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Читать книгу: «Geld und Erfahrung», страница 6

Max Eyth
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7. Rettungspläne

Regen nach Sonnenschein – können wir mehr fordern vom wechselnden Leben? Aber allerdings, es brauchte nicht gerade ein Donnerwetter zu sein, mit der Aussicht, in einen vierwöchentlichen Landregen überzugehen.

Am folgenden Morgen brachten die »Crescent City News« einen zornigen Aufsatz über England und die heimtückische Art und Weise, wie John Bull die Einführung der sonst nicht ganz nutzlosen Dampfkultur benutze, um einer verderblichen und verlorenen Sache neue Lebenshoffnungen einzuflößen, die nie in Erfüllung gehen können. Doppelt bedauerlich sei, daß der in andrer Beziehung anständige und nicht unintelligente Leiter des unförmlichen englischen Dampfpflugs sich zu Kundgebungen mißbrauchen lasse, die einem förmlichen Wiedererwachen der alten sezessionistischen Bestrebungen gleichkämen. Der Herr möge sich nicht täuschen: neuer Wein, auch der, den er zu verzapfen wünsche, lasse sich nicht in alte Schläuche füllen. Weder Dampf noch Sekt werde die verbrauchten Männer einer verlorenen Partei zu neuem Leben erwecken. Die Sezession sei tot. Den Dampfpflug an die tote Sezession binden zu wollen, sei sicherlich das törichtste, was dieser fremde Herr jemals versucht habe. Es wäre ihm vielleicht nützlich gewesen, wenn er sich zuvor über die Verhältnisse des Südens etwas eingehender belehrt hätte. Als charakteristisch sei zu erwähnen, wie ein gewisser, in Louisiana sehr überschätzter General, der sich neuerdings mit Kanalschiffahrt beschäftige, den Pflug quer über das Feld gesteuert und das unglückselige englische Instrument in einer Lage stecken gelassen habe, über die mehrere Sachverständige sich heute noch den Kopf zerbrächen. Übrigens sei Wohlwollen und Gerechtigkeit auch dem Gegner gegenüber stets der Grundsatz der »Crescent City News« gewesen. Die Schriftleitung stehe deshalb nicht an, ihren Lesern die vortreffliche Speisenfolge des Gabelfrühstücks mitzuteilen, das den Kern der Eröffnungsfeier des englischen Dampfpflugs gebildet habe: Schildkrötensuppe mit Heydsik usw.

Der freundlicher gesinnte »Picayune« begann mit der Speisekarte, brachte eine enthusiastische Beschreibung des Dampfpflugs, die kein Mensch verstehen konnte, und war überzeugt, daß der erste Stein zum Wiederaufbau des Südens gestern gelegt worden sei, »dank den Männern,« schloß er, »die entschlossen den großen Aufgaben unsrer Zeit entgegentreten und die Not der Gegenwart mit den glänzenden Waffen der Zukunft zu bekämpfen wissen.«

Da Lawrence, der energisch mitgekämpft hatte, ebenso wie Schmettkow am folgenden Tag etwas unwohl waren, hörte ich von dem kleinen Zeitungskrieg, der um meinen Dampfpflug entbrannt war, zunächst so viel wie nichts. Die ruhigere, planmäßige Arbeit nahm ihren Fortgang. Ich pflügte in den nächsten Tagen jeden Morgen und Abend für das Fünfzigcentpublikum ein paar Stunden lang. Meine Leute kamen nach und nach in Übung, es ging mit jedem Versuch etwas besser; nur der Strom der erwarteten Volksmassen blieb aus. Der Geschäftsführer der Landwirtschaftsgesellschaft war mein getreuester Zuschauer, und sein Gesicht wurde nach jeder Vorstellung um einen Zoll länger. Am zweiten Tag wurde der zweite Kassierer am Eingangstor als völlig überflüssig eingezogen, und am dritten konnte auch der noch im Dienst stehende seine Siesta, die um die Mittagsstunden in seinem kleinen Brathäuschen verzeihlich war, über den Rest des Tages ausdehnen, ohne seine Amtspflichten zu vernachlässigen.

Am Abend dieses dritten Tages kam Lawrence mit Delano in ungewöhnlicher Eile über das Feld, als ich soeben die Vorstellung, die wir den zwei Söhnchen des eingeschlafenen Kassierers gegeben hatten, abzuschließen im Begriff war. Man sah es dem Gang der beiden Herren an, daß sie ein neuer, belebender Gedanke trug. Lawrence grüßte vergnügt, der Geschäftsführer grämlich, und betrachtete sodann kopfschüttelnd die beiden Knäblein, die eifrig auf dem stillstehenden Pflug herumkletterten und nach Yankeejungenart versuchten, ob nicht da oder dort eine Mutter loszuschrauben, eine Schraube abzudrehen war.

