinnigen Strudel an uns vorbei. Der Effekt dauerte diesmal wesentlich länger und mir wurde schwindlig von der rasenden Bewegung, die alles mit sich zu reißen schien. Trotzdem blieb ich fest und sicher auf der Erde stehen. Dann war es vorbei. Das Zimmer lag da wie vorher, aber mein Schwindel hielt an, und ich musste mich irgendwo festhalten, um nicht umzufallen. Ich krallte mich an den nächstbesten Gegenstand, und das war das Metallgestell des Krankenbettes.

„Pass auf!“, schrie Janine. „Du tust ihr weh!“

Erschrocken ließ ich los und dann erst nahm ich war, dass in dem eben noch leeren und frisch bezogenen Bett jemand lag! Janine schluchzte auf und stürzte zu ihrer Mutter. Dicht über sie gebeugt blieb sie stehen und strich ihr zärtlich über die Wange. Das Gesicht der Kranken war leichenblass und feine blaue Äderchen durchzogen die fahle Haut. Die Haare klebten ihr am schweißnassen Gesicht und ich hatte das Gefühl, dass sie kaum atmete. Wir sahen alle, dass es Janines Mutter sehr, sehr schlecht ging.

„Tommy ...“, sagte Sanne leise und tippte auf ihre Uhr. „Es ist zehn vor elf!“

„Verflixt!“, entfuhr es mir. „Das ist gerade mal eine halbe Stunde! Die kommen gleich, um sie zu holen!“

„Janine, lass mich bitte vorbei“, drängte Tommy, hielt jedoch gleich darauf inne. „Nein, das ist einzig und allein deine Aufgabe. Nimm du die Maske.“

Janine wischte sich mit dem Ärmel ihrer Jacke die Tränen aus den Augen und nahm Tommy die Maske vorsichtig aus der Hand. Dann sah sie uns allen nacheinander in die Augen. In diesem Moment fühlten wir die Kraft der vier Herzen in uns wie lange nicht mehr. Sie wartete nicht länger. Behutsam legte sie die Maske auf das Gesicht ihrer Mutter. Feuerrote Blitze schossen unter der Maske hervor. Das Licht schien durch den gesamten Körper hinunterzuströmen, hüllte ihn ein und das ganze Krankenzimmer wurde in ein unheimliches Rot getaucht.

Völlig gefangen genommen von diesem unglaublichen Schauspiel verfolgten wir diesen Augenblick. Ich wusste, dass in diesem Moment alle bösen Keime aus Janines Mutter in der Maske verschwinden würden. Plötzlich gab es einen Knall.

Was ist hier los? Seid ihr verrückt geworden?“

Ich warf den Kopf herum und erblickte drei Ärzte und zwei Schwestern, die zur Tür hereinstürzten und sie in der Hektik an die Wand geknallt hatten. Die wollten Janines Mutter zur Operation abholen! Und sie hatten garantiert das rote Leuchten durch die Türritzen schimmern sehen!

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9783742746306
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