»Nun, wie ging's heute, Herr Eyth? Mehr Publikum hier gewesen?« rief Lawrence, als ob alles, was er sah, seine höchste Befriedigung erregt hätte.

»Sie sehen, welches Interesse die Bevölkerung an unserm Pfluge nimmt«, antwortete ich, auf die zwei Jungen weisend, die wirklich eine lose Mutter gefunden hatten und emsig an der Arbeit waren. »Heute Vormittag war auch ein alter Herr hier, der sich ernstlich nach der Leistungsfähigkeit der Maschinen erkundigte. Er brauche eine billige Lokomobile zum Wasserpumpen, erzählte er mir.«

»Der Kassierer behauptet, er müsse am Ostende des Platzes über den Parkzaun gestiegen sein«, bemerkte Delano, die zwei Bürschchen mit finsteren Blicken messend. »Das kann so nicht fortgehen, Herr Lawrence. Wir müssen den Zaun am Ostende reparieren lassen. Wenn nur Geld in der Kasse wäre! Guter Gott, wenn nur etwas Geld in der Kasse wäre!«

»Man wird doch deshalb den Mut nicht sinken lassen!« rief Lawrence, ohne den Geschäftsführer zu beachten. »Zweifellos haben wir den richtigen Weg noch nicht gefunden, das gesamte Interesse des Südens auf unsre Sache zu lenken, Herr Eyth. Die »Crescent City News« fahren allerdings fort, Ihnen Opposition zu machen. Das ist gut; das regt an.«

Er holte das widerwärtige Blatt aus der Tasche.

»Mir scheint es eher abzuschrecken«, meinte ich. »Der Lump von Redakteur schrieb gestern wieder ein paar Zeilen über den plumpen englischen Dampfelefanten, der in blinder Arbeitswut unsern schönen Ausstellungspark aufwühle.«

»Sehr gut! Sehr gut!« rief Lawrence. »Sehen Sie, Herr Eyth, Sie verstehen unsre Sprache noch nicht völlig. Das ist ja verzeihlich; aber Sie sollten mit sich selber etwas Geduld haben. Wir müssen den Mann bezahlen, wenn er verspricht, kräftiger zu schimpfen. Hören Sie einmal, was der »Picayune« heute früh sagt. Es gefällt Ihnen vielleicht besser; aber es ist nicht halb so wirksam.«

Er zog eine zweite Zeitung hervor, setzte sich auf den Pflug und las mit pathetischem Feuer:

»Der glänzende Erfolg der großen englischen Erfindung, welche uns einen Ersatz für die wohl für immer verlorene Arbeit unsrer farbigen Mitbürger zu schaffen bestimmt ist, zieht täglich Tausende von Schaulustigen nach dem Ausstellungspark der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana. Die Prüfungskommission dieses wahrhaft patriotischen Vereins, bestehend aus den Herren Lawrence – hier folgten zehn weitere, mir völlig unbekannte Namen – hat dem riesigen Kulturinstrument einstimmig den ausgesetzten Ehrenpreis von 750 Dollar zuerkannt. Wenn in Indien der Elefant am Pfluge des Rajahs Wunder der Kraft und Klugheit verrichtet, so arbeitet in unserm erleuchteteren Lande die elefantine Kraft des Dampfes an der neu erstehenden Wohlfahrt unsres zu Boden getretenen Südens. Ein Volk, das im Handumdrehen den Pflug mit dem Schwert zu vertauschen weiß, wie unser wackerer Longstreet so wahr bemerkte, kann nicht untergehen.«

»Wenn ich nur wüßte, wo ich die 750 Dollar auftreiben sollte, mit denen mir das verehrliche Komitee seit acht Tagen in den Ohren liegt«, brummte der Geschäftsführer.

»Deshalb kommen wir zu Ihnen, Herr Eyth«, sagte Lawrence mit wachsendem Frohsinn. »Die Elefantenidee hat gezündet; ich weiß es von verschiedenen Seiten. Wenn Sie uns ein wenig die Hand bieten, so wird sich alles zum besten wenden.«

»Aber was kann ich mehr tun, als Ihren Park vierzehn Zoll tief aufreißen?« fragte ich, ziemlich ratlos um mich blickend. »Wenn dies Ihren ruhmbedeckten Süden nicht interessiert, so bleibt mir schließlich nichts andres übrig, als ihn seinem Schicksal zu überlassen.«

»Fangen Sie nicht auch an, die Flügel hängen zu lassen!« mahnte Lawrence. »Das tut unser Geschäftsführer schon hinreichend für uns alle. Aber hören Sie mir zu! Das Pflügen interessiert die Stadtleute nicht; zugegeben! Die großen Gutsbesitzer sind keine Volksmasse; auch kommen sie nicht in die Stadt. Sie haben kein Geld mehr, wie vor fünf Jahren. Wir müssen es anders angreifen. Wenn Sie damit einverstanden sind, lasse ich heute abend in alle Zeitungen eine Anzeige einrücken. Ich habe sie schon im Entwurf in der Tasche. Hören Sie! Passen Sie auf, Delano!«

Er zog einen Bogen Papier aus der Brusttasche, auf dem in viel korrigierter Schrift folgendes zu lesen war:

»Große Sensation! Wettrennen der zwei Dampfelefanten John Bull und Jonathan; John Bull, geritten von dem berühmten englischen Dampfelefantenjockey Mister Jem Parker; Jonathan von dem amerikanischen Gentlemanreiter Mister Eleazar Stone. An die gesamte Bevölkerung, Damen und Herren, groß und klein, alt und jung der Staaten Louisiana, Alabama, Mississippi und Texas! Nachdem die berühmten Dampfelefanten John Bull und sein Bruder Jonathan während der vergangenen Woche in gewaltiger Arbeit den Urgrund des Mississippitals aufgewühlt haben, beabsichtigen diese gewandten und zu heiterem Spiel geneigten Tierchen ihre angeborene Munterkeit in einem kleinen Wettlauf zum Ausdruck zu bringen, der auf der Rennbahn des Parks der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana am Donnerstag, den 4. März, nachmittags fünf Uhr stattfinden wird. Besondere Anziehung wird das Rennen dadurch ausüben, daß der Elefant Jonathan von dem amerikanischen Amateur Mister Stone, John Bull dagegen von dem berühmten englischen Berufsjockey Parker gesteuert werden wird. Es sollen bereits beträchtliche Wetten auf den Erfolg des einen oder andern der kühnen Reiter angeboten und angenommen worden sein. Herr Stone stammt aus einer alten Familie Virginiens und wird die Ehre des neuen Kontinents aufrecht zu erhalten wissen, während Parker vor einigen Tagen aus England eintraf, so daß ihm die ganze Geschicklichkeit und Erfahrung der älteren Kulturwelt zur Verfügung steht.

»Achtung, Bürger von Louisiana, Alabama, Texas und Mississippi, Achtung! – Der Riesenmammutwettkampf zweier Welten, in Arbeit und Sport! Amerika gegen England! England gegen Amerika! Wer wird der Sieger bleiben? Parkkassenöffnung um zwei Uhr. Eintritt einen Dollar. Tribünenkarten drei Dollar.«

Lawrence sah sich um, als habe er zu eigner Verwunderung das Ei des Kolumbus auf den Kopf gestellt; die trüben Augen des Geschäftsführers blitzten, eine hektische Röte war in seine gelben Wangen gestiegen. Mir standen die Haare zu Berge.

»Das ist ja aber rein unmöglich, mein lieber Herr Lawrence«, rief ich, nach Luft schnappend.

»Unmöglich?« schrie Lawrence stürmisch. »Unmöglich! Mein bester Gedanke seit dreißig Jahren! Aber warum denn, mein lieber Herr Eyth?«

Ich suchte mich zu fassen und ruhig zu sprechen.

»Ich kann doch ganz unmöglich meinen Dampfpflug zu einem solchen Karnevalsstreich, zu einer so verrückten Barnumiade hergeben.«

»Ich bitte Sie! Barnum ist einer der geachtetsten Bürger unsrer großen Republik. Ein Charakter! Ein Charakter, Herr Eyth! Er hat kleiner angefangen als Sie und hat heute das größte Museum der Welt. Er ist Millionen wert, Millionen, hat schon drei Kirchen gebaut, ist dreifacher Kirchenältester in seinen eignen Gotteshäusern und kann sich den Degen umschnallen, den Napoleon bei Waterloo verlor, wenn es ihm beliebt. Ich bitte Sie, warum denn nicht?«

»Meine Dampfpflugmaschinen – wettrennen!« rief ich mit neu erwachendem Entsetzen. »Die plumpen englischen Dampfelefanten, wie die ›Crescent City News‹ sagen! Sie laufen ja keine vier Meilen in der Stunde, beim besten Willen.«

»Das ist ja eben das Pikante! Ein Elefantenwettrennen, ein Dampfmammutwettrennen! Nichts von Ihren windigen Vollblutskniffen der Alten Welt; keine brutale Tierquälerei ihrer barbarischen Vergangenheit – das Ganze elegant, human, würdig – Zukunftsmusik! Der ›Picayune‹ wird jubeln; der ›Crescent City News‹-Redakteur wird sich die Haare ausreißen. Die ganze Stadt wird auf unsrer Seite sein. Und diese Reklame! Diese Reklame! Bedenken Sie doch!«

»Vor der ganzen Welt werden wir dastehen wie blamierte Hanswurste«, sagte ich düster, denn ich fühlte, daß etwas in mir nachgab, daß eine Feder meines Innersten brechen wollte, die ich bis jetzt für stahlhart gehalten hatte. Lawrence merkte es ebenfalls, setzte sich wieder auf den Pflug, von dem er in der Hitze des Gefechts aufgesprungen war, und fuhr ruhiger und eindringlich fort:

»Sie verstehen dieses Land nicht. Sie können den mächtigen Strom des Fortschritts nicht fassen, der uns über solch kleinliche Bedenken wegträgt und uns größer gemacht hat als alle andern Nationen des Erdballs. Aber Sie müssen einsehen, was ich Ihnen hier biete. Jetzt sitzen Sie da vor zwei kleinen Jungen, die Sie auslachen. In ein paar Tagen haben Sie fünfzigtausend Menschen hier, die Sie anstaunen.«

»Ich glaube gar nicht, daß ich Jem Parker bewegen kann, den Narren zu spielen,« brummte ich.

»Dafür lassen Sie mich sorgen!« rief Lawrence freudig, denn er sah, wie schwach ich wurde. »Sechs Glas Jamaikarum und fünfzig Dollar Trinkgeld! Damit zieht er uns eine brennrote Jockeyjacke an. Stone, der ein Vater von sieben Kindern ist und Professor an einem Technikum in Buffalo war, will in grünem Spenzer und gelben Hosen antreten. Er denkt wie ich. Aber wohlgemerkt, Sie müssen es ihn gewinnen lassen. Er repräsentiert Amerika.«

»Das ist ein weiterer Punkt«, warf ich ein. »Die beiden Maschinen gleichen sich wie ein Ei dem andern und laufen genau gleichschnell. Von einem Wettrennen ist also nicht die Rede.«

»Kann man dies nicht machen wie man will?« fragte Lawrence, fast wieder aufgebracht über meine Borniertheit. »Das wird mit Stone und Parker ganz genau verabredet. Dreimal über die Bahn, denke ich mir; zuerst Stone voraus; dann Parker voraus, immer weiter voraus, eine halbe Bahnlänge zwischen beiden. Stone in Nöten – Parker lachend. Dann auf einmal Stone hinterher wie der Teufel, mit offenen Zylinderhähnen, damit man sieht, daß sein Elefant sich anstrengt. Parker pustet und keucht. Vergeblich. Fünfzig Schritte vom Ziel sind sie beide Schornstein an Schornstein. Parker hat die Innenseite der Bahn; noch immer kann er gewinnen – aber in den letzten drei Sekunden, unter dem donnernden Jubel von fünfzigtausend Menschen, siegt Amerika mit einer Nasen- oder Rüssel- oder Kessellänge, ganz wie Sie wollen. Was sagen Sie jetzt?«

»Die einzige Rettung für uns alle!« stöhnte Delano, der mich ängstlich betrachtete. Es mußte mit der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana in der Tat schlecht stehen.

»Ich will mir's überlegen!« sagte ich zögernd und fühlte, wie die scharfe Luft Amerikas mein Lungengewebe durchdrang und das schwere, deutsche Blut rascher oxydierte. Die Empfindung steigender Wärme war nicht unangenehm. Auch leichter fühlte ich mich, wie ein Ballon, dem plötzlich mit weiteren fünfzig Kubikmetern Gas unter die Arme gegriffen wird.

»Und ich«, rief Lawrence, indem er mir rasch die Hand drückte, »laufe auf die Redaktionen. Für die Morgenblätter wird es gerade noch Zeit sein. Aus Ihnen, Herr Eyth, kann immer noch etwas werden. Ich gebe Sie nicht ganz verloren. Adieu!«

Er lief, den nächsten Weg über das gepflügte Feld nehmend, dem Parktor zu und zwar so eifrig, daß er, über die mächtigen Furchen stolpernd, zweimal auf die Knie fiel, ohne Zeit zu verlieren.

Delano und ich sahen einander an, zaghaft, trübselig, ich noch immer in einem unbeendeten Seelenkampf, in dem die Neue und die Alte Welt miteinander rangen und mich qualvoll hin und her zerrten; Delano mich mißtrauisch betrachtend, als ob er fürchtete, es könne doch noch alles schief gehen.

»Es ist gut, daß Sie sich entschieden haben«, sagte er endlich mit dem ersten Lächeln auf seinem gelben Gesicht. »Wenn Sie nein gesagt hätten, wäre ich morgen früh nach Kuba abgereist. Ohne die Gesellschaftskasse. Die ist leer.«

8. Neue Hoffnung

Die »Crescent City News« waren besiegt, sogar vor dem großen Tage, auf den Lawrence seine ganze Hoffnung setzte. Wie er dies zuwege gebracht hatte, blieb ein Geheimnis. Die spaltenlangen Inserate, in denen das kommende Wettrennen zur Anzeige kam, konnten den Stimmungswechsel kaum hervorgebracht haben, dafür waren sie trotz der fetten Buchstaben nicht groß genug. Aber die spitzen Bemerkungen über die plumpen Dampfpflüge hörten plötzlich auf. Die löbliche Absicht, ein Wettrennen abzuhalten, wurde laut und dankbar anerkannt, die beiden Dampfelefanten John Bull und Jonathan in begeisterten Farben geschildert, ihre merkwürdige äußerliche Ähnlichkeit nicht verschwiegen, jedoch darauf hingewiesen, daß in ihrem Innern wesentliche Verschiedenheiten bestehen dürften. Das Verhältnis von Heiz- und Rostfläche, vom Zylinderraum zum Dampfraum im Kessel, eine künstliche Zugvorrichtung, ein heimlicher Expansionsschieber, kurz das eigentliche Seelenleben beider Maschinen lasse den Ausgang des Kampfes durchaus zweifelhaft erscheinen. Übrigens komme es, wie bei jedem Rennen, doch auch wesentlich auf die Jockeys an, und da Jonathan von dem berühmten Amerikaner Stone (grün und gelb), John Bull von einem nicht minder hervorragenden Engländer, Jem Parker (rot und blau) geritten werde – der Berichterstatter entschuldigte sich hier, daß er beim Anblick der eleganten Dampfrenner unwillkürlich in die Sprache des Turfs verfalle –, so sei der Sieg des einen oder des andern keineswegs eine leicht vorauszusehende Sache. An den Schenktischen der Hotels und Salons von St. Charles- und Kanalstraße sei das Wetten bereits in lebhaftem Gang. Im allgemeinen sei in den Kanalstraßenrestaurants Jonathan der Favorite, während im St. Charleshotel Wetten von zwei gegen eins auf John Bull, dessen Jockey man größere Erfahrung zuschreibe, bereitwillig angenommen werden.

Unser nutzloses Pflügen im Ausstellungspark wurde nicht wieder aufgenommen. Das amerikanische Fieber, das den wohlakklimatisierten Lawrence in einen jungen Mann voll Feuer und Energie verwandelt hatte, packte auch mich mit jeder Stunde mehr. Am Morgen nach unsrer Besprechung im Park, nachdem ich nicht ohne Herzbeklemmung die bekannte Anzeige in fünf Zeitungen gesehen und mich an deren Aussehen ein wenig gewöhnt hatte, schlug ich mit einer entschlossenen Aufwallung alle Bedenken in den Wind. Ein Trost blieb mir ja immer: Louisiana war viertausend Meilen vom würdevollen England entfernt. Wenn es nun einmal sein mußte und mein ernster, ehrbarer Dampfpflug auf ein paar Stunden den Narren spielen sollte, nun, dann lieber auch recht! – General Longstreet fand nichts Bedenkliches in der Sache. Im Gegenteil; er lobte mich, daß ich Land und Volk so rasch begreifen lerne. Persönlich wünsche er allerdings in diesem Fall mehr in den Hintergrund zu treten. Um so tätiger waren seine jungen Geschäftsteilnehmer, die beiden Owen, die das Wetten unter ihren Freunden in einen Schwung brachten, der mich kleinen Anwandlungen von Gewissensbissen aussetzte. Lawrence lachte mich aus: »Ist es unsre Aufgabe, dafür zu sorgen, daß die jungen Leute ihr Geld in der Tasche behalten?« fragte er. »Ist es für das gemeine Wohl von irgend welcher Bedeutung, in wessen Tasche des Volkes es schließlich sitzen bleibt?« Ich mußte ihm recht geben.

Parker machte keine Schwierigkeiten. In seiner trockenen Weise sagte er: »Mister Fowler schickte mich hierher und befahl mir, zu tun, was Sie befehlen. Das sind meine Anweisungen. Wenn ich mit meiner Maschine wettrennen soll, so wettrenne ich; das ist einfach!« – Ich klopfte ihm auf die Schulter und begann, etwas zögernd, von der roten Jacke zu sprechen. Aber auch hier kam mir ein unerwarteter Zwischenfall zu Hilfe. Der ruhige Jem hatte bereits die intime Bekanntschaft einer jungen Dame gemacht, der hübschen, wenn auch etwas bronzierten Tochter eines Handelsgärtners, der in der Nähe des Parks einen stattlichen Bananen- und Orangenwald pflegte. Der Engländer teilte die amerikanische Abneigung gegen leichte Farbenmischungen nicht, und die junge Dame war Feuer und Flamme für den hübschen, kräftigen, wenn auch stummen Liebhaber, dessen ehrliche Augen die besten Absichten verrieten. Fräulein Sally war begeistert für die rote Jacke, half sie anmessen und setzte Goldborten auf den Kragen. Ihr Jem sah prächtig aus, wie ein Kakadu! Jetzt erst war sie wirklich überzeugt, eine glückliche Frau zu werden. Er brummte, aber er war ein herziger Junge, ihr Jem, wenn er die Kakadujacke anhatte.

Die Ackergeräte blieben im Felde stehen, wo sie standen, verstaubt und verachtet. Beide Dampfmaschinen dagegen wurden drei Tage lang geputzt und geschmirgelt, daß sie in der Sonne blitzten. Auf der Rückseite des Tenders und auf dem Deckel der Rauchkammer ließ ich durch einen hervorragenden Künstler aus Deutschland, der drüben mehrere Malerschulen besucht hatte und dementsprechend am Hungertuch nagte, die eine mit den Worten »John Bull«, die andre mit dem Namen »Jonathan« bemalen, so daß ich nun auch selbst wußte, welches die eine und welches die andre war. Stone brachte auf eigne Kosten nationalfarbene, besternte Tücher, mit welchen er Jonathan schmückte. John Bull fand sich am Mittwoch nachmittag mit Guirlanden über und über bedeckt, in denen sich reife Orangen besonders reizend ausnahmen. Das war Sallys Werk. Ich selbst sorgte dafür, daß am Tender jeder Maschine zwei Banner befestigt wurden: Parker erhielt die englische Union-Jack, die er mit ruhigem Stolz aufsteckte, Stone die sternbesäte Flagge seiner amerikanischen Heimat. Das eigentümliche Verhältnis beider war auch nach längerem Zusammenarbeiten das gleiche geblieben. Sie sprachen nicht viel und nicht höflich, wenn sie sich etwas zu sagen hatten, aber die magnetische Antipathie, mit der sie sich betrachteten, war im Wachsen. Parker verachtete Stone, Stone ärgerte sich über Parker. Das geschah aus nationalem Instinkt. Hätten sie sich als Individuen gegenübergestanden, so wäre das umgekehrte Verhältnis natürlicher gewesen. Stone, der ältere, verhältnismäßig gebildetere Mann, hätte Jem verachten, Jem sich über Stone ärgern sollen. Aber das unbewußte Rassengefühl ist meist stärker als das bewußte Empfinden des einzelnen. Zum Glück hatten sie bis jetzt nicht viel Gelegenheit gehabt, sich aneinander zu reiben. Es ist dies schwierig, wenn jeder den ganzen Tag an einem der beiden Enden eines vierhundert Meter langen Drahtseils beschäftigt ist.

Auch Delano hatte nun genügend zu tun und wurde deshalb etwas heiterer. Er ließ die Tribüne abstäuben und stützen, da sie sich gefährlich nach hinten neigte, und ein drittes Kassenhäuschen aufstellen. Man sah, meine amerikanischen Freunde glaubten an die englischen Elefanten. Ich selbst war sehr beschäftigt und warf kaum einen Blick auf die Zeitungsnotiz, die mir Lawrence, der jetzt alle Taschen voll Fahnenabzüge und Ausschnitte hatte, am Dienstag vor dem Rennen auf die Maschine heraufreichte. Einen Augenblick später sprang ich jedoch erregt zur Erde. Der Himmel klärte sich. Es regnet auch im Mississippidelta nicht immer. Dann las ich mit gespannter, aber freudiger Aufregung:

»Washington, den 1. März 1867. Der unerwartete Schluß der Sitzungen des Kongresses war in den letzten Tagen die Veranlassung, eine ganze Reihe weniger bedeutender Vorlagen, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, zur Beratung zu bringen, die meist ohne längere Diskussion zur Annahme kamen. Die sichtliche, die Arbeit fördernde Ermüdung der würdigen Vertreter des souveränen Volkes mag hierbei ebenso kräftig mitgewirkt haben wie die sachlichen Interessen, die von einzelnen Mitgliedern mit Gewandtheit und Umsicht vertreten wurden. Namentlich war dies am letzten Tage der Session der Fall, an dem die folgenden neun Anträge die Zustimmung des hohen Hauses erhielten.« Dann folgte die Liste von acht mir völlig gleichgültigen Bestimmungen, die sich auf die Gewährung von Pensionen, die Bezahlung von Komitees, die Erhöhung von Beiträgen zu verschiedenen Verkehrsunternehmungen bezogen. Dem neunten Paragraphen sah man es fast an, wie hastig er im letzten Augenblick noch angehängt worden war. Er lautete:

Ferner wird beschlossen, daß Geräte und Maschinen, die zur Bearbeitung des Bodens mittels Dampfkraft bestimmt sind, zoll- und steuerfrei eingeführt werden können, und soll diese Zollbefreiung auf die Dauer von drei Jahren festgesetzt sein. Auch soll die Bestimmung rückwirkende Kraft besitzen und vom 1. Januar 1867 an Geltung haben. –

»So hat mein zweifelhafter Freund Olcott doch nicht umsonst gearbeitet, und Schmettkow wird mir beschämt zugestehen müssen, daß auch im Norden noch Menschen wohnen, auf die man sich verlassen kann!« rief ich innerlich hocherfreut und schickte Stone in die Stadt, um noch zwei Banner zu bestellen, mit denen ich Jonathans Schornstein schmücken wollte. Die Sterne und Streifen waren nicht so schlimm, als ich seit einigen Wochen zu fürchten begonnen hatte.

Noch am gleichen Nachmittag, als meine zwei Renner blank und glänzend, mit Kohlen, Wasser und Öl versorgt, hinter der geschmückten Tribüne aufgestellt waren, fuhr ich nach dem Zollamt und überreichte dem Generalzolldirektor von New Orleans den »Picayune« und die »Crescent City News« mit ihren Telegrammen aus Washington. Der Herr, ein dünner, schwarzgekleideter Yankee mit der Miene eines Kirchenältesten, schien in eifrigem Geschäftsgespräch mit einem seiner Unterbeamten. Beide hatten zerrissene Taschenbücher in der Hand und ließen sich durch meinen Eintritt kaum stören. Zwei gegen eins auf Jonathan; so weit wollte der Zolldirektor gehen, während der Assistent zögernd an seinem Bleistift kaute. Beide Herren empfingen mich unwirsch, als ich eintrat, und sehr höflich, als ich mich zu erkennen gab. Mit sichtlichem Widerstreben entfernte sich der Assistent auf einen energischen Wink seines Vorgesetzten. Ich zog den »Picayune« hervor und zeigte ihm den dickunterstrichenen Paragraphen.

»Sehr gut, sehr gut, Sir!« sagte er mit unerwarteter Zuvorkommenheit. »Ich gratuliere Ihnen, Herr – Herr Jed! Nebenbei: würden Sie vielleicht die Güte haben, mir den Unterschied, die wesentlichen inneren Eigenschaften von Jonathan und John Bull zu erklären? Ich verstehe nicht viel von Dampfmaschinen, interessiere mich aber doch außerordentlich für die Fortschritte der Technik. Die beiden Elefanten seien äußerlich ziemlich ähnlich, habe ich mir von sachverständiger Seite sagen lassen. Welchen – ganz unter uns – welchen halten Sie bei einem Viereinhalbmeilen-Rennen für den leistungsfähigeren? Sie wissen, die Bahn ist anderthalb Meilen lang.«

Hier handelte es sich offenbar um ein unerwartet glückliches Zusammentreffen von Umständen, das ich nicht ungenützt vorübergehen lassen durfte.

»Ich komme, verehrter Herr,« sagte ich, »um Sie auf den Paragraphen bezüglich der rückwirkenden Kraft dieser Zollbestimmung aufmerksam zu machen.«

»Sehr interessant!« rief der Zöllner. »Ich höre, Jonathans Feuerbüchse sei um zehn Zoll länger. Wenn dies der Fall ist, muß er ein verdammt guter Dampfer sein –«

»Wie Sie wissen,« unterbrach ich ihn mit großer Ruhe, »haben wir, unsre Vertreter Longstreet, Owen & Co., in meinem Namen viertausendzweihundert Dollar Zollgebühren für den Dampfpflug bezahlt, der sich augenblicklich im Ausstellungspark befindet.«

»Gewiß, gewiß! ich erinnere mich. Dagegen habe ich gehört, daß John Bull größere Straßenräder hat. Das müßte man aber doch sehen, und mein Sohn, den ich gestern nacht hinausschickte, konnte einen Unterschied nicht mehr feststellen; es war allerdings schon dunkel. Niemand kann mich nun hierüber so gut aufklären als Sie, mein werter Herr Jed. Ich betrachte es als eine ganz besondere Vergünstigung, daß ich die Ehre habe, Sie heute bei mir zu sehen.«

»Nun denke ich,« fuhr ich mit Beharrlichkeit fort, »werden wir wohl die viertausendzweihundert Dollar ohne weiteres zurückerhalten können. Etwas Bargeld wäre mir augenblicklich nicht unangenehm, Herr Generalzolldirektor! Jonathan frißt, wie Sie richtig vermuten, eine erstaunliche Menge Kohlen.«

»Sie glauben also auch, daß Jonathan, namentlich auf viereinhalb Meilen, die Wahrscheinlichkeit für sich hat?« drängte der Kirchenälteste.

»Ich kann natürlich nichts Bestimmtes sagen, Sir«, sagte ich zurückhaltend. »Jonathan ist ein feiner, junger Dampfelefant, dem ich viel zutraue – viel zutraue, Herr Direktor, und John Bull ist nicht schlecht für sein Alter. Beide sind am gleichen Tage geboren. Es wäre nicht ehrlich, wenn ich mehr plaudern wollte. Auch kann man ja nie wissen, wie es geht. Der Zustand der Bahn, das Wetter, Wasser und Kohle, die Jockeys, alles hat seinen Einfluß. Von den Elefanten als Renner wissen wir alle nicht zuviel. Was die viertausendzweihundert Dollar betrifft –«

»Das genügt«, unterbrach mich der Direktor mit schlauem Augenblinzeln. »Jonathan ist fein und jung. Sie sagen, Jonathan kann man viel zutrauen. Mehr als einen Wink darf ich von Ihnen nicht verlangen. Ich hoffe, Sie zu verstehen.«

»Und was die viertausendzweihundert Dollar betrifft«, mahnte ich, zutraulich lächelnd, als ob wir jetzt unter einer Decke steckten.

»Ja, sehen Sie,« sagte der Kirchenälteste mit der wohlwollendsten Freundlichkeit, »das ist so eine Sache! Das Geld werden Sie ohne Zweifel bekommen, namentlich – namentlich wenn Jonathan gewinnt. Aber ich muß doch erst Weisungen von Washington haben; direkte Anweisung. So geschwind wie mit Ihren Dampfelefanten geht es in den Regierungsbureaux gewöhnlich doch nicht. Besuchen Sie mich in einer Woche wieder, Herr Jed. Da soll die Summe auf dem Tisch liegen, wenn der ›Picayune‹ nicht gelogen hat; mein Wort darauf! – Also Jonathan? Sie denken wirklich Jonathan?«

»Wie Sie sagen: ich denke Jonathan«, bestätigte ich halblaut, sinnend, wie wenn ich meine eignen Gedanken belauschte, und dachte dabei an das Orakel von Delphi. Dann verabschiedeten wir uns mit lebhaftem Händeschütteln. Ich kann es nicht leugnen, so unerklärlich es ist: noch nach Jahren meines amerikanischen Lebens machte dieses biedere Händeschütteln einen gewissen Eindruck auf mich.

In dem dunklen Gange vor der Tür kam der kleine, aber greisenhafte Assistent aus einer Nische hervor. Er hatte auf mich gelauert und schüttelte mir noch heftiger die Hand.

»Sie kommen wegen des Zolls auf Ihren Dampfpflug«, sagte er leise und eifrig. »Ich weiß, ich weiß! Ich las die Nachricht selbst heute früh in den ›Crescent City News‹ und dachte sofort: hier gibt es etwas für mich zu tun. Ohne mich geht das nämlich nicht. Er ist zäh wie ein Hickorystock, wenn er herauszahlen soll« – dabei deutete der Kleine auf die Zimmertür des Großen. – »Eine höchst wichtige Nachricht für Ihr Geschäft. Gratuliere, gratuliere! Die viertausendzweihundert Dollar werden Sie übrigens im Handumdrehen bekommen, wenn ich die Sache in die Hand nehme, und das habe ich zu tun im Sinn, Mister Eyth! Nebenbei – was halten Sie von John Bull? Ich glaube nicht, daß die beiden Elefanten so verschieden sind, als sie aussehen. Sie sehen verschieden aus, höre ich von sachverständiger Seite, aber nicht so verschieden, daß man daraus seine Schlüsse ziehen könnte. Auf die Jockeys wird es wohl ankommen – unter uns –«

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
11 августа 2017
Объем:
160 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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